UTB M (Medium-Format) 3122 Römische Antike Bearbeitet von Ulrich Huttner 1. Auflage 2008. Taschenbuch. IX, 444 S. Paperback ISBN 978 3 8252 3122 4 Gewicht: 615 g Weitere Fachgebiete > Geschichte > Geschichte der klassischen Antike > Römische Geschichte; Spätantike Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. III. Die römische Republik und der Weg zur Weltmacht (ca. 500–133 v.Chr.) 509 494 493 die ersten Konsuln (laut Überlieferung) erste secessio plebis (laut Überlieferung) foedus Cassianum: Bündnis von Römern und Latinern (laut Überlieferung) um 450 Zwölftafelgesetz 396 Eroberung Veiis (laut Überlieferung) 387 (390?) Eroberung Roms durch die Kelten 367 Leges Liciniae Sextiae: Plebeier als Konsuln 343–341 Erster Samnitenkrieg (?) 340–338 Latinerkrieg 326–304 Zweiter Samnitenkrieg 321 Demütigung bei Caudium 298–290 Dritter Samnitenkrieg 295 Schlacht bei Sentinum 287 Lex Hortensia: Gesetzescharakter von Plebisziten 280–275 Krieg gegen Pyrrhos 264–241 Erster Punischer Krieg 260 Seeschlacht bei Mylai (Einsatz von corvi) 256/255 Römischer Afrikafeldzug 241 Seeschlacht bei den Aigatischen Inseln 229/228 Erster Illyrischer Krieg 227/225 Ebrovertrag 225 Schlacht bei Telamon (Sieg über die Kelten) 219 Zweiter Illyrischer Krieg; Belagerung Sagunts durch Hannibal 218 Lex Claudia: Verdrängung der Senatoren aus dem Seehandel 218–202 Zweiter Punischer Krieg 218 (Spätherbst) Alpenüberquerung Hannibals 217 Schlacht am Trasimenischen See 216 Schlacht bei Cannae um 215 (?) Einführung des Denars 215 Punisch-makedonischer Vertrag 215–205 Erster Makedonischer Krieg 212 Eroberung von Syrakus durch Marcellus 211 Hannibal ante portas 207 Schlacht am Metaurus 205 Konsulat Scipios 204 Scipio in Afrika 202 Schlacht bei Zama 200–197 Zweiter Makedonischer Krieg 196 Freiheitsproklamation des Flamininus in Griechenland 192–189 Krieg gegen Antiochos III. 188 Frieden von Apameia 26 III.1 Die Frühzeit der Republik 180 171–168 168 155 146 133 1. ca. 500–133 v.Chr. Lex Villia annalis: Reglementierung der Ämterlaufbahn durch Altersstufen Dritter Makedonischer Krieg Schlacht bei Pydna Philosophengesandtschaft in Rom Zerstörung Korinths, Zerstörung Karthagos „Attalidische Schenkung“ (Testament Attalos’ III.) Zerstörung Numantias Die Frühzeit der Republik Tacitus nennt als Charakteristika der römischen Republik Freiheit (libertas) und Konsulat (ann.1,1; vgl. o. S. 5). Das Konsulat ist der doppelt besetzte, jährlich wechselnde Obermagistrat, der auf die Lenkung des Staates großen Einfluss ausübte. Einer der beiden ersten Konsuln soll L. Iunius Brutus selbst gewesen sein. Die Konsuln prägten das römische Geschichtsbewusstsein insoweit, als die Jahreszählung durch sie definiert wurde: Das Jahr 509 v.Chr. war dasjenige, in dem L. Iunius Brutus und sein Kollege L. Tarquinius Collatinus (ein Verwandter des letzten Königs) das Konsulat bekleideten. Die Konsuln waren also eponyme (= namengebende) Beamte. Unter der Regie des späteren Kaisers Augustus wurde eine Liste der Konsuln, beginnend bei den Anfängen der römischen Republik, in einer monumentalen Inschrift am Forum Romanum angebracht, sie bildete einen wesentlichen Bestandteil der sog. Fasti Capitolini (= „Kapitolinischer Kalender“, weil die erhaltenen Fragmente in den Kapitolinischen Museen aufbewahrt werden). In der Organisation des Konsulats zeigen sich zwei grundlegende Prinzipien der Machtkontrolle und Machtbeschränkung, die typisch sind für die römische Republik: Annuität (jährlicher Wechsel) und Kollegialität. Jeder Konsul hatte längstens ein Jahr Zeit, sich eine Machtposition aufzubauen, und dabei wurden seine Schritte stets von einem Kollegen überwacht und nötigenfalls gehemmt. In der althistorischen Forschung herrscht jedoch keine Übereinstimmung, ob eine Konsulatsverfassung schon für die frühe Republik zu veranschlagen sei. Denn in der Überlieferung lassen sich Indizien ausmachen, dass frühe Passagen der Konsulslisten fingiert sind, und überdies dass Obermagistrate anderer Art das politische System dominierten. Livius berichtet von einer alten sakralen Regelung, am Iupitertempel jährlich einen Nagel einzuschlagen: „Es existiert ein altes Gesetz, verfasst in altehrwürdigen Buchstaben und Begriffen, dass der jeweilige praetor maximus (‚Oberprätor‘; eigtl. ‚der größte Prätor‘) an den Iden des September (13. September) einen Nagel anbringt.“ (Liv. 7,3,5) Die Prätoren waren in der entwickelten Verfassung der römischen Republik den Konsuln nachgeordnet, zuvor hatten sie offensichtlich eine 27 das Konsulat Prätoren als Oberbeamte? ca. 500–133 v.Chr. III.2 Der Ausgleich zwischen den Ständen prominentere Stellung innegehabt: Der praetor maximus jedenfalls fungierte gleichsam als Herr über den Kalender. Auf das militärische Kommando des Prätors verweist ein Eintrag im kaiserzeitlichen Lexikon des Festus, der sich auf die monumentale Enzyklopädie des Verrius Flaccus stützt, eines Gelehrten der Zeit des Augustus. Unter dem Lemma praetoria porta („prätorisches Tor“) findet sich die Bemerkung: „Von praetoria porta spricht man im Militärlager, dort wo das Heer in die Schlacht hinausgeführt wird. Denn zu Beginn waren diejenigen, die jetzt Konsuln sind, Prätoren; und diese kommandierten im Krieg, zumal ihr Zelt ja auch praetorium genannt wurde.“ (Fest. p. 223) Auch die Etymologie des Wortes praetor weist auf die militärische Führungsfunktion, denn mit großer Wahrscheinlichkeit leitet es sich von dem Verb praeire („voranschreiten“) her: Der Prätor ist derjenige, der dem Heer voranschreitet. Sakrale Prominenz und der Oberbefehl über die Truppen scheinen also den Prätor in der frühen Republik ausgezeichnet zu haben. Aus dem Terminus praetor maximus wurde zuweilen geschlossen, dass es mehr als zwei Prätoren gegeben habe, jedoch kann das auf Grund der lateinischen Sprachkonventionen nicht als sicher gelten. Sollte der praetor maximus als einzelner Spitzenbeamter zu interpretieren sein, wäre von den beiden Grundprinzipien republikanischer Magistratur, Annuität und Kollegialität, in der Anfangsphase nur das erstere erfüllt gewesen. 2. Patrizier Plebeier Der Ausgleich zwischen den Ständen (Patrizier und Plebeier) Zweifellos waren es gentilizisch definierte Eliten, die in der frühen römischen Republik die politische Entscheidungsgewalt auf sich konzentrierten, diejenigen vor allem, die in der Endphase der Monarchie gegen den König opponiert hatten. Sie werden als Patrizier bezeichnet, ein Begriff, der sich von lateinisch patres herleitet. Die patres waren eigentlich die Väter, die Oberhäupter der gentilizischen Verbände, zugleich aber die Mitglieder des Senates, also derjenigen Ratsversammlung, die schon in der Königszeit maßgeblichen politischen Einfluss ausgeübt hatte. Wahrscheinlich rekrutierte sich der frührepublikanische Senat aus jenen Patriziern. Zahlreiche Personen waren von den Patriziern abhängig, darunter nicht nur die nächsten Angehörigen (etwa die Söhne oder die Gattin) und die Sklaven, sondern auch solche, die nicht zur Familie gehörten: die Klienten. Aus ihrer Perspektive war der Patrizier der Patron. Durch die Dominanz der Patrizier wurde die römische Gesellschaft zusehends polarisiert, den Gegenpol bildeten die sog. Plebeier bzw. die plebs, eigentlich die breite minderprivilegierte Masse. Aus welchen sozialen Gruppen sich die plebs im Einzelnen zusammensetzte, ist umstritten: Aus Städten des Umlandes zugezogene Kleinbauern, Handwerker und Händler 28 2.1 Secessio plebis („Volksstreik“) und Volkstribunat ca. 500–133 v.Chr. mögen ebenso zur plebs gezählt haben wie ehemalige Klienten, die sich aus ihrer Abhängigkeit von den Patriziern gelöst hatten. Jedenfalls zeichnet sich eine dualistische Schichtung der römischen Gesellschaft ab: Oben standen die Patrizier und unten die Plebeier, wobei die Plebeier nach oben drängten und einen Anteil an der politischen Macht zu erhalten suchten. Ihr Selbstbewusstsein wuchs, da sie im römischen Heer Kriegsdienst leisteten und Rom ihnen militärische Erfolge ebenso verdankte wie militärische Sicherheit. Zuweilen eskalierte der Konflikt durch Willkürakte der Patrizier, denen traditionell die jurisdiktionelle Gewalt zustand. Zwar hatte jeder Bürger die Möglichkeit, gegen Zwangsmaßnahmen der hohen Magistrate die Volksversammlung anzurufen (provocatio, Berufung), jedoch wurde dieses Zugeständnis wahrscheinlich erst 300 v.Chr. rechtlich abgesichert. 2.1 Secessio plebis („Volksstreik“) und Volkstribunat Im Kampf gegen die Patrizier setzte die plebs ein originelles Mittel ins Werk, für das es kaum eine wirksame Entgegnung gab: Sie streikte und verweigerte den Kriegsdienst; ja sie verließ einfach Rom, so dass jegliches Leben in der Stadt erstarb: Rom funktionierte nicht mehr und war obendrein ohne Schutz. Lateinisch bezeichnet man den demonstrativen Abzug der Plebeier als secessio („Absonderung“), zum ersten Mal soll eine solche im Jahr 494 v.Chr. stattgefunden haben. Damals versammelte sich, wie die antike Historiographie berichtet, die plebs am Mons Sacer („Heiliger Berg“), einer Anhöhe nordöstlich der Stadt. Daraufhin hätten die Patrizier Menenius Agrippa als Vermittler hinaus zu den Abtrünnigen gesandt. Livius berichtet über diese Mission folgendes: Menenius Agrippa „wurde ins Lager eingelassen und soll dort in jener typisch ehrwürdigen und schlichten Art nichts weiter gesagt haben als folgendes: Zu der Zeit, als im Menschen, anders als gegenwärtig, nicht alles im Einklang miteinander war, sondern alle Gliedmaßen jeweils ihr eigenes Denkvermögen und ihre eigene Redegabe hatten, da hätten sich alle Körperteile darüber entrüstet, dass durch ihre Fürsorge, durch ihre Mühe und durch ihre Leistung alles für den Magen herbeigeschafft werde, während der Magen faul in der Mitte liege, ohne etwas anderes zu tun, als die dargebotenen Freuden zu genießen. Daher hätten sie sich miteinander verschworen, dass die Hände keine Nahrung mehr zum Mund führen, der Mund die verabreichte Nahrung nicht mehr aufnehmen und die Zähne diese nicht mehr zerkauen würden. Indem sie voller Zorn den Magen durch Hunger unterkriegen wollten, seien die Gliedmaßen selbst zusammen mit dem ganzen Körper dahingesiecht. Da habe sich gezeigt, dass der Magen keineswegs ein fauler Diener sei und dass er im selben Maße ernährt werde, wie er andere ernähre, indem er an alle Körperteile das leben- und kraftspendende Blut zurückgibt, das er gleichmäßig auf die Adern verteilt und durch die Verdauung der Nahrung mit schwellender Kraft versieht. Indem Agrippa in einem Vergleich deutlich machte, wie ähnlich der Aufruhr im Körper dem Zorn der plebs auf die Patrizier sei, habe er seine Zuhörer umgestimmt.“ (Liv. 2,32,8–12) 29 Menenius Agrippa ca. 500–133 v.Chr. Volkstribune III.2 Der Ausgleich zwischen den Ständen Bei der Interpretation dieser Rede ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass antike Geschichtsschreiber im Regelfall nicht auf authentische Redeprotokolle zurückgreifen konnten und solche Texte in eigener Verantwortung gestalteten. Ungeachtet der konkreten politischen Rolle des Menenius Agrippa, die sich an sich schon anzweifeln lässt, zeigt eine literaturgeschichtliche Analyse, dass er die auf der Allegorie vom Magen und den Gliedern fußende Ansprache nicht gehalten haben kann. Der Vergleich des Staates mit einem menschlichen Organismus war in der griechischen Staatstheorie verbreitet und fand von dort seinen Weg in die römische Historiographie. Auch wenn die Rede des Menenius Agrippa nicht als zeitgenössisches Dokument gewertet werden kann, so zählt sie doch zu den eindrucksvollsten Beschwörungen sozialer Harmonie in der Antike, und an Harmonie sollte es zwischen Patriziern und Plebeiern lange mangeln. Vorläufig aber sei es durch das Engagement des Menenius Agrippa zu einer gütlichen Einigung zwischen Patriziern und Plebeiern gekommen, indem Letzteren ein institutionalisierter Schutz gegen Übergriffe zugesichert wurde. Livius setzt den oben zitierten Bericht fort: „Dann begann man über eine Einigung zu verhandeln und verständigte sich darauf, dass die plebs eigene sakrosankte Magistrate haben sollte, die das Recht hätten, Hilfe gegen Konsuln zu leisten, und dass kein Patrizier dieses Amt bekleiden dürfe. So wurden zwei Volkstribune (tribuni plebei) gewählt, Caius Licinius und Lucius Albinus. Diese bestimmten noch drei Kollegen …“ (Liv. 2,33,1f.) Zenturiatskomitien An dieser Überlieferung, die teilweise von weiteren antiken Autoren bestätigt wird, ist gleichwohl manches fragwürdig: Stand die Bestellung der ersten Volkstribunen tatsächlich in so engem Zusammenhang mit der ersten secessio 494 v.Chr., die in ihrer Historizität ohnehin nicht als gesichert gelten kann? Seit wann existierte also das Volkstribunat? Und wieviele Volkstribune gab es, zumal Livius noch bemerkt, andere wüssten nur von zwei Volkstribunen, die damals eingesetzt worden seien? Diese Fragen können nicht endgültig geklärt werden. Sicher ist immerhin, dass in einer frühen Phase der Auseinandersetzung der genuin plebeische Posten des Volkstribunen eingerichtet wurde, der vor den Patriziern Sonderrechte geltend machen konnte. Ein Volktribun war sakrosankt, er genoss also sakralen Schutz, der durch einen speziellen Eid der plebs gewährleistet war. Wer einem Volkstribunen etwas zuleide tat, machte sich eines schweren Frevels schuldig, sozusagen einer Todsünde. Wie der Schutz der plebs, so war auch ihr politischer Einfluss abzusichern. Vielleicht waren die comitia centuriata erst eine Frucht der Ständekämpfe (vgl. aber o. S. 23), jedenfalls hatten die Plebeier so Gelegenheit, an der politischen Entscheidungsfindung mitzuwirken und insbesondere die höchsten Magistrate zu wählen. Die comitia centuriata haben ihre Wurzeln in der Heeresversammlung, und im Heer erwiesen sich die Plebeier als unverzichtbar. Freilich setzten sich die comitia centuriata nicht nur aus Plebeiern zusammen, vielmehr trafen in ihnen Stimmberechtigte aus der gesamten Bürgerschaft aufeinander (vgl. u. S. 39f.). 30 2.2 Das Zwölftafelgesetz 2.2 ca. 500–133 v.Chr. Das Zwölftafelgesetz Eine rechtshistorische Errungenschaft von großer Tragweite ging ebenfalls aus den Ständekämpfen hervor: die erste – wenn auch keineswegs sonderlich systematische – Kodifizierung des römischen Rechts. Dieses Zwölftafelgesetz sollte künftig als „Quelle jeglichen öffentlichen und privaten Rechts“ (Liv. 3,34,6) Autorität genießen, es bot allen Rechtsstreitigkeiten eine gültige Grundlage, und dadurch war die Rechtsprechung patrizischer Willkür entzogen. Der vollständige Inhalt der zwölf Tafeln, die um 450 v.Chr. öffentlich auf dem Forum aufgestellt wurden, ist nicht mehr bekannt; nur etwa ein Drittel lässt sich auf der Grundlage von Zitaten aus der späteren antiken Literatur rekonstruieren. Dass das altertümliche Latein über Jahrhunderte nicht modernisiert wurde, liegt an der normativen Kraft der Texte. Eine Durchsicht der erhaltenen Passagen zeigt, dass das Zwölftafelgesetz vor allem Bestimmungen des Privat- und Prozess-, aber auch des Sakralrechts enthielt. Einige Vorschriften offenbaren, dass sich die Plebeier weiterhin mit harten Bedingungen konfrontiert sahen: Gegenüber einem Schuldner etwa lagen erhebliche Vollstreckungskompetenzen in der Hand des Gläubigers (3,2–4). Solche Regelungen waren hart, Schuldknechtschaft lag immer noch im Bereich des Möglichen. – Indes gab es unter den Gesetzen auch solche, die eindeutig die Interessen der Plebeier wahrten, so etwa das folgende: Kodifizierung des Rechts „Wenn der Patron seinen Klienten betrügt, soll er verflucht sein.“ (8,21) Der unredliche Patron war sacer (sakral, verflucht, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen) und konnte eigentlich ungestraft getötet werden. Ob das Gesetz praktische Konsequenzen zeitigte, lässt sich freilich nicht ermitteln. Zur Konzeption des Zwölftafelgesetzes wurden zweifellos Sachverständige zu Rate gezogen. Solche waren allerdings in Rom vermutlich nicht zur Stelle, wohl aber bei den Griechen, die längst in ihren Städten gut durchorganisierte Staatswesen entwickelt und diese durch kodifizierte Gesetze abgesichert hatten. Die römische Geschichtsschreibung weiß von einer Gesandtschaft, die sich (angeblich 454 v.Chr.) nach Athen begeben habe, um sich über das Rechtwesen in den griechischen Städten (póleis) zu orientieren. Ob tatsächlich Athen im Mittelpunkt römischen Interesses stand, ist fraglich; wahrscheinlich sind die Muster für die römische Rechtskodifizierung eher in Unteritalien oder Sizilien zu suchen, wo ja zahlreiche griechische Kolonien existierten. Mit der Aufzeichnung der Gesetze in Rom wurde ein spezielles Gremium beauftragt, das sich aus zehn Männern, offensichtlich in erster Linie Patrizier, zusammensetzte: die decemviri legibus scribundis („Zehn Männer zur Abfassung von Gesetzen“). Für kurze Zeit scheinen sie alle politische Gewalt auf sich konzentriert zu haben; Livius spricht davon, dass sich mit der Installierung der decemviri die Verfassung (forma civitatis) geändert habe (3,33,1). Folgt man weiter der antiken Historiographie, so sei das erste Zehnerkollegium von einem zweiten abgelöst worden, und daraus habe 31 griechische Einflüsse ca. 500–133 v.Chr. III.2 Der Ausgleich zwischen den Ständen sich dann eine drückende Cliquenherrschaft entwickelt, die ein gewaltsames Ende gefunden habe. Es ist schwer, aus der konstruiert wirkenden Überlieferung historische Abläufe zu erschließen. 2.3 Militärtribune Leges Liciniae Sextiae Lex Hortensia Die Leges Liciniae Sextiae und die Lex Hortensia Mit der Kodifikation der Gesetze dürfte eine spürbare Entspannung zwischen Plebeiern und Patriziern eingetreten sein, auf lange Sicht war jedoch eine Lösung des Konfliktes nicht gewährleistet. Besonders als sich Rom zunehmend auf militärische Unternehmungen einließ, zeitweise auch massiv attackiert wurde, suchten die im Krieg unentbehrlichen Plebeier größeren Einfluss auf die politischen und militärischen Entscheidungen zu gewinnen. Plebeische Interessen machten sich auch bemerkbar, als in der Zeit zwischen 444 und 367 (nach der durch die antike Historiographie festgeschriebenen Chronologie) an der Spitze des römischen Magistratsapparats immer wieder ein drei- bis sechsköpfiges Generalskollegium stand, die sog. tribuni militum consulari potestate (Militärtribunen mit konsularischer Befugnis), deren Hauptaufgabe in der Bewältigung militärischer Probleme lag: Bisweilen scheinen unter ihnen auch Plebeier ihren Platz gefunden zu haben, im Jahr 399 soll unter den sechs Militärtribunen sogar nur ein einzige Patrizier gewesen sein (Liv. 5,13,3). Nachdem im Jahr 367 v.Chr. zum letzten Mal Militärtribune mit konsularischer Befugnis ihres Amtes gewaltet hatten, trat endgültig ein Konsulspaar an die Spitze der römischen Magistratur, und das sollte bis zum Ende der römischen Geschichte so bleiben. Dabei verbuchte die plebs insofern einen Erfolg für sich, als von nun ab einer der beiden Konsuln aus den Reihen der Plebeier gewählt werden konnte. Die römische Historiographie knüpft diese Neuerung an ein Gesetz, das auf den Vorschlag der beiden Volkstribune Caius Licinius Stolo und Lucius Sextius Lateranus zurückgegangen und gegen den Willen der Patrizier durchgesetzt worden sei. Ein derartiger Ablauf erscheint für das 4. Jh. v.Chr. nicht wahrscheinlich, erst später sollte die Gesetzesinitiative der Volkstribunen in der römischen Verfassung verankert werden. Dennoch assoziiert man mit den sog. Licinisch-Sextischen Gesetzen (Leges Liciniae Sextiae) einen entscheidenden Schritt in der Entschärfung des Konfliktes zwischen Patriziern und Plebeiern: Von nun an teilten sie sich wiederholt Exekutivgewalt sowie militärisches Oberkommando. In der Folge vermischten sich allmählich die Grenzen zwischen Patriziern und Plebeiern: Die politischen Eliten rekrutierten sich zusehends aus beiden Gruppen gleichermaßen; in den Senatssitzungen, wo über zentrale politische Belange beraten und entschieden wurde (vgl. u. S. 42f.), kamen die einen wie die anderen zu Wort. So bildete sich mit der Zeit eine neue Adelsschicht heraus, die Nobilität (nobilitas). Mit der Herausbildung der Nobilität war indes das endgültige Ende der Ständekämpfe noch nicht erreicht: Die Plebeier sahen ihre Emanzipation erst am Ziel, als sie politische Entscheidungen auch ohne, ja sogar gegen 32 2.3 Die Leges Liciniae Sextiae und die Lex Hortensia ca. 500–133 v.Chr. die Patrizier fällen konnten. Den entscheidenden Schritt tat im Jahr 287 v.Chr. Quintus Hortensius, der infolge des auf der plebs lastenden Schuldendrucks und einer neuerlichen secessio zum Diktator (ein Ausnahmebeamter mit Sonderbefugnissen; vgl. u. S. 56f.) ernannt worden war. Um die plebs zu besänftigen, beantragte er ein Gesetz: Die Lex Hortensia („Hortensisches Gesetz“), die möglicherweise auf ältere Gesetzesinitiativen zurückgreift, bildet einen Meilenstein in der römischen Rechtsentwicklung, ein Sachverhalt, auf den auch die römischen Juristen abheben. Caius verfasste um die Mitte des 2. Jhs. n.Chr. ein juristisches Lehrbuch, die Institutiones, und erklärte dort den Studenten, was ein Gesetz (eine lex) sei: „Gesetz (lex) ist, was das Volk (der populus) befiehlt und beschließt. Ein Plebiszit (plebiscitum) ist, was die plebs befiehlt und beschließt. Die plebs aber unterscheidet sich vom populus insofern, als mit dem Terminus populus die Gesamtheit aller Bürger bezeichnet wird, und da zählen die Patrizier dazu. Mit dem Terminus plebs aber werden die Bürger ohne die Patrizier bezeichnet; daher sagten die Patrizier früher, dass sie an die Plebiszite nicht gebunden seien, zumal sie ja ohne ihren Einfluss entstanden seien; später aber wurde die Lex Hortensia eingebracht, durch die festgesetzt wurde, dass das gesamte Volk (der gesamte populus) an die Plebiszite gebunden sei. Auf diese Weise wurden die Plebiszite den Gesetzen gleichgestellt.“ (Gaius inst. 1,3) Von der durch die Lex Hortensia gewährleisteten Möglichkeit wurde in den folgenden Jahrhunderten reger Gebrauch gemacht. Dadurch wurde den Volkstribunen, die das Gesetzgebungsverfahren in der plebs leiteten und damit für das Zustandekommen der Plebiszite erst die Voraussetzung schufen, automatisch eine zentrale Position in der politischen Entscheidungsfindung eingeräumt. 3. Die Funktionsweise der Republik Im 3. Jh. v.Chr. waren die politischen Kräfte im römischen Staat soweit austariert, dass die politischen Entscheidungsprozesse durch ein weitgehend stabiles Regelwerk ohne größere Komplikationen vonstattengehen konnten. Zwar besaß der römische Staat keine schriftlich fixierte Basis seiner Funktionen und Machtsektoren, trotzdem entspricht es wissenschaftlicher Konvention, von einer Verfassung der römischen Republik zu sprechen. Damit ist schlichtweg die Grundordnung und das Normengefüge gemeint, auf denen der römische Staat fußt. Zu den großen Bewunderern der römischen Verfassung zählte Polybios (vgl. o. S. 10), der sein Urteil vor dem Hintergrund der griechischen Staatstheorie fällte. Demnach unterschied man drei Verfassungstypen: den monarchischen (die Herrschaft eines einzelnen, also eines Königs), den aristokratischen (wörtlich: die Herrschaft der Besten, also weniger, be- 33 Verfassungsbegriff Verfassungstypen nach Polybios