© Fotolia/Richard Villalon 68 MESSEN UND PRÜFEN Schneidfähigkeitsprüfung Ist das Messer scharf? Praxisnahe Schneidprüfung für Messerklingen Die Prüfbedingungen der genormten Schneidleistungsprüfung für Messerklingen stimmen wenig mit den realen Einsatzbedingungen von Messern überein. Auch ist die Aussagekraft der ermittelten Kennwerte unter Fachleuten umstritten. Mit einer neuen Schneidfähigkeitsprüfung könnten beide Probleme bald der Vergangenheit angehören. Samuel Zind, Peter Dültgen, Friedhelm Kowallik und Timo Koll Z ur Bestimmung der Schneidleistung von Messerklingen existiert eine standardisierte Methode, die genormte Schneidleistungsprüfung nach DIN EN ISO 8442-5 [1]. Diese Prüfung ist jedoch unter Fachleuten umstritten. Als Schneidgut sind Papierstreifenstapel vorgeschrieben, die weder in ihrer Struktur noch in ihrer Konsistenz die Eigenschaften realer Lebensmittel aufweisen. Um den Verschleiß der Messerschneide zu verstärken, sind die Papierstreifen mit Quarzsand durchsetzt. Der bei dieser Schneidleistungsprüfung erzeugte Verschleißzustand ist nicht identisch mit der Abnutzung von Messerklingen unter realen Einsatzbedin- gungen. Bei Prüfungen von Messerklingen wird grundsätzlich zwischen der Schneidfähigkeit und der Schneidhaltigkeit unterschieden. Bei der genormten Schneidleistungsprüfung werden diese Eigenschaften anhand der erzielten Schnitttiefen ermittelt. Die Initial Cut Performance (ICP), die sich aus der Summe der ersten drei Schnitt- © Carl Hanser Verlag, München QZ Qualität und Zuverlässigkeit Jahrgang 61 (2016) 5 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Schneidfähigkeitsprüfung MESSEN UND PRÜFEN tiefen ergibt, soll die Schneidfähigkeit beschreiben. Die Total Cut Card (TCC), die sich aus der Gesamtsumme aller im Test ermittelten Schnitttiefen ergibt, wird zur Beurteilung der Schneidhaltigkeit herangezogen. Weder ICP noch TCC sind in der Praxis bekannt. Auch die Aussagekraft dieser Kennwerte für den tatsächlichen Einsatz ist unter Fachleuten umstritten. Für jede Schneidaufgaben ein anderes Messer Die genormte Schneidleistungsprüfung beruht auf der Annahme, dass eine ein­ zelne definierte Schneidaufgabe mit verschleißenden Bestandteilen repräsentativ für die Schneidleistung einer Messerklinge im realen Einsatz ist. In der Praxis werden mit einer Messerklinge jedoch Schneidgüter mit unterschiedlicher Struktur und Konsistenz geschnitten (Gemüse, Fleisch usw.). Im professionellen und zunehmend auch im privaten Bereich ist es darüber hinaus üblich, für unterschiedliche Schneidaufgaben verschiedene Messer zu verwenden. Autor Marcus Wareing stellt in seinem Buch „Schneidetechniken für Küchenprofis“ eine repräsentative Bandbreite von Schneid­ aufgaben im Küchenbereich vor [2]. Neben der Beschreibung der einzelnen Schneidtechniken geht er grundsätzlich auch auf das jeweils zu verwendende Messer ein. Die einzelnen Messer werden speziell entspre- chend ihrer Anwendung konzipiert. Dabei werden Klingenform, Klingenlänge, Klingenbreite, Klingenstärke und Schliff so gewählt, dass die angedachte Schneidaufgabe am besten durchgeführt werden kann. Bei der genormten Schneidleistungsprüfung werden diese Details nicht berücksichtigt. Es werden lediglich die Anforderungen für zwei Messertypen definiert: Klingen mit glattem Schliff und Klingen mit Wellenschliff. Produktionsfehler aufspüren liegt in der Verfahren zur Schneidleistungsprüfung entwickelt Vor diesem Hintergrund wurde bei der ­Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe e. V. (FGW) ein neues, praxistaugliches Verfahren zur Schneidleistungsprüfung für Messerklingen entwickelt, ein dazugehöriger Prüfstand gebaut und wissenschaftliche Untersuchungen zur Absicherung der erzielten Ergebnisse durchgeführt. Ziel der Forschungsarbeiten war es, eine objektive Bestimmung der praxisgerechten Schneidfähigkeit von handgeführten Messerklingen zu entwickeln und zu etablieren. Prinzipiell ist jede Schneidaufgabe einzigartig. Ähnlich wie die Korrosions- oder die Verschleißbeständigkeit ist die Schneidleistung einer Messerklinge eine System­ eigenschaft. Wird ein einzelner Parameter des Systems verändert, verändert sich ››› Bild 1. Schneidfähigkeitsprüfstand: Der Prüfstand besteht aus Kraftmessgerät, Lineartisch und externer Steuerung. (© FGW) QZ Qualität und Zuverlässigkeit Jahrgang 61 (2016) 5 www.qz-online.de © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. 70 MESSEN UND PRÜFEN Schneidfähigkeitsprüfung INFORMATION & SERVICE PROJEKT Das IGF-Forschungsvorhaben „Entwicklung einer praxisnahen und objektiven Schneidfähigkeitsprüfmethode für Messerklingen zur Zubereitung von Speisen“ IGF 17525 N der Forschungsvereinigung Werkzeuge und Werkstoffe wurde über die Arbeitsgemeinschaft industrieller ­Forschungsvereinigungen „Otto von ­Guericke“ e. V. (AiF) im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Bundestags finanziell gefördert. LITERATUR 1 DIN EN ISO 8442-5: Werkstoffe und ­ egenstände in Kontakt mit LebensmitG teln – Schneidwaren und Tafelgeräte – Teil 5: Festlegung der Schneidfähigkeit und Prüfung der Kantenbeständigkeit. Dezember 2004 2 Wareing, M.; Hill, S.; Trotter, C.; Hall, L.: Schneidetechniken der Küchenprofis. Dorling Kindersley Verlag, München 2009 3 Zind, S.: Entwicklung einer praxisnahen und objektiven Schneidfähigkeitsprüfmethode für Messerklingen zur Zubereitung von Speisen. Forschungsbericht: IGF 17525 N; FGW e. V., Remscheid 2015 das komplette System. Schneidsysteme bestehen im Allgemeinen aus vier Bestand­ teilen: dem Schneidgut, dem Messer, der Schnittbewegung und der Umgebung. Werden Schneidfähigkeits- oder Schneidhaltigkeitskennwerte für ein Schneidsystem ermittelt, so sind diese allein für die­ ses Schneidsystem gültig. Ein einzelnes Schneidsystem kann somit nicht für alle Schneidsysteme repräsentativ sein. Die neu entwickelte Schneidleistungsprüfung beschränkt sich auf die Bestimmung der Schneidfähigkeit von Messerklingen. Die Entwicklung einer praxisgerechten Schneidhaltigkeitsprüfung erfordert umfangreichere Untersuchungen zum Verschleißverhalten von Messerklingen, die in nachfolgenden Forschungsvorhaben durchgeführt werden sollen. Schneidfähigkeitsprüfstand basiert auf Kraftmessgerät Bei der Schneidfähigkeitsprüfung wird grundsätzlich zwischen der reinen Druckschneidfähigkeit und der Zugschneidfähigkeit unterschieden. Die Druckschneidfähigkeit wird bei einer einachsigen Schnittbewegung bestimmt. Bei der Zugschneidfähigkeit dagegen wird diese von einer zweiten, lateralen Bewegung überlagert, sodass eine Schnittbewegung entsteht, die der üblichen Hubbewegung beim hand­ Die Suche nach passenden Referenzschneidgütern erwies sich bei der Projekt- A1 AUTOREN A2 Käsestück (frisch) Salamistück (ohne Hülle) B1 Tomaten Kiwis Kartoffelwürfel B2 Salamistück (mit Hülle) Gelatinewurst B3 A3 Kartoffeln KONTAKT A4 Dipl.-Ing. Samuel Zind T 02191 5921-0 [email protected] Diesen Beitrag finden Sie online: www.qz-online.de/1300277 Schwierige Suche nach Referenzschneidgut Kuchen Gurken Dipl.-Ing. Samuel Zind, geb. 1975, arbeitet seit 2001 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugforschung und Werkstoffe der Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe e. V. (FGW) in Remscheid. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Peter Dültgen, geb. 1975, leitet die FGW seit 2006. Friedhelm Kowallik, geb. 1952, ist seit 2008 Techniker bei der FGW. Timo Koll, geb. 1989, ist seit Anfang 2015 Techniker bei der FGW. QZ-ARCHIV geführten Schneiden mit Messern ähnelt. Damit die ermittelten Kenngrößen auch für Laien nachvollziehbar sind, wurde beschlossen, die beim Schneiden entstehenden Kräfte als Grundlage für die Schneid­ fähigkeitsmessung zu verwenden. Der neue Schneidfähigkeitsprüfstand basiert deshalb auf einem einsäuligen Kraftmessgerät. Um die laterale Bewegung zu realisieren, wurde die Maschine zusätzlich mit einem Lineartisch ausgestattet (Bild 1). Für die Fixierung der Messerklingen und des Schneidguts wurden spezielle Halterungen konzipiert und gebaut. Mit dem Prüfstand werden Kraft-Weg-Diagramme während der Schnittbewegung aufgenommen und anschließend analysiert. Es wurde festgestellt, dass je nach Schnittart (Druckschnitt oder Zugschnitt), Lebensmittelstruktur, Konsistenz und Abnutzung der Messerschneide unterschiedliche, aber charakteristische Kurvenverläufe hervorgerufen werden (Bild 2). Auch wurde beobachtet, dass mit zunehmendem Verschleiß die benötigte Kraft, um eine bestimmte Schneidarbeit zu verrichten, ebenfalls zunimmt. Möhren Schnittkäsestück (reif) Fleischwurststück (mit Hülle) C1 Zwiebeln Schalotten © QZ Qualität und Zuverlässigkeit Bild 2. Schneidfähigkeitstest: Typische Kraft-Weg-Verläufe im Druckschnitt für verschiedene Lebensmittel (Quelle: FGW) © Carl Hanser Verlag, München QZ Qualität und Zuverlässigkeit Jahrgang 61 (2016) 5 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.