wellen brecher Vereinigung für kritische Mediennutzung, Postfach 42, 8122 Binz Nr. 2/2011 www.arbus.ch Bulletin des ARBUS – Vereinigung für kritische Mediennutzung (gegründet 1930 als Arbeiter-Radiobund der Schweiz) Gratismedien – Chance oder Gefahr? Die Verschmelzung von Telekommunikation, Fernsehen, Radio und Zeitung ist derzeit in vieler Leute Munde. Gibt es aber wirklich bald ein neues Konvergenzmedium und werden alle Medien einst über einen Kanal konsumiert oder gar gesteuert und sind Gratismedien wirklich kostenlos? Daniel Römer, Präsident Veränderungsprozesse bei den Medien sind seit längerem im Gange und angestammte Medien haben sich teilweise bereits massiv verändert. Einhergehen wird da sicher auch eine Neusortierung. Meine Gedanken gehen darum dahin, dass die Steuerung der Richtung beeinflusst werden soll: durch ein klares Einstehen für qualitative und deklarierte Inhalte. Ich möchte eines vorausschicken: Ein Sinn und Zweck von Medien soll sein, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten und ich setze daher grosse Fragezeichen hinter die voranschreitende Fragmentarisierung der Medien. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich als Grundfunktion der Medien die Herstellung von Öffentlichkeit sehe und dies sowohl beim über Gebühren finanzierten Radio und TV wie den privaten Medien. Ich schliesse daraus aber auch, dass zwingend eine Balance gefunden werden muss, wie Gebühren oder Werbeeinnahmen eingesetzt werden. Um auch hier deutlich zu sein: Private Medien dürfen wohl Geld verdienen, die Frage ist aber wofür dieses eingesetzt wird und ob der Grundsatz „im Interesse der Öffentlichkeit“ gewährleistet ist. Dass hier die Politik eine Mitaufgabe hat und sich Organisationen wie der Arbus einbringen wollen, ist selbstredend. Wenn ich der Öffentlichkeit das Wort rede, meine ich durchaus die Gesamtheit der Gesellschaft und somit der Demokratie. Um über das Gleiche reden zu können, braucht es Öffentlichkeit. Und das heisst dann auch, nicht in seinem Schneckenhaus zu verharren sondern über eigene Positionen hinauszusehen. Als Präsident der ältesten Medienorganisation der Schweiz appelliere ich immer und immer wieder darüber nachzudenken, was Medien (auch die neuen Medien) mit uns machen. Impressum: Herausgeber: Arbus Schweiz Postfach 42 CH - 8122 Binz Tel. 044 980 16 09 www.arbus.ch Postcheckkonto: 80-12268-3. Mitgliederbeitrag: Einzelmitglied: Fr. 30 Kollektivmitglieder mind. Fr. 60 Der Wellenbrecher erscheint zwei Mal pro Jahr und geht an alle Mitglieder des Arbus Schweiz. Adressänderungen: Arbus Schweiz Postfach 42 8122 Binz [email protected] Ich will nicht schwarz malen, wenn ich hinterfrage, ob die Segmentarisierung der Öffentlichkeit nicht Grenzen hat und wenn ich deutlich sage, dass ich mir ein Szenario von auf jeden Einzelnen abgestimmte Medienangebote und Internetseiten nicht wünsche. Neue Medien (auch Social-Media) stellen nicht per se eine Gefahr von Öffentlichkeit oder Demokratie dar aber ein Totalindividualismus ist bei den Medien aus meiner Sicht unerwünscht. Ich spreche mich überhaupt nicht gegen Veränderungen und Anpassungen bei den Medien aus. Aber pointiert gesagt ist mir ein zumindest teilreguliertes Medienangebot wichtiger als ein Verlorengehen an Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft. Wenn ich hier den Versuch unternehme, mir über mögliche neue Leitmedien Gedanken zu machen, geschieht das natürlich auch auf dem Hintergrund hinter die Individualisierung der Medien Fragezeichen zu setzen. Aber auch die Wichtigkeit der bisherigen Leitmedien für das Zusammenleben hervorzuheben und diesen den Rücken zu stärken. Experimente in Ehren, aber ich möchte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn unsere bereits geschrumpfte Medienlandschaft noch weiter zerfällt oder die SRG ernsthaft geschwächt würde. Ich lade Sie als Arbus Mitglied darum ein mit uns mitzudenken und am 5. September nach Zürich zu kommen zu unserer medienpolitischen Veranstaltung unter dem Titel: „Bedroht die Gratiskultur die Medienqualität? Haben wir genügend gute Informationen für unsere Meinungsbildung?“ Informationen zur Veranstaltung finden Sie auf unserer Homepage oder der Einladung, die diesem Wellenbrecher beiliegt. Gastkommentar von Oswald Sigg TV-Werbung für die politische Vernunft Exzesse der kommerziellen politischen Werbung sollte der Bundesrat in Radio und Fernsehen korrigieren können. Plakate können lügen. Ein Beispiel. Im Herbst 2010 verbreitete die SVP eine millionenteure, auf Plakaten und Inseraten massenhaft verbreitete Abstimmungsbotschaft, wonach der fiktive Ausländer Ivan S. – abwechslungsweise ein Mörder, Sozialbetrüger, Kinderschänder oder Vergewaltiger – in der Schweiz nichts mehr zu suchen hat und kurzerhand ausgeschafft werden muss. Diese Message sollte den Souverän und wohl gerade die Stimmbürgerinnen dazu bringen, die Ausschaffungsinitiative anzunehmen. Was denn auch geschah. Auch Inserate können lügen wie gedruckt. Ein weiteres Beispiel. Der fiktive Ausländer Ivan S. verfolgt uns bis heute. Dank den Linken und Netten, welche die angenommene Initiative angeblich nicht umsetzen wollen, kann er hier bleiben. Er wird nicht ausgeschafft und kann weiter vergewaltigen. Feststellung, dass neben den Auftritten im gekauften Raum die Auseinandersetzung im redaktionellen Teil der Medien eine ebenso grosse, wenn nicht grössere Rolle spielt.“ Schön wärs. Da geht man noch vom alten Bild der Presse als dem bewährten Bannwald der Demokratie aus. Aber die Abstimmungsdiskussion gehört für die meisten Medien wenn überhaupt nur noch zum immer weniger aufwendig behandelten Pflichtstoff. Politische Werbung dürfte so wenig zu verbieten sein wie das Rauchen. Liesse man sich durch die präventive Gesundheitspolitik inspirieren, wäre ein amtlicher Aufdruck auf gewissen Plakaten – beispielsweise „Das Befolgen dieser Botschaft schadet ihrer direkten Demokratie!“ – denkbar. Mit dem Risiko, dass jene, welche die Instrumente der direkten Demokratie missbrauchen, noch mehr Erfolge buchen könnten. Aber irreführende und unlautere Plakate und Inserate sollten durch eine Unabhängige Kommission für die Lauterkeit der politischen Werbung festgestellt und geahndet werden. Der Bundesrat müsste dabei die Möglichkeit erhalten, in Radio und Fernsehen die Exzesse politischer Werbung zu korrigieren und die Positionen von Bundesrat und Parlament zu erläutern. Denn der Bundesrat hat in der direkten Demokratie eine fundamentale, in der Bundesverfassung verankerte Informationspflicht, die er heute nur ungenügend zu erfüllen in der Lage ist. Er sollte über Radio und Fernsehen Werbung für die politische Vernunft machen dürfen. Diesen ganzen Schwachsinn nennt man politische Werbung. Während er sich auf allen Plakatwänden und auf unzähligen Zeitungsseiten ausbreitet, sind die Werbeblöcke in den SRG- und den privaten Fernsehprogrammen davon befreit. Politische Werbung im Fernsehen ist verboten, weil der Gesetzgeber davon aus geht, dass die parteipolitische Werbung per se das Gebot der Sachgerechtigkeit verletzen würde. Umso mehr darf sich der politische Hass für teures Geld im gekauften Informationsraum epidemisch ausbreiten. Die permanente Beleidigung und Verleumdung und die penetrant rassistische Argumentation verletzen zum einen die Meinungsäusserungsfreiheit. Zum andern erzeugt aber diese plakative Diffamierung von Ausländern als gemeine Verbrecher bei den Stimmbürgern auch einfach Angst und Schrecken. Eine probate Stimmung, in welcher extreme Postulate mehrheitsfähig werden. Auch weil niemand das nötige Geld aufbringt, um eine solch skrupellose Kampagne ebenbürtig zu kontern. Oswald Sigg, Journalist und ex Bundesratssprecher Der Bundesrat hat kürzlich die Frage von Nationalrat Andy Tschümperlin, was er von „gekauften Abstimmungserfolgen“ halte, unter anderem mit dem Satz beantwortet: „Wohl unbestritten ist die Anmerkungen zum Gastkommentar bitte an: [email protected] oder über www.arbus.ch/forum -2- Der 3. Radiosektor In der Schweiz erst ansatzweise erforscht Acht nicht kommerzorientierte, komplementäre Lokalradios senden heute neben den öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Stationen als dritter Radiosektor ihre Radioprogramme in die Schweizer UKWFrequenzen. Sie bieten eine Plattform für regionales Kulturschaffen, Lokalpolitik und Musik ausserhalb der Hitparade. Ihre mehrheitlich ehrenamtlichen Programm-Mitarbeitenden gestalten Sendungen in über zwanzig Sprachen. Obwohl mit Radio LoRa in Zürich das erste Komplementärradio bereits vor bald dreissig Jahren auf Sendung ging, wissen wir bis heute nur wenig über diese Radios und ihre Wirkung. Die Radioschule klipp+klang sammelt in einer Dokumentation mit finanzieller Unterstützung des Arbus bisherige Forschungsbemühungen als Anstoss für neue Untersuchungen. Lucia Vasella * Die 39 aufgenommenen Dokumente wurden zwischen 1991 und 2011 verfasst, die meisten nach der Jahrtausendwende. Es sind vor allem Lizentiats-, Master- und Bachelorarbeiten von Studierenden aber auch grössere universitäre Studien. Rund ein Viertel der Arbeiten entstand zu den Themen Kommunikation und Marketing. Dabei handelt es sich meist um Kommunikations- und Marketingkonzepte mit Optimierungsvorschlägen und nur sehr selten um HörerInnenbefragungen. Ausgehend von den Teilgebieten der Medien- und Kommunikationsforschung fällt ebenfalls auf, dass sich die Forschungsaktivitäten vor allem auf die JournalistInnen (Kommunikatorforschung) und die Radios an sich konzentrieren (Medienanalyse) und weniger auf deren Nutzung und Wirkung. Dies liegt womöglich daran, dass sich HörerInnenuntersuchungen nur mit grossem Aufwand repräsentativ durchführen lassen. Die von der Stiftung Mediapulse via Radiocontrol erhobenen HörerInnenzahlen sind auf kommerzielle Stationen und die Werbewirtschaft ausgerichtet und lassen sich nur beschränkt für den komplementären Radiosektor anwenden. Einige Arbeiten widmen sich den Inhalten einzelner Sendungen (Medieninhaltsforschung), wobei hier vorwiegend die fremd- und mehrsprachigen Sendungen und ihre Integrationsleistung analysiert wurden. Dies nicht zuletzt darum, weil die Forschung in diesem Bereich in den letzten Jahren von klipp+klang und vom Bundesamt für Kommunikation BAKOM angestossen und gefördert wurde. Dasselbe gilt für das Thema Aus- und Weiterbildung: In den letzten beiden Jahren entstanden zwei Lizentiatsarbeiten zur Bedeutung der nicht kommerzorientierten Radios und der Radioschule klipp+klang für die Rekrutierung und Ausbildung von RadiojournalistInnen. Ein immer wieder im Zentrum stehender Aspekt ist der Nutzen der Radios für die MacherInnen selber. Dies weil sich diese Radios als Gemeinschaftsradios verstehen, das heisst sie sind nicht nur einfach Produktionsstätten von Radioprogrammen, sondern auch Begegnungszentren für Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Interessen sowie Lernorte für angehende Medienschaffende und Musikexperten. Nutzungs/Wirkungsforschung als nächster Schritt Die Übersicht zeigt einige Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschung im dritten Radiosektor. Eindeutige Lücken sind in der Publikums- und Medienwirkungsforschung auszumachen. Fragen der Funktion und Wirkung komplementärer Radioprogramme sind für die Mittelbeschaffung dieser Radios seit jeher wichtig, angesichts der aktuellen Schweizer Medienkrise – Medienkonzentrati- -3- onen, Verlust an Meinungs- und Medienvielfalt – gewinnen sie noch zusätzlich an Bedeutung. Auch Nutzen und Bedeutung einzelner Spezialsendungen für ihre jeweilige Gemeinschaft wurden bislang nur in Zusammenhang mit den Sendungen für sprachkulturelle Minderheiten betrachtet. Solche Untersuchungen könnten ausgeweitet werden: u.a. auf Sendungen für SeniorInnen oder Blinde und Sehbehinderte. Auch dem Thema Musik widmen sich lediglich zwei Arbeiten. Schliesslich liesse sich mit einem Vergleich der Arbeiten, die sich zu verschiedenen Zeiten mit der Geschichte der Komplementärradios in der Schweiz befassten, eine aufschlussreiche Übersicht über Entstehung, Entwicklung und Beschaffenheit des dritten Radiosektors der Schweiz erstellen. Es gibt also noch einige wichtige und spannende Themenfelder für weiterführende Studien, die es nun anzuregen gilt. * Forschungsbeauftragte klipp+klang radioschule UNIKOM: Zur Union nicht kommerzorientierter Lokalradios gehören insgesamt 18 Radios, darunter Kanal K (Aarau), Radio X (Basel), Radio RaBe (Bern), Radio LoRa (Zürich), Radio Stadtfilter (Winterthur), Radio 3FACH (Luzern), Radio RaSa (Schaffhausen), Radio Cité (Genf), alle UKW, sowie zahlreiche Internet-und Kabel-Radios. www.unikomradios.ch. klipp+klang radioschule: Aus- und Weiterbildung, Forschung und Projekte im Radiobereich. www.klippklang.ch Arbus Schweiz - Vereinigung für kritische Mediennutzung Postfach 42 - 8122 Binz www.arbus.ch / [email protected] Einladung zur Arbus - Mitgliederversammlung 2011 Datum: Montag, 5. September 2011 Zeit: 17.00 Uhr Ort: Pädagogische Hochschule Zürich, Sihlhof, Lagerstrasse 5, 8004 Zürich Tram 3/14 ab HB Zürich Richtung Triemli (bis Haltestelle Sihlpost). Zu Fuss ab HB Zürich 4 Minuten Richtung Kaserne, bei Sihlpost rechts in die Lagerstrasse. (www.phzh.ch/content-n126-r2366-sD.html) Traktanden: 1. Begrüssung 2. Protokoll der Mitgliederversammlung vom 29.06.2009 (liegt auf) 3. Bericht des Präsidenten und Abnahme der Jahresberichte 2009/2010 4. Rechnung 2009/10; Bericht des Kassiers, Abnahme der Jahresrechnung 2009/10 5. RevisorInnenbericht 6. Antrag auf Entlastung des Vorstands 7. Budget 2011/2012 / Mitgliederbeitrag 8. Wahlen (Präsidium, KassierIn, RevisorInnen) 9. Tätigkeitsprogramm 2011/2012 10. Anträge von Mitgliedern (bis 25.08.2011 ans Arbus-Präsidium: [email protected]) 11. Verschiedenes Gleich anschliessend findet eine medienpolitische Veranstaltung gemäss besonderer Einladung statt (siehe Beilage), zu der wir Sie ebenfalls willkommen heissen. Mitgliederversammlung und medienpolitische Veranstaltung schliessen mit einem Apéro ab, zu dem Sie herzlich eingeladen sind. Wir bitten Sie um Anmeldung zur MV, dem medienpolitischen Anlass sowie Apéro beim ArbusSekretariat (Mario Galli 044 980 16 09), über [email protected] oder mit beiligender Antwortkarte. Daniel Römer Präsident Arbus Mario Galli Mitgliederkasse/Sekretariat Arbus ARBUS – Vereinigung für kritische Mediennutzung (gegründet 1930 als Arbeiter-Radiobund der Schweiz) -4-