Der Vertrag von Tordesillas E NDE P LUNK TE S CWHIC KSA S TAGE Am 7. Juni 1494 wird eine kleine Stadt zum Schauplatz einer der größten Anmaßungen der Geschichte: Spanien und Portugal ziehen eine ­Linie über den Globus, scheiden die bekannte und die unbekannte Welt mit einem Strich in Dein und Mein. Die große Frage bleibt: Wer erreicht zuerst die Rückseite der Erde, wo Schätze auf den Bäumen wachsen? DIE TEILUNG DER WELT VON MATTHIAS GLAUBRECHT [TEXT] BANDA, MOLUKKEN IM FRÜHJAHR 1512 Die »Flora de la Mar«, eines jener Schiffe, mit denen Portugal sich den Weg zu den Inseln der Muskatnuss freikämpfte (Nachbau im Marine­ museum von Malakka). Die darübergelegte Schrift ist der Originalvertrag von Tordesillas Weit über das Wasser hinaus aufs Meer schwebt der köstliche Duft. So riechen die Männer die Inseln, lange bevor der steile Vulkankegel des Gunung Api vor ihren Augen aus den Fluten wächst. Sie haben die Bandas erreicht – sechs winzige Felsen-­ Eilande, zusammen kaum größer als die Fläche Lissabons. Wie wird sich António de Abreu gefühlt haben, als er die „Santa Catarina“ auf die nördlichste der Inseln, Banda Neira, ­zusteuern lässt? Womöglich ahnt er, dass er seinem Land mit dieser eigentlich winzigen Entdeckung die Vormachtstellung in Europa sichern kann. Dass er aber darüber hinaus einen bislang im Abendland völlig unbekannten Ozean erreicht hat – das wird der junge Portugiese selber nie recht erkennen. Mehr noch: Ein paar Hundert Jahre später wird sich kaum jemand, nicht einmal in seinem Heimatland Portugal, an den Namen jenes Mannes erinnern, der doch der eigentliche Kolumbus war – der wahre Entdecker der Gewürzinseln. Und des ­sagenhaften „Südmeeres“. António de Abreu, zu dieser Zeit Anfang 30, ist Kommandant der Expedition. Mit dem großem Vorstoß der Portugiesen in Richtung Osten war er nach Asien gekommen, war 1507 an der Eroberung von Hormus am Eingang des Persischen Golfs und 1510 bei der Einnahme Goas in Indien beteiligt. Und jetzt, endlich, ist er an der Quelle jenes sagenhaften Reichtums angekommen, den bislang nur arabische Händler ausbeuten und mit märchenhaften Gewinnspannen weiterverkaufen konnten: Um aromatische Kostbarkeiten geht es, die, nach Aufschlag weiterer märchenhafter Gewinnspannen, von gewieften Venezianern bis nach Europa gehandelt werden. Schiff um Schiff haben die großen Seemächte ausgesandt, um diese Eilande zu finden, über Generationen hinweg. Denn die Bandas, am östlichen Rande Asiens im heutigen Indonesien gelegen, sind Heimat der „goldenen Frucht“. Wer diesen Ort kennt oder ihn gar besitzt, der wird beherrschen, was man zu ­jener Zeit erstmals „Welthandel“ hätte nennen können. Denn nur hier, hinter dem Ende aller von Europäern vermessenen Geografie, auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden der Bandas, gedeiht sie: die Muskatnuss. Als die beiden Schiffe Abreus näher kommen, erblicken seine Männer auf den Hängen einen lichten Wald aus bis zu 15 Meter hohen Bäumen, deren Laub an Lorbeer erinnert. An Land wähnen sich die Männer im Paradies: Die Zweige eines jeden Baumes tragen Hunderte fleischiger Früchte, die in Farbe und Umfang an Aprikosen erinnern. Unter dem Fruchtfleisch liegt der braune Samen, von einem leuchtend roten Mantel umgeben. Als Muskatblüte oder Macis ist diese Samenhülle bei Kaufleuten und in den Küchen Europas beinahe ebenso begehrt wie der harte, knapp walnussgroße Kern selbst. Denn die Muskatnuss ist nicht nur Gewürz und Ingredienz edler Düfte. Sie gilt auch als Arznei, oft gar als Wundermittel ­gegen allerlei Nöte, etwa „Erbrechen, Ohnmacht, Herzzittern, Baumgrimmen und Lendengries“, wie ein zeitgenössischer Chronist notiert. Abreus Expedition ist der Ziellauf auf der letzten Etappe, mit der das Abendland die Rückseite der Welt erreicht – und erstmals den Pazifik, wie er später genannt werden wird. Das bringt eine Weltordnung aus den Fugen, die gerade erst von Königen und Päpsten als verbindlich festgeschrieben worden war. Und die als eine der größten Anmaßungen in der Menschheitsgeschichte gelten darf; zu Papier gebracht fast genau ein Jahr nach der Rückkehr des Christoph Kolumbus von den Gestaden einer neuen Welt. 0 2 | 2 0 14 GEO 107 Die erste erhaltene Karte, auf der ein neuer Kontinent und die westindischen Inseln ver­ zeichnet sind. Östlich davon deutlich sichtbar: senkrecht die TordesillasLinie. Alexander von Humboldt entdeckte das um 1500 in Spanien entstandene Werk bei einem Antiquar TORDESILLAS, AM DUERO, IN KASTILIEN – 7. JUNI 1494 „Don Ferdinand und Doña Isabella, von Gottes Gnaden König und Königin von Kastilien, León, Aragón . ..“ – so beginnt der Se­ kretär Fernando Álvarez von Toledo die Niederschrift des Doku­ ments. In weitschweifigen Phrasen kreist er seinen Gegenstand auf sechs Folioseiten ein. Dass nämlich „eine gewisse Auseinan­ dersetzung darüber besteht, wem jenes Land gehört, das bis zum heutigen Tag jenseits des Meeres gefunden wurde“. Das ist, gelinde gesagt, untertrieben. Eher ist es ein erbitter­ ter Streit, in den sich die beiden iberischen Königshäuser Portu­ gal und Spanien verstrickt haben, seit Kolumbus zeigen konnte, dass der Atlantik im Westen ein Ende hat und dass sich dort, an seinem jenseitigen Ufer, ein kostbare Schätze verheißendes Land erstreckt. Kolumbus war in Diensten der Spanier gefahren – nachdem er Johann II., König von Portugal, nicht von der Sinnhaftigkeit ­einer Entdeckungsfahrt nach Westen hatte überzeugen können. Ein herber Rückschlag für den Herrscher der Portugiesen – denn war es doch seine Nation gewesen, die über das gesamte, nun fast vergangene Jahrhundert hinweg vor allen anderen gelernt hatte, auf dem Meer nach den Gestirnen zu segeln und mit ­Jakobsstab, Quadrant und Astrolabium zu navigieren. Die Portugiesen hatten als Erste jene wendigen Schiffe ent­ wickelt, mit denen sich sogar gegen den Wind kreuzen ließ. Sie erreichen die Azoren, Madeira, die Kanaren, die Kapverdischen Inseln; segeln an der Küste Afrikas weiter gen Süden. Die Meere gehören ihnen. Nun aber, mit dem Anspruch Spaniens auf die unermessliche „Neue Welt“, von der Kolumbus einen Zipfel sah, droht eine militärische Konfrontation – die keine der beiden Handelsmächte will. So einigen sich die Kontrahenten schließlich in zähen Ver­ handlungen darauf, dass im Atlantik „eine Grenze oder gerade Linie“ gezogen werde, „von Nord nach Süd, quer durch den be­ sagten Ozean“. So notiert es der Sekretär in Tordesillas. 108 GEO 0 2 | 2 0 14 Zufrieden dürfte an dieser Stelle der Verhandlungsführer auf portugiesischer Seite genickt haben. Er weiß, wie wichtig sei­ nem König diese Festschreibung ist. Johann II. hat ihn hierher nach Tordesillas geschickt, einer kleinen Stadt am steilen Ufer des Duero in der kastilischen Ebene, um den Spaniern eine De­ markationslinie abzutrotzen, die möglichst weit im Westen liegt. So behält Johann die Kontrolle über die Westküsten Afrikas – und die Chance, auf der Route um das Kap der guten Hoffnung zu den Gewürzinseln zu gelangen. Und vielleicht kannten die Portugiesen sogar schon jene Ge­ stade Südamerikas, die nach Osten in den Atlantik ragen, heute zu Brasilien gehörend – und handelten sie den Spaniern durch die Führung der Demarkationslinie listig ab. Für Portugal ist es jedenfalls eine Strategie der Schadens­ begrenzung. Denn es existierte bereits eine solche Linie von Pol zu Pol, die allerdings viel näher an Europa verlief. Zu nahe für Portugal. Das spanische Königspaar hatte sie unmittelbar nach Kolumbus’ Rückkehr von Papst Alexander VI. festlegen lassen (der ebenfalls aus Spanien stammte). Spätere Generationen ­werden sagen, der Pontifex habe den Erdball wie einen Apfel in zwei Hälften gespalten, von denen er die eine Kastilien, die andere Portugal reichte. Doch dem war nicht so. Die Demarkationslinie schlug sämt­ liche von nun an im Westen neu entdeckten Länder Spanien zu. So sollte Portugal auch von Indien ferngehalten werden (das die Spanier im Westen vermuteten). Den Spaniern geht es in Tordesillas vor allem um die von ­Kolumbus entdeckte Neue Welt. Alles, was östlich der Linie neu entdeckt wird, dazu sind Ferdinand und Isabella um des lieben Friedens willen bereit, soll der portugiesischen Krone zufallen. Die Spanier fühlen sich auf der sicheren Seite. Allen Beteilig­ ten ist klar, dass schon äußerst weit nach Osten fahren muss, wer überhaupt etwas aus europäischer Sicht Neues entdecken will. Dass Portugals Seefahrer Indien und den sagenhaften Gewürz­ inseln auf der Ostroute bereits recht nah gekommen sind, unter­ schätzen die Spanier offenbar: Schon 1488 hat Bartolomeu Dias das „Cabo Tormentoso“ umrundet, das Kap der Stürme an der Südspitze Afrikas – und ist damit also längst in den schen Ozean mit dem Südchinesischen Meer verIndischen Ozean eingefahren . .. bindet. Die Portugiesen wissen, dass die Stadt im Doch Spanien sucht das Heil im Westen. Nach heutigen Malaysia Stützpunkt und Umschlagplatz Wochen zäher Verhandlungen in Tordesillas im Gewürzhandel mit dem Osten ist. Auch wenn kommt man den Portugiesen auch bei der Lage der sie dessen Ursprung noch nicht gefunden haben. Grenzlinie entgegen; sie soll nun 370 Leguas westSeit Vasco da Gama im Mai 1498 quer über den lich der Kapverden verlaufen, nicht nur 100, wie Indischen Ozean segelnd erstmals die Südwestküsder Papst zuvor verfügt hatte; also etwa 1800 statt te Indiens erreichte, wo Pfeffer und Zimt wachsen, 500 Kilometer westlich des Archipels vor Afrika. fassen portugiesische Seefahrer und Händler entNur: Was ist eine Legua? In Tordesillas und dalang der Küsten Fuß. Sie besetzen ausgewählte nach dreht sich alles um die Definition dieser „LePapst Alexander VI. teilte Posten, die immer weiter gen Osten reichen. Wähdie Welt: Vorteil Spanien gua nautica“ – der Entfernung, die ein Schiff unter rend die Spanier vollauf mit der Kolonisierung normalen Bedingungen in einer Stunde zurücklegt. ­ihrer Neuen Welt beschäftigt sind, sichern sich Doch je schneller ein Schiff segelt, desto länger ist die Legua. die Portugiesen den Seeweg nach Asien und erkämpfen sich dort Und Portugals Schiffe sind schneller als die der Spanier. Kein das Handelsmonopol – immer in der Hoffnung, den Spaniern, Wunder, dass auf portugiesischen Karten die Tordesillas-Linie von der anderen Seite des Globus kommend, am Ende doch auch viel weiter im Westen liegt und so den portugiesischen An- noch voraus zu sein. spruch auf deutlich mehr Land in der von Kolumbus entdeckten Im Gewürzhandel steckt das Geld dieser Zeit. Um mit den Neuen Welt sichert. Wenige Jahre nach Abschluss des Vertrages exotischen Spezereien selbst zu Reichtum zu kommen, schalten beginnen die Portugiesen, Brasilien zu kolonisieren. die Portugiesen in Asien – mit brachialer Gewalt, wo VerhandDie wahre Verheißung aber liegt für sie im Fernen Osten. lungen nicht helfen – die arabische Konkurrenz aus, die den Quell ihres Wohlstands seit Jahrzehnten als Geheimnis hütet. Als sich auch deshalb der Sultan in Malakka nicht bewegen lässt, beim Gewürzhandel mit den „Ungläubigen“ zusammen­ MALAKKA, MALAIISCHE HALBINSEL zuarbeiten, gibt Albuquerque am Morgen jenes 25. Juli seiner IM SOMMER 1511 ­Armada aus 16 Schiffen den Befehl zum Angriff. Einen Monat Die Sache würde nicht leicht werden. Kundschafter melden später, am 24. August 1511, nehmen die Portugiesen die GewürzAfonso de Albuquerque, Gouverneur der portugiesischen Erobe- metropole ein – das Venedig des Ostens, wie man es später nenrungen in Indien, dass Sultan Mahmud Shah wohl über 8000 Geschütze, 30 000 Krieger und 40 Kriegselefanten verfüge. ­Unverrichteter Dinge kehren die Unterhändler am Morgen des Die portugiesische Karte von 1502 zeugt von guten Kenntnissen 25. Juli 1511 an Bord der Schiffe zurück, die Malakka belagern. der afrikanischen Küsten. Die Tordesillas-Linie (senkrecht links) Malakka – der Schlüssel. Strategisch wichtig liegt die Hafen- verläuft weit westlich, sodass Teile Südamerikas an Lissabon stadt unmittelbar an jener schmalen Meeresstraße, die den Indi- gehen. Darunter Teile des heutigen Brasilien 0 2 | 2 0 14 GEO 109 nen wird. Mit dabei ist der Marineoffizier António de Abreu. ­Obgleich im Kampf schwer verletzt, wird er zum Helden der ­Eroberung von Malakka; Albuquerque betraut ihn in Anerkennung seiner Verdienste mit dem Kommando über drei Schiffe samt 120 Mann und 60 versklavten Einwohnern der Hafenstadt. Er soll die sagenhaften Gewürzinseln endlich, endlich finden. Und für Portugal in Besitz nehmen. OSTWÄRTS ZU DEN MOLUKKEN ANFANG 1512 Sorgfältig notiert der Nautiker Francisco Rodrigues den Kurs der kleinen Flotte, als sie durch die Malakkastraße segelt, dann entlang der Nordküste Sumatras und später Javas: Die „Santa Catarina“, unter dem Kommando Abreus, ist das Führungsschiff. Auf ihrer Route, auf der sie weiter ostwärts vordringen als jemals Europäer vor ihnen, kartiert Rodrigues die Gruppe der Kleinen Sundainseln. In dieser Wasserwelt können sich die Portugiesen nur dank einheimischer Lotsen orientieren. Und mithilfe arabischer Seekarten, die ihnen nach der Eroberung von Malakka in die Hände fallen. Im Nordosten erreicht die Flottille bald die mitten im Molukken-Archipel gelegene Insel Ambon. An deren Küste scheitert in einem Sturm die Karavelle von Abreus Stellvertreter, Francisco Serrão; doch Kapitän und Mannschaft werden gerettet. Dann wendet Abreu sich gen Süden, bis endlich der weithin sichtbare Vulkankegel des Gunung Api vor ihnen auftaucht. Und zu dessen Füßen: Muskatwälder! Einen Monat bleiben die Entdecker in dieser Gegend. Die Mannschaften der Schiffe sind beschäftigt, alles an Muskatnüssen, Macis und Nelken zu kaufen, was die Inseln hergeben. Sie füllen die Laderäume der ihnen verbliebenen Karacke und der Karavelle. Und um den Verlust des dritten Schiffes zu ersetzen, erwirbt Abreu von einem örtlichen Kaufmann noch eine Dschun- ke. Als seine Flotte dann mit südwestlichem Kurs zurücksegelt, sichten die Portugiesen, als erste Europäer überhaupt, die Küste der großen, dem australischen Kontinent im Norden vorgelagerten Insel Timor. Knapp ein Jahr, nachdem er aufgebrochen ist, erreicht Abreu im Dezember 1512 wieder Malakka. Mit ihm kehren 80 Mann ­zurück; 30 starben unterwegs, und zehn Männer blieben auf den Gewürzinseln. Von Abreus Expedition gibt es einen einzigen Augenzeugenbericht. Der Nautiker Francisco Rodrigues legt nicht nur die ersten Karten des Malaiischen Archipels an. Er fügt auch Dutzende Panoramaskizzen der Küsten jener Inseln bei, die er zu Gesicht bekommt. Rodrigues’ Lotsenbuch wird nach der Rückkehr an den Auftraggeber der Expedition Afonso de Albuquerque übergeben, der noch aus Indien sofort seinem König berichtet. Portugiesische Seefahrer sind zu jener Zeit dazu verpflichtet, sämtliche nautischen Bücher und Karten abzuliefern. Streng unter Verschluss gehalten und kaum einmal kopiert, gehen viele dieser geheimen Dokumente später bei Erdbeben oder Bränden verloren. Der Bericht des Francisco Rodrigues überdauert indes wie durch ein Wunder die Zeit. 300 Jahre später wird er zusammen mit den Karten in einem Archiv in Frankreich entdeckt; ­niemand weiß, wie er ausgerechnet dorthin gelangte. Doch António de Abreus Ruhm hat selbst das nicht gedient. So macht sich der Entdecker der Gewürzinseln auf den Rückweg nach Portugal. 1514 stirbt Abreu, auf den Azoren, ­wenige Wochen, ehe er das europäische Festland erreicht. Die Dokumente seiner Reise: unter Verschluss. Der Kapitän: nie in der Heimat angekommen. Beinahe zur gleichen Zeit aber überquert auf der anderen Seite der Erde der Spanier Vasco Núñez de Balboa mit einer Handvoll Männern die Landenge im heutigen Panama. Am ­Morgen des 25. September erblickt er von einem Höhenzug aus das „Mar del Sur“ – das Südmeer, wie er es nennt. Bis heute ist darüber in Vergessenheit geraten, dass es nicht die in der Neuen Welt nach Gold suchenden Spanier waren, die den Pazifischen Ozean entdeckten; sondern bereits vor ihnen portugiesische ­Seefahrer unter Abreu – auf der Suche nach den Gewürzinseln und auf ihrer Seite der Tordesillas-Linie. TERNATE, IN DEN NÖRDLICHEN MOLUKKEN – IM JAHRE 1512 Unter den Männern, die nicht mit Abreu nach Malakka zurückkehren, ist auch der Stellvertreter Francisco Serrão. Nicht weit von den Bandas entfernt wird Serrão von den anderen Schiffen Abreus getrennt und verliert seine Dschunke auf dem Riff einer unbewohnten Insel. Als Schiffbrüchiger gelangt er auf jene nörd- Vorsprung durch Technik: Portugals Seefahrer hatten gelernt, nach den Gestirnen zu segeln, mit Jakobsstab, Quadrant und Astrolabium zu navigieren. Ihre Schiffe konnten gegen den Wind kreuzen – und erreichten so noch vor den Spaniern den Pazifik liche Molukkeninsel, wo die begehrten Nelken auf Bäumen wachsen. Er wird zum Berater des Sultans, dem er mit seinen Männern im Kampf gegen einen Rivalen auf der Nachbarinsel Tidore beisteht. Serrão lässt sich auf der Insel nieder, gründet mit einer malaiischen Frau eine Familie und macht selbst dann keine Anstalten, nach Europa zurückzukehren, als die ersten Schiffe der Portugiesen auch die nördlichen Molukken erreichen. Bald bauen die Ankömmlinge Handelsposten auf Ternate MEILENSTEINE DAS WETTRENNEN UM DIE WELTHERRSCHAFT 1488 1492 1494 1499 1500 1507–1510 1511 1512 1519/20 1521 1522 1529 Bartolomeu Dias umrundet das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas und eröffnet Portugal den Weg nach Osten – durch den Indischen Ozean. Kolumbus erreicht die karibischen Inseln. Sämtliche im Westen neu entdeckten Länder sollen, so ein Papst-Entscheid, Spanien gehören. Portugal drängt auf Revision des päpstlichen Spruchs. Im Vertrag von Tordesillas stecken die beiden iberischen Seemächte ihre jeweiligen Einflusssphären entlang einer atlantischen Demarkationslinie neu ab. Mit der Rückkehr von Vasco da Gama aus Indien endet das Gewürzmonopol der Handelsmetropolen Kairo, Alexandria und Venedig. Pedro Álvares Cabral entdeckt den östlichen Teil des südamerikanischen Kontinents und nimmt das spätere Brasilien für Portugal in Besitz. Die Portugiesen sichern ihre Ostroute nach Indien. Sie erobern unter Afonso de Albuquerque die Hafenstadt Hormus am Persischen Golf, Kalicut und schließlich Goa in Indien, das zu ihrem Hauptstützpunkt in Asien wird. Portugal nimmt die Handelsmetropole Malakka auf der Malaiischen Halbinsel ein und entsendet die erste Flotte zu den Gewürzinseln. Eine Expedition unter António de Abreu entdeckt die Kleinen Sundainseln und erreicht den westlichen Rand des Pazifischen Ozeans. Portugiesische Schiffe umsegeln Sumatra, sie könnten sogar den australischen Kontinent ereicht haben. Ferdinand Magellan, Portu­ giese in spanischen Diensten, gelingt die Umrundung der Südspitze Südamerikas. Die Schiffe Fer­ dinand Magellans laufen die nörd­ lichen Gewürzinseln an – auf Westkurs, sodass diese nun ebenfalls von Spanien reklamiert werden. Nach der ersten Weltumsegelung der Geschichte kehrt Kapitän Juan Sebastian Elcano auf der »Victoria«, dem letzten von Magellans fünf Schiffen, nach Spanien zurück. Magellan selbst wurde während der Reise getötet. Mit dem Vertrag von Saragossa stecken Portugal und Spanien ihre pazifischen Einflusssphären ab. Für eine hohe Summe gehen die Gewürzinseln an Portugal. 110 GEO 0 2 | 2 0 14 D. 0 2 | 2 0 14 GEO 111 ka durch Portugal dabei gewesen, dann aber am portugiesischen Hof in Ungnade gefallen. Und hatte – wie zuvor Kolumbus – die Seiten gewechselt. In Spanien kam Magellan, nicht zuletzt durch kluge Heirat, zu einigem Ansehen. Und überzeugte schließlich den spanischen und Ambon auf; von Malakka aus entwickelt sich ein reger König Karl I. davon, dass es ihm gelingen würde, einen Weg gen Schiffsverkehr mit den rund 60 Tagesreisen entfernten Stütz- Westen zu den Gewürzinseln zu finden, jenseits von Amerika. punkten auf den Gewürzinseln. Durch den Vertrag von Tordesillas gebunden, stand den Spaniern Hätte Francisco Serrão von Ternate aus nicht mehrmals an ja nur diese Route offen, während die Portugiesen im Osten einen alten Freund geschrieben, er wäre wohl, ebenso wie sein längst ein Handelsmonopol geschaffen hatten – und jetzt sogar Kommandant Abreu, in Vergessenheit geraten. Doch die Briefe die Gewürzinseln besaßen. an seinen Landsmann Fernão de Magalhães, besser bekannt als Tatsächlich gelingt Magellan in spanischem Auftrag die Ferdinand Magellan, befeuern aufs Neue den alten Wettstreit Durchfahrt jener fortan nach ihm benannten Wasserstraße an zwischen Portugal und Spanien um jene Gewürze, die Weltge- der Südspitze Südamerikas. Nach schweren Stürmen erreicht er schichte machen. am 28. November 1520 wieder das offene Meer. Weil dieses ruhig Denn eine wichtige Frage wurde im Vertrag von Tordesillas und spiegelglatt vor ihm liegt, nennt Magellan es „Pacifico“ – den nicht bedacht: Wo hört der Osten auf? Und wo beginnt der Wes- Friedlichen, Stillen Ozean. ten? Wenn die Erde eine Kugel ist, dann muss sich der Meridian Weder von dessen wahrer Natur noch von den Ausmaßen über die Pole hinweg auf der Rückseite des Globus fortsetzen. hat er eine Ahnung, als seine Schiffe den Pazifik unter entsetz­ Doch in wessen Erdhälfte liegen dann die Gewürzinseln? lichen Qualen für die Männer erstmals durchqueren. Kurz vor Was die Tordesillas-Linie im Atlantik so klar geschieden hat, dem Ziel kommt Magellan im April 1521 auf den Philippinen zu wird am anderen Ende der Welt erneut zum Problem. Während Tode; etwa zur gleichen Zeit wie sein Freund Francisco Serrão Portugiesen und Spanier gelernt haben, sich auf der Vorderseite auf Ternate. Obgleich Magellan selbst die Gewürzinseln nie erder Erde aus dem Weg zu gehen, treffen sie auf der Rückseite reicht, eröffnet seine Erdumsegelung in Westrichtung Spanien nun umso heftiger aufeinander. den Weg auf die andere Seite der Welt. Zwar gelangt schließlich nur eines von Magellans Schiffen mit 18 Überlebenden zurück nach Spanien. Doch die 25 Tonnen Gewürznelken und Säcke voller TIDORE, MOLUKKEN Muskatnüsse samt Macis, die sie mitbringen, lasIM NOVEMBER 1521 sen Magellans Auftraggeber jubeln. Schnell wer„Kaum acht Monate vor unserer Ankunft in Tidore den weitere Expeditionen ausgesandt. war der Portugiese Francisco Serrão gestorben“, So entbrennt um die Gewürzinseln ein jahrnotiert Antonio Pigafetta, Chronist und Teilnehhundertelanger „Nelkenkrieg“. Anfangs nur zwimer der ersten Weltumsegelung. Die epochale Umschen Portugal und Spanien, später auch mit Beteirundung des Globus fand statt unter Ferdinand ligung von England und den Niederlanden. Und Magellan, der zwar Portugiese ist, aber in spaninatürlich werden auch die Inselvölker des Pazifiks schen Diensten steht. Seine Schiffe erreichen Anin den Streit der Europäer hineingezogen. fang November 1521 die Gewürzinseln – und zwar, Die Portugiesen haben den Wettlauf nach Asien nachdem sie von Europa aus gen Westen gesegelt und zu den Gewürzinseln gewonnen. Ihr Handelswaren, quasi auf der spanischen Route. monopol aber können sie nicht lange halten. Generalkapitän Magellan: Wie Abreu und SerAfonso de Albuquerque: Es hilft nichts: Die Kontrahenten müssen erPortugals Mann in Asien rão war auch er 1511 bei der Eroberung von Malakneut verhandeln. Goa, um 1600. Erst 1961 eroberten indische Truppen Portugals Außenposten. Auch andere Orte an der alten Handelsroute sind bis heute portugiesisch geprägt, etwa die Kapverden, Angola oder Mosambik. Und, jenseits des Atlantiks, natürlich Brasilien 112 GEO 0 2 | 2 0 14 SARAGOSSA, IN ARAGONIEN 22. APRIL 1529 Jahrelang haben sich Kartografen und Diplomaten, Kosmologen und Theologen beider iberischer Königshäuser die Köpfe über eine der schwierigsten Fragen der Zeit zerbrochen: einen Weg zu finden, den Anti-Meridian festzulegen, also den Verlauf eines Längengrades auf der anderen Erdseite. Daran sind auch ihre wochenlangen Verhandlungen im Jahre 1524 zwischen den Grenz­orten Badajoz und Elvas gescheitert, auf einer Brücke über den Rio Guadiana, wohin beiden Seiten ihre ansonsten geheim gehaltenen Land- und Seekarten zu bringen erlaubt war. Doch wenn Verträge nicht helfen, lassen sich Dispute auch mit Hochzeiten und Geldzahlungen regeln. Im Jahr darauf wird der Streit um die Gewürzinseln familär beigelegt, als Johann III. von Portugal mit Katharina eine jüngere Schwester des spanischen Königs Karl V. heiratet; und dieser wiederum ein weiteres Jahr später mit der Infantin Isabella Johanns Schwester ehelicht. Im April 1529 dann stecken Portugal und Spanien ihre pazifischen Einflusssphären mit dem Vertrag von Saragossa ab. Darin verzichtet der spanische König gegen die Zahlung von 350 000 Dukaten – ein damals gewaltiger Betrag auch für die gut gefüllte portugiesische Staatskasse – auf seine Ansprüche in den Molukken. Als ein halbes Jahrhundert später die portugiesische K ­ rone an Philipp II. von Spanien fällt, den Sohn Karls V. und seiner Frau Isabella, und dieser damit zugleich König beider Reiche ist, wird der Vertrag von Saragossa, ebenso wie der von Torde­sillas, be- Karten machen Politik – vor allem, wenn die Geografie ein Rätsel ist. Diese zeigt die Demarkationslinie auf der Rückseite der Erde. Die Darstellung ist spanischen Ursprungs, also erhält Spanien (r.) die Gewürzinseln, Portugal bleibt westlich außen vor deutungslos. Erst lange Zeit später wird sich herausstellen, dass der König von Portugal für etwas bezahlte, was ihm schon durch den Vertrag von Tordesillas sicher gewesen war. Denn in Saragossa einigt man sich, dass die Demarkationslinie auf der Rückseite der Erde 297,5 nautische Leguas östlich der Molukken ­verlaufen sollte. Nach heutiger Festlegung entspricht dies etwa einer Linie zwischen 142 und 145 Grad östlich von Greenwich. Die Gewürz­inseln Banda und Ternate liegen damit unbestreitbar in der damals portugiesischen Sphäre. Wenn man rückblickend den Hochmut, der den Abkommen innewohnte, überhaupt akzeptieren will: den Hochmut, der darin lag, dass sich der Papst und zwei iberische Monarchien als Teiler und Herrscher der Welt sowie all ihrer Bewohner aufschwangen. Der bekannten und der unbekannten gleich noch hinzu. Der Vertrag von Tordesillas: ein Rechtsgeschäft zulasten Dritter. Und eine der größten Anmaßungen der Weltgeschichte. /// MATTHIAS GLAUBRECHT kennt die Gewürzinseln von eigenen Forschungsreisen; auch auf den Spuren des Mitentdeckers der Evolutionstheorie, Alfred Russel Wallace, über den er die erste deutschsprachige Biografie schrieb: „Am Ende des Archipels“ (Verlag Galiani, Berlin 2013, 24,99 Euro). 0 2 | 2 0 14 GEO 113