Interreligiöser Pluralismus in Deutschland als

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Reinhard Kirste
Interreligiöser Pluralismus in Deutschland als Herausforderung und Chance
1. Begegnung der Religionen in Geschichte und Gegenwart
Der Zerfall der kommunistischen Herrschaftssysteme und die Aufnahme einer Reihe von
ostmitteleuropäischen Ländern in die Europäische Union machen geografisch wieder stärker deutlich,
welche Vielfalt religiöser Traditionen in Europa immer schon herrschte. Hinzu kommen die
Migrationsbewegungen, die seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts den Islam zu einer
beachtlichen Minderheit gerade auch in Deutschland gemacht haben. Nimmt man das europäische
Russland und den Balkan hinzu, so ist von etwa 20 Millionen Muslimen in Europa auszugehen. Und
gerade in den letzten Jahrzehnten hat auch der Buddhismus besonders in Frankreich und Deutschland
viele Anhänger gewonnen, auch wenn hier die Millionengrenze noch nicht erreicht sein dürfte.
Ähnliches gilt vom Hinduismus, von dem als optisches Signal der größte Hindutempel
Kontinentaleuropas im westfälischen Hamm zeugt. Er wurde im Sommer 2002 eingeweiht.
Wie sollte in diesem multireligiösen Kontext „Toleranz“ verstanden werden, ohne dass dabei eine eher
missachtende Duldung der religiösen Minoritäten herauskommt?
Friedrich II., d. Gr. Von Preussen, ist für seine Randglossen berühmt. Am 23. Juli 1749 setzte er durch,
dass das evangelisch geprägte Glogau, der katholische Kirche die gleichen Rechte zukommen lassen
musste:
„Die Religionen müssen alle tolerierert werden, und muss der Fiskal nur das Auge darauf haben, dass keine der
anderen Abbruch tue, denn hier muss ein jeder nach seiner Fasson ( = Konfession) selig werden.“ Im gleichen
Jahr heisst es auf eine Anfrage des Stadtrates von Frankfurt/Oder, ob ein katholischer Kaufmann das
Bürgerrecht erwerben dürfe: „Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, so sie professieren (=
bekennen), ehrliche Leute sind. Und wenn Türken (= Muslime) und Heiden (= Nichtchristen) kämen und wollten
das Land peuplieren (= bevölkern), so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen. Ein jeder kann bei mir
glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist“ (z.T. zitiert nach H. Rössler: Größe und Tragik des christlichen
Europas <1955> und wieder aufgenommen in: Christen im Dialog mit den Weltreligionen. Arbeitsblätter
Sekundarstufe II. Stuttgart/Leipzig: Klett 1996, S. 13, M 2).
In dieser Zeit wird bereits die Begegnung der Religionen im Sinne der Aufklärung thematisiert Gotthold
Ephraim Lessings berühmtes Schauspiel von Nathan dem Weisen ist bis heute ein nicht obsolet
gewordenes Dokument aktiver Toleranz gepriesen. Dabei stellt sich ernsthaft die Frage, ob das
Christentum in seiner Gänze wirklich hinter dieser Aussage steht, nämlich dass sich die Wahrheit einer
Religion durch ihre an Vorurteilen freien Liebe zeigt (G.E. Lessing, Nathan der Weise, 3. Aufzug, 7.
Auftritt).
Gerade eine dogmatisch eher festgelegtes Christentum tut sich bis heute schwer, die Konsequenzen
dieses aufklärerischen Toleranzbegriffes in die Tat umzusetzen, immerhin wird im Nathan nichts
Geringeres behauptet, als dass Christentum, Judentum und Islam gleichwertig seien und dass die
Liebe zum Höchsten sie alle präge. Übrigens: Die Dialektische Theologie nach dem 1. Weltkrieg, die
besonders durch Karl Barth geprägt wurde, verstellte mit ihrem Offenbarungsverständnis die
Akzeptanz einer Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Religionen und fiel an dieser Stelle letztlich
hinter die Aufklärung zurück. Das veränderte Nachdenken des "späten" Barth zum Thema der
Religionen, besonders im Blick auf den Buddhismus, wurde kaum noch wahrgenommen.
Die weitgehende Nichtbeachtung der religionswissenschaftlichen Leistungen des 19. Jahrhunderts,
aber auch das Verpassen der Chance, einen so großen Religionstheologen und -philosophen wie Paul
Tillich für die Entwicklung einer veränderten deutschen Theologie nach dem 2. Weltkrieg
heranzuziehen, lassen eine theologische Verengung der wissenschaftlichen Theologie ahnen, die
angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen Deutschlands, die durch Säkularisierung,
Multikulturalität und Multireligiosität geprägt sind, geradezu beunruhigend wirken müssen.
Allzu leicht wird übrigens die banale Tatsache übersehen, dass die Entstehung des Christentum im
östlichen Mittelmeerraum liegt. Der Benediktiner Bede Griffiths, der indische und westliche Spiritualität
mit seinem Leben und in seinem Denken - nicht nur durch die Weiterführung eines Klosters/Ashrams modellhaft umsetzte, hat diese auf den Punkt gebracht:
„Der Westen in seiner Gesamtheit hat dieses intuitive Gewahrsein der Präsenz Gottes im Menschen und in der
Natur verloren, aber auch die Kirche im Westen sieht sich demselben Problem gegenüber. Das Christentum war
ursprünglich eine östliche Religion (wie praktisch alle Religionen), doch richtete es sich von Anfang an
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vornehmlich nach Westen. Vorwiegend der heilige Paulus brachte es nach Kleinasien, Griechenland und Rom,
und wenig später kam es nach Mittel- und Nordeuropa und schließlich nach Amerika. Das Ergebnis war eine
westliche Religion, obwohl sein Ursprung im Osten deutlich blieb. Seine Theologie ist griechisch, die
Organisation römisch und der kulturelle Ausdruck europäisch“ (B. Griffiths: Die Hochzeit von Ost und West,
1983, S. 6).
2. Das Vaticanum II und die katholische Position
Sowohl die katholische Kirche wie der Ökumenische Rat sind aufgrund ihrer weltweiten Erfahrungen
gerade auch mit Ländern multiethnischer und multireligiöser Kultur sehr bald auf die Frage
interreligiöser Toleranz gestoßen. Der Dialog als eine friedliche Alternative zur Konfliktbewältigung im
nachkolonialen Zeitalter setzte theologische Kräfte frei, die sich auf drei Gesichtspunkte zuspitzten:
Das Problem von Vorurteilen gegenüber dem Fremden, die Frage nach der Sympathie für den
anderen und damit auch seiner Glaubensanschauungen und schließlich der in vielen heiligen Texten
vorkommende Gedanke des Wetteifers um die beste Glaubensüberzeugung.
Der Konzilstheologe Karl Rahner war einer der maßgeblichen Vorbereiter „Erklärung über das
Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen“, die das zweite Vatikanische Konzil am 28.10.1965
verabschiedete. Von christlicher Seite ist es die erste offizielle Äußerung, die für den gesamten
interreligiösen Dialog über die Katholische Kirche hinaus unschätzbare Bedeutung hat, weil sie
Heilsmöglichkeiten auch in anderen Religionen sieht.
Angesichts der einfühlsamen und verstehensbereiten Einstellungen können die ersten Dialog-Schritte
aufeinander zu getan werden; allerdings stellt sich die Frage nach der Wahrheit unvermindert. Kann
die katholische Kirche anerkennen, dass jede Religion, die christliche Kirche (katholischer Konfession)
eingeschlossen, Weggefährtin mit den anderen ist, oder hat sie eine entscheidende Erkenntnis voraus,
wenn man die Bedeutung und Stellung Jesu für das Heil der Menschen berücksichtigt?
Wenn ich es richtig sehe, bleibt in diesem bedeutenden Dokument die Frage nach der endgültigen
Wahrheit offen, Kirche begibt sich mit den anderen Religionen erst einmal auf den Weg. Dennoch
scheint durchzuschimmern, dass an der Frage der Bedeutung Christi die Weggemeinschaft aller
Glaubenden noch einer harten Belastungsprobe ausgesetzt sein könnte. Soweit ist aber der Dialog
insgesamt noch nicht gediehen, obwohl gerade Johannes Paul II. mit seinen interreligiösen Gebeten in
Assisi 1986 und 2002 die Zeichen für eine gegenseitige Akzeptanz der Religionen im Sinne des
Vaticanum II noch verstärkte:
„Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelche Menschen, die ja nach dem
Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott, dem
Vater, und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, dass die Schrift sagt:
‘Wer nicht liebt, kennt Gott nicht’ (1. Joh. 4,8).
So wird also jeder Theorie und Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen
Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.
Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner
Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht ...“
(Rahner/Vorgrimler S. 359), vgl. zum Friedensgebet vom 24.01.02: Encounter <Hg. PISAI Rom> No. 292,
Febr./März 2003: Peace a single goal and a shared intention).
Unter Berufung auf 1. Petrus 2,12 legt also das Konzil Wert auf einen vorbildlichen Wandel im Sinne
der Nachfolge Christi und der Apostel.
So sind zum Schluss faire und ehrliche Bedingungen für den Dialog genannt, der Wettstreit um die
Wahrheit kann beginnen. Zu fragen bleibt auch hier, wie bei vielen kirchlichen Dokumenten auch der
anderen Konfessionen, ob der Absolutheitsanspruch des Christentums modifiziert oder gar
aufgegeben werden muss. Sicher wird man die offizielle katholische Position nicht für einen religiösen
Pluralismus vereinnahmen können. Man muss aber weiterhin fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf
dem gemeinsamen Wege zum Heil Unterschiede bei den Wegstrecken festzuschreiben. Sollte nicht
Gott wirklich das letzte Wort auch im interreligiösen Dialog haben?
3. Der Ökumenische Rat: Leitlinien des Dialogs
Während der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK = WCC = World
Council of Churches) 1983 in Vancouver/Kanada hat die Fachgruppe 1 „Zeugnis in einer gespaltenen
Welt“ auf den Problembereich des Zeugnisses unter Menschen anderen Glaubens aufmerksam
gemacht. Die Pluralität einer Welt im religiösen und ideologischen Sinne nötigt dazu, das
Zusammenleben mit Nachbarn anderer Glaubenstraditionen erneut zu durchdenken und zuerst die
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Einbahnstrasse von Verkündigung und Mission (im Sinne von Verkündigung- und Missions“objekten“)
in Frage zu stellen:
„Wir anerkennen die Erfahrungen gemeinsamen Handelns und der Zusammenarbeit zwischen Christen und
Menschen anderen Glaubens und die Dringlichkeit der Zusammenarbeit besonders auf Gebieten, wo es um die
Armen, die grundlegende Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden, wirtschaftlichen Wiederaufbau und die
Beseitigung von Hunger und Krankheit geht“ (Müller-Römheld: Bericht aus Vancouver 1983, S. 67)
Die Fachgruppe unterscheidet dann zwischen Zeugnis und Dialog, um von daher eine entsprechende
Wechselwirkung zu beschreiben:
„Mit Zeugnis können die Akte und Worte beschrieben werden, durch die ein Christ oder eine Gemeinschaft für
Jesus Christus Zeugnis ablegen und andere einladen, ihm Antwort zu geben ... Dialog kann als Begegnung
beschrieben werden, in der sich Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen über die letztgültige
Wirklichkeit treffen, und wo sie diese Überzeugungen in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts ausloten
können ... Dialog ist weder ein Mittel zum christlichen Zeugnis noch dessen Verleugnung. Es ist vielmehr ein auf
Gegenseitigkeit beruhendes Unternehmen, Zeugnis voreinander und vor der Welt abzulegen im Blick auf
verschiedene Vorstellungen von letztgültiger Wirklichkeit“ (Bericht aus Vancouver 1983, S. 67).
Mit dem Begriff „letztgültige Wirklichkeit“ scheint ein gemeinsamer Nenner gefunden zu sein, der die
unterschiedlichen Glaubensweisen in einer gemeinsam verständlichen Sprache formulieren lässt.
Gleichzeitig kann sich derjenige/diejenige, der/die ernsthaft den Dialog will, nicht den Herausforderungen entziehen, die durch das Glaubenszeugnis einer anderen Religion entstehen. In der
Praxis eines multireligiösen Alltags werden darum auch die Übergänge fliessend sein. Wo aber
Sympathie, Respekt vor dem anderen und vorausgesetzte Gleichheit der Partner sich verbinden, hat
der interreligiöse Dialog eine echte Chance.
Diese Chance war bereits 1979 formuliert worden: Guidelines on Dialogue with People of Living Faiths
and Ideologies . In der erneuten Ausgabe von 1990 (inzwischen die vierte Auflage), schrieb der Leiter
der Interfaith-Abteilung im ÖRK/WCC, der Methodist Wesley Ariarajah ein Vorwort, in dem er nicht nur
die religiös plurale Situation weltweit als Chance ansieht, sondern auch die Notwendigkeit einer
religionspluralistische Theologie sieht (Guidelines, S.VII).
Die Leitlinien selbst versuchen in drei Teilen über die religiösen Gemeinschaften und überhaupt über
die menschliche Gemeinschaft Aussagen in der Weise zu machen, so dass die theologische
Bedeutung sichtbar wird, aber keine allgemeine Theologie der Religionen die Konsequenz sein muss.
Das dient sicher zur Abklärung und gegenüber dem Missverständnis des Synkretismus im Sinne der
Zusammenmischung verschiedener Religionen (als Negativdefinition). Der Vorwurf des Synkretismus
hat oft genug die unvoreingenommene interreligiöse Begegnung verhindert. Vielmehr sollte der Begriff
Synkretismus auf seine religionsgeschichtlichen Zusammenhänge beschränkt bleiben, um deutlich zu
machen, dass auch das Christentum in gewisser Weise eine synkretistische Religion ist, weil es in
seiner geschichtlichen Entwicklung Elemente aus anderen Religionen (etwa aus dem Iran, dem
Mittelmeerraum und Germanien) in die eigene Glaubenslehre und die Riten integrierte (vgl. Guidelines,
EZW Nr.19-VI/79, S. 14).
Nach weiteren Abklärungsversuchen und dem Hinweis, dass Lernen und Verstehen im interreligiösen
Dialog automatisch ökumenische Weite haben muss, die die konfessionelle Ökumene im Sinne einer
Ökumene der Religionen übersteigt, kann gemeinsames Leben und Erleben im Dialog vorbereitet
werden, so dass sich sagen lässt, „dass interreligiöser Dialog den Verstand und das Herz den anderen
gegenüber öffnet und so der „Dienst der Versöhnung“ (im Sinne des Apostels Paulus) weiter
vorangetrieben wird. Offenheit, Risikobereitschaft, innere Berufung sind Faktoren gelingender und den
andern in seinem Anderssein ernst nehmender Begegnung“. (WCC: Guidelines S. 22).
4. Grundmuster des interreligiösen Dialogs
Versucht man nun die verschiedenen theologischen und kirchlichen Einstellungen genauer zu
untersuchen, so scheint mir immer eine Dreiteilung der interreligiösen Positionen die hilfreichste zu
sein:
Exklusivismus: Im katholischen Raum fand man viele Jahrhunderte (bis zum Vaticanum II) die
exklusivistische Position ("außerhalb der Kirche ist kein Heil"), der man die protestantische Variante
zuordnen kann: "Außerhalb des Christentums ist kein Heil". Diese wird unter missionarischer
Perspektive teilweise immer noch - wenn auch nicht mehr so offenkundig unter post-kolonialen
Bedingungen - gepflegt.
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Inklusivismus: Die inklusivistische Position schiebt – verkürzt gesagt - letztlich doch ein christliches
Verständnis den anderen Glaubensweisen unter. Rahners Ausspruch von den anonymen Christen in
anderen Religionen ist ebenso berühmt wie problematisch. Christologische Engführungen im Sinne der
Verbindlichkeit auch für andere Glaubensweisen scheinen das wirkliche Handicap der inklusivistischen
Position zu sein, die - wie verdeckt auch immer - von der Höherwertigkeit des Christentums ausgeht,
weil sonst die anderen Christus, sein Kreuz und seine Auferstehung im Sinne einer Heilskonzeption
nicht bräuchten.
Im Religionspluralismus durchaus verschiedener Prägungen wird dagegen versucht, jeder
Glaubensweise ihr Recht zu lassen und sie als eigenständigen Weg zum Heil anzuerkennen.
„Alle Religionen bedürfen einander, nicht nur in ihren Gemeinsamkeiten, sondern gerade auch in ihren
Unterschieden, durch die sie einander ergänzen. Wir sollen in der eigenen Religion daheim und in der anderen
Gäste sein, nicht Fremde“ (Paul Schwarzenau).
Es geht also darum, in der interreligiösen Begegnung den Gedanken von Toleranz und Versöhnung
umfassend zu fördern. Bewahrung, Vertiefung und Förderung der eigenen religiösen Identität und
Spiritualität sind dabei Grundlage eines weiterführenden Dialogs, der danach fragt, was die einzelnen
Religionen von der Auslegung und Aktualisierung ihrer heiligen Schriften her zur Versöhnung
unterschiedlich Glaubender bereits geleistet haben oder zu leisten imstande und bereit sind.
Dabei kann nicht verschwiegen werden, was einzelne Religionen in diesem Bereich versäumt und
andere an Weiterführendem schon erbracht haben. Daraus ergeben sich weitere Konsequenzen:
1. Dialog kann nur sinnvoll zwischen gleichen Partnern und Partnerinnen geschehen.
2. Absolutheitsansprüche einzelner Religionen (wie auch des Christentums) dürfen sich nur auf die
Verbindlichkeit des eigenen Glaubens beziehen. Das erlaubt kein noch so verdecktes inklusives
Denken, das die anderen religiösen Traditionen in irgendeiner Form als minder-wertig einstuft. Es
erlaubt auch kein inklusives Vereinnahmen (z.B.: „anonyme“ Christen, Buddhisten, Muslime usw.).
3. Das Missionsverständnis (besonders im christlichen Glauben) ist im Sinne eines persönlichen
Zeugnisses und Engagements zu interpretieren, ohne dabei die anderen zur eigenen Glaubensweise bekehren zu wollen.
4. Die verschiedenen Religionen drücken nicht endgültige Wahrheit aus. Sie sind sprachliche, rituelle
und spirituelle Annäherungen an das Transzendente, an eine herkömmliches Verständnis übersteigende Wirklichkeit. Ihre Aussagen als menschliche Ausdruckweisen sind vorläufig und bedürfen
immer wieder der Revision.
5. Religionen sind eingebunden in vielfältige Kulturen und differierende Denkweisen. Sie sind darum
als unterschiedliche Wege zum Heil zu verstehen. Darum sind alle Anschauungen kritisch zu
prüfen, in denen ein Missionsverständnis zur Sprache kommt, das die Bekehrung zum eigenen
Glauben im Sinne einer absoluten Wahrheit zur Voraussetzung macht.
Angesichts der Tatsache, dass unsere Welt als eine Welt durch mannigfaltige tödliche Bedrohungen
herausgefordert ist, kann der interreligiöse Dialog nicht Spezialisten überlassen bleiben, sonder ist eine
allgemeine Aufgabe, um die Zukunft glaubwürdiger als bisher wahrzunehmen.“
5. Divergenzen und Konvergenzen im Blick auf die Religionen
Um es deutlich zu sagen: Die Unterschiede zwischen den einzelnen Religionen sollen weder nivelliert,
noch relativiert werden. Dennoch ergeben sich eine Reihe von konvergierenden Wesensaussagen, die
sich im Verständnis ihrer Stifter, ihrer Ehrentitel und den Konsequenzen für Leben und Handeln
spiegeln, wie die folgende Übersicht über vier der großen Weltreligionen zeigen kann. Wenn die
theologische Diskussion nötigt die Grundfragen nach dem Sinn des Lebens, nach Gott, nach Erlösung
und Heil in ihren jeweiligen Konnotationen und kulturellen Zusammenhängen zu prüfen, so muss man
sich im Sinne von Hans Küng auf eine globale Ethik („Weltethos“), im Sinne von John Hick auf eine
gemeinsame, die vorfindliche Wirklichkeit überschreitende oder sie aufhebende Realität und im Sinne
von Paul Schwarzenau auf die Symbolebenen des Seins einlassen, wie sie sich in den menschlichen
Tiefenschichten zeigen.
Man kann also letztlich zwei Grundmuster festhalten, das eine mit konvergierender, das andere mit
divergierender Zielrichtung:
a) Es gibt einen gemeinsamen Urgrund der Religionen, wie sie durch mystische Erfahrungen in allen
Religionen bestätigt - aber nicht im wissenschaftlich-westlichen Sinne - bewiesen werden.
Begegnung der Religionen führt damit zu einer tieferen Harmonie und Transzendenz. Die
Religionen haben dabei unterschiedliche Ausdrucksformen, sind sich aber der Vorläufigkeit ihrer
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Aussagen bewusst. In diesem Sinne wird religiöser Pluralismus zur Bereicherung und Ergänzung
der eigenen Glaubensweise, m.a.W.: Die anderen Religionen bereichern, ergänzen und korrigieren,
wirken also komplementär. Gleichzeitig führt diese „Relativität“ und Komplementarität dazu, die
Vorläufigkeit der Aussagen zu Letztgültigem festzuhalten.
b) Lehnt man einen gemeinsamen Urgrund ab, ist es wesentlich schwieriger, das Gemeinsame in den
Vordergrund zu stellen. Das Trennende wird leicht zum hermeneutischen Prinzip des
Verständnisses, um den andern in seinem Anderssein ernstzunehmen. Interreligiöser Dialog wird in
diesem Kontext die Möglichkeit, verschiedene Wahrheiten zu suchen. Es sind dann aber jeweils
neue Verbindungslinien notwendig, damit interreligiöser Dialog nicht ein Nebeneinanderherreden
wird oder zum Monologisieren des Rechthabens in der Wahrheit und damit zum Nebeneinander
verkommt.
Schematisch gesehen lassen sich bei der Annahme eines gemeinsamen Urgrundes inhaltliche
Querverbindungen ziehen, die im Blick auf die „Stifter“ und im allgemeinen ethischen Rahmen so
aussehen könnten:
6. Konvergenzen von vier Weltreligionen
1. Schritt: Parallelisierung
Diese Parallelsetzung möchte nicht zum Ausdruck bringen, dass alle „Religionsstifter“ „irgendwie“
dasselbe wollten, sie soll vielmehr aufzeigen, dass trotz unterschiedlicher Entstehungszeit der
einzelnen Religionen, trotz gänzlich unterschiedlicher kultureller Hintergründe Gemeinsames entdeckt
werden kann, das offensichtlich die Menschen unterschiedlichen Glaubens in einer nicht im einzelnen
auszulotenden spirituellen Tiefe miteinander verbindet, selbst dann, wenn es keine historischen
Abhängigkeiten gibt.
Christentum
Judentum
Buddhismus
Moses
der Gesetzeslehrer
Jesus
der Christus
Siddharta Gautama
Der Buddha
Die zehn Gebote
Die Bergpredigt
Die
vier
Wahrheiten
Mohammed
Das
Siegel
Propheten
der
edlen
Die fünf Pfeiler
9 Seligpreisungen
Der achtfache Pfad
Islam
Während an dieser Stelle die eigentliche theologische Diskussion erst beginnt, scheinen die
pragmatischen Voraussetzungen ethischen Verhaltens die Übereinstimmung auch theologisch
unproblematisch zu sein, wie besonders Hans Küng mit seinem Projekt „Weltethos“ betont.
2. Schritt: Ethische Konzentrierung
Buddha
Mose
Jesus
Mohammed
⇒
⇒
⇒
⇒
Vier edle Wahrheiten
Zehn Gebote
Bergpredigt - Neun Seligpreisungen
Fünf Pfeiler des Islam
3. Schritt: Querverbindungen:
Von hier aus bietet es sich an, Querverbindungen durch die Religionen hindurchzuziehen, um
zumindest einen größeren gemeinsamen Kontext zu entdecken: Ethische Grundorientierung lässt sich
in verschiedenen Beziehungsfeldern ausdrücken (individuell, gemeinschaftlich, historisch, symbolisch,
spirituell). Eine sachlich begründete Verwandtschaft gerät zu den auffälligsten Kennzeichen der
Gemeinsamkeit verschiedener Religionen, so dass sogar eine Vertauschung der ethischen
Grundttexte möglich wäre, ohne dass sofort bemerkt würde, dass ethische Orientierung über die
Vorschriften einer anderen Religion geleistet wurde.
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Die Querverbindungen lassen also das wesentlich Gemeinsame in unterschiedlicher Artikulierung
entdecken:
1. Buddha
⇒
2. Mose
⇒
3. Jesus
⇒
4. Mohammed
⇒
Vier edle Wahrheiten, die sich jedoch anders formuliert
auch bei Mose, Jesus und Mohammed finden lassen.
Zehn Gebote; diese lassen sich natürlich
auch aus den anderen Religionen herauslesen, wenn auch nicht
unbedingt unter numerisch 10 Geboten
Neun Seligpreisungen, die auch im Koran stehen könnten, den
buddhistischen Lehrreden ähnlich sind und natürlich ganz jüdisch
gesehen werden müssen, weil Jesus Jude war.
Fünf Pfeiler des Islam, die sich auch bei Buddha, Mose und Jesus
entdecken lassen
Ziele des Dialogs
Es gibt in den Religionen (nicht nur in den genannten vier) soviel Gemeinsames, dass allein von daher
schon Dialog sinnvoll ist. Außerdem gab und gibt es zum interreligiösen Dialog schon bisher und auch
nach dem 11. September 2001 keine Alternative. Imgrunde hat für die Versöhnungskraft der
Religionen alles Wesentliche schon Ibn ´Arabi von Murcia (gest. 1240) gesagt, indem er aus der Kraft
seines mystisch geprägten islamischen Glaubens heraus formulierte:
„Mein Herz ist fähig geworden,
alle Bilder und Formen aufzunehmen,
denn mein Herz wurde eine Weide für die Gazellen,
ein Kloster für die Mönche,
ein Tempel Götterbilder,
eine Kaaba für die Umkreisung ,
die Tafeln der Tora
und Buchseiten des Korans.
Auf ihrer Karawanenstraße wandere ich (= dort, wo ihre Reittiere unterwegs sind)
Ich gehöre der Religion der Liebe an.
denn Liebe ist mein Bekenntnis und mein Glaube“
(Ibn ‘Arabi: L’interprète des désirs.– eigene Übersetzung aus dem Französischen – 1996, S. 117f.).
Verkürzte und aktualisierte Fassung des Beitrags in:
Reinhard Kirste / Michael Klöcker / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Vision 2001. Die größere
Ökumene. Interreligiöse Horizonte Bd. 1 (IH 1). Köln: Böhlau 1999, S. 123–154
HdR-inrel/dialog03.doc, 30.09.05, bearbeitet 29.01.10
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