Diagnostik und Therapie von Weichteil sarkomen der Extremitäten

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Diagnostik und Therapie von
Weichteilsarkomen der Extremitäten
Holger Bannasch, Steffen U. Eisenhardt, Anca-Ligia Grosu,
Jürgen Heinz, Arash Momeni, G. Björn Stark
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Die Diagnose eines Weichteilsarkoms der Extremität wird bei vielen Patienten mit teilweise erheblicher
Verzögerung gestellt, obwohl eine zeitnahe adäquate Behandlung das Überleben verbessert und die Amputationsrate senkt.
Methoden: Basierend auf einer selektiven Literaturanalyse
wird – unter Einbeziehung einschlägiger Referenzen und
Leitlinien – ein orientierender Algorithmus zur Diagnostik
von Weichteiltumoren und zur Therapie von Weichteilsarkomen der Extremitäten erarbeitet.
Ergebnisse: Die chirurgische Entfernung, begleitet von einer multimodalen Therapie, stellt die einzige Modalität dar,
die im interdisziplinären Kontext eine Heilungschance
beim Weichteilsarkom bietet. Plastisch-rekonstruktive Verfahren ermöglichen vor allem in den distalen Extremitätenabschnitten onkochirurgisch adäquate Resektionen bei
möglichst gutem Funktionserhalt. Die Modalität von
(neo-)adjuvanter Bestrahlung und/oder Chemotherapie
wird kontrovers diskutiert. Die 5-Jahres-Überlebensrate
für Low-grade-Sarkome liegt bei 87 Prozent, für High-gradeSarkome bei 62 Prozent.
Schlussfolgerungen: Jede solide Raumforderung der Extremität, die länger als vier Wochen besteht, bedarf der Abklärung. Hierbei ist eine Exzisionsbiopsie nur für epifasziale Läsionen < 5 cm geeignet. Alle anderen Läsionen benötigen eine MRT und eine Inzisionsbiopsie. Die Behandlung
in einer interdisziplinären Einrichtung, die eine multimodale Therapie gewährleisten kann, ist obligat. Der vorgeschlagene Algorithmus soll dazu beitragen, Verzögerungen
bei der Diagnostik zu reduzieren und alle therapeutischen
Möglichkeiten auszuschöpfen.
►Zitierweise
Bannasch H, Eisenhardt SU, Grosu A-L, Heinz J, Momeni
A, Stark GB: The diagnosis and treatment of soft tissue
sarcomas of the limbs. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(3):
32–8. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0032
Abteilung Plastische und Handchirurgie, Universitätsklinikum Freiburg:
PD Dr. med. Bannasch, Dr. med. Eisenhardt, Prof. Dr. med. Stark
Klinik für Strahlenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg: Prof. Dr. med.
Grosu
Abteilung Innere Medizin I – Hämatologie und Onkologie, Universitätsklinikum
Freiburg: Dr. med. Heinz
Department of Surgery, Stanford University Medical Center: Dr. Momeni
32
iel der Arbeit ist es, die korrekte Diagnostik und
Therapie von Weichteilsarkomen der Extremitäten darzulegen. Dies erscheint notwendig, weil aufgrund der Seltenheit der Tumoren nach wie vor viele
Patienten verzögert diagnostiziert und therapiert werden (1, 2), obwohl keine Spezialkenntnisse notwendig sind, um die initialen diagnostischen Maßnahmen
korrekt einzuleiten.
Eine wesentliche Rolle kommt der rechtzeitigen
Vorstellung in einer spezialisierten Einrichtung zu (3,
e1, e2). Es konnte klar gezeigt werden, dass die zeitnahe Behandlung an Zentren das Überleben verbessert
sowie die Amputationsraten senkt (1). Unglücklicherweise wird nach wie vor ein Großteil von Patienten mit
Weichteilsarkomen initial an Kliniken mit niedrigen
Fallzahlen versorgt, zumeist in Institutionen, die weniger als drei solcher Patienten pro Jahr behandeln (2).
Im Patientenkollektiv der Autoren wurden 72 Prozent
aller Patienten auswärts bereits voroperiert (4).
Sarkome können überall im Körper auftreten, so
dass jede chirurgische Disziplin sich mit ihnen konfrontiert sieht. 60 Prozent der Weichgewebesarkome
des Erwachsenen sind an den Extremitäten lokalisiert
(15 Prozent obere, 45 Prozent untere Extremität),
weswegen diese Lokalisationen in diesem Artikel
vorrangig behandelt werden sollen (5). Moderne multimodale Therapiestrategien inklusive der verbesserten rekonstruktiven Optionen erlauben den Extremitätenerhalt bei guter lokaler Tumorkontrolle in über
95 Prozent der Fälle (2, e3). Auf Basis einer selektiven Literaturaufarbeitung wird ein Vorschlag für einen Algorithmus für die korrekte Diagnostik von soliden Tumoren der Extremitäten und die zeitnahe Einleitung einer interdisziplinären Therapie präsentiert
(Grafik). Dieser wurde insbesondere als Unterstützung für die niedergelassenen Kollegen konzipiert.
Z
Epidemiologie und Klinik
Die Inzidenz von Weichgewebesarkomen ist mit etwa
2 bis 3 pro 100 000 pro Jahr relativ niedrig. In der
Einrichtung der Autoren stellen sich pro Jahr circa 50
Patienten mit einem Sarkom vor. Dabei bezeichnet
dieser Begriff keine einheitliche Tumorgruppe, sondern zahlreiche histopathologisch differenzierte Untergruppen (6, 7). Als häufigste sind beim Erwachsenen das Liposarkom, das Fibrosarkom und das pleomorphe Sarkom, das früher als malignes fibröses HisDeutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 3 | 21. Januar 2011
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tiozytom bezeichnet wurde, zu nennen. Weichgewebesarkome sind nur für ein Prozent aller malignen Erkrankungen beim Erwachsenen verantwortlich (8,
e4). Die 5-Jahre-Überlebensrate liegt für Low-gradeSarkome bei 87 Prozent, für High-grade-Sarkome bei
62 Prozent (6).
Problematisch ist, dass ein langsames Wachstum
eines Tumors keinesfalls beweisend für ein benignes
Geschehen ist, auch wenn sich insgesamt nur jeder
200. Weichteiltumor als maligne erweist (e5). Subkutane Tumoren fallen meist durch Selbstpalpation auf,
wenngleich die Angaben zu Dauer und Progredienz
häufig nicht verlässlich sind. Gelegentlich wird eine
(vermeintliche) Koinzidenz zu Bagatelltraumen fehlinterpretiert (Abbildung 1). Tiefer gelegene Tumoren,
beispielsweise an typischer Lokalisation innerhalb
der Adduktorenloge des proximalen Oberschenkels,
führen selten frühzeitig zu Beschwerden. Hartnäckige therapieresistente Schwellungszustände, die länger als vier Wochen persistieren, sollten nicht
zwangsläufig als Zerrung oder ähnliches interpretiert
werden, sondern Anlass zu weiterführender Diagnostik sein (9).
GRAFIK
Biopsie und Diagnostik
Die Dignitätsbestimmung ist vor der histopathologischen Befundung auch mit bildgebenden Verfahren
nicht sicher möglich, jedoch lassen sich einige Merkmale positiv mit der späteren Diagnose eines Weichteilsarkoms korrelieren. Dazu zählen ein Durchmesser von mehr als 5 cm, Größenzunahme, Schmerzhaftigkeit der Schwellung und eine tiefe Lokalisation (9,
e6). Jede Schwellung, die eines dieser Merkmale aufweist, sollte bis zum histopathologischen Beleg des
Gegenteils als malignes Geschehen angesehen und
behandelt werden. Wenn alle diese Kriterien vorliegen, beträgt die Wahrscheinlichkeit eines malignen
Geschehens 86 Prozent (9).
Kleinere Tumoren, die lange bestehen und per klinischer Untersuchung und Ultraschall sicher subkutan (also epifaszial) lokalisiert sind, können zunächst
einer Exzisionsbiopsie zugeführt werden. Dieser Terminus beschreibt die vollständige Exzision eines Tumors mit einem knappen Sicherheitsabstand. Dieses
Vorgehen erfordert zunächst präoperativ keine weitere Bildgebung. Immerhin 25 Prozent aller Weichgewebesarkome sind bei der Diagnose kleiner als 3 cm
und sitzen epifaszial. Falls die histopathologische
Befundung ein Sarkom ergibt, kann anschließend
meist problemlos eine weite Nachresektion ohne
prognostischen Nachteil erfolgen. In 60 Prozent dieser Fälle lassen sich im Nachresektat residuale Tumorzellen nachweisen (e7, e8, e9). Für subkutane Befunde, die größer als 5 cm sind, und für alle Tumoren
jedwelcher Größe mit subfaszialer Lage ist dieses
Verfahren falsch (e10).
Bei größeren und allen subfaszialen soliden
Weichteiltumoren sollten MRT-Untersuchungen mit
Kontrastmittelgabe erfolgen, die für Weichteiltumoren die höchste Aussagekraft besitzen (10). Jeder TuDeutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 3 | 21. Januar 2011
Vorschlag für einen Algorithmus zur korrekten Abfolge der diagnostischen Maßnahmen bei
einem soliden Tumor der Extremität und Übersicht über den multimodalen Behandlungsablauf
mor mit Kontrastmittelaufnahme muss bis zum Beweis des Gegenteils als maligne angesehen werden.
Hier ergibt sich gelegentlich eine weitere Fehlerquelle durch eine verharmlosende Interpretation („glatt
berandeter, benigne erscheinender Tumor“). Eine sichere Artdiagnostik von Weichteiltumoren ist im Gegensatz zu Knochentumoren durch keine Bildgebung
möglich (e11). Mancher Chirurg wird daher gelegentlich abwarten oder auch bei subfaszialer Lage fälschlicherweise eine Ausschälung ohne Sicherheitsabstand vornehmen (Abbildung 1).
Die MRT erlaubt aber eine sehr exakte dreidimensionale anatomische Analyse und eine gute Biopsie-
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Abbildung 1:
53-jährige Patientin mit einem myxoiden Liposarkom (T2b, N0, M0, G1) an der distalen
Oberschenkelinnenseite rechts.
a) In einer auswärtigen MRT-Untersuchung
war zwar ein kräftig kontrastmittelaufnehmender solider Tumor festgestellt
worden, wegen zeitlicher Koinzidenz zu
einem Trauma wurde dieser allerdings als
Hämatom in Organisation interpretiert.
b) Es erfolgte daraufhin auswärts die inadäquate Enukleation des Befundes mit inkorrekter Drainageausleitung.
c) Nach histopathologischer Diagnose
musste zur Erzielung einer R0-Situation
eine weite Nachresektion unter Mitnahme
der distalen Anteile von M. sartorius und
M. gracilis erfolgen, weil das Tumorbett
nach zuvor erfolgter Ausschälung palpatorisch nicht mehr beurteilbar war.
d) Resultat nach OP und adjuvanter Radiatio
a
b
c
planung. Ein subfaszial gelegener, kontrastmittelaufnehmender Weichteiltumor sollte einer diagnostischen Inzisionsbiopsie zugeführt werden. Dieser nur
vermeintlich triviale Eingriff sollte in der Regel offen
erfolgen und idealerweise durch den dann weiterbehandelnden Chirurgen selbst vorgenommen werden.
Hier ergeben sich durch falsche oder zu große Zugangswege und falsche Ausleitung von Drainagen
weitere Fehlerquellen, die eine spätere ideale onkochirurgische Resektion und Rekonstruktion erschweren oder unmöglich machen (2, 8).
Idealerweise erhält der Pathologe eine ausreichend
große Menge von Tumormaterial aus dem randständigen Bereich des Tumors (Pseudokapsel). Prinzipiell
sind auch Stanz-Nadelbiopsien möglich, wenn der
Pathologe mit der geringeren Menge an aussagefähigem Material arbeiten kann. Die Aspirationsbiopsie
hat eine beschränkte Aussagekraft (e12).
Die weitere Therapie nach der sicheren Diagnose
eines Weichteilsarkoms hängt vom histopathologischen Grading und vom Staging ab. Das in Europa
am weitesten verbreitete Grading-System der Fédération Nationale des Centres de Lutte Contre le Cancer
unterscheidet die Grade 1 bis 3, wobei 3 als beson-
34
d
ders maligne eingestuft wird. Die korrekte histopathologische Einordnung ist von zentraler Bedeutung
für die Wahl der Behandlung, weil einige Sarkomsubtypen deutlich von neoadjuvanten Maßnahmen profitieren, wie der primitive neuroektodermale Tumor
oder das extraossäre Ewing-Sarkom (e13). Wegen der
häufigen Diskrepanzen sollten großzügig Referenzpathologien angefordert werden (3, 11).
Staging
Zusätzlich ist in erster Linie ein Spiral-CT des Thorax indiziert, weil Weichteilsarkome in erster Linie
hämatogen in die Lunge metastasieren. Bei der Erstdiagnose weisen allerdings lediglich 10 Prozent der
Patienten lokalisierbare Lungenmetastasen auf, die
gegebenenfalls der thoraxchirurgischen Resektion
zugeführt werden können (e14). Die PositronenEmissions-Tomographie hat in der Diagnostik der
Weichteilsarkome noch keinen in Leitlinien exakt definierten Stellenwert (e15).
Das Staging erfolgt wie üblich im TNM-System,
wobei hier nicht nur die Größe, sondern auch die Lage – epi- oder subfaszial – aufgrund der prognostischen Relevanz unterschieden wird (6).
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a
b
c
Tumorboard – Planung der interdisziplinären,
multimodalen Therapie
Nach der Diagnose eines Weichteilsarkoms muss der
Patient an ein Zentrum überwiesen werden, das interdisziplinär und multimodal arbeitet. Hier sollten das
Staging komplettiert und das weitere multimodale
Vorgehen besprochen werden (7, 12). Im Folgenden
werden die allgemeinen Grundzüge der multimodalen Therapie des Weichteilsarkoms beim Erwachsenen anhand der aktuellen Leitlinien unter besonderer
Berücksichtigung der onkochirurgischen und plastisch-rekonstruktiven Maßnahmen (2, 10) dargestellt.
Resektion
Unbestritten entscheidend für die Heilung von Patienten mit Weichteilsarkomen der Extremitäten ist
die radikale chirurgische Entfernung. Bedeutete dies
früher häufig die Amputation, ist dies heute nur noch
sehr selten notwendig (13).
Zentraler Bestandteil der Behandlung und der einzige potenziell kurative Ansatz ist die onkologisch
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Abbildung 2:
27-jährige Patientin mit Fibrosarkom (T1b,
N0, M0, G3) am linken Fußrücken.
a) Auswärtige R1-Resektion
b) Im MRT zeigte sich ein kontrastmittelaufnehmendes Residuum, auswärts war die
Amputation des Unterschenkels empfohlen worden.
c) Es erfolgte die onkochirurgisch adäquate
weite Nachresektion unter Mitnahme der
Zehenstrecker und der dorsalen Fußwurzelkortikalis. Die Tibialis-anterior-Sehne
konnte aufgrund ihrer isolierten synovialen Lage erhalten werden und die durchtrennten Zehenstrecker wurden zur Vermeidung von Krallenzehen tenodesiert.
Zur Defektdeckung erfolgte der mikrochirurgische Gewebetransfer eines Fasziokutanlappens vom Oberarm. Postoperativ
wurde eine adjuvante Strahlentherapie
durchgeführt.
d) funktionelles Resultat 3 Jahre postoperativ
d
adäquate operative Entfernung des Tumors. Keine
andere (neo-)adjuvante Therapieoption kann ein Lokalrezidiv adäquat verhüten (e16). Bei inadäquater
Voroperation, meist mit marginaler Exzision, muss
zuerst geprüft werden, ob durch eine Nachoperation
ein größerer Sicherheitsabstand erzielt werden kann.
Es wurde klar gezeigt, dass die Nachoperation der alleinigen Radiatio bei R1-Resektion überlegen ist (1).
Die häufigste Resektionstechnik stellt die so genannte weite Resektion dar. Diese bezeichnet die Resektion des Tumors weit im Gesunden mit einem Sicherheitsabstand von 4 bis 5 cm zur Seite und 1 bis 2
cm zur Tiefe (14).
Bei tumorfreien anatomischen Grenzstrukturen
(Muskelfaszie, Perineurium, Adventitia großer Gefäße) ist eine Abstandsverringerung unter Mitnahme
dieser Hüllfaszien möglich. In Kombination mit adjuvanter Radiatio zeigt dieses Verfahren eine lokale
Tumorkontrolle von 95 Prozent und analoge Überlebensraten zur Amputation (12, 13). Die sogenannte
Kompartmentresektion bezeichnet die Entfernung einer gesamten Muskelgruppe vom Ursprung bis zum
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Ansatz und rechtfertigt ihre verstümmelnde Radikalität durch das häufige Auftreten von Satellitenmetastasen bei Knochentumoren. Beim Weichteilsarkom ist diese Technik nur bei sehr ausgedehnten Befunden sinnvoll (2).
Wenn große Leitungsstrukturen nah am Stamm infiltriert sind, muss gelegentlich nach wie vor amputiert werden. Die Indikation hierzu muss in Abwägung zu den potenziellen rekonstruktiven Optionen
in Bezug auf Gefäß- und Nerveninterposition getroffen werden. Auch hier können plastisch-chirurgische
Techniken wie beispielsweise sogenannte Filet-Lappen zum Erhalt eines möglichst langen Stumpfes mit
maximaler Restfunktion wertvoll sein (2, 4, 10).
Rekonstruktion
Die Rekonstruktion bezeichnet jede Maßnahme, die
über eine reine Primärnaht hinausgeht. Ziel ist immer eine möglichst ungestörte Wundheilung, die der
allgemeinen Rehabilitation, aber auch der nicht verzögerten Einleitung einer häufig notwendigen postoperativen Bestrahlung dienen soll. Zur Vermeidung
von Wundheilungsstörungen durch Primärverschluss
unter Spannung kommen hier alle Techniken der
plastischen Chirurgie zum Tragen (2, 4, 10). Insbesondere der routinemäßige Einsatz mikrochirurgischer Lappenplastiken mit vernachlässigbarer Hebedefektmorbidität ist mittlerweile ein unverzichtbarer
Bestandteil der modernen rekonstruktiven Optionen
(e17, e18). Funktionelle Rekonstruktionen wie Nerveninterponate oder klassische Muskelersatzplastiken, zum Beispiel Tibialis-posterior-Transfer zum
Ausgleich eines Fallfußes nach Resektion der Fußheber, erfolgen simultan (2).
Resektion und Rekonstruktion können meist einzeitig erfolgen, das heißt die Wiederherstellung erfolgt in gleicher Sitzung unmittelbar im Anschluss
an die onkochirurgische Resektion. Bei einer MRTgestützten Planung wird in den meisten Fällen eine
primäre R0-Situation erzielbar sein, wenn eine adäquate Resektion ohne Zurückhaltung wegen etwaiger
schwer zu verschließender Defekte erfolgt (2, 3, 10).
Diese Zurückhaltung tritt bei fehlender Kenntnis der
rekonstruktiven Möglichkeiten auf und kann bereits
in der Planung einen negativen Einfluss auf das Gesamtkonzept haben und zu einer fehlenden onkochirurgischen Radikalität führen. Insbesondere im distalen Extremitätenbereich ist ohne die ausführliche
präoperative Rekonstruktionsplanung eine adäquate
Resektion bei maximalem Funktionserhalt nicht
möglich (Abbildung 2). Aus Sicht der plastischen
Chirurgie kann die präoperative Beurteilung der Resektabilität eines Tumors nur durch einen Operateur
erfolgen, der mit allen Möglichkeiten der Rekonstruktion vertraut ist (2, 3, 10). Darüber hinaus muss
der Chirurg auch mit den Prinzipien der (neo-)adjuvanten Maßnahmen vertraut sein, um im Tumorboard interdisziplinär über den etwaigen Nutzen eines präoperativen Downstaging mitentscheiden zu
können (10).
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(Neo-)adjuvante Maßnahmen
Strahlentherapie
Seit der Arbeit von Rosenberg et al. Anfang der
1980er Jahre ist die Radiotherapie als Ergänzung zur
weiten Exzision bei allen subfaszialen und
G2/G3-Sarkomen fest etabliert (13). Mit diesem
multimodalen Regime wird eine lokale Tumorkontrolle von 95 Prozent erreicht (15). Es ist nicht sicher, ob die adjuvante Strahlentherapie das Gesamtüberleben verbessert (16, 17). In diesem Zusammenhang soll noch einmal betont werden, dass die alleinige Bestrahlung nach vorangegangener marginaler
Exzision der weiten (Nach-)Resektion unterlegen ist
(10, 18). Die Anwendungsmodalität der Radiotherapie (prä-, intra- oder postoperativ) ist nach wie vor
Gegenstand einer Kontroverse, die hier nicht vollständig dargestellt werden kann (19). Die häufigste
Anwendungsmodalität ist die postoperative Strahlentherapie in Dosen von 50 bis 60 Gy, eventuell mit
Boost bis 66 Gy (12). Argumente zugunsten einer
präoperativen Bestrahlung sind die Applikation einer
kleineren Dosis in einem kleineren Strahlenfeld, das
mögliche Verhindern einer Tumoraussaat während
der Operation und eine potenzielle Vereinfachung
des Eingriffs durch die Verkleinerung des Tumors
(19). Eine neoadjuvante Kombinationstherapie von
Radio- und Chemotherapie (MAID-Protokoll) gefolgt von Operation und postoperativer Chemotherapie mit/oder ohne Strahlentherapie ergab ein deutlich
verbessertes Gesamtüberleben im Vergleich zu einer
historischen Kontrollgruppe (20); allerdings wird die
Toxizität dieses Protokolls von anderen Autoren kritisch hinterfragt (15). O`Sullivan et al. zeigten in einer großen Serie deutlich mehr Wundheilungsstörungen bei präoperativer Radiatio im Vergleich zur postoperativen Applikation (18). Bei genauer Analyse
fällt auf, dass dies nicht auf die obere Extremität zutrifft, und dass die Spätnebenwirkungen in der neoadjuvant behandelten Gruppe signifikant seltener
sind als in der Gruppe mit adjuvanter Strahlentherapie (e19). Die rekonstruktiven Optionen mit Lappenplastiken, die einen spannungsfreien Wundverschluss gewährleisten, können hier ebenfalls einen
wichtigen Beitrag leisten (10). Die kurze Darstellung
dieser Kontroverse demonstriert erneut die Notwendigkeit der interdisziplinären Besprechung im Tumorboard.
Chemotherapie
Der Nutzen einer neoadjuvanten und/oder adjuvanten Chemotherapie bei Weichteilsarkomen wird weiterhin kontrovers diskutiert. Ausnahmen sind das
Ewing-Sarkom sowie das Rhabdomyosarkom. Bei
diesen Sarkomen kann die Hinzunahme einer neoadjuvanten und/oder adjuvanten Chemotherapie zur
Lokaltherapie das progressionsfreie Überleben verlängern und das Lokalrezidivrisiko senken. Patienten
mit Ewing-Sarkom sollten deshalb im Rahmen aktueller Studien der Euro-Ewing-Study Group therapiert werden. Bei Patienten mit Rhabdomyosarkom,
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insbesondere bei embryonalen Rhabdomyosarkomen, sollte auch bei jungen Erwachsenen eine Therapie analog pädiatrischer Protokolle erwogen werden. Bei den übrigen Weichteilsarkomen ist der Stellenwert einer neoadjuvanten oder adjuvanten Chemotherapie trotz zahlreicher Studien und Metaanalysen weiterhin nicht klar definiert. So zeigten Pervaiz
et al. in einer 2008 publizierten Metaanalyse eine
Verlängerung des Gesamtüberlebens nach einer adjuvanten Chemotherapie mit der Kombination von Doxorubicin und Ifosfamid (21). Im Gegensatz dazu
zeigten zwei EORTC-Studien keinen Vorteil einer
adjuvanten Chemotherapie mit der Kombination von
Doxorubicin und Ifosfamid hinsichtlich des Gesamtüberlebens, mit Ausnahme einer R1-Resektion (Woll
et al.: Adjuvant chemotherapy with doxorubicin and
ifosfamide in resected soft tissue sarcoma [STS]: interim analysis of a randomised phase III trial [abstract]. J Clin Oncol 2007; 25: 547s; Le Cesne et al.:
The end of adjuvant chemotherapy era with doxorubicin-based regimen in resected high-grade soft tissue sarcoma: Pooled analysis of the two STBSGEORTC phase III clinical trials [abstract]. J Clin Oncol 2008; 26: 559s). Aufgrund dieser Daten kann
deshalb keine generelle Empfehlung einer adjuvanten Chemotherapie ausgesprochen werden. Wenn
möglich, sollten deshalb Patienten in klinische Studien eingebracht werden. Außerhalb von Studien
sollte eine adjuvante Chemotherapie immer eine
Einzelfallentscheidung sein, bei der die individuellen Patienten- und Tumorcharakteristika berücksichtigt werden müssen.
In der neoadjuvanten Situation ist der Stellenwert
einer Chemotherapie ebenfalls nicht geklärt. So
konnte in einer EORTC-Studie kein Vorteil einer alleinigen neoadjuvanten Chemotherapie mit Doxorubicin und Ifosfamid im Vergleich mit einer alleinigen
Operation gezeigt werden, wobei als Kritikpunkt der
Studie die niedrige Ifosfamid-Dosis genannt werden
muss (22). Inwieweit eine zusätzliche Chemotherapie zu einer neoadjuvanten Strahlentherapie – entweder als Kombinationstherapie oder als sequenzielle Therapie – einen Nutzen bringt, ist aktuell ebenfalls noch nicht zu entscheiden. So werden in den
Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network als mögliche Therapiemodalitäten eine neoadjuvante Chemotherapie mit postoperativer Strahlentherapie, die alleinige neoadjuvante Strahlentherapie
oder die kombinierte Radiochemotherapie als
gleichwertige Alternativen angesehen. Als Indikation für eine neoadjuvante Therapie wird in der Regel
ein lokal fortgeschrittenes High-grade-Sarkom mit
einer Tumorgröße ≥ 5 cm angesehen, insbesondere
wenn eine alleinige Operation mit einer Amputation
oder massiven Funktionseinschränkung verbunden
wäre. Als interessante Therapieoption bietet sich in
dieser Situation eine regionale Hyperthermie in
Kombination mit einer Chemotherapie an, gefolgt
von lokaltherapeutischen Maßnahmen und adjuvanter Chemotherapie. So konnte in einer Phase-3-StuDeutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 3 | 21. Januar 2011
die eine Verbesserung des lokalen progressionsfreien
Überlebens als auch des krankheitsfreien Überlebens
gezeigt werden ( Issels et al.: Regional hyperthermia
improves response and survival when combined with
systemic chemotherapy in the management of locally advanced, high-grade soft tissue sarcomas of the
extremities, the body wall, and the abdomen: a phase
III randomised prospective trial [abstract]. J Clin
Oncol 2007; 25: 547se). Als weitere neoadjuvante
Therapie wäre bei primär inoperablen Extremitätensarkomen die Durchführung einer isolierten Extremitätenperfusion mit TNF-alpha, Melphalan und/
oder Interferon oder einer isolierter Extremitäteninfusion mit zum Beispiel Melphalan oder Dactinomycin zu erwägen.
Fazit
Die Autoren präsentieren auf Basis einer selektiven
Literaturaufarbeitung einen Algorithmus, der dazu
beitragen soll, Verzögerungen bei der Diagnostik zu
reduzieren sowie alle therapeutischen Möglichkeiten
auszuschöpfen. Während die Rolle der Chirurgie relativ klar definiert werden kann, sind die Optionen
der (neo-)adjuvanten Strategien hochkomplex und im
Wandel begriffen. Eine Therapie kann deshalb nur an
einer Einrichtung stattfinden, die ein multimodales,
interdisziplinäres Tumorboard für diese relativ seltene Erkrankung vorhält.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des
International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 26. 2. 2009, revidierte Fassung angenommen: 1. 3. 2010
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Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. Holger Bannasch
Abteilung Plastische und Handchirurgie
Universitätsklinikum Freiburg
Hugstetter Straße 55, 79106 Freiburg
E-Mail: [email protected]
SUMMARY
The Diagnosis and Treatment of Soft Tissue Sarcomas of the Limbs
Background: The diagnosis of soft-tissue sarcomas of the limbs is often
delayed, sometimes markedly so, even though prompt and appropriate
treatment improves survival and lowers the amputation rate.
Methods: On the basis of a selective literature review and consideration
of the relevant guidelines, we developed an algorithm that can serve as
a guide to the diagnosis of soft-tissue tumors in general and to the
treatment of soft-tissue sarcomas of the limbs.
Results: Surgical resection accompanied by multimodal therapy is the
only treatment strategy for soft-tissue sarcoma that provides a chance
of cure. Particularly when the tumor is located in the distal part of a
limb, plastic-reconstructive surgical techniques often enable adequate
local control, along with limb salvage and preservation of function. The
role of adjuvant or neo-adjuvant radiotherapy and/or chemotherapy is
currently debated. The overall survival rate at 5 years is 87% for lowgrade sarcomas and 62% for high-grade sarcomas.
Conclusion: Any solid mass of the limbs that has been present for more
than four weeks requires diagnostic evaluation. Excisional biopsy is
suitable only for epifascial lesions measuring less than 5 cm in diameter. All other lesions should be imaged with MRI and then diagnosed
with an incisional biopsy. Patients with soft tissue sarcomas must be
treated in an interdisciplinary collaboration so that they can undergo
multimodal treatment. The proposed algorithm should help avoid delays
in diagnosis and optimize treatment strategies.
Zitierweise
Bannasch H, Eisenhardt SU, Grosu A-L, Heinz J, Momeni A, Stark GB: The diagnosis and treatment of soft tissue sarcomas of the limbs. Dtsch Arztebl Int
2011; 108(3): 32–8. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0032
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit0311
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Berichtigung
In dem Beitrag „Triage in der Notfallaufnahme: Moderne evidenzbasierte Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit“ von Michael Christ et al. im Deutschen Ärzteblatt vom 17. Dezember 2010 (Heft 50) sind
2 Fehler aufgetreten. In der Grafik 2, Kasten D („Vitalzeichen in der Gefahrenzone?“) muss es in allen Zeilen
heißen „pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) < 92 %“. Im Kasten wird die Canadian
Triage and Acuity Scale vorgestellt. Bei der Angabe der Reliabilität bei Kindern ergab die ҝ-Statistik:
0,51 bis 0,72 und nicht 0,68 bis 0,89.
MWR
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 3 | 21. Januar 2011
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Diagnostik und Therapie von
Weichteilsarkomen der Extremitäten
Holger Bannasch, Steffen U. Eisenhardt, Anca-Ligia Grosu,
Jürgen Heinz, Arash Momeni, G. Björn Stark
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