Ethik und Immobilienwirtschaft Vom Eigennutz zum Gemeinwohl Jost Hieronymus Partner der Comes Real GmbH, Starnberg Mitglied der Initiative Corporate Governance der Deutschen Immobilienwirtschaft e.V. Die langfristigen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind gegenwärtig noch nicht absehbar. Das Bruttoinlandsprodukt sank im Jahr 2009 nach Schätzungen der Deutschen Bundesbank um 6,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2008. Die pro Kopf-Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden beträgt mittlerweile über 20.000 Euro, eine Hypothek, die nachfolgende Generationen abzutragen haben. Aber wo Schatten, da ist auch Licht. Hierzu gehört unter anderem die Entmythologisierung des Real Estate Investment Banking, die Rückkehr zu fundamentalen Kriterien und handwerklichen Qualitäten sowie die Chance, Ziele und Werte unseres wirtschaftlichen Handelns neu auszurichten. Die Krise zeigt uns die Schwächen einer Marktwirtschaft, die sich ihrer nationalstaatlichen Aufsicht und ihrer sozialen Selbstverpflichtung entledigt hat, die den kategorischen Imperativ Kants durch den Imperativ der Rentabilität ersetzt hat. Vertreter einer sogenannten „Me-Generation“, die soziale Skrupel als Dummheit abtaten und den persönlichen Gewinn in den Vordergrund stellten, haben sich und ihre Unternehmen auf der Jagd nach materiellem Eigennutz meilenweit vom Gemeinwohl entfernt. Der endgültige Zusammenbruch des gesellschaftlichen Gegenentwurfs gab hierzu freie Bahn. Die amerikanische Intellektuelle Susan Sonntag schrieb dazu: „Nach dem Sieg der Ideologie des Konsums leben wir jetzt in einem Zeitalter des kapitalistischen Triumphalismus, in dem das eigensüchtige Handeln in einem bisher ungeahnten Ausmaß den meisten Leuten völlig akzeptabel, selbstverständlich und vernünftig erscheint.“1 Aber der Sieg währte nicht lang. Nach dem Konkurs des sozialistischen Wirtschaftssystems stand bald auch der globale Turbokapitalismus kurz vor der Insolvenz. Angebot und Nachfrage alleine reichen eben nicht aus, um die Zukunft zu gewinnen. Die Marktwirtschaft ist nur ein Wirtschaftssystem und kein Wertesystem, sie taugt nicht als alleinige Grundlage eines Gesellschaftsvertrages. Also fuhr der ungebremste Karren an die Wand und die Diskussion um einen Wertewandel passender wäre von Werte-Wiedereinführung die Rede - begann. Die soziale Marktwirtschaft wurde von der Politik neu entdeckt und soll nun in Parteikommissionen fortentwickelt werden. Ziel dabei muss es sein, die positiven Kräfte des Systems zu wahren und gleichzeitig seine negativen Energien zu kontrollieren. Wie kann das aussehen? 1 Susan Sontag in der Süddeutschen Zeitung vom 18./19. Juni 2003, S. 13. Blick in den Rückspiegel Für die Wirtschaft lohnt sich der Blick zurück auf die Jahre des Wirtschaftswunders, als vorwiegend private Unternehmer mit Gemeinsinn und sozialer Verantwortung Organisationen aufbauten, die sich als Gemeinschaft verstanden und der Gesellschaft verpflichtet sahen. Man blickte weit in die Zukunft, plante langfristig, pflegte alle, die mit dem Unternehmen verbunden waren: die Geschäftspartner, die Kapitalgeber, die Kunden und Lieferanten und natürlich auch seine Mitarbeiter. Diese hießen später Humankapital, wurden aber oft nicht so behandelt, sondern als beliebig austauschbarer Faktor in der Unternehmensrechnung betrachtet. Die Folge: innere Kündigungen und schlimmstenfalls der Verlust der Leistungsträger samt ihrem Wissen. Eine unverantwortliche Ausblendung der Dimension Mensch auf der Mitarbeiterebene. Bei den Managern selbst kamen oft falsche Anreizsysteme zusammen mit der Entkopplung von Macht und persönlichem Risiko. Unternehmen verkamen zu kurzatmigen Gewinn- und Kurssteigerungsmaschinen. In der Immobilienbranche regierten „opportunistische“ Strategien. Vielleicht ist es bezeichnend, welche Aufwertung und allgemeine Akzeptanz gerade der einmal negativ besetzte Begriff des „Opportunisten“ erfuhr. Das Eigentum entfernte sich vom Haus, aus Backsteinen wurden Papiere, die immer kleiner geschnitten, weiter gestreut und in neue Töpfe verrührt wurden. Natürlich kann man von den fernen Investoren am Ende einer langen Verbriefungskette nicht mehr den Bezug zur Immobilie und ihren Mietern erwarten, den der Eigentümer vor Ort hat. Die Verbindung wird bestenfalls über eine funktionierende Kette von Dienstleistern gehalten, die Immobilie ist letztlich Handelsware. Was dies für die Gebäude und ihre Städte bedeutet, wird sich erst noch im Laufe der Jahre zeigen. Die innere Beziehung zum Eigentum beschränkt sich auf den „return on investment“, wir haben es also in der Regel mit reinem Gewinnstreben zu tun. Aber auch hier kann man schon heute und künftig sicher noch mehr beobachten, wie wirtschaftliches Handeln, das seine Folgen außerhalb von Gewinnrechnung und Bilanz ignoriert, am Ende scheitert. Die Gefahr besteht durchaus, dass die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise - höhere Belastungen der Bürger bei gleichzeitiger Einschränkung der öffentlichen Leistungen - zu sozialen Spannungen und einer Krise des Gemeinwesens führen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Erosion durch Individualisierung und Singularisierung unserer Gesellschaft, das Schrumpfen von Bindungen, ob Familie oder Organisation. Das Engagement für alles, was über die eigenen unmittelbaren Interessen (bzw. die des Unternehmens) hinausgeht, hat in den Jahrzehnten wachsenden Wohlstands fraglos gelitten. Mitgliederschwund bei Kirchen, Gewerkschaften und politischen Parteien sind dafür ebenso Beweis wie die gesunkene Bereitschaft zu persönlichen Opfern für die soziale oder ökologische Umwelt. Orientierungshilfen Wir müssen, wie Klaus Schwab, der Vater des Davoser Wirtschaftsforums, sagt, gerade jetzt zu Gemeinschaftssinn und Solidarität zurückfinden. Er fordert die Rückbesinnung auf die von ihm vor nunmehr 40 Jahren entwickelte „Stakeholder-Theorie“. Diese meint nichts anderes als die oben beschriebene Berücksichtigung der Interessen aller am Unternehmen beteiligten und vom Unternehmen betroffenen Gruppen sowohl bei der Zielfindung wie im laufenden Geschäft. Stakeholder ist in diesem Sinne natürlich auch die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, also auch mit ihren ökologischen Grundlagen. Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit wären danach beispielsweise ein Gebot sozialverträglichen Wirtschaftens. Diesen Bezug gilt es wieder oder erstmals herzustellen. Leitbilder und Regelwerke können dabei helfen. So etwa die von der Initiative Corporate Governance für die Branche entwickelten „Grundsätze ordnungsgemäßer und lauterer Geschäftsführung der Immobilienwirtschaft“, der Leitfaden „WerteManagement in der Immobilienwirtschaft“ mit seinen fünf Bausteinen, das dazugehörige „Pflichtenheft zum ComplianceManagement“ und insbesondere der den sog. „Cromme Kodex“ ergänzende „Corporate Governance Kodex der deutschen Immobilienwirtschaft“ samt Ergänzungskodex für Treuhandvermögen.2 Zur Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von Immobilienunternehmen und ihrem Führungspersonal geben die genannten Dokumente noch relativ wenig her, bekennen sich jedoch grundsätzlich dazu. Im Einzelnen werden folgende Forderungen aufgestellt: • Die Geschäftsführung hat Transparenz und Fairness auch gegenüber der Öffentlichkeit zu wahren und die Prinzipien der Geschäftsethik zu definieren. • Die Grundwerte des Immobilienunternehmens sollen „mit Bezug auf die wichtigsten Interessentengruppen (mindestens Kapitalgeber, Mitarbeiter, Kunden, Gesellschaft) entwickelt werden“. • Engagement und Vorbildfunktion der Unternehmensleitung und der Führungskräfte sollen sich an ethischen Werten orientieren und in den Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie (legal, ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich) gestellt werden. • Vorstand und Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften sollen „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“ – welche das sind, wird allerdings nicht ausgeführt - „für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung sorgen.“ Hier bleibt noch vieles im Vagen und muss fortentwickelt werden. Die Grundsätze und Leitlinien geben jedoch eine gute Orientierung und – das ist das entscheidende – eine Anleitung zur Umsetzung. Denn wie die schönsten Unternehmensleitbilder nichts nützen, wenn sie nicht (von oben bis unten) akzeptiert und gelebt werden, so ist die gemeinsame Entwicklung einer Unternehmensethik ebenso wichtig wie ihre laufende Fortentwicklung und Kontrolle. Auf die Haltung kommt es an Der entscheidende Faktor aber ist die innere Haltung aller Akteure, und zwar aus Überzeugung, allen voran natürlich die der Führungskräfte, die sich neben ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch ihrer Vorbild-Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern bewusst sein müssen. 2 Hierzu wurde in früheren Ausgaben des Immobilien Jahrbuchs ausführlich berichtet (siehe im Einzelnen: 2005 S.42 ff, 2007 S.132 ff und 2009 S.156 ff). Diese Haltung wird gefördert, wenn sie von der Gesellschaft bewundert wird, wenn also das Ideal des knallharten Bosses dem des sensiblen Trainers weicht (der Trainer gewinnt das Fußballspiel auch nicht selbst, sondern durch kluge Strategie, die richtige Auf- und Einstellung der Spieler, durch Fürsorge und Motivation). Die Erfahrungen der Unternehmenssanierung zeigen, dass noch jede Unternehmenskrise zumindest auch eine Managementkrise ist, die wiederum ihre Ursache in Persönlichkeitsschwächen hat. Von der Gier ist inzwischen viel geredet worden und die Korruptionsfälle in unserer Branche bestätigen sie. Häufiger noch ist die Eitelkeit. Überschiessender Geltungstrieb und Selbstüberschätzung nach einer gewissen Erfolgsstrecke führen zu Fehleinschätzungen und -entscheidungen. Wer keinen Zweifel an sich hat, braucht keine anderen Meinungen und Perspektiven, der pflegt sein Herrschaftswissen und delegiert allenfalls Verantwortung, nicht aber Entscheidungshoheit. In der Regel fällt es solchen Alpha-Tieren auch schwer, Empathie zu entwickeln, eine Mannschaft zu bilden und für die gemeinsame Sache zu begeistern. Die menschliche Ebene wird ausgeblendet, die Vorbildwirkung ist negativ, hohe Fluktuation und Mangel an Solidarität mit dem eigenen Unternehmen sind die Folgen. Übergreifend kann man wohl sagen, dass die größte Ursache von Management-Krisen der Verlust des Maßes ist, entweder bei der persönlichen Orientierung oder bei der Wahrnehmung und beim Nehmen von Risiko.3 Es ist am Ende immer der Einzelne: • Er muss lernen, dass wir dauerhaft nur erfolgreich sein können, wo wir nützen, nicht, wo wir ausnützen. • Er muss lernen, dass fair play und sportsmanship den Gentleman ausmachen, nicht goldene Blazerknöpfe. • Er ist gefordert, die aktuelle Chance zu nutzen, die blind eigennützige Orientierung aufzugeben und seine Mitverantwortung für das gemeinsame Ganze anzunehmen. Die heutige Generation der 14-29-jährigen ist hierzu bereit, schreibt der deutsche Zukunftsforscher Prof. Dr. Horst W. Opaschowski in seinem jüngsten Buch „Wohlstand neu denken“4. Demnach nimmt diese Generation Abschied vom rein materiellen Wohlstandsbegriff und erweitert ihn um soziales Wohlbefinden. Auf dem Weg zu mehr Lebensqualität als Lebensstandard, von Maßlosigkeit hin zu einem Leben nach Maß, werden „soziale Konvois“ immer wichtiger. Hilfsbereitschaft, eine neue Kultur der Sorge um Andere, familiäre und Wahl-Lebensgemeinschaften, intensiv gepflegte Freundes- und Bekanntenkreise geben Sicherheit und Glück angesichts einer unsicheren Zukunft. Hoffen wir, dass Opaschowski recht hat und überlegen wir Älteren, wie jeder seinen kleinen Teil zu diesem Wertewandel beitragen kann. 3 mehr dazu bei: Jost Hieronymus, Zum Risiko – im Allgemeinen und Besonderen, in: Handbuch Gewerbe- und Spezialimmobilien, Rudolf Müller Verlag, 2005, S.583 ff. 4 Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, Wohlstand neu denken. Wie die nächste Generation leben wird, Gütersloher Verlagshaus 2009.