6 Überhören und Vertäubung

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Überhören und Vertäubung
Beim Bestimmen der Hörschwelle entstehen
leicht Fehler durch Überhören des Prüftons
auf das (gerade nicht untersuchte) Gegenohr.
Dieses muss durch Geräusche „vertäubt“,
d.h. am Mithören des Testtons gehindert
werden. Da laute Vertäubungsgeräusche
ablenken und unangenehm laut oder sogar
schädlich sein können, sollte immer so leise
wie gerade erforderlich, andererseits aber
auch ausreichend laut vertäubt werden.
Die korrekte Anwendung der Vertäubung ist
unabdingbar für das richtige Audiometrieren
und sollte daher zunächst an den Beispielen
(möglichst mit Hilfe des AUDIOSIM-Programms, Kap. 21) genau geübt werden.
Überhören
Werden dem zu untersuchenden Ohr eines
Patienten Prüftöne angeboten, so gelangen
diese mit geringerer Lautstärke auch ins Gegenohr. Die Überleitung des Schalls auf die
andere Kopfseite geschieht bei der Messung
in Luft- und Knochenleitung auf demselben
Wege (Abb. 6.1 a,b).
Der Knochenleitungshörer (a) versetzt auf
der Messseite den Schädelknochen in
Schwingungen, die auch das Innenohr der
Gegenseite erreichen. Auf diesem Weg ist
der Ton kaum leiser geworden (um max. 10
dB). Beim Luftleitungshörer (b) kann zwar
ein kleiner Schallanteil die Hörermuschel
überwinden und sich durch die Luft zum
Gegenohr ausbreiten (LL); ausschlaggebend
ist aber immer der Anteil, der auf den
Knochen übergeht und dann als Knochenleitungsschall (KL) fast ungedämpft direkt das
andere Innenohr erreicht. Da beim Übergang
vom Kopfhörer auf den Schädelknochen ein
Abb. 6.1a,b Das Überhören für den Knochenleitungshörer (a) und den Luftleitungshörer (b)
geschieht in beiden Fällen über Knochenleitung (KL) zum Gegenohr. Beim Luftleitungshörer
wird viel weniger übergehört, da der abgegebene Luftschall nur zu einem geringen Teil in
Knochenschall umgesetzt wird.
Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag
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6 Überhören und Vertäubung
Abb. 6.2 Überhörschwellen. Beim Versuch der Schwellenbestimmung am tauben Ohr werden
die Töne an der Knochenleitungsschwelle des normalen linken Ohres wahrgenommen. Als
Schwellenpunkte ergeben sich daher rechts die Überhörwerte von 10 dB (KL) und 50 dB (LL).
Energieverlust entsteht, ist der schließlich
vom Schädelknochen aufgenommene und
zum Gegenohr weitergeleitete Schall um
etwa 50 dB leiser.
Im Fall eines Patienten, der einseitig ertaubt
ist, aber auf der Gegenseite, in unserem Beispiel auf seinem linken Ohr, normal hört,
lässt sich das Überhören bei der Tonschwellenaudiometrie gut erklären (Abb. 6.2). Der
Patient wird bei einem Testton von 50 dB
HL für Luftleitung auf dem ertaubten Ohr
einen ersten Höreindruck angeben. Da der
wahrgenommene Ton sehr leise ist, merkt
der Patient meist nicht, daß er den Ton
eigentlich im normalen Gegenohr hört. Der
gleiche Effekt des Überhörens erfolgt bei
einem Testton über Knochenleitung schon ab
10 dB HL. Dies geschieht in beiden Fällen
durch Überhören auf die normale Knochenleitungsschwelle des Gegenohres. Die Fehldiagnose einer Schallleitungsstörung von 40
dB rechts lässt sich durch die Vertäubung
des Gegenohres vermeiden.
Vertäubung
Der übergehörte Prüfton kann durch ein Geräusch unhörbar gemacht (verdeckt oder vertäubt) werden. Die Vertäubung wird immer
mit dem Luftleitungshörer durchgeführt, da
das Rauschen aus einem Knochenleitungshörer schon bei einem geringen Pegel auch
das zu prüfende Ohr erreichen würde.
Vertäubungsgeräusche
Bei der Messung eines Tonschwellenaudiogramms verwendet man zur Vertäubung ein
Schmalbandrauschen, das nur im Frequenzbereich in der Nähe des gewählten Prüftons
wirksam ist (Abb. 6.3). Dieses Rauschen ist
so eingepegelt, dass es gleich laut ist wie der
auf denselben Pegel eingestellte zugehörige
Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag
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Vertäubung
Abb. 6.3 Vertäubungsgeräusche. Für das Schmalbandrauschen gilt dieselbe Pegelskala wie
für die Prüftöne. Das "weiße Rauschen" hat zwar in allen Frequenzbereichen die gleiche
Intensität, wird aber wegen der Frequenzabhängigkeit der Hörschwelle für tiefe und hohe
Frequenzen leiser gehört.
Ton. Eine Vertäubung von z. B. 50 dB wirkt
daher so, als ob das vertäubte Ohr eine
Hörschwelle von 50 dB hätte. Für die
Sprachaudiometrie wird zur Vertäubung ein
weißes Rauschen verwendet, das sich über
den gesamten Frequenzbereich erstreckt.
Zur Schonung des Patienten sollen auch
beim Schmalbandrauschen Vertäubungspegel von mehr als 80 dB nur wenn unbedingt
erforderlich kurzzeitig eingestellt werden.
Höhere Pegel sind nur unbedenklich, wenn
das zu vertäubende Ohr einen entsprechenden Schallleitungshörverlust aufweist.
Vertäubungsregeln
Vor dem Beginn der Untersuchung sollte
dem Patienten der Unterschied zwischen
dem reinen Prüfton und dem Vertäubungsgeräusch vorgeführt und erläutert werden,
damit er nur auf den Prüfton reagiert. Die
Einstellung des Vertäubungspegels wird mit
dem Pegelschieber für das Gegenohr vorgenommen.
Um Belastung und Untersuchungszeit einzusparen, sollte der Untersucher zunächst entscheiden, bei welchen Audiogrammfrequenzen eine Vertäubung erforderlich ist. Zur
Orientierung kann zunächst das unvertäubte
Audiogramm aufgenommen werden. In der
Abb. 6.4a ist dafür ein Beispiel dargestellt:
Es können alle Audiogrammpunkte falsch
gemessen, also übergehört sein, bei denen
für dieselbe Frequenz der gemessene
Schwellenwert
- in Luftleitung
- in Knochenleitung
um 50 dB
um 10 dB
oder mehr über der Knochenleitungsschwelle
des Gegenohres liegt. In diesen Fällen muss
mit Vertäubung gemessen werden.
Mrowinski, Scholz, Audiometrie (ISBN 313118003x), © 2006 Georg Thieme Verlag
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