Inter Medical Report Kein Nachweis im Liquor cerebrospinalis Neue Erkenntnisse bei der Behandlung der hyperaktiven Blase BOSTON – Kognitive Nebenwirkungen einer Behandlung mit Anticholinergika hängen mit davon ab, inwieweit die Substanzen die Blut-Hirn-Schranke passieren. Trospiumchlorid (=Trospium) kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden.1 Eine neue klinische Studie belegt, dass Trospium bei älteren Patienten (≥65 bis 75 Jahre) nicht im Liquor nachgewiesen werden konnte und die Gedächtnis-Leistung nicht abnahm.2 R)» gezeigt werden, dass es unter der Verabreichung dieser Substanz nicht zu einer Beeinträchtigung der Gedächtnis-Leistung kommt (siehe Abbildung).2 Anticholinerge Medikamente werden auch in absehbarer Zukunft Standard zur Behandlung der hyperaktiven Blase (OAB, over-activebladder) bleiben. 3 Sie hemmen über die kompetitive Inhibition der muskarinergen Acetylcholin-Rezeptoren die sensorische Funktion des Urothels und die hypererregte glatte Muskulatur des M. Detrusor vesicae.4 Die meisten Anticholinergika werden in der Leber über Cytochrom P450 Enzyme (CYP) metabolisiert. So wird beispielsweise Solifenacin durch das CYP3A4 metabolisiert und Fesoterodin durch unspezifische Esterasen in den aktiven Metaboliten 5-hydroxymethyl-tolterodine (5HMT) umgewandelt, der Substrat für CYP2D6 und CYP3A4 ist.7,8 Trospium hingegen wird nicht über CYP-Enzyme metabolisiert sondern grösstenteils unverändert renal eliminiert, weshalb es zu keinen CYP bedingten Wechselwirkungen mit anderen eingenommenen Medikamenten kommt.1 Vergleichbare Wirksamkeit Obwohl alle Anticholinergika eine vergleichbar gute Wirksamkeit aufweisen, unterscheiden sie sich erheblich in ihrem Nebenwirkungsprofil.4,5 Nebenwirkungen wie kognitive Störungen, Verwirrtheit, Somnolenz und Schläfrigkeit hängen in erster Linie davon ab, ob ein Anticholinergikum die Blut-HirnSchranke (BHS) überwinden kann. Je lipophiler eine Substanz ist, desto Keine Abnahme der Gedächtnisleistung Eine neue Studie konnte erstmals an 12 kognitiv fitten Patienten im Alter von 65 bis 75 Jahren beweisen, dass Trospium nicht im Liquor cerebrospinalis nachgewiesen wird. Zudem konnte anhand eines «Hopkins Verbal Lerning Tests (HVLT- 35 30 MedikamentenWechselwirkungen Beitrag zu Lebensqualität und Compliance Trospium (Spasmo-Urgenin® Neo) kann aufgrund seiner ZNS-Sicherheit zu Lebensqualität und Compliance bei OAB-Patienten im Besonderen Learning Score leichter kann sie die BHS passieren.1 Die meisten Anticholinergika sind tertiäre, lipophile Amine. Trospium hingegen, ein quarternäres Amin, ist aufgrund seiner geringen Lipophilität und der positiven Ladung nicht in der Lage die BHS zu überwinden.1 Ausserdem ist es Substrat des Efflux-Transporters P-Glykoprotein (P-gp), das an der BHS stark exprimiert wird, weshalb ein Übertritt ins ZNS zusätzlich erschwert wird.6 Hopkins Verbal Learning Test-Revised Total 25 20 15 Vor Behandlung, Tag 0 10 Nach Behandlung, Tag 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Patienten Quelle: Nach Staskin et al.2 Trospiumchlorid führte im Hopkins Verbal Learning Test bei keinem der 12 Patienten zu einer signifikanten Änderung der Resultate im Lerntest. bei älteren, polymedizierten Patienten beitragen. 2,6 Die Tagestherapiekosten sind niedriger als bei den neueren Anticholinergika.5 3 4 5 6 Referenzen: 1 Doroshyenko, O et al.: Clinical pharmacokinetics of trospium chloride. Clin Pharmacokinet 2005; 44 (7): 701-720 2 Staskin, DR et al.: Trospium chloride has no effect on memory testing and is assay undetectable in the central nervous system of older patients with overactive bladder. Int J Clin Pract 2010; 64c(9): 1294-1300. Epub 2010 June 17 7 8 Schwab, C: Die hyperaktive und „neurogene“ Blase. J Urol Urogynäkol 2011; 3(1): 8-11 Hegde, SS: Muscarinic receptors in the bladder: from basic research to therapeutics. Br J Pharmacol 2006; 147 Suppl 2: 80-87 Arzneimittelkompendium der Schweiz® Geyer, J et al.: The Role of P-Glycoprotein in Limiting Brain Penetration of the Peripherally Acting Anticholinergic Overactive Bladder Drug Trospium Chloride. Drug Metab Dispos 2009; 37(7): 1371-1374 Morales-Olivas FJ, Estañ L., Solifenacin pharmacology. Arch Esp Urol. 2010; 63 (1): 43-52 Malhotra, B et al.: Pharmacokinetic profile of fesoterodine. Int J Clin Pharmacol Ther. 2008; 46(11): 556-563 Anticholinergika bei älteren oder polymedizierten OAB-Patienten Stellenwert des ZNS-Sicherheitsprofils und des Interaktionspotenzials Interview mit Professor Dr. Bernhard Schüssler, Chefarzt der Neuen Frauenklinik Luzern, zum Thema anticholinerge Therapie bei älteren oder polymedizierten Patienten mit hyperaktiver Blase (OAB). Unterscheiden sich Anticholinergika stark in ihrer Wirksamkeit? Prof. Schüssler: Das ist eine Frage, die man auf wissenschaftlicher Basis so nicht beantworten kann, weil es keine Vergleichsstudien gibt, die über jeden Zweifel erhaben sind. Wenn man aber die einzelnen Publikationen nebeneinander legt, dann hat man den Eindruck, dass die Wirkungsunterschiede nicht gross sind. Welche anderen Kriterien sprechen für oder gegen ein bestimmtes Anticholinergikum? Primär geht es darum, wie die Nebenwirkungsqualitäten ausgeprägt sind. Oxybutynin ist, was das Nebenwirkungsspektrum anbelangt, sicher ungünstiger, als alles was sonst auf dem Markt ist. Welchen Stellenwert hat das ZNS-Sicherheitsprofil? Dieses Thema ist in der letzten Zeit zu Recht in den Vordergrund gerückt. Die zentralnervöse Wirkung geht einerseits von der Wirkung am M1-Rezeptor im ZNS und andererseits vom Passieren der Bluthirnschranke aus. Oxybutynin hat eine klar nachgewiesene Wirkung im ZNS, die im Wesentlichen durch ein Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses gekennzeichnet ist. Eine Nebenwirkung, die man lange übersehen hat, einfach weil die Patienten sie nicht bemerken. Ein Anticholinergikum, dessen ZNS-Sicherheit auf zwei Ebenen ausgebildet ist, einmal auf der Ebene der Bluthirnschranke und einmal auf der rezeptorbezogenen Ebene, ist Trospium. Aufgrund seiner Struk- tur passiert es die Bluthirnschranke nicht. Ganz neue Daten zeigen auch, dass es im Liquor nicht nachgewiesen wird. Welchen Stellenwert messen Sie dem Interaktionspotenzial bei? In der Praxis wird häufig übersehen, dass es ganz viele Medikamente gibt, die eine anticholinerge Wirkung mitbedingen. Um eine Potenzierung dieser Wirkung – allenfalls auch eine Potenzierung im ZNS-Bereich – zu verhindern, muss dieser Aspekt bei der Therapie berücksichtigt werden. Spielt es dabei eine Rolle, ob das Anticholinergikum über die Leber metabolisiert wird? Alles was über die Leber metabolisiert wird, wird über das Cytochrom P450-System (CYP) verstoffwechselt. Ein über CYP metabolisiertes Arzneimittel kann dabei ein anderes inhibieren und zu dessen Konzentrierung im Plasma führen. Auch hier sind wir wieder beim Trospium, denn dieses wird vollständig renal ausgeschieden offensichtlich auch proaktiv und belegt CYP im Stoffwechsel nicht. Gleichzeitig ist das aber auch ein Nachteil, wenn die Nierenfunktion eingeschränkt ist. In diesem Fall sollte auf Trospium verzichtet werden. Professor Dr. Bernhard Schüssler Andere Anticholinergika, wie zum Beispiel Fesoterodin, die einen balancierten Metabolisierungsmodus vorweisen, also gleichwertig über Leber und Nieren ausgeschieden werden, sind da im Vorteil. Gibt es einen Firstline-Ansatz bei älteren oder polymedizierten Patienten? Es gibt keine Daten aufgrund derer sich ein Firstline-Ansatz für ein bestimmtes Medikament begründen liesse. Einzelfallbetrachtungen wie zum Beispiel das individuelle Medikamentenspektrum und die Nierenfunktion sollten den Ausschlag geben. Wie wichtig ist dabei der Preis? Bei der OAB-Behandlung handelt es sich um eine langfristige symptomatische Therapie. Wenn Sie ein Medikament haben, das nicht schlechter ist als alles andere und dazu im Preis deutlich darunter liegt, ist eigentlich klar, was man aus volkswirtschaftlichem Nutzen heraus einsetzen sollte. Trospium hat diesbezüglich einen klaren Vorteil, denn es ist in den Tagesbehandlungskosten günstiger als die neueren Anticholinergika. Spasmo-Urgenin® Neo C: 1 Dragée enthält 20 mg Trospii chloridum I: Hyperaktivität des Detrusors, Pollakisurie, Nykturie, imperativer Harndrang, unfreiwilliger Harnabgang. D: 2 mal 1 Dragée täglich vor der Mahlzeit. UW: Häufig: Obstipation, Mundtrockenheit, Bauchschmerzen, Übelkeit. Selten: Akkommodationsstörungen, Tachykardie, Dyspnoe, Diarrho. KI: Überempfindlichkeit gegenüber einem der Inhaltsstoffe, Engwinkelglaukom, Tachyarrhythmie, Myasthenia gravis, Megakolon, Darmverschluss. VM: ältere Patienten, hepatische oder renale Insuffizienz, Hyperthyreoidie, Prostatahypertrophie. IA: Verstärkung der anticholinerg wirkenden Pharmaka sowie der tachykarden Wirkung von Beta-Sympathomimetika. P: 20*, 60* Dragées. VK: B. VF: Max Zeller Söhne AG, 8590 Romanshorn, Division Madaus, Telefon: 071 466 05 00. H: Madaus GmbH, D-51101 Köln. Ausführliche Angaben entnehmen Sie bitte dem Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. *kassenzulässig Stand der Information Februar 2004 IMPRESSUM | Idee und Konzeption: INTER MEDICAL, Grosspeterstrasse 23, Postfach, 4002 Basel · Information: Max Zeller Söhne AG, Division Madaus · Objektleitung: Dr. med. Christine Mücke · Redaktion: Dr. Corinne Invernizzi, Winfried Powollik · Layout: Patrik Brunner · Produktion: Patrik Brunner © Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages · MT 26/2011