DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Wolff-Parkinson-White-Syndrom Karl-Heinz Kuck und Michael Schlüter Die kurative Behandlung mit Hochfrequenzstrom Die Katheterablation mittels Hochfrequenzstrom bietet sich heute als Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit Tachyarrhythmien auf der Basis einer akzessorischen Leitungsbahn an. Unabhängig von der anatomischen Lage des akzessorischen Bündels und seinen Leitungseigenschaften hat sich das Verfahren bisher als sicher und äußerst effektiv erwiesen, Bei jugendlichen Patienten mag es in Zukunft — gerade in der Ein-Katheter-Variante — sogar als prophylaktisches Vorgehen in Betracht gezogen werden, Der Rhythmuschirurgie kommt bei Patienten mit dem WPW-Syndrom aufgrund der vorliegenden Ergebnisse mit der Katheterablation nur noch ein geringer Stellenwert zu. 1. Pathophysiologie Seit seiner Erstbeschreibung im Jahre 1930 fasziniert das Wolff-Parkinson-White-(WPW-)Syndrom die medizinische Wissenschaft. Man weiß heute, daß dem Syndrom eine angeborene Fehlentwicklung zugrundeliegt, nämlich eine residuelle myokardiale Verbindung zwischen Vorhof und Kammer auf der rechten oder linken Herzseite beziehungsweise innerhalb des Septums, die die Fähigkeit zur Fortleitung einer elektrischen Erregung besitzt. Diese Muskelbrücken werden akzessorisehe Leitungsbahnen oder -bündel, häufig auch Kent-Bündel genannt. Ihre Eigenschaft zur antegraden Leitung (vom Vorhof zur Kammer) führt während Sinusrhythmus zum Phänomen der Präexzitation, bei dem eine Herzkammer sowohl über den physiologischen Weg (das Erregungsleitungssystem) als auch über das akzessorische Bündel erregt wird. In Abhängigkeit von der anatomischen Lage des Bündels und den intrakardialen Leitungsverhältnissen äußert sich die ventrikuläre Präexzitation im Oberflächen-EKG mehr oder weniger ausgeprägt in einer verkürzten PR-Zeit (< 0,12 sec) und einem verbreiterten QRS-Komplex 0,12 sec) mit initialer Deltawelle. Ein normales Obc rflächen- E KG wird dagegen von Patienten aufgezeichnet, bei denen das akzessorische Bündel ausschließlich in retrograder Richtung, also nur von der Kammer zum Vorhof leitet. Man spricht in diesen Fällen von einer verborgenen akzessorischen Leitungsbahn beziehungsweise (nicht ganz korrekt) von einem verborgenen WPW-Syndrom. In 5 bis 15 Prozent aller Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen treten diese auch an mehreren Stellen entlang beider Atrioventrikularklappenringe auf. 2. Klinik und Inzidenz Das WPW-Syndrom wird in der Bevölkerung mit einer Häufigkeit von 1 bis 3 pro 1000 Personen beobachtet. Es ist die häufigste Ursache von Rhythmusstörungen im Kindesalter. Die Klinik ist bei etwa 30 Prozent der Patienten unauffällig, bei den meisten Patienten tritt jedoch rezidivierend aus völligem Wohlbe- finden Herzrasen auf, das unter Umständen lebensbedrohlich sein kann. Für die Entstehung sind hauptsächlich zwei Mechanismen verantwortlich (7). Am häufigsten liegt eine sogenannte atrioventrikuläre ReentryTachykardie vor (Abbildung 1), bei der eine vom Vorhof ausgehende elektrische Aktivierung zunächst über das Erregungsleitungssystem auf die Kammern übergeleitet wird (dabei normalisiert sich ein während Sinusrhythmus Deltawellen-konfigurierter QRS-Komplex), um dann jedoch retrograd über das akzessorisehe Bündel wieder zum Vorhof zurückgeleitet zu werden, so daß sich eine kreisende Erregung (englisch „reentry") ausbildet. Diese zumeist anfallsweise auftretende Tachykardieform kann mit Herzfrequenzen von bis zu 250 und mehr Schlägen pro Minute einhergehen und begleitende Symptome wie unerträgliche Palpitationen, Schwindelgefühl, Übelkeit oder gar synkopale Zustände hervorrufen. Eine zweite Form der Rhythmusstörung kann nur während Episoden von Vorhofflimmern bei Patienten mit antegrad leitendem akzessorischen Bündel und kurzer effektiver Refraktärzeit entstehen. In dieser Situation kann das Vorhofflimmern über die akzessorische Bahn ohne physiologische Verzögerung auf die Kammern übergeleitet werden und zum Kammerflimmern degenerieren, so daß diese Patienten vom Herzstillstand bedroht sind („plötzlicher Herztod"). Kardiologische Abteilung, II. Medizinische Klinik, Universitätskrankenhaus Eppendorf, Hamburg Dt. Ärztebl. 88, Heft 43, 24. Oktober 1991 (53) A 3633 - linker Vorhof 3. Therapie Eine medikamentöse Therapie hat ausschließlich palliativen Charakter und führt nicht bei allen symptomatischen Patienten zu einer befriedigenden Kontrolle der Rhythmusstörung (8) . Selbst wenn das der Fall sein sollte, können Unverträglichkeitserscheinungen eine erfolgreiche Behandlung verhindern, und besonders bei jungen Patienten läßt die Aussicht auf eine lebenslange Medikamenteneinnahme eine alternative, nach Möglichkeit kurative Therapieform wünschenswert erscheinen . Als solche hat sich seit Mitte der 80er Jahre die Rhythmuschirurgie erwiesen, mit der generell ausgezeichnete Ergebnisse erzielt werden (3, 4). Ein wenn auch geringes Letalitäts- und Morbiditätsrisiko bleibt allerdings bestehen, und zudem ist eine Operation am offenen Herzen mit einer beträchtlichen Patientenbelastung, hohen Kosten und einer langen Erholungsphase verbunden. Keiner dieser Nachteile wird dagegen bei der Katheterablation von akzessorischen Leitungsbahnen mit Hochfrequenzstrom beobachtet. Bei diesem neuen Verfahren wird das akzessorische Bündel über Elektrodenkatheter, die in das Herz vorgeführt werden, präzise lokalisiert und anschließend durch Zufuhr AV-Knoten rechter Ventrikel I:.':":"~ linker Ventrikel Abbildung I. PrinzipdarsteUung emer atrioventrikulären Reentry·Tachykardie auf dem Bo· den eines (linksseitig gelegenen) akzessorischen Leitungsbündels von hochfrequentem Wechselstrom koaguliert (1, 2, 5, 10). In Hamburg wurden im Zeitraum von Mai 1987 bis Ende Juli 1991 150 symptomatische Patienten mit insgesamt 159 akzessorischen Leitungsbahnen therapiert. Es handelte sich um 57 Frauen und 93 Männer in einem mittleren Alter von 39 Jahren (Schwankungsbreite 6 bis 78 Jahre). Ein WPW-Syndrom lag bei 116 Patienten vor, bei den anderen 34 Patienten traten paroxysmale Tachykardien auf der Basis einer verborgenen akzessorischen Leitungsbahn auf. Fast alle Patienten litten einige zum Teil seit Jahrzehnten unter Palpitationen, bei 23 Patienten war es zu Synkopen gekommen, und Elektrodenkatheter Aorta linker Vorhof linker Ventrikel Abbildung 2 Schematische Darstellung der Katheterpositiomerung beim arteriellen Verfah· ren der Ablation einer linksseitig gelegenen akzessorischen Leitungsbahn A-3634 akzessorische Leitungsbahn ---4r:1----, (54) Dt. Ärztebl. 88, Heft' 43, 24. Oktober 1991 11 Patienten hatten einen Herzstillstand überlebt. Bei einem Großteil der Patienten waren im Mittel 3 (maximal 7) Antiarrhythmika wirkungslos geblieben oder wurden nicht vertragen. Nach Einführung von bis zu vier Elektrodenkathetern an verschiedene Stellen des Herzens erfolgte die genaue Lokalisierung der Leitungsbahn im Herzkatheterlabor über ein sogenanntes Katheter-"Mapping" (9) mit Hilfe eines speziellen, von außen steuerbaren Katheters (Boston Scientific Medizinteehnik GmbH, Hilden; Dr . Osypka GmbH, Grenzach-Wyhlen). Über diesen Katheter wurde auch der Strom gegen eine neutrale Rückenelektrode abgegeben. Der Generator HAT 200 der Firma Dr. Osypka GmbH lieferte den für das Ablationsverfahren notwendigen Wechselstrom von 500 kHz. Die Dauer der Stromabgabe variierte zwischen 20 und 60 Sekunden . Eine Vollnarkose während der Stromabgabe ist nicht notwendig, die Patienten empfinden dabei üblieherweise keinen Schmerz; bei Bedarf wurde eine Sedierung mit Diazepam (5 bis 15 mg) oder eine leichte Anästhesie mit Fentanyl (0,1 bis 0,5 rng) durchgeführt. Grundsätzlich unterscheidet sich das Vorgehen je nach Lage der akzessorischen Leitungsbahn. Bei rechtsseitig gelegenen Bündeln wird der Ablationskatheter in den rechten Vorhof bis an den Trikuspidalklappenring vorgeführt. Bei linksseitig gelegenen Bündeln hat sich dagegen 1.0 s ein arterieller Zugang zum Herzen als erfolgreich erwiesen, der 1986 erstmals im Tierexperiment vorgestellt wurde (6). Dabei wird der Ablationskatheter retograd in den linken Ventrikel direkt an den Mitralklappenring gelegt (Abbildung 2). Bei 34 Patienten mit dem WPWSyndrom als Folge einer akzessorischen Leitungsbahn an der linken freien Herzwand wurde das arterielle Verfahren sogar unter Verzicht auf sämtliche anderen Katheter durchgeführt (11). Die Katheterablation der akzessorischen Leitungsbahn(en) konnte bei 140 Patienten (93 Prozent) erfolgreich durchgeführt werden (Abbildung 3). Dies gelang bei den meisten Patienten im Rahmen einer einzigen Sitzung, zehn Patienten benötigten zwei, drei Patienten drei Sitzungen zur Unterbrechung eines einzelnen akzessorischen Bündels. Die Ablationsprozedur konnte bei der Hälfte aller Patienten nach acht oder weniger Stromapplikationen erfolgreich beendet werden, in den günstigsten Fällen war die Leitungsbahn nach einer einzigen Stromabgabe dauerhaft unterbrochen, im ungünstigsten Fall waren 53 Stromapplikationen erforderlich. Pro Ablationsversuch wurden durchschnittlich 25 Watt über 23 Sekunden abgegeben. Die mittlere Dauer einer AblationsSitzung lag bei vier Stunden und 15 Minuten, wobei die kürzeste Sitzung nach 45 Minuten abgeschlossen werden konnte, die längste allerdings zehneinhalb Stunden dauerte. Eine deutliche Reduzierung der Untersuchungsdauer auf im Mittel zwei Stunden konnte mit der Ein-Katheter-Technik erzielt werden (11). Alle Patienten wurden innerhalb von zwei bis fünf Tagen unter einer Medikation von 300 mg/d Acetylsalicylsäure als Prophylaxe gegen Thrombusbildung entlassen (12). An akuten Komplikationen traten bei einem zehnjährigen Mädchen ein Verschluß der rechten A. iliaca interna auf sowie bei einem weiteren Patienten eine arteriovenöse Fistel an der Punktionsstelle in der Leistenbeuge. Beide Patienten mußten chirurgisch versorgt werden. Rezidive nach primär erfolgreicher Ablation traten bei drei Patien- „ III HFS Ablationskatheter 19491 Abbildung 3: Elektrogramme von einem 11jährigen Jungen während der Abgabe von Hochfrequenzstrom (HFS). Bei der Untersuchung wurde nur ein einziger Katheter verwendet, der in der linken Herzkammer lateral am Mitralklappenring positioniert wurde. Nach Beginn der Stromzufuhr an das dort gelegene akzessorische Bündel persistiert die ventrikuläre Präexzitation (Deltawelle [©]) noch für zwei Schläge, bevor ausschließlich physiologische Kammeraktivierung (normaler QRS-Komplex [fetter Pfeil]) als Folge der Zerstörung des akzessorischen Bündels einsetzt ten innerhalb von 24 Stunden und bei zwei weiteren Patienten nach drei Monaten auf. In allen Fällen konnte die akzessorische Leitung in einer Wiederholungssitzung endgültig unterbrochen werden. Während eines Nachbeobachtungszeitraumes von durchschnittlich acht Monaten waren alle erfolgreich behandelten Patienten ohne antiarrhythmische Medikation völlig beschwerdefrei. Literatur 1. Borggrefe, M.; Budde, T.; Podczeck, A.; Breithardt, G.: High frequency alternating current ablation of an accessory pathway in humans. J. Amer. Coll. Cardiol. 10 (1987) 576-582 2. Calkins, H.; Sousa, J.; Rosenheck, S.; de Buitleir, M.; Kou, W. H.; Kadish, A. H.; Langberg, J. 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