27 6 Überhören und Vertäubung Beim Bestimmen der Hörschwelle entstehen leicht Fehler durch Überhören des Prüftons auf das (gerade nicht untersuchte) Gegenohr. Dieses muss durch Geräusche „vertäubt“, d.h. am Mithören des Testtons gehindert werden. Da laute Vertäubungsgeräusche ablenken und unangenehm laut oder sogar schädlich sein können, sollte immer so leise wie gerade erforderlich, andererseits aber auch ausreichend laut vertäubt werden. Die korrekte Anwendung der Vertäubung ist unabdingbar für das richtige Audiometrieren und sollte daher zunächst an den Beispielen (möglichst mit Hilfe des AUDIOSIM-Programms, Kap. 21) genau geübt werden. Überhören Werden dem zu untersuchenden Ohr eines Patienten Prüftöne angeboten, so gelangen diese mit geringerer Lautstärke auch ins Gegenohr. Die Überleitung des Schalls auf die andere Kopfseite geschieht bei der Messung in Luft- und Knochenleitung auf demselben Wege (Abb. 6.1 a,b). Der Knochenleitungshörer (a) versetzt auf der Messseite den Schädelknochen in Schwingungen, die auch das Innenohr der Gegenseite erreichen. Auf diesem Weg ist der Ton kaum leiser geworden (um max. 10 dB). Beim Luftleitungshörer (b) kann zwar ein kleiner Schallanteil die Hörermuschel überwinden und sich durch die Luft zum Gegenohr ausbreiten (LL); ausschlaggebend ist aber immer der Anteil, der auf den Knochen übergeht und dann als Knochenleitungsschall (KL) fast ungedämpft direkt das andere Innenohr erreicht. Da beim Übergang vom Kopfhörer auf den Schädelknochen ein Abb. 6.1a,b Das Überhören für den Knochenleitungshörer (a) und den Luftleitungshörer (b) geschieht in beiden Fällen über Knochenleitung (KL) zum Gegenohr. Beim Luftleitungshörer wird viel weniger übergehört, da der abgegebene Luftschall nur zu einem geringen Teil in Knochenschall umgesetzt wird. Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag 28 6 Überhören und Vertäubung Abb. 6.2 Überhörschwellen. Beim Versuch der Schwellenbestimmung am tauben Ohr werden die Töne an der Knochenleitungsschwelle des normalen linken Ohres wahrgenommen. Als Schwellenpunkte ergeben sich daher rechts die Überhörwerte von 10 dB (KL) und 50 dB (LL). Energieverlust entsteht, ist der schließlich vom Schädelknochen aufgenommene und zum Gegenohr weitergeleitete Schall um etwa 50 dB leiser. Im Fall eines Patienten, der einseitig ertaubt ist, aber auf der Gegenseite, in unserem Beispiel auf seinem linken Ohr, normal hört, lässt sich das Überhören bei der Tonschwellenaudiometrie gut erklären (Abb. 6.2). Der Patient wird bei einem Testton von 50 dB HL für Luftleitung auf dem ertaubten Ohr einen ersten Höreindruck angeben. Da der wahrgenommene Ton sehr leise ist, merkt der Patient meist nicht, daß er den Ton eigentlich im normalen Gegenohr hört. Der gleiche Effekt des Überhörens erfolgt bei einem Testton über Knochenleitung schon ab 10 dB HL. Dies geschieht in beiden Fällen durch Überhören auf die normale Knochenleitungsschwelle des Gegenohres. Die Fehldiagnose einer Schallleitungsstörung von 40 dB rechts lässt sich durch die Vertäubung des Gegenohres vermeiden. Vertäubung Der übergehörte Prüfton kann durch ein Geräusch unhörbar gemacht (verdeckt oder vertäubt) werden. Die Vertäubung wird immer mit dem Luftleitungshörer durchgeführt, da das Rauschen aus einem Knochenleitungshörer schon bei einem geringen Pegel auch das zu prüfende Ohr erreichen würde. Vertäubungsgeräusche Bei der Messung eines Tonschwellenaudiogramms verwendet man zur Vertäubung ein Schmalbandrauschen, das nur im Frequenzbereich in der Nähe des gewählten Prüftons wirksam ist (Abb. 6.3). Dieses Rauschen ist so eingepegelt, dass es gleich laut ist wie der auf denselben Pegel eingestellte zugehörige Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag 29 Vertäubung Abb. 6.3 Vertäubungsgeräusche. Für das Schmalbandrauschen gilt dieselbe Pegelskala wie für die Prüftöne. Das "weiße Rauschen" hat zwar in allen Frequenzbereichen die gleiche Intensität, wird aber wegen der Frequenzabhängigkeit der Hörschwelle für tiefe und hohe Frequenzen leiser gehört. Ton. Eine Vertäubung von z. B. 50 dB wirkt daher so, als ob das vertäubte Ohr eine Hörschwelle von 50 dB hätte. Für die Sprachaudiometrie wird zur Vertäubung ein weißes Rauschen verwendet, das sich über den gesamten Frequenzbereich erstreckt. Zur Schonung des Patienten sollen auch beim Schmalbandrauschen Vertäubungspegel von mehr als 80 dB nur wenn unbedingt erforderlich kurzzeitig eingestellt werden. Höhere Pegel sind nur unbedenklich, wenn das zu vertäubende Ohr einen entsprechenden Schallleitungshörverlust aufweist. Vertäubungsregeln Vor dem Beginn der Untersuchung sollte dem Patienten der Unterschied zwischen dem reinen Prüfton und dem Vertäubungsgeräusch vorgeführt und erläutert werden, damit er nur auf den Prüfton reagiert. Die Einstellung des Vertäubungspegels wird mit dem Pegelschieber für das Gegenohr vorgenommen. Um Belastung und Untersuchungszeit einzusparen, sollte der Untersucher zunächst entscheiden, bei welchen Audiogrammfrequenzen eine Vertäubung erforderlich ist. Zur Orientierung kann zunächst das unvertäubte Audiogramm aufgenommen werden. In der Abb. 6.4a ist dafür ein Beispiel dargestellt: Es können alle Audiogrammpunkte falsch gemessen, also übergehört sein, bei denen für dieselbe Frequenz der gemessene Schwellenwert - in Luftleitung - in Knochenleitung um 50 dB um 10 dB oder mehr über der Knochenleitungsschwelle des Gegenohres liegt. In diesen Fällen muss mit Vertäubung gemessen werden. Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag