- 17 Die Frage ist hier also: Für welche x ∈ R gilt x2 − 2 = 2x + 1 ? Das ist eine quadratische Gleichung für x . Es gilt x2 − 2 = 2x + 1 ⇐⇒ x2 − 2x − 3 = 0 , und man kann quadratische Ergänzung machen: 2 2 2 2 2 ... ⇐⇒ x − 2x + = 3+ 2 2 2 ⇐⇒ x − 2x + 1 = 4 ⇐⇒ (x − 1)2 = 22 ⇐⇒ (x − 1)2 − 22 = 0 ⇐⇒ ((x − 1) − 2) · ((x − 1) + 2) = 0 ⇐⇒ x − 1 = 2 ∨ x − 1 = −2 ⇐⇒ x = 3 ∨ x = −1 Welche Eigenschaften der reellen Zahlen haben Sie dabei benutzt ? (4.2) Allgemeine Formulierung : “Die Lösung x einer Gleichung” zu finden, ist folgendes Problem: Gegeben Sei eine Funktion f : R −→ R , dann suchen wir ein x ∈ R mit f (x) = 0 . Je nachdem, wie f aussieht, unterscheidet man verschiedene Arten von Gleichungen: (4.3) Lineare Gleichungen : Sei f : R −→ R , f (x) := ax + b mit gegebenen a, b ∈ R , dann heißt f (x) = 0 bzw. ax + b = 0 eine lineare Gleichung. Ob und wie man eine Lösung bekommt, kann man sich graphisch veranschaulichen: a) Ist a 6= 0 , so ist G := { (x, y) ∈ R × R | y = ax + b } eine Gerade, mit einer “Steigung” a 6= 0 : y 6 r b - x Es gibt genau ein x ∈ R mit ax + b = 0 , denn es gilt ax + b = 0 ⇐⇒ 18 ax = −b ⇐⇒ x = − b a . Für a = 0 geht das natürlich nicht: b) Für a = 0 , b 6= 0 ist G = { (x, y) ∈ R2 | y = b } eine zur x−Achse parallele Gerade, aber nicht die x−Achse selber. y 6 r G b - x G hat keinen Schnittpunkt mit der x−Achse, die Menge { x∈R | 0·x+b = 0 } ist leer, es gibt keine Lösung. c) Für a = 0 und b = 0 hat ax + b = 0 , also 0 = 0 , jedes x ∈ R als Lösung, die Menge { x∈R | 0·x+0 = 0 } ist ganz R . Insgesamt : ax + b = 0 mit a, b ∈ R hat genau eine Lösung, falls a 6= 0 keine Lösung, falls a = 0 und b 6= 0 jedes x ∈ R als Lösung, falls a = b = 0 ist. (4.4) Quadratische Gleichungen : Eine Gleichung der Form ax2 + bx + c = 0 mit a, b, c ∈ R heißt eine quadratische Gleichung . Dabei können wir a 6= 0 annehmen, denn bx + c = 0 ist eine lineare Gleichung, und die haben wir in (4.3) schon behandelt. Für f (x) := ax2 + bx + c mit a 6= 0 gilt dann f (x) = 0 und wenn wir p := ⇐⇒ c b x2 + x + = 0 , a a b c , q := setzen, haben wir die Gleichung a a x2 + p x + q = 0 . - 19 - Das ist gleichbedeutend mit p 2 p 2 x2 + p x + = − q , also mit 2 2 p 2 p 2 x+ = −q . 2 2 p 2 p 2 Für − q < 0 erhalten wir keine Lösung in R , aber für −q ≥ 0 2 2 ist das gleichbedeutend mit r p 2 p x+ = ± − q , also mit 2 2 (1) p x = − ± 2 r p 2 2 −q Als Lösungsmenge L := { x ∈ R | x2 + p x + q = 0 } erhalten wir also ) r r ( p 2 2 2 p p p p + − q , − − − q , falls − q > 0, − 2 2 2 2 2 n po p 2 L = − , falls − q = 0, 2 2 2 p ∅ , falls −q <0 2 ist. Die Formel (1) heißt auch p, q−Formel . b c Setzt man wieder für p und für q ein, so erhält man a a (2) x1,2 = −b ± √ b2 − 4ac 2a als Lösungen von ax2 + bx + c = 0 . Eine der beiden Formeln (1) oder (2) sollten Sie auf jeden Fall kennen, auch wenn Sie mitternachts aus dem Schlaf gerissen werden. (2) heißt daher Mitternachtsformel. (Es gibt schon noch ein paar mehr Formeln, die Sie auf jeden Fall auswendig können müssen.) Dass es für die Lösungsmenge L von x2 + p x + q = 0 drei Möglichkeiten gibt, sieht man, wenn man { (x, y) ∈ R2 | y = x2 + p x + q } zeichnet : - y 20 - 6 x p p2 S = − ,− + q 2 4 - r Im Punkt S hat f (x) := x2 + p x + q ein Minimum, und je nachdem, ob p2 − q > 0 , = 0 oder < 0 ist, hat f zwei, eine oder keine Nullstelle. 4 (4.5) Betragsgleichungen : Für reelle Zahlen a definiert man den Betrag von a durch a für a ≥ 0 |a| := −a für a < 0 ist. Damit kann man Funktionen wie f : R −→ R , f (x) := |x2 − 1| definieren: y 6 1 - −1 x 1 Es gilt dann f (x) = x2 − 1, falls x ≤ −1 oder x ≥ 1 ist, 1 − x2 , falls −1 < x < 1 ist. - 21 - Bei der Lösung von Gleichungen muss man also Fallunterscheidungen machen: (4.6) Beispiel : Gesucht sind die Lösungen x von |x2 − 1| = x . Wie wir gesehen haben, müssen wir zwei Fälle unterscheiden: Ist |x| ≥ 1 , so ist |x2 − 1| = x2 − 1 , wir suchen x ∈ R mit x2 − 1 = x und |x| ≥ 1 , also x2 − x − 1 = 0 und |x| ≥ 1 , das ergibt r √ 1 1 5 1 +1 = ± ∧ |x| ≥ 1 . x = ± 2 4 2 1 √ √ 1 − √5 5−1 9−1 3−1 Nun ist < = = 1 , also haben wir = 2 2 2 2 √ 1 + √5 1 + √4 3 1+ 5 (wegen = ≥ 1 ) nur x1 := als Lösung. Ist > 2 2 2 2 |x| < 1 , so ist |x2 − 1| = 1 − x2 , wir suchen x ∈ R mit 1 − x2 = x und |x| < 1 , also x2 + x − 1 = 0 und |x| < 1 , also r √ 1 1 1 5 x = − ± +1 = − ± und |x| < 1 . 2 4 2 2 √ √ √ − 5 − 1 5+1 4+1 3 Nun ist < = < 1 , also haben wir nur = 2 2 2 2 √ √ 5 5−1 1 = als Lösung (überzeugen Sie sich davon, dass x2 := − + 2 2 2 |x2 | < 1 ist !). Insgesamt ist (√ ) 5±1 L = die Lösungsmenge von |x2 − 1| = x . 2 (4.7) Gleichungssysteme: Manchmal sucht man Zahlen, die gleichzeitig Lösungen mehrerer Gleichungen sind, also von Gleichungssystemen. Beispiele: a) Wir suchen die Paare (x, y) ∈ R2 mit x − 2y = 1 (1) 3x + 4y = 3 Das sind zwei lineare Gleichungen mit zwei Unbekannten. Geometrisch sind das die Gleichungen zweier Geraden, und der Punkt (x, y) , der beide Gleichungen erfüllt, ist der Schnittpunkt. Zum Lösen addieren wir das (−3)−fache - 22 - der 1. zur 2. Gleichung Da wir dann wieder das 3−fache der 1. zur 2.Gleichung addieren könnten, ist das eine Äquivalenzumformung, ändert also nichts am Ergebnis: x − 2y = 1 0 (1 ) 10y = 0 also y = 0 , x = 1 , und (1, 0) ist der Schnittpunkt der beiden Geraden. b) Wir suchen die (x, y) ∈ R2 mit 2x − 6y = 4 (2) −3x + 9y = −6 3 und stellen fest: Wenn wir das −fache der 1.Gleichung zur 2. addieren, 2 erhalten wir 2x − 6y = 4 0 (2 ) 0 = 0 und alle Punkte auf der Geraden 2x − 6y = 4 sind Lösungen. Der Unterschied zu a) ist: Für die “Vektoren” (2, −6, 4) und (−3, 9 − 6) gilt 3 · (2, −6, 4) + 2 · (−3, 9, 6) = (0, 0, 0) , man sagt: Das Paar ((2, −6, 4) , (−3, 9, −6)) ist linear abhängig.Wir werden darauf in §5 noch eingehen. (4.8) Gleichungen vom Grad ≥ 3: Definition : Sei n ∈ N0 . Die Funktion f : R −→ R heißt (polynomiell) vom Grad n , wenn es a0 , . . . , an ∈ R gibt mit an 6= 0 und ∀ x ∈ R : f (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 . Für n = 3 und n = 4 gibt es Lösungsformeln für f (x) = 0 , die aber so kompliziert sind, dass man sie heutzutage nicht mehr lernt, weil man die Lösungen schnell mit beliebig vorgegebener Genauigkeit auf dem Computer berechnen kann. Für n ≥ 5 kann man beweisen: Es gibt keine für alle Fälle gültigen Lösungsformeln. (4.9) Biquadratische Gleichungen haben die Form f (x) = 0 mit ∀ x ∈ R : f (x) = ax4 + bx2 + c , es sind also Gleichungen 4.Grades, in denen aber x und x3 nicht vorkommen. Man löst sie, indem man z := x2 setzt und dann z ∈ R mit az 2 + bz + c = 0 bestimmt. Hat man dann eine Lösung z mit z ≥ 0 , so kann man x aus z = x2 berechnen. So erhält man insgesamt 0, 1, 2, 3 oder 4 Lösungen. - 23 - (4.10) Beispiel : Gesucht sind die Lösungen x ∈ R von x4 − 3x2 = 4 . Lösung: Für z := x2 ergibt sich z 2 − 3z − 4 = 0 , also r √ 3 3± 5 9 z = ± +4 = , 2 4 2 x2 = z ∈ {4, −1} . also x2 = −1 kann für x ∈ R nicht gelten, also x2 = 4 , x ∈ {±2} . 2 Hier hat man also 2 Lösungen. Hat man Gleichungen, die nicht von der beschriebenen Form sind, so kann man versuchen, sie auf eine Form zu bringen, die man lösen kann: (4.11) Beispiel: Gesucht sind die x ∈ R mit √ √ √ x + 2 + x + 3 − 3x = 0 . Ehe man quadriert, sollte man so umstellen, dass sich nach dem Quadrieren die Anzahl der Wurzeln verringert: √ √ √ x + 2 + x + 3 = 3x p =⇒ x + 2 + x + 3 + 2 (x √ + 2)(x + 3) = 3x =⇒ 2 x2 + 5x + 6 = x − 5 =⇒ 4(x2 + 5x + 6) = x2 − 10x + 25 ⇐⇒ 3x2 + 30x − 1 = 0 1 ⇐⇒ x2 + 10x − = 0 3 √ 228 ⇐⇒ x1,2 = −5 ± . 3 √ √ 15 228 225 Es ist x1 = −5 > −5 = − 5 = 0 , x2 < 0 . 3 3 3 Beachten Sie dabei: Quadrieren ist keine Äquivalenzumformung, es gilt nur: a = b =⇒ a2 = b2 . Man muss also die Probe machen und sehen, ob das √ gefundene x tatsächlich eine Lösung ist. Hier ist nur x1 nichtnegativ, 3x2 ist nicht definiert, wir haben nur eine Lösung. (4.12) Rechnen mit Ungleichungen : In der Analysis lernt man: Für reelle Zahlen ist eine Anordnung “ < ” definiert, mit folgenden Regeln: (A1) Für jedes a ∈ R gilt genau eine der drei Aussagen 0<a , a = 0 , a<0 , (A2) ∀ a, b ∈ R : (0 < a ∧ 0 < b =⇒ 0 < a+b ) , (A3) ∀ a, b ∈ R : (0 < a ∧ 0 < b =⇒ 0 < a·b ) . - 24 - Man definiert : a<b a≤b 0<b−a , :⇐⇒ :⇐⇒ b>a (a < b ∨ a = b) , :⇐⇒ b≥a a<b , :⇐⇒ a≤b und kann dann folgende Regeln für das Rechnen mit Ungleichungen beweisen, die man sich merken muss: Für alle a, b, c ∈ R gilt (1) (2) falls c > 0 ist: (3) falls c < 0 ist: (4) falls a, b > 0 sind: ⇐⇒ ⇐⇒ ⇐⇒ ⇐⇒ a<b a<b a<b a<b a+c<b+c ac < bc ac > √ bc √ a< b (4.13) Beispiel : Gesucht ist die Lösungsmenge L von 5 + 2x < −2 . 2 + 3x (1) Zur Lösung müssen wir eine Fallunterscheidung machen: a) Ist 2 + 3x > 0 , so ist (1) ⇐⇒ 5+2x < −2·(2+3x) ∧ 2+3x > 0 ⇐⇒ 8x < −9 ∧ 3x > −2 9 2 ⇐⇒ x < − ∧ x > − , 8 3 2 9 aber wegen − > − gibt es solche x nicht : 3 8 r − 9 8 r r −1 − 2 3 b) Ist 2 + 3x < 0 so ist (1) ⇐⇒ ⇐⇒ 5+2x > −2·(2+3x) ∧ 2+3x < 0 8x > −9 ∧ 3x < −2 9 2 ⇐⇒ x > − ∧ x < − , 8 3 9 2 also ist L = { x ∈ R | − < x < − } . 8 3 Bemerkung 4.14 : Es ist wichtig zu wissen,dass man sich die Lösungsmenge von Ungleichungen im R2 anschaulich machen kann: G := { (x, y) ∈ R2 | y = 2x + 1 } ist eine Gerade, L := { (x, y) ∈ R2 | y ≤ 2x + 1 } besteht aus den Punkten auf und unterhalb der Geraden: y 25 - G 6 L x (4.15) Beispiel : Veranschaulichen Sie die Menge L := { (x, y) ∈ R2 | |x| + |y| < 1 } . Lösung: Man muss für x und y Fallunterscheidungen machen: a) Ist x ≥ 0 und y ≥ 0 ( “1.Quadrant”) , so gilt |x| + |y| < 1 ⇐⇒ x+y <1 ⇐⇒ y <1−x : y 6 @ @ @ 1 @r @ @ @ @ @ @ @ @ r @ 1 @ @ x b) Entsprechend erhält man für x < 0 ∧ y ≥ 0 : (x ∈ L ⇐⇒ y < 1 + x) , x ≥ 0 ∧ y < 0 : (x ∈ L ⇐⇒ y > x − 1) , x < 0 ∧ y < 0 : (x ∈ L ⇐⇒ y > −1 − x) , - 26 - und insgesamt sieht L so aus : y 6 1 r@ @ @ @ @ @ @ @ @r r @ @ 1 @ @ L @ @ @ @ @r - x (4.16) Weitere Aufgaben: M := { (x, y) ∈ R2 | y < 2x + 3 ∧ y > x2 } . (x, y) ∈ R2 | y > |x − 3| ∧ y < −|x − 3| + 2 } . (x, y) ∈ R2 | |x| ≤ 1 ∧ |y| ≤ 1 } . (x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 ≤ 1 } . x2 y 2 (5) Zeichne für a, b, c ∈ R : E := { (x, y) ∈ R2 | 2 + 2 = c2 } . a b (6) Durch welche Ungleichung wird die Kreisscheibe mit Mittelpunkt (3, 5) und Radius 2 beschrieben ? (1) (2) (3) (4) Veranschauliche Zeichne L := { Zeichne L := { Zeichne L := { §5 Der Rn als euklidischer Vektorraum Definition 5.1 : Sei n ∈ N . Dann besteht Rn aus den n−tupeln (x1 , . . . , xn ) mit x1 , . . . , xn ∈ R . Wie bei Paaren definiert man für (x1 , . . . , xn ) , (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn : (x1 , . . . , xn ) = (y1 , . . . , yn ) :⇐⇒ ∀ j ∈ {1, . . . , n} : xj = yj . Definition 5.2 : Man kann Elemente von Rn addieren : (x1 , . . . xn ) + (y1 , . . . , yn ) := (x1 + y1 , . . . , xn + yn ) , und von links mit einem λ ∈ R multiplizieren : λ (x1 , . . . , xn ) := (λx1 , . . . , λxn ) , für x1 , . . . , xn , y1 , . . . , yn ∈ R . Wir nennen die Elemente von Rn Vektoren und die Zahlen aus R Skalare . Für n = 2 und n = 3 kann man sich - 27 - diese Rechenoperationen veranschaulichen: Im R2 : x2 x+y 7 6 y > x x2 6 > λx > x - x1 - Noch zur Schreibweise: Man hat die reelle Zahl 0 , und 0 := (0, . . . , 0) ∈ Rn , wir schreiben für beide Elemente dasselbe Zeichen. Zu x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn −x := (−x1 , . . . , −xn ) ∈ Rn hat man , dafür gilt x + (−x) = 0 . n Für x, y ∈ R schreiben wir kurz x − y := x + (−y) . Bemerkung 5.3 : Sie werden es in der Linearen Algebra lernen: Rn mit + und der Skalarmultiplikation ist ein R−Vektorraum. Aber man hat für Vektoren im Rn noch eine weitere Rechenoperation: Definition 5.4 : Für x = (x1 , . . . , xn ) , y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn < x, y > := nennen wir x1 y1 + . . . + xn yn das kanonische Skalarprodukt von x und y . Man hat also die Abbildung < , > : Rn × Rn −→ R , (x, y) 7−→ < x, y > , d.h. zwei Vektoren x, y ∈ Rn wird der Skalar < x, y >∈ R zugeordnet. Behauptung 5.5 : Für alle x, x0 , y ∈ Rn , λ ∈ R gilt < x + x0 , y < λx, y (S2) < x, y (S3) < x, x > ≥ (S1) > = < x, y > + < x0 , y > , > = λ < x, y > , > = < y, x > , 0 ∧ (x 6= 0 =⇒ < x, x > > 0) . x1 - 28 - Beweisen kann man diese Aussagen direkt mit der Definition. Zum Beweis von (S3) braucht man noch die Anordnungsaxiome (A1) - (A3) aus (4.12). 2 Wegen (S3) ist die folgende Definition sinnvoll: Definition 5.6 : Für x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn nennen wir q √ kxk := < x, x > = x21 + . . . + x2n 2 die Norm ( Länge ) von x . Den Winkel zwischen zwei Vektoren wollen wir jetzt nicht definieren, dazu fehlen uns Kenntnisse aus der Analysis. Aber wir können definieren, wann zwei Vektoren aufeinander “senkrecht” stehen: Definition 5.7 : Seien x, y ∈ Rn . Wir sagen, x und y stehen senkrecht aufeinander, oder: x und y sind zueinander orthogonal , in Zeichen: x⊥y , wenn gilt < x, y > = 0 . 2 Ganz einfach zu beweisen (aber letztlich nur eine Folge davon, dass wir unsere Definitionen passend gewählt haben) ist Satz 5.8 (Pythagoras) : Seien x, y ∈ Rn , x⊥y , dann gilt kxk2 + kyk2 = kx − yk2 y H 6H HH H HH H x−y HH H HH H H HH j - x Beweis : kx − yk2 5.6 5.5 = < x − y, x − y > = < x, x − y > − < y, x − y > 5.5 = < x, x > − < x, y > − < y, x > + < y, y > 5.7 = < x, x > + < y, y > = kxk2 + kyk2 . 2 Definition 5.9 : Sei n ∈ N und seien p, a ∈ Rn , a 6= 0 . Dann heißt die Menge Gp,a := { p + λa | λ ∈ R } die Gerade durch p , mit der Richtung a . Die Schreibweise Gp,a für eine Gerade heißt eine Parameterdarstellung für diese Gerade. Bemerkung 5.10 : p und a sind bei dieser Schreibweise nicht eindeutig bestimmt. Man überlege sich: Für p, q, a, b ∈ Rn , a, b 6= 0 , gilt Gp,a = Gq,b ⇐⇒ q ∈ Gp,a ∧ ∃ µ ∈ R \ {0} : b = µ a . 2 Man kann mit dieser Parameterdarstellung durchaus rechnen, z.B. kann man Schnittpunkte ausrechnen, wenn sie existieren. Im R2 kann man Geraden auch anders, als Lösungsmenge einer linearen Gleichung, angeben: - 29 - Satz 5.11 : Seien p, a ∈ R2 , a = (a1 , a2 ) 6= 0 , c := (−a2 , a1 ) und α := < p, c > , dann ist Gp,a = Hc,α mit Hc,α := { x ∈ R2 | < c, x > = α } . Statt < c, x > = α kann man ausführlicher c1 x 1 + c2 x 2 = α schreiben, deshalb heißt Hc,α auch eine Gleichungsdarstellung dieser Geraden. Beweis : 1) Sei x ∈ Gp,a , dann folgt ∃ λ ∈ R : x = p + λa , also für c = (−a2 , a1 ) : < c, x > = < (−a2 , a1 ) , p + λa > = < (−a2 , a1 ), p > + λ < (−a2 , a1 ), (a1 , a2 ) > = < p, c > +λ (−a2 a1 + a1 a2 ) = α , also ist x ∈ Hc,α . 2) Sei x ∈ Hc,α , also < c, x > = α mit α = < p, c > , dann gilt < c, x > − < p, c > = 0 , also < x − p, (−a2 , a1 ) > = 0 , und wenn wir y := x − p setzen, y = (y1 , y2 ) : (∗) − a2 y1 + a1 y2 = 0 . y1 : Ist nun a1 6= 0 , so erhalten wir mit λ := a1 y1 y1 = λ a1 ∧ y2 = a2 = λ a2 , also y = λ a , a1 und ist a1 = 0 , so ist wegen a 6= 0 : a2 6= 0 , aus (∗) folgt y1 = 0 , also y = (0, y2 ) = y2 y2 (0, a2 ) = λ a mit λ := a2 a2 in jedem Fall: Es gibt ein λ ∈ R mit x − p = y = λa , x = p + λa , also x ∈ Gp,a . , 2 Im R3 (und im Rn mit n ≥ 3 ) gilt der Satz nicht mehr, eine Gerade ist niemals die Lösungsmenge zu einer linearen Gleichung. - 30 - Bemerkung 5.12 : Im R3 seien drei Vektoren p, a, b gegeben, wie kann man sich die Menge Ep,a,b := { p + λ a + µ b | λ , µ ∈ R } veranschaulichen ? a) Für a = b = 0 ist Ep,a,b = {p} die Menge mit dem einen Element p. b) Für a 6= 0 , b = 0 ist Ep,a,b = { p + λ a | λ ∈ R } nach Definition 5.9 eine Gerade, ebenso für a = 0 , b 6= 0 . c) Im Fall a 6= 0 , b 6= 0 kann es sein, dass gilt: ∃ γ ∈ R : b = γa , dann ist Ep,a,b = { p + λa + µγa | λ, µ ∈ R } = { p + (λ + µγ)a | λ, µ ∈ R } ⊂ Gp,a , sogar Gp,a = Ep,a,b denn für λ ∈ R ist p + λa = p + λa + 0b ∈ Ep,a,b , . Ebenso gilt: Sind a, b 6= 0 und ∃ δ ∈ R : a = δ b , so ist Ep,a,b = Gp,b . Jedenfalls: In den Fällen a) - c) ist Ep,a,b ein Punkt oder eine Gerade. Die Voraussetzung für die Fälle a) -c) kann man allgemein formulieren als ∃ (λ, µ) ∈ R2 \ {0} : λ a + µ b = 0 . Das Paar (a, b) heißt in diesem Fall linear abhängig: Definition 5.13 : Seien a, b ∈ Rn . Das Paar (a, b) heißt linear unabhängig, wenn gilt ∀ (λ, µ) ∈ R2 : (λ a + µb = 0 =⇒ λ = µ = 0) . - 31 - Folgerung 5.14 : (1) Für zwei Vektoren a, b ∈ Rn gilt also: (a, b) ist linear abhängig ⇐⇒ ∃ (λ, µ) ∈ R2 : (λ a + µ b = 0 ∧ (λ, µ) 6= (0, 0)) µ ⇐⇒ ∃ (λ, µ) ∈ R2 : (λ 6= 0 ∧ a = − b) λ λ ∨ ∃ (λ, µ) ∈ R2 : (µ 6= 0 ∧ b = − a) , µ (a, b) ist also genau dann linear abhängig, wenn a ein Vielfaches von b oder b ein Vielfaches von a ist. (2) Dass (a, b) linear unabhängig ist, bedeutet nach (1) also, dass a und b verschiedene Richtungen haben, und { λa + µb | λ , µ ∈ R } ist die von a und b “aufgespannte” Ebene durch den Nullpunkt: x2 a 6 * b - x1 Definition 5.15 : Seien p, a, b ∈ Rn , a und b seien linear unabhängig. Dann heißt Ep,a,b = { p + λa + µb | λ, µ ∈ R } die von den Vektoren a und b aufgespannte Ebene durch p . Im R3 kann man sich Ep,a,b vorstellen: x3 @ @@ @@@ @ @@@ b @ @@@@ @ @ @ @ @ @ @@ @@@@ * a@ @ @ @ @ @ @@ @ @ @ @ p@ @ 1 6 x2 x1 Ep,a,b heißt die Parameterdarstellung der Ebene. Man kann sich überlegen, dass eine Ebene im R3 die Lösungsmenge einer Gleichung < x, c > = α mit einem c ∈ R3 \ {0} ist. 2 - 32 - Uns geht es hier um den Begriff der linearen Unabhängigkeit, man kann die Definition 5.13 verallgemeinern: Definition 5.16 : Seien v1 , . . . , vk ∈ Rn , k, n ∈ N . Dann heißt das k−tupel (v1 , . . . , vk ) linear unabhängig , wenn gilt: ∀ (λ1 , . . . , λk ) ∈ Rk : (λ1 v1 +. . .+λk vk = 0 =⇒ ∀ j ∈ {1, . . . , k} : λj = 0) . (5.17) Beispiele : a) Im R3 sei v1 := (1, 0, −1) , v2 := (1, −1, 2) , v3 := (2, 1, 1) , dann ist (v1 , v2 , v3 ) linear unabhängig, denn aus λ1 v1 + λ2 v2 + λ3 v3 = 0 folgt (1) 1 · λ1 +1 · λ2 +2 · λ3 −1 · λ2 +1 · λ3 −1 · λ1 +2 · λ2 +1 · λ3 = 0 = 0 = 0 , und wenn wir die 1. zur 3. Gleichung addieren: λ1 +λ2 +2λ3 = 0 −λ2 +λ3 = 0 (10 ) 3λ2 +3λ3 = 0 Nun addieren wir das 3-fache der 2. zur 3. Gleichung : λ1 +λ2 +2λ3 = 0 −λ2 +λ3 = 0 (100 ) , 6λ3 = 0 woraus nacheinander λ3 = 0 , λ2 = 0 , λ1 = 0 folgt. b) Im R3 sei v1 := (2, −1, 3) , v2 := (−1, 1, 2) , v3 := (4, −3, −1) . λ1 v1 + λ2 v2 + λ3 v3 = 0 ist gleichbedeutend mit 2λ1 −λ2 +4λ3 = 0 −λ1 +λ2 −3λ3 = 0 (2) . 3λ1 +2λ2 −λ3 = 0 Wir addieren das 2-fache der 2. zur 1. und das 3-fache der 2. zur dritten Gleichung, und vertauschen die ersten beiden Gleichungen: −λ1 +λ2 −3λ3 = 0 λ2 −2λ3 = 0 (20 ) 5λ2 −10λ3 = 0