Aus der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Tübingen Abteilung Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Dr. S. Reinert Tumoren im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich unter spezieller Berücksichtigung von Plattenepithelkarzinomen - Datenbankgestützte Dokumentation Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen vorgelegt von Christian Adam aus Stuttgart 2003 Dekan: Professor Dr. C. D. Claussen 1. Berichterstatter: Privatdozent Dr. Dr. J. Hoffmann 2. Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Wehrmann Sandra und meinen Eltern Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Zielsetzung 1.1 Einleitung 1.2 Zielsetzung Seite 1 1 3 2. Allgemeine Betrachtung der Tumoren des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereiches, insbesondere des Plattenepithelkarzinoms 2.1 Ätiologie und Epidemiologie 2.2 Aktuelle Therapieformen 2.2.1 Chirurgie 2.2.2 Radiotherapie 2.2.3 Chemotherapie 2.2.4 Radiochemotherapie 2.2.5 Gentherapie 2.2.6 Photodynamische Therapie 2.2.7 Antikörperbasierte Therapie 2.3 Prognose 2.3.1 Prognostische Faktoren 2.3.2 TNM-Klassifikation 2.3.3 TIP 2.3.4 CIP 2.4 Nachsorge 5 5 7 8 10 11 12 12 13 14 14 14 16 16 17 18 3. Patientengut und Methodik 3.1 Patientengut 3.2 Methodik 3.2.1 Datenerhebung 3.2.2 Erfasste Daten 3.2.3 Datenaktualisierung und Datenverarbeitung mit Hilfe der Access-Datenbank 4. Ergebnisse 4.1 Darstellung des Patientengutes 4.1.1 Risikofaktoren 4.1.2 Prognosefaktoren 4.2 Diagnostik 4.2.1 Bildgebende Diagnostik des Primärtumors 4.2.2 Bildgebende Diagnostik des lokoregionalen Lymphabflussgebietes 4.3 Therapie 4.4 Nachsorgeuntersuchung 4.4.1 Nachbeobachtungszeitraum 4.4.2 Auftreten von Rezidiven 4.4.3 Auftreten von Zweittumoren 4.4.4 Auftreten von Fernmetastasen 19 19 21 21 21 22 25 25 31 32 45 45 46 49 58 58 58 59 60 4.5 Abschluss der Dokumentation 5. Diskussion 5.1 Diskussion des Patientengutes 5.1.1 Diskussion der Risikofaktoren 5.1.2 Diskussion der Prognosefaktoren 5.1.3 Vergleich der Patienten im Klinikkrankengut und im DÖSAK-Krankengut 5.2 Diskussion der bildgebenden Diagnostik 5.2.1 Diskussion der Primärtumordiagnostik 5.2.2 Diskussion der Lymphknotendiagnostik 5.2.3 Vergleich der bildgebenden Diagnostik im Klinikkrankengut und im DÖSAK-Krankengut 5.3 Diskussion der Therapie 5.3.1 Diskussion der Therapieformen 5.3.2 Vergleich der Therapie im Klinikkrankengut und im DÖSAK-Krankengut 5.4 Diskussion der Nachsorge 5.4.1 Diskussion des Nachbeobachtungszeitraums und zeitliches Auftreten der Rezidive 5.4.2 Diskussion der Rezidive 5.4.3 Diskussion der Zweittumoren 5.4.4 Diskussion der Fernmetastasen 5.4.5 Vergleich der Nachsorge im Klinikkrankengut und im DÖSAK - Krankengut 5.5 Diskussion des Abschlusses 60 61 61 63 65 71 75 75 76 80 81 81 85 89 89 92 93 94 95 96 6. Zusammenfassung 97 7. Literaturverzeichnis 101 8. Lebenslauf 113 1. Einleitung und Zielsetzung 1.1 Einleitung Unter den im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich vorkommenden Tumoren sind die Lippen-, Mundhöhlen- und Oropharynxkarzinome am zahlreichsten vertreten [1], hiervon sind Plattenepithelkarzinome der Mundschleimhaut die häufigsten malignen Tumoren überhaupt im Kopf-Hals-Bereich und stehen an sechster Stelle aller Tumoren weltweit [2]. Daneben scheint sich nach neueren Untersuchungen der Altersgipfel von einst 60-65 Jahren zunehmend nach unten, d.h. in ein jüngeres Lebensalter zu verlagern [3, 4]. Obwohl es v.a. in den letzten 30 Jahren zahlreiche Neuerungen in der Tumortherapie gegeben hat und das Verständnis um die Tumorentstehung und molekularbiologische Einsichten zum Teil eklatant zugenommen haben, ist seither kaum eine Veränderung der Gesamtüberlebensraten zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund ist von neuen Therapieformen wahrscheinlich nur eine geringe Verbesserung der Endergebnisse zu erwarten [5]. Der Nachweis solcher kleinen Fortschritte verlangt wiederum große Patientenfallzahlen, die sich am besten durch Kooperation mehrerer Kliniken erreichen lassen [6]. Diese Kliniken sollten im Idealfall eine einheitliche Dokumentation vorweisen [7]. Die Methode, neue Erkenntnisse für medizinisch - wissenschaftliche Zwecke zu gewinnen, besteht im Sammeln von Informationen aus der täglichen Behandlung der Patienten [7]. Diese Informationen sind in der Regel in Hülle und Fülle vorhanden und liegen zum großen Teil ungenutzt in den Archiven der Krankenhäuser [8]. Der individuelle Informationsgehalt der Krankengeschichte eines jeden Patienten wird allerdings erst dann zu einer Quelle neuen medizinischen Wissens, wenn bei der Dokumentation der Befunde eine Standardisierung im Sinne einer Klassifizierung stattfindet [9, 10] und wenn die gesammelten Informationen graphisch oder tabellarisch darstellbar werden. Der Vorteil der Vergleichbarkeit der Befunde wird dabei mit dem Nachteil einer starren Informationsstruktur erkauft. 1 Der DÖSAK (Deutsch-Österreichisch-Schweizerischer Arbeitskreis für Tumoren im Kieferund Gesichtsbereich) und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren haben sich durch die Etablierung eines einheitlichen Dokumentationsstandards zum Ziel gesetzt, genauere Erkenntnisse über prognostisch relevante Faktoren zu erlangen und Therapieschemata auszuwerten [7]. Dazu erfolgte im Tumorregister des DÖSAK in Gießen seit 1989 fortlaufend die zentrale Dokumentation von Tumoren – insbesondere primären Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, Lippen sowie des Oropharynx. Im Dezember 2000 endete diese Dokumentation mit den bis dahin üblichen ADT-Bögen (Version III) [11], wodurch sich nun in einigen beteiligten Kliniken eine abschließende Betrachtung des jeweilig dokumentierten, klinikeigenen Kollektivs anbietet. Mit 576 dokumentierten Patienten stellt unsere Klinik das 6. größte Patientenkollektiv aller DÖSAK – Kliniken und lohnt damit eine separate Analyse der gesammelten Daten. In der vorliegenden Arbeit soll anhand der aktuellen Literatur diskutiert werden, ob unser Kollektiv mit anderen Kollektiven aus der Literatur und speziell mit dem DÖSAK-Kollektiv vergleichbar ist. 2 1.2 Zielsetzung Ziel dieser Arbeit ist damit: 1. Der Datentransfer und die ergänzende Datenerfassung der Patienten mit Hilfe einer relationalen Datenbank (MS Access). 2. Die Bildung eines klinikeigenen Patientenkollektivs mit unvorbehandelten, primären Plattenepithelkarzinomen der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx aus dem Klinikkrankengut von 1989 bis 5/1999. 3. Die Patientenselektion und Homogenisierung nach den DÖSAK-Kriterien [11]. 4. Die Datenanalyse und Analyse des Überlebensverhaltens einzeln gebildeter, klinikinterner Kollektive. 5. Der Vergleich des klinikeigenen Kollektivs mit dem DÖSAK-Kollektiv. 6. Die Auswertung dieser Vergleiche bezogen auf das Patientenkollektiv unserer Klinik. 3 4 2. Allgemeine Betrachtung der Tumoren des Mund-, Kiefer und Gesichtsbereiches, insbesondere der Plattenepithelkarzinome Die Tumorkrankheit ist, auch bei Primärtumoren im Kopf-Hals-Bereich, eine Erkrankung des ganzen Menschen, die sich auf seinen Körper, seinen Geist, seine Seele und sein gesellschaftliches Leben auswirken kann [12]. Eine Beurteilung der tumor- und therapiebedingten Veränderungen der Lebensqualität, welche bislang eine nur untergeordnete Rolle in der Onkologieforschung inne hatte, rückt immer mehr ins Zentrum des Interesses und wird neben den Remissionsraten nach operativer Therapie zu einem maßgeblichen Bewertungskriterium medizinischer Maßnahmen und therapeutischen Erfolges in der Krebstherapie. Lebensqualität wird gewöhnlich anhand von Fragebögen bestimmt [13]. Zu den anfänglich bestehenden Fragebögen, die allgemein Anwendung bei gesunden und kranken Menschen jeglicher Art finden und sich mit physischen, psychischen und allgemeinfunktionellen Einschränkungen befassen, kamen in letzter Zeit Fragebögen hinzu, die sich mit der Erfassung spezifischer Komplikationen, Nebenwirkungen und funktioneller Probleme speziell bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren beschäftigen [14-21]. Insbesondere Patienten mit Tumoren der Mundhöhle, des Oropharynx und des Hypopharynx weisen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung häufig schon Zeichen der Mangelernährung auf. Betrachtet man die Lebens- und Ernährungsgewohnheiten dieser Patientengruppe, so sind neben einem ausgeprägten Alkohol- und Tabakabusus und einem instabilen, sozialen Umfeld auch eine einseitige Ernährung charakteristisch [22]. Selbst heute versterben in Deutschland immer noch ca. 20% aller Tumorpatienten in Kachexie [23]. 2.1 Ätiologie und Epidemiologie Ätiologie: Ätiologische Ursachenkombinationen sind bei der Entstehung oraler Präkanzerosen und Karzinome in einer Vielzahl exogener und endogener Noxen sowie in der genetisch 5 determinierten Geschwulstbereitschaft zu suchen. Ihre Kenntnis ist für die Prophylaxe und Therapie von großer Bedeutung, da das Erkrankungsrisiko nach Ausschalten der Noxe oft erheblich sinkt. Doch ist eine wirksame Prophylaxe durch Ausschaltung der Ursachen nur in begrenztem Umfang möglich, womit dem frühzeitigen Erkennen der Tumorentstehung eine beachtliche Rolle zukommt [24]. Nach GRIMM [25] sind äußere und innere Faktoren der Krebsentstehung zu unterscheiden, wobei bei den Karzinomen nachweislich äußere Einflussfaktoren überwiegen. Umwelteinflüsse, die zur Entstehung von Mundhöhlenkrebs beitragen, schließen Tabakkonsum, Alkoholkonsum und Infektionen mit Humanen Papillomaviren (HPV) oder Epstein-Barr Virus (EBV) ein [26, 27]. Unter den aufgezählten Risikofaktoren für die Entwicklung von Mundhöhlenkrebs ist Tabakkonsum der bedeutendste Risikofaktor [28] und schließt Rauchen in allen Formen von Zigarren und Pfeifen, Zigaretten sowie Tabakkauen ein. Bezüglich des Alkoholkonsums steigt das Krebsrisiko im Sinne eines Dosis-WirkungsPrinzips an, die Art des Getränkes scheint dabei eine geringere Rolle zu spielen als die Häufigkeit der Alkoholzufuhr [29] Nach METELMANN [12] sind die meisten Patienten (84%) starke Raucher, alkoholkrank und / oder haben eine außerordentlich schlechte Mundhygiene. Schlechte Mundhygiene und Alkoholabusus bei insuffizient saniertem Gebiss führen nach REICHART et al [30] zu einer Prämorbidität der Mundschleimhaut im Sinne einer chronischen Entzündung. Obwohl Tabak- und Alkoholkonsum die beiden Hauptrisikofaktoren sind und deren schädliche Wirkungen sich zudem potenzieren [31-33], entwickelt nur eine Minderheit aller Menschen, die beiden Wirkstoffen ausgesetzt sind, Krebs. Dies erlaubt die Unterstützung des Konzeptes, dass zwischen einzelnen Individuen große Unterschiede in der genetischen Vulnerabilität gegenüber Karzinogenen bestehen [28]. Epidemiologie: Die Inzidenzrate und Verteilung von Kopf-Hals-Tumoren variieren charakteristisch in Abhängigkeit von geographischen Regionen und hängen von Unterschieden der Verteilung bekannter Risikofaktoren wie Tabak- oder Betelnusskauen, Rauchen und Alkohol ab [34]. 6 Auch Ernährungsunterschiede scheinen bei Kopf-Hals-Tumoren von Bedeutung zu sein, da die Erkrankungsrisiken mit steigendem Konsum von Früchten und Gemüse sinken [34]. Nach einer Untersuchung von MACFARLANE et al. [35] gelten orale und oropharyngeale Karzinome als die wohl am leichtesten zu verhindernde Krebserkrankung, da sie zu 80% in Verbindung mit Alkohol und Tabak stehe. Speziell in Ländern wie Indien, Brasilien, SüdostAsien und weiteren Entwicklungsländern, in denen Mundhöhlenkrebs mit 35% aller malignen Tumoren vertreten ist, stellt die primäre Prävention die denkbar effektivste Strategie zur Minderung der Krebsinzidenz dar [34]. Im Vergleich hierzu repräsentieren Kopf-Hals-Tumoren in den USA „nur“ 4% aller bösartigen Tumoren, weltweit rangieren die Kopf-Hals-Tumoren an sechster Stelle [36]. Der Altersgipfel der Erkrankungshäufigkeit bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf-HalsBereiches liegt in Europa derzeit um das 5. bis 6. Lebensjahrzehnt [1, 3]. Das Geschlechterverhältnis Männer:Frauen liegt zwischen 4:1 bis 1,5:1 [33, 37, 38]. 2.2 Aktuelle Therapieformen Die Überlebensraten haben sich in den letzten 30 Jahren trotz der Fortschritte in chirurgischer Rekonstruktion, Entwicklung neuer chemotherapeutischer Wirkstoffe und Einführung verbesserter radiotherapeutischer Protokolle nicht signifikant steigern lassen. Der einzigst bedeutende prognostische Faktor in der chirurgischen Therapie des Plattenepithelkarzinoms des Kopf-Hals-Bereiches ist die Frage der kompletten chirurgischen Entfernbarkeit des Tumors [39]. Therapieversagen resultiert überwiegend aus der Entwicklung von Lokalrezidiven nach Primärtherapie oder aus der Entwicklung von Fernmetastasen und Zweittumoren [2]. 2/3 aller Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren befinden sich bei Erstdiagnose in den klinischen Stadien III und IV, Lokalrezidive treten hierbei in 50-60% auf, Fernmetastasen in 25% aller Fälle [40]. Die Angaben in der Literatur zur Häufigkeit von Zweittumoren differieren, Werte zwischen 10-40% werden gefunden [41-43]. 7 Lokoregionäre Rezidive, die am häufigsten infolge inkompletter chirurgischer Resektion und nach primärer Radiotherapie entstehen [44], werden üblicherweise mit erneuter Operation oder Bestrahlung behandelt. Sollten die Risiken einer erneuten Operation zu groß sein, kommt eine Radiotherapie in Frage [45]. Eine Therapie der Fernmetastasen wird derzeit häufig mit Chemotherapie versucht. Sowohl bei Lokalrezidiven als auch bei Fernmetastasen zeigen nur ca. 35% der Patienten ein Ansprechen auf die Therapie, welches mit 6 bis 9 Monaten nur von kurzer Dauer ist [46]. Dieses schlechte Ansprechen auf die Therapie lenkt das Interesse vermehrt auf die (Weiter-) Entwicklung neuerer Therapieformen, von denen unter anderem die Gentherapie, Antikörper-basierte Therapie und photodynamische Therapie Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Derartige Behandlungen haben das Potential, den Tumor selektiv zu bekämpfen während normales Gewebe relativ unbeeinflusst bleibt. Einen routinefähigen Einsatz gibt es aktuell allerdings für keine der genannten Optionen. Es erfolgt nun ein kurzer Abriss über aktuelle Therapieformen wie Chirurgie, Radio- und Chemotherapie, aber auch ein Einblick in neuere Behandlungsverfahren wie die Gen- und Immuntherapie. 2.2.1 Chirurgie Die Chirurgie spielt sowohl in der Therapie primärer Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle als auch in der Behandlung von lokoregionären Rezidiven die Hauptrolle, sofern kuratives Vorgehen möglich ist oder der chirurgische Eingriff eine signifikante Palliation bedeutet. Der Hauptpfeiler der chirurgischen Behandlungsmaßnahmen bei der kurativ intendierten Tumorchirurgie besteht im Versuch einer radikalen Entfernung des Primärtumors unter Einhalten eines Sicherheitsabstandes in allen Richtungen sowie der Schnellschnittbeurteilung der Resektionsgrenzen. Die Lymphknotenausräumung kann als selektive Lymphknotenexstirpation, als supra- (omo-) hyoidale Lymphknotenausräumung oder als Neck dissection (funktionell modifiziert oder klassisch radikal) durchgeführt werden. Für welche Form der Lymphknotenausräumung letztlich die Entscheidung ausfällt, hängt hauptsächlich von der Lokalisation, der Größe und vom Infiltrationsgrad des Primärtumors ab. Ein großer Schritt in Richtung einer weniger radikalen Chirurgie wurde mit der 4. DÖSAKTherapiestudie getan, in der die radikale mit der konservativen Neck dissection verglichen 8 wird. Bisherige Lifetable-Analysen der Studie sagen voraus, das es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Therapiegruppen bezüglich Überlebenszeit gibt [47]. In unserer Klinik ist im klinischen N0-Hals bei anterior gelegenen Tumoren die ipsilaterale supraomohyoidale Lymphknotenausräumung die Regel. Liegt der Primarius im dorsalen Bereich der Mundhöhle (Zungengrund, retromolar) oder im Oropharynx, wird meist eine modifiziert radikale Neck dissection ipsilateral und eine supraomohyoidale Neck dissection kontralateral durchgeführt. Letztere wird in Abhängigkeit des intraoperativen, schnellschnittgestützten Lymphknotenstaging bei Metastasennachweis ggf. zur modifiziert radikalen Neck dissection erweitert. Weiterhin erscheinen uns bilaterale Lymphknotenausräumungen bei anterior gelegenen Tumoren mit Mittellinienbezug notwendig. Eine generelle Empfehlung zum Vorgehen am N0-Hals, die allgemein akzeptiert wird, zeichnet sich derzeit allerdings noch nicht ab [48, 49]. Patienten mit präoperativ vermuteter Lymphknotenfilialisierung (N1+) erhalten bei uns nach intraoperativer Schnellschnittbestätigung in jedem Falle eine modifiziert radikale Neck dissection ipsilateral, unabhängig von der Lokalisation der Primärtumors. Der Verzicht auf eine Lymphknotenausräumung bei klinischem N0-Hals wird von uns derzeit bei kleinen T1-Unterlippen- sowie bei Oberkiefer- und Kieferhöhlenplattenepithelkarzinomen in Erwägung gezogen, weiterhin bei kleinen Karzinomen der Gesichtshaut und bei Carcinomata in situ. Eine engmaschige Tumornachsorge ist bei diesen Patienten obligat. Rezidive im Halsbereich können gut chirurgisch behandelt werden sofern der Hals weder vorbestrahlt noch chirurgisch vorbehandelt ist. Wurde zuvor eine supraomohyoidale Ausräumung bzw. eine selektive Lymphknotenausrümung durchgeführt und trat in der Folge ein Rezidiv außerhalb dieses Bereiches auf, kann eine komplette Neck dissection, in Form einer radikalen oder modifiziert radikalen Neck dissection, durchgeführt werden [50-52]. Leider ist im Falle von Rezidiven der Hals oft bereits radiotherapeutisch vorbehandelt, wodurch eine Tumorresektion am Hals technisch extrem anspruchsvoll wird. Im Zusammenhang mit der chirurgischen Therapie sind einige Begriffe von großer Bedeutung. Der Begriff der adjuvanten Therapie ist für alle Behandlungsformen reserviert, bei denen, nach einer vorausgegangenen R0-Resektion, postoperative onkologische 9 Behandlungsmaßnahmen wie Chemotherapie oder Strahlentherapie eingesetzt werden. Wurde dagegen bei der radikal intendierten Primäroperation Resttumor belassen (R1,R2-Resektion), so wird jede weitere onkologische Behandlung als additive Therapie bezeichnet. Abgeleitet von dem Begriff der adjuvanten Behandlung bezeichnet man als neoadjuvant präoperative onkologische Behandlungsformen wie eine alleinige, sequentielle (alternierende) oder simultane Radio- oder Chemotherapie, wenn anschließend eine radikalchirurgische Tumorsanierung erfolgt. Oftmals wird auch eine Chemotherapie vor einer definitiven Strahlentherapie als neoadjuvante Behandlung bezeichnet. 2.2.2 Radiotherapie Die adjuvante Radiotherapie mit der Chirurgie oder die primäre Radiotherapie stellen wichtige Säulen in der Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren dar. Sofern der Tumor auf eine Radiotherapie anspricht, kann prinzipiell eine gezielte Tumorzellvernichtung unter größtmöglicher Schonung des gesunden Gewebes stattfinden. Als Faustregel kann gelten, dass Tumoren umso sensibler gegenüber einer Bestrahlung sind, je schnell sich die Tumorzellen teilen. Weiterhin nimmt die Strahlensensibilität mit steigender Sauerstoffsättigung im Gewebe zu. In vielen Fällen wird durch die Bestrahlung eine Devitalisierung der Tumorzellen mit Verkleinerung des Tumors und Verhinderung der Ausbreitung von bereits in die Lymphbahnen abgesiedelten Tumorzellen erreicht. Gelegentlich schreitet das Tumorwachstum jedoch während der Radiotherapie fort oder es entwickeln sich trotzdem Metastasen im Halsbereich. Eine lokale Tumorkontrolle von ungefähr 50% kann bei Bestrahlungsdosen größer als 60 Gy erzielt werden [53]. Die Radiotherapie erlaubt zwar eine Organerhaltung, ist jedoch nicht ohne Nebenwirkungen. Zu diesen gehören vor allem die Mukositis [54], Xerostomie und Schluckbeschwerden. Die schwerwiegendste Spätkomplikation der Radiotherapie neben der Induktion eines Zweittumors ist die Osteoradionekrose. 10 2.2.3 Chemotherapie Die präoperative (= neoadjuvante) Chemotherapie hat das Ziel der lokalen Tumorreduktion zur Verbesserung der Vorraussetzungen für eine radikale Operation. Gleichzeitig besteht die Aussicht, einer bereits abgelaufenen Mikrometastasierung entgegenzuwirken. Mundhöhlenkarzinome sind nur mäßig chemotherapiesensibel. Heilungen durch den alleinigen Einsatz der Chemotherapie sind nicht möglich. Eine kurative Therapieintention hat die Chemotherapie nur in Kombination mit der Strahlentherapie im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte bei lokoregionär fortgeschrittenen Tumoren (Stadium III + IV, M(0)), welche allein chirurgisch und/oder strahlentherapeutisch nicht bzw. nur unter Inkaufnahme verstümmelnder Maßnahmen heilbar wären [55]. Im Falle von Metastasen oder Rezidiven nach erfolgter chirurgischer und strahlentherapeutischer Therapie besteht auch mit der Chemotherapie (in Form einer additiven Therapie) kein kurativer Therapieansatz mehr, sie hat lediglich palliativen Charakter mit dem Ziel der Lebenszeitverlängerung und Lebensqualitätsverbesserung. Chemotherapie kann systemisch, intratumoral oder intraarteriell gegeben werden. Systemische Chemotherapie kann entweder mit einer einzelnen Substanz, z.B. Cisplatin oder Methotrexat oder in Kombination, z.B. Cisplatin-5-Fluorouracil gegeben werden. Die Behandlung mit kombinierter Chemotherapie steigert die Gesamtansprechrate auf 30-40% [56] verglichen mit einzelnen Substanzen bei denen die Ansprechrate nur 10-20%, im Falle der Cisplatintherapie immerhin 30% erreicht [57]. Unter der neueren Generation von Chemotherapeutika, den Taxanen Docetaxel und Paclitaxel, die eine signifikant hohe Aktivität in Kopf-Hals-Tumoren zeigen, konnten Ansprechraten von bis zu 40% gezeigt werden [58]. Trotz Verbesserung der Ansprechraten durch Einführung unterschiedlicher Kombinationsformen oder neuer Präparate konnte bislang noch keine Verbesserung der Überlebensdauer erzielt werden, sie beträgt im Mittel immer noch 6 Monate [46, 59]. Auch LAAK [55] stellt fest, das die adjuvante Chemotherapie nach R0-Resektion bei Kopf-HalsTumoren keinen Einfluss auf die Lokalrezidivrate, das krankheitsfreie Überleben sowie auf die Gesamtüberlebenszeit hat. Nur die Fernmetastasierungsrate konnte signifikant gesenkt werden [60]. Dasselbe gilt für R1/R2-Resektionen, im Falle derer die additive Chemotherapie nach Operation und postoperativer Strahlentherapie keinen Überlebensvorteil erbringt [61]. 11 2.2.4 Radiochemotherapie Eine Form der neoadjuvanten Therapie in der Behandlung fokal fortgeschrittener Kopf-HalsTumoren stellt die parallele Chemotherapie dar. Hierbei erfolgt der Einsatz von Radio- und Chemotherapie gleichzeitig oder abwechselnd. Parallele Radiochemotherapie ist gegenwärtig der einzige chemotherapeutische Ansatz, der durchweg einen Überlebensvorteil demonstriert [62]. Eine Chemotherapie kann in gewissen radioresistenten Tumorzellsubtypen, wie z.B. hypoxischen Zellen, Zellen mit niedrigem pH oder Zellen in der radioresistenten S-Phase, wirksamer sein. Weiterhin mag Chemotherapie unter Umständen die Reparatur von strahleninduzierten DNA-Schäden behindern, Zellen während ihrer radiosensitiven Phase synchronisieren oder aufhalten oder erneutes Zellwachstum zwischen einzelnen Fraktionen behindern [63]. Durch die parallele Radiochemotherapie kann in ausgewählten Fällen auf eine Operation verzichtet werden oder das Operationsausmaß in Grenzen gehalten werden, womit ein Erhalt des Organs erreicht werden kann [55]. Meist wird diese Therapieform bei uns jedoch genutzt, wenn eine chirurgische Tumorentfernung aufgrund der Tumorausdehnung nicht mehr sinnvoll erscheint und zugunsten eines Organerhalts radiochemotherapiert wird. 2.2.5 Gentherapie GANLY [2] zufolge gibt es vier Haupttypen von Genen, die in Tumorzellen eingeschleust werden können: 1. Gene, die Onkogene unterdrücken (z.B. Therapie mit Anti-Onkogenen) 2. Gene, die defekte Tumorsuppressorgene wiederherstellen (replacement gene therapy) 3. Gene mit fördernder Wirkung auf das Immunsystem (Immuntherapie) 4. Gene, die Vorläufersubstanzen (pro-drugs) in aktive chemotherapeutische Wirkstoffe umwandeln (gene directed enzyme pro-drug therapy (GDEPT)). In der Therapie von Kopf-Hals-Tumoren können diese vier Therapieformen in drei klinischen Situationen potentiell nützlich sein: für die Behandlung von lokoregionären Rezidiven durch direkte Tumorinjektion, für die Therapie von Fernmetastasen durch systemische Therapie 12 oder für die Therapie eventuell vorhandener mikroskopischer Residualtumoren durch Injektion in die Resektionsränder bzw. in das Resektionsbett zur Vorbeugung lokaler Rezidive. Größter Nachteil der genetischen Therapieformen ist momentan noch die Notwendigkeit der direkten Injektion in das Tumorgewebe, da im Falle einer systemischen Gabe die für die Gentransduktion verwendeten viralen Vektoren vom Immunsystem eliminiert werden [2]. Gerade für die Stadien III und IV mit dem Vorhandensein persistierender Mikrometastasen an vom Primärtumor fernen Stellen wäre aber eine systemische Therapie von großer Wichtigkeit, dazu müssen allerdings bessere Vektoren entwickelt werden, die dem Immunsystem entweichen können [2]. Untersuchungen hierzu gibt es bereits, deren Erkenntnisse finden momentan aber noch keine Anwendung im klinischen Alltag [64], [65]. 2.2.6 Photodynamische Therapie (PDT) Photodynamische Therapie beinhaltet die Gabe eines lichtsensitivierenden Medikaments, welches selektiv von Tumorzellen aufgenommen wird und dadurch die durch eine photochemische Reaktion getriggerte Tumorzellzerstörung nach Laserlichtapplikation einleiten kann [66]. Das am häufigsten sensibilisierende Medikament ist das Hämatoporphyrinderivat Photoferin II, welches jedoch einige Nachteile aufweist [67]. Neuerdings gibt es bessere Photosensibilisierer, von denen der vielversprechendste Meta(tetrahydroxyphenyl)chlorin (mTHPC) ist. Im Gegensatz zu früherer Palliation wird heute die Photodynamische Therapie auch kurativ eingesetzt. Kurativ können Fälle mit kleinen, lokalisierten Primärtumoren, Sekundärtumoren, Rezidiven, Feldkanzerisierung, mikroinvasiven Tumoren und prämalignen Läsionen angegangen werden [67]. Zum derzeitigen Entwicklungsstand der Photodynamischen Therapie werden jedoch nur Läsionen therapiert, in denen Operation und Radiotherapie obsolet sind [67, 68]. Die Lokalisation der Läsionen sollte eine homogene Illumination mit Laserlicht zulassen, dies reduziert drastisch die Anzahl geeigneter Patienten [67]. Des weiteren werden alle derzeitig erhältlichen Photosensitizer in gewissem Maße von normalem Gewebe aufgenommen, darüber hinaus sind lange Behandlungszeiten und hohe Kosten entmutigend. 13 Daher scheint die photodynamische Therapie derzeit nur in ausgewählten Fällen und nur an wenigen Kliniken durchführbar zu sein [69]. Ob der photodynamischen Therapie der Einzug in den klinischen Alltag gelingt, ist unklar. Es kann jedoch festgestellt werden, das die PDTProzedur „benutzerfreundlich“ geworden ist, überdies konnten erste klinische Versuchsreihen zeigen, das PDT ohne signifikanter Morbidität angewandt werden kann und in diesem Punkt potentiell der Chirurgie und Radiotherapie überlegen ist [67, 68]. 2.2.7 Antikörperbasierte Therapie Während der letzten zwei Jahrzehnte wurden in der Literatur mindestens 30 monoklonale Antikörper (MAbs) beschrieben, die gegen Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereiches gerichtet sind. Die vielversprechendsten MAbs werden in zwei Gruppen eingeteilt [67]: (1) MAbs gegen Plattenepithel-assoziierte-Antigene und (2) MAbs gegen EGFR (epidermal growth factor receptor). Letztere sind besonders interessant, da in Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches eine hohe Anzahl von EGF-Rezeptoren gefunden wurde [70]. Durch Kopplung antitumoröser Substanzen an monoklonale Antikörper werden äußerst tumorzellspezifische Präparate geschaffen, wobei derzeit die Kopplung radioaktiver Substanzen zu den favorisiertesten Optionen zählt [71]. 2.3 Prognose 2.3.1 Prognostische Faktoren Die Prognose von Patienten mit Tumorerkrankungen ist weitgehend abhängig von multiplen prognostischen Faktoren, die entscheidenden Einfluss auf die unterschiedlichen Verläufe haben [72, 73]. Prognostische Faktoren bestimmen wesentlich die Überlebens- wahrscheinlichkeit, die posttherapeutisch rezidivfreie Zeit und den allgemeinen Verlauf der Tumorerkrankung vor, während und nach angegangener Therapie. Eine Einteilung in drei Kategorien hat sich als sinnvoll erwiesen [39, 74, 75]: 14 1. tumorkorrelierte Faktoren, hierbei hauptsächlich Tumorhistologie. Weitere Beispiele: Tumordicke, Lymphknotenbefall, 2. tumorunabhängige Faktoren, die sich auf den Tumorträger, den Patienten beziehen, beispielsweise Alter, Geschlecht, Allgemeinerkrankungen, Immunstatus des Patienten und 3. die Gruppe der therapieabhängigen Faktoren. Beispiele: R-Klassifikation, Radiotherapie, Chemotherapie, Operationsart, Rehabilitation. Üblicherweise wurde jeder individuelle Faktor isoliert betrachtet und auf seinen Einfluss auf die Prognose hin im Sinne einer univariaten Analyse untersucht. Jedoch zeigte sich, dass bei den meisten Tumoren die Prognose durch mehrere Faktoren beeinflusst wird und zwischen einzelnen Faktoren etliche Interaktionen vorkommen können. Daher können univariate Analysen irreführend sein und zu falschen Ergebnissen führen. Um die große Anzahl prognostischer Faktoren bei Tumorerkrankungen untersuchen zu können, sind multivariate Analysen notwendig [74], deren Hauptanliegen es ist, unabhängige prognostische Faktoren zu identifizieren. Als Beispiel sei das multivariate Regressionsmodell für Überlebensdaten [76], ein Standardinstrument in der klinischen Krebsforschung, genannt, welches die simultane Analyse vieler prognostischer Faktoren und daraus ableitend eine individuelle Prognosestellung erlaubt. Voraussetzungen für solche Analysen sind große Patientenzahlen, die sich nur durch Kooperation mehrerer Kliniken erreichen lassen und eine einheitlichstandardisierte Befunderhebung mit definierten Vergleichbarkeit erhobener Befunde zu gewährleisten [74]. 15 Untersuchungsmethoden, um 2.3.2 TNM-Klassifikation Die TNM-Klassifikation beschreibt die anatomische Ausdehnung des Tumors [77]. Bei der Einführung im Jahr 1977 waren die fünf Ziele der TNM-Klassifikation: 1. eine Entscheidungshilfe in der Behandlungsplanung zu stellen, 2. auf die Prognose hinzudeuten, 3. den Informationsaustausch zwischen Behandlungszentren zu erleichtern, 4. die Evaluierung von Behandlungsergebnissen zu unterstützen und 5. einen Beitrag zur Erforschung menschlichen Krebses zu leisten. Wie viele Untersuchungen zeigen, reicht zur Beschreibung prognostisch homogener Gruppen eine Einteilung nach den drei TNM-Kriterien, nämlich Tumorgröße, regionale Lymphknoten und Fernmetastasen, nicht aus [78]. Besonders wichtige Faktoren wie z.B. die Tumordicke werden im TNM-System gänzlich ausgespart. Dem TNM-System für sich betrachtet kann daher lediglich ein deskriptiver Charakter zugeschrieben werden [79, 80]. Dennoch basiert das operative Vorgehen weitestgehend auf den Ergebnissen des präoperativen Stagings, die sich in der jeweiligen Tumorformel anhand des TNM-System wiederspiegeln. Weiterhin Behandlungsergebnissen und ist – dieses System wie geschildert hilfreich - mit zum Vergleich von Einschränkungen zur Prognosebestimmung. 2.3.3 TPI Die Kombination von TNM-System und weiteren prognostischen Faktoren führte im Rahmen der „Retrospektiven DÖSAK-Studie“ zum „Therapieabhängigen Prognoseindex TPI“ [81], der eine wesentlich bessere Prognosestellung erlaubte. Neben dem TNMSystem wurden hierbei auch die Therapie und der Therapieerfolg (R-Klassifikation) als beeinflussende Faktoren berücksichtigt. Der TPI erlaubt je nach Faktorenkombination die Einteilung eines Patienten in eine prognostische Gruppe. 16 2.3.4 CIP Trotz hoher Wertigkeit konnte der TPI um weitere prognostische Faktoren ergänzt werden, wodurch CIP, die Computerunterstütze Individuelle Prognosestellung, entstand [82]. CIP liegen Daten der „Prospektiven DÖSAK-Studie über Plattenepithelkarzinome der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx“ zugrunde. Die heute genaueste Beschreibung des Krankheitszustandes und individuelle Verlaufsprognose wird mit der CIP erstellt [12]. Das CIP-System nutzt die statistisch gesicherte Feststellung, dass die individuelle Prognose besonders von der gewählten Tumortherapie abhängt und mit acht Hauptfaktoren zusätzlich eingegrenzt werden kann [82]: - Größe des Primärtumors - Befund der regionären Lymphknoten - Befund von Fernmetastasen - Infiltrationstiefe des Primärtumors - Lokalisation des Primärtumors - Behandlung des Primärtumors - Alter des Patienten - Geschlecht des Patienten Zugrundeliegende statistische Methode beim TIP und CIP ist das o.g. multiple Regressionsmodell nach Cox. Das Modell stellt eine multivariate Analyse dar. Es erlaubt, simultan Faktorenkombinationen zu analysieren mit der daraus resultierenden Möglichkeit einer individuellen Prognosestellung. 17 2.4 Nachsorge Follow-up ist von 4-fachem Nutzen [83]: 1. Erkennung (und damit Behandlung) von lokoregionären Rezidiven, Fernmetastasen oder Zweittumoren, 2. für klinische Studien, um eine Auswertung von Behandlungsergebnissen zu erlauben, 3. zur emotionalen Unterstützung der Patienten, 4. für die frühzeitige Erkennung von Komplikationen, die aus der Therapie resultieren. Viele Kliniker sehen ihre Patienten dabei im ersten Jahr monatlich, im zweiten Jahr alle zwei, im dritten Jahr alle vier Monate, im vierten und fünften postoperativen Jahr halbjährlich. Nach fünf Jahren gilt die Phase der unmittelbaren Rezidivgefährdung zumeist als beendet. 18 3. Patientengut und Methodik 3.1 Patientengut Die retrospektive Studie umfasst Patienten, die mit der Diagnose eines unvorbehandelten Primärtumors, vorbehandelten Primärtumors, Zweittumors, Lokalrezidivs oder wegen Lymphknotenmetastasen bei unbekanntem Primärtumor im Zeitraum vom 01.01.1994 bis zum 31.05.1999 in die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Tübingen aufgenommen wurden und die Patienten, die bereits seit 01.04.1989 im DÖSAKTumorregister in Gießen erfasst waren. Berücksichtigt wurden dabei folgende Tumorentitäten: Plattenepithelkarzinome, Adenoidzystische Karzinome, Adenokarzinome, maligne Melanome, Metastasen der genannten Tumoren, Basaliome, Mucoepidermoidkarzinome, Karzinome o.n.A. und weitere seltenere Tumoren mit je einmaligem Auftreten in unserem Patientengut (Merkelzell-Karzinom, adenosquamöses Karzinom, pleomorphes Adenom, u.a.), vgl. Tab.1. Nachlässigkeiten in der Tumordokumentation während der Anfangsjahre des DÖSAK sowie zahlreiche Ausschlusskriterien zur Aufnahme in das DÖSAK-Kollektiv reduzieren die Anzahl erfasster Tumorpatienten drastisch auf 574 Fälle. Diese wurden auf die unter 3.2.1 beschriebe Weise akquiriert. Eine weitere Reduzierung erfährt unser Kollektiv dahingehend, dass im Verlauf dieser Disserationsschrift das Hauptaugenmerk nur noch auf die primären, unvorbehandelten Plattenepithelkarzinomen der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx (n=373) gerichtet wird (Tab. 2). 19 Tab. 1: Tumorentitäten des Gesamtkollektivs der Jahre 1988 bis 1999 (n=574). Tumorentität Tab. Anzahl der Fälle Plattenepithelkarzinom, nicht verhornend 301 Plattenepithelkarzinom, verhornend 148 Adenoidzystisches Karzinom 24 Tumor, klinisch bösartig ohne mikrosk. Bestätigung 20 Malignes Melanom 14 Mucoepidermoidkarzinom 11 Metastase eines Plattenepithelkarzinoms 8 Metastase eines Tumors ohne mikrosk. Bestätigung 8 Carcinoma in situ des Plattenepithels 6 Basaliom 5 Adenokarzinom 5 Metastase eines Malignen Melanoms 3 Karzinom o.n.A. 3 sonstige (je 1 Mal vorkommend: Karzinom o.n.A., verruköses Karzinom, adenosquamöses Karzinom u.a.) 18 Gesamt 574 2: Aufteilung des Gesamtkollektivs in primäre, unvorbehandelte Plattenepithelkarzinome (n=373) und andere Tumoren (n=201) Tumorentität Anzahl der Fälle Primäre, unvorbehandelte Plattenepithelkarzinome der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx 373 andere (vorbehandelte Tumoren, andere Entitäten) 203 Gesamt 576 20 3.2 Methodik 3.2.1 Datenerhebung Neben den teilweise bereits vorhandenen Daten der Patienten von 1988 bis 31.12.1993 wurden alle Patienten von 01.01.94 bis 31.05.99, deren histologischer Befund einen der unter 3.1 genannten Tumor enthielt, miteinbezogen. Um dieses Patientengut ausfindig zu machen, wurden die Histologieordner der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie Tübingen von 01.01.94 bis 31.05.99 gesichtet und unter Zuhilfenahme der stationären Akten die Daten gemäß der ADT-Bögen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT), Version III, erhoben [84, 85]. Ferner wurden die seit 1988 bereits registrierten Patientendaten vervollständigt. 3.2.2 Erfasste Daten Erfasst wurden alle von den ADT-Bögen Version III geforderten Daten [84]. Die Datenerhebung umfasst die Daten zur Aufnahme (Bogen 0) des Patienten in die Klinik wie z.B. Wohnort, einweisender Arzt, Hausarzt, die prätherapeutischen Daten (Bögen 1A und 1B), die Daten zur Therapie (Bogen 2), zur Pathologie (Bogen 3), zur Nachsorge (Bogen 4) und zum Abschluss der Patientendokumentation (Bogen 5). Die prätherapeutischen Daten 1A beinhalten das Datum der Befundaufnahme, die Tumorart, das Datum der ersten ärztlichen Verdachtsdiagnose, Angaben zu Körpergröße und Gewicht und zum allg. Leistungszustand, Risikofaktoren, gravierende Begleiterkrankungen, Angaben zu früheren Tumorerkrankungen, zu synchronen Tumorerkrankungen, zur Tumorlokalisation des jetzigen Tumors mitsamt Seitenlokalisation und Tumorausdehnung. Die prätherapeutischen Daten 1B enthalten Daten zur Infiltration benachbarter Strukturen (Knochen, Weichteile/ Muskel, Haut), zum regionären Lymphknotenbefund, zu Fernmetastasen, die klinische TNM-Klassifikation, Angaben zur Diagnosesicherung (histologisch, zytologisch, ungesichert), den histologischen Befund im Falle einer PE. 21 Die Daten zur Therapie umfassen die Behandlungsart, den Gesamt-Behandlungserfolg, Daten zur operativen Behandlung des Tumors, der Lymphknoten. Des weiteren werden Daten zur Bestrahlung und zur Chemotherapie erfragt. Der Bogen 3 befasst sich mit allen Daten zur Pathologie, sofern eine PE erfolgte, die den Tumor vollständig entfernte oder eine Operation erfolgte. Die Nachsorge wurde aus den Ambulanzkarten erhoben. Nach allgemeinen Richtlinien des DÖSAK wurden die Patienten im ersten Jahr nach der Operation alle 4 Wochen zur Nachsorge einbestellt, im 2. Jahr alle 8 Wochen, im 3. Jahr alle 3 Monate, im 4. Jahr alle 6 Monate und im 5. Jahr post operationem alle 12 Monate. Zum Abschluss des Falles musste der Grund des Abschlusses angegeben werden und sofern der Patient verstorben war, spezifische Angaben zur Todesursache gemacht werden. 3.2.3 Datenaktualisierung und Datenverarbeitung mit Hilfe der Access-Datenbank Die in den ADT-Erhebungsbögen 0-V (Version III) gesammelten ca. 260 Daten pro Patient wurden in einer Access-Datenbank festgehalten. Jeder Patient erhielt eine eindeutige Patientenidentifizierung. Die Daten wurden mit Hilfe der Datenbank sowohl in Tabellenform als auch in Formularansicht dargestellt. Die Formularansicht kann individuell gestaltet werden und erlaubt es, gewünschte Daten herauszufiltern und übersichtlich darzustellen. Fehlbestände in der Patientendokumentation wurden durch eine automatisierte Suchabfolge erkannt und aufgezeigt. Hauptsächlich handelte es sich dabei um Überschreitungen des Nachsorgeintervalls. Für wissenschaftliche Auswertungen sind jedoch neben einer möglichst großen Fallzahl und der Güte der Datenerhebung besonders auch die Güte der Nachsorge von Bedeutung. Die Vollständigkeit der Nachbeobachtung stellt hierbei oft das größte Problem dar. Um unabhängig von Nachsorgelisten zu sein, die halbjährlich vom zentralen Tumorregister verschickt wurden, und um einen ständigen Überblick über die Nachbeobachtungsaktualität der Patienten zu erhalten, nutzten wir die Vorteile datenbankgestützter Dokumentation anhand einer Access-Datenbank. 22 Der Nachsorgestatus jedes Patienten wurde automatisch kontrolliert und im Falle eines Überschreitens des Nachsorgeintervalls Patientenübersichtsseite erkennbar. Das an einer Warnmeldung Nachsorgeintervall wurde mit auf der folgenden Zeitabständen in Abhängigkeit vom letztmaligen Tumorauftreten festgelegt: 1. Jahr nach letzter Tumormanifestation: Nachsorge alle 4 Wochen, 2. Jahr nach letzter Tumormanifestation: Nachsorge alle 8 Wochen, 3. Jahr nach letzter Tumormanifestation: Nachsorge alle 3 Monate, 4. Jahr nach letzter Tumormanifestation: Nachsorge alle 6 Monate, 5. Jahr nach letzter Tumormanifestation: Nachsorge alle 12 Monate. Neben einer Warnmeldung bei Überschreiten des Nachsorgeintervalls erfolgte automatisch ein Anschreiben an den Hausarzt und den Patienten mit Hinweisen auf den Nachsorgemisstand und der Bitte um erneute Vorstellung in der Tumornachsorgesprechstunde. Eine persönliche Kontrolle des Nachsorgestatus wird aufgrund des hohen zeitlichen Aufwandes oft vernachlässigt oder erfolgt überhaupt nicht. Einzige Kontrolle stellten die Plausibilitätsfehlermeldungen bezüglich der Nachsorge dar, die den Kliniken vom DÖSAKTumorregister regelmäßig zugeteilt wurden. Durch automatisiertes Anschreiben von Hausarzt und Patient ist diese persönliche Kontrolle nicht mehr notwendig. Voraussetzung dafür ist allerdings eine sorgfältige Dokumentation der Nachsorge in der Access-Datenbank, die bis Ende 2000 durch Einsenden der Nachsorgelisten an das DÖSAK-Tumorregister erfolgte, jedoch in Zukunft dezentral, d.h. vor Ort in den beteiligten Kliniken, vorgenommen werden kann. Einen weiteren großen Anteil an Datenfehlbeständen stellten fehlende Angaben zur Radiotherapie und Radiochemotherapie. 23 Da viele Patienten nicht im ansässigen Klinikum, sondern heimatnah und damit oft außerhalb der ansässigen Klinikzentrums bestrahlt bzw. chemotherapiert wurden, kam es wiederholt zu Dokumentationslücken aufgrund fehlerhaften Datentransfers zwischen den Kliniken. Durch automatisierte Suchabfolgen wurden Fehlbestände entdeckt und mit einer Verknüpfung der Access-Datenbank zu Microsoft Word war es möglich, auch diese Daten automatisiert von den jeweiligen Kliniken anzufordern. 24 4. Ergebnisse 4.1 Darstellung des Patientengutes Abzüglich aller Patienten, welche die Einschlusskriterien zur Aufnahme ins DÖSAKTumorregister nicht erfüllten, wurden zwischen 1989 und 1993 213 Patienten erfasst, aus den Jahren 1994 bis 05/1999 361 Patienten. Hiermit ergibt sich ein Gesamtkrankengut von 574 Patienten mit Malignomen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Eine Übersicht bieten die Tab. 1, 2, 6 und 8. Um ein prognostisch homogenes Kollektiv zu erhalten, werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit von 574 Tumorpatienten nur noch die primären, unvorbehandelten Plattenepithelkarzinome der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx (n=373) abgehandelt (Tab. 2). Alle weiteren Tumoren wie Rezidive und Metastasen von Plattenepithelkarzinomen, vorbehandelte Plattenepithelkarzinome oder solche der Haut werden nicht weiter analysiert. Ebenfalls kommen von Plattenepithelkarzinomen abweichende Tumorentitäten nicht zur näheren Betrachtung. Tumorentitäten Primäre, unvorbehandelte Plattenepithelkarzinome der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx 201 373 andere (vorbehandelte Tumoren, andere Entitäten) Abb. 1: Aufteilung aller dokumentierten Tumoren in ein homogenes Hauptkollektiv (n=373) und sonstige Tumoren (n=201) 25 Abb. 2 veranschaulicht das Verhältnis männlicher und weiblicher Patienten im KlinikKollektiv, es beträgt 3,3 : 1 erkrankte Männer zu Frauen. männlich 76,9 weiblich 23,1 0 20 40 60 80 100 [%] Abb. 2: Geschlechtsverteilung Der Altersgipfel lag im untersuchten Kollektiv bei Männern zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr (Durchschnitt bei Männern 57,3 Jahre bei Diagnosestellung, im Mittel bei 57,1 Jahren), bei Frauen lag der Altersgipfel zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr (im Durchschnitt bei 64,7 Jahren bei Diagnosestellung, im Mittel bei 62,0 Jahren). Der Gesamtaltersdurchschnitt betrug 59 Jahre. Die 5-Jahres-Überlebensrate (5-J-ÜR) für Männer belief sich auf 56%, für Frauen auf 44%. Bei stationärer Aufnahme waren 76,7% der Patienten in ihrer Leistungsfähigkeit (ECOG) nicht eingeschränkt, weitere 14,5% der Patienten waren leicht und die verbleibenden 8,8% der Patienten mittel bis schwer eingeschränkt (Tab. 3) 26 Tab. 3: Verteilung des allgemeinen Leistungszustandes nach ECOG bei stationärer Aufnahme von Männern und Frauen ECOG Anzahl Männer Anteil Männer Anzahl Frauen Anteil Frauen Gesamt Anteil Gesamt 0 224 76,7% 62 72,1% 286 76,7% 1 40 14,5% 14 16,3% 54 14,5% 2 15 5,2% 6 7,0% 21 5,6% 3 4 1,4% 2 2,3% 6 1,6% 4 4 1,4% 2 2,3% 6 1,6% Gesamt 287 100% 86 100% 373 100% ECOG 0=normale, uneingeschränkte Aktivität, 1= Einschränkung bei körperlicher Anstrengung, gehfähig, 2= gehfähig, Selbstversorgung, nicht arbeitsfähig, kann mehr als 50% der Wachzeit aufstehen, 3= begrenzte Selbstversorgung, 50% oder mehr der Wachzeit an Bett oder Stuhl gebunden, 4= völlig pflegebedürftig, völlig an Bett oder Stuhl gebunden Die berechnete allgemeine 5-J-ÜR ergab mit 57% für Patienten ohne körperliche Einschränkungen (ECOG 0) das beste Ergebnis. Es folgten niedrigere 5-J-ÜR für Patienten mit ECOG 2 (44%) und Patienten mit ECOG 1 (27%), Patienten mit ECOG 3 erreichten nicht das 5-J-Überleben. Abb. 3 zeigt die Kurvenverläufe für ECOG 0, 1, 2 und 3. Patienten der Gruppe ECOG 4 entfielen der Betrachtung. 1.0 0.9 0.8 Überlebensrate 0.7 ECOG 0 0.6 ECOG 2 0.5 0.4 ECOG 1 0.3 ECOG 3 0.2 0.1 0.0 0 365 730 1095 Überlebenszeit in Tagen Abb. 3: 5-Jahres-Überlebensrate für Patienten mit ECOG 0-3 27 1460 1825 Tab. 4: Tabellarische Übersicht der 5-Jahres-Überlebensraten für Patienten mit ECOG 0-3 ECOG 1-J-ÜR 2-J-ÜR 5-J-ÜR 0 99,0% 94,0% 57,0% 1 98,0% 88,0% 27,0% 2 100,0% 83,0% 44,0% 3 100,0% 100,0% 0,0% In Tab. 5 findet sich der durchschnittliche Körpermassenindex = BMI (body mass index, in KG (kg)/ Körpergröße (m²) ) bezogen auf den jeweiligen Leistungszustand bei Männern und Frauen wieder. Laut Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. stellt dieser Index das sinnvollste Maß zur Beurteilung des Ernährungszustandes dar. Bei Frauen gilt folgende Bewertungsregel: Untergewicht (BMI < 19), Normalgewicht (BMI ≥19 – 24), Übergewicht (BMI ≥24 – 30), Adipositas (BMI ≥30 – 40), massive Adipositas (BMI ≥ 40). Bei Männer unterscheidet man: Untergewicht (BMI < 20), Normalgewicht (BMI ≥20 - 25), Übergewicht (BMI ≥25 - 30), Adipositas ( BMI ≥ 30 – 40) und massive Adipositas (BMI ≥ 40). Demnach waren zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme 52 Männer untergewichtig (18,1%), 130 Männer normalgewichtig und 105 Männer waren übergewichtig bis adipös. Unter den Frauen waren inital 14 untergewichtig (16,3%), 37 normalgewichtig und 35 Frauen übergewichtig bis adipös. Tab. 5: Durchschnittlicher BMI in Abhängigkeit des ECOG bei stationärer Aufnahme, nach Geschlecht getrennt ECOG BMI bei Männern (kg/m²) im Durchschnitt BMI bei Frauen (kg/m²) im Durchschnitt 0 24,3 24,2 1 22,7 22,8 2 23,5 23,5 3 18,5 19,1 4 21,8 17,7 23,9 23,6 Gesamtdurchschnitt: 28 Verteilung der Primärlokalisation: In Abb. 4 und Tab. 6 sind die Primärlokalisationen für den Tumorbefall aufgeführt. Ersichtlich ist neben der Anzahl betroffener Patienten auch deren prozentuale Verteilung bezogen auf das Gesamt-Kollektiv (n=373). Bei Befall der Lippen wurden nur die Tumoren im Bereich des Lippenrotes oder der Lippenschleimhaut gewertet, Tumoren der Lippenhaut wurden ausgeschlossen. Die Lokalisation „Mundschleimhaut“ umfaßte die Ober- und Unterkieferschleimhaut, die Gingiva beider Kiefer, die Schleimhaut der Alveolarfortsätze sowie die der Wangen. Auffallend ist die Anhäufung der Tumoren im kaudalen Anteil der Mundhöhle, dem Mundboden- und Unterkieferschleimhaut-Bereich. Zusammen machen sie über 50% aller Tumoren in unserem Kollektiv aus, zählt man noch die Zungentumoren hinzu sind es knapp 75%. Wesentlich seltener kommen Tumoren im kranialen Teil der Mundhöhle (OK, Gaumen, Wange) vor, sie ergeben zusammen 10%. Lokalisationsgruppen Oropharynx 2% weicher Gaumen, Tonsillen, Uvula 3% Lippen 9% Zunge 19% Mundschleimhaut 32% Mundboden 35% Abb. 4: Lokalisation der Tumoren 29 Tab. 6 Verteilung der Primärlokalisation im Patientenkollektiv (n=373) Lokalisation Anzahl Patienten Anteil am Kollektiv (%) Zungenrand, Zungenkörper 50 13,4 Zungengrund 21 5,6 Mundboden 133 35,7 * Mundschleimhaut UK 76 20,4 * Mundschleimhaut OK 12 3,2 Wangenschleimhaut 14 3,8 Mundschleimhaut mehrere Bereiche überlappend 17 4,6 weicher Gaumen, Tonsillen, Uvula 11 2,9 Oropharynx 6 1,6 Lippen 33 8,8 Gesamt 373 100,0 * Die Mundschleimhaut des Oberkiefers bzw. Unterkiefers umfaßte die jeweilige Kieferschleimhaut, die Gingiva, die Schleimhaut der Alveolarfortsätze und die Alveolen. Tumorverschleppungszeit: Der Zeitraum von ärztlicher Diagnosestellung bis zum Beginn der Therapie wird als Tumorverschleppungszeit bezeichnet. Im Gesamtanalysezeitraum des näher untersuchten Klinikkrankengutes von 1989 bis 1999 (n=373) betrug die mittlere Tumorverschleppungszeit 30,4 Tage. Inwieweit die Verschleppungszeit patientenbedingt oder iatrogen war, konnte aus dem Datensatz nicht ermittelt werden. Die Verschleppung lag im Klinikkrankengut im Mittel bei 21 Tagen (zwischen 770 und 0 Tagen). Zeitverzögerung der Dokumentation: Die Zeit zwischen Therapieende und Datenerfassung im DÖSAK-Tumorregister variierte zwischen 0 und 1260 Tagen, im Mittel wurden die Patienten 136 Tage nach Abschluss der Therapie im Register erfasst. 30 4.1.1 Risikofaktoren Der Mindestanteil der Raucher betrug bei den Männern 88,5%, bei den Frauen 37,2%, Alkohol wurde von mindestens 77,4% der Männer und 25,6% der Frauen regelmäßig konsumiert. Bei zumindest 67,2% der Männern und 27,9% der Frauen lag eine schlechte Mundhygiene vor. Die Kombination Alkohol, Rauchen, schlechte Mundhygiene zeigten 167 aller Patienten (44,8%), wobei 54,9% der Männer und nur 3,5% aller Frauen diese Risikofaktorenkonstellation präsentierten. Die geschlechterspezifische Verteilung der Risikofaktoren ist aus Tab. 7 ersichtlich. Tab. 7 Verteilung der Risikofaktoren bei Männern und Frauen Risikofaktor (RF) Anteil Männer (%) Anteil Frauen (%) Gesamtanteil (%) Rauchen 88,5 37,2 76,7 Alkohol 77,4 25,6 65,4 schlechte Mundhygiene 67,2 27,9 58,2 Kombination Rauchen, Alkohol und schlechte Mundhygiene 54,9 3,5 44,8 Die 5-J-ÜR der Raucher fiel mit 54% gleich aus wie die der Nichtraucher. Hingegen konnte beim Vergleich der Überlebenskurven der Patienten mit gesteigertem Alkohol und derer ohne Alkoholkonsum ein deutlicher Unterschied festgestellt werden. Die 5-J-ÜR betrug 48% für Alkoholkonsumenten, 64% für Alkoholabstinente. 31 4.1.2 Prognosefaktoren Tumorkorrelierte Prognosefaktoren: Tumorhistologie: Ein wesentlicher Prognosefaktor ist mit der Tumorhistologie gegeben. Aus Tab. 8 ist die Häufigkeit der Histologieschlüssel prä- und postoperativ angegeben. Aus der Tabelle kann weiterhin gelesen werden, inwiefern die präoperativ gewonnenen Histologien nach der Tumoroperation bestätigt werden konnten. So konnten beispielsweise die in 44 Fällen präoperativ diagnostizierten nicht verhornenden Plattenepithelkarzinome nach der Operation nicht mehr festgestellt werden, der Tumor wurde durch die Probeentnahme bereits vollständig entfernt. Gleiches galt für die 29 diagnostizierten verhornenden Plattenepithelkarzinome und für ein spindelzelliges Plattenepithelkarzinom. In 96 von 133 Fällen (72,2%) durch PE diagnostizierter, verhornender Plattenepithelkarzinome kam zu einer histologischen Bestätigung nach definitiver Operation. Die zweithäufigste Diagnose der nicht verhornenden Plattenepithelkarzinome fand hingegen nur in 108 von 223 Fällen (48,4%) histologische Bestätigung nach definitiver operativer Therapie. Tab. 8: Vergleich der Anzahl prä- und postoperativ gewonnener Histologien und deren Übereinstimmung Histologie nach operativer Therapie kein Tumornachweis Histologie nach PE Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl 80103 80702 80703 80713 80743 99900 99903 Gesamt 0 0 44 29 1 0 0 74 80702 0 2 0 0 0 0 0 2 80703 0 1 108 6 0 0 3 118 80713 1 2 63 96 0 1 6 169 80723 0 0 1 0 0 0 0 1 80763 0 0 1 0 0 0 0 1 99900 0 0 6 2 0 0 0 8 1 5 223 133 1 1 9 373 Anzahl Gesamt Histologieschlüssel: 80103 = Karzinom o.n.A., 80702 = Carcinoma in situ, 80703 = PEC nicht verhornend, 80713 = PEC verhornend, 80723 = PEC großzellig, 80743 = PEC spindelzellig, 80763 = PEC mikroinvasiv, 99900 = tumor, klinisch gutartig, ohne mikroskop. Bestätigung, 99903 = Tumor, klinisch bösartig, ohne mikroskop. Bestätigung. 32 Tumordicke: In 91,4 % aller Fälle waren präoperativ Angaben zur Tumordicke gegeben, in der postoperativen Präparateaufbereitung waren in 67,8 % Angaben zur Tumordicke zu finden. Präoperativ lag die durchschnittliche geschätzte Tumordicke bei 1,1 cm (Spanne zwischen 0,1 cm und 6,0 cm), auch postoperativ betrug sie im Durchschnitt 1,1 cm (0,1 - 4,5 cm). Tumordurchmesser: Angaben zum Tumordurchmesser waren präoperativ in 98,9 % aller Fälle und postoperativ in 75,9 % gegeben. Der Durchmesser variierte präoperativ zwischen 0,3 cm bis 10 cm und lag im Durchschnitt bei 3,2 cm. Nach histologischer Aufbereitung konnten postoperativ Durchmesser von 0,3 cm bis 8,0 cm, im Durchschnitt 2,7 cm festgestellt werden. Die Einteilung unserer Patienten in die einzelnen T- und pT-Kategorien ist aus Tab. 12 ersichtlich. Infiltration von Nachbarstrukturen Sowohl prä- als auch postoperativ wurde die Tumorregion auf Infiltration umliegender Strukturen wie Haut, Muskeln oder Knochen untersucht. Es fanden sich präoperativ in 113 Fällen Infiltrationen von Knochen, in 164 Fällen von Muskeln und in 31 Fällen Infiltrationen von Haut. Postoperativ konnte durch Aufarbeitung der histologischen Präparate in 57 von 290 untersuchten Fällen Knochenbefall nachgewiesen werden, in 46 Fällen kam es zur Infiltration von Nachbarstrukturen. Als Nachbarstrukturen gelten beim Mundhöhlenkarzinom die Infiltration von äußerer Haut, Skelettmuskulatur oder Knochenspongiosa (die 46 Fälle mit Knocheninfiltration sind hiervon bereits abgezogen). Bei Zungenkarzinomen gilt lediglich die Infiltration der tiefen Zungenmuskulatur (extrinsic) als Infiltration von Nachbarstrukturen. Infiltrationsgrad: Für einen prognostisch relevanten Vergleich wurden der prognostisch günstige Infiltrationsgrad „superficial“ (Tumoreinbruch ≤ 5 mm) und die prognostisch ungünstigen Infiltrationsstufen „deep / into adjaction structure“ (Tumoreinbruch > 5 mm) miteinander verglichen. Zu bedenken gilt, dass in unserem Kollektiv in nur 115 von 301 operierten Fällen (38,2%) Angaben zur Infiltrationstiefe bekannt sind und daher keine statistisch verwertbaren 33 Aussagen ableitbar sind. Oftmals lässt sich die Infiltrationstiefe vom Pathologen aufgrund der Präparatebeschaffenheit oder Präparategröße nicht bestimmen, leider fehlen jedoch auch in den anderen Fällen immer wieder Angaben zur Infiltrationstiefe. Auf die gute Kommunikation zwischen Kliniker / Operateur und Pathologen kann an dieser Stelle nicht ausdrücklich genug hingewiesen werden. In Tab. 9 sind die Infiltrationstiefen „superficial, deep und into adjaction structure“ aufgeführt. Ersichtlich ist die Anzahl der betroffenen Patienten und deren prozentualer Anteil am operierten Krankengut. Tab. 9 Verteilung der Infiltrationstiefen im operierten Krankengut (n=301) Anzahl der Patienten (n) Anteil am operierten Patientengut (%) superficial 35 11,6 deep / into adajaction structure 80 26,6 keine Angaben 186 61,8 Gesamt 301 100 Infiltrationsgrad Histologischer Differenzierungsgrad (Grading) Im Rahmen der Analyse unseres Klinikkrankengutes erfolgte die Einteilung der Plattenepithelkarzinome in Anlehnung an die WHO in fünf Malignitätsgrade G1 – G4, sowie Gx, entsprechend gut, mäßig, schlecht, undifferenzierten sowie nicht bestimmbaren Plattenepithelkarzinomen. Tab. 10 zeigt die Gegenüberstellung der Differenzierungsgrade nach Probeentnahme und nach definitivem operativem Eingriff. Am häufigsten kamen in beiden Fällen mäßig differenzierte Plattenepithelkarzinome (G2) vor, nach PE waren es 271 von 373 G2-Tumoren (72,7%), postoperativ 220 G2-Tumoren (59%). Aus der Tabelle können auch die Häufigkeiten von „up- bzw. downgrading“ der Tumoren nach operativer Therapie im Vergleich zum Tumorgrading nach Probeentnahme gelesen werden. 34 Tab. 10: Grading der Plattenepithelkarzinome nach Probeentnahme und definitiver Operation Grading nach PE Grading nach OP gut mäßig schlecht undifferenziert unbestimmt Gesamt gut (G1) 31 14 0 0 3 48 mäßig (G2) 18 179 4 1 18 220 schlecht (G3) 0 13 6 0 0 19 undifferenziert (G4) 0 0 1 0 0 1 unbestimmt (Gx) 13 65 3 0 4 85 Gesamt 62 271 14 1 25 373 Tab. 11 zeigt die Häufigkeiten von Lymphknotenmetastasen in Abhängigkeit vom Grading. Wie zu erwarten stieg die Wahrscheinlichkeit, Lymphknotenmetastasen zu entwickeln, mit dem Grad der Entdifferenzierung an. Von 48 gut differenzierten Plattenepithelkarzinomen wiesen 6 einen LK-Befall vor (12,5%), bei mäßig differenzierten Plattenepithelkarzinomen waren es 35%, bei schlecht differenzierten 53%. Tab. 11: Lymphknotenmetastasen in Abhängigkeit vom Grading Grading nach OP LK-Befall gut mäßig schlecht undifferenziert unbestimmt Gesamt nein 42 143 9 1 84 279 ja 6 77 10 0 1 94 48 220 19 1 85 373 Gesamt In Bezug zum Differenzierungsgrad der Tumorzellen (Grading) errechneten wir für die allgemeine 5-J-ÜR Werte zwischen 64% für die gut differenzierten Plattenepithel-karzinome (G1), 58% für die mäßig differenzierten Plattenepithelkarzinome (G2) und 52% für die entdifferenzierten Plattenepithelkarzinome (G3). Da die Gruppe von G3 nur sehr wenige Patienten enthielt, ist dieser Wert mit großer Vorsicht zu betrachten. 35 TNM-Klassifizierung Die Tab. 12 und 13 geben einen Überblick über die präoperative Einteilung der T - und N – Kategorie aller Patienten des Kollektivs (n=373) sowie über die pT – und pN – Kategorie aller operierten Patienten (n=301 bzw. n=264). Es fällt eine deutliche Herabstufung von der klinischen zur pathologischen T-Kategorie auf. Bei stationärer Aufnahme wurden 48% der Patienten T4 klassifiziert, postoperativ waren es nur noch 28%. Eine starke Zunahme erfuhr die pT1-Kategorie im Vergleich zur T1Kategorie. Tab. 12: T – Kategorien aller Patienten (n=373) und pT-Kategorien aller operierten Patienten (n=301) im Vergleich Vergleich T- und pT T pT T-Kategorie 0 1 2 3 4 Gesamt Anzahl 0 91 87 17 178 373 in % 0 24,4 23,3 4,6 47,7 100,0 Anzahl 12 111 75 19 84 301 in % 4,0 36,9 24,9 6,3 27,9 100,0 T Lippe, Mundhöhle, Oropharynx: T1 ≤ 2 cm, T2 >2 bis 4 cm, T3 > 4cm, T4 Infiltration von Nachbarstrukturen, Knochen, Muskel. Wie aus Tab. 13 ersichtlich, kam es auch in der N-Kategorie zu einer Abstufung von der präzur postoperativen Lymphknotenbewertung. Nach erfolgtem Staging wurden 56% der Patienten N1-2 eingestuft, 42% wurden als N0-Patienten behandelt. Postoperativ erwiesen sich „nur“ noch 36% der Patienten als pN1-2 bzw. 64% der Patienten als pN0. 36 Tab. 13: N – Kategorien aller Patienten (n=373) und pN – Kategorien aller Lymphknotenoperierten Patienten (n=264) im Vergleich N-Kategorie Vergleich N- und pN N pN 0 1 2a 2b 2c 3 Gesamt Anzahl 157 75 6 55 74 6 373 in % 42,1 20,1 1,6 14,8 19,8 1,6 100,0 Anzahl 170 30 1 50 13 0 264 in % 64,4 11,4 0,4 18,9 4,9 0,0 100,0 N Lippe, Mundhöhle, Kieferhöhle: N0 = keine pathologischen Lymphknoten nachweisbar, N1 = ipsilateral solitär ≤ 3 cm, N2a = ipsilateral solitär >3 bis 6 cm, N2b = ipsilateral multipel ≤ 6 cm, N2c = bilateral, kontralateral ≤ 6 cm, N3 ≥ 6 cm. Abb. 5 zeigt die 5-Jahres-Überlebensrate von pT0-pT4 - Patienten. Sie beträgt bei pT1Patienten 63%, bei pT2-und pT3-Patienten je 65% und bei pT4-Patienten 42%. Die pT0Patienten erreichten nicht das 3-Jahres-Überleben. Die kleine Gruppe an pT0-Patienten relativiert allerdings die Aussagekraft dieses Wertes. 1.0 0.9 pT3 0.8 pT2 Überlebensrate 0.7 0.6 pT4 pT1 0.5 0.4 0.3 pT0 0.2 0.1 0.0 0 365 730 1095 1460 1825 Überlebenszeit in Tagen Abb. 5: Gegenüberstellung der 5-Jahres-Überlebensrate für pT0-4 - Patienten Für einen prognostisch relevanten Vergleich der Tumorgrößen wurden die prognostisch günstigen Tumorkategorien pT1 / pT2 und die prognostisch ungünstig-en pT3 / pT4 – Gruppen betrachtet. Die 5-J-ÜR betrug für die erste Gruppe 64%, für die pT3/4-Gruppe 45%. 37 Abb. 6 und Tab. 14 zeigen die 5-J-ÜR der Lymphknoten-operierten Patienten. Sie betrug 64% für pN0, 54% für pN1 und 33% für pN2b. Patienten der Gruppen pN2a und pN2c schieden werden aufgrund der geringen Anzahl nicht näher betrachtet. Wie Abbildung Nr. 7 veranschaulicht, setzte sich die Gruppe der Patienten mit extrakapsulärem Lymphknotenwachstum drastisch ab, deren 5-J-ÜR betrug 22%. Patienten ohne Durchbruch der Lymphknotenkapsel erfuhren kaum eine Einschränkung ihrer 5-J-ÜR im Vergleich zu Patienten mit pN0-Hals (62% im Vgl. zu 64%). Erst nach 7 und mehr Jahren fiel bei Patienten mit Lymphknotenbefall (ohne Kapseldurchbruch) die Überlebensrate deutlich unter die von pN0-Patienten. 1.0 0.9 0.8 pN0 Überlebensrate 0.7 pN1 0.6 pN2b 0.5 0.4 0.3 pN2a 0.2 pN2c 0.1 0.0 0 365 730 1095 1460 Überlebenszeit in Tagen Abb. 6: 5-Jahres-Überlebensrate der pN0-2 - Patienten Tab. 14: Tabellarische Übersicht der Überlebensraten für pN0-2 – Patienten N-Kategorie 1-J-ÜR 2-J-ÜR 5-J-ÜR pN0 99,0% 94,0% 64,0% pN1 100,0% 100,0% 54,0% pN2a 100,0% 100,0% 0,0% pN2b 98,0% 88,0% 33,0% pN2c 100,0% 85,0% 0,0% 38 1825 1.0 0.9 kein Kapseldurchbruch 0.8 Überlebensrate 0.7 0.6 0.5 mit Kapseldruchbruch 0.4 0.3 0.2 0.1 0.0 0 365 730 1095 1460 1825 Überlebenszeit in Tagen Abb. 7: 5-Jahres-Überlebensrate lymphknotenoperierter Patienten mit und ohne Kapseldurchbruch Tab. 15: Tabellarische Übersicht der Überlebensraten für Patienten mit / ohne Kapseldurchbruch Kapseldurchbruch 1-J-ÜR 2-J-ÜR 5-J-ÜR nein 99,0% 95,0% 62,0% ja 98,0% 84,0% 22,0% Vergleich klinisches Tumor-Stadium mit pathologischem Tumor-Stadium: Nach erfolgter Staging-Untersuchungen mit Festlegung der TNM-Merkmale kam es zu folgender Stadiengruppierung zum Zeitpunkt kurz nach stationärer Aufnahme: 67 Patienten (18%) befanden sich im Stadium I, 38 Patienten (10,2%) in Stadium II, 37 Patienten (9,9%) in Stadium III und 231 Patienten (61,9%) in fortgeschrittensten Stadium IV. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen war hierbei nur geringfügig. 39 Nach erfolgter chirurgischer Therapie und histologischer Aufbereitung der Präparate ergab sich die nachstehende Gruppierung in pathologische Stadien: 4 Patienten (1,4%) in Stadium 0 (entsprechend einem Carcinoma in situ), 102 Patienten (34,7%) in Stadium I, 48 Patienten (16,3%) in Stadium II, 27 Patienten (9,2%) in Stadium III und 113 Patienten (38,4%) in Stadium IV. Die verbleibenden 79 Patienten wurden entweder primär bestrahlt und lieferten somit keine Histologiepräparate, oder die Präparate erbrachten keinen Tumornachweis mehr, womit durch die präoperative Probenentnahme zugleich die vollständige Tumorentfernung stattgefunden hatte. Die Tab. 16 und 17 erlauben einen Überblick über die prä- und postoperative TumorStadieneinteilung. Tab. 16 Häufigkeitsverteilungen im klinischen Stadium klinisches Stadium Anzahl Patienten Anteil am Gesamt-Kollektiv 0 0 0 I 67 18.0% II 38 10.2% III 37 9.9% IV 231 61.9% 373 100% Gesamt Tab. 17 Häufigkeitsverteilung im pathologischen Stadium pathologisches Stadium Anzahl Patienten Anteil am Gesamt-Kollektiv 0 4 1.4% I 102 34.7% II 48 16.3% III 27 9.2% IV 113 38.4% 294 100% Gesamt 40 Wie zu erwarten sank die 5-J-ÜR vom günstigsten Stadium I zum Stadium IV kontinuierlich ab. Die 5-J-ÜR der Patienten im Stadium 0 ist aufgrund der geringen Fallzahl im Stadium 0 nicht verwertbar. Die 5-J-ÜR betrug für Stadium I 69%, für Stadium II 64%, für Stadium III 62% und für Stadium IV 40% (Abb. 8 und Tab. 18). 1.0 St. III 0.9 St. I 0.8 Überlebensrate 0.7 St. II 0.6 0.5 St. IV St. 0 0.4 0.3 0.2 0.1 0.0 0 365 730 1095 1460 1825 Überlebenszeit in Tagen Abb. 8: 5-Jahres-Überlebensraten für die pathologischen Stadien 0-IV Tab. 18: Tabellarische Übersicht der Überlebensraten, getrennt nach den pathologischen Stadien I-IV pathologisches Stadium 1-J-ÜR 2-J-ÜR 5-J-ÜR 0 100,0% 50,0% 0,0% I 99,0% 94,0% 69,0% II 98,0% 95,0% 64,0% III 100,0% 94,0% 62,0% IV 99,0% 93,0% 40,0% 41 Therapieabhängige Prognosefaktoren: R-Klassifikation Die klinische R-Klassifikation berücksichtigt die lokoregionäre Situation (Primärtumor (PT) und regionäres Lymphabflussgebiet sowie auch evtl. Fernmetastasen). - R0 trifft zu, wenn der PT (mit oder ohne regionäres Lymphabflussgebiet und etwaige Fernmetastasen) nach makroskopischer Beurteilung durch den Operateur komplett im Gesunden entfernt wurde und die Resektionsflächen des PT mikroskopisch tumorfrei sind. - R1 tritt zu, wenn im Unterschied zu R0 mikroskopisch Tumorgewebe an den Resektionsflächen erkennbar ist - R2a trifft zu, wenn der PT makroskopisch nicht / oder wahrscheinlich nicht entfernt wurde, dies jedoch mikroskopisch nicht verifiziert ist - R2b trifft zu, wenn im Unterschied zu R2a eine mikroskopische Verifizierung des makroskopisch sichtbaren Residualtumors vorliegt. In Tab. 19 ist eine Gegenüberstellung der klinischen und der definitiven R-Klassifikation zu sehen. In 133 von 301 operativ behandelten Fällen (44,2%) kam es zu einer Bestätigung der klinischen durch die definitive R-Klassifikation, in 4 Fällen stellte sich jedoch die klinische R0-Situation als definitiver R1-Befund heraus. Unter Zuhilfenahme von Tab. 20 lässt sich entschlüsseln, dass in 154 von 301 durchgeführten Operationen eine R0-Resektion stattgefunden hat, wobei 150 der 154 Operationen radikal intendiert waren (Tab. 21). Eine R1-Resektion fand in 16 Fällen und eine R2b-Resektion in einem Fall statt. In 130 Fällen erfolgte keine Spezifizierung der definitiven R-Klassifikation. In unserem Patientengut tritt keine R2a-Resektion auf, was auf die konsequente Durchführung histologischer Sicherungen aller makroskopischen Befunde zurückzuführen ist. 42 Tab. 19: Gegenüberstellung klinische – definitive R-Klassifikation klinische R-Klassifikation definitive R-Klassifikation R0 R1 R2a R2b unbekannt Gesamt R0 125 3 0 1 25 154 R1 4 8 0 0 4 16 R2b 0 0 0 0 1 1 unbekannt 99 17 1 0 85 202 228 28 1 1 115 373 Gesamt Tab. 20: Definitive R-Klassifikation des Gesamtkollektivs (n=373) bezogen auf abgelaufene Operationen definitive R-Klassifikation Operation stattgefunden nein ja Gesamt R0 0 154 154 R1 0 16 16 R2b 0 1 1 unbekannt 72 130 202 72 301 373 Gesamt Tab. 21: Zusammenhang der Operationsradikalität und der definitiven R-Klassifikation definitive R-Klassifikation R0 R1 R2b unbekannt Gesamt Operationsradikalität nicht radikal intendiert 4 1 1 5 11 radikal intendiert Gesamt 150 15 0 125 290 154 16 1 130 301 In Bezug zur definitiven R-Klassifikation errechneten wir nach Kaplan und Meier für die allgemeine 5-J-ÜR Werte folgende Werte: 46% für R0-Resektionen, 10% für R1Resektionen. Die Abbildung Nr. 9 zeigt eindrücklich, dass beide Überlebenskurven erst im 5. Jahr deutlich divergieren, sich zuvor jedoch mehrmals kreuzen. Von statistischer Seite ergibt 43 sich folglich auch keine Signifikanz (p =0,55) in der Differenz Überlebenswahrscheinlichkeiten beider Gruppen. 1.0 0.9 0.8 Überlebensrate 0.7 0.6 R0 0.5 0.4 0.3 R1 0.2 0.1 0.0 0 365 730 1095 1460 Überlebenszeit in Tagen Abb. 9: 5-Jahres-Überlebensrate für definitive R0- und R1-Resektionen 44 1825 der 4.2 Diagnostik 4.2.1 Bildgebende Diagnostik des Primärtumors Eine lückenlose Dokumentation bildgebender Verfahren liegt uns seit 01.01.1994 vor (n=202). Die häufigste angewandte diagnostische Methode zur Bestimmung der Tumorausdehnung war die Computertomographie der Kopf-Hals-Region. Diese Untersuchung wurde seit 1994 in 190 von 202 Fällen (94,1%) durchgeführt. An zweiter Stelle folgte die konventionelle Röntgendiagnostik mit 157 von 202 Fällen (77,7%). Der kernspintomographischen Untersuchung unterzogen sich 101 Patienten (50%), der Sonographie 43 Patienten (21,3%). Abb. 10 zeigt die Häufigkeiten durchgeführter diagnostischer Methoden bzw. deren Kombination seit 01.01.1994. Die Abbildung ist so zu verstehen, dass insgesamt 190 Patienten ein CT erhielten, davon in 99 Fällen zusätzlich ein MRT und hiervon wiederum zusätzlich in 84 Fällen ein konventionelles Röntgen. Sonographie 43 CT + MRT + Röntgen 84 CT + MRT 99 Röntgen 157 MRT 101 CT 190 0 50 100 150 200 Anzahl Abb. 10: Häufigkeitsverteilung diagnostischer Tumorausdehnung seit 01.01.1994 (n=202) 45 Methoden zur Bestimmung der Mehr als Häufigkeitsangaben zu den einzelnen Untersuchungsmethoden können im Rahmen dieser Arbeit nicht gemacht werden, da die dokumentierten Werte zur Tumorgröße nicht sicher auf die zu diesem Ergebnis erlangte Untersuchungsmethode rückschließen ließen. Bei der bildgebenden Diagnostik der Lymphknoten hingegen wurde neben der Anwendung der einzelnen Methoden auch der jeweilige Nachweis pathologischer Lymphknoten dokumentiert. Es erlaubt sich hierbei eine Diskussion der Sensitivität und Spezifität der einzelnen Untersuchungsmethoden. 4.2.2 Bildgebende Diagnostik des lokoregionalen Lymphabflussgebietes Von 202 Patienten mit unvorbehandeltem Plattenepithelkarzinom wurden bei 61 Patienten (30,2%) histologisch gesicherte Lymphknotenmetastasen gefunden. Tab. 22 und 23 stellen die seit 01.01.1994 durchgeführte Lymphknotendiagnostik dem histologisch gesicherten Lymphknotenbefall unserer Patienten gegenüber. Tab. 24 zeigt die Gegenüberstellung der Sensitivität und Spezifität der jeweiligen Untersuchungsmethoden. Palpatorisch erkannt wurde der histologisch gesicherte Lymphknotenbefall in 37 von 61 Fällen (60,7% richtig positiv). Insgesamt erbrachte die Palpation in 56 Fällen (60,2%) falsch positive Befunde und 24 falsch negative Befunde (22,2%). Es ergab sich somit eine Sensitivität von 60,7% und eine Spezifität von 60%. Sonographisch wurden nur 40 von 202 Patienten (19,8%) untersucht. Von 61 Fällen mit Lymphknotenmetastasen wurde in 14 Fällen eine sonographische Untersuchung durchgeführt. Diese ergab in 5 Fällen (38,5%) einen pathologischen Befund (richtig positiv), in 9 Fällen (33,3%) wurde der LK-Befall nicht erkannt (falsch negativ). Hingegen wurde in 8 von 13 untersuchten Fällen (61,5%) mit pN0-Hals ein Lymphknotenbefall vermutet, dieser war jedoch falsch positiv.Ein richtig negatives Ergebnis erbrachte die Sonographie in 18 pN0-Hälsen (66,7%). Die ermittelte Sensitivität für diese Methode erlangte 35,7%, die Spezifität 69,2%. Eine computertomographische Untersuchung erfolgte hingegen in 189 der 202 Fälle (93,6%), in 49 Fällen (80,3%) war der Befund richtig positiv, in 11 Fällen (18,0%) wurde 46 dabei der LK-Befall nicht erkannt (falsch negativ). Falsch positiv wurden 63 Fälle (44,7%) gewertet. Die höchste Sensitivität erzielte die Computertomograhpie mit 81,7% bei einer Spezifität von 51,1%. Insgesamt wurden 104 aller 202 Patienten (51,5%) kernspintomographisch untersucht. Der MRT-Befund war in 30 Fällen (53,6%) richtig positiv, in 10 Fällen (16,4%) wurde ein Befall der LK nicht erkannt (falsch negativ). Falsch positive Ergebnisse brachte diese Untersuchung in 26 Fällen (18,4%). Die Sensitivität erbrachte 75% bei einer Spezifität von 59,4%. Tab. 22: histologisch gesicherter Lymphknotenbefall und präoperative Diagnostik (n=202), Palpation und Computertomographie Palpation LK-Befall CT Gesamt negativ positiv nicht erfolgt negativ positiv nicht erfolgt nein 141 84 56 1 66 63 12 ja 61 24 37 0 11 49 1 202 108 93 1 77 112 13 Gesamt Tab. 23: histologisch gesicherter Lymphknotenbefall und präoperative Diagnostik (n=202), MRT und Sonographie MRT Sonographie LK-Befall Gesamt negativ positiv nicht erfolgt negativ positiv nicht erfolgt nein 141 38 26 77 18 8 115 ja 61 10 30 21 9 5 47 202 48 56 98 27 13 162 Gesamt Tab. 24: Gegenüberstellung der Sensitivität und Spezifität jeweiliger diagnostischer Methoden Diagnostische Methode Sensitivität Spezifität Palpation 60,7% 60,0% Sonographie 35,7% 69,2% CT 81,7% 51,1% MRT 75,0% 59,4% 47 48 4.3 Therapie Therapie des Primärtumors: Wie oben bereits angeführt, wurde durchschnittlich 27 Tage nach Erstdiagnose operiert. Von 373 Patienten mit Erstdiagnose eines unvorbehandelten Plattenepithelkarzinoms erfuhren 301 Patienten (80,7%) eine operative Therapie Ihres Tumorleidens (Tab. 25). In der großen Mehrzahl der Fälle (96,4%) viel die Operationsart radikal intendiert aus. Der durchschnittlich gewählte Sicherheitsabstand betrug 9,7 mm. Damit wurde der Anforderung nach einem Mindestabstand von 10 mm annähernd genüge geleistet. Ebenfalls aus Tab. 25 zu entnehmen ist, dass 15 Patienten keine herkömmliche Therapie erhielten (auch keine Chemotherapie, diese wurde nur in Kombination mit einer der in Tab. 25 genannten Optionen gewählt). Eine Kombination von operativer Therapie und Radiotherapie wurde in 88 Fällen durchgeführt. Tab. 25: Häufigkeiten gewählter Therapieoptionen Operation Bestrahlung nein ja Gesamt nein 15 213 228 ja 57 88 145 Gesamt 72 301 373 Vergleicht man die 5-J-ÜR von Patienten die nur einer operativen Therapie unterzogen wurden mit der 5-J-ÜR von Patienten, die eine kombinierte operativ-radiotherapeutische Behandlung erfuhren, erstaunt die um 9% niedrigere Überlebensrate der (monotherapeutisch) operierten Patienten gegenüber den kombiniert behandelten. Die eine Gruppe hatte eine Überlebensrate von 61%, die andere von 70%. Zu bedenken ist hierbei, dass die Wahl einer kombinierten Behandlung vornehmlich in besonders fortgeschrittenen Fällen fiel, bei denen a priori mit einer schlechteren 5-J-ÜR zu rechnen sein sollte. 49 Operative Therapie des Lymphabflusses: Die operative Therapie der Lymphabflusswege umfasste die selektive Exstirpation, die suprahyoidale Ausräumung, die klassisch-radikale Neck dissection und die konservative Neck dissection. Von 373 Patienten wurden bei 264 Patienten (70,8%) insgesamt 439 Ausräumungen (ipsi-, kontra- oder bilateral) durchgeführt (Tab. 26), 109 Patienten (29,2%) erhielten keine operative Therapie der Lymphabflusswege. Eine Übersicht über die gewählten Lymphknotenoperationen nach Seitenlokalisation getrennt liefert Tab. 26. Tab. 26: Arten der lokoregionären Lymphknotenausräumung nach Seitenlokalisation getrennt aufgeführt LK-Ausräumungen rechts LK-Ausräumungen links keine keine selektive supra-(omo-) hyoidale klassisch konservative Gesamt Exstirpation Ausräumung radikale ND ND 109 1 25 4 16 155 selektive Exstirpation 2 1 0 0 0 3 supra- (omo-) hyoidale Ausräumung 14 0 96 8 38 156 klassisch radikale ND 4 0 6 0 2 12 konservative ND 23 1 20 0 3 47 Gesamt 152 3 147 12 59 373 Bei der selektiven Exstirpation werden einzelne verdächtige Lymphknoten und zugehöriges Fettgewebe entfernt. Sie war in unserer Klinik eine nicht häufig gewählte Therapieform und wurde bei 6 von 439 Lymphknotenoperationen (1,6%) durchgeführt. Die supra- (omo-) hyoidale Ausräumung umfasst die Entfernung des Lymphknoten- und Fettgewebes aus der Submandibular-, Submentalloge und dem oberen Carotisdreieck, beschränkt sich also auf die erste Filterstation. Als häufigste Therapieform wurde die supra(omo-) hyoidale Lymphknotenausräumung bei 303 von 439 Ausräumungen (69,0%) gewählt. 50 Bei der klassisch radikalen Neck dissection (RND) werden außer dem Lymphknoten- und Fettgewebe weitere Strukturen entfernt wie Muskulatur (M. sternocleidomastoideus, M. digastricus, M. stylohyoideus, M. omohyoideus), Fascien, Nerven (N. accessorius, Hautäste des Plexus cervicalis), Drüsen (Gl. Submandibularis), große Gefäße (V. jugularis int., superficialis ventralis et dorsalis). Die RND wurde in unserer Klinik bei 24 der 439 dokumentierten Fälle durchgeführt (5,5%). Bei der konservativen Neck dissection (CND) wird lediglich das Lymphknoten- und Fettgewebe entfernt, während Muskeln, N. accessorius und V. jugularis interna erhalten bleiben. Diese Modifikation bietet den Vorteil eines in funktioneller, ästhetischer und psychosozialer Hinsicht geringeren und weniger belastenden Eingriffes. Die CND wurde im Tübinger Krankengut in 106 von 439 Lymphknotenoperationen (24,2%) gewählt. Aus Tab. 27 ist die Art der Lymphknotenoperation in Abhängigkeit von der T-Kategorie dargestellt. Bei 373 Patienten mit 746 Halssituen (linke und rechte Halsseite) wurden in 439 Fällen (58,8%) eine Lymphknotenoperation durchgeführt. Die supraomohyoidale Neck dissection war in allen T – Kategorien die am häufigsten gewählte Operationsform, jedoch nahm ihr Anteil innerhalb der jeweiligen T-Kategorie von 84,2% bei T1-Tumoren (96 von 114 ) auf 72,2% (83 von 115) bei T2-, 70% (14 von 20) bei T3- und 57,9% (110 von 190) bei T4-Tumoren ab. Der Anteil der radikalen Neck dissection nahm von 1,8% bei T1-Tumoren auf 4,3% bei T2Tumoren und 7,9% bei T4-Tumoren zu. Ein Ausnahme stellten T3-Tumoren dar, hier betrug der Anteil der RND 1% (2 von 20). Ebenfalls einen deutlichen Anstieg zeigte die konservative Neck dissection. In 9,7% aller T1Fälle durchgeführt stieg sie auf 23,5% aller T2- und auf 33,7% aller T4-Fälle an. Eine Abweichung dieses Trends zeigte sich bei Patienten mit T3-Tumoren, bei denen die CND in nur 2% der Fälle gewählt wurde. 51 Tab. 27: Lymphknotenoperationen in Abhängigkeit von der T-Kategorie (n=439) T1 T2 T3 T4 Gesamt LK-OP abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % SE 5 1,1 0 0,0 0 0,0 1 0,2 6 1,4 SOHND 96 21,9 83 18,9 14 3,2 110 25,1 303 69,0 RND 2 0,5 5 1,1 2 0,5 15 3,4 24 5,5 CND 11 2,5 27 6,2 4 0,9 64 14,6 106 24,1 114 26,0 115 26,2 20 4,6 190 43,3 439 100 Gesamt SOHND:Gesamt 84,2% 72,2% 70,0% 57,9% RND:Gesamt 1,8% 4,3% 1,0% 7,9% CND:Gesamt 9,6% 23,5% 2,0% 33,7% SE= selektive Exstirpation, SOHND= supraomohyoidale Neck dissection, RND= klassisch radikale Neck dissection, CND= konservative Neck dissection Vorgehen am N0-Hals: Im klinikeigenen Kollektiv wurden von 373 Patienten mit Plattenepithelkarzinom der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx 157 Patienten präoperativ N0 klassifiziert (Tab. 28) , entsprechend 314 Halssituen (linke und rechte Halsseite eines jeden Patienten) ohne nachweisbarem Lymphknotenbefall nach erfolgtem Staging. In 180 dieser 314 Situen (57,3%) mit präoperativem N0-Hals (Tab. 28 und 29) wurde eine Lymphknotenoperation links, rechts oder beidseitig durchgeführt. Dabei wurde nach histologischer Präparateaufbereitung in 18 von 180 Fällen (10%) eine oder mehrere Lymphknotenmetastasen gefunden, womit die präoperative Angabe „N0-Hals“ falsch negativ war. Die restlichen 162 N0-Fälle (90%) wurden präoperativ richtig negativ diagnostiziert. Wie eine weitere Aufschlüsselung der 18 Metastasen-positiven Fälle zeigt, verteilen sich die 18 befallenen Halsseiten auf 17 Patienten (Tab. 28), ein Patient hatte einen bilateralen Lymphknotenbefall, der durch Staging nicht erkannt wurde. In 6 der 18 Fälle (33,3%) lag bereits ein Lymphknotenbefall mit extrakapsulärem Wachstum vor. 52 Tab. 28: Vergleich prä- und postoperativer N-Stadien Postoperatives N-Stadium Präoperatives N-Stadium pN0 pN1-3 Gesamt N0 140 17 157 N1-3 139 77 216 279 94 373 Gesamt Tab. 29: Anzahl durchgeführter Operationen der Lymphabflusswege in Abhängigkeit vom NStadium Operationsseite N-Stadium LK-OP re LK-OP li Gesamt N0 91 89 180 N1-3 130 129 259 221 218 439 Gesamt Radiotherapie: Eine Radiotherapie erhielten 145 der 373 Patienten (38,9%) des Klinik-Kollektivs, davon fand in 135 Fällen (93,1%) eine Bestrahlung der Tumorregion und der abführenden Lymphwege statt, bei 6 Patienten fand eine alleinige Bestrahlung der Tumorregion und bei 4 Patienten eine Bestrahlung der Lymphabflusswege statt. Präoperativ und damit neoadjuvant wurden 3 von 373 Patienten bestrahlt, 85 Patienten (22,8%) erhielten eine adjuvante Bestrahlung nach operativer Therapie und 57 Patienten (15,3%) wurden primär radiotherapiert (Tab. 30). Tab. 30: Verteilung neo- / adjuvanter Therapien aller Bestrahlungen Neo-/ Adjuvante Therapie Bestrahlung nein ja Gesamt keine - - 228 nur Tumor 1 5 6 nur Lymphknoten 1 3 4 Tumor und Lymphknoten 55 80 135 Gesamt 57 88 373 53 In Abb. 11 ist die Häufigkeit von Bestrahlungen in Abhängigkeit der T – Kategorie dargestellt. Von 145 Bestrahlungen wurden 88 Bestrahlungen (60,7%) der Tumorregion und des Lymphabflussgebietes bei klinischem T4-Stadium durchgeführt. Am zweithäufigsten (18,6%) fand eine Bestrahlung des Tumors und der Lymphknoten bei T2 – Tumoren statt, insgesamt in 27 Fällen. 88 4 2 4 8 3 TU + LK LK 27 2 1 1 1 1 1 TU 12 0 20 40 60 80 100 Häufigkeit Bestrahlungen (abs.) Abb. 11: Bestrahlungen in Abhängigkeit der T-Kategorie Abb. 12 stellt die Situation in Abhängigkeit der N – Kategorie dar. Eine kombinierte Bestrahlung der Lymphknoten und der Tumorregion erhielten 27 Patienten mit klinischem N0-Hals (18,6%), 31 Patienten mit N1-Hals (21,4%) und je 34 Patienten mit N2b- bzw. N2cHals (je 23,5%). Eine alleinige Bestrahlung der Tumorregion oder der Lymphabflusswege kam selten vor. 54 3 3 1 34 2c 1 2b 1 34 TU + LK 3 LK 6 2a TU 31 1 0 27 2 2 0 10 20 30 40 Häufigkeit Bestrahlungen Abb. 12: Bestrahlungen in Abhängigkeit von der N-Kategorie Am häufigsten fand eine Bestrahlung mit Photonen statt (39,5%), in 36,3% kam eine Elektronen-Photonen-Bestrahlung zur Anwendung. Seltener wurde mit Elektronen allein (12,1%) oder mit Kobalt 60 bestrahlt (11,3%) Die Strahlendosis im Tumorgebiet unter Berücksichtigung der T-Kategorie ist in Tab. 31 und Abb. 13 zu sehen. Mit 61,5% war der Anteil von T4-Patienten unter allen bestrahlten Patienten am größten. 62,5% aller Patienten wurden mit einer Strahlendosis von 60 Gy oder mehr bestrahlt. Tab. 31: Tumor-Strahlendosis in Abhängigkeit der T-Kategorie Strahlendosis Tumor T-Kategorie < 50 Gy 50 - 59 Gy 60 - 69 Gy > 69 Gy Gesamt T1 1,0% 4,8% 6,7% 1,0% 13,5% T2 1,9% 8,7% 6,7% 2,9% 20,2% T3 1,9% 1,0% 1,9% 0,0% 4,8% T4 7,7% 10,6% 31,7% 11,5% 61,5% Gesamt 12,5% 25,0% 47,1% 15,4% 100,0% 55 11,5 31,7 T4 10,6 7,7 0 1,9 T3 1 >69 Gy 1,9 60 -69 Gy 50 - 59 Gy 2,9 <50 Gy 6,7 T2 8,7 1,9 1 6,7 T1 4,8 1 0 5 10 15 20 25 30 35 % Abb. 13: Verteilung der Strahlendosis auf die Kategorien T1 – T4 Tab. 32 zeigt die Strahlendosis im Bereich der Lymphabflusswege in Abhängigkeit der klinischen N-Kategorie. In 61% der Fälle lag die gewählte Strahlendosis im Bereich zwischen 50 und 59 Gy, in weiteren 23% der Fälle sogar bei über 60 Gy. Tab. 32: Lymphknoten-Strahlendosis in Abhängigkeit von der N-Kategorie Strahlendosis Lymphabflusswege N-Kategorie < 50 Gy 50 - 59 Gy > 59 Gy Gesamt N0 1% 15% 5% 21% N1 4% 16% 3% 23% N2a 1% 4% 1% 6% N2b 6% 14% 6% 26% N2c 3% 11% 7% 21% N3 1% 1% 1% 3% 16% 61% 23% 100% Gesamt 56 Chemotherapie und Immuntherapie: Sowohl die Chemo- als auch die Immuntherapie war eine sehr selten gewählte Therapieoption in unserem Patientenkollektiv. Sie wurde gerne in Fällen gewählt, in denen eine operative Therapie nicht mehr sinnvoll erschien oder in Fällen von Rezidivtumoren. Diese Patienten erhielten die Chemotherapie zumeist in externen Krankenhäusern. Eine Übermittlung der Therapieschemata fand zum Teil lückenhaft statt und im nachhinein war aus den stationären Akten häufig nicht ersichtlich, ob die Patienten chemotherapiert wurden. Statistische verwertbare Aussagen sind bei der geringen Anzahl bei uns dokumentierter, chemotherapeutisch behandelter Patienten nicht zulässig und sind daher nicht weiter ausgeführt. Therapiekombinationen Wie aus Tab. 30 ersichtlich, fand bei 88 der 373 Patienten eine kombinierte Therapie aus Operation und Bestrahlung statt, bei nur weiteren 4 davon liegen uns dokumentatorisch zusätzlich Daten zu einer Chemotherapie vor. Bei mindestens 5 der 57 primär bestrahlten Patienten wurde eine kombinierte Radio-Chemotherapie gewählt. Ein Patienten erhielten eine Kombination aus Operation, Strahlentherapie und Immuntherapie, ein weiterer die Kombination aus Operation und Immuntherapie. 57 4.4 Nachsorgeuntersuchung 4.4.1 Nachbeobachtungszeitraum Die Nachbeobachtung des Tübinger Patientengutes lief bis zum Stichtag 31.12.2000. Der durchschnittliche Nachbeobachtungszeitraum betrug 2 Jahre und 10 Monate. Mindestens 5 Jahre nachbeobachtet wurden 82 Patienten der 373 Patienten (22%), 167 Patienten (44,8%) verstarben vor Abschluss des 5 Jahreszeitraumes. Unter den verbleibenden 124 lebenden Patienten fanden sich zum Stichtag noch 42 Patienten in regelmäßiger Nachsorge, 82 Patienten (22%) waren mit der Nachsorge in Verzug geraten und hatten ihr jeweiliges Nachsorgeintervall überschritten. Diese Patienten können als „lost to follow-up“ bezeichnet werden. Ursachen hierfür waren Arztwechsel, Ablehnung der Weiterbehandlung oder einfaches NichtErscheinen in unserer Klinik innerhalb des vorgegebenen Nachsorgeintervalls. Relativiert wird der 20% „lost to follow-up“ - Wert, betrachtet man nur die Patienten, die vom Datum der Erstdiagnose aus gesehen überhaupt die Chance hatten, das 5-Jahresüberleben erreicht zu haben. Dies betrifft alle Patienten mit Erstdiagnosen bis Dezember 1994 und damit insgesamt 70 der oben genannten 82 Patienten. Es verbleiben demnach lediglich 12 Patienten (3,2%), die als „lost to follow-up“ im engeren Sinne betrachtet werden können. 4.4.2 Auftreten von Rezidiven Rezidivhäufigkeit: Im beobachteten Zeitraum waren in 66 Fällen (17,7%) Rezidive zu finden, diese traten nach 4 bis 91 Monaten auf, im Mittel nach 11,5 Monaten, im Durchschnitt nach 25,1 Monaten. Abb. 14 zeigt das zeitliches Auftreten der Erstrezidive nach Abschluss der Primärtherapie. Etwas über Zweidrittel aller Erstrezidive traten innerhalb der ersten beiden Nachbeobachtungsjahre auf, bis zum 5. Nachbeobachtungsjahr kamen 21,2% aller Rezidive 58 hinzu. Nach über 5 Jahren der Nachbeobachtung traten 10,6% aller dokumentierten Rezidive in Erscheinung. Im Durchschnitt traten Rezidive nach 736 Tagen (2 Jahren) auf. Jahre >5 10,6 2 bis 5 21,2 68,2 bis 2 0 20 40 60 % 80 Abb. 14: Zeitliches Auftreten von Rezidiven nach Primärtherapie Lokalisation der Rezidive: Von 66 dokumentierten Rezidiven gehörten 69,7% dem Bereich des Primärtumorbettes an und 30,3% dem des zervikalen Lymphabflussgebietes. 4.4.3 Auftreten von Zweittumoren Insgesamt waren in 24 Fällen (6,4%) Zweittumoren dokumentiert. Die Hauptlokalisation dieser Tumoren lag in 83,3% der Fälle im Bereich der Mundhöhle, in 16,7% extraoral im Gesichtshautbereich. Erstaunlich hoch fiel die 5-J-ÜR der Patienten mit Zweittumoren aus: 94% erreichten fünf Jahre Überleben nach Diagnosestellung. Zu bedenken gilt, dass bei nur 24 aller Patienten eine Zweittumor dokumentiert wurde, womit die Aussagekraft der Überlebensrate erheblich relativiert wird. 59 4.4.4 Auftreten von Fernmetastasen Von 373 Patienten, deren Indextumor ein Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle, der Lippen oder des Oropharynx war, entwickelten 30 (8%) Fernmetastasen. Die Patienten waren durchschnittlich 60 Jahre alt, 43% aller Patienten waren bei Diagnosestellung allerdings unter 60 Jahren alt. Die Metastasen wurden im Durchschnitt nach 308 Tagen entdeckt, im Mittel nach 193 Tagen. Innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung des Primärtumors wurden 70% der Fernmetastasen entdeckt, innerhalb der ersten zwei Jahre waren es insgesamt knapp 93%. Die Patienten lebten im Durchschnitt 2,5 Jahre nach Diagnosestellung des Primarius, keiner erreichte das Fünfjahresüberleben. Mit 12 von 30 Fällen (40%) wurden am häufigsten Lungenmetastasen gezählt, weitere Lokalisationen waren mit Knochen-, Haut- oder sonstigen Metastasen nicht näher bezeichnet. 4.5 Abschluss der Dokumentation Grund des Abschlusses In 167 von 178 Fällen (93,8%) war der Tod Ursache des Studienabschlusses, wobei dieser bei 103 Patienten (61,7%) tumorabhängig, bei weiteren 23 Patienten (13,8%) fraglich tumorabhängig war. Von 41 Patienten mit nicht tumorabhängigem Versterben wiesen 5 Tumorzeichen vor. Therapiebedingt sind mindestens weitere 5 Patienten (4,2%) verstorben. Eine autoptische Sicherung der Todesursache erfolgte in 4,4% der Fälle. Die bereits verstorbenen Patienten lebten nach Diagnosestellung im Durchschnitt 573 Tage (1 Jahr 7 Monate). Die durchschnittliche Überlebenszeit aller Patienten des Kollektivs betrug 1340 Tage zum Zeitpunkt des Stichtages am 31.12.2000. Bei 92 der 167 verstorbenen Patienten lagen zum Zeitpunkt des Todes Daten zum Vorhandensein von Fernmetastasen vor. In 30 Fällen (32,6%) waren Fernmetastasen vorhanden, über die verbleibenden 75 Patienten kann keine Aussage getroffen werden. 60 5. Diskussion 5.1 Diskussion des Patientengutes Altersverteilung: Die Inzidenzraten von Kopf-Hals-Krebs bei Männern in Europa scheinen eine klare Beziehung zu aktuellen Trends in der Prävalenz von Risikofaktoren zu haben. In Zentral- und Osteuropa stiegen in den letzten Jahren der Alkohol- und Zigarettenkonsum bei Menschen mittleren und jungen Alters stark an, ebenso die Inzidenz, wohingegen in Frankreich der pro Kopf Konsum an Alkohol die letzten drei Jahrzehnte ebenso abnahm wie die Inzidenz und Mortalität von oropharyngealen- und laryngealen Karzinomen [86]. Bei Betrachtung der altersstandardisierten Inzidenzrate von Kopf-Hals-Tumoren im Geschlechtervergleich fallen große Schwankungen auf, sowohl innerhalb eines Geschlechts als auch zwischengeschlechtlich. Ein Beispiel verdeutlicht dies: In der bekannten Serie „Cancer Incidence in Five Continents“ [87] beziffert PARKIN die höchste Inzidenzrate mit 63.58 bei Männern mit Kopf-Hals-Tumoren vom Niederrhein in Frankreich, bei Frauen liegt sie mit 15.97 in Madras, Indien, deutlich niedriger. Der höchsten Inzidenzrate von 63.58 bei französischen Männern steht eine niedrigste Inzidenzrate bei Männern mit Kopf-HalsTumoren mit 3.91 in Qidong, China gegenüber, bei Frauen mit 1.41 in Macerata, Italien. Der Altersgipfel im Tübinger Patientenkollektiv lag zwischen 55 und 60 Jahren. Dies deckt sich mit den Feststellungen in der Literatur. Hiernach verlagert sich der Altersgipfel der Erkrankungshäufigkeit bei Plattenepithelkarzinomen in Europa seit den 80er Jahren von 6065 Jahren [38, 88] in neueren Studien nach unten auf einen Altersgipfel um das 5. bis 6. Lebensjahrzehnt [1, 3, 4]. Ein Grund kann der Anstieg einwirkender Risikofaktoren im jüngeren Lebensalter sein, wie am obigen Beispiel des steigenden Alkohol- und Zigarettenkonsums europäischer junger Menschen gezeigt wurde. ERISEN et al. [89] erreichen in ihrer Studie sogar einen Altersgipfel zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr für Karzinome des Kopf-Hals-Bereiches. Die Tatsache der allgemein ansteigenden Tumorrate in den höheren Lebensjahren erklärt GRIMM [25] mit der Summation exogener und endogener Ursachengruppen im Alter. 61 In einer US-Studie der National Cancer Data Base (NCDB) [37] wurden zwei Patientenkollektive mit Kopf-Hals-Krebs miteinander verglichen: ein Kollektiv mit 118292 Fällen in den Jahren 1985-89 und eines mit 176730 Fällen zwischen 1990 und 1994. Die Altersverteilung blieb hier unverändert mit einem Manifestationsmaximum zwischen dem 60. und 69. Lebensjahr (27% aller Fälle). Geschlechtsverteilung: Über viele Jahrzehnte führten Männer das Feld erkrankter Personen mit Karzinomen im Kopf-Hals-Bereich an, vermutlich bedingt durch die bis dahin vorwiegend „männlichen“ Lebensgewohnheiten wie das Rauchen und konsumieren von Alkohol. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen betrug in den 80er Jahren bei PINDBORG [33] 3,8 : 1 und bei weiteren Autoren [38, 88] 3:1. In der o.g. aktuelleren US-Studie der NCDB [37] ist das Verhältnis Männer zu Frauen mit 1,5 : 1 in beiden beobachteten Kollektiven bereits wesentlich ausgeglichener, bei HUSSEINY et al [4] liegt das Verhältnis bei 1,7:1 für Männer zu Frauen, bei ERISEN et al. [89] 2,5:1 Männer zu Frauen. Ein Trend zur Angleichung der Erkrankungsraten bei Männern und Frauen ist somit in den letzten Jahren zu verzeichnen. Die Ursachen für den abnehmenden Häufigkeitsunterschied zwischen den Geschlechtern sind unter anderem im steigenden Tabakkonsum unter Frauen zu suchen [4, 90]. Im Tübinger Patientengut kommen auf 287 erkrankte Männer 86 erkrankte Frauen, entsprechend einer Verteilung von 3,3 : 1. Die allgemeine Tendenz einer beobachteten Angleichung der Erkrankungsraten im männlichen und weiblichen Geschlecht wurde damit in Frage gestellt. Verteilung der Primärlokalisation: Die Zuordnung zur jeweilig befallenen Region der Mundhöhle erfolgte entsprechend dem Tumorlokalisationsschlüssel, wie er von der WHO publiziert und allgemein verbindlich 62 ist [85]. In unserem Patientenkollektiv waren die Mundbodenkarzinome mit 35,7% am häufigsten vertreten. Danach folgten die Mundschleimhautkarzinome im Unterkiefer mit einem Anteil von 20,4% und die Zungenkarzinome mit 19%. LEIKE [91] berichtet über Häufigkeiten der Primärlokalisationen im Jenenser Kollektiv, welches als Teil des DÖSAK-Kollektivs gute Vergleiche zulässt. Hier führten unter den intraoral lokalisierten Tumoren mit jeweils ungefähr 15% Häufigkeit Karzinome der Zunge, des Mundbodens und des UK-Alveolarfortsatzes. Im Rahmen der „Prospektiven DÖSAKStudie“ wurde von PLATZ et al [92] ein Anteil der Mundbodenkarzinome von 21,8% angegeben, gefolgt von 19,6% Zungenkarzinomen und 15,6% UK-AlveolarfortsatzKarzinomen. Auch CHEN et al. [28] kamen zu dem Ergebnis, dass die häufigsten Lokalisationen von Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle (ohne Lippen) in der Zunge und dem Mundboden zu finden sind. Im Krebszentrum der Universität Texas wurden zwischen 1970 und 1999 3308 Patienten mit Karzinomen der Mundhöhle (ohne Lippe) erfasst, hierunter traten mit 32% der Fälle Tumoren der Zunge an die Spitze, gefolgt von 28% Mundbodenkarzinomen. Tumoren der retromolaren Zone (17%) und des Alveolarkammes (14%) wurden separat aufgezählt und belegten die Ränge drei und vier der Häufigkeiten. Im eigenen Kollektiv wurden diese Tumorlokalisationen oftmals der Schleimhaut des Unterkiefers zugerechnet und begründen damit deren häufiger gezähltes Auftreten. 5.1.1 Diskussion der Risikofaktoren Zahlreiche Studien untersuchten die Vielzahl epidemiologischer Faktoren und deren Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf von Tumorerkrankungen im Bereich der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx. Bei den Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, des Oro- und des Hypopharynx sowie des Larynx gelten Tabak- und Alkoholkonsum als wesentlichste Risikofaktoren [12, 31-33]. Im Tabak enthaltene Karzinogene und Pro-Karzinogene veränderten nach ZÖLLER et al [93] orale Epithelien im Sinne dysplastischer Transformationen in dafür prädisponierten 63 Lokalisationen. Tierexperimentell waren in statistischen Untersuchungen Mundboden, Wange und Zunge am häufigsten von der Tumorenentstehung betroffen. Eine analoge Betrachtung konnte auch für menschliche Karzinome erfolgen. Im Tübinger Kollektiv waren in 61,2% aller Raucher der Mundboden oder die Zunge vom Tumor befallen, zusammen mit der Mundschleimhaut wurden 82,5% abgedeckt. Epidemiologische Studien zeigten ein sechsfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Malignoms bei Rauchern im Vergleich zu Nichtrauchern [94]. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamts 1992 [95] konsumieren in Deutschland 36,8% der Männer und 21,5% der Frauen Tabakprodukte. In unserem Kollektiv wurden diese Zahlen deutlich überschritten, da 88,5% der Männer und 37,2% der Frauen rauchten. Verglichen mit dem DÖSAK-Kollektiv, bei dem mindestens 75,7% Raucher (bei 1,9% fanden sich keine Angaben zum Rauchen) waren, fallen nur geringe Unterschiede auf. HUSSEINY et al [4] stellten in einer univariaten Analyse ihres Patientenkollektives eine signifikant höhere Gesamt- und rezidivfreie Überlebensrate bei Nichtrauchern und NichtTabak-Kauern fest, multivariate Analysen bestätigten die signifikant höhere Gesamt- und rezidivfreie Überlebenszeit allerdings nur für Nichtraucher (P=0,02 und 0,01) Patienten die nicht Tabak kauten, hatten eine signifikant bessere rezidivfreie Überlebenszeit (P=0,03), zeigten allerdings keinen Unterschied in der Gesamtüberlebenszeit. Bei Betrachtung der Lebenszeitanalysen für die Gruppe der Raucher und Nichtraucher viel in unserem Kollektiv kein Unterschied in der 5-J-ÜR auf, in beiden Fällen betrug sie 54%. ZÖLLER et al [93] zeigten in ihren tierexperimentellen Untersuchungen, dass Alkohol durch eine Vielzahl möglicher Angriffspunkte als Kokarzinogen zur Tumorentstehung beigetragen hatte. KOLBE et al [96] stellten außerdem fest, dass Zusammenhänge zwischen Tumoren der Mundhöhle und des oberen Verdauungstraktes mit Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit vielfach beschrieben wurden. Der synergistische Effekt von Alkohol und Rauchen ist etabliert, es ist jedoch noch unklar, ob Alkohol denselben karzinogenen Effekt besitzt, wenn er alleine konsumiert wird [97]. Bei der anamnestischen Erhebung in unserem Klinikskrankengut wurde die Frage zum regelmäßigen Alkoholkonsum von 69,1% unserer Tumorpatienten bejaht. In einer 64 Untersuchung von DAMMER et al [98] tranken zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 83,1% aller Patienten regelmäßig Alkohol, wobei insgesamt 71,9% als alkoholgefährdet galten. Von einer Gefährdung durch Alkohol wurde ausgegangen, wenn die täglich konsumierte Menge Ethanol bei Männern 40g und bei Frauen 20g überschritt. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums überschreiten 13,8% der männlichen Bevölkerung die 40gAlkoholgrenze [99], in unserem Kollektiv lag diese Überschreitung um mehr als das 5fache höher und betrug 73,5% unter den Männern. Das Anteil regelmäßig trinkender Männer betrug in dieser Studie 93%, bei Frauen waren dies 47%. In unserem Kollektiv betrug der Anteil 77,4% aller Männer und 25,6% aller Frauen. Bei Betrachtung der Überlebenszeitanalyse für die Gruppe der Trinker und Patienten mit normalem bis mäßigen Alkoholkonsum in unserem Klinikkrankengut war der Unterschied der 5-J-ÜR mit 48% zu 64% statistisch auffällig. 5.1.2 Diskussion der Prognosefaktoren Tumorunabhängige Prognosefaktoren Ernährungszustand: Die Mangelernährung hat viele Ursachen. Neben einseitigen Ernährungs-gewohnheiten [22] und reichlichem Tabak- und Alkoholabusus tragen tumorbedingten Störungen der Nahrungsaufnahme durch Raumforderungen im Bereich der oberen Schluckstrasse, anatomische Veränderungen in Form von Strikturen und Stenosen, desolaten Zahnstatus und Schluckschmerzen zur Unterernährung bei. Postoperative funktionelle Defizite nach ausgeprägter Resektionschirurgie oder nach Radiotherapie induzieren häufig eine verminderte Zufuhr, Resorption und Verwertung von Nährstoffen. Die im späteren Stadium auftretende Tumorkachexie durch Mangelerscheinungen tumorinduzierten [100]. Gegenüber Katabolismus dem Gesunden führt oder nicht zu weiteren tumorkranken chirurgischen Patienten weist der Stoffwechsel des Krebspatienten einige Besonderheiten auf, die eine spezifische Ernährungstherapie erfordern [101]. 65 Der Ernährungszustand der Patienten lässt sich durch den Body-Mass-Index ausdrücken, der geschlechtsspezifisch mit Hilfe der Parameter Körpergewicht und Körpergröße errechnet wird. Laut Ernährungsbericht 1992 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. kann von Untergewicht ausgegangen werden, wenn der Body-Mass-Index unter 19 kg/m² zu liegen kommt. Im eigenen Kollektiv waren 16,3% der Frauen und 18,1% der Männer untergewichtig. Bei Betrachtung eines weiteren wesentlichen tumorunabhängigen Prognoseparameters, dem Leistungszustand nach ECOG [102], fällt wie zu erwarten auf, dass der BMI von körperlich uneingeschränkten Patienten (ECOG = 0) mit durchschnittlich 24,3 kg/m² über dem von körperlich eingeschränkten Patienten (ECOG 1 bis 4) lag, im Schnitt betrug dieser 22,5 kg/m². Der Verteilung der 5-J-ÜR bei unseren Patienten scheint auf den ersten Blick unlogisch, da Patienten der Gruppe ECOG 2 eine höhere 5-J-ÜR haben (44%) als Patienten der Gruppe ECOG 1 (37%). Zu bedenken ist jedoch die besonders niedrige Anzahl von Patienten mit ECOG 2, die schnell zur Verfälschung der Ergebnisse führen kann. Die 5-J-ÜR bei ECOG 3 und 4 betrug 0%. Eine hinsichtlich Patientengut vergleichbare aktuelle Studie präsentieren JONES et al. [103]. Sie betrachteten retrospektiv 2701 Patienten mit unvorbehandelten Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, des Oropharynx und des Hypopharynx, deren Leistungszustand ebenfalls nach ECOG eingeteilt wurde. Die Gruppen ECOG 0-4 zeigten den erwarteten Abfall in der 5J-ÜR (57%, 47%, 34%, 4%, 2%). Da dieses Kollektiv mit 2701 Patienten wesentlich größer als das eigene ist und in jeder Gruppe eine ausreichende Anzahl Patienten akquiriert werden konnte, halten wir diese Ergebnisse für aussagekräftig. Weiterhin wurde festgestellt, dass eingeschränkt leistungsfähige Patienten tendenziell jünger sind als voll leistungsfähige Patienten. Diese Aussage können wir aus eigenen Untersuchungen nicht unterstützen. Tumorabhängige Prognosefaktoren Tumordicke: Die Tumordicke gehört zu den Parametern, die oftmals ungenau bzw. nicht angegeben sind. Sie ist eine Größe, die vom Pathologen grundsätzlich problemlos angegeben werden kann, 66 jedoch aufgrund mangelnder Zusammenarbeit zwischen den Kliniken und PathologieInstituten nicht immer explizit genannt ist. Der Stellenwert der Tumordicke wird am Beispiel des Wangenschleimhautkarzinoms deutlich, bei dem sie den bedeutendsten prognostischen Risikofaktor darstellt und bezüglich Lokalversagen bessere Aussagen zulässt als das TNM - Stadium [104, 105]. Es wurden daher bereits Vorschläge gemacht, die TNM - Klassifizierung auf der Tumordicke basieren zu lassen [106]. Im klinikeigenen Kollektiv fanden sich präoperativ in 91,4% Angaben zur Tumordicke, postoperativ nur in 67,8%. Sie betrug in beiden Fällen durchschnittlich 11 mm. Nach MOHIT-TABATABAI et al. [104] liegt die Tumordicke damit deutlich in einem Bereich mit erhöhter Rezidivgefahr. Sie fanden in nur 2% der Fälle mit Tumordicken < 1,5 mm Rezidive, hingegen bei Tumordicken > 3,6 mm eine Rezidivrate von 60%. Bei einer durchschnittlichen Tumordicke von 11mm in unserem Kollektiv liegt mit 17,7% Rezidiven eine vergleichsweise niedrige Rezidivrate vor. Infiltrationstiefe: Eine zunehmende Infiltration des Tumors hat eine Verschlechterung der Prognose zur Folge [80]. Während der Malignitätsgrad eines Tumors die potentielle Aggressivität des malignen Prozesses wiederspiegelt, hat sich die Infiltrationstiefe als ein prognostischer Faktor höherer Aussagekraft für den Verlauf der Krankheit herausgestellt [107]. Mit zunehmender Infiltrationstiefe des Primärtumors steigt das Risiko von Lymphknotenmetastasen stark an. SHAH und LYDIATT [108] beobachteten bei einer Infiltrationstiefe von < 2 mm in 13% Lymphknotenmetastasen, bei Tiefen zwischen 2-9 mm in 46% und bei Tumorinfiltration über 9 mm erreichte die Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen 65%. Im Tübinger Kollektiv waren nur in 38,2% Angaben zur Infiltrationstiefe gegeben. Eine Aussage für das gesamte Kollektiv kann damit nicht getroffen werden. In 115 der 301 operierten Fälle wurde jedoch die Infiltrationstiefe bestimmt. In den 5 Fällen mit Infiltrationstiefe < 2 mm trat keine Lymphknotenmetastase auf. Bei den 74 Tumoren mit Tiefenwachstum zwischen 2 und 9 mm kamen in 22 Fällen (29,7%) Lymphknotenmetastasen vor, bei der Gruppe mit Infiltrationstiefen über 9 mm kamen in 20 von 41 Fällen (48,8%) Lymphknotenmetastasen vor. Es zeigte sich somit mit zunehmender Infiltrationstiefe ein 67 Anstieg der Wahrscheinlichkeit für Lymphknotenmetastasen, jedoch nicht in dem Umfang wie von SHAH und LYDIATT [108] beschrieben. Tumordurchmesser - T-Kategorie: Große Tumoren bedingen im Allgemeinen eine schlechtere Prognose und die schlechte Differenzierung trägt zu deren aggressivem Verhalten bei [109, 110]. Nach ihrer Literaturrecherche kommen ROWE et al [111] zu dem Schluss, dass Tumoren mit > 2 cm Durchmesser zweifach höhere Rezidivraten (15.2% gegenüber 7.4%) und dreifach erhöhte Metastasenraten (30.3% gegenüber 9.1%) gegenüber Tumoren mit < 2 cm Durchmesser aufweisen. Im Tübinger Patientengut viel eine derartige Anhäufung von Rezidiven bei Tumoren > 2 cm nicht auf. Insgesamt entwickelten 17,6% jener Patienten ein Rezidiv, diese Rate liegt sogar etwas unter der Rezidivrate von 18,2% der Patienten mit Tumoren < 2 cm. Eine Ursache ist sicherlich in der Radikalität der Tumoroperation zu sehen. 92,2% der Patienten mit Tumordurchmesser kleiner 2 cm erhielten eine radikal intendierte Operation, unter den Patienten mit größer 2 cm Tumoren wurden nur 74% radikal operiert, d.h. mit einem Sicherheitsabstand größer 10 mm. Die 5-J-ÜR betreffend zeigten sich in unserem Krankengut, abweichend wie von FRIES und PLATZ beschrieben [38, 112], keine derart klare Tendenz im Abfall der Überlebensrate mit höherer pT-Kategorie. Lediglich die pT4-Gruppe setzte sich von den anderen Gruppen durch eine größere Differenz ab, statistisch jedoch ohne Signifikanz. Zu diesem Ergebnis gelangte auch HILTMAN [113] bei Betrachtung von 377 Patienten mit Platteneptihelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich. Hier ließen sich bei den Überlebenswahrscheinlichkeiten zwischen den verschiedenen pT-Kategorien keine signifikanten Unterschiede feststellen. Bei uns betrug die 5-J-ÜR bei pT1-Patienten 63%, bei pT2- und pT3-Patienten je 65% und bei pT4-Patienten 42%, VELLGUTH [114] berichtet von 61% für pT1-Patienten und 62% für pT2-Patienten, die pT3- und pT4-Gruppen waren in diesem Kollektiv für Vergleiche jedoch zu klein. 68 Lymphknotenstatus – N-Kategorie: Der bedeutendste prognostische Faktor bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf-HalsBereiches ist das Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen [55, 115, 116]. Das Risiko einer Streuung in die Halslymphknoten hängt von der Primärtumorlokalisation, dem TStadium, der Infiltrationstiefe und vom histologischen Malignitätsgrad ab [108]. Zu den signifikantesten, Lymphknoten betreffenden Faktoren zählt wiederum das Vorhandensein extrakapsulären Wachstums (ECS = extracapsular spread) [117]. Lymphknoten >3cm laufen in 75% der Fälle Gefahr extrakapsulären Wachstums. ECS ist mit einer 50%igen Reduktion der Überlebensraten assoziiert [118]. Wenn ECS fehlt, ähnelt die Prognose der Patienten derer von N0-Patienten [119]. Im eigenen Patientengut konnten wir feststellen, dass bei singulärem positivem Lymphknotenbefall die 5-Jahres-Überlebensrate 54% betrug und nur zu einer relativ geringen Verminderung der Überlebensrate verglichen mit pN0-Patienten führte. Die 5-J-ÜR von Patienten mit ECS hingegen viel auf nur 22% ab. Wir unterstützen daher die von MARAN [119] getroffenen Aussage, welche die überragende Bedeutung des Kapseldurchbruchs für die Überlebensrate beschreibt. Die Werte für die allgemeine 5-J-ÜR unseres Kollektivs liegen in einer Spannweite, wie sie auch in der Literatur beschrieben wurde [118]. Im Klinikkrankengut konnten 40,4% der histologisch gesicherten Lymphknoten in der klinischen Untersuchung palpiert werden. Davon waren 34,2% nicht mehr verschieblich. Bei MOHR et al [120] fanden sich 86% palpable Lymphknoten mit einem Anteil von 23,5% fixierten Lymphknoten. HEMPRICH et al. [116] fanden in 33% ihrer Fälle histologisch gesicherte Lymphknotenmetastasen, wohingegen klinisch in 60% aller Patienten Lymphknoten palpabel waren. Bei unserem Kollektiv fanden sich in 25,2% der Fälle histologisch gesicherte Lymphknotenmetastasen, die Palpaption erbrachte hingegen in 45,1% den Verdacht auf einen Metastase. 69 Histologischer Malignitätsgrad: Die Einteilung von Plattenepithelkarzinome des Kopfes und des Halses in unterschiedliche Malignitätsgrade (Grading) wurde von BRODERS [121] in seiner Arbeit über Lippenkarzinome initiiert. Er teilte Plattenepithelkarzinome in drei Klassen ein: gut, mäßig und schlecht differenzierte Plattenepithelkarzinome, abhängig vom Grad der Keratinisation, Verhornung und allgemeiner Übereinstimmung von Karzinomgewebe mit normalem Plattenepithel. Patienten mit gut differenzierten Plattenepithelkarzinomen haben eine bessere Prognose [80, 110] als Patienten mit schlecht differenzierten Plattenepithelkarzinomen [80, 122]. In den letzten Jahren wurde den histopathologischen Kriterien des Primärtumors und der Lymphknotenmetastasen zunehmende Bedeutung anerkannt, da sie neben Tumorgröße und Lymphknotenbefall ein wesentliches prognostisches Kriterium bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches darstellen [123, 124]. Einige Studien konnten zeigen, das Lymphknotenmetastasen häufiger bei Patienten mit schlecht differenzierten Tumoren auftreten [108], andere Studien konnten eine Korrelation zwischen histologischem Grad und Metastasierungshäufigkeit nicht nachweisen [125]. Der Grad zellulärer Differenzierung scheint letztlich einen nicht gänzlich geklärten Einfluss auf die Inzidenz von Lymphknotenmetastasen zu haben [115]. ROLAND et al. [126] ermittelten in einer retrospektiven Studie an 3294 Patienten signifikante Unterschiede in der Ausbildung von Lymphknotenmetastasen in Abhängigkeit vom Differenzierungsgrad des Tumors: nur 28% der Patienten mit gut differenziertem Tumor bildeten Lymphknotenmetastasen aus verglichen mit 46% der Patienten mit schlecht differenzierten Karzinomen. Im eigenen Patientengut konnten wir ebenfalls eine deutliche Zunahme von Lymphknotenmetastasen mit dem Grad der Entdifferenzierung verzeichnen. Während bei gut differenzierten Karzinomen in 12,5% Lymphknotenmetastasen auftraten, waren es bei mäßig differenzierten Karzinomen 35% und bei schlecht differenzierten Karzinomen gar 52,6%. Der einzige Fall eines undifferenzierten Karzinoms in unserem Kollektiv blieb ohne Lymphknotenmetastasen. ROWE et al. [111] wiesen für schlecht differenzierte Tumoren mehr als doppelt so hohe Rezidivraten (28.6% gegenüber 13.6%) und dreifach erhöhte Metastasenraten gegenüber gut differenzierten Tumoren fest. Das Tübinger Kollektiv bot ein komplett anderes Bild mit 70 negativer Korrelation zwischen Rezidivrate und Differenzierungsgrad des Tumors. Die Rezidivrate nahm von 20,8% bei gut differenzierten auf 19,6% bei mäßig und 15,8% bei schlecht differenzierten Karzinomen ab. Erklärungen lassen sich hierfür in der radikaleren Therapie bei schlechterem Differenzierungsgrad finden. Eine adjuvante Strahlentherapie zur Operation erhielten nur 12,5% der Patienten mit gut differenzierten Karzinomen, hingegen 30,5% der Patienten mit mäßig und sogar 52,6% derer mit schlecht differenzierten Karzinomen. Es liegt damit eine positive Korrelation zwischen umfangreicher Therapie und abnehmender Rezidivhäufigkeit vor. HUSSEINY et al. [4] erkannten in ihren Untersuchungen keine signifikanten Unterschiede in der Gesamtüberlebensrate bei verschiedenen pathologischen Graden (P=0.2). Die 5- und 10Jahre-rezidivfreie Überlebensrate für Patienten mit Grad I Tumoren betrug 59% für Männer und 36% für Frauen, 58% und 46% für Grad II Tumoren und 48% und 40% für Grad III Tumoren (P=0.7). ROLAND et al. [126] beschrieben in ihrem 2358 Tumorpatienten umfassenden Kollektiv die Überlebensraten von Patienten mit gut differenzierten Plattenepithelkarzinomen respektive mit schlecht differenzierten Plattenepithel-karzinomen. Die Überlebensraten differierten hierbei nur um 6%. Im Tübinger Patientengut fanden sich 12,9% G1, 59% G2, 5,1% G3 und 0,3% G4 Tumoren, deren allgemeine 5-J-ÜR ergaben Werte zwischen 64% für die gut differenzierten Plattenepithelkarzinome (G1), 58% für die mäßig differenzierten Plattenepithelkarzinome (G2) und 52% für die entdifferenzierten Plattenepithel-karzinome (G3). Letztere sind jedoch aufgrund der geringen Patientenzahl kritisch zu betrachten. Die Überlebensraten liegen somit in einem Bereich, wie er von o.g. Autoren ermittelt wurde. 5.1.3. Vergleich der Patienten im Klinikkrankengut und im DÖSAK-Krankengut Die folgenden Vergleiche zwischen dem Tübinger Krankengut und dem DÖSAKGesamtkollektiv beruhen auf dem 10. Projektbericht des zentralen Tumorregisters [127]. Dieser beschreibt den Zwischenstand der Dokumentation bis zum 29.02.2000 und umfasst 15927 Fälle aus 70 Kliniken, wovon 86,4% (13759 Fälle) beginnend mit der unvorbehandelten Primärtumorerkrankung dokumentiert sind. 71 Plattenepithelkarzinome der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx sind unter diesen Primärtumoren am häufigsten (10278 Patienten = 74,8%), im Tübinger Patientengut lag der Anteil primärer Plattenepithelkarzinome bei 64,8%. Im DÖSAK - Gesamtkollektiv zählte der prozentuale Anteil dokumentierter Primärerkrankungen in der Region Mundhöhle 90%, in der Lippenregion 8%, in der Region Oropharynx 2%. Nahezu identisch gestaltete sich die Verteilung im Tübinger Kollektiv: Mundhöhlenkarzinome führten mit 89,6%, es folgten Lippenkarzinome mit 8,8% und Oropharynxkarzinome mit 1,6% aller dokumentierten Karzinome. Die häufigste Lokalisation des Primärtumors im DÖSAK – Gesamtkollektiv war mit 25,7% der Mundbodenbereich, gefolgt von Tumoren der Zunge (16,1%) und der Mundschleimhaut (12,3%).Im eigenen Kollektiv stellten wir ebenfalls am häufigsten Plattenepithelkarzinome des Mundbodens (35,7%) fest, gefolgt vom Auftreten in der Mundschleimhaut (27,2%) und in der Zunge (19%). Im DÖSAK - Krankengut kam die Geschlechtsverteilung mit 2,6 : 1 Männern zu Frauen dem allgemeinen Trend der Häufigkeitsangleichung beider Geschlechter etwas näher als das Tübinger Patientengut (Männer zu Frauen = 3,3 : 1). Der Anteil unterernährter Patientinnen lag im DÖSAK – Gesamtkollektiv bei 18,4%, bei Männern lag dieser Anteil bei 12,5%. Im eigenen Kollektiv waren zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme 18,1% der Männer und 16,3% der Frauen untergewichtig. Risikofaktoren Im Tumorregister zeigte sich folgende Verteilung von Risikofaktoren: 75,7% aller Patienten rauchten, 50% waren alkoholkrank und 54,5% hatten eine schlechte Mundhygiene. Die Kombination aller drei schädigenden Noxen vereinten 35,1% der Patienten. In unserem Klinikkrankengut rauchten 76,7% der Patienten, 65,4% tranken regelmäßig Alkohol und 58,2% hatten eine als schlecht zu bezeichnende Mundhygiene. In 44,8% trafen alle drei Noxen zusammen. 72 Prognosefaktoren: Bezüglich der Verteilung der therapieunabhängigen Prognosefaktoren Tumordicke, Tumordurchmesser und Grading ergaben sich praktisch keine Unterschiede zwischen den zu vergleichenden Kollektiven. Die therapieabhängigen Prognosefaktoren unterschieden sich jedoch etwas deutlicher. Die definitive R-Klassifikation erbrachte im eigenen Klinikkrankengut in 41,3% eine R0Resektion, in 4,3% R1-, in 0,3% R2b- und in 22,8% Rx-Resektionen. Im DöSAK-Krankengut konnte operativ in 31,2% der Fälle eine R0-Resektion erzielt werden, in 2,2% eine R1Resektion, eine R2a- bzw. R2b-Resektion in insgesamt 0,35%. Somit wurden im eigenen Krankengut mit rund 10% häufiger R0-Resektionen erreicht. pTNM – Klassifizierung und Tumorstadien: Im DÖSAK-Kollektiv tauchten am häufigsten pT1-Tumoren auf (40%), pT2-Tumoren folgten mit 25,8%, pT3- und pT4-Tumoren zählten 4,4% bzw. 25,1%. Im Tübinger Kollektiv fanden sich 36,9% T1-Tumoren, 24,9% T2-Tumoren und 6,3% bzw. 27,9% T3- und T4-Tumoren. Die Häufigkeitsverteilung ist somit sehr ähnlich. Gleiches gilt für die pN-Klassifizierung, in der sich nur geringe Unterschiede zwischen dem Gesamtregister und dem Tübinger Kollektiv auftaten. Auffallende Unterschiede treten jedoch bei der Tumorstadiengruppierung auf. Im Vergleich DÖSAK zu Tübinger Kollektiv fanden sich folgende Differenzen: 0,3% zu 1,4% in Stadium 0, 15,1% zu 34,7% in Stadium I, 7% zu 16,3% in Stadium II, 4,1% zu 9,2% in Stadium III und 13,4% zu 38,4% in Stadium IV. Ohne Angaben zum Stadium waren im 59,6% im Gesamtregister bzw. 21,2% in Tübingen. Die größte Diskrepanz, der Unterschied im Stadium IV, beruht darauf, dass im Tübinger Kollektiv etwas mehr pT4-Tumoren und mehr pN2-Patienten vorhanden waren. Beide Gruppen führen unweigerlich zur Einstufung in das pathologische Stadium IV. Weiterhin fanden sich im Gesamtregister knapp dreimal mehr Patienten ohne Angaben zum pathologischen Stadium, was einen Vergleich beider Gruppen letztlich kaum zulässt. 73 74 5.2 Diskussion der Bildgebenden Diagnostik 5.2.1 Diskussion der Primärtumordiagnostik Die klinischen und endoskopischen Verfahren ermöglichen eine Aussage über die oberflächliche Ausdehnung des Primärprozesses. Die Beurteilung der Infiltrationstiefe und der Ausbreitungswege obliegt den Schnittbildverfahren wie Computertomographie und Kernspintomographie. Das Hauptproblem der radiologischen Auswertung der Tumordicke von kleinen Mundhöhlenkarzinomen ist, das diese Tumoren oftmals weder im CT noch im MRT dargestellt werden können. Andererseits bedeutet eine für die CT oder MRTDarstellung zu kleine Tumorausdehnung eher eine oberflächliche Ausbreitung des Karzinoms, welche wiederum ein günstigeres prognostisches Zeichen ist [128]. Computertomographie - Kernspintomographie Die computertomographische Untersuchung gehört in Tübingen zum Routineprogramm bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren. Die seit 01.01.1994 erstdiagnostizierten Patienten erhielten zu 94,1% ein CT zur Bestimmung der Tumorausdehnung. Ein Vergleich der in der Literatur beschriebenen Sensitivitäten und Spezifitäten dieser Untersuchungsmethode mit unserem Patientenkollektiv ist nicht möglich, da Untersuchungsergebnisse wie der Tumordurchmesser oder die Tumordicke nicht explizit für jede diagnostische Methode dokumentiert wurden. Die kernspintomographische Untersuchung wurde seit dem 01.01.1994 bei 50% aller Patienten des Kollektivs durchgeführt. Sonographie: In Tübingen wurde seit 1994 die Tumorausdehnung bei nur 21,3% aller Patienten sonographisch untersucht. Dies lässt, bedingt durch geringe Fallzahlen, auf wenig Routine schließen und muss mit Einbussen in der Sensitivität und Spezifität einhergehen. Auf dieses Manko im eigenen Klinikbetrieb soll aufmerksam gemacht werden, bedenkt man, dass die 75 Sonographie im Rahmen des Primärstaging auf C2-Sicherheitsniveau genaue Angaben über Lage, Größe, Struktur insbesondere von Tumoren der Lippen, der Wangen, des Mundbodens und der Tonsillenregion liefert. Weniger geeignet dagegen ist sie bei Befall von Epipharynx, Schädelbasis, Pharynxhinterwand, Retroparyngeal- und subglottischem Raum [129]. 5.2.2 Diskussion der Lymphknotendiagnostik Sowohl die Behandlung als auch die Prognose von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren hängt vom korrekten Tumorstaging ab. Eine wesentliche Aufgabe dieses Prozesses ist es, die Anoder Abwesenheit von Lymphknotenmetastasen zu bestimmen. Beim Mundhöhlenkarzinom ist die Symptomatik im Frühstadium meistens nur sehr gering, so dass häufig bis zur Diagnosestellung viel Zeit vergeht. Erst im späteren Verlauf – wenn meistens schon Halslymphknotenfiliae vorliegen – treten Schmerzen, Blutungen, Ulzerationen, Speichelfluss, Foetor ex ore sowie Störungen der Artikulation und Nahrungsaufnahme auf. Diagnostisch ist dies von Bedeutung insofern, dass Krankheiten wie das Bronchialkarzinom, Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphome primär oft in Form von Halslymphknotenveränderungen präsent werden. An die unterschiedlichen diagnostischen Verfahren werden hohe Anforderungen gestellt, die - wie unten erläutert teilweise gut erfüllt werden. Es gilt zu bedenken, dass die Behandlung und Prognose von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren hauptsächlich durch Lymphknotenmetastasen bestimmt werden [130-132], speziell das extrakapsuläre Lymphknotenwachstum [119] (siehe Diskussion therapieunabhängiger Prognosefaktoren, Lymphknotenstatus). Die Dignität zwischen benignen und malignen Lymphknotenvergrößerungen ist durch Sonographie, Computertomographie und Magnetresonanztomogaphie nicht erfassbar, es gibt jedoch Kriterien, die für die radiologische Diagnose einer Lymphknotenmetastase sprechen: Mindestdurchmesser von 10mm, zentrale Nekrosen, zystische Umwandlungen und perikapsuläre Ausbreitung von vermeintlichem Tumorgewebe [132]. Allgemein wird die an der Grenze zum Pathologischen gelegene Lymphknotengröße mit 1cm angegeben [133]. Histopathologische Studien zeigen, dass Lymphknoten ab einer Länge von 1cm in bis zu 83% tumorfrei, Lymphknoten unter 1cm Länge in bis zu 42% metastatisch befallen sind [132, 134]. Mit der festgelegten Lymphknotengrenzlänge von 1cm sind also 76 zugunsten der Vermeidung falsch negativer Befunde falsch positive Befunde mit eventueller Überbehandlung vorprogrammiert. Wie im folgenden gezeigt, trifft dieser Sachverhalt auch auf unser Patientengut zu, bei dem die diagnostischen Methoden vergleichbar niedrige Spezifitäten (51-69%) aufwiesen und folglich eine Übertherapie aufgrund falsch-positiver Befunde vermuten lassen. Sonographie: Bei festem Stellenwert der Computertomographie als Standardmethode [135, 136] und wachsender Bedeutung der Magnetresonanztomographie [128, 136] wird die Aussagekraft der Sonographie oft noch unterschätzt [129]. Dies ist weniger begründet durch die Leistungsfähigkeit des Verfahrens selbst als vielmehr dadurch, dass die Wertigkeit der Sonographie stark vom individuellen Können, von der Erfahrung und Sorgfalt des Untersuchers abhängig ist. Mit heutzutage erhältlichen hochauflösenden Real-timeSonographiegeräten sollte die Sonographie in der bildgebenden Stufendiagnostik den ersten Platz einnehmen [129]. Das dies noch nicht durchgängig der Fall ist, zeigen die Untersuchungen im eigenen Patientenkollektiv. Seit 1994 wurden lediglich 40 Patienten (19,8%) sonographisch auf Lymphknotenmetastasen untersucht. Retrospektiv lässt sich dabei in der Indikationsstellung für eine sonographische Untersuchung keine Systematik erkennen, da die untersuchten Patienten sich hinsichtlich palpatorisch ermitteltem Lymphknotenstatus und der Tumorausdehnung nicht von den anderen Patienten unterschieden. Die geringe Fallzahl lässt bezüglich der Wertigkeit dieses Untersuchungsverfahrens keinen sinnvollen Vergleich mit Erkenntnissen aus anderen Studien-Kollektiven zu. Eine weitere Diskussion wird daher sehr kurz gehalten. In unserem Kollektiv stellte sich die Sonographie als die spezifischste Methode heraus, mit 69,2% lag sie jedoch deutlich unter den aus der Literatur bekannten und erreichbaren Werten. STEINKAMP [137] erreichte mittels Sonographie und unter Anwendung des M/QQuotienten (Maximal-/ Querdurchmesser) Sensitivitäten von 96% (in Tübingen nur 35,7%) und Spezifitäten von 96%. Ein M/Q-Quotient < 2 wies zu 95% eine Lymphknotenmetastase zervikal nach. In der Literatur sind - unter alleiniger Betrachtung des Längsdurchmesseres der Lymphknoten - mit 78-98% ähnlich hohe Werte für die Sensitivität der Sonographie angegeben [132, 138-140], bei jedoch signifikant geringeren Werten für die Spezifität (61% 77 bis 90% im Vergleich zu 96% unter Verwendung des M/Q-Quotienten). Unsere Werte für die Spezifität liegen somit zwar im Bereich des Üblichen, die Sensitivität ist jedoch indiskutabel niedrig. Wie in der Literatur eruiert [134, 141-144] überstieg die Treffsicherheit (= Sensitivität) der Sonographie (70-95%) und der Computertomographie (85-93%) mit Ausnahme der Untersuchungen von EICHHORN [134] und FEINMESSER [141] die Treffsicherheit der Palpation (70-91%), selbige Erkenntnis unterstützen auch die eigenen Ergebnisse, bei denen die Sensitivität der MRT (75%) und der CT (81,7%) die der Palpation (60,6%) übertrifft. Die gegenüber der Palpation erhöhte Sensitivität der schnittbildgebenden Verfahren wird jedoch durch eine Verminderung der Spezifität erkauft [132], in Tübingen belief sich diese auf 51,2% für die CT, 59,4% für die MRT bei führenden 60% für die Palpation (Sonographie 69,2%). Computertomographie: LENZ [145] zufolge ist die CT mit Kontrastmittel zur Zeit die Methode der Wahl für die Erhebung des Lymphknotenstatus bei Tumorpatienten. Wie aus dem Vergleich zum DÖSAKGesamtkollektiv ersichtlich, nimmt die CT im Ländervergleich gerade ein Tübingen einen sehr hohen Stellenwert ein und wurde in 94% aller Fälle (im DÖSAK-Gesamtkollektiv 40,4%) angewandt. STEINKAMP [146] vermutete im Spiral-CT von zervikalen Lymphknoten eine Metastasierung für Lymphknoten < 8mm Maximaldurchmesser, wenn der M/Q-Quotient < 2 war und die Lymphknoten durch deutliche Inhomogenitäten nach KM-Gabe oder durch zentrale Hypodensität und peripheres Enhancement nach KM-Gabe gekennzeichnet waren. Auf diese Weise ist es nach STEINKAMP [147] im Spiral-CT möglich, eine Spezifität von 97% und Sensitivität von ebenfalls 97% zu erreichen. Ältere Angaben in der Literatur belaufen sich auf 84% für die Sensitivität und 82-86% für die Spezifität, hierbei jedoch ohne Achtung des M/Q-Quotienten [139, 140]. FEINMESSER et al. [141] beschreiben für die Computertomographie sogar eine Sensitivität von nur 60%. Die hohen Differenzen in den Ergebnissen der einzelnen Untersucher sind in der unterschiedlichen Festlegung der computertomographischen Kriterien für den Nachweis einer Lymphknotenmetastase zu sehen [146]. 78 Die in der Radiologischen Klinik der Universitätsklinik Tübingen durchgeführten computertomographischen Untersuchungen erzielten, ohne konsequente Beachtung des M/QQuotienten, eine Sensitivität von 81,7%. Sie liegt damit weit über den 60% von FEINMESSER et al. [141], jedoch noch deutlich unter erreichbaren Resultaten mit bis zu 97% Sensitivität wie von STEINKAMP [147] erlangt. Kernspintomographie: Neben der Sonographie und der Computertomographie bietet die Magenetresonanztomographie als modernes bildgebendes Verfahren die Möglichkeit zervikale Lymphknoten in ihrer Ausdehnung darzustellen. Eine sichere Differenzierung zwischen reaktiv vergrößerten Lymphknoten und Lymphknotenmetastasen ist auch hier nicht immer möglich. Bisher galten in der MRT Lymphknoten mit einem maximalen Durchmesser größer 10-15mm mit bei Patienten mit Tumoranamnese metastasensuspekt. Eine alleinige Betrachtung des Längsdurchmessers führte zu befriedigenden Sensitivitäten (80-90%) und zu eher unbefriedigenden Spezifitäten (55-85%) [147]. In der gleichen Weise erreichte die MRT in Tübingen aktzeptable Werte für die Sensitivität (75%) bei niedrigen Resultaten in der Spezifität (59,4%). Diese Ergebnisse grenzen zwar die Güte der kernspintomographischen Untersuchungen in Tübingen im Vergleich zu anderen Kollektiven nicht ab, doch sollte der Versuch zur Erzielung höherer Genauigkeiten nicht ausbleiben: unter Anwendung des M/QQuotienten in der Magnetresonanztomographie ist eine Spezifität von 94% und Sensitivität von 95% möglich [147]. Schlussfolgerung: Die klinische Palpation hat lediglich orientierenden Charakter und bietet keine Sicherheit bei der Diagnose von Lymphknotenmetastasen (Sensitivität 60,7%). Die Sonographie in unserer Klinik entzieht sich aufgrund seltener Anwendung einer näheren Betrachtung (19,8% der Fälle untersucht). Gerade im Rahmen der Nachsorge wäre jedoch eine regelmäßige sonographische hochspezifische Untersuchung und eine sensitive ungefährliche, unbelastende Untersuchungsmethode 79 zum und gleichzeitig Bestimmung des Lymphknotenstatus und sollte in der bildgebenden Stufendiagnostik an erster Stelle stehen. Diese Untersuchungsmethode muss im eigenen Klinikbetrieb weiter ausgebaut werden. Die computertomographischen und kernspintomographischen Untersuchungen im eigenen Patientengut sind hinsichtlich Sensitivität und Spezifität mit Ergebnissen anderer Studien zwar vergleichbar, lassen jedoch nach oben genügen Spielraum für weitere Verbesserungen. 5.2.3 Vergleich der bildgebenden Diagnostik im Klinikkrankengut und im DÖSAKKrankengut Die Gegenüberstellung angewandter diagnostischer Verfahren lässt auffällige Unterschiede zwischen den zwei zu vergleichenden Kollektiven hervortreten. War in Tübingen die computertomographische Untersuchung die Methode der Wahl (93,6%) zu Darstellung des Lymphabflussgebietes, so wurde von dieser Methode im Gesamtregister in nur 40,4% der Fälle Gebrauch genommen. Die Häufigkeitsverteilung der Diagnostika im Rahmen des Lymphknoten-staging war im Gesamtregister allgemein wesentlich ausgeglichener: die CT wurde durchschnittlich in 40,4% angewandt, die MRT in 14,6% und die Sonographie in 42,9%. Mit der Unterrepräsentierung der Ultraschalldiagnostik (19,8%) im Tübinger Klinikalltag ging die Wahl zur Untersuchung des Lymphabflussgebietes zugunsten der CT aus, aber auch die MRT erfuhr mit 51,5% aller Fälle großen Anklang. Seit der Anschaffung eines modernen Ultraschallgerätes kann in Zukunft allerdings in mit verstärktem Einsatz dieser Methode in der Lymphknotendiagnostik unserer Klinik gerechnet werden. Ob hierdurch künftig in ausgewählten Fällen auf die CT verzichtet werden kann ohne Einschränkungen in der Treffsicherheit tragen zu müssen (Sensitivität der CT bisher 81,7%, bei der Sonographie 35,7%), ist bei den in Tübingen seit Jahren fest etablierten Verfahren fraglich. Im Rahmen der Reduzierung der Strahlenbelastung für den Patienten wäre dies zumindest erstrebenswert. Die Häufigkeitsverteilung in der Primärtumordiagnostik deckte sich in beiden Kollektiven nahezu und entsprach von der prozentualen Aufteilung her weitgehend jener der Lymphknotendiagnostik. 80 5.3 Diskussion der Therapie 5.3.1 Diskussion unterschiedlicher Therapieformen Chirurgische Therapie des Primärtumors Die chirurgische Therapie des Primärtumors unterscheidet sich je nach Lokalisation und Stadium erheblich. Eine Verbesserung der regionären Kontrolle konnte erreicht werden, nicht jedoch eine Verbesserung der Gesamtüberlebensrate. [148]. Auf Details soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Chirurgisches Vorgehen am N0-Hals Trotz der Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik bleibt das Vorgehen beim klinisch Lymphknoten-negativen Hals (N0) bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des KopfHals-Bereichs kontrovers diskutiert [48, 49, 149]. Universelle Richtlinien liegen nicht vor. Einige Studien wollen zeigen, dass das Risiko eines okkulten Tumors anhand durchgeführter Diagnostik (CT, MRT, Sonographie) ausgeschlossen werden kann [150-154], andere Studien jedoch kommen zu gegenteiligem Ergebnis [155, 156]: CT- und MRT-Untersuchungen lieferten bei histologisch nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen in einer großen Anzahl falsch negative Ergebnisse, sogar in 16% der Fälle mit extranodalem Wachstum wurden Patienten klinisch N0 gewertet. In der vorliegenden Arbeit wird dies bestätigt: in 17,1% extranodalen Tumorwachstums war das CT-Ergebnis und in 22,7% der MRT-Befund falsch negativ. Zwei Faktoren sprechen für die Behandlung des N0-Halses: zum einen die Schwierigkeit, die Konversion eines N0-Halses in einen positiven Hals frühzeitig zu entdecken bevor extranodales Tumorwachstum beginnt und zum anderen das geringe Risiko eines Eingriffes am Hals zu diesem frühen Zeitpunkt [148, 149]. Hierzu erfolgt eine Betrachtung der Mortalität und der Morbidität heutzutage durchgeführter Lymphknotenausräumungen. 81 Einfluss auf Mortalität: Die Auswirkungen auf die 5-Jahres-Überlebensrate (Mortalität) sind bei frühzeitiger chirurgischer Behandlung des richtig positiven N0-Halses gering bis nicht feststellbar, darüber hinaus wird jedoch die lokoregionäre Kontrolle signifikant verbessert und der Gefahr einer Konversion vorgebeugt [148, 157, 158]. In unserem Kollektiv hatten N0-Patienten, die eine Form der Lymphknotenausräumung erhielten, eine 5-J-ÜR von 68% verglichen mit einer 5-J-ÜR von 45% bei N0-Patienten, die keinerlei Lymphknotenausräumung unterzogen wurden sondern in 63% eine Bestrahlung der Lymphabflusswege erhielten. Es drängt sich die Überlegung auf, ob diese Patienten von einer prophylaktischen Lymphknotenausräumung profitiert hätten und ob die niedrige 5-J-ÜR bei N0-Patienten ohne Neck dissection auf okkulte Tumorausläufer zurückzuführen ist. Einige Autoren sehen für schwer nachzusorgende Patienten oder solche mit mangelnder Compliance die Indikation zur Chirurgie oder Bestrahlung, wenn die Wahrscheinlichkeit von Halslymphknotenmetastasen 20% überschreitet [159-161] oder bei Patienten mit minimalem Befall der Lymphknoten (N1-Hals) [159]. Leider gibt es derzeit noch keine stichfesten Daten, die einen Überlebensbenefit der elektiven Neck dissection belegen [149]. In unserer Untersuchung hatten die elektiv operierten Patienten jedenfalls eine deutlich höhere 5-J-ÜR, wie oben erwähnt. Einfluss auf Morbidität: In einer Vielzahl von Studien konnte eine konsistente Rate okkulter Lymphknoten-metastasen im klinischen N0-Patienten gezeigt werden. Diese Rate variiert in Abhängigkeit des Stadiums und der Lokalisation des Primärtumors, liegt jedoch bei ungefähr 30% nach Kombination aller Stadien und Lokalisationen [162-164]. Geht man nun von universellen Richtlinien für elektive oder prophylaktische Behandlung dieser N0-Patienten aus, erfahren knapp 70% aller Patienten eine Überbehandlung, in anderen Worten, 70% der Patienten werden einer erhöhten Morbidität durch Behandlung ausgesetzt. Sicherlich ist jegliche nicht notwendige Behandlung mit höherer Morbidität verbunden als eine unterlassene Behandlung in diesem Fall, jedoch halten ANDERSEN et al. [149] die Aussage, dass elektive, selektive Behandlung 82 des Halses mit stark erhöhter Morbidität verknüpft ist, für nicht mehr aktuell in Anbetracht der Entwicklung schonender, effektiver und dadurch weniger morbidisierender Methoden der Neck dissection. In unserem Patientengut wurden 180 Lymphknotenausräumungen bei klinischem N0-Hals durchgeführt, 18 Fälle (10%) stellten sich dabei als falsch negativ diagnostizierter N0-Hals heraus. Diese Patienten hätten eine „Untertherapie“ erfahren, wäre auf eine prophylaktische Neck dissection verzichtet worden. Diese Zahl falsch negativ diagnostizierter Patienten liegt deutlich unter den 30% „Untertherapie“ oben genannter Autoren und lassen auf eine höhere Treffsicherheit von Lymphknotenmetastasen im Rahmen des Staging schließen. Dies kann, wie im Diskussionsteil „Diagnostik“ überlegt wurde, am hohen Prozentsatz durchgeführter CTUntersuchungen liegen, der bei uns 93,6% erreichte, im DÖSAK-Gesamtkollektiv jedoch nur 43% umfasste. Spiro [163] sieht im N0-Hals die idealen Vorraussetzungen für selektive Neck dissection, bei der nur metastasengefährdetes Lymphknotengewebe entfernt wird und nicht-lymphatische Strukturen erhalten werden. Es wurde bereits früh gezeigt, das selektive Neck dissection im Vergleich zu radikaleren Methoden die Morbidität der Neck dissection deutlich senkt [165]. In Tübingen waren von 180 Lymphknotenausräumungen bei N0-Hals 3 selektive Exstirpationen, 138 suprahyoidale Ausräumungen, 8 klassisch-radikale Neck dissections und 31 konservative Neck dissections. Hier gehen wir mit der Ansicht SHAH’s [108] konform, dass bei Patienten mit Primärtumorsitz in der Mundhöhle und N0-Hals die supraomohyoidale Neck dissection eine angemessene Form der elektiven Neck dissection ist. Patienten mit Primärtumorsitz im Larynx oder Pharynx ist die Lymphknotenausräumung der Level II, III und IV eine gerne gewählte Therapie und für median gelegene Tumoren sollte die bilaterale elektive Neck dissection als probate Therapie betrachtet werden [108]. Im eigenen Kollektiv wurden keine Patienten mit Primärtumorsitz in diesen Regionen operiert, es können daher keine Aussagen zur operativen Strategie diesbezüglich getroffen werden. 83 Vorgehen bei fixierten Lymphknotenmetastasen: Eine generelle Empfehlung für das Vorgehen bei fixierten Lymphknotenmetastasen – gleichbedeutend mit Kapseldurchbruch - fällt eindeutig aus und sie gilt – im Falle einer Operation – seit Jahren unverändert der radikalen Neck dissection [166-168], weil sie die Nachbarstrukturen der Lymphbahnen grundsätzlich miterfasst und einen Sicherheitsabstand um rupturierte Lymphknoten herum vorsieht. Ansonsten ist, aus o.g. Gründen, die konservative Neck dissection vorzuziehen. Nahezu alle Patienten unseres Krankengutes (88,9%) mit klinisch fixierten Lymphknoten wurden einer konservativen Neck dissection unterzogen, kontralateral wurde in 56% eine supraomohyoidale Ausräumung vollzogen. Im eigenen Kollektiv wurden 75 Fälle (150 Halsseiten) mit fixierten Lymphknoten dokumentiert, 64 (42,7%) davon wurden einer Lymphknotenausräumung unterzogen. Unter diesen Operationen fanden sich 21 konservative Neck dissections (14%), 7 radikale Neck dissections (4,7%), 33 suprahyoidale Ausräumungen (22%) und 3 selektive Exstirpationen (2%). Aus diesen Zahlen geht hervor, dass bei uns der Trend in Richtung zurückhaltender Methoden liegt, speziell die suprahyoidale Neck dissection erfährt bei uns großen Anklang. Der Vergleich unserer Rezidivrate im Lymphabflussgebiet von 30,3% mit Rezidivraten aus der Literatur muss kritisch geführt werden, da den einzelnen Arbeiten unterschiedliche therapeutische Konzepte und Nachbeobachtungszeiten zugrunde liegen. HILTMAN [113] beobachtete in seinem 377 Patienten umfassenden Kollektiv mit Mundhöhlenkarzinomen in 28,3% Rezidive des zervikalen Lymphabflusses. In diesem Kollektiv wurden alle Patienten einer Form der Neck dissection (CND, RND, SOHND) unterzogen, vergleichbar mit der Therapieform des Tübinger Kollektivs. Vorgehen bei klinisch beweglichen Lymphknotenmetastasen (N1-N2-Hals): Bei Patienten mit dieser Lymphknotenkonstellation wird die konservative Neck dissection heute bereits von vielen Operateuren als allgemein akzeptiert angesehen [169-171]. Diese Ansicht stützt sich auf eine Vielzahl klassischer Vergleichsstudien CND versus RND [172]. 84 Bestrahlung: Radiotherapie hat den größten Effekt bei schlecht-differenzierten, schnell proliferierenden Zellen [173]. Beinahe alle Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren im fortgeschrittenen Stadium benötigen eine adjuvante Radiotherapie, die prä- oder postoperativ durchgeführt werden kann [108]. Die Indikationen für postoperative Radiotherapie in Bezug auf den Primärtumor schließen Primärtumoren mit signifikantem Rezidivierungsrisiko (T3 und T4), histologisch positive Schnittränder und perineurale oder perivaskuläre Manifestationen durch den Tumor ein. Indikationen für postoperative Radiotherapie in Bezug auf den Lymphknotenstatus stellen der chirurgisch nicht vorbehandelte N0-Hals mit hohem Risiko für Mikrometastasen dar, des weiteren große Residualtumoren im Halsbereich nach Neck dissection, multiple befallene Lymphknoten und extranodales Wachstum des Tumors [174, 175]. Die Angaben aus der Literatur decken sich mit den Erkenntnissen aus dem eigenen Patientengut. Am häufigsten wurde die Bestrahlung bei T4-Tumoren durchgeführt (61,5%), danach folgten mit 20,2% T2- und mit 13,5% T1-Tumoren. Wie von SHAH [108] für Patienten mit hohem Metastasierungsrisiko beschrieben, erfolgte bei der Mehrheit unserer T4 - Patienten eine Bestrahlung mit > 60 Gy. Mit 7,7% bzw. 9,6% aller T1- bzw. T2-Tumoren lag der Anteil derer, die ebenfalls > 60 Gy im Bereich der Lymphabflussbahnen bestrahlt wurden, relativ hoch. Eine Erklärung liegt sicher darin, dass die primär-chirurgische Therapie dieser Patienten weniger radikal ausfiel und der Bedeutung und damit Radikalität der Bestrahlung ein größeres Gewicht zukam. 5.3.2 Vergleich der Therapie des Klinikkrankengutes mit der des DÖSAKKrankengutes Der DÖSAK hat seit Beginn seiner Arbeit versucht, einheitliche Begriffsdefinitionen und Behandlungsstandards zu definieren [116]. Die einheitlichen Behandlungsstandards betreffen jedoch im wesentlichen die Chirurgie. Es zeigt sich, dass der Anteil der operierten Patienten zwischen den einzelnen Kliniken des DÖSAK nur relativ begrenzt schwankt, die angewandten adjuvanten Therapiebausteine sind jedoch sehr unterschiedlich. Zum Zeitpunkt des 8. Projektberichtes des DÖSAK differierte der Prozentsatz der rein operativ behandelten 85 Patienten zwischen 71% und 100%, hingegen der der adjuvant therapierten Patienten zwischen 11% und 79%. Die Wahl der Therapie viel im eigenen Kollektiv in 80,7% zugunsten der operativen Therapie aus, im Gesamtregister zum Zeitpunkt des 10. Projektberichtes in 81,7%. Davon entfielen auf die alleinige operative Therapie 70,8% bzw. 59,6%, die weiteren Patienten erhielten adjuvant zur Operation eine weitere Therapie. In beiden Kollektiven wurde größtenteils mit radikaler Intention operiert (96,4% bei uns bzw. 95,3% im DÖSAK). Von Interesse ist an dieser Stelle der Vergleich der definitiven R-Klassifikation beider Kollektive. Eine R0-Resektion fand im Gesamtkollektiv in 92,4% der dokumentierten Fälle statt, in Tübingen in 97,4%. Die Kaplan-Meier-Überlebenskurve radikal operierter Patienten zeigte in beiden Kollektiven einen unterschiedlichen Verlauf, wenn auch die 5-Jahres-Überlebensraten mit 57% im Gesamtregister und 58% in Tübingen sehr nahe beieinander zu liegen kamen. Nach einem Jahr lebten im Register 87,6% der radikal operierten Patienten (Tübingen 99%), nach zwei Jahren 75% (93%), nach drei Jahren 67,9% (81%) und nach vier Jahren 62% (74%). Es kam demnach im eigenen Patientengut im vierten Jahr zu einem deutlichen Einbruch der Überlebensrate um 16%, eine Erklärung hierfür können wir nicht finden. In eigenen Patientengut wurde in 23,6% adjuvant zur Operation eine Bestrahlung durchgeführt, im Gesamtregister in 19,2%. Sehr zurückhaltend scheint bei uns die Entscheidung zur adjuvanten Chemotherapie gefallen zu sein. In nur 1,1% aller dokumentierten Fälle wurde dieser Therapiearm hinzugezogen. Dieses Ergebnis weicht wesentlich vom Trend im Gesamtregister ab. Dort wurden in 17,9% aller Fälle Patienten chemotherapeutisch (prä- / postoperativ) behandelt. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch im eigenen Kollektiv die Anzahl chemotherapeutisch behandelter Patienten wesentlich höher liegt, jedoch nicht zu behebende Dokumentationslücken die Gesamtzahl niedrig halten. In den meisten Fällen wurden die Patienten außerhalb unseres Klinikums chemotherapiert. Fand zudem die weitere Nachsorge extern statt, konnte selten nachvollzogen chemotherapiert wurden. 86 werden, welche Patienten tatsächlich Bei der Therapie der Lymphabflusswege bildeten die Patienten mit supraomohyoidalen Lymphknotenausräumungen die größte Gruppe im DÖSAK-Patientengut. Diese Form der Ausräumung wurde in 71,2% aller Lymphknotenoperationen durchgeführt (in Tübingen 69%), wobei in zwei Drittel dieser Fälle auf der Tumor-ipsilateralen Seite ebenfalls Lymphknoten entfernt wurden, entweder als CND in 10,8%, in 21,9% als RND, als suprahomohyoidale Lymphknotenausräumung in 22,8% oder als selektive Exstirpation in 0,6%. 87 88 5.4 Diskussion der Nachsorge 5.4.1 Diskussion des Nachbeobachtungszeitraums und zeitliches Auftreten der Rezidive In Zeiten steigender Krankenhauskosten und ständiger Veränderungen im Gesundheitssystem muss die Kosten-Nutzen-Relation der Tumornachsorge kritisch begutachtet werden. Die Klinikbudgets sind von einer Fülle von Unwägbarkeiten belastet, folglich müssen Versorgungsaufträge und Budgets derart exakt aufeinander abgestimmt werden, das sich möglichst eine „Punktlandung“ ergibt [176]. So können auch die Kosten der Tumornachsorge unmöglich genau angegeben werden, Schätzungen müssen jedoch folgende Punkte berücksichtigen [83]: • die Kosten jedes Arztbesuches • die Anreisekosten zum Arzt • die Kosten der Routineuntersuchungen (z.B. Röntgenuntersuchungen, Tumormarker) • die Kosten weiterer Untersuchungen als Folge der Nachsorge (z.B. CT, Endoskopische Untersuchungen) • die Behandlungskosten sofern ein Rezidiv gefunden wurde • die Kosten für die Dokumentation (z.B. Tumorzentren, DÖSAK) • die Kosten, die für die Gesellschaft aufgrund Arbeitsunfähigkeit des Patienten entstehen. Diesen Kosten steht die Frage nach dem Nutzen der Nachsorge gegenüber. Der Nutzen einer routinemäßigen Nachsorge für die Gesamtüberlebensdauer bei Plattenepithelkarzinome des Kopfes und des Halses wird derzeit noch kontrovers diskutiert. Routinemäßige Nachsorge im Gegensatz zu symptombasierter Nachsorge sollte für sinnvoll betrachtet werden, wenn asymptomatische und damit frühzeitig erkannte Läsionen besser heilbar sind als dies symptomatisch und damit oft erst später erkannte Läsionen sind. Es ist zwar anzunehmen, dass frühzeitiges Erkennen von Rezidiven häufiger eine sekundäre kurative Behandlung erlaubt, jedoch ist diese Vermutung für Plattenepithelkarzinome des Kopfes und des Halses noch nicht bewiesen [83]. Studien über andere Krebstypen haben gezeigt, das routinemäßige Nachsorge im Vergleich zu symptombasierter Nachsorge nur von geringem Nutzen für eine verbesserte Gesamtüberlebensrate ist [177, 178]. 89 Das Nachsorgeintervall sollte anhand empirisch ermittelter Erkenntnisse so lange wie nötig, aufgrund der allgemeinen Kosten und der Belastung für die Patienten aber auch so kurz wie möglich andauern. Bei Plattenepithelkarzinomen der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx scheint die Kenntnis der 2-Jahres-Überlebensrate in zwei von drei Fällen ausreichend zu sein [82, 179]. ROWE et al. [111] und HEMPRICH et al. [116] stellten fest, das sich in ungefähr 75% aller Fälle innerhalb der ersten zwei Jahre nach abgeschlossener Primärtherapie Lokalrezidive oder Metastasen entwickeln, innerhalb von 5 Jahren nach Primärtherapie steigt die Zahl aller Lokalrezidive und Metastasen nur noch um 20% auf 95% an. Andere Autoren berichten innerhalb der ersten zwei Jahre nach Primärtherapie sogar Rezidivraten von 90 bis 100% [113, 180]. Im Tübingen traten 68,2% der Rezidive innerhalb 2 Jahren nach Primärtherapie auf, bis zum 5 Jahr nach Primärtherapie kamen 21,2% Rezidive hinzu. Nach 5 Jahren Nachsorge waren somit knapp 90% aller Rezidive aufgetreten. Im Unterschied zu den oben genannten Studien mit hohen Frührezidivraten scheint die mindestens 5-jährige Nachsorge in Tübingen ihre volle Berechtigung zu besitzen. Über 20% der Rezidive wären sonst nicht erkannt worden. Die von der UICC oder anderen Organisationen geforderte vollständige Nachbeobachtung von 80% der Patienten eines Kollektives, entweder bezüglich der Ereignisse „Tod“ oder „5Jahres-Überleben“ lässt sich naturgemäß in einem sich fortlaufend weiterentwickelnden Datensatz nicht realisieren [181]. Die Angaben zum Stand der Nachbeobachtung eines solchen Kollektivs sind also nur in begrenztem Umfang geeignet, eine Aussage über die Nachbeobachtungsqualität vorzunehmen. Im Tübinger Krankengut wurde eine sorgfältige Nachsorge betrieben. Insgesamt 22% aller Patienten waren bei Studienabschluss mit ihrer Nachsorge in Verzug geraten und hatten ihr jeweiliges Nachsorgeintervall von einem, zwei, drei oder sechs Monaten überschritten. Wie im Ergebnisteil erwähnt, wird dieser Wert jedoch dadurch relativiert, dass nach Abzug aller Patienten, die aufgrund des Studienendes die 5 jährige Nachbeobachtungszeit überhaupt nicht erreichen konnten, nur noch 12 Patienten (3,2%) verblieben, die als „lost to follow-up“ im engeren Sinne bezeichnet wurden. Dieser geringe Prozentsatz ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass im Rahmen dieser Studie alle Patienten mit Nachsorgeverzug von uns angeschrieben wurden und zu einer Wiedervorstellung in unserer Klinik geladen wurden. Auf diese Weise konnten etliche Patienten erneut rekrutiert werden. 90 Die meisten Todesfälle unter Patienten mit Plattenepithelkarzinomen, die innerhalb der 5Jahres-Nachsorgeperiode starben, ereigneten sich bei SNOW [182] innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnosestellung. Dies deckt sich mit den Feststellungen in unserem Patientengut. Hiernach sind 74,8% aller Patienten innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnosestellung gestorben, 21,6% innerhalb des dritten und fünften Jahres und nur 3,6% nach mehr als fünf Jahren. Es muss selbstverständlich bedacht werden, dass die Überlebensrate in Abhängigkeit von Tumorlokalisation, Tumorhistologie und Tumorstadium differierte. Der Anteil an Patienten, die innerhalb 2 Jahren nach Diagnosestellung verstarben, war bei HOFFMANN [37] unter Trägern von Plattenepithelkarzinomen und von nicht näher spezifizierten Karzinomen am größten. Im Gegensatz hierzu war die Überlebensrate bei Patienten, die an Adenokarzinomen erkrankt waren, über die einzelnen Nachsorgeintervalle hin konstant. Dies deckt sich mit den Angaben [183], dass eine auf 2-5 Jahre angesetzte Nachsorge für die Auswertung der Behandlungseffizienz von Plattenepithelkarzinomen ausreicht, hingegen wesentlich längere Nachsorgezeiten – z.B. 10-15 Jahre – im Falle von Adenokarzinomen notwendig sind. In unserer Studie wurden ausschließlich Plattenepithelkarzinome beobachtet die wie oben geschildert, eine durchschnittliche Überlebenszeit von 1,7 Jahren zeigten. HOFFMAN et al. [37] sehen insbesondere bei Patienten, die mit nur einer Therapieform behandelt wurden, die Indikation für eine engmaschige Nachsorge in den Folgejahren nach Diagnosestellung und Primärtherapie. Diesen Patienten bleiben mehr Behandlungsoptionen als Patienten, die bereits eine kombinierte Therapie (Operation und Radiotherapie) erhalten haben. Für letztere scheint die Nachsorge bedeutender für die Evaluation von Therapieergebnissen und zur Beruhigung der Patienten zu sein als sie von Nutzen und Einfluss auf die Überlebensrate dieser Patienten ist. Weitere Bedeutung erhält die Nachsorge für Patienten mit N0-Hals, die nicht chirurgisch behandelt wurden weil angenommen wird, dass eine engmaschige Nachsorge frühzeitig die Konversion eines N0-Halses in einen nicht-N0-Hals festzustellen vermag. Frühzeitig entspricht in diesem Zusammenhang einem Anfangsstadium, in dem die Lymphknotenmetastasen kurativ behandelt werden können. Arbeiten wie die von ANDERSEN [149] wiederlegen jedoch diese Annahme. Eine Vielzahl Patienten zeigte bei 91 prophylaktischer Lymphknotenentfernung bei klinischem N0-Hals bereits einen pathologischen Befund in der Histologie. Dies lies sich auch im eigenen Patientengut feststellen. In 10% fanden sich beim klinischen N0-Patient Lymphknotenmetastasen, womit ein Unterlassen der Neck dissection einer „Untertherapie“ gleich gekommen wäre. 5.4.2 Diskussion der Rezidive Die Unterscheidung zwischen einem neuen Primärtumor und einem Rezidiv beinhaltet signifikante prognostische Unterschiede. Derzeit beruht diese Unterscheidung hauptsächlich auf der Tumorlokalisation: wenn beide Veränderungen in demselben Gebiet liegen, wird die neue – histologisch identische - Veränderung als Rezidiv betrachtet, liegen beide an unterschiedlichen Orten, wird die zweite Veränderung als neuer Primärtumor bezeichnet [184]. Insgesamt trat in Tübingen bei 66 der 373 Patienten ein Erstrezidiv nach Abschluss der Therapie auf, entsprechend einer Rezidivrate von 17,7%. Dazu gehören insgesamt 46 Rezidive im Bereich des Primärtumorbettes (69,7%) und 20 Rezidive im Bereich des zervikalen Lymphabflussgebietes (30,3%). HILTMANN [113] kam in seinem Kollektiv auf eine Rezidivrate von 26,5%, wobei 10,3% im Bereich des Primärtumorbettes und 15,1% im Bereich des zervikalen Lymphabflussgebietes zu finden waren. Hinsichtlich des Auftretens von Halsrezidiven und dem histopathologischen Lymphknotenstatus zum Zeitpunkt der Primärtherapie ergab sich im vorliegenden eigenen Patientenkollektiv erwartungsgemäß eine Zunahme der Rezidivrate mit zunehmender pNKategorie. Während unter den Patienten der Kategorie pN0 5% ein regionäres Rezidiv entwickelten, betrug die Rate unter den Patienten mit positiver Lymphknotenhistologie 6,4%. In der Literatur ließen sich für pN0-Tumoren ähnliche regionäre Rezidivraten finden, MANN et al. [185] gaben 6,3% regionäre Rezidive an, HILTMANN [113] beobachtete in der pN0Kategorie 11,9% und in der pN+ -Kategorie 17,9%. Eine Erklärung für diese recht differierenden Angaben einerseits und die andererseits häufig trotz erfolgter Neck dissection den pN1-Tumoren ähnlich hohe regionäre Rezidivraten der 92 pN0-Tumoren könnte eine falsche histologische Diagnose sein. Es ist zu vermuten, dass zu einem unbekannten Prozentsatz nicht erkannte Mikrometastasen im zervikalen Lymphabfluss auch bei Patienten mit pN0-Kategorie verblieben, die für die ähnlich hohe Rezidivraten verantwortlich sind. 5.4.3 Diskussion der Zweittumoren Patienten, die bereits eine Therapie ihres Kopf-Hals-Tumors erhalten haben, sind im Vergleich zur Normalpopulation einem 10 bis 30 mal höheren Risiko ausgeliefert, einen Zweittumor im Kopf-Hals-Bereich zu entwickeln [186]. Auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Nachsorge dieser Patienten – mit der Möglichkeit einer entsprechenden frühzeitigen Therapieeinleitung und konsekutiv günstigerer Prognose - wurde von vielen Autoren eingegangen [186, 187]. Die Rate aufgetretener Zweittumoren betrug in der vorliegenden Arbeit 6,4%. Sie liegt damit unter der von MARCHETTA [188] festgestellten Rate von 7,5%, unter den 9,1% von JONES [42] und unter der von CIANFRIGLIA [189] beobachteten Rate von 14%. In unserem Kollektiv wurden die meisten Patienten nicht autopsiert, zusätzlich mögen klinisch „stumme“ Zweittumoren“ nicht diagnostiziert worden sein. Die wahre Rate an Zweittumoren liegt daher mit hoher Wahrscheinlichkeit über der in unserer Klinik gezählten Rate von 6,4%. SCHWARTZ et al. [190] bildeten in ihrer Untersuchung das Patientengut in eine Gruppe mit hohem Risiko, einen Zweittumor zu bekommen und in eine Gruppe mit niedrigem Risiko, einen Zweittumor zu bekommen. Die einzigen Patienten mit niedrigerem Risikopotenzial waren hierbei die Nichtraucher und Nichttrinker zum Zeitpunkt der Ersttumordiagnose. Alle weiteren liefen hohe Gefahr, einen Zweittumor zu entwickeln. Im Tübinger Kollektiv rauchten 79,2% aller Patienten mit Zweittumoren, 78,3% tranken regelmäßig Alkohol. Sie erfüllten damit Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von Zweittumoren im oberen Verdauungstrakt. Im Vergleich hierzu rauchten ebenfalls 79,2% aller Patienten ohne Zweittumor, jedoch „nur“ 68,5% tranken regelmäßig Alkohol. Es lässt sich bei uns demnach eine Häufung regelmäßig alkoholkonsumierender Patienten unter Trägern von Zweittumoren feststellen. 93 5.4.4 Diskussion der Fernmetastasen Die Häufigkeit von Fernmetastasen variiert in der Literatur erheblich mit Angaben zwischen 4% und 26% in klinischen Studien und 37% bis 57% in Autopsiestudien [191]. Die hier vorliegende retrospektive Arbeit zählt eine Fernmetastasenrate von 8%. Bei Betrachtung der Fernmetastasen bei Patienten mit Kopf-Hals Tumoren werden zwei unterschiedliche Situationen angetroffen: einerseits findet man Patienten, bei denen eine lokoregionäre Tumorkontrolle nicht erreicht werden konnte. Hier gehört das Auftreten von Fernmetastasen zur natürlichen Weiterentwicklung der Tumorerkrankung. Auf der anderen Seite kommt es in einer unterschiedlichen Anzahl von Patienten zur Entwicklung von Fernmetastasen, obwohl lokoregionäre Tumorkontrolle erreicht wurde. Diese Patientengruppe hätte geheilt sein können, wenn nicht Fernmetastasen aufgetaucht wären. Es wird angenommen, dass sich bei diesen Patienten Fernmetastasen aufgrund subklinischer Tumorzellstreuung entwickeln, die bereits während der Behandlung des lokalen Tumorgeschehens stattgefunden hat [191]. In unserem Kollektiv traten bei mindestens 27,6% der Patienten, bei denen eine Vollremission angenommen wurde und bei mindestens 37% der Patienten, die postoperativ keinen Residualtumor aufwiesen (R0-Resektion), Fernmetastasen auf. Bei geringer Fallzahl als auch vermutlich häufig okkulter Fernmetastasen sind diese Werte als Mindestangaben zu sehen und müssen insgesamt kritisch betrachtet werden. Die Manifestation eines lokalen und/oder regionären Tumorrezidivs hat nahezu eine Verdreifachung der Fernmetastasenrate zur Folge [192, 193]. Im eigenen Kollektiv errechneten wir eine sogar eine Steigerung der Fernmetastasenrate um das 4,7-Fache bei Patienten mit Tumorrezidiven verglichen mit dem Klinikgesamtkollektiv. Alle Autoren scheinen sich einig zu sein, dass die meisten Fernmetastasen innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnosestellung klinisch apparent werden. Gleiches gilt für unsere Studie, in der 93% aller Fernmetastasen innerhalb der ersten zwei Jahre Nachsorge diagnostiziert wurden, 70% sogar schon im ersten Jahr. 94 5.4.5 Vergleich der Nachsorge im Klinikkrankengut und im DÖSAK-Krankengut Die Vollständigkeit der Nachbeobachtung stellt im DÖSAK – Tumorregister das größte Problem dar. Richtlinien für Prognosestudien fordern eine „Nachbeobachtungsrate“ von ≥ 80% der Patienten bis zu einem Hauptstudienendpunkt oder dem Studienende [194]. Nach diesem Grundsatz müssen für wissenschaftliche Auswertungen 80% aller Patienten verstorben sein oder das 5-Jahresüberleben erreicht haben. Maximal 20% der Patienten dürfen ohne Endzeitpunkt (= Tod oder Nachsorgedatum > 5 Jahre) sein. Diese Patienten werden als „lost to follow-up“ bezeichnet. Im DÖSAK-Gesamtkollektiv lag dieser Anteil bei 43%, nach Abzug aller Patienten, die das 5-Jahresüberleben überhaupt erreichen konnten, reduzierte sich dieser Anteil auf 22,7%. Im eigenen Kollektiv erzielten wir 22% bzw. 3,2% „lost to follow-up“ Patienten. Dies niedrige Rate im eigenen Patientengut ist, wie bereits erläutert, unter anderem auf gezieltes Anschreiben nachlässiger Patienten zurückzuführen. Bezüglich der Häufigkeit von Rezidiven fallen kaum Unterschiede zwischen beiden Kollektiven auf, im DÖSAK-Gesamtregister wurden insgesamt 2% weniger Rezidive dokumentiert. Fernmetastasen und Zweittumoren tauchten dafür im Gesamtregister geringfügig häufiger auf als im eigenen Patientengut, in beiden Gruppen jedoch ohne statistische Auffälligkeiten. Es sind somit keine Vor- oder Nachteile der jeweils gewählten Therapiestrategien offensichtlich, die sich hauptsächlich dahingehend unterschieden, dass in Tübingen seltenst chemotherapiert wurde. Den Patienten des Gesamtregisters kann, auch wenn sie diesem Therapiearm zusätzlich unterzogen wurden, kein Benefit bezüglich rezidivfreier Überlebenszeit oder 5-JÜberlebensrate zugesprochen werden. 95 5.5 Diskussion des Abschlusses Todesursachen In unserem Kollektiv war der Tod in 62% tumorabhängig, bei weiteren 14% fraglich tumorabhängig. Damit liegen wir sehr nahe an den von SLOOTWEG et al. [195] aus ihrer Autopsie-Studie ermittelten 68% tumorabhängig Verstorbener. Es ist immer kritisch, im Rahmen klinischer Studien Aussagen zur Todesursache treffen zu wollen, die autoptisch nicht gesichert wurden. Inwieweit die Angabe 62% tumorabhängig verstorbener Patienten korrekt ist, kann somit abschließend nicht beurteilt werden. Das Durchschnittsalter zum Todeszeitpunkt lag in unserer Studie mit 60 Jahren unter dem von SLOOTWEG et al. [195] konstatierten Alter von 63 Jahren. 96 6. Zusammenfassung In der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Tübingen wurden im betrachteten Zeitraum vom 01.04.1989 bis 31.05.1999 insgesamt 574 Patienten mit einem Malignom im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich nach den Kriterien des DÖSAK-Tumorregisters dokumentiert. Davon wurden im Rahmen dieser retrospektiven Studie 373 Patienten mit primären, unvorbehandelten Plattenepithelkarzinomen der Lippen, der Mundhöhle und des Oropharynx näher betrachtet, die den Kern dieser Arbeit bilden. Die retrospektive Auswertung der Krankenunterlagen der 373 Patienten hinsichtlich Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Metastasierungsverhalten sowie Rezidiv- und Überlebensraten ist Gegenstand der vorliegenden Dissertationsschrift. Im Dezember 2000 endete die zentrale Dokumentation von Tumoren des Kopf-HalsBereiches im Tumorregister des DÖSAK mit den bis dahin üblichen ADT Bögen (Version III). Es war daher ein weiteres Ziel dieser Arbeit, das Tübinger Kollektiv in Gegenüberstellung mit anderen Kollektiven aus der Literatur zu diskutieren als auch mit dem Gesamtkollektiv des DÖSAK zu vergleichen Die Geschlechtsverteilung zeigte mit 3,3 : 1 Männer zu Frauen eine deutliche Bevorzugung des männlichen Geschlechts. Das Verhältnis lag damit zwar im Rahmen der in der Literatur gefundenen Verhältnisse von 1,5 : 1 bis 4 : 1, zeigte aber nicht den derzeitig zu beobachtenden Trend der Häufigkeitsangleichung beider Geschlechter. Der Altersgipfel lag für Männer zwischen 55 und 60 Jahren, für Frauen zwischen 60 und 65 Jahren und befand sich damit im oberen Bereich der Alterspanne aktueller Kollektive in Europa. Die typischen Risikofaktorenkonstellation aus Alkoholkonsum, Tabakkonsum und schlechter Mundhygiene fand sich in großer Anzahl hauptsächlich bei männlichen Patienten, eine Einschränkung in der 5-J-ÜR erfuhren dabei allerdings nur die Potatoren unter ihnen. Der Zusammenhang zwischen den Prognosefaktoren Tumordicke, Infiltrationstiefe, Grading und Rezidivrate konnte in dieser Studie bestätigt werden. Der Prognosefaktor Tumordurchmesser korrelierte jedoch mit zunehmendem Durchmesser negativ mit der Lokalrezidivrate und es zeigte sich auch keine statistisch signifikante Abnahme der 5-J-ÜR mit zunehmendem Tumordurchmesser. Die besondere Bedeutung des Lymphknotenstatus konnte eindrücklich geschildert werden: Patienten mit singulärem Lymphknotenbefall zeigten kaum Einbusen in der 5-J-ÜR gegenüber N0-Patienten, mit steigender Zahl positiver 97 Lymphknoten viel die 5-J-ÜR dann ab und speziell bei Patienten mit extrakapsulärem Tumorwachstum sank sie auf 22%. Ebenso gewichtig erschien die R-Klassifikation mit enormen Unterschieden in der 5-J-ÜR: 46% für R0-Resektionen, 10% für R1-Resektionen. In der Arbeit folgte ein kurzer Überblick über gewählte diagnostische Methoden in unserer Klinik. Auffallend im Vergleich zur Literatur war die häufig gewählte Computertomographie und gleichermaßen selten gewählte Sonographie als diagnostisches Mittel. Die Treffsicherheit im Zuge des Staging durch Computertomographie war mit 81,7% befriedigend hoch und mit Ergebnissen aus der Literatur vergleichbar. Bezüglich der Therapie fiel der Vergleich zu anderen Kollektiven mit jeweilig unterschiedlichsten Therapiemodi schwer, die Überlebensraten deckten sich zumindest weitgehend. Unterschiede diesbezüglich fielen bei der Diskussion elektiver Lymphknotenausräumungen auf, bei denen in Tübingen deutlich höhere 5-J-ÜR erzielt werden konnten. Beim Auftreten von Rezidiven, Fernmetastasen und Zweittumoren lag das Tübinger Kollektiv im unteren Bereich der gefundenen Häufigkeiten. Angenommen wurde hierfür ein hoher Prozentsatz okkulter Tumoren / Rezidive und Lücken in der Dokumentation. Wie in anderen Studien beobachtet, verstarben im beobachteten Kollektiv mindestens 62% tumorabhängig. Die allgemeine 5-Jahres-Überlebensrate der überwiegend radikal operierten Patienten betrug 58%, zeigte jedoch in den ersten vier Jahren der Überlebensrate einen insgesamt flacheren Kurvenverlauf als vergleichbare Kollektive aus der Literatur. Jedem Diskussionsteil im Anschluss folgte in dieser Arbeit ein Vergleich zwischen dem DÖSAK-Gesamtkollektiv und Dokumentationsrichtlinien war dem eine eigenen Kollektiv. umfangreiche Aufgrund Gegenüberstellung gleicher prä- und posttherapeutischer Ergebnisse möglich. Kaum eine Unterscheidung fand sich in der Verteilung der Tumorentitäten, Tumorlokalisationen, der Risiko- und Prognosefaktoren. In Tübingen wurden indes wesentlich mehr Patienten in das pathologische Stadium IV eingestuft, wobei im Gesamtregister die besonders hohe Ziffer ohne Angaben zum Tumorstadium jeglichen Vergleich relativierte und in Frage stellte. Die Unterrepräsentierung der Ultraschalldiagnostik und das Überwiegen der Computertomographie in Tübingen war auch im Vergleich zum DÖSAK-Krankengut augenscheinlich. 98 Abgesehen von der seltenst angewandten Chemotherapie im eigenen Kollektiv unterschieden sich die therapeutischen Wege kaum. Die 5-J-ÜR radikal operierter Patienten lagen mit 58% (Tübingen) und 57% gleichauf, wenn auch der Kurvenverlauf im Tübinger Kollektiv wesentlich flacher verlief und erst im vierten Jahr einen starken Einbruch (16%) erlitt. Richtlinien für Prognosestudien entsprechend konnte die Nachsorge in beiden Kollektiven mit geringer Anzahl an „lost to follow-up“ - Patienten als gut bezeichnet werden, wobei die niedrige Rate unzureichend nachbeobachteter Patienten im eigenen Kollektiv den Anstrengungen im Rahmen dieser Studie gutzuschreiben ist. Wenn im Rahmen einer retrospektiven Studie vorsichtig mit dem Begriff der Signifikanz umzugehen ist, so fallen im Vergleich zu anderen Studien zumindest keine statistisch auffälligen Nachteile für unsere Patienten in Bezug zu den jeweiligen Überlebensraten auf. Das diagnostische und therapeutische Konzept der MKG-Klinik der Universität Tübingen scheint sich somit unter Berücksichtigung der Rezidivraten und kumulierten Überlebensraten bewährt zu haben. 99 100 7. Literaturverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Morgenroth, K., A. Bremerich, and D.E. Lange, Geschwülste der Mundhöhle, in Pathologie der Mundhöhle. 1996, Lange, D E: Stuttgart-New York. p. 208-254. Ganly, I., D. Soutar, and S. Kaye, Current role of gene therapy in head and neck cancer. Eur J Surg Oncol, 2000. 26(4): p. 338-43. Ordung, R., Der Einfluß des Alters auf das Überleben von Patienten mit Mundhöhlenkarzinomen. Ergebnisse aus den Jahren 1981-1991, in Wuerzburg. 1992, Wuerzburg: Wuerzburg. Husseiny, G.E., et al., Squamous cell carcinoma of the oral tongue: an analysis of prognostic factors. Br J Oral Maxillofac Surg, 2000. 38: p. 193-199. De Vita, V., Progress in cancer management. Keynote address. Cancer, 1983. 51: p. 2401-2408. Green, L., R. 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Lebenslauf Christian Adam Persönliche Angaben: Familienstand: ledig Staatsangehörigkeit: deutsch geb.: 05.05.75 Geburtsort: Stuttgart Schulische Ausbildung: 1981- 1984: Grundschule Grötzingen,Baden-Württemberg 1984- 1994: Hölderlin-Gymnasium Nürtingen, Bad.- Württ. Universitäre Ausbildung: Apr. 1995 – Nov. 2001: Studium der Humanmedizin in Tübingen 21.11.2001: 3. Staatsexamen Humanmedizin Apr. 1997 – Nov. 2002: Studium der Zahnmedizin in Tübingen 29.11.2002: Staatsexamen Zahmedizin Beruflicher Werdegang: Seit Jan. 2002: Arzt im Praktikum in der Klinik- und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Tübingen Sonstige Qualifikationen: Computer: Neugestaltung von Datenbanken zu medizinischen Zwecken (MS Access, Filemaker) Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch 113