für die Behandlung von Prostatakarzinomen

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Der Urologe
Organ der Deutschen Gesellschaft für Urologie
Organ des Berufsverbandes der Deutschen Urologen
Elektronischer Sonderdruck für
S.E. Combs
Ein Service von Springer Medizin
Urologe 2015 · 54:1584–1590 · DOI 10.1007/s00120-014-3580-7
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
M. Schwardt · J. Debus · G. Feick · B. Hadaschik · M. Hohenfellner · R. Schüle · J.-P. Zacharias · S.E. Combs
Interdisziplinäre und individualisierte Therapie
des Prostatakarzinoms
Internationales Prostatakrebssymposium Bonn 2013 – Herausforderungen und
Ziele
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Übersichten
Urologe 2015 · 54:1584–1590
DOI 10.1007/s00120-014-3580-7
Online publiziert: 10. Oktober 2014
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
M. Schwardt1 · J. Debus2 · G. Feick4 · B. Hadaschik3 · M. Hohenfellner3 
R. Schüle1 · J.-P. Zacharias4 · S.E. Combs2, 5
1 Urologie, Universitätsklinikum Freiburg
2 RadioOnkologie und Strahlentherapie, Universitätsklinikum Heidelberg
3 Urologische Universitätsklinik Heidelberg
4 Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V., Gehrden
5 Klinik und Poliklinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie,
Technische Universität München (TUM), Klinikum Rechts der Isar, München
Interdisziplinäre und
individualisierte Therapie
des Prostatakarzinoms
Internationales Prostatakrebssymposium
Bonn 2013 – Herausforderungen und Ziele
Hintergrund
Die Behandlung des Prostatakarzinoms
ist eine interdisziplinäre Herausforderung, die sich aufgrund von technischen
und biologischen Fortschritten in allen
beteiligten Disziplinen über die letzten
Jahre zu hochdifferenzierten und personalisierten Behandlungsalgorithmen fortentwickelt hat. Da die Diagnose „Prostatakarzinom“ Patienten mit indolenten Tumoren bis hin zu Patienten mit hoch aggressiver Histologie umfasst, gehören ein
exaktes Staging und sorgfältige pathologische Aufarbeitung des Tumorgewebes
zum Standard. Hierbei können heute Subgruppen von Patienten identifiziert werden, die zunächst keiner Behandlung bedürfen, sondern die unter aktiver Überwachung keine Einschränkung in der Prognose erfahren. Falls das patientenspezifische Risikoprofil eine aktive Therapie erfordert, schließen die Therapieoptionen je
nach Patientenpräferenz und Tumorbiologie sowohl eine chirurgische Resektion,
als auch eine Strahlentherapie ein.
Moderne Techniken in der chirurgischen Urologie ermöglichen heute nebenwirkungsarme Eingriffe, die beispielswei-
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se mittels robotergestützter Technik minimal-invasiv durchgeführt werden können. Anatomisch verbesserte Konzepte, wie die nervenschonende Entfernung
der Prostata, haben das Nebenwirkungsprofil weiter verbessert. Gleichzeitig haben neue Entwicklungen in der Radioonkologie zu einer zunehmenden Präzision der Bestrahlung geführt, so dass lokale Dosissteigerungen im Bereich der
Prostata möglich sind und umliegende
Risikoorgane wie das Rektum geschont
werden können. Somit kann die Tumorkontrolle gesteigert werden und gleichzeitig das Nebenwirkungsrisiko gesenkt
werden. Neue Strahlenqualitäten, wie die
Partikeltherapie, versprechen darüber hinausgehende Vorteile. Aufgrund der biologischen Heterogenität der Tumoren sowie der umliegenden Normalgewebe wird
in Zukunft nicht nur eine technisch optimierte Strahlentherapie, sondern eine
biologisch stratifizierte Therapie notwendig sein. Die Identifikation und Integration von molekularen Markern ist derzeit
Gegenstand verschiedener prospektiver
Studienkonzepte.
Im Rahmen eines multinationalen
Symposiums führender Wissenschaftler
im Bereich der Uroonkologie und speziell
mit dem Fokus auf das Prostatakarzinom
wurden die oben genannten Aspekte im
Frühjahr 2013 in Bonn diskutiert. In der
vorliegenden Arbeit werden darauf basierend aktuelle Therapiestandards sowie innovative Studienkonzepte zusammengefasst und analysiert.
Aktuelle Studien
Das Prostatakarzinom stellt nach wie
vor die häufigste Krebserkrankung und
die zweithäufigste zum Tode führende
Krebserkrankung beim Mann dar („surveillance epidemiology and end results“,
SEER). Nach Einführung des PSA-Screenings (prostataspezifisches Antigen) in
den 1970er Jahren stieg die Inzidenz des
Prostatakarzinoms signifikant bis in die
Mitte der 1990er Jahre an und stabilisierte sich über die letzten 10 Jahre (SEER).
Für das Jahr 2013 werden in den USA
238.000 Neuerkrankungen und 29.000
prostatakrebsspezifische Todesfälle prognostiziert (SEER). Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach 5 und 10 Jahren beträgt aktuell 100 und 98% (SEER). Den Effekt des PSA-Screenings auf die gute Ge-
samtprognose wird derzeit in zwei großen Studien in den USA (PLCO, „prostate,
lung, colorectal and ovarian“) und Europa
(ERSPC, Europäische Screeningstudie für
das Prostatakarzinoms) untersucht. Beide Studien habe eine große Anzahl von
Patienten eingeschlossen (PLCO:77.000/
ERSPC:162.000) und bis zu einem Follow-up von 13 bzw. 11 Jahren berichtet.
Während die PLCO keinen signifikanten Unterschied im Bezug auf die Mortalität zeigte, konnte in der ERSPC-Studie
eine signifikante Reduktion der prostatakrebsspezifischen Mortalität um bis zu
29% im Screeningarm nachgewiesen werden [1]. Allerdings begann sich dieses Ergebnis erst nach einem mehrjährigen Follow-up abzuzeichnen. Die Debatte über
den Nachteil und Nutzen eines PSA-basierten Screenings hält daher insbesondere in der Presse und konservativen Fachdisziplinen an.
Kritisiert wird die PLCO-Studie v. a.
wegen ihrer hohen Kontamination des
Kontrollarms durch außerhalb der Studie stattfindende PSA-Tests. Andererseits zeigt die ERSPC-Studie, dass die Rate der diagnostizierten aber klinisch nicht
relevanten Tumoren 50% erreichen kann.
Außerdem müssen Screening und Therapie gegen mögliche Nebenwirkungen
und steigende Kosten abgewogen werden [1]. Aufgrund der vielfältigen Therapieoptionen und der Gefahr von Überdiagnose und Übertherapie muss deshalb
der Wille des Patienten und sein persönliches Erkrankungsrisiko bereits vor einer
ersten PSA-Bestimmung wieder mehr in
den Vordergrund treten [2, 3, 4]. Anstatt
eines generellen PSA-Screenings kann
basierend auf der Familienanamnese und
dem Baseline-PSA-Niveau ein risikoadaptiertes PSA-Screening sinnvoll sein. Dieses Konzept der risikoadaptierten Früherkennung wird im Rahmen der prospektiv-randomisierten PROBASE-Studie
(„risk-adapted prostate cancer early detection study based on a „baseline“ PSA
value in young men“) ab 2014 in Deutschland untersucht und von der Deutschen
Krebshilfe finanziert.
Die im Januar 2013 gestartete deutsche
PREFERE-Studie (präferenzbasierte randomisierte Studie zur Evaluation von vier
Behandlungsmodalitäten bei Prostatakarzinom mit niedrigem und frühem intermediären Risiko) untersucht den Effekt
der unterschiedlichen Therapieoptionen
bei eben der stark angestiegen Zahl der
Niedrigrisikopatienten erstmals in einer
großen randomisiert kontrollierten Studie an über 7000 Patienten. Die Patienten
werden in 4 Arme randomisert (radikale
Prostatektomie, perkutane Strahlentherapie, „seed implantation“ und „Active Surveillance“), können jedoch selber die Randomisierungsarme auf minimal 2 begrenzen. Hier zeigt sich ein modernes Studienkonzept, das einerseits wissenschaftlich
valide Daten liefern und andererseits den
Patientenwillen berücksichtigen kann.
Aufgrund der erweiterten Therapieoptionen insbesondere durch die Strahlentherapie und das Konzept der „Active Surveillance“ bei Niedrigrisikopatienten, kommt es in der operativen Therapie
(radikale Prostatektomie) zu einem stetigen Anstieg des Anteils der Patienten mit
Hochrisikotumoren auf mittlerweile 33%
über die letzten 10 Jahre [5]. Diese Entwicklung führt dazu, dass die operative
Therapie Teil eines multimodalen The-
rapiekonzepts insbesondere in Kombination mit der Strahlentherapie geworden
ist. Zwei große Studien aus Neuseeland/
Australien (RAVES, „radiotherapy – adjuvant versus early salvage“) und USA/Canada/England (RADICALS, „radiotherapy and androgen deprivation in combination after local surgery“) untersuchen den
Effekt von adjuvanter vs. Salvageradiotherapie nach radikaler Prostatektomie
bei Hochrisikopatienten mit Hinblick auf
das klinisch progressionsfreie Überleben.
Die deutsche SEAL-Studie (Studie zu eingeschränkter vs. ausgedehnter Lymphadenektomie) wiederum untersucht die wieder verstärkt durchgeführte Lymphknotenchirurgie und vergleicht die limitierte
vs. extendierte pelvine Lymphadenektomie in Hochrisikopatienten im Bezug auf
das biochemisch rezidivfreie Überleben.
Die Ergebnisse der großen Screeningstudien zeigen einvernehmlich, dass in
der Zukunft bessere Screeninginstrumente entwickelt werden müssen, um einerseits Niedrigrisiko- von Hochrisikopatienten auch in einem frühen Stadium der
Diagnose zu trennen, so dass eine Überdiagnose mit negativen Folgen für den Patienten vermieden werden kann. Andererseits müssen die Hochrisikopatienten
einer optimal an den jeweiligen Tumor
und Patienten adaptierten Therapie zugeführt werden. Außerdem muss der Verschiebung der Risikoprofile in den einzelnen Therapieoptionen Rechnung getragen werden.
Risikostratifizierung
Eine personalisierte Behandlung setzt immer eine Abschätzung des individuellen
Zusammenfassung · Abstract
Tumorprogressionsrisikos voraus. Zum
Staging des Prostatakarzinoms gehören die klinische Untersuchung, der histologische Gleason-Score, der PSA-Wert
und bei aggressiven Tumoren bildgebende Untersuchungen. Allem voran steht
die digital-rektale Untersuchung, die von
einem erfahrenen Untersucher durchgeführt werden sollte [6]. Hierbei lassen sich
auch hochgradig entdifferenzierte Tumoren nachweisen, die beispielsweise durch
einen Labortest nicht identifizierbar sind.
In der Regel muss jedoch eine lageabhängige Mindestgröße vorliegen, um den Tumor zu tasten.
Wichtigste Laboruntersuchung ist der
Nachweis des PSA, das als Tumormarker herangezogen werden kann [1]. Der
PSA-Wert ist auch posttherapeutisch ein
wichtiger Marker für Therapieansprechen. Eine bioptische Sicherung sollte
bei Tumorverdacht, wie beispielsweise
auffälligem Tastbefund und/oder erhöhtem PSA-Wert durchgeführt werden [7].
Zu den bildgebenden Verfahren, die zur
Diagnostik des Prostatakarzinoms eingesetzt werden können, gehören der transrektale Ultraschall sowie vermehrt multiparametrische MRT-Untersuchungen.
Die Magnetresonanztomographie (MRT)
des Beckens erlaubt hierbei die Identifikation der biologisch führenden Läsionen innerhalb der Prostata. Inwieweit in
Zukunft die systematische Prostatabiopsie durch gezielte Biopsien ergänzt oder
abgelöst werden kann, ist derzeit Gegenstand kontroverser Diskussionen und klinischer Studien. Bei histologisch nachgewiesenen Hochrisikotumoren sollten
außerdem eine Knochenszintigraphie
und eine Schnittbildgebung des Beckens
erfolgen. Hierdurch kann zusammen mit
einer bioptischen Sicherung des Tumors
und der damit verbundenen histopathologischen Charakterisierung sowie einer
Bestimmung des PSA-Wertes, das Tumorstadium sowie die Aggressivität der jeweiligen Tumorbiologie eingeschätzt werden.
Molekulare Bildgebung (z. B. 18F-CholinPET/CT oder die PSMA-Liganden-PETBildgebung) hilft, tumorbefallene Areale zu identifizieren [8, 9]. Dies kann insbesondere in der Rezidivsituation, beispielsweise nach Prostatektomie oder definitiver Radiotherapie und steigendem
PSA-Werten, zur Diagnostik herangezo-
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M. Schwardt · J. Debus · G. Feick · B. Hadaschik · M. Hohenfellner · R. Schüle  
J.-P. Zacharias · S.E. Combs
Interdisziplinäre und individualisierte Therapie
des Prostatakarzinoms. Internationales Prostatakrebssymposium
Bonn 2013 – Herausforderungen und Ziele
Zusammenfassung
Die multimodale Behandlung des Prostatakarzinoms basiert heute auf einem spezifischen Staging mit Bildgebung, klinischen
Parametern, Tumormarkern sowie histopathologischer Charakterisierung. Die stadiengerechte Therapie kann initial entweder eine
„Wait-and-see-Strategie“, eine aktive Überwachung, eine chirurgische Intervention, eine
Strahlentherapie oder eine Hormontherapie umfassen. In einigen klinischen Szenarien
kann auch eine Kombination dieser Behandlungsformen sinnvoll sein. Neben tumorbedingten Entscheidungskriterien beeinflussen
auch patientenspezifische Faktoren und Präferenzen die Wahl der Therapieform. Im Rah-
men des internationalen Meetings „Challenges and Chances in Prostate Cancer Research“
der Deutschen Krebshilfe wurden von führenden Urologen, Strahlentherapeuten, Epidemiologen und Vertretern andere Fachdisziplinen State-of-the-art-Behandlungskonzepte vorgestellt und diskutiert, sowie innovative Studienkonzepte und translationale Forschungsprojekte zur Diskussion gestellt.
Schlüsselwörter
Therapie, stadiengerechte ·  
Risikostratifizierung · Radiotherapie ·  
Therapie, chirurgische ·  
Tumorsubklassifizierung
Interdisciplinary and individualized therapy of prostate cancer.
International prostate cancer symposium Bonn 2013 –
challenges and targets
Abstract
Multimodal treatment of prostate cancer is
based on specific staging via imaging, clinical parameters, tumor markers and histopathological grading. Risk-adapted therapy encompasses wait and see, active surveillance, surgical intervention, radiotherapy and hormone therapy. Some patients also
need a combination of these treatment options. Even though clinical parameters guide
the treatment plan, patient wishes and preferences are incorporated. Against this background leading basic research scientists, urologists, radiotherapists, epidemiologists and
gen werden. Positive Regionen, wie beispielsweise einzelne Lymphknoten, können dann gezielt behandelt werden. Hierzu kommen sowohl eine lokale Strahlentherapie als auch chirurgische Therapien oder eine Endoradiotherapie in Betracht. Die Wertigkeit der PET-Diagnostik (Positronen-Emissions-Tomographie)
zum Staging ist derzeit Gegenstand klinischer Studienprotokolle.
Die unterschiedlichen Behandlungsergebnisse in der Therapie des Prostatakarzinoms basieren u. a. wahrscheinlich
auf der heterogenen Zusammensetzung
der einzelnen Tumoren, die weit grö-
members of other associated disciplines discussed state of the art treatment concepts,
innovative trial designs and translational research projects at the international meeting
„Challenges and Chances in Prostate Cancer
Research“ organized by the German Cancer
Aid (Deutsche Krebshilfe).
Keywords
Therapy, stage-oriented · Risk stratification ·
Radiotherapy · Therapy, operative ·  
Subclassification, tumors
ßer ist als bislang angenommen [10]. Es
wird in Zukunft nicht ausreichen, Tumoren durch einzelne molekulare Veränderungen isoliert zu charakterisieren. Große Anstrengungen werden national und
international von mehreren Einrichtungen unternommen, um diese Heterogenität mit einem hohen Integrationsgrad
(hohe Anzahl an Proben parallel zu einer
hohen Anzahl von Zielstrukturen) molekular zu stratifizieren. Dies geschieht auf
genomischer Ebene durch DNA-Sequenzierung, auf epigenetischer Ebene durch
die Analyse von Chromatinmodifikationen, auf transkriptionaler Ebene durch
Abb. 1 9 Bestrahlungsplan
beim Prostatakarzinom auf
Grundlage eines PlanungsCT: Die Farbskalierung repräsentiert die Intensitätsmodulation (rot hoch bis
blau niedrig). Schnittebenen: a transversal, b koronar, c sagittal
Abb. 2 8 Planungs-CT beim Prostatakarzinom (transversal): Gelkissen (gestrichelte Linie) zwischen Rektumwand und Prostatakapsel. a–e verschiedene transversale Schnittebenen
die RNA-Sequenzierung und auf Proteinebene durch die Expressionsanalyse auf
Gewebemikroarrays. Möglich wurden
viele dieser Analysen erst durch die Technik des sog. „next generation sequencing“
(NGS). Hierdurch entsteht ein vielschichtiges Datenprofil der einzelnen Tumoren,
das mit Hilfe der Bioinformatik und Biostatistik integriert und dargestellt werden
muss. Dieser Trend wurde insbesondere
auf dem Symposium unterstrichen.
Baca et al. [27] haben kürzlich 57 Prostatatumoren sequenziert. Sie entdeckten, dass viele strukturelle Veränderungen des Genoms innerhalb eines Tumors
wahrscheinlich nur durch einzelne Ereignisse verursacht wurden. Sie bezeichnen
diesen Mechanismus als Chromoplexie,
und er soll helfen, die komplexen geno-
mischen Veränderungen besser zu verstehen und anhand weniger entscheidender
Mutationen die Stratifizierung von Tumoren zu verbessern. Sie machten deutlich, dass trotz der hohen Datenmengen,
die über nationale und internationale Genomprojekte („International Cancer Genome Consortium“, ICGC oder „The Cancer Genome Atlas“, TCGA) generiert wurden, die relevanten Veränderungen herausgefiltert und in einen therapierbaren
zellulären Prozess eingeordnet werden
müssen [11].
Ob pathologisch veränderte zelluläre Signalwege Ursache oder Wirkung genomischer Instabilität sind, untersuchen
u. a. die Arbeitsgruppe um Stefan Duensing [13] in Heidelberg. Sie konnten mittlerweile mehrere Faktoren identifizieren,
die die Integrität der Mitose stören und
zur Aneuploidie führen, wie z. B. „fibroblast growth factor 2“ (FGF2), „centrosomal protein 57“ (CEP57) und „polo-like
kinase 4“ (PLK4) [12]. Duensing und sein
Team hoffen, dass sie diese neuen Marker
insbesondere in der frühen Diagnostik
von Tumoren einsetzen können. Mehrere
Gruppen in den USA sequenzierten das
Transkriptom von Prostatatumoren und
verglichen es mit gutartigen Kontrollgeweben. So konnten Genexpressionsprofile ermittelt werden, die ebenfalls eine bessere Stratifizierung von Tumoren erlauben [14, 15, 16].
Um solche Erkenntnisse aus durch
Sequenzierungsanalysen gewonnenen
Daten ohne großen Zeitverlust für die Klinik zu nutzen, müssen laut Martin Gleave
Der Urologe 11 · 2015 | 1587
Übersichten
[17] vom Vancouver Prostate Centre nicht
nur die Techniken der bioinformatischen
Datenanalyse optimiert werden, sondern
auch andere wissenschaftliche Disziplinen unter einem Dach vereint werden,
damit aus einem potentiellen molekularbiologischen Target ein in klinischen Studien getestetes Medikament werden kann.
Zunächst werden beispielsweise humane
Prostatapräparate durch Genexpressionsanalysen auf potentielle Targets gescreent.
Indentifizierte Kandidatengene werden
anschließend in vitro und in vivo validiert
und potentielle gezielt wirkende Medikamente durch hauseigene pharmazeutische
Spin-offs für klinische Studien optimiert.
Die angeschlossene klinische Studienabteilung führt dann die entsprechenden
Phase-1- und -2-Studien durch. Durch
die exemplarische Zusammenarbeit von
Grundlagenwissenschaft, Klinik und Industrie konnten in Vancouver neuartige
Medikamentenansätze wie z. B. der „Clusterin-Inhibitor Custirsen“ (OGX-011) erfolgreich von der Idee bis zu klinischen
Phase-3-Studien entwickelt werden [17].
Auf epigenetischer Ebene wiederum
arbeitet der von Roland Schüle [18] initiierte Sonderforschungsbereich MEDEP (Medical Epigenetics, SFB992) in
Freiburg. Die beteiligten Arbeitsgruppen folgen ebenfalls einem multidisziplinären Ansatz, um u. a. mit NGS-Methoden neue epigenetische diagnostische und
therapeutische Methoden zu entwickeln.
Den neu entdeckten Chromatinmodulatoren (z. B. LSD1) kommen hier besondere Bedeutung zu.
Die strukturierte Erhebung patientenbezogener Daten an großen operativen
Zentren ermöglicht die Zusammenführung von histologischen und molekularbiologichen Daten. Dies bildet die Grundlage, um Nomogramme zur Risikostratifizierung von Tumorpatienten weiter zu
optimieren. Tissue-Microarray-Datensätze mit hohen Patientenzahlen wiederum können unter Verwendung verschiedenster „-omics-Ansätze“ im Hinblick auf
neue Markersignaturen für unterschiedliche Tumorsubtypen untersucht werden. Hierdurch können chirurgische Proben im besten Sinne translationaler Forschung in klinisch anwendbare Diagnosetools übersetzt werden.
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Gleich mehrere Redner machten deutlich, dass dem Biobanking auch in der Zukunft eine übergeordnete Rolle zukommen wird. Es verlangt einen großen Aufwand an Planung, Unterhalt und finanzieller Aufwendungen, um über lange
Zeit hohe Qualität an biologischem Material zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommen die histologische Validierung, Lagerung, Inventarisierung und das kontinuierliche Sammeln und Abgleichen mit klinischen Daten [19]. Dieser Aufwand und
die dazugehörigen Investitionen scheinen sich jedoch in Anbetracht der sich
bietenden Möglichkeiten nahezu uneingeschränkt zu lohnen.
Die genannten Ansätze zeigen, dass in
den letzten Jahren große Anstrengungen
unternommen wurden, um mit neuartiger Technologie Prostatatumoren besser
zu charakterisieren. Es bleibt hierbei allerdings zu berücksichtigen, dass viele der
bisherigen Ansätze Material aus Prostatektomiepräparaten verwandt haben. Ziel
muss es sein, diese Erkenntnisse auf Blutproben oder stanzbioptisch gewonnenes
Material anwendbar zu machen, um das
Screening und Therapieentscheidungen
weiter zu verbessern.
Therapie
Radiotherapie
Die Strahlentherapie hat sich über die
letzten Jahrzehnte als eine effiziente und
nicht-invasive Therapiealternative für die
Behandlung des Prostatakarzinoms etabliert. Sowohl als primär definitive Therapie, als auch als adjuvante Therapie nach
einer Operation, insbesondere nach R1Resektion oder in höheren Tumorstadien oder bei PSA-Rezidiven kann die
Radiotherapie indiziert sein. Die technischen Entwicklungen in der Radioonkologie haben die therapeutische Breite in
der Behandlung des Prostatakarzinoms
entscheidend verbessert. Therapiestandard ist heute die dreidimensional basierte Strahlentherapie, die durch technische Weiterentwicklungen beispielsweise
als intensitätsmodulierte Radiotherapie
(IMRT) die Dosiskonformalität auch bei
komplizierten Behandlungsvolumina verbessert hat [20]. Ein typischer IMRT-Bestrahlungsplan ist in . Abb. 1 abgebildet.
Hierbei können auch dosiseskalierte Konzepte (Gesamtdosis >80 Gy) durchgeführt
werden, die im Langzeitverlauf bisher gute Verträglichkeit und überzeugende Effektivität gezeigt haben. Dosislimitierendes Organ bei der Behandlung des Prostatakarzinoms ist u. a. die Rektumvorderwand. Hier kann beispielsweise durch die
urologische Applikation eines sterilen
Gelprodukts zwischen Prostata und Rektumvorderwand ein Abstandshalter produziert werden, der es ermöglicht, den
Dosisabfall um das Zielvolumen genau in
den Bereich des Abstandshalters zu legen,
so dass die Dosis am Rektum und damit
das Nebenwirkungsrisiko weiter gesenkt
werden (. Abb. 2, [20]).
Kombinationen aus modernen Bestrahlungstechniken und Bildgebung, wie
es die meisten Radiotherapiegeräte heute
ermöglichen, erlauben eine tägliche Bildgebung vor der Bestrahlung, so dass beispielsweise Lageveränderungen direkt
korrigiert werden können. In der Regel
erfolgt dies heute durch eine CT-Bildgebung. Ein nächster Schritt wird die Kombination von Bestrahlung und MRT-Bildgebung sein, die im Vergleich zum CT
einen verbesserten Weichteilkontrast bietet, was gerade im Beckenbereich ein Vorteil sein kann.
Durch den Einsatz von Partikelstrahlen (z. B. Protonentherapie oder Schwerionentherapie) können die physikalischen Eigenschaften der geladenen Teilchen für eine optimierte Dosisverteilung
genutzt werden. Eine randomisierte Studie aus den USA evaluierte das Ergebnisse einer Dosiseskalation mittels Protonenboost und konnte einen signifikanten
Therapievorteil auch im Langzeitverlauf
zeigen [21]. Die hierbei erreichten Gesamtdosen von 79,2 Gy können heute allerdings auch mit modernen Techniken
der Photonentherapie sicher und nebenwirkungsarm appliziert werden. Schwerionen, z. B. Kohlenstoffionen, bieten
gegenüber Protonen und Photonen die
Vorteil einer höheren relativen biologischen Wirksamkeit (RBW), die sich aufgrund der strahlenbiologischen Eigenschaften des Prostatakarzinoms als günstig erweisen könnte; bisherige Daten aus
japanischen Behandlungszentren haben
vielversprechende klinische Ergebnisse
gezeigt (noch nicht publiziert). Weitere
vergleichende Studien zur Partikeltherapie des Prostatakarzinoms gibt es derzeit
nicht, so dass wir uns bezüglich der Empfehlung zur Partikeltherapie insbesondere vor dem Hintergrund der kontinuierlich verbesserten Techniken in der Photonentherapie derzeit im datenarmen Raum
bewegen.
Chirurgische Therapie
Die operative Therapie des Prostatakarzinoms hat sich zuletzt insbesondere im
Bereich der minimal-invasiven Therapie
und eines antomisch besseren Verständnisses der umliegenden Gefäß- und Nervenstrukturen fortentwickelt. Die Debatte über die Über- oder Unterlegenheit
des daVinci-Operationssystems gegenüber der konventionellen offenen retropubischen radikalen Prostatektomie hält
an [22, 23]. Es ergeben sich jedoch Erfolg versprechende Aspekte im Hinblick
auf den Nervenerhalt, der durch die dreidimensional vergößerte Sicht, den Ausgleich unkontrollierbarer Zitterbewegungen und die hohe Manövrierfähigkeit der
Instrumente auf kleinem Raum verbessert
scheint [24]. Auf diesem Gebiet werden
weitere Fortschritte erwartet.
Im Laufe der Zeit hat sich gezeigt, dass
eine bleibende postoperative Belastungsinkontinenz durch korrekte Indikationsstellung, adäquate Operationstechnik
und eine entsprechende physikalische
Therapie in aller Regel vermieden werden kann. Damit bleibt als die relevanteste Nebenwirkung der chirurgischen Therapie die erektile Dysfunktion. Tritt diese
auf, kann sie meist durch eine lokale Therapie mit PGE1 oder anderen vasodilatierenden Substanzen korrigiert werden. Im
Extremfall kann dem Patienten auch ein
Schwellkörperimplantat angeboten werden [25].
Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahren ein Trend gezeigt, zugunsten
der aktiven Überwachung von der chirurgischen Behandlung indolenter Tumoren
abzusehen und anstattdessen vermehrt
aggressive Karzinome auch im Rahmen
multimodaler Therapiekonzepte anzugehen. Dass die Chirurgie hierbei hervorragende Ergebnisse erzielen kann, konnte zumindest durch retrospektive Arbeiten belegt werden [26]. Insgesamt bedeu-
tet, dass gerade in der Hochrisikogruppe
die Chirurgie wieder an Bedeutung gewinnt, wie auch die aktuell rekrutierende
deutsche SEAL-Studie zeigt, die die extendierte mit der limitierten Lymphadenektomie bei Patienten mit Hochrisikotumoren vergleicht. Wurde die Lymphadenektomie früher noch als reiner Stagingeingriff durchgeführt, ist sie heute fester
Bestandteil der radikalen Prostatektomie.
Sollte die Lymphknotenchirurgie in Zukunft weiter ausgedehnt werden, stellt
dies neue Herausforderungen an die diagnostische Bildgebung und die histopathologische Aufarbeitung der Lymphknoten.
Fazit für die Praxis
Das Symposium der Deutschen Krebshilfe zur aktuellen Prostatakarzinomforschung brachte internationale Experten
multidisziplinär zusammen. Diskutiert
wurden die Herausforderungen einer
fortschreitend individualisierten Therapie des Prostatakarzinoms. Die neuen Technologien in der Forschung erlauben globale Analysen auf verschiedenen
„-omics-Ebenen“, um die Subklassifizierung von Tumoren und damit die Risikostratefizierung von Patienten zu verbessern. Gleichzeitig bieten diese Technologien auch Ansätze, um neue systemische
Therapieansätze zu identifizieren. Einig
waren sich die Experten, dass verstärkte Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese neuen Erkenntnisse auch in reale Therapien zu übersetzen.
Es zeigte sich aber auch, dass die bereits
verwendeten Therapien einer ständigen Weiterentwicklung unterliegen und
auch in Zukunft verbesserte Therapien
auf nicht-invasiver und invasiver Ebene
zu erwarten sind.
Die individualisierte Therapie des Prostatakarzinoms ist eine interdisziplinäre Herausforderung, bei der in Zukunft nicht
nur die Heterogenität der Tumoren, sondern auch die Heterogenität der Patienten berücksichtigt werden muss.
Übersichten
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. S.E. Combs
Klinik und Poliklinik für RadioOnkologie  
und Strahlentherapie, Technische Universität  
München (TUM), Klinikum Rechts der Isar,
Ismaninger Straße 22, 81675 München
[email protected]
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. M. Schwardt, J. Debus, G. Feick,
B. Hadaschik, M. Hohenfellner, R. Schüle, J.-P. Zacharias und S.E. Combs geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen
oder Tieren.
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Künftig ist eine direkte Analyse
von Harnsteinen möglich
Konsequente Nachsorge kann der erneuten
Steinbildung nach einer Harnstein-Op
vorbeugen. Hierfür muss jedoch die Zusammensetzung des Steins bekannt sein.
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Physikalische Messtechnik (IPM) entwickeln
ein Mess- und Diagnosesystem, das eine
schnelle, automatisierte Analyse erlaubt.
Sie setzen dabei auf die Ramanspektroskopie, die für jedes Probenmolekül ein
charakteristisches Spektrum im sichtbaren
Wellenlängenbereich - einen „chemischen
Fingerabdruck“ des untersuchten Materials
- liefert. Die Methode soll auch bei nassen
Proben funktionieren. Normalerweise
müssen die Steine vor der Untersuchung
getrocknet und pulverisiert werden. Die
direkt bei dem Eingriff entnommenen
Proben müssen nicht weiter zerkleinert
werden, man kann sie theoretisch sofort in
das Ramanspektrometer legen und analysieren, erklärt die Gesellschaft. Die Besonderheit des neuen Systems ist die spektrale
Datenbank, mit der die Experten zunächst
die Hintergrundfluoreszenz herausrechnen
und dann automatisiert die Spektren identifizieren. Die Datenbank basiert auf den
Daten von neun Reinstoffen, aus denen
Harnsteine zu 99 Prozent bestehen. Das
Messsystem liegt bereits als Prototyp vor.
Es muss allerdings noch kompakter gebaut
und miniaturisiert werden, bevor es zur
Marktreife gelangt. Nach Angaben des IPM
hat sich die Zahl der Neuerkrankungen in
Deutschland in den letzten zehn Jahren
verdreifacht.
www.fraunhofer.de
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