Kultur Szene U N T E R H A LT U N G Krise des Gewaltkinos W ie tief die Verunsicherung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie nach den Terrorattentaten von New York und Washington geht, zeichnet sich jetzt ab. Repräsentanten des Entertainment rätseln über die neuen Geschmacks- und Toleranzgrenzen des Publikums. Sogar fertig gestellte Action-Reißer wie der Metro-Goldwyn-Meyer-Film „Gangster“, in dem es um internationalen Terror geht, werden gar nicht erst in die Kinos geschickt. Dasselbe gilt für zahllose, teuer produzierte Fernseh-, Musikund Videoprodukte, die Gewalt oder grelle Komik enthalten. Bisher sicherten Ballerei und Terror hohe Umsätze. Nun aber herrscht bei den Verantwortlichen der Kulturindustrie Ratlosigkeit. Zynismus jeder Art sei nicht mehr zeitgemäß, die kulturelle Attitüde der grenzenlosen Ironie höchst fragwürdig geworden, sagt Jonathan Galassi, Chef des renommierten Verlags Farrar, Straus & Giroux. Nur Optimisten wie Antonio Reid, der Präsident des Musiklabels Arista Records, sehen in der Tragödie auch eine kulturelle Chance. Die Popmusik hätte wegen oft belangloser Songtexte zuletzt „sehr stagniert“, so Reid; er hofft, die Attacken könnten die Autoren zu mehr Gegenwartsbezug und gehaltvolleren Texten inspirieren. AU TOR E N Unter Schock RENZO GOSTOLI / AP ie Terrorakte in den USA haben auch die Pläne vieler Schriftsteller durcheinander gebracht. Thrillerautor Michael Connelly, der seinen Krimi „Dunkler als die Nacht“ (Heyne) in Deutschland präsentieren wollte, sagte seine Lesereise ab, ebenso der neue Star Dave Eggers, Autor von „Ein herzzerreißendes Autor Coelho Werk von umwerfender Genialität“ (Droemer). Die US-Bestsellerautorin Amy Tan entschied, die Frankfurter Buchmesse nicht zu besuchen. Tan, deren neuer Roman „Das Tuschezeichen“ sich in den USA glänzend verkauft, stehe unter Schock, heißt es in der Verlagsgruppe Bertelsmann – die Autorin hatte die Terroranschläge von ihrem Loft aus mit angesehen. Die Italienerin Susanna Tamaro, weitere Erfolgsfrau des Verlagshauses, will zu ihrer Lesereise im Herbst keinesfalls mit dem Flugzeug anreisen und sich nur per Zug von Stadt zu Stadt fortbewegen. Paulo Coelho schließlich, der mit „Der Alchimist“ Weltruhm erlangte, brach seine Signierreise nach zwei Terminen ab und begab sich in den spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Coelhos neues Buch „Der Dämon und Fräulein Prym“ hat auf tragische Weise Bezug zu den Geschehnissen: Coelho erzählt von einem verstörten Mann, der durch Terrorangriffe seine Familie verliert und daraufhin selbst zu einem Rachefeldzug aufbricht. Autorin Tan KLAUS LEFEBVRE D d e r Szene aus Hindemith-Oper OPER Sinneslust am Kruzifix FOLEY / OPALE N och ereifert sich das politische, geistliche und schwule Köln über die geplante Aufführung des Theaterstücks „Corpus Christi“, in dem Jesus als Homosexueller auftritt, da sorgt ein Sündenfall im städtischen Opernhaus für neue Turbulenzen. Dort hat Generalintendant Günter Krämer, 60, drei selten gespielte Kurzopern von Paul Hindemith zu einem Triptychon gebündelt und den flotten Dreier in der für letzten Samstag angesetzten Premiere fleischeslustig in Szene gesetzt. Stück des Anstoßes dürfte die Sakralburleske „Sancta Susanna“ sein, in deren 603 Takten zwei Nonnen den sinnlichen Rappel kriegen. Auf dem Höhepunkt der privaten Sex-Messe legt die unkeusche Susanna ihre Tracht ab, stürzt sich auf den am Kruzifix hängenden Heiland und reißt dem Gottessohn, als dieser vom Kreuze steigt, den Lendenschurz runter. Nach der Uraufführung 1922 in Frankfurt am Main hatte die enthemmte Ordensfrau heiligen Zorn ausgelöst. Der Bühnenvolksbund betrieb damals die Absetzung, der Katholische Frauenbund setzte eine dreitägige Sühneandacht an, der Interkonfessionelle Verein zur Hebung der Sittlichkeit organisierte Buß-Vorträge. Mal sehen, was diese Woche im heiligen Köln passiert. s p i e g e l 4 0 / 2 0 0 1 219