Deutsches Ärzteblatt 1991: A-3633

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DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
Wolff-Parkinson-White-Syndrom
Karl-Heinz Kuck
und Michael Schlüter
Die kurative
Behandlung mit
Hochfrequenzstrom
Die Katheterablation mittels Hochfrequenzstrom bietet sich heute als
Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit Tachyarrhythmien auf der
Basis einer akzessorischen Leitungsbahn an. Unabhängig von der anatomischen Lage des akzessorischen Bündels und seinen Leitungseigenschaften hat sich das Verfahren bisher als sicher und äußerst effektiv erwiesen, Bei jugendlichen Patienten mag es in Zukunft — gerade in
der Ein-Katheter-Variante — sogar als prophylaktisches Vorgehen in Betracht gezogen werden, Der Rhythmuschirurgie kommt bei Patienten
mit dem WPW-Syndrom aufgrund der vorliegenden Ergebnisse mit der
Katheterablation nur noch ein geringer Stellenwert zu.
1. Pathophysiologie
Seit seiner Erstbeschreibung im
Jahre 1930 fasziniert das Wolff-Parkinson-White-(WPW-)Syndrom die
medizinische Wissenschaft. Man
weiß heute, daß dem Syndrom eine
angeborene Fehlentwicklung zugrundeliegt, nämlich eine residuelle
myokardiale Verbindung zwischen
Vorhof und Kammer auf der rechten
oder linken Herzseite beziehungsweise innerhalb des Septums, die die
Fähigkeit zur Fortleitung einer elektrischen Erregung besitzt. Diese
Muskelbrücken werden akzessorisehe Leitungsbahnen oder -bündel,
häufig auch Kent-Bündel genannt.
Ihre Eigenschaft zur antegraden Leitung (vom Vorhof zur Kammer)
führt während Sinusrhythmus zum
Phänomen der Präexzitation, bei
dem eine Herzkammer sowohl über
den physiologischen Weg (das Erregungsleitungssystem) als auch über
das akzessorische Bündel erregt
wird. In Abhängigkeit von der anatomischen Lage des Bündels und den
intrakardialen Leitungsverhältnissen
äußert sich die ventrikuläre Präexzitation im Oberflächen-EKG mehr
oder weniger ausgeprägt in einer verkürzten PR-Zeit (< 0,12 sec) und einem verbreiterten QRS-Komplex
0,12 sec) mit initialer Deltawelle. Ein
normales Obc rflächen- E KG wird
dagegen von Patienten aufgezeichnet, bei denen das akzessorische
Bündel ausschließlich in retrograder
Richtung, also nur von der Kammer
zum Vorhof leitet. Man spricht in
diesen Fällen von einer verborgenen
akzessorischen Leitungsbahn beziehungsweise (nicht ganz korrekt) von
einem verborgenen WPW-Syndrom.
In 5 bis 15 Prozent aller Patienten
mit akzessorischen Leitungsbahnen
treten diese auch an mehreren Stellen entlang beider Atrioventrikularklappenringe auf.
2. Klinik und Inzidenz
Das WPW-Syndrom wird in der
Bevölkerung mit einer Häufigkeit
von 1 bis 3 pro 1000 Personen beobachtet. Es ist die häufigste Ursache
von Rhythmusstörungen im Kindesalter. Die Klinik ist bei etwa 30 Prozent der Patienten unauffällig, bei
den meisten Patienten tritt jedoch
rezidivierend aus völligem Wohlbe-
finden Herzrasen auf, das unter Umständen lebensbedrohlich sein kann.
Für die Entstehung sind hauptsächlich zwei Mechanismen verantwortlich (7). Am häufigsten liegt eine sogenannte atrioventrikuläre ReentryTachykardie vor (Abbildung 1), bei
der eine vom Vorhof ausgehende
elektrische Aktivierung zunächst
über das Erregungsleitungssystem
auf die Kammern übergeleitet wird
(dabei normalisiert sich ein während
Sinusrhythmus Deltawellen-konfigurierter QRS-Komplex), um dann jedoch retrograd über das akzessorisehe Bündel wieder zum Vorhof zurückgeleitet zu werden, so daß sich
eine kreisende Erregung (englisch
„reentry") ausbildet. Diese zumeist
anfallsweise auftretende Tachykardieform kann mit Herzfrequenzen
von bis zu 250 und mehr Schlägen
pro Minute einhergehen und begleitende Symptome wie unerträgliche
Palpitationen, Schwindelgefühl,
Übelkeit oder gar synkopale Zustände hervorrufen.
Eine zweite Form der Rhythmusstörung kann nur während Episoden von Vorhofflimmern bei Patienten mit antegrad leitendem akzessorischen Bündel und kurzer effektiver Refraktärzeit entstehen. In
dieser Situation kann das Vorhofflimmern über die akzessorische
Bahn ohne physiologische Verzögerung auf die Kammern übergeleitet
werden und zum Kammerflimmern
degenerieren, so daß diese Patienten
vom Herzstillstand bedroht sind
(„plötzlicher Herztod").
Kardiologische Abteilung, II. Medizinische
Klinik, Universitätskrankenhaus Eppendorf,
Hamburg
Dt. Ärztebl. 88, Heft 43, 24. Oktober 1991 (53)
A 3633
-
linker Vorhof
3. Therapie
Eine medikamentöse Therapie
hat ausschließlich palliativen Charakter und führt nicht bei allen symptomatischen Patienten zu einer befriedigenden Kontrolle der Rhythmusstörung (8) . Selbst wenn das der
Fall sein sollte, können Unverträglichkeitserscheinungen eine erfolgreiche Behandlung verhindern, und
besonders bei jungen Patienten läßt
die Aussicht auf eine lebenslange
Medikamenteneinnahme eine alternative, nach Möglichkeit kurative
Therapieform wünschenswert erscheinen . Als solche hat sich seit
Mitte der 80er Jahre die Rhythmuschirurgie erwiesen, mit der generell
ausgezeichnete Ergebnisse erzielt
werden (3, 4). Ein wenn auch geringes Letalitäts- und Morbiditätsrisiko
bleibt allerdings bestehen, und zudem ist eine Operation am offenen
Herzen mit einer beträchtlichen Patientenbelastung, hohen Kosten und
einer langen Erholungsphase verbunden. Keiner dieser Nachteile
wird dagegen bei der Katheterablation von akzessorischen Leitungsbahnen mit Hochfrequenzstrom beobachtet. Bei diesem neuen Verfahren
wird das akzessorische Bündel über
Elektrodenkatheter, die in das Herz
vorgeführt werden, präzise lokalisiert und anschließend durch Zufuhr
AV-Knoten
rechter Ventrikel
I:.':":"~
linker Ventrikel
Abbildung I. PrinzipdarsteUung emer atrioventrikulären Reentry·Tachykardie auf dem Bo·
den eines (linksseitig gelegenen) akzessorischen Leitungsbündels
von hochfrequentem Wechselstrom
koaguliert (1, 2, 5, 10).
In Hamburg wurden im Zeitraum von Mai 1987 bis Ende Juli
1991 150 symptomatische Patienten
mit insgesamt 159 akzessorischen
Leitungsbahnen therapiert. Es handelte sich um 57 Frauen und 93 Männer in einem mittleren Alter von 39
Jahren (Schwankungsbreite 6 bis 78
Jahre). Ein WPW-Syndrom lag bei
116 Patienten vor, bei den anderen
34 Patienten traten paroxysmale Tachykardien auf der Basis einer verborgenen akzessorischen Leitungsbahn auf. Fast alle Patienten litten einige zum Teil seit Jahrzehnten unter Palpitationen, bei 23 Patienten
war es zu Synkopen gekommen, und
Elektrodenkatheter
Aorta
linker Vorhof
linker Ventrikel
Abbildung 2 Schematische Darstellung der Katheterpositiomerung beim arteriellen Verfah·
ren der Ablation einer linksseitig gelegenen akzessorischen Leitungsbahn
A-3634
akzessorische
Leitungsbahn
---4r:1----,
(54) Dt. Ärztebl. 88, Heft' 43, 24. Oktober 1991
11 Patienten hatten einen Herzstillstand überlebt. Bei einem Großteil
der Patienten waren im Mittel 3 (maximal 7) Antiarrhythmika wirkungslos geblieben oder wurden nicht vertragen.
Nach Einführung von bis zu vier
Elektrodenkathetern an verschiedene Stellen des Herzens erfolgte die
genaue Lokalisierung der Leitungsbahn im Herzkatheterlabor über ein
sogenanntes
Katheter-"Mapping"
(9) mit Hilfe eines speziellen, von
außen steuerbaren Katheters (Boston
Scientific
Medizinteehnik
GmbH, Hilden; Dr . Osypka GmbH,
Grenzach-Wyhlen). Über diesen
Katheter wurde auch der Strom gegen eine neutrale Rückenelektrode
abgegeben. Der Generator HAT 200
der Firma Dr. Osypka GmbH lieferte den für das Ablationsverfahren
notwendigen Wechselstrom von 500
kHz. Die Dauer der Stromabgabe
variierte zwischen 20 und 60 Sekunden . Eine Vollnarkose während der
Stromabgabe ist nicht notwendig, die
Patienten empfinden dabei üblieherweise keinen Schmerz; bei Bedarf
wurde eine Sedierung mit Diazepam
(5 bis 15 mg) oder eine leichte Anästhesie mit Fentanyl (0,1 bis 0,5 rng)
durchgeführt.
Grundsätzlich
unterscheidet
sich das Vorgehen je nach Lage der
akzessorischen Leitungsbahn. Bei
rechtsseitig gelegenen Bündeln wird
der Ablationskatheter in den rechten
Vorhof bis an den Trikuspidalklappenring vorgeführt. Bei linksseitig
gelegenen Bündeln hat sich dagegen
1.0 s
ein arterieller Zugang zum Herzen
als erfolgreich erwiesen, der 1986
erstmals im Tierexperiment vorgestellt wurde (6). Dabei wird der Ablationskatheter retograd in den linken Ventrikel direkt an den Mitralklappenring gelegt (Abbildung 2). Bei
34 Patienten mit dem WPWSyndrom als Folge einer akzessorischen Leitungsbahn an der linken
freien Herzwand wurde das arterielle Verfahren sogar unter Verzicht
auf sämtliche anderen Katheter
durchgeführt (11).
Die Katheterablation der akzessorischen Leitungsbahn(en) konnte
bei 140 Patienten (93 Prozent) erfolgreich durchgeführt werden (Abbildung 3). Dies gelang bei den meisten Patienten im Rahmen einer einzigen Sitzung, zehn Patienten benötigten zwei, drei Patienten drei Sitzungen zur Unterbrechung eines einzelnen akzessorischen Bündels. Die
Ablationsprozedur konnte bei der
Hälfte aller Patienten nach acht oder
weniger Stromapplikationen erfolgreich beendet werden, in den günstigsten Fällen war die Leitungsbahn
nach einer einzigen Stromabgabe
dauerhaft unterbrochen, im ungünstigsten Fall waren 53 Stromapplikationen erforderlich. Pro Ablationsversuch wurden durchschnittlich 25
Watt über 23 Sekunden abgegeben.
Die mittlere Dauer einer AblationsSitzung lag bei vier Stunden und 15
Minuten, wobei die kürzeste Sitzung
nach 45 Minuten abgeschlossen werden konnte, die längste allerdings
zehneinhalb Stunden dauerte. Eine
deutliche Reduzierung der Untersuchungsdauer auf im Mittel zwei
Stunden konnte mit der Ein-Katheter-Technik erzielt werden (11). Alle
Patienten wurden innerhalb von zwei
bis fünf Tagen unter einer Medikation von 300 mg/d Acetylsalicylsäure
als Prophylaxe gegen Thrombusbildung entlassen (12).
An akuten Komplikationen traten bei einem zehnjährigen Mädchen
ein Verschluß der rechten A. iliaca
interna auf sowie bei einem weiteren
Patienten eine arteriovenöse Fistel
an der Punktionsstelle in der Leistenbeuge. Beide Patienten mußten
chirurgisch versorgt werden.
Rezidive nach primär erfolgreicher Ablation traten bei drei Patien-
„
III
HFS
Ablationskatheter
19491
Abbildung 3: Elektrogramme von einem 11jährigen Jungen während der Abgabe von Hochfrequenzstrom (HFS). Bei der Untersuchung wurde nur ein einziger Katheter verwendet, der
in der linken Herzkammer lateral am Mitralklappenring positioniert wurde. Nach Beginn der
Stromzufuhr an das dort gelegene akzessorische Bündel persistiert die ventrikuläre Präexzitation (Deltawelle [©]) noch für zwei Schläge, bevor ausschließlich physiologische Kammeraktivierung (normaler QRS-Komplex [fetter Pfeil]) als Folge der Zerstörung des akzessorischen Bündels einsetzt
ten innerhalb von 24 Stunden und
bei zwei weiteren Patienten nach
drei Monaten auf. In allen Fällen
konnte die akzessorische Leitung in
einer Wiederholungssitzung endgültig unterbrochen werden. Während
eines Nachbeobachtungszeitraumes
von durchschnittlich acht Monaten
waren alle erfolgreich behandelten
Patienten ohne antiarrhythmische
Medikation völlig beschwerdefrei.
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current ablation of an accessory pathway in
humans. J. Amer. Coll. Cardiol. 10 (1987)
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Differentialdiagnose der Tachykardie mit
schmalem QRS-Komplex. Herz/Kreislauf 20
(1988) 351-359
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11. Kuck, K.-H.; Schlüter, M.: The single-catheter approach to radiofrequency current ablation of left-sided accessory pathways in patients with Wolff-Parkinson-White syndrome. Circulation (im Druck)
12. Kunze, K.-P.; Costard, A.; Nienaber, C.;
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Kardiol. 74 (1985) 419-421
Anschrift der Verfasser:
Prof. Dr. med. Karl-Heinz Kuck
Dr. rer. nat. Michael Schlüter
Kardiologische Abteilung
II. Medizinische Klinik
Universitätskrankenhaus Eppendorf
Martinistraße 52
W-2000 Hamburg 20
Dt. Ärztebi. 88, Heft 43, 24. Oktober 1991 (57)
A 3635
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