Gerd Propach Medizin unter Halbmond und Kreuz Ärztliche Mission im Kontext der islamischen Medizin E-Ausgabe 2009 © Medizinische Missionshilfe - Medical Mission Support Christian Intercultural Health Ministries www.mmh-mms.com Inhalt Mit dem Untertitel „Kulturelle Grundlagen medizinischen Handelns“ 1993 als Porta-Studie 19 erschienen. ISSN 0177-8056 Herausgeber: Studentenmission in Deutschland, Postfach 554, D -35017 Marburg I. Medizin und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Traditionelle Heilungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Westliche Heilungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Transfer und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Medizin und Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Überarbeitet und mit Bildern versehen für die E-Ausgabe 2009 Gestaltung, Prepress: H. Pfindel © Medizinische Missionshilfe - Medical Mission Support Christian Intercultural Health Ministries Berliner Straße 57 35435 Wettenberg www.mmh-mms.com II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Religion des Islam, ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die wissenschaftliche Medizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Blütezeit der arabischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Rhazes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Avicenna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Die medizinischen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Die Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Das Krankenhauswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Der Verfall der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Prophetenmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Die Volksmedizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Die Reislamisierung der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Die drei Pfeiler der islamischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Die Kuwaiter Deklaration (1981) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Der Weg zwischen gestern und morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ursachen der Reislamisierung der Medizin – ein Versuch der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Geburtenregelung und Familienplanung im Islam . . . . . . . . . . . . . . . 33 Menschenbild im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Leiden aus islamischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Die Ursache des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Der Sinn des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Die Überwindung des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Missionsmedizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Abbildung Titelseite: Buch der Medizin von Rhazes (865 - 925) III. Medizin unter dem Zeichen des Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Über die Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit . . . . . . . . . . 38 „Jesus ist Sieger“ – Begründung des heilenden Handelns . . . . . . . . 41 Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde im Islam . . . . . . . . 42 Diakonie der leeren Hände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Unser Ziel reicht weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Bildnachweise und -erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Medizin und Kultur Dem Andenken von Dr. Ursula Schmitz (1952 - 2009) Missionsärztin in Pakistan 1988 - 2009 „Allah ist groß, Khomeini ist unser Führer, nieder mit den USA, nieder mit Israel.“ Es waren keine jungen Revolutionäre, die dies aus vollen Kehlen intonierten, sondern gesetzte Männer aller Altersstufen. Es war das Bekenntnis der Teilnehmer eines medizinischen Kongresses, der 1983 in Teheran stattfand. Die Tagung stand unter dem Zeichen des großen arabischen Medizingelehrten AVICENNA, der im zehnten Jahrhundert in Persien lebte. Was den Beobachter dabei verwundern mag, sind nicht die lautstarken Parolen aus Teheran – daran hat man sich gewöhnt –, sondern die Tatsache, daß eine Medizin im Mittelpunkt steht, die ihre Begründung und Kraft aus der Religion des Islams bezieht. Es geht um die islamische Medizin. I. Medizin und Kultur Diesem Beitrag liegt ein Vortrag mit dem Thema „Medizin im Islam“ aus dem Jahr 1987 zugrunde. Er wurde für diese Veröffentlichung überarbeitet und an einigen Stellen erweitert. Wegen der ursprünglich mündlichen Form des Beitrags wurde weitgehend auf Literaturhinweise im Text verzichtet. Am Schluss des Heftes findet sich ein Verzeichnis der benutzten Schriften. Herrn Pfr. Eberhard Troeger danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Gerd Propach Wettenberg 1993 / 2009 Manche Menschen vertreten die Ansicht, Kulturen früherer Zeiten hätten nichts von Liebe und Barmherzigkeit gewusst. Erst die Liebeswerke der Christenheit hätten Licht in diese finstere Welt gebracht. ERICH BEYREUTHER weist in seinem Standardwerk Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit darauf hin, dass die Welt vor und außer Christus so dunkel nicht war und nicht ist. Schon im alten Ägypten gab es sieben Werke leiblicher Barmherzigkeit, nämlich Hungrige speisen, Durstige tränken, Nackte bekleiden, Fremde beherbergen, Gefangene befreien, Kranke pflegen und Tote begraben. Die Berichte und Zeugnisse über den Kampf gegen Leiden und Schmerzen aus den frühen Hochkulturen in Indien, China und Südamerika sind mannigfaltig und beeindruckend. Wir denken an die Lebensgeschichte des historischen Buddha SAKYAMUNI (6. Jh. a. Chr.). Der Überlieferung nach war es gerade der Anblick eines Kranken, der dem jungen Prinzen das Problem der Leiderfahrung der menschlichen Existenz vor Augen stellte und ihn zu seiner geistigen Suche veranlasste. Der zentrale Punkt der buddhistischen Heilslehre ist der Prozess der Gesundung des Menschen als eines ganzheitlichen - Seele und Leib umfassenden - Geschehens. Reichhaltig sind die vorgeschlagenen geistig-meditativen Heilsweisen ebenso wie aktive medizinische und chirurgische Hilfen. Zahlreich auch die Hospitäler und Ambulanzen für Menschen und Tiere, die besonders unter dem buddhistischen Kaiser ASO KA (304 - 232 a. Chr.) im asiatischen Raum errichtet wurden. Im alten Indien entwickelte sich die Ayurveda-Medizin als Teil eines umfassenden religiösen Systems. Die Neuauflagen alter ayurveda-medizinischer Handbücher in Indien zeigen die zunehmende Bedeutung der Ayurveda-Medizin als ganzheitlichem Heilsystem gerade auch im Rahmen der so genannten alternativen Heilkunde. 5 I. Medizin und Kultur Heilungskonzepte Wir denken an die traditionelle chinesische Medizin, mit der auch heute noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung Chinas behandelt wird. Physiologie, Patho-physiologie, Diagnose und Therapie stellen ein eigenes, von der westlichen Medizin völlig unabhängiges System dar. Die einzelnen Teilbereiche dieses chinesischen Heilsystems sind untereinander folgerichtig miteinander verbunden. Gesundheit im taoistisch-chinesischen Sinne bedeutet ein harmonisches Gleichgewicht aller Kräfte und Beziehungen; ein Ungleichgewicht führt zu Krankheit. wie Gesundheit bedeutet. Allerdings umfasst dieses Wort viel mehr als unser Wort Gesundheit. Ukuzilungisa bedeutet, dass ein Mensch und ein Volk in Harmonie mit seiner Umwelt lebt. Der Mensch ist nur dann gesund, wenn nicht nur der Körper regelrecht funktioniert, sondern auch der menschliche Lebensraum und die sozialen Kontakte und Verbindungen in Ordnung sind. Auch bei uns in Deutschland gewinnt die traditionelle chinesische Medizin an Bedeutung. Hingewiesen sei auf die Akupunktur, die besonders im Zusammenhang mit chronischen Schmerzzuständen aller Art - aber auch für andere Bereiche – sich einen festen Platz im therapeutischen Konzept westlich geschulter Mediziner erobert hat. In jüngster Zeit wurde in Deutschland die erste Klinik eröffnet, in der die traditionelle chinesische Medizin angewendet wird. Traditionelle Heilungskonzepte Die Sorgen um Kranke und Verwundete, um die leiblichen Nöte und Bedürfnisse der Menschen gab und gibt es in allen Kulturen und Religionen, wobei auf unterschiedliche Weisen auf die Leiden und Krankheiten eingegangen wird. Viele dieser alten Heilungskonzepte nehmen als Ursache für eine Krankheit nicht eine bloße körperliche Störung des Organismus an. Vielmehr werden auch übernatürliche Mächte, Dämonen, Ahnen, aber auch das soziale Umfeld, gestörte zwischenmenschliche Beziehungen und auch unheilsames Tun für die Entstehung mancher Erkrankungen verantwortlich gemacht. So interessieren sich zum Beispiel Heilkundige von Naturreligionen bei ihrer Diagnosestellung weniger für irgendwelche sichtbaren krankhaften Veränderungen des Organismus, sondern wichtiger ist das Verhalten oder Fehlverhalten des Kranken gegenüber Naturgeistern, Göttern, Dämonen und auch der Sippe und dem Stamm. In Ostafrika kommt zum Beispiel in den ländlichen Regionen noch heute auf fünfzehn bis zwanzig Haushalte ein traditioneller Heilkundiger (= Mganga), der bevorzugt bei allen möglichen Erkrankungen in Anspruch genommen wird. Zunächst ist es seine Aufgabe, die Ursachen der Krankheit zu erforschen. Dabei bedient er sich oft eines in Trance geratenen „Mediums“, um den Willen der Ahnen und Geister zu erfahren. Auch wendet er seine naturheilkundlichen Erfahrungen und Kenntnisse an. In den therapeutischen Systemen spielen bestimmte Kräuter, Wurzeln, Insekten, Mineralien und auch psychologische Aspekte eine große Rolle. Der Kranke wird als Mensch in seinem sozialen Umfeld behandelt. Der Heilkundige ist Priester, Psychiater und Arzt der traditionellen Gesellschaft. Sprache ist im weitesten Sinne sowohl das Produkt als auch der Ausdruck einer Kultur (MAX-NEEF). In der Zulu-Sprache gibt es den Begriff Ukuzilungisa, was soviel 6 Gesundheit und Wohlbefinden werden als harmonisches Gleichgewicht zwischen Individualismus, Gesellschaft und Umwelt beschrieben. Krankheit ist nicht einfach ein Defekt der „Maschine Mensch“, sondern eine Störung des umfassenden „UkuzilungisaGleichgewichts“. Ähnliches ließe sich aus anderen Ethnien und Sprachen berichten. Die Ursachen dieser Beziehungsstörungen gilt es herauszufinden und zu benennen und dann durch besondere Rituale und spezifische Heilmaßnahmen zu beseitigen. Dabei beschränken sich die Heilungsangebote nicht nur auf den Körper des Menschen, sondern sie regeln darüber hinaus das Verhältnis des Kranken zu übernatürlichen Mächten und Gottheiten, aber auch das soziale Gefüge von Familie und Sippe. Die Heilungsangebote sind immer auch umfassende Heilsangebote, und der Heilkundige ist immer auch eine Art Heilsvermittler. Die Heilungs- und Heilsangebote treffen den ganzen Menschen in seiner seelisch-körperlichen-geistigen Einheit, und zwar nicht nur als ein isoliertes Individuum, sondern als Glied eines Sozial- und Gemeinwesens. Krankheit und Heilung weisen gleichermaßen einen persönlichen und einen gemeinschaftlichen Charakter auf. Die Heils- und Heilungsmaßnahmen sollen zu einer Harmonisierung des Menschen mit sich und der Umgebung führen. Abb. 1: Afrikanischer Heiler Die Inhalte der Heilsysteme sind in den einzelnen Kulturen unterschiedlich, wie besonders ERWIN ACKERKNECHT nachgewiesen hat. Sie entsprechen dem jeweiligen Weltbild, den Vorstellungen von Kosmos und Mikrokosmos. Gesundheit und Krankheit unterliegen kulturspezifischen Grundlagenvorstellungen. Abenteuerlich anmutende Spekulationen sind verbunden mit erstaunlichen medizinischen Beobachtungen und Erfahrungen. 7 I. Medizin und Kultur Westliche Heilungskonzepte Einer kulturbedingten Auffassung von Krankheit und Gesundheit ganz anderer Art wie der oben kurz skizzierten begegnen wir in unserem westlichen, naturwissenschaftlich ausgerichteten Gesundheitssystem. Wie wir oben schon gesehen haben, drückt sich die Vorstellung von Krankheit und Gesundheit in dem Gebrauch unserer Sprache aus. Denn unsere Sprache spiegelt unser Bewusstsein wider, und unser Bewusstsein prägt unsere Sprache. Fast täglich kommen zum Beispiel Patienten in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Deutschland zu ihrem „check up“, oder es heißt: „Herr Doktor, ich möchte mich durchchecken lassen“, oder es erfolgt „die jährliche medizinische TÜVAbnahme“, wie man formuliert. Eine der größten Krankenkassen Deutschlands wirbt bei ihren Mitgliedern für einen „Gesundheits-Check up“ mit dem direkten Vergleich: „Für Autofahrer ist die regelmäßige Inspektion ihres Fahrzeugs zur selbstverständlichen Routine geworden. Mit unserem Angebot, Gesundheits-check-up bekommen Sie die Chance, sich auf ,Herz und Nieren‘ untersuchen zu lassen.“ Unsere Worte entlarven mehr, als wir wissen und wahrhaben wollen, nämlich genau die technisierte, entpersonalisierte und materialistische Sicht und Einstellungsweise unseres Lebens. Patienten und Ärzte sprechen von Gesundheit, wenn einzelne medizinisch-technische Parameter in Ordnung, im „Normalbereich“ sind. Der Mensch wird so zur Maschine, die funktionieren muß, der Arzt zum Reparateur und Mechaniker, der die Schäden ausbessert. Das Bild des Arztes wird degradiert zum bloßen Befundverwalter, der seine medizinische Apparatur virtuos beherrscht, der aber nicht mehr in der Lage ist, dem Menschen in seiner Einheit von Leib, Seele, Geist und sozialem Wesen zu begegnen. Erst langsam scheinen wir in unserem westlichen Gesundheitssystem zu erkennen, dass unsere bisherige Begrifflichkeit von Gesundheit und Krankheit unsere gesamte Wirklichkeit nicht ganz erschließt. Transfer und Konflikt Treffen zwei so unterschiedliche Heil- und Wertsysteme, wie wir sie zuvor gegenübergestellt haben, aufeinander, bleiben Konflikte nicht aus. P. UNSCHULD hat auf die konzeptionellen und strukturellen Differenzen und Probleme hingewiesen, die sich beim Transfer westlich medizinischer Gesundheitsvorstellungen und Heilsysteme auf andere Kulturen ergeben. Welche praktischen Auswirkungen die medizinische Transfersituation für die Menschen haben kann, berichtet PAUL-GERHARD KALTHOFF, der viele Jahre als Leprologe in einem Leprakontrollprogramm in Nepal gearbeitet hat. Schwerkranke Nepalis, die tagelang auf schwierigen und langen Gebirgspfaden zum Hospital westlicher Prägung unterwegs waren, blieben sterbend vor den Toren des Krankenhauses liegen. Sie 8 Konflikt und Kritik hatten Angst vor dem Weg in das andere, ihnen unbekannte und fremde medizinische System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Konfliktsituation gestellt. Auf der einen Seite hatten sie das Versagen der traditionellen Stammes- und Volksmedizin erfahren, auf der anderen Seite standen sie der westlichen Schulmedizin zwar erwartungsvoll, aber doch hilflos gegenüber. Selbst unter dem Leidensdruck des nahen Todes vermochten sie keine Entscheidung zu treffen. Sie lösten den Konflikt im schicksalsergebenen Erleiden und Erdulden von Krankheit und Tod, so wie sie es eben von ihrer Kultur her zu tun gewohnt waren. Die Schwellenängste vor der ihnen unbekannten Kultur waren größer als die Angst vor dem Tod. Mittlerweile hat sich in den Entwicklungsländern neben den traditionellen, religiös bedingten und geprägten Heilsystemen die westliche Schulmedizin als Erbe der Kolonialmedizin und der missionsärztlichen Arbeit des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts etabliert und die Gesundheitspolitik entscheidend beeinflusst und verändert. Wider Erwarten konnte die westliche Medizin jedoch die traditionelle Heilkunde nicht verdrängen, geschweige denn ablösen. Es zeigte sich, dass die Menschen den traditionellen Abb. 2: Anatomische Tafel in Heilmethoden und Heilsystemen ihrer eigenen Re- Sanskrit, Ayurveda-Heilkunde ligion und Kultur viel näher standen und stehen und ihr mehr Vertrauen schenken als der aus Europa und Amerika eingeführten Medizin. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahmen Mitte der siebziger Jahre achtzig Prozent der Bevölkerung Afrikas traditionelle Heilsysteme in Anspruch. IMPERATO unterscheidet Spezialisten für natürliche und für übernatürlich verursachte Krankheiten. Zu der ersten Gruppierung zählt er Herbalisten, traditionelle Hebammen, Knochenrichter; zur zweiten: Divinatoren, Orakelsteller, Geistheiler, Gegenzauberer. Daneben gibt es noch die Gruppe der islamischen Heiler und die moderne westliche Schulmedizin. Beide medizinischen Systeme, die westlich orientierte Schulmedizin und die traditionelle, in die jeweilige Kultur eingebettete Heilkunde, bleiben nebeneinander bestehen und werden je nach Bedarf beide von der Bevölkerung in Anspruch genommen. Für die akuten Erkrankungen bevorzugt man die westliche Medizin, den einheimischen traditionellen Heiler sucht man dagegen bei chronisch verlaufenden Krankheiten auf. Dabei machen sich der westlich geschulte und orientierte Arzt und die Krankenschwester zu wenig bewusst, wie sehr ihr Handeln die jeweilige einheimische Kultur 9 I. Medizin und Kultur Konflikt und Kritik verändert oder sogar zerstört. Denn wegen der engen Verbindung von einheimischer Heilkunde und Religion greift der Arzt mit seiner naturwissenschaftlichen Medizin direkt in den Bereich des traditionellen Religionsgefüges ein und bringt es aus dem Gleichgewicht. Die Einheimischen trifft dieses Vorgehen in der Regel vollkommen unvorbereitet. LOTHAR KÄSER hat auf die Folgen hingewiesen, die sich dann ergeben, wenn wissenschaftliche Medizin ohne Rücksicht auf den Zusammenhang zwischen Heilkunde und Religion angewendet wird. Man nimmt, so KÄSER, einer Kultur früher oder später eine ihrer tragenden Säulen. Das Verhältnis zwischen traditioneller Heilkunde auf der einen Seite, westlicher Kolonial- und Missions-Medizin auf der anderen Seite ist historisch gesehen immer problematisch und schwierig gewesen. Der Fortschrittsglaube und der wissenschaftliche Optimismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gingen Hand in Hand mit einer Ablehnung und Bekämpfung der nicht-naturwissenschaftlich begründeten Medizin, wie man sie auf dem Missionsfeld vorfand. So begnügten sich Ärzte und Krankenschwestern oftmals damit, im Namen der Mission die Bemühungen der einheimischen Heilkonzepte und Krankheitsvorstellungen vorschnell als rückständig, schädlich und okkult belastet gänzlich abzulehnen und zu bekämpfen. heute Extrakte aus Blättern der Uruti-Pflanze als Wehenbeschleuniger benutzt. Der Erfolg ist dem Syntocin der westlichen Medizin vergleichbar. Die Masai behandeln wirkungsvoll den raschen Gewichtsverlust von konsumierenden Erkrankungen, zum Beispiel Krebs, mit Extrakten aus der Knolle der Ngilingai-Pflanze. Andere äußerst wirksame Mittel aus der traditionellen Medizin werden bei hohem Blutdruck oder auch bei bakteriellen Infektionen angewendet. Das Institut für traditionelle Medizin an der Universität Daressalam hat eine naturheilkundliche Substanz analysiert, die wie ein Antibiotikum wirkt. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus dem reichen Schatz der afrikanischen traditionellen Heilkunde. Gerade in unseren Tagen beginnt sich die Pharmaindustrie, die mit neuen Entwicklungen zunehmend an ihre Grenzen stößt, für die Bergung der naturheilkundlichen Schätze auf allen Kontinenten zu interessieren.* Die medizinhistorischen Kenntnisse der Heilkunde in Asien, Südamerika und vor allem in Afrika sind zwar nur sehr bruchstückhaft, doch soviel kann gesagt werden: Erst der Beginn der Kolonialepoche, die Erschließung ganzer Länder und ihre Inbesitznahme durch die Europäer brachte besonders in Afrika große Krankheitsnot über die Menschen, so dass JANZEN die Zeit von 1890 bis 1930 als die „schlimmste Krankheitsära in der großen Geschichte Afrikas“ bezeichnet. Ob die Krankheitsnöte der damaligen Zeit nicht noch von denen unserer Tage übertroffen werden, bleibt abzuwarten. Die Schreckensmeldungen über die Zunahme von Malaria, Aids, Bilharziose und so weiter zeigen, daß wir uns auf dem besten Wege dorthin befinden. Abb. 3: Trad. Chinesische Heilkunde Akupunktur-Tafel Nach R. E. DODGE, der als Missionar in Südwestafrika (heute: Namibia) tätig war, führte dieses Verhalten schließlich zu einer fast völligen Ausrottung der afrikanischen Naturheilkunde. „Es ist tragisch“, so formulierte er schon 1965, „daß ihr Wissen [der Herbalisten] weitgehend mißachtet oder vergessen wurde.“ Man habe versäumt, die großen Schätze der naturheilkundlichen Erfahrungen zu erforschen. Durch den anfänglichen Siegeszug der westlichen Medizin, durch die Vorstellung, die Gesundheitsprobleme in unserer Welt seien allein mit den Methoden des wissenschaftlichen Fortschrittes in den Griff zu bekommen, wurde der Blick auf einige wesentliche Punkte verstellt; es wurden die Erfolge der nichtabendländischen Heilkunde übersehen. Denn schließlich hatte die traditionelle Medizin und Hygiene jahrhundertelang ganzen Stämmen und Volksgruppen zu einer gewissen Stabilität verholfen und das Überleben gesichert, zu einer Zeit, als verheerende Seuchenzüge ganze Landstriche Europas zu entvölkern drohten. So kannte man zum Beispiel in Afrika auch schon vor der Ankunft der Europäer die Pockenimpfung. Die sich in einer Pockenpustel sammelnde Flüssigkeit wurde gesunden Männern und Frauen in einem kleinen Schnitt am Oberarm, an der Nasenwurzel oder auch am Handgelenk eingerieben. In Kenia und Tansania werden noch 10 Kritik Auf Seiten der Mission war sicher die Angst vor dem Einfluss magischer Mächte - das Verwobensein von erstaunlichen medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen mit handfesten okkulten Praktiken - die Triebfeder, die traditionelle Heilkunde als Ganzes abzulehnen und zu verwerfen. Man sah oftmals als selbstverständlich an, dass mit der Bekehrung zum christlichen Glauben auch eine Bekehrung zur westlichen Medizin des Missionars verbunden war, wobei übersehen wurde, dass unsere westliche Medizin ebenso wenig christlich ist wie die der traditionellen Heilkunde der Asiaten, Afrikaner und Südamerikaner. Beklagen wir dort magische und okkulte Reflektionen und Vorstellungen, die Einbeziehungen von Ahnen und Gottheiten, so müssen wir hier die zum Götzen erhobenen medizinischen Apparate und Arzneien erkennen, die einen wesentlichen Teil unseres Gesundheitssystems ausmachen. Oft genug wird so afrikanischer medizinischer Götzendienst durch einen neuheidnischen Glauben an die westliche Medizin und an die Allmacht westlicher Missionskrankenhäuser und Ärzte gefördert und ersetzt. Der „alte Glaube wird lediglich durch neues Wissen ersetzt“ (UNSCHULD), und Missionshospitäler westlicher Prägung werden zum Hoffnungsträger neuer und vollkommener Gesundheit. * Vgl. „Größte Apotheke der Welt“. Der Spiegel, 29/1991 11 I. Medizin und Kultur Auseinandersetzung und Begegnung Der Glaube an die moderne Medizin, an die medizinische Machbarkeit weicht gerade in unseren Tagen der zunehmenden Ernüchterung: Nicht alles, was machbar ist, ist finanzierbar; nicht alles, was möglich ist, ist auch gut und heilsam für uns. Trotz aller Bemühungen und Erfolge sind wir an ethische, finanzielle und technische Grenzen gestoßen. Wir beginnen, uns damit vertraut zu machen, auch im nichtchristlichen und säkularen Bereich, dass Krankheit und Leiden sehr wohl Bestandteil unserer menschlichen Existenz sind. Gesundheit und Krankheit sind nicht allein abhängig von naturwissenschaftlich fassbaren Kriterien und Meßgrößen, sondern vielmehr Folge von Verhaltensnormen, von überlieferten oder neuerworbenen Lebensstilen, die nur im Kontext der jeweiligen Kultur zu verstehen, zu deuten und zu beeinflussen sind. Das so genannte „moderne“ naturwissenschaftliche Weltbild und seine Medizin ist e i n e Sichtweise, die vielleicht im Rahmen der abendländischen Denk- und Erfahrenswelt und unter den Voraussetzungen des Wohlstands eine gewisse Berechtigung haben mag. Problematisch ist der kulturübergreifende Wirkungsanspruch der abendländischen Heilkunde, denn für Menschen in der „Dritten“ Welt „resultieren hieraus oft Schwierigkeiten [...]; da sie nicht in der, westlichen’ Gedankenwelt sozialisiert wurden.“ * text erfassen, verstehen und auszulegen lernen. Hierzu bedarf es umfassender Analysen, Forschungen und Studien. Erst dann können wir die Botschaft von Christus glaubwürdig vermitteln und den Moslems das christliche Verständnis von Heil und Heilung aufschließen und nahe bringen. Medizin und Islam Ein Schwerpunkt der christlichen Islammission ist die medizinische Missionsarbeit. In manchen islamischen Ländern erhält man nur als Arzt oder als Krankenschwester eine Arbeitserlaubnis, geistlichen Berufen wird diese verwehrt, so zum Beispiel in Nordafrika, den arabischen Ölstaaten, Nordsudan, Afghanistan. In anderen islamischen Staaten wie Ägypten und Pakistan sind die Voraussetzungen für eine offizielle medizinische Missionsarbeit günstiger, doch auch hier muss immer wieder mit Einschränkungen gerechnet werden. Ärztliche Mission trifft auch im Islam nicht auf ein medizinisches Vakuum. Es gibt, wie der eingangs erwähnte medizinische Kongress in Teheran zeigt, eine religionsbezogene „islamische Medizin“. Der Islam reguliert das ganze Leben seiner Gläubigen. Alle Lebensbereiche sind von Anweisungen, Regeln, Ge- und Verboten begleitet. „Der Islam hat für alles, was den Menschen und die Gesellschaft betrifft, Lehren. Diese kommen vom Allmächtigen und sind den Menschen durch seinen Propheten und Boten überliefert. Man ist überrascht von der Größe dieser Gebote, die alle Aspekte des Lebens abdecken, von der Empfängnis bis zur Bestattung. Es gibt nichts, worüber der Islam nicht sein Urteil gefällt hat“, proklamierte Ajatollah Khomeini*. So sind auch Aussagen und Regulierungen zu Gesundheitsvorsorge und -fürsorge, zu Krankenbehandlungen und zum Ärztestand zu erwarten. Gerade in den islamischen Ländern beobachten wir ein Erstarken der traditionellen Kultur, einschließlich der islamischen Medizin. Die Auseinandersetzung mit beiden ist notwendig, damit wir die tiefen menschlichen Vorstellungsschichten und Erlebnisweisen im islamischen Kon12 * SICH / DIESFELD, S.5 Wir sind Botschafter Christi und nicht Abgesandte irgendeines zweifelhaften medizinischtechnischen Fortschrittes. Das macht uns frei, nach dem zu fragen, was für die Menschen wirklich wichtig und lebensnotwendig ist. Dabei mögen wir vor Überheblichkeit bewahrt bleiben. Wir setzen oft genug voraus, unsere westliche wissenschaftliche Medizin sei anderen Heilsystemen und Auffassungen überlegen. Dies mag auch auf viele Bereiche zutreffen. Doch dürfen wir die Verwurzelung der Menschen in ihre traditionellen Heilsysteme nicht unterschätzen. Es gibt die islamische Medizin ebenso wie die Ayurveda-Medizin im hinduistischen Indien und die Heilkunde der Medizinmänner in Afrika. Diese traditionellen Heilsysteme gewinnen an Einfluss und Bedeutung. Es ist wohl an der Zeit, dass traditionelle Heilkunde und westliche Medizin voneinander lernen. Abb. 4: Ausreitender Buddha, der einem Leichnam, einem Fieberkranken, einem Greis und einem Mönch begegnet. Möglicherweise liegt in der Zusammenarbeit eine Möglichkeit, die dringendsten Gesundheitsprobleme der ländlichen Bevölkerung in Afrika anzugehen. Gute Erfolge gibt es zum Beispiel, indem man traditionelle Hebammen mit Grundbegriffen der Hygiene vertraut macht und sie dann im öffentlichen Gesundheitsdienst einsetzt. Die Mütter- und Kindersterblichkeit ließe sich dadurch vielerorts beträchtlich senken. Der westlich ausgebildete christliche Arzt kann anderen Heilsystemen gelassen und ohne Vorurteile begegnen. Das Gute und Nutzbringende darf er getrost übernehmen: „Alles prüfet, das Gute behaltet“ (l. Thess 5,21) in dem Wissen: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi“ (l. Kor 3,22f). Darauf kommt es entscheidend an. * Khomeini, S.19 13 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Die Periode, mit der wir uns in diesem geschichtlichen Abschnitt über die Medizin im Islam zu beschäftigen haben, ist die Zeit von 500 bis 1400 nach Christi Geburt. Bei dieser Darstellung von neunhundert Jahren Medizingeschichte des islamisch-arabischen Kulturraums kann es sich nur um eine grobe Einführung handeln. In diesen Jahrhunderten befand sich das christliche Abendland kulturell gesehen auf keinem hohen Entwicklungsstand. Besonders auf den Gebieten der Naturwissenschaften, der Philosophie, der Malerei, der Musik und der Architektur glänzte es kaum durch eigene Entwicklungen und Entdeckungen. Das kontinentale Europa jener Zeit war nach den Worten von LlCHTENTHAELER ein „Entwicklungsland“, das den Zugang zu den geistigen Quellen Griechenlands und Roms entweder nie besessen hat oder dort, wo er wirklich bestand, verloren hat. In der medizinischen Wissenschaft befand sich manches im Argen. Die Heilkunst lag in den Händen der Mönche, die in ihren Klöstern, dem christlichen Liebesgebot folgend, Kranke betreuten. Diese Mönchs-Ärzte hatten sich ihr medizinisches Wissen aus Büchern erarbeitet und praktizierten oft gegen den Willen ihrer Kirche (Ecdesia abhorret a sanguine, Die Kirche verabscheut Blut hinter ihren Klostermauern). Im eigenen Kräutergarten wurden Heilkräuter angepflanzt und zur Therapie verwendet. Während die Zivilisation in Westeuropa sich wenig weiterentwickelte, erreichten die Wissenschaften und besonders die Heilkünste im islamischen Orient eine vorher kaum gekannte Größe. Die Religion des Islam, ein Überblick Islam heißt Ergebung, Unterwerfung, Hingabe (an Allah). Der Mensch, der sich dem Willen Allahs unterwirft, ist Muslim. Charakteristisch für die Glaubenshaltung des Muslims ist seine völlige Ergebenheit und Ohnmacht dem unnahbaren und allumfassenden und allmächtigen Willen Allahs gegenüber. Nur in tiefster Ergebung wagt der gläubige Muslim, Allah gegenüberzutreten. Diese Ergebenheit kommt deutlich in der Gebetshaltung des Muslims zum Ausdruck: Der Gläubige wirft sich wie ein Sklave vor seinem Herrn zu Boden. Seinem Selbstverständnis nach ist der Islam eine geoffenbarte Religion und gründet sich nicht auf einen Religionsstifter. MOHAMMED (* um 570 in Mekka; + 632 in Medina) gilt als der Prophet Allahs. Der Muslim beruft sich auf den Koran, das heilige Buch. Er wird als die irdische Ausgabe des himmlischen Urbuchs angesehen. Der Islam bekennt sich zum Monotheismus. Die christliche Lehre der Dreieinigkeit wird als Polytheismus entschieden abgelehnt und bekämpft. Das Christenzeugnis wird geleugnet (Sure 9,20). 14 Religion des Islams Die wichtigsten Stücke der kultischen Pflichten sind die so genannten Fünf Säulen des Islams. Das Glaubensbekenntnis, die shahada, ist der erste Pfeiler: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“ Dieser kurze und einfache Satz ist auch die Übertrittsformel zum Islam. Die weiteren Säulen sind das tägliche fünfmalige Pflichtgebet zu bestimmten Tageszeiten (salat), die Almosensteuer (zakat), das Fasten (saum) im Monat Ramadan und die Wallfahrt (hadj) nach Mekka. Im Jahre 622 siedelte MOHAMMED nach Medina über; die Übersiedlung ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. 630 besetzten seine Truppen Mekka; er starb 630 in Medina. MOHAMMED`S Nachfolger besetzten Syrien, Persien, Nordafrika und Spanien, fast den gesamten arabischen Kulturraum. Diese Zeit der Eroberung (bis etwa 800) bezeichnet man in der Geschichte des Islams als die heroische oder kämpferische Phase. Es folgte die Blütezeit, das goldene Zeitalter (800 - 1000). Drei Kalifate teilten sich die Macht in dem gewaltigen islamischen Reich: die Dynastie der Omayaden in Spanien/Cordoba (756 - 1031), die Abbasiden in Persien/Bagdad (750 - 1258) und die Fatimiden in Ägypten/Kairo (909 - 1171). Alle drei Kalifate waren Zentren des geistigen und kulturellen Lebens der damaligen Welt, in denen Bildung und Wissenschaft gefördert wurden. Im 13. Jahrhundert signalisierte der Mongoleneinfall in Bagdad den politischen und kulturellen Verfall des islamischen Großreiches. Die arabischen Staaten versanken in Tiefschlaf und wurden für die Weltgeschichte bedeutungslos. Erst im neunzehnten Jahrhundert nach Christus kam es zu einem Erwachen der arabischen Welt. Die wissenschaftliche Medizin im Islam Die verstreuten Beduinenstämme in den Wüstengebieten der arabischen Halbinsel vorislamischer Zeit praktizierten eine Volksmedizin. Einen ausgebildeten Ärztestand oder eine Zunft der Heilkundigen gab es nicht. Ebenso wenig kannte man ein wissenschaftliches medizinisches System. Es waren besonders die Frauen, die Kranke und Verletzte mit ihrem von den Müttern und Schwiegermüttern vermittelten Wissen pflegten und behandelten. Magische Praktiken waren üblich, auch das Besprechen von Krankheiten. MOHAMMED war diese Volksmedizin geläufig, ja er wandte sie auch an. Das erfahren wir aus den sogenannten Hadithen (Überlieferungen). Diese Überlieferungen sind echte und erfundene Aussprüche und Handlungen des Propheten zu den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Sie dienten und dienen dem Moslem als Orientierungshilfe neben dem Koran. Auch über Krankheit, Medizin und Heilung äußerte sich MOHAMMED. So finden 15 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Wissenschaftliche Medizin sich in den Hadithen Anweisungen zu einer gesunden Lebensführung, Therapieempfehlungen und anderes. Diese Richtlinien und Empfehlungen basieren auf den damaligen Praktiken und Kenntnissen der altarabischen Volksmedizin und gehen über diese nicht hinaus. die islamischen Krankenhäuser. Die Abbasidenkalifen bezogen von Gondishapur ihre Leibärzte. Vorwiegend diese Kalifen waren es auch, die die Übersetzungsarbeit syrischer Christen förderten. Namentlich muss die Übersetzungsschule des Nestorianers HUNAIN IBN ISHAQ genannt werden (809 - 873), der Hunderte von medizinischen Schriften übertragen hat. So lernten die Muslime die Schriften GALENs, die gesamte hippokratische Literatur, die Schriften des RUFUS VON EPHESOS, die Chirurgie des ANTYLLOS und die Pathologie des PHILAGRIOS kennen. Bis 900 ist die wesentliche Übersetzungsarbeit abgeschlossen. Diese erste Phase der islamischen Medizin hat CHEHADE das „Übersetzungsfieber“ genannt. Es war die Zeit der Rezeption und der Assimilation, besonders des Griechentums und der griechischen Heilkunde ins Arabische. Wie wir noch sehen werden (S. 24), spielen die medizinischen Hadithe von MOHAMMED in der so genannten Prophetenmedizin eine große Rolle. Der Islam breitete sich aus. Die Truppen MOHAMMEDS standen 630 vor den Toren Mekkas. Im Todesjahr des Propheten war fast die gesamte arabische Halbinsel erobert. Wie ein entfesselter Sturm brach die neue Religion aus der Wüste über die damaligen Länder hinweg. Bald waren Syrien und Persien erobert. Die Heere drangen nach Osten vor, über Afghanistan bis tief hinein nach Indien; im Westen erreichen sie Marokko. 711 überquerten sie Gibraltar und betraten in Spanien das christliche Abendland. In den eroberten Gebieten trafen die Araber, die bisher mehr am Rande der Zivilisation lebten, auf die Kulturgüter der antiken Welt des Mittelmeerraums. Der klassischen griechischen Bildung hatte der Islam nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Und auch auf dem Gebiet der Medizin trafen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite die arabische primitive Volksmedizin, auf der anderen Seite wissenschaftlich ausgebildete Ärzte, meist syrische und ägyptische Christen, die der hoch stehenden griechischen Heilkunde verpflichtet waren. In großer Aufgeschlossenheit und in tiefer Ehrfurcht vor den Gedanken des antiken Griechentums bemächtigten sich die Araber der für sie neuen und hoch stehenden Kultur, indem sie die antiken Texte übersetzten beziehungsweise übersetzen ließen. Besonders taten sich so als Vermittler des griechischen Wissens an die Araber nestorianische Christen (Ostsyrer), aber auch Juden hervor. (Hingewiesen werden muss auch darauf, dass im Laufe der Jahrhunderte ständig Christen im Orient zum Islam übertraten und dadurch eine arabischsprachige Mischbevölkerung entstand. Der völkische Anteil der Araber an der Bevölkerung des Orients ist relativ klein, und viele Gelehrte, die die Araber für sich beanspruchen, sind eigentlich Konvertiten.) In Damaskus, Bagdad und Antiochia entstanden Übersetzungszentren und Schulen, die nur damit beschäftigt waren, die antiken Werke ins Arabische zu übersetzen. Arabisch entwickelte sich zur Gelehrtensprache. Mittelpunkt dieser Übersetzungsschulen und Zentren der geistigen Auseinandersetzung waren die Schulen der Nestorianer von Edessa, Nisibis, Selenkia und Gondishapur. Schon in vorislamischer Zeit übersetzten sie hier griechische Texte ins Syrische. Nach der Eroberung durch den Islam erfolgte zum Teil die Übertragung vom Syrischen ins Arabische. Die griechischen Originaltexte gingen bald verloren. (Wir haben heute die Texte griechischer Literatur weitgehend aus dem Arabischen). Die persische Stadt Gondishapur muß besonders erwähnt werden. Unter den Nestorianern war hier eine medizinische Hochschule entstanden, die die Verbindung von Praxis und Theorie pflegte. Der klinische Unterricht und die theoretische Ausbildung an diesem Krankenhaus wurden zum Vorbild für 16 Die Blütezeit der arabischen Medizin Ihre Blüte erreichte die arabische Medizin bis etwa 1150 nach Christi Geburt. Die Sprache der Wissenschaft war das Arabische. Aber die großen Ärzte dieser Epoche waren nicht Araber, sondern Perser, oder sie kamen aus Ägypten, Syrien oder Spanien. Die Zeit der Übersetzung war vorüber. Alle Werke von HIPPOKRATES, von GALEN und die der byzantinischen Medizin lagen in arabischer Sprache vor. Man kannte HIPPOKRATES und GALEN in- und auswendig. Es war die Zeit der Verarbeitung, des kritischen Sichtens, des Annehmens und Abwehrens, des eigenen schöpferischen Forschens und Beobachtens. Es erscheinen wichtige medizinische Originalwerke, so das Firdaws al-Hikmah (Paradies der Weisheit) des AL IBN SAHL AL-TABARI (833 - 923), welches neben griechischen auch indische Quellen berücksichtigt. Rhazes Bedeutsamer als AL-TABARI war AL-RAZI (865 - 925; latinisiert RHAZES), der als einer der größten und eigen-ständigsten islamischen Ärzte gilt. RHAZES war Alchimist, Philosoph und Arzt. Seine Schriften fanden in lateinischer Sprache im Europa des Mittelalters weite Verbreitung und hohes Ansehen. Studenten und Ärzte drängten in seine Vorlesungen. Wegen seiner Gelehrsamkeit und seines umfangreichen medizinischen Wissens wurde er verehrt. Der Ruhm RHAZES‘ gründete sich auf seine geniale Beobachtungsgabe und Beschreibungen von Krankheitsbildern. Abb 5: Rhazes (865-925) 17 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Wissenschaftliche Medizin Berühmt wurden seine Abhandlungen über die Pocken und Masern. Ihm gelang eine Zusammenfassung des gesamten medizinischen Wissens seiner Zeit. Seine Exzerptensammlung wurde das Standardwerk der lateinischen Medizin des Mittelalters (Continenz des RHAZES). Herzklappen, beschäftigte sich mit Krankheiten wie Windpocken und Masern. Auch entwickelte er neue Methoden der Diagnostik. So wird zum Beispiel die Methode der Perkussion (Beklopfen einer Körperwand zur Identifizierung innerer Organstrukturen) auf ihn zurückgeführt, lange bevor sie von LEOPOLD AUENBRUGGER (1722 - 1809) wiederentdeckt wurde. Befasst sich AVICENNAs Al-Quanun mit der Heilung im körperlichen Bereich, so behandelt sein zweites enzyklopädisches Werk, das Kitab al-Schita, die Heilung der Seele. In ihm wird beschrieben, wie der Mensch stark und edel werden kann. AVICENNA unterscheidet eine theoretische Medizin von einer praktischen. Die praktische Medizin wird nochmals unterteilt in eine vorbeugende und eine heilende. Avicenna Den größten Einfluß auf die arabisch-islamische Medizin hatte AVICENNA (ABU ALI AL-HUSAIN IBN SINA; 980 - 1038), der als Sohn eines Beamten in Balkh in der Nähe von Buchara (im nördlichen Teil des heutigen Afghanistan) geboren wurde. Im Alter von zehn Jahren beherrschte er den Koran auswendig, studierte als Knabe ARISTOTELES, widmete sich der Philosophie, der Mathematik, Geometrie und Astronomie, der Musik und der Jurisprudenz, ehe er im Alter von sechzehn Jahren das Studium der Heilkunde begann. Insbesondere galt sein Interesse der Anatomie, Physiologie, Chirurgie und der Krankheitslehre. – Er soll die gesamte damalige Wissenschaft überblickt haben. Mit einundzwanzig Jahren schrieb er seine erste wissenschaftliche Enzyklopädie. Das Hauptwerk der über hundert von ihm verfassten Bücher war der Al-Quanun (Kanon) oder canon medicinae, eine Kanonisierung der Medizin - ein Werk, das jahrhundertelang vielen Ärzten und Medizinstudenten als Grundlage diente. Es war der Höhepunkt der scholastischen Medizin und gleichsam die Pflichtlektüre aller Mediziner. Nach der Erfindung des Buchdrucks war es nächst der Bibel das am häufigsten gedruckte Buch; es erlebte dreizehn Auflagen; die letzte lateinische Gesamtausgabe erschien 1688. Abb 6: Avicenna als Princeps Abinsceni mit Krone und Zepter. Bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts beruhten die Lehrpläne christlicher Universitäten, selbst im britischen Inselreich, auf den Schriften AVICENNAs. Sein Name übertraf den der alten griechischen Urväter der Medizin, HlPPOKRATES und GALEN: Eine mittelalterliche Darstellung zeigt AVICENNA auf einem Thron sitzend, mit einem Lorbeerkranz geschmückt. Links und rechts von ihm erkennt man GALEN und HlPPOKRATES, doch als Held und Fürst übertrifft er sie beide. Im Mittelalter waren Avicenna und Medizin gleichbedeutend. Neben seiner gedanklichen Schärfe und Logik, dem umfangreichen Wissen und seinem medizinischen Weitblick trug er durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen wesentlich zu einer Weiterentwicklung der Medizin bei. So beschrieb er als erster die Anatomie der menschlichen Augenmuskeln richtig, erklärte das System der Herzkammern und 18 Die medizinischen Leistungen Der oben erwähnte RHAZES beschrieb als erster zwei neue Krankheitsbilder, die Masern und die Pocken. Augenkrankheiten waren wegen der mangelhaften Hygiene weit verbreitet. So war gerade das Gebiet der Ophthalmologie der Bereich, auf dem man neue physiologische, diagnostische und therapeutische Erkenntnisse erlangte. Wieder war es RHAZES, der als erster die Lichtreaktion der Pupille beobachtete, und IBN ALHAITAN erfasste das Sehen als einen mit der Lichtbrechung zusammenhängenden Vorgang. Er begründete damit die physiologische Optik. - Im Jahre 1000 wurde bei der Staroperation erstmals die getrübte Linse herausgezogen, ein revolutionärer Fortschritt gegenüber dem Starstich, bei dem die trübe Masse nur nach hinten gedrückt wird. Auch die Pharmakologie erlebte ihren Aufschwung. Kampfer und Mutterkorn sind arabische Heilmittel. Es wurden Verfahren der Destillation, Sublimation und Kristallisation entwickelt. Das Gummi Arabicum hat aus dieser Zeit seinen Namen. Die Geisteskranken werden in besonderen Abteilungen der Krankenhäuser gut versorgt; sie wurden nicht mehr als Verbrecher eingestuft. Es gab sogar Ansätze von psychotherapeutischen Maßnahmen. Die psychisch Kranken versuchte man durch Tanz, Musik und Theater abzulenken. Abb 7: Besuch des Arztes am Krankenbett, Avicenna canon medicinae. bpk / Scala 19 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Wissenschaftliche Medizin Allein die Chirurgie war und blieb rückständig. Das Schneiden, Bandagieren, Aderlassen und Schröpfen wurde von nicht ausgebildeten Heilern aus dem Volk, von Laien und Bruchschneidern ausgeübt. Das einzige chirurgische Werk stammt von dem Arzt ABULKASIM, ein Werk, das nach 1300 in Europa mehr gelesen wurde als bei den Arabern. Die am meisten geübte chirurgische Tätigkeit der wissenschaftlich ausgebildeten Ärzte war das Kauterisieren (= Brennen) sowohl für innere als auch für äußere Erkrankungen. Man führte eine Narkose durch, indem man einen mit dem Narkotikum getränkten Schwamm über Mund und Nase hielt. der guten Krankenhausküche zu gelangen. Die Dauer des Krankenhausaufenthaltes war unbegrenzt. Das wohl größte und hervorragendste Hospital war das MansurHospital in Kairo. In separaten Stationen lagen die Patienten mit den verschiedenen Krankheiten. Es gab Säle für Fieberkranke, für Augenleiden, eine besondere Frauenstation, eine Abteilung für Durchfall-Kranke und auch für chirurgische Patienten. Bei der Entlassung erhielt jeder Patient fünf Goldstücke, um seinen Lebensunterhalt bis zum Wiedereintritt in den Arbeitsprozess zu bestreiten. Die Ärzte Der Verfall der Medizin Die medizinische Ausbildung geschah in einem Lehrzentrum oder in einem Krankenhaus, auch in privaten Räumen der Lehrer. Überall in der Welt des Islams gab es Akademien, Schulen, Bibliotheken als selbständige Einrichtungen oder angegliedert an Moscheen und Krankenhäuser. Am Anfang stand ein grundlegendes Literaturstudium. Dann erfolgte die klinische Ausbildung. Nach erfolgreich beendetem Studium erhielt man ein Zertifikat. Die arabischen Ärzte scheuten sich, in die Intimsphäre der Frau einzudringen. Die Hauptarbeit der Gynäkologie und der geburtshilflichen Praxis geschah deshalb durch Hebammen. Ein Ereignis zeigte den langsamen Verfall der islamischen Macht an – die Eroberung Bagdads durch die Mongolen 1258. Der politische und kulturelle Niedergang des islamisch-arabischen Weltreichs führte auch zum Verfall der vormals blühenden islamischen Medizin. Die medizinische Wissenschaft verlor mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten ihren Schwung. Den bewährten Werken der Alten fügte man nichts Neues mehr hinzu. Wissenschaft- Abb 8: Averroes (1126 - 1198) liche Neugier, Entdeckung und Eroberungsdrang standen still. Autoritäten wie AVICENNA werden unverändert immer wieder abgeschrieben. Im Gegenteil, man bemühte sich sogar, die medizinische Wissenschaft immer handlicher werden zu lassen. Ganze Kapitel und Abschnitte der medizinischen Lehre wurden weggelassen. Zwar gab es noch große Namen wie AVERROES aus der Kalifenstadt Cordoba (1126 - 1198), Philosoph, Theologe und Arzt, berühmt geworden durch seine ARlSTOTELES-Kommentare. Auch sein jüdischer Schüler MAIMONIDES (1139 -1204) wurde als Mediziner bekannt und berühmt. Er verfasste Schriften über Diät, Hygiene, Erste Hilfe und übersetzte den Kanon AVICENNAS ins Hebräische. Sein populäres Buch der Verordnungen ist eine Sammlung von Briefen an SALADIN, dessen Leibarzt er war. Auch das Morgengebet des Arztes wird MAIMONIDES zugeschrieben, ein Zeugnis einer hohen medizinischen Ethik: Das Krankenhauswesen Vorbildlich war die Entwicklung des Krankenhauswesens im Islam dieser Zeit. Es übertraf den Standard der christlichen Hospitäler des Mittelalters bei weitem. Das Vorbild des medizinischen Zentrums der Stadt Gondishapur beschrieb ich bereits (S. 16). Zur wahren Größe ist Gondishapur erst in islamischer Zeit herangewachsen. Bekannte Hospitäler befanden sich auch in Bagdad, Damaskus und Kairo. Der Arzt war nicht Nebenfigur wie in den Krankenhäusern des Mittelalters in Europa, sondern mitverantwortlicher Leiter. Wir hören von Chefärzten. Es fanden regelmäßige Untersuchungen und Visiten der Patienten statt. In Spezialabteilungen wurden die Geisteskranken behandelt. Lange bevor im achtzehnten Jahrhundert BOERHAAVE (1668 - 1738) seinen klinischen Unterricht in Leyden begann, wurden die Studenten in den Krankenhäusern unterrichtet. In manchen islamischen Hospitälern waren sogar besondere Räume für die Vorlesungen eingerichtet. Den Spitälern waren umfangreiche Apotheken und hervorragende Bibliotheken angegliedert. Nach den Grundsätzen RHAZES‘ wurde eine ausgiebige Kasuistik für Forschungszwecke betrieben. Die äußere Versorgung muss hervorragend gewesen sein. In Damaskus sollen die Zimmer elegant ausgestattet gewesen sein. Es wird überliefert, dass Gesunde sich krank stellten, nur um in den Genuss 20 „O Gott, lass meinen Geist immer klar und erleuchtet sein. Lass keinen fremden Gedanken am Krankenbett mich ablenken. Was Ausbildung und Erfahrung gelehrt haben, soll stets im Denken präsent sein und nicht bei der gelassenen Arbeit stören. Denn groß und edel sind die wissenschaftlichen Erwägungen, die der Erhaltung der Gesundheit und des Lebens deiner Geschöpfe dienen. Halte den Gedanken fern, dass ich derjenige bin, der all dieses vollbringt. Gib mir die 21 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Kraft, den Willen und die Gelegenheit, mein Wissen immer mehr zu erweitern. Heute entdecke ich Dinge, von denen ich gestern noch nicht geträumt hatte, denn die Kunst ist groß, aber der menschliche Geist strebt unermüdlich weiter. Lass mich im Patienten stets nur den Menschen sehen. In deiner Großmut hast du mich erwählt, über Leben und Tod deiner Geschöpfe zu wachen. Ich bereite mich auf diese Berufung vor. Steh du mir bei in dieser großen Aufgabe, so dass sie gelingen möge. Denn ohne deine Hilfe gelingt dem Menschen auch nicht das kleinste Ding.“ Genannt werden muss auch noch IBN AN-NAFIS (1210 - 1288), in Damaskus geboren, der als erster den Lungenkreislauf beschrieb. Er stellte fest, dass die Herzscheidewand undurchlässig ist und widerlegte damit die Theorie GALENs, der behauptete, ein Teil des Blutes gelange von der rechten in die linke Herzkammer. Weiter überlegte IBN AN-NAFIS, dass das Blut aus der rechten Herzkammer in die Lunge gelange, dort mit Luft vermischt werde und dann wieder in die linke Kammer geleitet werde. Er beschrieb damit den Lungenkreislauf rund dreihundert Jahre, bevor WLLIAM HARVEY (1578 - 1657) seine Theorie des Blutkreislaufs verfasste. Trotz dieser Höhepunkte kam es zum Stillstand in der islamisch-arabischen Medizin, ja, zum Rückschritt. Abb 9: Maimonides (1139 -1204) Woher rührte dieser langsame und doch unaufhaltsame Verfall der Medizin? Der Eindruck einer blühenden medizinischen Wissenschaft, die souverän das Feld behauptet, täuscht. Folgende Ereignisse zeigen anschaulich den Konflikt: Da wird berichtet, der Übersetzer und Gelehrte HUNAIN IBN ISHAQ sei vom Volksmob belästigt und geprügelt worden. Man hört, der große Gelehrte RHAZES sei in seinen letzten Lebensjahren erblindet als Folge der Schläge, die der Kalif in Bagdad ihm verordnete. Und AVERROES musste auf Befehl des Kalifen von Cordoba im Exil leben. Vom Pöbel wurde AVERROES fortgejagt, seine Studenten ächteten ihn. Was war hier geschehen? Der einfache Islam prägte vorwiegend die Volksmassen. Durch die Begegnung mit dem Gedankengut der antiken Philosophie flossen zwar liberale Ideen in das Denken, ja, man kann sogar von einer gewissen Aufklärung sprechen, doch die Orthodoxie ließ sich nicht aufhalten. Sie wuchs zu einer mächtigen selbstbewussten und eigenständigen Kraft. Besonders ab dem elften Jahrhundert triumphierte sie mit dem Erstarken der Turkvölker des Mittleren Ostens, die zum Bannerträger der Orthodoxie heranwuchsen. Der Konflikt mit der wissenschaftlichen Medizin trat nun offen zutage. Sie hatte nicht mehr eine Sonderstellung, sie wurde suspekt. Orthodoxe muslimische Kreise erwuchsen zu einer stabilen religiösen Opposition gegen die ursprünglich heidnische Medizin. Denn die Quellen dieser arabischen Medizin lagen im heidnischen 22 Wissenschaftliche Medizin Griechenland. Für die islamische Orthodoxie war die Beschäftigung mit der säkularen Wissenschaft, die Medizin eingeschlossen, besonders wenn sie am Koran vorbei oder gar unabhängig von ihm betrieben wurde, unmöglich und trieb sie zum Widerstand. Hier lag die Spannung: Auf der einen Seite die arabische Medizin mit ihrer Orientierung an der rationalen griechischen Philosophie, auf der anderen Seite die islamische Religion. Man erwartete von den arabischen Ärzten, den Islam in ihr medizinisches Denken und in ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse einzubeziehen. Nicht umsonst beginnt die große Schrift des IBN AN-NAFIS Über den Lungenkreislauf mit der Anrufung Allahs und MOHAMMEDS. Wurde die Religion nicht beachtet, erging es den Ärzten wie RHAZES und AVERROES. Selbst liberale Fürsten ließen gelegentlich ihre wissenschaftlich orientierten Ärzte und Philosophen zum Schein züchtigen, um nicht Opfer der religiösen Eiferer zu werden. Für das Volk und für die gläubigen Moslems aber waren die philosophisch gebildeten Ärzte, bei denen es sich zum Teil ja auch um Christen und Juden Abb 10: Anrufung Allahs in einer Abschrift des canon medicinae, handelte, Ketzer, die es zu bekämpfen galt. 1597/98 LICHTENTHAELER führt den Grund dieser Spannungen an: „Dem islamischen Osten fehlte ein THOMAS VON AQUIN (1225 [1226?] - 1274), der die aristotelischneuplatonische Wissenschaft mit der religiösen Orthodoxie hätte versöhnen können.“ Wissenschaft und Glauben standen einander unversöhnlich gegenüber. Der Islam hatte zwar die griechische Medizin und Wissenschaft übersetzt und in sich aufgenommen, nicht aber die griechische Philosophie. Die religiösen Gegenkräfte der einflussreichen muslimischen Orthodoxie führten schließlich zu einem anderen medizinischen System, welches uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll. Dieses medizinische System entstand als Gegenpol zur wissenschaftlich orientierten Heilkunde. Es ist die so genannte Prophetenmedizin. Zusammenfassung Schon vor MOHAMMED übersetzten Christen und Juden, besonders Nestorianer, die griechische antike medizinische Literatur ins Syrische und auch ins Hebräische. Der sich ausbreitende Islam bemächtigte sich der jeweiligen Gebiete und Länder und auch der Kulturen. In Übersetzungszentren wurden die antiken Texte des Griechentums in die arabische Sprache übertragen. Die sprachliche Reise der antiken Texte ist: griechisch-syrisch-hebräisch-arabisch, dann später in Europa lateinisch. Wir haben die antiken Texte auf diesem Weg erhalten. Nach diesem „Übersetzungsfieber“ (CHEHA23 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Propheten- und Volksmedizin DE) folgte die Zeit der islamischen Herrschaft, die Zeit der eigenen produktiven Forschung. Es war die arabische Phase, die Blütezeit der Medizin mit dem hohen Standard im Krankenhauswesen. Der Arzt besaß eine besondere Stellung in der Gesellschaft. Es war die Zeit von RHAZES und AVICENNA. Die dritte Phase war der Niedergang der wissenschaftlichen Medizin, zeitgleich mit dem politischen Verfall. Ein Grund war das Erstarken der islamischen Orthodoxie mit der Prophetenmedizin im Gefolge. einem Prinzip verpflichtet: Der Prophet hat in jedem Fall die Wahrheit gesprochen. Entscheidend für eine Behandlung oder ein medizinisches Problem war, ob man ein entsprechendes Hadith des Propheten anführen konnte. Die Richtigkeit der wissenschaftlichen Medizin sollte und musste mit Hilfe der Hadithe bewiesen werden und nicht umgekehrt. In seiner Verteidigung der Prophetenmedizin formuliert MOHAMMED AS-SURRAMARRI charakteristisch: „Ich bin bei der Abfassung dieses Werkes wie die Rechtsgelehrten (fuqaha) verfahren, indem ich eine Frage aufgeworfen und anhand des Textes (hadith) Beweise aufgeführt habe. So nenne ich etwa ein Heilmittel und gebe zunächst an, was die Ärzte darüber gesagt haben, dann gebe ich Beweise anhand von Aussprüchen und Handlungen des Propheten. Ebenso erwähne ich eine Krankheit und was über ihre Behandlung bei den Ärzten gesagt ist, danach, was im Hadith darüber vorkommt“ (DIETRICH). Im Koran selbst ist wenig von Medizin die Rede. Nicht enthalten sind Wörter wie Arzt oder Medizin. Im Arabischen unterscheidet man zwischen dem Arzt im engeren Sinne, dem tabib, und dem hakim, dem Weisen, Arzt, Philosophen und Lebensberater. Das Wort Krankheit findet man häufig im Koran, allerdings im übertragenen Sinne, als Metapher. Krankheit ist Bezeichnung für Unglaube, Heidentum und Misstrauen dem Islam gegenüber (Sure 2,10/9; 5,52/47). Begriffe der Kranke, die Kranken, krank kommen achtmal im Koran vor, immer im Zusammenhang mit rituellen Vorschriften: Ein Kranker braucht dies oder jenes nicht zu tun (z. B. Sure 2,184/180 und 196/192). Das Wort heilen finden wir einmal, den Begriff Heilung dreimal (17,82/84), auch hier als Metapher: „Wenn ich krank bin, so heilt er mich.“ Von Heilung im medizinischtherapeutischen Sinne lesen wir einmal in Sure 16,69/71. Daneben führten andere, bisher noch nicht erwähnte Umstände zum Niedergang: So die zunehmende Verquickung von Astrologie und Magie mit der Medizin. Ein äußerer Grund bestand in der Zerstörung der medizinischen Zentren durch die Mongolen. Auch begnügte man sich, das Erreichte zu bewahren und meinte, in den Enzyklopädien sei schon alles medizinische Wissen enthalten. Schöpferisches Handeln und Denken fehlten. So wurde es zum erklärten Ziel, die medizinische Literatur immer handlicher und bequemer zu gestalten: je weniger, desto besser. Als Gegenbewegung zu dieser erstarrten wissenschaftlichen Medizin prägte die Prophetenmedizin die folgenden Jahrhunderte. Die Prophetenmedizin Aus verstreuten, MOHAMMED zugeschriebenen Bemerkungen über Krankheitsursachen und Heilmethoden entwickelte sich die so genannte Prophetenmedizin, die auch heute noch, besonders in den ländlichen Gebieten der islamischen Länder, angewendet wird. Grundlage dieser Medizin ist die Volksmedizin der Beduinen, die um die medizinischen Aussprüche und Kommentare des Propheten (die sogenannten Hadithe) erweitert wurde. Die Zahl der medizinischen Hadithe war begrenzt. Deshalb fanden zahlreiche gefälschte Hadithe Eingang in die Traditionssammlungen. ULLMANN bemerkt hierzu: „Auf diese Weise wurden alter medizinischer Volksbrauch, Aberglaube und Amulettzauber religiös geweiht und übertüncht und mühsam in den Rang einer `Wissenschaft` erhoben.“ Gefördert wurde die Prophetenmedizin von der islamischen Orthodoxie als Abwehr gegen das heidnisch-griechische Medizinsystem GALENs. Noch ein weiterer Grund muss genannt werden. Viele führende Ärzte an den Kalifenhöfen und manche herausragenden Gelehrten und Vertreter dieser wissenschaftlich-hellenistischen Medizin waren Christen oder Juden, ein Grund mehr, ihnen mit Ablehnung und Feindschaft zu begegnen. Die Prophetenmedizin sollte diese nicht-islamische, heidnische und fremde Heilkunst abwehren. Medizinisches Handeln musste nun nicht mehr begründet werden. Der Heilende, ein Laie, ein Rechtsgelehrter oder Theologe, orientierte sich an keinem medizinischen System, sondern war, wie BÜRGEL formuliert, nur 24 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Heilungswunder Jesu besondere Bedeutung finden, obwohl sonst Wunder kaum eine Bedeutung haben. Berichtet wird über die Heilung der Blinden und Aussätzigen und über die Auferweckung von Toten (5,109/110). Über Wunder MOHAMMED´S hören wir im Koran nichts. Für sich selbst hat er Wunder abgelehnt. Damit wird Jesus eine Schöpferkraft und eine Macht beigemessen, wie sie sonst niemandem - auch nicht MOHAMMED -, außer Allah selbst zugesprochen wird, urteilt BOUMAN. Sucht man nach einem Grund für die Krankheiten, so findet man in der berühmten Hadith-Sammlung des BUCHARI hierzu: „Mit jeder kleinsten Verletzung, sei es auch nur durch einen Splitter, sühnt der Gläubige eine seiner Sünden.“ Krankheit wird durchaus positiv gesehen, gleichsam als Verdienst. Krankheit und Leiden sind göttliche Auszeichnung. Die Ursache der Krankheit kommt von Allah selbst. Dies hat in der islamischen Mystik (Sufismus) dazu geführt, dass man auf Heilbehandlungen verzichtete. Nach dem berühmten Mystiker und Philosophen AL-GHAZALI (1058 - 1111) ist die Krankheit eine Erfahrung, „durch die den Menschen das Wissen um Allah zuteil wird, denn Er sagte: „Krankheiten sind meine Diener, die ich auserwählten Freunden schenke.“ 25 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Propheten- und Volksmedizin Im Schrifttum des Sufismus werden Empfehlungen zur rechten Ernährung und zum Fasten als Konzept der Gesundheitsvorsorge weitergegeben. Danach gibt es Traditionsrichtungen, die die Schöpfung in verschiedene Entwicklungsstufen einteilen, beginnend mit der untersten Entwicklungsstufe, dem menschlichen Egoismus, bis hin zur höchsten, der Vereinigung mit Allah. Der Mensch soll sich vom Zeitpunkt der Geburt an bemühen, die Seele fortzuentwickeln, wobei nicht der Körper als solcher es sei, der diese Stationen durchlaufe, sondern die Seele. Allerdings durchläuft nicht jeder Mensch alle Stufen; mancher bleibt wie ein kleines Kind auf der ersten Stufe der Eigenliebe, des Eigendünkels stehen. Den einzelnen Stationen werden bestimmte Krankheiten zugeordnet. Furcht, Angst, Selbstzweifel, Eigensucht, Depression, aber auch Alkoholismus, Fettleibigkeit, Blindheit, erhöhter Blutzuckerspiegel, Krebs und so weiter werden nach diesen Vorstellungen darauf zurückgeführt, dass die Menschen noch auf der ersten Stufe der Entwicklung der Seele stehen geblieben seien. Alle Erkrankungen werden auf eine falsche Ernährung zurückgeführt. Folglich spielt die Diät eine entscheidende Rolle. Durch Beachtung dieses Gebotes erübrige sich die ganze wissenschaftliche Medizin. Auch andere volkstümliche Ratschläge sind bezeichnend: „Reiset, und ihr bleibt gesund.“ Wenn man sich auf der zweiten Stufe, der Station des Herzens, befindet, äußert sich dies an anderen Erkrankungen, zum Beispiel in so genannten geistigen Leiden wie Depression, starkem Ärger, Arroganz, Vergesslichkeit. Als körperliche Krankheiten können auftreten: Kopfschmerzen (besonders Migräne), Durchfall, Erbrechen, Fieber und so weiter. Sobald man die sechste Stufe erreicht hat, die Stufe der Vereinigung mit Allah, gibt es keine physischen Leiden mehr. Es geht in diesem Zustand nur noch um die Bestimmung der Todesart. Diese wahren Sufis sterben, ihrer Überzeugung nach, an keiner Krankheit, sondern werden vom Todesengel über den genauen Todeszeitpunkt informiert und können sich entsprechend vorbereiten. MOHAMMED selbst ist diese passive Haltung wohl nicht zuzuschreiben. Ein Hadith lautet: „Gott schickt keine Krankheit, ohne auch die Arznei dafür herbeizusenden.“ Um auch ganz sicherzustellen, dass man nicht abwarten muss, bis Allah nun auch die Medizin schickt, sondern aktiv den Heilungsprozess fördern kann, wurde das Hadith später erweitert: „Ein Gefährte des Propheten erkrankte während der Schlacht von Uhud. Da ließ der Prophet zwei in Medina anwesende Ärzte zu ihm kommen und bat sie, ihn zu behandeln. Sie sagten: ,O Gesandter Gottes, in der Djahiliya [Zeit vor dem Islam] pflegten wir zu behandeln und allerlei Praktiken anzuwenden. Seit aber der Islam kam, gibt es doch nur noch Gottvertrauen.‘ Er aber sprach: ,Behandelt ihn; denn Er, der die Krankheiten herschickt, schickt auch die Arznei herab und legt dann die Heilung herein!‘ So behandelten sie ihn, und er genas.“ Die Volksmedizin im Islam Jede Religion hat kultur- und ortsspezifische Lebensäußerungen in sich verarbeitet. Dabei handelt es sich um die vom Volk gelebte Religion; denken wir etwa an die Heiligenkulte im Raum der römisch-katholischen Kirche. Ebenso lassen sich solche Äußerungen des religiösen Lebens im protestantischen, orthodoxen oder koptischen Bereich finden. Besonders stark finden sich Elemente der Volksfrömmigkeit im Islam. Die Beduinen der vorislamischen Zeit glaubten an die Nymphen und Satyrn, jene Geister der Wüste. Das Ägypten des Altertums, der Pyramiden und Pharaonen war das Land der Amulette. Im Babylonien und Assyrien der Vorzeit spielten Beschwörungsformeln und -rituale, Zauber- und Segenssprüche eine besondere Rolle. Ein Volk, in dem seit Jahrtausenden solche Praktiken und Lebensäußerungen fest verankern sind, wird diese nicht ohne weiteres ablegen und preisgeben können und wollen. Die Anhänger des Islams übernahmen die vorgefundenen Beschwörungsformeln, die Amulette unterschiedlichster Art, den Glauben an die vielen Geister. Kurz, das magische Weltbild jener Zeit fand ungehinderten Eingang in die offiziellen Lehren des Islams. Das erleichterte auch vielen Menschen den Übertritt von ihrer alten Religion in die neue Glaubensgemeinschaft des Propheten. So ist der islamische Volksglaube geprägt von babylonischen, assyrischen, altsemitischen, hellenistischen, auch indischen und christlichen Einflüssen. Wallfahrtswesen, Heiligenverehrungen, heilige Bäume und Wälder, Höhlen und Gräber, kunstvolle Amulette und so weiter sind als religiöse Ausdrucksformen des Volkes stark entwickelt und auch heute, gerade in den ländlichen Gegenden aller islamischer Staaten und Ethnien, weit verbreitet. Kranke zu besuchen ist eine Pflicht. „Speist den Hungrigen, besucht den Kranken, steht dem Geplagten bei.“ Auch Heiden können besucht werden. Man fordert sie dann aber auf, den Islam anzunehmen. MOHAMMED vollzog bei Kranken häufig rituelle Waschungen und gab dann das Waschwasser als Heilzauber zu trinken. Der Kernsatz der Prophetenmedizin findet sich in Sure 7,31: „Esst und trinkt und schweift nicht aus.“ Manchmal ist dieser Volksglaube auch ein verbindendes Element bei Angehörigen der verschiedenen Religionen. KRISS weist darauf hin, dass das Amulettwesen über die koptische Kirche in den Islam geflossen sei, und von BLISS erfahren wir, dass auch heute noch muslimische Würdenträger Amulette für Christen und koptische Priester solche für Muslime schreiben. Beide Gruppen ließen sich auch kaum unterscheiden, wenn es um die Anwendung magischer Praktiken bei der Bestellung der Äcker gehe. Es sollen hier nur ganz kurz einige Gebräuche erwähnt werden*: Heilzauber und Magie sind in der medizinischen Gedankenwelt MOHAMMEDS von einer gewissen Bedeutung, wenngleich der Prophet eine schwankende Meinung vertrat. Seine Äußerungen und Ansichten waren wechselweise von den vorislamischen verschiedenen Vorstellungen geprägt. Amulette und Zauberformeln dienen als Schutzmittel gegen 26 * Eine unerschöpfliche Quelle ist immer noch die Darstellung von KRISS / KRISS-HEINRICH. 27 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Reislamisierung der Medizin den bösen Blick, gegen Schlangen, Skorpione, als Abwehr von Krankheiten und Dämonen. Die Amulette haben die unterschiedlichsten Formen. Es gibt Exemplare, die handwerklich kunstvoll aus Edelmetall verarbeitet sind, verziert mit Gravuren; andere sind aus Holz, Stoff, Knochen oder Leder. Auch Steine, Speckstein, Hämatit oder Alaun werden verwendet, ebenso wie Getreidekörner, Goldmünzen und Glasperlen. Der Beschreibung von KRISS entnehme ich ein Beispiel für ein Amulett, das kleine Kinder vor der Qarina, einer im gesamten islamischen Bereich gefürchteten Dämonin, die für den Tod von kleinen Kindern und für die Unfruchtbarkeit ihrer Mutter verantwortlich gemacht wird, schützen soll.** ist ebenso eine Form zur Sicherung der Gesundheit wie die medizinische Therapie.“ Es muss aber auch hervorgehoben werden, dass der Anspruch der Prophetenmedizin kritisiert und bezweifelt wurde, so durch IBN CHALDUN (+ 1406) und auch IBN ALCHATIB. Aber den Einfluss der Prophetenmedizin konnten sie nicht aufhalten. Es ist nicht verwunderlich: Wenn eine solche Volksmedizin Einfluss auf die wissenschaftliche Medizin gewinnen kann, ist deren Verfall eine Frage der Zeit. Die Islamisierung der Medizin hatte begonnen – Aufbruch in die Vergangenheit? Auch viele Krankheiten der Kinder wie Brechdurchfall, Keuchhusten, Krämpfe, Hirnhautentzündung, unaufhörliches Schreien schreibt man der Dämonin zu, die für die Kinder bis zum siebenten Lebensjahr gefährlich bleiben kann. Das Amulett, das man dem neugeborenen Säugling zum Schutz umhängt, befindet sich in einem kleinen Säckchen und enthält zum Beispiel Anis, Koriander, Nigella, Bohnen, Erbsen und Getreide sowie die getrocknete Nabelschnur des Kindes, ein Stück arabisches Brot und einige Körner Salz. Auch können ein Stück der Kerze, die bei der Feier der Namensgebung verwendet wurde, und eine kleine Münze enthalten sein. Der Heilzauber wird zum Beispiel im Aufsagen von Schutzgebeten (Suren 113 und 114), eventuell verbunden mit magischen Praktiken, etwa dem Blasen in die vier Himmelsrichtungen, bestehen. Die Reislamisierung der Medizin Handfeste magische Rituale sind auch in den Hadithen und im Fiqh (religiöses Recht) verankert. Der böse Blick und der Neid spielen eine ganz besondere Rolle. Nach allgemeinem Volksglauben - nicht nur im Vorderen Orient, sondern in Afrika überhaupt sterben zwei Drittel der Menschen an den Folgen des bösen Blicks (KRISS). Der Mensch stirbt nicht etwa an den Folgen irgendeiner naturwissenschaftlich erklärbaren Erkrankung, wie zum Beispiel Malaria oder Mangelernährung, sondern am bösen Blick. Man kann sich vorstellen, wie schwierig präventive und promotive Gesundheitsarbeit vor diesem Hintergrund werden kann. Der allgemeine Aufbruch des Islams unserer Tage hat auch die Medizin erfasst. Im Januar 1981 fand in Kuwait die Erste internationale Konferenz für islamische Medizin statt. Bereits ein Jahr später, im März 1982, wurde ein zweiter Kongress abgehalten, ebenfalls in Kuwait. Die Ergebnisse der ersten Tagung schlagen sich in dem Islamic Code of Medical Ethics nieder. Diese so genannte Kuwaiter Deklaration ist eine zwanzigseitige Erläuterung der Prinzipien und Inhalte einer islamischen Medizin. Veröffentlicht wurde die Deklaration weltweit, unter anderem im World Medical Journal und in Auszügen auch im Deutschen Ärzteblatt, dem Standesorgan aller bundesrepublikanischen Humanmediziner (s. S. 30). Die Konferenz zur islamischen Medizin, 1983 in Teheran unter dem Zeichen AVICENNAS abgehalten, wurde bereits erwähnt (s. S. 5; 12). Hinter den Verlautbarungen, Konferenzen und Tagungen steht die erklärte Absicht, das eigene medizinische Erbe wiederzubeleben. Koran und Moschee, Imam und Mullah sollen wieder mit in das Gesundheitskonzept und in die Heilmethoden einbezogen werden. Man wird an die Zeit erinnert, als eine misstrauische orthodoxe Geistlichkeit die wissenschaftliche Medizin der griechischen Heilkunde mit Erfolg zurückdrängte. War es damals die heidnische Medizin GALENs, auf die man Einfluss nahm, so ist es heute die westliche Schulmedizin, deren Quellen und Grundlagen im so genannten christlichen Abendland liegen. Wir müssen auch den Schriftzauber erwähnen. Koranverse oder Prophetenworte wurden auf ein abwaschbares Material geschrieben, eventuell einen Teller. Die Schrift wird abgespült und das Spülwasser als Heiltrank verabreicht. Diese Praktiken haben sich im Laufe der Jahrhunderte nahezu unverändert gehalten. Magie und Aberglaube geschehen nicht im Verborgenen, sondern werden religiös gerechtfertigt und sind fester Bestandteil der offiziellen volksmedizinischen Praxis im Islam oder der Prophetenmedizin. Der eben zitierte Brauch, die mit Tinte niedergeschriebenen Koranverse abzuwaschen und das Waschwasser als Heiltrank zu sich zu nehmen, wurde von AHMAD IBN HANBAL, dem Begründer der strengsten der vier islamischen Rechtsschulen, ausdrücklich gebilligt. Die Medizin wurde so auf die Ebene der Magie herabgezogen. SUYUTI formulierte: „Das Rezitieren von Beschwörungsformeln und das Tragen von Amuletten Die drei Pfeiler der islamischen Medizin Ansatzpunkt der islamischen Medizin der Neuzeit ist die bewußte Einbeziehung des Glaubens in die Heilkunde. Man kann dies als den ersten Pfeiler der islamischen Medizin bezeichnen. So erklärte 1982 Dr. ABDUL RAHMAN AL-AWADI, kuwaitischer Gesundheitsminister, die islamische Medizin sei der modernen Medizin gegenüber im Vorteil, „als sie geistliche und religiöse Aspekte mit einbezieht.“ Durch den Koran werde die Seele des Menschen bereichert, der Mensch erhalte eine geistige Führung. Der zweite Pfeiler der heutigen islamischen Heilkunde orientiert sich an der Ganzheit des Menschen. Der Mensch soll als ein Ganzes, als eine Einheit angesehen werden; 28 ** KRISS/ KRISS-HEINRICH, Bd. 2, S. 22f 29 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Reislamisierung der Medizin es soll nicht nur das erkrankte Herz oder die erkrankte Lunge behandelt werden. Der westlichen Medizin wird vorgeworfen, sie befasse sich nur mit den einzelnen Symptomen und lasse die geistig-seelisch-körperliche Ganzheit des Menschen außer Acht. Die dritte Säule ist die Verwendung von Heilkräutern. Man will an die lange Tradition der Erforschung von Heilpflanzen anknüpfen. Überall in der islamischen Welt werden Forschungsinstitute geplant und gebaut, in denen einheimische Pflanzen auf ihre pharmakologische Wirksamkeit hin untersucht werden sollen. Die führenden Forschungseinrichtungen stehen heute im indisch-pakistanischen Raum. So ist das Research Institute of Chemistry in Karachi unter der Leitung von SALIMUZZAMAN SIDDIQUI, dem Entdecker der Rauwolfia-Alkaloide, zu nennen. Über den medizinischen Fortschritt Es gilt das Prinzip, dass eine Maßnahme, die dem Wohl des Menschen dient, auch die Zustimmung Allahs finden wird. Wissenschaftliche Forschung, Bluttransfusion, Organverpflanzung sind erlaubt, nicht jedoch grausame Tierversuche. Die Kuwaiter Deklaration (1981)* Einige Schwerpunkte der Erklärung von Kuwait sollen erwähnt werden. Definition des ärztlichen Berufs Das medizinische Wissen kommt von Allah. Das Studium der Medizin offenbart die Zeichen Allahs in seiner Schöpfung, und die Ausübung der Medizin, welche die Gnade Allahs über seine Geschöpfe bringt, ist ein Akt der Anbetung und der Nächstenliebe. Die Beschäftigung mit medizinischen Fragen ist Dienst für Allah. Der Arztberuf stellt so hohe ethische Anforderungen, dass er sich nicht persönlichen, sozialen, politischen und militärischen Verhältnissen unterordnen darf. Der Arzt darf sich über bestehende Einschränkungen des islamischen Rechtes hinwegsetzen. Es ist keine Sünde, den menschlichen Körper, ob tot oder lebendig, anzusehen und zu untersuchen, sofern dabei der ihm gebührende Respekt gewahrt bleibt. Auch darf sich der Arzt über das Verbot hinwegsetzen, den Intimbereich des menschlichen Körpers zu untersuchen. Wenn kein muslimischer Arzt zu erreichen ist und wenn es der Zustand des Patienten verlangt, kann auch ein nicht-muslimischer Arzt konsultiert werden. In der Rechtsprechung gibt es eine Regel, nach der Notwendigkeit über Verbot geht. Die Eigenschaft des Arztes Allah hält durch den Arzt Leben und Gesundheit aufrecht. Der Arzt muss deshalb an Allah glauben und seine Gebote einhalten. Er soll keinen Unterschied zwischen Armen und Reichen machen. Eine kostenlose Krankenbehandlung kann als Pflichtabgabe verstanden werden. Der Arzt soll ein Instrument der Gnade Allahs sein. Um sich wissenschaftlich auf dem Laufenden zu halten, besteht für ihn die Verpflichtung, fortwährend sein Wissen und seine Fähigkeiten zu verbessern. Die Heiligkeit des menschlichen Lebens Der Islam untersagt Abtreibung (S. 33) und Sterbehilfe aus Mitleid. Der Arzt soll jedoch seine Grenzen kennen und keine heroischen Maßnahmen zur künstlichen Verlängerung des Lebens unternehmen, wenn der Mensch nicht mehr gerettet werden kann. 30 *s. I.it.-Verz. Arzt und Gesellschaft Der Arzt besitzt eine erzieherische Aufgabe zum Wohle des Volkes. Erneuerung der Prophetenmedizin Doch auch die Prophetenmedizin soll wiederbelebt werden. Diese Bestrebungen treten heute besonders in der islamischen Mystik [Sufismus] zutage, ebenso im Fundamentalismus. Wenn man die Literatur zum Thema Islamische Medizin durchsieht, gewinnt man den Eindruck, dass die praktische Ausübung der religiösen Erneuerung der Medizin erst in Ansätzen vorhanden ist, vieles ist noch bloße Theorie. Im Iran KHOMEINIs scheint sich die Wiederbelebung der Prophetenheilkunde und die Abkehr von der westlichen Schulmedizin am deutlichsten zu vollziehen. „Diese verdammten Ärzte sollen zur Hölle gehen. Wir haben begabte Theologiestudenten in Feysi Yeh [eine theologische Schule in Ghom]. In vier Monaten werden sie zu guten Ärzten erzogen sein“, sagte KHOMEINI in einer im Jahre 1979 gehaltenen Rede. Den Gläubigen wurde von KHOMEINI eine Reihe von Büchern als Lektüre dringend empfohlen. Die dort enthaltenen Praktiken seien Richtschnur für das medizinische Handeln. Unter anderem ist dort zu lesen: „Das Schneiden der Fingernägel an Feiertagen beugt Lepra und Blindheit vor“, oder „Trage keine schwarzen Schuhe, sie schwächen Sehkraft und Potenz, gelbe Schuhe fördern Sehkraft und Potenz.“ Der Rat bei Hämorrhoidenbeschwerden: „Schreibe Ya-sin sura [ein Teil aus dem Koran] auf ein Blatt Papier, wasche dieses Papier und trinke anschließend das Wasser.“ Der Weg zwischen gestern und morgen Die gemäßigten und liberalen Kräfte der Reislamisierung suchen eine Synthese zwischen der Schulmedizin des Westens und den islamischen Werten. Negative Auswirkungen unseres westlichen medizinischen Systems will man nicht übernehmen. Die islamischen Staaten haben sehr genau erkannt, dass mit der zunehmenden technischwirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder auch alle Nachteile der westlichen Gesellschaft und vor allem auch der westlichen Medizin eingeschleppt werden, einschließlich der so genannten Zivilisationserkrankungen. Deshalb gilt für die studentische Jugend das Motto: „Lernt vom Westen, lernt Sprachen, Wissenschaft, Technik, aber achtet auf eure islamische Identität.“ Westliches Know how soll den Standard der islamischen Medizin heben. Mit Hilfe führender Fachleute aus Europa und Amerika sollen hochqualifizierte Forschungsstätten eingerichtet werden, in denen die islamische traditionelle Medizin und Arzneikunde durch islamische Wissenschaftler erforscht 31 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Reislamisierung der Medizin werden soll. Wo möglich und nötig sollen modernste Kliniken entstehen und die neuesten Techniken angewandt werden, so zum Beispiel in Saudi-Arabien und Kuwait. Aber überall wird Wert auf den sichtbaren Bezug zum Koran gelegt. Mittelpunkt der Laboratorien und Kliniken sind die Moschee und der islamische Tagesablauf mit den Gebetszeiten. Stütze aller therapeutischen Bemühungen ist das Gebet. Denn „Medizin ist Anbetung“, so heißt es in der Kuwaiter Deklaration. Die neuere islamische Medizin legt ihr Hauptgewicht auf die präventive Medizin. Eigentliche Aufgabe des Arztes sei es, Menschen durch vorbeugende Maßnahmen gesund zu erhalten. Der Arzt müsse Lebensführer und -berater sein. Hier versage die westliche Heilkunde, indem sie ausschließlich kurativ orientiert sei. nigsten entwickelten Staaten).* In der von der UN-Vollversammlung 1978 festgesetzten Liste der achtundzwanzig ärmsten Länder dieser Erde befinden sich immerhin ein Drittel islamische Staaten, zum Beispiel Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, Sudan, Bangladesh, VR Jemen, die Malediven. Andere islamische Staaten mit nicht minder großen wirtschaftlichen Problemen sind nicht aufgeführt, wie Mauretanien, Ägypten, Pakistan. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit von den Kolonialstaaten war das Gesundheitssystem dieser Länder nach westlichen Maßstäben ausgerichtet: eine arzt-orientierte, kurative Medizin, die besonders die Städte versorgte. Dieses System war von den jungen Nationalstaaten übernommen worden. Die westliche Schulmedizin konnte wegen der immer höher werdenden Verschuldung der Länder der „Dritten“ Welt und wegen der Bevölkerungsexplosion die medizinischen Grundbedürfnisse der Menschen nicht sichern. Als Ausweg hat die WHO besonders auf der Konferenz von Alma Ata 1978 empfohlen, in der Gesundheitsversorgung das Schwergewicht auf präventive Maßnahmen und auf Förderung und Erforschung der traditionellen Heilkunde zu legen. Aufgrund dieser Beschlüsse dürfte die islamische Heilkunde kräftigen Aufwind und Rückendeckung erhalten haben, die präventive Medizin zu fördern, ebenso für die Einbeziehung der Hakims, der traditionellen islamischen Heiler. Es gibt wohl kaum ein islamisches Dorf, das nicht seinen Hakim hat. Was liegt näher, als diese in die Konzepte der neuen Entwicklungsmedizin hineinzunehmen. Eine breite Einführung des westlichen medizinischen Systems kommt in den islamischen „Drittweltländern“ - von den religiösen Fragen einmal abgesehen -allein schon aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Man hat auf islamischer Seite errechnet, dass man für das Konzept der traditionellen Heilkunde nur zehn Prozent der Kosten aufbringen muss, die ein Gesundheitssystem nach westlichen Vorstellungen erfordern würde. So hofft man durch die Einführung der traditionellen islamischen Heilkunde und durch die offizielle Beteiligung der Hakims, die Gesundheitsprobleme dieser Länder besser lösen zu können. Saudi-Arabien unterstützt mit großem finanziellem Aufwand solche Basisgesundheitsprogramme. Praktische Auswirkungen dieser modernen Richtung der islamischen Medizin bekommen wir gelegentlich in unseren medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschriften zu sehen. So erschien ein Artikel über das Fasten als vorbeugende Gesundheitsmaßnahme im Deutschen Ärzteblatt von einem im Westen ausgebildeten pakistanischen Psychiater. Es war ein Versuch, mit modernen schulmedizinischen Methoden die alten Erfahrungsregeln und Gesundheitsvorschriften des Propheten zu belegen, immer mit Bezug auf den Koran. Ursachen der Reislamisierung der Medizin – ein Versuch der Erklärung Die Bemühungen der Reislamisierung der Medizin haben mehrere Ursachen. Zum einen mag die Sehnsucht nach einer erneuten großen arabischen Epoche in den Wissenschaften, und besonders in der Heilkunde, eine Rolle spielen. Man möchte an die glorreichen Zeiten eines RHAZES und eines AVICENNA anknüpfen. Auch sind in den letzten Jahren die Grenzen der westlichen Medizin zunehmend deutlich hervorgetreten. Die immer rasanter sich entwickelnde Technisierung und Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften bringt nicht nur Segen, sondern stellt die Gesellschaft vor neue ethische Probleme und finanzielle Belastungen. Dabei droht der kranke Mensch das Opfer einer fragwürdigen Apparatemedizin und Hochleistungspharmazie zu werden. Für den Islam stammt diese Medizin des Abendlandes aber aus dem „christlichen“ Europa und Amerika: eine Medizin, die Abtreibung nicht nur toleriert, sondern aktiv betreibt, die den Bezug zur Religion verloren hat und die den Kranken nicht mehr als eine funktionale Einheit sieht. So ist es nicht verwunderlich, wenn es zu einer Umorientierung und Rückbesinnung auf eigene islamische Werte kommt. Der Dreiklang der islamischen Medizin Glaube, Ganzheit und Naturheilkunde ist die islamische Antwort auf die Schwachstellen unserer westlichen Hochleistungsmedizin. Die Abkehr von der westlichen Medizin mag auch in der Erkenntnis begründet sein, dass die abendländische Heilkunde nicht in der Lage ist, die dringendsten Probleme der Gesundheitsversorgung in den Entwicklungsländern zu lösen. Viele islamische Staaten zählen zu den so genannten LLDC (least developed countries = die am we32 Geburtenregelung und Familienplanung im Islam Auch in den islamischen Ländern Afrikas und Asiens spielt die Bevölkerungszuwachsrate (durchschnittlich 2,3 - 2,8% im Jahr) eine immer wichtigere Rolle. Die Einwohnerzahl Ägyptens zum Beispiel steigt alle zehn Monate um eine Million Menschen. Das enorme Anwachsen der Bevölkerung stellt die Staaten vor wirtschaftlich, gesundheits- und bevölkerungspolitisch bedeutsame Fragen und Probleme, bei denen Lösungen nicht in Sicht sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme zur Geburtenkontrolle und Abtreibung im Islam.** Einheitliche Verlautbarungen gibt es nicht, wohl aber eine offizielle Forderung der Islamic Conference Organization (ICO). Man fordert die * Als Schwellenwerte für die Einordnung in ein LLDC-Land gelten ein Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 100 US-Dollar, 10% BIP-Anteil der industriellen Produktion und 20% Alphabetisierungsquote der Altersgruppe über 15 Jahre. **Vgl. KHOURY, Abtreibung, S. 241, und Gräf, S. 209-232 33 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Menschenbild und Medizin Rückkehr zu den strengen islamischen Lehren, die eine Abtreibung verbieten, und die Änderung bestehender liberaler Gesetze, die die Abtreibung tolerieren. Bemerkenswert ist die Stellungnahme der modernen Rechtsgelehrten, die sich gegenüber den klassischen Rechtsschulen konservativer gibt. Die Angehörigen der klassischen Rechtsschulen lassen durchaus eine Abtreibung vor dem vierten Monat zu. Dagegen wird heute gefordert, die Abtreibung auch schon vorher grundsätzlich zu verbieten. Man argumentiert, der Mensch sei von Beginn der Zeugung ein Geschöpf Allahs und als solches vom Zeitpunkt der Zeugung schutzwürdig und schutzbedürftig. In keinem Stadium seiner Entwicklung, auch nicht unmittelbar nach der Zeugung, könne über das menschliche Leben verfügt werden. Zu jeder Zeit sei der Mensch Sklave, Diener und Eigentum Allahs. Daher habe niemand das Recht, auch die Eltern nicht, menschliches Leben zu töten. Bösen. Wenn es ihm gut geht, vergisst er die Wohltaten Allahs und Allah selbst. Er wird ungeduldig, undankbar, streitsüchtig und verfällt in ein sündhaftes Leben. Zwischen diesen beiden Polen verläuft das menschliche Leben. Trotz der hohen Würde, die der Islam dem Menschen zugesteht, besteht eine nicht zu überbrückende Distanz zwischen Allah und seinem Geschöpf. „Gott ist Gott, und Theologie ist die Lehre von Gott allein. Der Mensch ist daher kein Thema für islamische Theologie. [...] Die islamische Anthropologie gehört vielmehr in den Bereich des islamischen Rechts (fiqh). Gut und Böse ist inhaltlich durch göttliche Setzung in der Offenbarung festgelegt, und es liegt am Menschen, an seinem guten Willen, sich daran zu halten.“* Die Entwicklung geht immer mehr dahin, diese Position als rechtsverbindlich anzunehmen. Eine Schwangerschaftsunterbrechung ist nur dann zulässig, wenn mit Sicherheit feststeht, dass Leib und Leben der Mutter in Gefahr sind und wenn das Leben der Mutter nicht anders als durch Abtötung des Kindes gerettet werden kann. Nach dem Prinzip, dass man von zwei Übeln (Tod des Kindes oder Tod der Mutter) das geringere zu wählen hat, muss auch der Arzt vom Erfolg des Eingriffs überzeugt sein. Man findet nur wenige Äußerungen zum Thema Leiden im Islam.** Das erscheint erklärlich angesichts des Menschenbildes im Koran. Denn das Leiden des Menschen ist keine Angelegenheit Allahs. Es berührt ihn in keiner Weise, ob ein Mensch leidet. Es gibt somit keinen Grund für die islamische Theologie, sich mit den Leiden der Menschen zu beschäftigen. Die Distanz zwischen Allah und den Menschen ist zu groß, als dass Allah mit irgendeinem Menschen mitfühlen und mitleiden könnte. Zwar gibt es Interpretationsversuche, Leiden und Krankheit irgendwie erklärbar und tragbar werden zu lassen. Doch ist der Mensch in seinem Fragen und Suchen auf sich allein gestellt. Der Gläubige bleibt einsam (s. a. S. 43 f). Der Grund für die liberalere Position der klassischen Rechtsschulen mit ihrer differenzierten Haltung zum Thema Abtreibung liegt an dem so genannten Einhauchungsprinzip der Seele. Eine Abtreibung ist demnach nur bis zur Einhauchung der Seele (nach islamischer Vorstellung gewöhnlich im vierten Monat nach der Empfängnis) erlaubt. Tunesien und Marokko haben eine weniger streng ausgelegte Gesetzgebung bei der Abtreibungspraxis, verglichen mit den übrigen islamischen Staaten. Durch besondere Verfügungen wird aber die unkontrollierte und willkürliche Abtreibung verhindert. Tunesien sieht seine Abtreibungspraxis als ein Mittel der Bevölkerungspolitik und zur Eindämmung der Bevölkerungsexplosion. Menschenbild im Islam Das Menschenbild im Islam, wie es uns im Koran entgegentritt, ist einfach strukturiert. Der Mensch ist weder ganz gut, noch ist er ganz schlecht. Er hat die Freiheit, das Gute oder das Böse zu wählen. Auf der einen Seite ist der Mensch das hervorragendste und beste Wesen der Schöpfung. Er gilt als Statthalter des Schöpfers auf der Erde und steht im Rang über den Engeln. Diese hohe Stellung innerhalb der Schöpfung wurde auch durch den Sündenfall im Paradies nicht getrübt. Der Islam anerkennt zwar den Verlust des Paradieses, kennt aber keine Grundsünde, nach der das Verhältnis zwischen Allah und Mensch zutiefst zerbrochen und gestört ist. Insgesamt wird der Mensch durchaus positiv gesehen. Der Mensch hat gute Seiten, er neigt aber auch zum 34 Leiden aus islamischer Sicht Die Ursache des Leidens Die Ursache vom Leiden wird unterschiedlich gedeutet: • Leiden ist die Folge des Bösen in der Welt. Das Böse kommt vom Teufel, der als Feind der Menschen auftritt. Er widerspricht den göttlichen Befehlen. Von Gott aus dem Paradies vertrieben, will der Teufel den Menschen fortwährend zu Fall bringen. Der Mensch wird ins Unglück und ins Leiden gestürzt. • Aber auch der Mensch selbst ist mit seinen schlechten Eigenschaften Ursprung und Ursache des Leidens. Die Menschen sind unbeständig, unzuverlässig, schwanken zwischen Freude und Hoffnungslosigkeit, sie sind ungerecht und rechthaberisch, streitsüchtig, sie betrügen und sind unehrlich. Das alles führt zu Leiden und stört den Frieden einer Gemeinschaft. • Über dem Satan steht Allah, ohne dessen Willen nichts geschieht. Allah bestimmt alles im Leben der Menschen, das Gute und Schöne, aber ebenso das Leiden, die Krankheiten, Unglücke und schwere Schicksalsschläge. Die Antwort des Gläubigen ist dann stille Ergebung in den absoluten unwandelbaren Entschluss und Willen Allahs. *ANTES, S. 37 **Vgl. KHOURY, Der Islam, S. 8-11, und ders.: Einführung, S. 226-236 35 II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Der Sinn des Leidens Der gläubige Muslim sieht in seinem Leiden einen doppelten Sinn: • Das Leiden kann eine verdiente Strafe für das sündige Vergehen eines Menschen sein. • Leiden, Krankheit und Unglück haben den Sinn der Prüfung. Allah stellt Glauben, Frömmigkeit und Treue ihm gegenüber auf die Probe. Die Überwindung des Leidens • Wird das Leiden als eine Strafe für sündhaftes Verhalten gewertet, dann wird der Muslim zur Umkehr zu Allah angehalten. Er strebt ein tugendhaftes und sündloses Leben an, um der verdienten Strafe zu entrinnen. • Wird das Leiden als eine Bewährungsprobe gedeutet, so führt dieses den Gläubigen zur Geduld, der Haupttugend im Islam. „Übt Geduld und bemüht euch, standhaft und fest zu bleiben! Und fürchtet Allah! Vielleicht wird es euch wohl ergehen“ (Sure 2,200). Vielleicht! Der Gläubige bleibt bei all seinen Bemühungen im Ungewissen. Menschenbild und Medizin Die eingangs zitierte Haltung, als ob nur wir Christen uns um Not und Krankheit kümmerten, als ob nur durch uns eine gute Medizin gewährleistet wäre, steht uns gewiss nicht zu. Die Leistungen der islamischen Medizin sind beachtlich. Zu Recht legt der Islam den Finger auf die Schwachstellen unserer abendländischen Medizin. Als Christen teilen wir manches Anliegen, wie die Ganzheit der Person, die hohe medizinische Ethik, das Gespräch zwischen Theologie und Medizin, wenn wir auch inhaltlich diese Anliegen anders füllen. Wir müssen demütig bekennen, dass auch wir Christen in unserem medizinischen Alltag, im Gewirr der Infusionsschläuche und der Daten aus den Laborcomputern oft den Patienten nicht als leidendes Geschöpf Gottes sehen, sondern als einen medizinischen Fall. Vielleicht wären manche Auswüchse unserer Hochleistungsmedizin verhindert worden, wenn wir frühzeitig und entschiedener unsere Stimmen erhoben hätten. Missionsmedizin im Islam Fast ist man geneigt, ein Fragezeichen zu setzen: Missionsmedizin im Islam? Denn was können wir dem Islam als christliche Ärzte oder Schwestern noch bringen oder beibringen? Bei dieser reichen Tradition! Bei den neuen präventiv ausgerichteten Konzepten der Medizin! Bei diesen hohen ethischen Anforderungen! Dass im Alltag vieles anders aussieht - wer will das bestreiten! Eins ist aber vielleicht deutlich geworden: Wir haben keinen Grund, die Bemühungen der islamischen Medizin in all ihren Bereichen herablassend abzutun. Abb 12: Apotheke in einer Missionseinrichtung So aber müssen wir uns sagen lassen, dass wir oft lieblos, weil gedankenlos, unsere westlichen Vorstellungen von Medizin ohne kulturelle Anpassung in die Länder der „Dritten“ Welt gebracht haben und noch bringen, ohne zu fragen, wo denn die wirklichen Probleme und Nöte der Menschen liegen. Abb 11: Apotheke im staatlichen Krankenhaus Kigoma, Tanzania 36 Wir müssen uns eingestehen, dass wir oft überheblich meinten und auch noch meinen, nur die Medizin, die wir als Missionare in die „Dritte“ Welt bringen, sei gut. Wir haben uns zu wenig bewusst gemacht, dass unsere Medizin nicht deshalb gut ist, weil wir Christen sind, sondern weil wir materiell reich sind. Und schließlich müssen wir bekennen, dass wir oft auf dem Rücken einer fortschrittlich westlichen Medizin das Zeugnis von der Liebe Christi transportiert haben, so als gehörte beides unbedingt zusammen. 37 III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit Man mag nun einwenden: Wird nicht aber gerade durch die missionsärztliche Arbeit die hingebende Liebe und Fürsorge Jesu handgreiflich und ganz praktisch vor Augen geführt? Ein Beamter im Gesundheitswesen eines afrikanischen Staates – ein Muslim – sagte mir einmal sinngemäß: „Eigentlich ist es ungerecht. Ihr habt immer alles, Medikamente, Instrumente. Unsere afrikanischen Ärzte haben nichts. Kein Wunder, dass ihr immer besser seid und alle Leute in eure Missionshospitäler kommen. Es wäre doch nur gerecht, wenn ihr auch mit so wenig Mitteln auskommen müsstet wie wir. So aber könnt ihr leicht von der Liebe reden“ reiche Gesundheit und Heilung an den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen vorbeigegangen seien. „Diese Völker pflegten ihre Gesundheit, heilten ihre Krankheiten und erhielten sich am Leben auch vor der Ankunft der Missionare. Was haben wir aus ihren Heilpraktiken gemacht?“ III. Medizin unter dem Zeichen des Kreuzes Über die Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit Unsere medizinische Missionsarbeit, die Missionskrankenhäuser, die vollen Apothekenregale und der gut funktionierende Nachschub aus Europa und Amerika sind zunächst einmal Ausdruck unseres materiellen Reichtums und nicht so sehr ein Zeugnis der Liebe Christi. Wir leben - gerade in der ärztlichen Mission – vom Haben und vom Geben. Und wer gibt, bestimmt. Geben macht den Empfänger abhängig und demütigt ihn, macht ihn unselbständig und weckt Bedürfnisse und Ansprüche, die langfristig nicht gestillt werden können. Wie weit wir durch vorschnelles und übermäßiges Geben die Entwicklung eines eigenen, der Kultur und der Situation angemessenen biblisch-diakonischen Bewusstseins bei den christlichen Gemeinden in Übersee verhindert haben und verhindern, ist eine weitere Frage, der wir uns stellen müssen. Jedenfalls fällt angesichts der beträchtlichen Nöte und Probleme in den Ländern der „Dritten“ Welt die zum Teil nur gering entwickelte eigene diakonische Verantwortung und Bewusstseinsbildung ins Auge. „Warum sollen wir uns um Gesundheitsfragen Gedanken machen? Das machen doch die Europäer. Dafür ist die Mission zuständig. Die können das viel besser als wir“, sind die nahe liegenden Gedanken einheimischer Gemeinden und Kirchenführer. Einen Hinweis mag vielleicht GOTTFRIED OSEIMENSAH, ein gewiss unverdächtiger Zeuge, geben, der den Teilnehmern auf dem Kongreß für christliche Führungskräfte (PACLA) in Nairobi zurief: „Wir drücken den größten Teil unseres Glaubens und unserer Anbetung in einer geliehenen ausländischen Kultur aus.“* Dies schließt auch die Diakonie als eine der Lebensäußerungen der christlichen Gemeinden in der „Dritten“ Welt ein. Deshalb fragt ANSELME T. SALOM SANON, Bischof von Bobo-Dioulasso/Burkina Faso, im afrikanisch-islamischen Kontext wohl zu Recht, ob im Rahmen der christlichen Mission nicht die Be38 * OSEI-MENSAH, S.21 Wir haben als christliche Mission zu wenig auf eine eigenständige Entwicklung einer Diakonie der neuentstandenen Kirchen und Gemeinden geachtet. Was an christlicher Sozialhilfe und diakonischer Verantwortung im Rahmen der Gemeinden geschah, wurde seit Jahrzehnten weithin von außen bestimmt und von Christen aus dem Westen finanziert. Die Gründe sind vielschichtig. Einmal erliegen wir in unserem falschen Überlegenheitsgefühl nur allzu leicht einem gewissen Technik- und Machbarkeitsglauben. Wir sind fasziniert von den Fortschritten unserer westlichen Medizin, und wir meinen, was für uns in Europa gut und nützlich sei, müsse auch dem Rest der Welt helfen. In dieser Haltung wurden und werden die alten Traditionen und heilkundlichen Systeme ignoriert oder gar bekämpft (S.10). Fälschlicherweise wird gerade die moderne Medizin in ihrer einseitig kurativen Ausrichtung oft als heilendes Handeln der Gemeinde schlechthin missverstanden. Auch beschränken sich Diakonie und christliche Sozialarbeit bisweilen auf bestimmte projekt- und programmbezogene Aktivitäten, die durch ausländische Organisationen an den Basisgemeinden vorbei initiiert werden. Hinzu kommt der Druck des Helfenwollens und Helfenmüssens westlicher Christen angesichts ihres wachsenden Reichtums und angesichts der zunehmenden Armut auch der christlichen Gemeinden in der „Dritten“ Welt. Die Christen und Gemeinden aus dem Westen sehen dann die „Dritte“ Welt als ihr diakonisches Arbeitsfeld an, auf dem man sich frei betätigen kann. ELA bemerkt deshalb, die Versuchung in der Gesundheitsarbeit der Missionen und der Kirchen sei groß, „sich in der Pflege der abstoßendsten Krankheiten zu gefallen und in Werken des Mitleids und der Barmherzigkeit ihre ganzen Kräfte der Selbsthingabe zu erschöpfen, [...] man kümmert sich um sie [= die Kranken] als Pflege-Objekte‘.“ Die Menschen werden zu Objekten unserer Hilfen und unserer Diakonie degradiert. Wir machen sie zu Almosenempfängern. Sie werden aber nicht als Subjekte akzeptiert, denen wir eine selbständige diakonische Verantwortung entsprechend ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ihrer Frömmigkeit und ihrem Menschenbild zutrauen. Ein Blick in unsere Diakoniegeschichte zeigt, dass sich in Deutschland sehr wohl eine eigenständige Diakonie entwickeln konnte, gerade unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ohne Einfluss und Unterstützung von außen. Die Christen anderer Länder und Kulturen sind nicht weniger phantasiebegabt und nicht weniger vom Heiligen Geist geleitet als wir im Westen. Von außen veranlasste und von oben geleitete Gesundheitsarbeit lähmt jegliche Eigeninitiative; die Annahme fremder Hilfe ist eben bequemer. Je mehr wir westliche Christen uns mit unseren Diakonieprogrammen und -projekten, mit unseren Vorstellungen und Finanzen entfalten, desto mehr 39 III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Begründung der missionsärztlichen Arbeit decken wir eigenständiges und eigenverantwortliches Handeln in Afrika zu, und desto mehr verkümmert die Identität der Gemeinden. Hilfeleistungen jeder Art, ob Geld, Nahrungsmittel oder Geräte, mindern den Zwang zur Eigeninitiative und ver ringern die Chance von eigenen schöpferischen Ideen und Gedanken zur Problemlösung. Man spricht nicht ohne Grund von einem „Samariter-Dilemma“, weil oft die gewährte Unterstützung die Hilfsbedürftigkeit nicht verringert, sondern vergrößert. Die Geber stehen dann vor der Alternative, die Gelder einzustellen oder wenigstens keine neuen Verpflichtungen mehr zu übernehmen oder aber die Hilfe endlos weiter zu gewähren.* Unsere missionsärztliche Arbeit ist durchaus fragwürdig, ja, sie stößt bisweilen auf Unverständnis oder sogar auf Ablehnung. Wir sind überrascht, wenn Menschen nicht immer nur positiv über unsere Handlungen urteilen, wo wir doch meinen, man solle schließlich froh über die gewährte Hilfe sein. Aber vielfach geben uns kritische Fragen auch Hinweise auf Fehler in unserem Verhalten und Denken. Es werden Stellen aufgedeckt, an denen wir die Realitäten vielleicht zu einseitig oder gar falsch wahrnehmen. ELA kritisiert zum Beispiel am sozialen und diakonischen „Eifer“ der Missionen eine gewisse Ignoranz. Bei allem Engagement, die „Unglücklichen, über die man sich wie ein guter Samariter beugt, zu pflegen“, sei auffallend, dass so häufig die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten, die nun gerade die Ursache der Krankheiten seien, nicht zur Sprache kämen. Sie würden schlichtweg ignoriert oder verschwiegen. Damit aber drohe die christliche Gesundheitsarbeit an Glaubwürdigkeit zu verlieren. So vermuten denn auch manche Kreise in Afrika und Europa, dass etliche westliche Missionen mit Unrechtsstrukturen wenn nicht paktieren, sie zumindest akzeptieren, weil von ihrer Seite Stellungnahmen und Verlautbarungen zu den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen fehlen. EBERHARD TROEGER nennt eine Kritik ganz anderer Art. Besonders aus dem Bereich des Islams meinen „Kritiker der Christen [...], der Dienst an den schwachen [= kranken] Muslimen [sei] nur ein Mittel zum Zweck [...], nämlich sie dem Islam zu entfremden.“ Ebenfalls aus dem Umfeld des Islams zitiert wiederum ELA eine weitere Stimme aus dem kritischen Chor: Die christliche Mission wolle durch die hohe Qualität ihres medizinischen Standards dem Islam imponieren, um so die Überlegenheit des christlichen Glaubens unter Beweis zu stellen. Kritik, Fehlurteile, Missverständnisse, Unterstellungen sind gewiß nicht leicht zu ertragen. Sie verletzen, demütigen und schmerzen. Aber es ergibt sich auch die Chance, das eigene Handeln zu überprüfen und zu korrigieren. Wenn wir uns mit solchen Reaktionen auseinandersetzen müssen, bleiben wir eventuell auch bewahrt vor Selbstüberschätzung, Überheblichkeit und Blindheit und werden gezwungen, unseren Standpunkt zu überprüfen und uns fortwährend neu zu orientieren, um in den dringendsten Gegebenheiten dieser Welt das Evangelium glaubhaft bezeugen zu können. 40 * KROMKA/KREUL, S.125 „Jesus ist Sieger“ - Begründung des heilenden Handelns Aber Orientierung worauf? Auf den Kern der biblischen Botschaft vom heilenden Handeln Jesu. Die neutestamentliche Schau stellt Jesu heilendes Wirken dar als seine siegreiche Auseinandersetzung im Kampf mit den bösen Mächten und Gewalten, die diese Welt beherrschen wollen. Auch in Krankheit und Tod zeigt sich die Macht dieser widernatürlichen Mächte. In Krankheit und Tod konkretisieren sich die ganze Verlorenheit, die Sündhaftigkeit des Menschen als ein tiefes, seine ganze Existenz durchschneidendes Zeichen seines Unheils und seiner Zielverfehlung. Aber nicht in einem Kausalzusammenhang, Krankheit als Strafe einer Einzelverfehlung wie im Islam (s. S. 35 ff) dies weist Jesus ja ausdrücklich zurück (Joh 9,l ff). Krankheit ist Unnatur; sie widerspricht dem guten Willen Gottes für den Menschen und für die Welt. Die Heilungen Jesu bedeuten den zeichenhaften Erweis seiner Messianität, seiner Souveränität und seiner Herrschaft auch über die Dämonien, die bösen Gewalten und Mächte. Er hat nicht nur Symptome kuriert, er hat sich nicht damit begnügt, einzelne Kranke von ihren körperlichen Gebrechen zu befreien. Bisweilen hat man den Eindruck, als ob die Heilungen als therapeutische Aktion überhaupt keine Rolle spielen.* Vielmehr zielt alles darauf ab, die Autorität Jesu und seinen Herrschaftsanspruch unter Beweis zu stellen und die Lösung des betroffenen Abb. 13: „Christus heilt die Kanken“ – Ausschnitt aus dem HundertKranken aus dem Herr- guldenblatt von Rembrandt. schaftsbereich des Bösen aufzuzeigen. Das Heilwerden wird von Jesus als ein ganzheitliches Geschehen gesehen. Er trifft immer den Kern der Person, er legt den Finger auf die wunde Stelle. Er spricht im Kranksein des Menschen dessen Verlorenheit an, sein Getrenntsein von Gott, der der Ursprung des Lebens ist. Deshalb verbindet Jesus mit dem äußeren Behandeln den Ruf zu Umkehr und Sinnesänderung, daher gehört zur christlichen Krankenarbeit immer auch der Ruf zur Umkehr, die Einladung zur Versöhnung mit Gott und den *Z. B. Luk 5,17ff; Joh 5,ff; dagegen Joh 9,6; vgl. auch MAYER-SCHEU, S. 140 41 III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde Menschen; sie ist Einladung zu einem Leben in Einklang mit dem Schöpfer und der Schöpfung. Das Geschehen von Krankheit und Heilung ereignet sich auf der individuellen Ebene des einzelnen. Aber es hieße wohl, dieses Geschehen verkürzt darzustellen und damit auch die Autorität Jesu zu beschneiden, würden wir nicht auch auf die gesellschaftliche Dimension von Gesundheit und Krankheit hinweisen. Gesundheit und Krankheit tragen auch gesellschaftlichen Charakter. Die gottfeindlichen Mächte und Gewalten drücken sich auch in der zunehmenden Verelendung und Verarmung der Menschen aus und in der Dämonie der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Abhängigkeiten. Wir sprechen ja nicht umsonst vom „Teufelskreis“ der Armut und Krankheit. Kein Zweifel, Krankheit ist auch Ausdruck, ja, Sprache der Armut; es gibt krankmachende Faktoren der Gesellschaft: wachsende Hoffnungslosigkeiten der Staaten der „Dritten“ Welt, Ausbeutung von Natur und Menschen, Resignation, Hunger, Dürre, Korruption, Hass der Armen auf die Reichen, umgekehrt die Ängste der Reichen vor den Armen - hier verdichten sich auf einer ganz anderen Ebene das Böse im Menschen und die Dämonien dieser Welt. Aber nicht nur der „Dritten“ Welt, sondern auch uns drücken diese Mächte ihren Stempel auf, so in der Dämonie des Materialismus mit dem Konsumdenken und der Gewinnmaximierung, dem auch wir Christen im Westen uns so schwer entziehen können. Es sind Mächte, die bewirken, dass Gott an den Rand gedrängt wird, weil vieles andere wichtiger wird als er. „Der Reichtum, der heute zum so genannten Lebensstandard gehört, und äußerlich gesicherte Lebensverhältnisse [stellen deshalb] eine geistliche Gefährdung dar“ (MANFRED SEITZ). Dies geschieht weitgehend unbemerkt, schleichend. Wir können uns diesen Zwängen kaum entziehen. Darin liegt das Dämonische. Es sind dieselben Mächte, die am Werk sind, hier wie dort, im Großen wie im Kleinen, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Rahmen, in Europa wie in Afrika. Diesen Mächten hat sich Jesus entgegengestellt, ihnen hat er Einhalt geboten, sie hat er besiegt. Die Gemeinde Jesu ist gerufen, sich durch ihr Zeugnis von Heil und Heilung diesen Gewalten entgegenzustellen - in aller Vorläufigkeit, in aller Bruchstückhaftigkeit -, um Zeichen der Hoffnung, des Lebens und der Gewissheit des Sieges Christi aufzurichten. macht des Leidens; Sieg ja, aber nicht die Schwäche der Krankheit; All-Erhabenheit ja, aber nicht die Niederlage des Todes. Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde im Islam BOUMAN stellt zur Charakterisierung des Islams und des christlichen Glaubens zwei geographische Namen gegenüber: Badr und Golgatha. In der Schlacht von Badr siegt MOHAMMED mit einer kleinen Schar von Gläubigen über die große Armee der Mekka-Bewohner. Hier wird die Grundlage für das islamische Imperium gelegt. Badr als Zeichen des allmächtigen Allahs! Der Islam lebt vom Sieg. Allah lebt vom Sieg, von der Macht. Darum wäre es eine Gotteslästerung ohnegleichen, Allah in Verbindung mit Leiden, mit Krankheit, mit Tod zu bringen. Erst recht ist es für den Muslim unvorstellbar, dass Allah selbst Leiden und Krankheit erdulden müsste: Macht ja, aber nicht die Ohn42 Anders Golgatha, der zweite Ort, der Tiefpunkt im Leben Jesu. Er steht für die Niederlage, für die Niederlage Gottes am Kreuz. Auf Golgatha begegnet uns in dem gekreuzigten Christus der Gott der Bibel. „Fürwahr, er trug unsere Krankheit“, er starb unseren Tod mit seinem Leib, in unserer Körperlichkeit, nicht nur geistig. „Die Ohnmacht der gekreuzigten Liebe ist die Rettung der Welt“ (JOHANNES BOUS): für einen Muslim ein unfassbarer Tatbestand. Heil bedeutet im Islam Einordnung in das von Allah geordnete, von seiner Allmacht durchwaltete All, „letztlich Teilhabe an der Allmacht Gottes“ (BÜRGEL). Diese Teilhabe am Heil geschieht durch Unterwerfung (Islam) der Gläubigen unter die Macht eines Gottes, der dem Leiden und Sterben seiner Geschöpfe verständnislos und ohne Anteilnahme gegenübersteht. „Über allem Nachsinnen gräbt sich das Bewusstsein ein, dass etwas wirklich fehlt“ (HAUSER). Der Koran ist sprach- und hilflos, wenn es um die tiefsten und letzten existentiellen Nöte und Probleme des Menschen geht. Man spürt in der ganzen Literatur zum Thema Medizin, Krankheit, Leiden im Islam und bei Gesprächen mit kranken Moslems: Der Mensch, auch wenn er ein noch so gläubiges Leben führt, ist allein. Er bleibt in den tiefsten Nöten der Krankheit und in der Einsamkeit des Todes sich selbst überlassen. Praktisch äußert sich dies zum Beispiel in der Haltung Aids-Kranken gegenüber. So hat der Vorsitzende des Rates der AI Azhar-Universität in Kairo, Shaikh ABDALLAH AL-MASCHAD, vorgeschlagen, die Aids-Problematik in der islamischen Welt im Wege der Euthanasie zu lösen. Man solle die Aids-Opfer „ohne medizinische Fürsorge sterben lassen“. Der Großmufti von Ägypten, Shaikh TANTAWI, weigerte sich allerdings, ein entsprechendes religiöses Dekret zu unterschreiben. Er befürwortete seinerseits eine Isolierung der Aids-Kranken in einem „Lager in der Wüste“.* Der christliche Heilsbegriff hat eine andere Qualität. Heil bedeutet für den Christen die Erlösung von seiner Schuld durch das Selbstopfer Gottes in Christus. Gott selbst tritt in die Gebrochenheit des Menschen ein. Er ist in Christus der Gebrochenheit, auch der körperlichen, näher als der Vollkommenheit (MARTIN SCHEEL). *Orientdienst-Informationen, S. 20. Gegenüber diesen radikalen Lösungen schlug der Generalsekretär des Islamischen Weltkongresses, Dr. Inamullah Khan, eine humanitäre Lösung vor. Er befürwortete eine Zusammenarbeit aller Religionen, um der katastrophalen Entwicklung wirkungsvoll zu begegnen. Er forderte eine bessere Einbeziehung der „Dritt-Welt-Länder“ in die für die Aidsbekämpfung zuständigen Organisationen. Ein völlig anderes Menschenbild drückt sich dagegen in der Erklärung der Kirchen in Sambia zum Thema Aids aus: Wähle das Leben - Überlegungen der Christlichen Kirchen in Sambia zur AIDS-Krise, abgedruckt in: Nachrichten aus der ärztlichen Mission, Aug./Sept. 1988 (Gelbe Beilage), und in: Neue Perspektiven der „Ärztlichen Mission“, PORTA-STUDIEN 20. 43 III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Diakonie der leeren Hände Das ist das einmalige und besondere Ereignis in der gesamten Religionsgeschichte: Eine Person tritt uns zur Seite und hilft uns, unsere Lasten zu tragen. Auf Golgatha begegnet uns Gott, der Schmerzen erlitten hatte, der gedemütigt wurde, der unsere Angst vor Krankheit, Leiden, Sterben und Tod nicht nur kannte, sondern selbst erduldet und erlitten hatte. Da sind wir nicht allein, sondern da ist jemand, der mit uns in alle Tiefen geht. Gott verlässt uns selbst im Tode nicht, wenn Menschen uns verlassen müssen: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Hier ist Trost, der trägt, weil er abgedeckt ist durch letzte Autorität. wenig Wegweiser zu einem menschenwürdigen Dasein zu sein. Dabei vermitteln sie ihren Glauben, der ihnen Grund aller Hoffnung ist. Davon gibt die Diakonie Zeugnis. Deshalb geht es im heilenden Handeln der Gemeinde Jesu nicht primär um eine perfekte moderne Medizin oder um materielle Dinge, die wir den Menschen bringen müssten, sondern um Anteilnahme, Mittragen und Mitleiden in den Nöten, Ängsten und Ungerechtigkeiten des Lebens und der Welt. Diakonie der leeren Hände Der mitgehende, der mitleidende, der mittragende Gott! Das ist das Zeugnis, das wir Christen in die Situation der Krankheit hinein verkündigen und leben. Die Krankheit als ein Ort der Krise, als Zeit der Bedrohung, aber auch als Chance zur Umkehr im Leben bedarf in besonderer Weise des Zuspruchs und der Nähe Gottes. Missionsärztliche Arbeit erliegt leicht der Gefahr, materielle Hilfe jedweder Art überzubetonen. Von den möglichen Folgen war zuvor schon die Rede (S. 37ff). Vielfach wäre weniger mehr. Unsere materielle Hilfe ist oft ein Spiegel unseres äußeren Reichtums und unserer inneren geistlichen Armut. Aber es sind eben die Dinge, die wir leicht zu geben in der Lage sind und die dann so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, sowohl in Deutschland als auch in der „Dritten“ Welt. Ich erinnere mich noch gut an den Vorsteher eines muslimischen Dorfes, der uns am Ende einer Dorfversammlung, bei der es um Fragen und Probleme von Hygiene, richtiger Ernährung und Selbstverantwortung ging, entgegenhielt: „Wir wollen eure Medikamente, euer Reden interessiert uns nicht.“ Er wusste, dass wir über die bestgefüllte Krankenhausapotheke in der Umgebung verfügten. Bisweilen denke ich an die deutschen Schwestern, die im Nordsudan seit Jahren in jenen armseligen und dürftigen Regierungshospitälern als ganz normale Krankenschwestern ihren Dienst tun. Sie leben und arbeiten mit ihren sudanesischen Kolleginnen zusammen, oft unter demütigenden Umständen, und teilen auch deren medizinische Armut. Oder die drei, vier christlichen Familien fallen mir ein, ein Landwirt, ein Arzt, ein Krankenpfleger, ein Pastor, die ganz im Osten Kenias, hart am Indischen Ozean, im islamischen Umfeld in den Dörfern Tür an Tür mit muslimischen Familien leben, deren Mütter zehn oder zwölf Kinder großziehen müssen und die nicht wissen, wie sie überleben sollen. Als Christen versuchen sie, ein 44 Es mag allen ähnlich ergehen wie MONIKA SCHUTZKA, die ihre eigenen Erfahrungen so zusammenfasste: „Wir fangen an zu lernen, wie man ohne Geräte auskommen kann. Wir versuchen, mit den Leuten zusammenzuleben und bei ihnen zu sein. Wir brauchen viel Zeit, Geduld und Hoffnung. Wie viel gibt es da über das Leben in einem Dorf zu lernen, in einem Haus zu erkennen, was, wie und warum die Menschen bestimmte Dinge tun. Wir müssen herausfinden, welche Mittel und Möglichkeiten vorhanden sind. Und wir sehnen uns und warten auf die Zeit, wenn die Menschen uns so kennen und vertrauen werden, dass sie bereit sind, mit uns zu reden und vielleicht später einmal auf uns zu hören. Wir möchten miteinander teilen und arbeiten, dass die Menschen in ihrem eigenen Zuhause mit ihren eigenen Mitteln versorgt werden. Wir werden noch viel von unserer früheren Ausbildung gebrauchen, aber wir müssen unser Wissen neu durchdenken und neu erlernen, damit wir es so gebrauchen können, dass es nicht verletzt, sondern zum Heilen hilft, indem wir versuchen, nicht zu geben, sondern mit den Menschen in unserer Gemeinde zu leben, zu teilen, Anteil zu nehmen.“ Es ist eine Medizin, die ohne Instrumente und Apparate auskommt, eine „Medizin der leeren Hände“ (SCHUTZKA), die nicht viel mehr bringen kann als sich selbst, aber auch nicht weniger, die dabei aber der Sendung Jesu in diese Welt mehr entspricht als manche beeindruckende Hospitäler, Projekte und Stationen. Da steht nichts zwischen dem Helfenden und Betroffenen, nichts verwehrt den Zugang, keine materiellen Güter, keine Verpflichtungen, keine Besserwisserei. So ist Freiheit zur Entscheidung möglich, auch zum Glauben an Jesus. Christliche Gesundheitsarbeit geschieht im Horizont des Glaubens. Sie ist begründet im Glauben an Christus und zielt auf die Verkündigung der Christusbotschaft. Deshalb gilt es immer wieder, den tieferen Zusammenhang zwischen der Verlorenheit des Menschen und den äußeren Unheilszeichen transparent zu machen und gleichzeitig einzuladen zum Heil in Christus. So verstanden trägt jede Form der Diakonie missionarischen Charakter. Unser Ziel reicht weiter In der islamischen Kultur spielt neben der Theologie gerade die Medizin eine wichtige Rolle. Beide Wissenschaften verhalten sich im Denken der Muslime wie Pol und Gegenpol. Sie symbolisieren die Welt der Religion und die der Körperlichkeit, es sind „die beiden großen Begriffe, auf die alle Betrachtungen im Islam gerichtet sind: Diesseits und Jenseits.“* Aber Transzendenz und Immanenz berühren einander nicht; beide Bereiche kommen einander nicht nahe. Durch den Tod Christi am Kreuz reicht die Liebe Gottes in die Gegenwart und wird greifbar. Hier berührt das Ewige unsere *Klein-Franke, S. 2 44 45 III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Gegenwart und damit unsere Existenz. FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH hat einmal ausgerufen: „Medizin kann man überall nehmen; Bethels Ziel reicht weiter, es reicht in die Ewigkeit.“ Eine gute medizinische Versorgung kann sicher auch die islamische Medizin gewährleisten. Aber das Ziel des Islams reicht dabei nicht über diese Welt hinaus. Der Islam ist eine Religion des Diesseits, der menschliche Paradiesträume träumt. Die Medizin will dem Menschen ein gutes und glückliches Leben in dieser Welt vermitteln. Medizin, Entwicklungs- und Sozialhilfe, Hunger- und Katastrophenhilfe, Gesundheitsprogramme, dies alles und noch viel mehr können die Menschen in der „Dritten“ Welt auch von anderen Stellen erhalten, nicht aber das Evangelium. Das Evangelium der Welt weiterzugeben ist Pflicht und Aufgabe der Gemeinde, eine Aufgabe, die sonst niemand erfüllen kann. Das Ziel unserer Arbeit reicht über unsere Wirklichkeit hinaus in die Ewigkeit. Mit dieser weiten Perspektive tritt die Gemeinde in der Diakonie unter die Leidenden und Sterbenden, unter die Kranken und Hungernden. Nicht die Not dieser Welt bestimmt unser Programm, sondern der wiederkommende Herr. „Diakonie ist Herberge des Heilandes, dem die Gemeinde entgegeneilt“, formulierte THEODOR SCHOBER einmal das Wesen des diakonischen Auftrages, den die Bibel uns gibt. Missionsärztliches Handeln, das heilende Handeln der Gemeinde überhaupt, ist „das Zeichen der Morgenröte“ (SCHOBER) des hereinbrechenden Reiches Christi in diese oft so finstere Welt. Es ist ein Zeichen dafür, ein Hinweis darauf, dass einmal wahr werden wird, was in der Offenbarung an Johannes steht: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offb 21,4). Literaturverzeichnis ACKERKNECHT, Erwin H.: Geschichte der Medizin. Stuttgart: 4. 1979 ANEES, A. MUNAWAR: Bibliography on Islamic Medicine. The Muslim World Book Review 5, No. l (1984), 59-68 ANONYM: Medizin der Mullahs. Deutsches Ärzteblatt 81, Heft 19 (1984),1513f ANTES, PETER: Ethik und Politik im Islam. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: 1982 AROUA, AHMED: Rezepte und Ratschläge von Dr. Avicenna. UNESCO-Kurier 10 (1980), 18f ASIMOV, MOHAMMED S.: Ibn Sina-Avicenna. UNESCO-Kurier 10 (1980), 4-8 AYOUB, MAHMOUD: Redemptive Suffering in Islam. Paris, New York: 1978 BAUMHÖGGER u. a.: Ostafrika. Reisehandbuch Kenya - Tanzania. Frankfurt a. M.: 31981 BlCHMANN, WOLFGANG: Die Problematik der Gesundheitsplanung in Entwicklungsländern. Frankfurt a. M., Bern: 1979 -: Traditionelle Medizin in der Gesundheitsversorgung Afrikas. E+Z 3 (1984), 18-20 BEYREUTHER, ERICH: Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit. Berlin: 21983 BIRNBAUM, RAOUL: Der heilende Buddha. München: 1982 BLISS, FRANK: Islamischer Volksglaube der Gegenwart. Arbeitsmaterialien für den Landes kundlichen Unterricht 6 (o. J.) BOUMAN, JOHAN: Das Wort vom Kreuz und das Bekenntnis zu Allah. Frankfurt a. M.: 1980 -: Christentum und Islam im Vergleich. Gießen, Basel: 1982 -: Mystik im Islam am Beispiel von Abu Hamid al-Ghazali. PORTA 47 (Studentenmission in Deutschland, Marburg: 1990), 40-47 BRANDENBURG, DIETRICH: Medizin und Magie. In: Medizingeschichtliche Miniaturen, Bd. 1. Berlin: o. J. BüRGEL, J. CHRISTOPH: Secular and Religion. Features of Medieval Arabic Medicine. In: Asian Medical Systems. LESLIE, CHARLES (Hrsg.). Berkeley, Los Angeles, London: 1977 -: Islamisches Mittelalter. In: Krankheit, Heilkunst, Heilung. SCHIPPERGES, H.; SEIDLER, E.; UNSCHULD, P. U. (Hrsg), S. 271-302. München: 1978 -: Allmacht und Mächtigkeit. Religion und Welt im Islam. München: 1991 DODGE, R. E.: Der ungeliebte Missionar. Stuttgart: 1965 DORNER, WOLF G.: Ölländer finanzieren Wiedergeburt der islamischen Medizin. Deutsches Ärzteblatt 79, Heft 38 (1982), 92f ELA, JEAN-MARC: Mein Glaube als Afrikaner. Freiburg, Basel, Wien: 1987 (Theologie der Dritten Welt, Bd. 10.) FlSCHER-HOMBERGER, ESTHER: Geschichte der Medizin. Berlin, Heidelberg, New York: 1977 GARDET, LOUIS: Islam. Köln: 1968 GOERKE, HEINZ: Arzt und Heilkunde. München 1984 GRAF, ERWIN: Die Stellungnahme islamischen Rechts zur Geburtenregelung und Geburtenbe schränkung. In: Der Orient in der Forschung (FS O. Spies). HOENERBACH, WILHELM (Hrsg.), S. 209-232. Wiesbaden: 1967 GUPTA, K. R. L.: Hindu Practice of Medicine. New Delhi: 1986 HAMEED, ABDOL, H.: The Holy Prophet as a Healer. In: Institute of History of Medicine and Medical Research (New Delhi: 1977), 236f 46 47 IBN BUTLAN: Das Ärztebankett. Stuttgart: 1984 IBN RIDWAN, ALI: Über den Weg zur Glückseligkeit durch den ärztlichen Beruf. (DIETRICH, ALBERT, Hrsg.). Göttingen: 1982 IMPERATO, P. J.: African Folkmedicine Practices and Beliefs of the Bambara and Other Peoples. Baltimore: 1977 Der islamische Kodex der ärztlichen Ethik - „Deklaration von Kuwait“. Deutsches Ärzteblatt 80, Heft 44 (1983), 66-69 JACHERTS, NORBERT: Einreise nach Persien. Deutsches Ärzteblatt 81, Hefte 3-7 (1984) JANZEN, J. M.; FLIERMANN, S. (Hrsg): The Social History of Disease and Medicine in Africa. Special Issue, Soc. Sci. and Medicine, 13 B, 4 (1979) KÄSER, LOTHAR: Der Arzt - ein Kulturveränderer. In: Vorbereitung auf den missions-diakonischen Dienst. In: PROPACH, GERD (Hrsg.). Marburg: Studentenmission in Deutschland 1986. (PORTA-IMPULSE 4.). 9-11 KELLERHALS, EMANUEL: Der Islam. Gütersloh: 1978 KHALID, D.: Reislamisierung und Entwicklungspolitik. München, Köln, London: 1982. (Forschungsberichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit 30.) KHOMEINI, Ajatollah: Meine Worte. Weisheiten - Warnungen - Weisungen. München 1980 KHOURY, A. TH.: Einführung in die Grundlagen des Islams. In: Islam und westliche Welt, Bd. 3. Graz, Wien, Köln: 1980. S. 226-236 -: Der Islam und das Leiden. In: RICHTER, KLAUS (Hrsg.): Muslime im Krankenhaus, Altenberge: 1980. S. 8-11 -: Abtreibung im Islam. Cibedo-Dokumentation 11 (1981), 241 KLEIN-FRANKE, FELIX: Vorlesungen über den Medizin im Islam VIII. Wiesbaden 1982. (Sudhoffs Archiv, Beiheft 23.) KOHLBRUGGE, HANNA: Leiden in der islamischen Mystik. Wiesbaden: Orientdienst o. J. KRISS, RUDOLF; KRISS-HEINRICH, HUBERT: Volksglaube im Bereich des Islam. Bd. 1: Wallfahrtswesen und Heiligenverehrung. Bd. 2: Amulette, Zauberformeln und Beschwörungen. Wiesbaden: 1960/1962 KROMKA, FRANZ; KREUL, WALTER: Unternehmen Entwicklungshilfe - Samariterdienst oder Verwaltung des Elends? Osnabrück, Zürich: 1991 (Edition Interfrom.) LAST, GÜNTER: Der Koran zur Familienplanung. Deutsches Ärzteblatt 11 (1980), 704-712 -: „Ein Greuel von Satans Werk“. Alkoholverbot im Islam. Deutsches Ärzteblatt 80, Heft 37 (1983), 75-77 LICHTENTHAELER, CHARLES: Geschichte der Medizin. Köln: 31982 LYONS, ALBERT; PETRUCELLI II, JOSEPH: Die Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst. Köln: 1980 MANZ, VOLKER: Heiler und Heilung im islamischen Kontext mit Beispielen aus Ägypten. Maschinenschr. Seminararbeit. Universität Marburg 1986 MAYER-SCHEU, JOSEF: Vom Behandeln zum Heilen. Wien, Freiburg, Basel, Göttingen: 1980. (Pastoralanthropologische Reihe, Bd. 4.) MOINUDDIN, AL-CHISTIYYA; ABU, A. M.: Die Heilkunst der Sufis. Grundsätze und Praktiken. Freiburg: 1984 48 NABAWI, MIR-HOSSEIN: Hygiene und Medizin im Koran. Stuttgart: 1967 NEMEC, JEANNE: Rediscovering an Ancient resource. A New Look at Traditional Medicine. Contact 58 (1980) OPITZ, B.: Die Medizin im Koran. Stuttgart: 1906 OSEI-MENSAH, OTTFRIED: Why PACLA? In: Pacing the New Challenge. The Message of PACLA. Kisumu: 1978, S. 19-23 PFLEIDERER, BEATRIX; BICHMANN, WOLFGANG: Krankheit und Kultur. Berlin 1985 PlPER, WULF: Die Welt der Araber in Büchern einer alten Bibliothek. Wolfenbüttel: 1983 RAHMAN, FAZLUR: Islam and Health. Hamdard Islamicum, Vol. 5, No. 4, 75-88 REINERT, B.: Die Lehre vom tawakhul in der klassischen Sufik. In: Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur des islamischen Orients. Berlin: 1968 RÖDER, FRIEDHELM: Die Bedeutung türkischer Heiler (Hodschas) für die allgemein-ärztliche Praxis. Deutsches Ärzteblatt 85, Heft 4 (1988), 1319 SAID, HAKIM MOHAMMED: Der Kanon der Medizin. UNESCO-Kurier 10 (1980), 13-17 SANON, ANSELME TITIANMA: Heil und Heilung für den Christen in Afrika. Nachrichten aus der ärztlichen Mission, Gelbe Beilage (April - Juni 1991). Tübingen: 1991 SCHIPPERGES, HEINRICH: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter. Wiesbaden: 1964 SCHUTZKA, MONIKA: Gedanken aus Sanagaon. Tübingen: 1975. (Schriftenreihe des Deutschen Instituts für ärztliche Mission.) SICH, DOROTHEA; DIESFELD, HANS JOCHEN; u. a.: Medizin und Kultur. Heidelberg: Institut für Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen am Südasieninstitut der Universität Heidelberg 1988 STUMPFE, KLAUS-DIETRICH; Die Heilmethoden der Medizinmänner. Curare 6 (1983), 25-31 TROLL, CHR.: Art. „Krankenhaus“. In: Lexikon der Islamischen Welt, Bd.2. KREISER, KLAUS; u.a. (Hrsg.). Stuttgart, Berlin: 1974 TROEGER, EBERHARD: Dem Schwachen dienen - den Schwachen ausnutzen? EMO-Nachrichten 2 (1992), 19 TWORUSCHKA, MONIKA: Islam. In: Ethik der Religionen - Lehre und Leben, Bd. 3. KLÖKKER, MICHAEL; TWORUSCHKA, UDO (Hrsg.). München, Göttingen: 1985 -: Das Fasten der Moslems im Monat Ramadan. Deutsches Ärzteblatt 83, Heft 18 (1986), 1275f ULLMANN, MANFRED: Die Medizin im Islam. Leiden 1970 -: Art. „Medizin“. In: Lexikon der Islamischen Welt, Bd. 2. KREISER, KLAUS; u. a. (Hrsg.). Stuttgart, Berlin: 1974 UNSCHULD, P. U.: Konfliktanalyse in medizinischen Transfersituationen. In: RUDNITZKI, R., u. a. (Hrsg.): Ethnomedizin. Beiträge zu einem Dialog zwischen Heilkunst und Völkerkunde. Barmstedt: 1977. S. 79-S5 49 Bildnachweis und -erläuterungen Titelseite: Titelblatt: Buch der Medizin von Rhazes http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Colophon-Razi‘s_Book_of_medicine_for_Mansur.jpg Abb.1: Afrikanischer Heiler, Tuschezeichnung Philippe de Youmsi, Kamerun Sammlung Regina und Gerd Riepe Abb. 2: Anatomische Tafel in Sanskrit , Nepal, seit Jahrtausenden wird in Nepal die Ayurveda praktiziert. Entnommen: Anne Woodham, Dr. David Pefers, Enzyklopädie der Naturweisheiten, Mosaik-Verlag, München 1999, S. 144 Abb. 3: Trad. Chinesische Heilkunde, Akupunktur-Tafel mit Darstellung eines Meridians und ihm zugehöriger Punkte http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:ChineseMedecine.JPG&filetimestamp= 20060115132636 (25.05.2009) Abb. 4: Ausreitender Buddha. Siddhartha begegnet einem Greis, einem Fieberkranken, einem Leichnam und einem Mönch. http://de.wikipedia.org/wiki/Buddha (25.05.2009) Dr. Gerd Propach Hat als Arzt eine Gesundheitseinrichtung der anglikanischen Kirche in Tanzania im Kigoma-Distrikt geleitet. Z.Zt. beratender Arzt im Bereich Sozialmedizin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen Hessen (MDK). 2.Vorsitzender der MMH/MMS. Abb 5: Europäische mittelalterliche Darstellung Al-Razis aus dem „Receuil des traites de medecine“ (1250-1260), http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Al-RaziInGerardusCremonensis1250.JPG Abb 6: Avicenna als Princeps Abinsceni mit Krone und Zepter, Holzschnitt einer Ausgabe des Canon aus Venedig, 1520 http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna Abb 7: Besuch des Arztes am Krankenbett, Avicenna canon medicinae, Bild: bpk / Scala Abb 8: Averroës (Ausschnitt eines Gemäldes von Andrea Bonaiuto; 14. Jhd.) http://de.wikipedia.org/wiki/Averro%C3%ABs M M edizinische issionshilfe Community Health Development Abb 9: Invokation Allahs in einer Abschrift des Kanon von 1597/98 http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna Abb. 10: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Maimonides-2.jpg&filetimestamp= 20080505210959 Idealporträt Maimonides’ aus dem 19. Jahrhundert Abb.11: Apothekenregal eines staatlichen Regierungskrankenhauses / Tanzania Foto: mmh/mms Abb.12: Apothekenregal in einer Ambulanz einer Missionseinrichtung / Tanzania Foto: mmh/mms Abb.13: Ausschnitt aus dem Hundertguldenblatt mit Darstellung „Christus heilt die Kanken“. Rembrandt, um 1648. Foto: Jörg P. Anders. bpk Berlin, Kupferstichkabinett Staatliche Musseen / 302-1898 50 n e m m a s Zu wegen: was be ÉMedizinische Missionshilfe e.V. ÉMedical Mission Support