8 Aton - kein neuer Gott Bevor zu erörtern ist, warum Echnaton auf Aton verfallen sein könnte, soll zunächst etwas zu Aton selbst gesagt werden, zumal manches der folgenden Ausführungen auch für die von mir vorgeschlagenen Erklärungen eine Rolle spielt. Zunächst mal ist hervorzuheben, dass der Gott Aton bzw. Aton-Re keine Schöpfung Echnatons ist, sondern schon vor ihm da war: „Der Sonnenkult war im alten Ägypten zu allen Zeiten lebendig, und die Sonne hatte verschiedene Aspekte, die sich als besondere Götter oder verschiedene Erscheinungsformen ein und desselben Gottes darstellten. Unter den verschiedenen Sonnengöttern oder Aspekten des Sonnengottes hatte es jedoch bis zur Mitte der achtzehnten Dynastie keinen Aton gegeben. Das Wort ,Aton‘ bezeichnete die Sonnenscheibe, den Sitz des Gottes, nicht den Gott selbst. Indes wurde die lebensspendende und lebenserhaltende Kraft der Sonnenscheibe auch schon vor der Zeit Echnatons vergöttert. Die Barke, in der Amenophis III. und Teje auf ihrem Palastsee segelten, hieß ,Strahlen des Aton‘; ja schon unter Thutmosis IV. lassen sich Spuren der Gottheit Aton entdecken: Auf einem großen Gedenk-Skarabäus erklärte der Pharao, Aton sei ihm im Kampf vorausgeschritten, und er selbst habe in fremden Ländern Schlachten geschlagen, um die Fremden dazu zu bringen, wie das ägyptische Volk zu sein, damit sie Aton immerdar dienen könnten. Unter Amenophis III. war ein gewisser Ramose zugleich Amun-Priester und ,Oberverwalter im Tempel des Aton‘. Außerdem forderte eine Inschrift Amenophis III. auf, Amun-Re zu bewegen, dem Schreiber der Schatzkammer im Tempel des Aton namens Penbui eine Totengabe zu gewähren. Schon vor der Amarna-Zeit hatte also Aton einen Tempel in Theben, und seine Beziehungen zu Amun schienen nicht unfreundlich zu sein. Man könnte aufgrund dieser Texte sogar vermuten, dass Amenophis III. einen Aton-Schrein auf dem Gelände des Amun-Tempels in Karnak oder dicht daneben errichtet haben mochte. Auf keinen Fall hat also Echnaton die Philosophie der Lebensspenden Sonnenscheibe erfunden; sie war vor ihm da.“ (J. A. Wilson in Band I/2. der Propyläen-Weltgeschichte, Seite 499 ff., Hervorhebungen von mir). Diese Aussagen dürften auch von der gesamten Fachwelt geteilt werden. Warum der Hass auf Amun? Wenn man sich fragt, wann und warum es zum Konflikt mit Amun gekommen ist, dann könnte dies vor allem ein Widerstand der Amun-Priesterschaft gegen den Bau des großen Aton-Tempels gewesen sein. Dies ging sicher auf Kosten des Amun-Tempels, vielleicht hat er sogar in Landrechte des Amun-Tempels eingegriffen. Dass es irgendwelche Konflikte gegeben hat, ist eindeutig, denn auf einer der frühen Grenzstelen Amarnas spricht der König auch von schlimmen Vorfällen in den vorausgegangenen Jahren seiner Regierung. Er ordnet u. a. anderem an, dass man ihn, Nofretete, seine Tochter Merit-Aton, den schon erwähnten Mnevis-Stier und auch seine Beamten später in der neuen Hauptstadt Amarna bestatten solle und dass es sehr schlimm wäre, wenn dies nicht geschehen würde. Dies sei dann noch schlimmer als das, was er und seine beiden Vorgänger früher hören oder erfahren mussten. Der diesbezügliche Text auf der nur unvollständig erhaltenen Stele lautet: „So wahr aber mein Vater Re-Harachte, der im Horizont jubelt ..., lebt ... so ist das (das Unterlassen der Begräbnisse) schlimmer, als was ich im 4. Regierungsjahr hörte, so ist das schlimmer, als was ich im (?) Regierungsjahr hörte, so ist das schlimmer, als was ich im 1. Regierungsjahr hörte, so ist das schlimmer, als was Neb-Maat-Re (Amenophis III.) hörte, so ist das schlimmer, als was Men-Cheperu-Re (Thutmosis IV.) hörte ...“ (Schlögl: Echnaton-Tutanchamun, 107 sowie Helck: Urkunden der 18. Dynastie, 342). Es muss sich also jemand, und dafür kommt vor allem die Amun-Priesterschaft infrage, wiederholt in die Politik eingemischt oder sich Maßnahmen des Pharaos widersetzt haben; im 4. Regierungsjahr Echnatons vermutlich dem Bau des Aton-Tempels. Es wäre allerdings auch mal zu erwägen, ob in diesem Zusammenhang oder zuvor nicht vielleicht noch mehr geschehen ist oder verlangt wurde, eventuell sogar ein Absetzen Echnatons als Pharao. 9 Abb. 2: Echnaton, geschlechtslos, als vergöttlichtes Wesen Vater und Mutter zugleich. Heute im Ägyptischen Museum Kairo. 10 Die Ereignisse waren auf jeden Fall folgenschwer, denn sie bewirkten letztlich Echnatons Umzug nach Amarna. Dieses Eingreifen der Priesterschaft im Jahre 4 dürfte, wie ja auch schon aus dem Text der Stele hervorgeht, auch nur eine weitere Phase im Verlaufe schon vorher entstandener Auseinandersetzungen gewesen sein. Und es kann auch nicht nur die Priesterschaft oder eventuell nur der Oberpriester des Amun derjenige gewesen sein, der sich Echnaton widersetzte, denn dann hätte es genügt, diesen durch einen anderen zu ersetzen; dann hätte er nicht den Gott selbst verfolgen müssen. Nach Echnatons Überzeugung muss es wohl der Gott gewesen sein, der sich wiederholt gegen ihn wandte; d. h., es müssen wohl sogenannte Orakelsprüche des Gottes gegen Echnaton verkündet worden sein. Die These Velikovskys Die Idee, dass der Hass Echnatons auf Amun auf einen gegen ihn erlassenen Orakelspruch zurückzuführen ist, stammt nicht von mir, sondern von Velikovsky. Sie war ein wesentlicher Bestandteil seiner Auffassung, dass die Überlieferungen über Echnaton der historische Hintergrund der Ödipus-Sage der griechischen Welt seien, dass Ödipus in Wirklichkeit der nur fälschlicherweise vom ägyptischen in das griechische Theben verlegte Echnaton sei. Und analog der griechischen Ödipus-Sage postulierte Velikovsky, dass der Spruch Amuns gegen Echnaton darin bestand, dass das Kind Unheil über das Land bringen würde, eigentlich getötet werden müsse und dass Echnaton nur durch einen Diener gerettet worden sei, in dem er dann den späteren Kammerdiener Parennefer sehen will. (Velikovsky: Ödipus und Echnaton, 89-90). So sehr mir Velikovskys Orakel-Theorie grundsätzlich einleuchtete, so wenig konnte ich mich jedoch mit dem anfreunden, was er dem Orakelspruch inhaltlich unterstellte, nämlich die Tötung eines gerade geborenen Kindes. Und wenn man sich fragt, auf welchem Gebiete oder womit sich Amun sonst gegen Echnaton gewandt haben könnte, dann drängt sich als Antwort der Komplex auf, bei dem während der 18. Dynastie eine wiederholte Einflussnahme durch Orakel nachgewiesen ist: die Thronfolge. Assmann schreibt dazu: „Wir haben (dies) besonders im Zusammenhang des thebanischen Amun-Kultes festgestellt, wo die Königsinschriften von orakelhaften Eingriffen Amuns in die Thronfolge berichten“ (Ägypten, 265). Derartige Eingriffe sind bei der Thronbesteigung der Hatschepsut und auch bei der ihres Nachfolgers Thutmosis' III. überliefert. Auch Thutmosis IV. führte auf göttlichen Einfluss zurück, dass er Pharao wurde, in seinem Fall auf Harmachis, einer in der Sphinx von Gisa verkörperten solaren Gottheit, die ihm im Traum erschienen und ihm die Königswürde versprochen haben soll, wenn er die Sphinx vom Sand befreien würde. „Dass Götter, bzw. zumeist ihre Kultstatuen, Befehle, Ratschläge und Auskünfte oder in Rechtsangelegenheiten Urteile verkünden, ist in Ägypten von der 18. Dynastie bis in die Römerzeit belegt. Aus letzterer Epoche wurden sogar Statuen gefunden, bei denen durch ein kleines Rohr die Stimme eines Priesters zu der Statue weitergeleitet werden konnte“ (LdÄ, Stichwort: Orakel). Eine neue Deutung Ich möchte deshalb als Erstes die Hypothese aufstellen, dass der Hass Echnatons gegen Amun dadurch bedingt war, dass der Gott sich wiederholt gegen ihn gewandt hatte, ihn eventuell von der Thronfolge ausschlossen bzw. ihm die Pharaonenwürde abgesprochen hatte. Die Begründung des Gottes könnte seine körperliche Konstitution gewesen, d. h. seine von der Norm abweichende Gestalt, die ihn in den Augen der Priesterschaft als ungeeignet für einen Pharao erscheinen ließ. Ein derartiger Spruch könnte natürlich schon im Säugling- oder Kindesalter des späteren Echnatons erfolgt sein. In meinen Augen ist es aber auch möglich oder sogar wahrscheinlicher, dass kritische Äußerungen des heranwachsenden jungen Mannes, z. B. über die damalige Praxis des Götterkultes, die Priesterschaft des Amun zu einer Gegenreaktion veranlasst haben, wobei vielleicht als Gründe für die Ablehnung Echnatons seine körperlichen Gebrechen vorgeschoben wurden. Akzeptiert man das, dann drängt sich noch eine weitere Hypothese auf: dass nämlich von einer anderen Priesterschaft ein schon genial zu nennender Coup inszeniert wurde, nämlich von der des Aton. Sie spricht sich nicht nur für dieses Kind bzw. für den jungen Mann aus, sondern bezeichnet es als Sohn 11 ihres Gottes, des Aton, und seine Missbildungen sogar als Beweis dafür. So lässt sich jedenfalls am besten begründen, dass Echnaton später seine körperliche Konstitution gerade als sein „Markenzeichen“ betont, übertreibend darstellen lässt, insbesondere bei seinen Kolossal-Statuen im Aton-Tempels zu Theben. Auch der schon pathologische Hass auf Amun lässt sich am besten als Reaktion auf dessen negative Orakel erklären und weiterhin auch der überlieferte Ablauf der historischen Ereignisse. Da ich, wie schon anfangs erwähnt, keine Beweise für diese Hypothese habe, kann ich natürlich erst recht nicht sagen, ob die Behauptungen der Aton-Priesterschaft lediglich als Reaktion auf ein negatives Orakel Amuns erfolgten oder eventuell sogar als erstes Orakel verkündet wurden und damit Anlass für Gegenreaktionen der Amun-Priesterschaft gaben. Das Wesentliche meiner Theorie ist das Ergehen von Orakelsprüchen, egal wann sie erfolgten, von wem sie ausgingen und wie sie im Detail lauteten. Und ein Detail meiner Hypothese wäre die Hinwendung Echnatons zu Aton aufgrund eines Orakels, das ihn zum Auserwählten und zum Sohn gerade dieses Gottes erklärte. Derartiges, wie die angebliche Zeugung durch einen Gott war im alten Ägypten nichts Neues: Die Pharaonen der 5. Dynastie galten als Söhne des Sonnengottes Re; gezeugt von ihm in der Gestalt des pharaonischen Vorgängers. Hatschepsut führte ihre Zeugung auf Amun zurück, wie sie in ihrem Totentempel in Deir el-Bahri behauptet; dasselbe ließ Amenophis III. von sich im Luxor-Tempel darstellen. Nur soll jetzt auf einmal der bisher fast unbekannte Gott Aton der Vater eines zukünftigen Pharaos sein; kein Wunder, dass sich dagegen die Priesterschaft des Amuns zur Wehr setzte. Wurzeln in der Vergangenheit? Die Hinwendung Echnatons zu Aton wäre allerdings auch ohne ein Orakel erklären - oder dieses wäre dann wahrscheinlich zusätzlich hinzugekommen -, wenn nämlich die Wurzeln des Konfliktes mit Amun schon in die Zeit seines Großvaters Thutmosis IV. zurückreichen. Echnaton berichtete ja auf den frühen Grenzstelen Amarnas, dass Amenophis III. und auch Thutmosis IV. schon Schlimmes gehört hätten. Auch dabei könnte es sich um den Komplex der Thronfolge gehandelt haben. Bei Thutmosis IV. gibt es sogar ein Indiz dafür, könnte dies damit zusammenhängen, dass angeblich die Sphinx bzw. Harmachis ihn zum Pharao gemacht hätten: „Die zur Thronfolge erforderliche göttliche Erwählung verlegte Thutmosis IV. nach Memphis, wo er als Kronprinz stationiert war.“ (LdÄ, Stichwort: Thutmosis IV.). Dies könnte der Priesterschaft des Amun in Theben missfallen haben, weil diese - zumindest seit Hatschepsut und Thutmosis III. - für sich das Recht beanspruchte, den Pharao zu erwählen bzw. bei seiner Ernennung mitzuwirken: „Die Erwählung zum Königsamt kann seit der 18. Dynastie auch mithilfe einer öffentlich zelebrierten, orakelartigen Handlung erfolgen, wie u. a. bei Thutmosis III. und Hatschepsut beschrieben. Der zukünftige König begegnet dabei dem Gott, in diesen Fällen Amun, bei einer Festprozession im Karnaktempel, und das Götterbild gibt durch ein als ,Wunder‘ charakterisiertes Zeichen den Umstehenden zu erkennen, auf wen seine Wahl gefallen ist“ (LdÄ, Stichwort: Königsberufung). Auf eine eventuelle Verärgerung der Amun-Priesterschaft über die Ausschaltung Amuns bei der Thronerhebung Thutmosis IV. und auf einen entsprechenden Orakelspruch Amuns könnte Echnaton also anspielen, wenn er auf den frühen Grenzstelen Amarnas erwähnt, dass auch schon zu Zeiten seines Großvaters Schlimmes zu hören gewesen wäre. Bei Amenophis III. wäre möglich, dass dieser als Preis für seine Thronbesteigung Zugeständnisse an Amun bzw. dessen Priesterschaft machen musste. Vielleicht musste er bloß akzeptieren, dass er wieder durch ein Orakel Amuns zum Pharao ausgerufen oder bestätigt wurde, vielleicht auch, dass Amun sein Erzeuger und wahrer Vater sei. Derartiges ließ ja Amenophis III. in dem sogenannten Geburtszimmer des Luxortempels darstellen; anstatt einer gewollten Ableitung seiner Herkunft von Amun wäre dies dann eine erzwungene Darstellung gewesen.