Struktur-Funktions-Modelle von Pflanzen - Sommersemester 2015 - Winfried Kurth Universität Göttingen, Lehrstuhl Computergrafik und Ökologische Informatik 3. Vorlesung: 30. 4. 2015 letztes Mal: • Laden von dtd-Dateien und erste Analysen in GroIMP • Programmierparadigmen (imperativ, objektorientiert, regelbasiert) • Turtle-Geometrie • deren Ausführung mit GroIMP Beispiel: Zeichnen eines Dreiecks protected void init() [ Axiom ==> RU(30) F(10) RU(120) F(10) RU(120) F(10) ] siehe Datei sm09_b01.rgg heute: • Einfache L-Systeme (Zeichenketten-Ersetzungssysteme) • ihre Ausführung mit GroIMP • einfache Verzweigungsmuster, modelliert mit L-Systemen Dynamische Strukturbeschreibung L-Systeme (Lindenmayer-Systeme) Regelsysteme zur Ersetzung von Zeichenketten in jedem Ableitungsschritt parallele Ersetzung aller Zeichen, auf die eine Regel anwendbar ist von A. Lindenmayer (Botaniker) 1968 zur Modellierung des Wachstums von fadenförmigen Algen eingeführt Aristid Lindenmayer (1925-1989) L-Systeme mathematisch: Ein L-System ist ein Tripel (, , R); darin ist: eine Menge von Zeichen, das Alphabet, eine Zeichenkette mit Zeichen aus , das Startwort (auch "Axiom"), R eine Menge von Regeln der Form Zeichen Zeichenkette; darin sind das Zeichen auf der linken Regelseite und die Zeichenkette aus entnommen. zum Vergleich: Grammatik für natürliche Sprache: Satz S P O S Max S Tina P lernt O Englisch O Französisch mögliche Ableitungen: Satz S Satz P O Max lernt Französisch S P O Tina lernt Englisch Ein Ableitungsschritt (rewriting) einer Zeichenkette besteht aus der Ersetzung aller ihrer Zeichen, die in linken Regelseiten vorkommen, durch die entsprechenden rechten Regelseiten. Man vereinbart: Zeichen, auf die keine Regeln anwendbar sind, werden unverändert übernommen. Ein Ableitungsschritt (rewriting) einer Zeichenkette besteht aus der Ersetzung aller ihrer Zeichen, die in linken Regelseiten vorkommen, durch die entsprechenden rechten Regelseiten. Man vereinbart: Zeichen, auf die keine Regeln anwendbar sind, werden unverändert übernommen. Ergebnis: Ableitungskette von Zeichenketten, die sich durch wiederholte Anwendung des Ersetzungsvorgangs aus dem Startwort ergeben. 1 2 3 .... Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB A Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB B Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB AB parallele Ersetzung Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB BAB Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB BAB Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB ABBAB Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB Ableitungskette: A B AB BAB ABBAB BABABBAB ABBABBABABBAB BABABBABABBABBABABBAB ... Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB Ableitungskette: A B AB BAB ABBAB BABABBAB ABBABBABABBAB BABABBABABBABBABABBAB ... wie lang ist die n-te Zeichenkette in dieser Ableitung? Beispiel: Alphabet {A, B}, Startwort A Regelmenge: AB B AB Ableitungskette, besser visualisiert: was für die Modellierung von grafischen und biologischen Strukturen bisher noch fehlt: eine geometrische Interpretation was für die Modellierung von grafischen und biologischen Strukturen bisher noch fehlt: eine geometrische Interpretation Füge also hinzu: eine Abbildung, die jeder Zeichenkette eine Teilmenge des 3-dimensionalen Raumes zuordnet dann: "interpretierte" L-System-Abarbeitung 1 2 3 .... S1 S2 S3 .... S1, S2, S3, ... können als Entwicklungsstufen eines Objekts, einer Szene oder eines Organismus interpretiert werden. Für die Interpretation der Zeichenketten: Turtle-Geometrie Der Turtle-Befehlsvorrat wird zu einer Untermenge der Zeichenmenge des L-Systems. Symbole, die nicht Turtle-Befehle sind, werden von der Turtle ignoriert. Für die Interpretation der Zeichenketten: Turtle-Geometrie Der Turtle-Befehlsvorrat wird zu einer Untermenge der Zeichenmenge des L-Systems. Symbole, die nicht Turtle-Befehle sind, werden von der Turtle ignoriert. Verbindung mit dem imperativen Paradigma Beispiel: Regeln A ==> F0 [ RU(45) B ] A ; B ==> F0 B ; Startwort A Interpretation durch Turtle-Geometrie (A und B werden normalerweise nicht geometrisch interpretiert.) was für eine Struktur liefert das L-System A ==> [ LMul(0.25) RU(-45) F0 ] F0 B; B ==> [ LMul(0.25) RU(45) F0 ] F0 A; mit Startwort L(10) A ? was für eine Struktur liefert das L-System A ==> [ LMul(0.25) RU(-45) F0 ] F0 B; B ==> [ LMul(0.25) RU(45) F0 ] F0 A; mit Startwort L(10) A ? äquivalente Regel: A ==> [ LMul(0.25) RU(-45) F0 ] F0 RH(180) A; weiteres Beispiel: Flächenfüllende Kurve: Axiom ==> L(10) RU(-45) X RU(-45) F(1) RU(-45) X; X ==> X F0 X RU(-45) F(1) RU(-45) X F0 X Flächenfüllende Kurve: Axiom ==> L(10) RU(-45) X RU(-45) F(1) RU(-45) X; X ==> X F0 X RU(-45) F(1) RU(-45) X F0 X Flächenfüllende Kurve: Axiom ==> L(10) RU(-45) X RU(-45) F(1) RU(-45) X; X ==> X F0 X RU(-45) F(1) RU(-45) X F0 X indisches Kolam-Muster „Anklets of Krishna“ Beispiel für ein Fraktal: Koch'sche Kurve Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3) . L-Systeme mit GroIMP Notation nach Prusinkiewicz & Lindenmayer: = 27.5 F FF[+F]F[-F]F in der Sprache XL: protected void init() [ Axiom ==> L(1) F0; ] public void run() [ F0 ==> F0 [ RU(-27.5) F0 ] F0 [ RU(27.5) F0 ] F0; ] L-Systeme mit GroIMP Deklaration neuer, eigener Symbole (Module): module A; module B; protected void init() [ Axiom ==> A; ] public void run() [ A ==> L(1) F0 [ RU(45) B ] A; B ==> L(1) F0 B; ] » A und B werden hier nicht geometrisch interpretiert L-Systeme mit GroIMP Deklaration eigener Symbole mit geometrischer Interpretation: module A extends Sphere(0.1); module B extends Sphere(0.08); protected void init() [ Axiom ==> P(14) A; ] public void run() [ A ==> L(1) F0 [ RU(45) B ] A; B ==> L(1) F0 B; ] Beispieldatei sm09_b02.rgg : geschlossene Koch-Kurve, entwickelt aus Dreieck protected void init () [ Axiom ==> RU(50) F(10) RU(120) F(10) RU(120) F(10); ] // oeffentliche Methode zur interaktiven Verwendung in GroIMP // (ueber Button): public void anwendung () // Regeln muessen in []-Klammern gesetzt und mit ; beendet werden [ // jedes F() wird durch 4 kleinere F() ersetzt // die Laenge des F auf der linken Regelseite wird // durch das x auf die rechte Seite mit heruebergenommen F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3); ] Beispieldatei sm09_b03.rgg : /* Sie lernen an diesem Beispiel: - wie Sie ein einfaches Pflanzenmodell (nach dem Architekturmodell Schoute) erstellen - wie sie Verzweigungen (Subgraphen) mit [ ] angeben */ // Beispiel einer einfachen botanischen Baumstruktur (Architekturmodell Schoute) //------ Erweiterungen des Standard-Alphabets (Turtle-Kommandos) -------// Shoot() ist eine Erweiterung des Turtle-Kommandos F() und steht fuer einen Jahres// trieb module Shoot(float len) extends F(len); // Bud ist eine Erweiterung eines Kugel-Objekts und steht fuer eine Terminalknospe, // ihre „strength“ kontrolliert die Laenge des im naechsten Schritt erzeugten Triebes module Bud(float strength) extends Sphere(0.2) {{ setShader(RED); setTransform(0, 0, 0.3); }}; //----------------------------------------------------------protected void init () [ // Startzustand (eine Knospe) Axiom ==> Bud(5); ] public void run () [ // eckige Klammern [] kennzeichnen einen Seitenzweig (Relation „branch“) // Rotationen um „upward“-Achse (RU) // Verminderung der Staerke der Knospe (in jedem Schritt um 20%) Bud(x) ==> Shoot(x) [ RU(30) Bud(0.8*x) ] [ RU(-30) Bud(0.8*x) ]; ] Verzweigung, alternierende Zweigstellung und Verkürzung: module A; Axiom ==> L(10) F0 A; A ==> LMul(0.5) [ RU(90) F0 ] F0 RH(180) A; Verzweigung, alternierende Zweigstellung und Verkürzung: module A; Axiom ==> L(10) F0 A; A ==> LMul(0.5) [ RU(90) F0 ] F0 RH(180) A; welche Struktur liefert Axiom ==> F(10) A ; A ==> [ RU(-60) F(6) RH(180) A Sphere(3) ] [ RU(40) F(10) RH(180) A Sphere(3) ]; Sphere ==> Z; ? (F(n) liefert Linie der vorgegebenen Länge n, Sphere(n) eine Kugel mit Radius n) Erweiterung des Symbol-Konzepts: Lasse reellwertige Parameter nicht nur bei Turtle-Kommandos wie "RU(45)" und "F(3)" zu, sondern bei allen Zeichen parametrische L-Systeme beliebig lange, endliche Parameterlisten Parameter werden bei Regel-Matching mit Werten belegt Beispiel: Regel A(x, y) ==> F(7*x+10) B(y/2) vorliegendes Zeichen z.B.: nach der Regelanwendung: A(2, 6) F(24) B(3) Parameter können in Bedingungen abgeprüft werden (logische Bedingungen mit Java-Syntax): A(x, y) (x >= 17 && y != 0) ==> .... Beispiel: Welche Struktur wird von folgendem L-System erzeugt? Axiom ==> [ RU(90) M(1) RU(90) A(1) ] A(1); A(n) ==> F(n) RU(90) A(n+1); Welche Struktur wird von folgendem L-System erzeugt? Axiom ==> [ RU(90) M(1) RU(90) A(1) ] A(1); A(n) ==> F(n) RU(90) A(n+1); Variante: in der zweiten Regel "RU(90)" etwa durch "RU(92)" ersetzen. Hausaufgaben: (1) Lesen Sie auf der „Grogra-CD“ im Abschnitt „Grogra“ die Unterabschnitte • Turtle • Rotation • Verzweigung Beachten Sie die Unterschiede zwischen der Grogra-Syntax und XL (z.B. in XL M statt f, LMul statt L* ...); siehe Tabelle der Turtle-Kommandos (2) Lesen Sie Chapter 1, Section 1.1 – 1.5 (ohne 1.4) im Buch „The Algorithmic Beauty of Plants“ von P. Prusinkiewicz und A. Lindenmayer (online verfügbar, siehe Literaturseite zur Veranstaltung). (= S. 1-21 ohne Abschnitt 1.4).