Lebensraum Feuchtgebiet – ein Kurzportrait Sumpf, Moor, Schilf, Ried, Lische, Flachmoor So vielfältig die gebräuchlichen Namen für Feuchtgebiete sind, so unterschiedlich sehen sie aus: Meterhohe, üppige Schilfbestände sind ebenso gemeint wie kurzrasige, von Sauergräsern (Seggen, Binsen) dominierte Kleinseggenriede oder krautige Nasswiesen. Ein Lebensraum für Spezialisten Allen Feuchtgebietstypen gemeinsam ist ihre grosse ökologische Bedeutung. Viele Pflanzen- und Tierarten sind perfekt an die spezifischen Verhältnisse im Lebensraum Feuchtgebiet angepasst. Der Grosse Moorbläuling beispielsweise ernährt sich als Raupe ausschliesslich von Blütenköpfen des Grossen Wiesenknopfes, einer typischen Pflanze der Pfeifengraswiese. Die Spezialisierung auf nur diese eine Futterpflanze hat zur Folge, dass das langfristige Überleben des Grossen Moorbläulings unmittelbar an das Vorkommen feuchter Standorte gebunden ist. Beunruhigend ist deshalb die Tatsache, dass durch einen Rückgang in den vergangenen 100 bis 150 Jahren Feuchtgebiete heute zu den gefährdeten Lebensräumen gehören. 9 von 10 Feuchtgebieten sind verschwunden Die Gründe für den markanten Verlust sind unterschiedlich. In den Tallagen sind die Feuchtgebiete durch Entwässerung der Böden und durch erhöhten Düngereinsatz zu produktiven, aber artenarmen Fettwiesen oder gar zu Ackerflächen umgewandelt worden. Im Mittelland sind grössere Feuchtgebiete somit nur noch im Bereich von Seen und Flüssen anzutreffen. Sogar im Voralpengebiet, wo grosse Niederschlagsmengen und wasserundurchlässige Böden gute Voraussetzungen für Moore bilden, ist ein Rückgang zu verzeichnen. Die traditionelle Bewirtschaftungsform – der Schnitt der «Lische» zur Streuegewinnung – ist wirtschaftlich uninteressant geworden und wird vielerorts aufgegeben. Die Flächen verbuschen und werden vom Wald zurückerobert. Ein Zeugnis unserer Bauernkultur geht verloren. Erhaltung und Förderung Da Feuchtgebiete von grosser ökologischer Bedeutung sind, wurde auf nationaler Ebene das Inventar der Flachmoore erstellt und die bezeichneten Objekte durch die Bundesverfassung geschützt. Die Kantone sind verpflichtet, Massnahmen zu deren Schutz und Erhaltung zu ergreifen. Im Kanton Bern haben Bewirtschafterinnnen und Bewirtschafter von Feuchtgebieten das Anrecht auf Naturschutzbeiträge. Auf der Basis von freiwilligen Verträgen wird die sorgfältige und sachgerechte Pflege geregelt und die Beitragshöhe gemäss kantonaler Verordnung festgelegt. Herausgabe Text + Gestaltung Bildnachweis Druck Naturschutzinspektorat des Kantons Bern, Herrengasse 22, 3011 Bern, Tel. 031 633 46 04, [email protected], www.be.ch/natur UNA Bern, unaltra Bern Pflanzenbilder: Res Hofmann, unaltra Bern / Guido Bieri, wildbild Bern. Tierbilder: Vögel von B. Renevey, naturecommunication.ch / Laubfrosch von B. Lüscher, Bern / Libelle und Schmetterlinge von A. Krebs, Agasul Druckraum Kölliker, Bern Schilf- und Landröhricht Phragmition / Pseudophragmition Rohrammer Emberiza schoeniclus Schilfröhricht (Echter Röhricht, Wasserröhricht) bildet gürtelartige, häufig von Schilf dominierte Bestände entlang von Stillwasserbereichen. Die Vegetation steht ganzjährig in nährstoffreichem, eher sauerstoffarmem Wasser und bietet mit ihrer einmaligen räumlichen Struktur ideale Bedingungen für Fischnachwuchs und Wasservögel. Landröhricht (Pseudoröhricht) steht im Gegensatz zum Wasserröhricht auf nur zeitweilig vernässten, sehr nährstoffreichen Böden. Die häufig ebenfalls von Schilf dominierte und artenärmere Vegetation kann landeinwärts an den Wasserröhricht anschliessen oder auch in nicht mehr regelmässig gepflegte Riede hineinwachsen. Schilf Phragmites australis 100–400 cm hoch Blüte August–September Stengel kahl, bis 2 cm dick. Blätter steif. Blütenstand oft violett überlaufen. Schmalblättriger Rohrkolben Typha angustifolia 100–250 cm hoch Blüte Juli–August Kolbenartiger Blütenstand, der männliche am Ende des Stengels, der weibliche durch eine Lücke vom männlichen getrennt. See-Flechtbinse Schoenoplectus lacustris 100–300 cm hoch Blüte Juni–Juli Stengel rund, grasgrün, glatt. Es gibt im Kanton Bern rund 185 ha Schilf- und Landröhrichte (3,6% der Feuchtgebietsfläche). Röhrichte sind vorallem im tieferen Mittelland anzutreffen sind. Vielfältige Umwelteingriffe wie z.B. Uferverbauungen oder von Booten verursachter Wellenschlag stören und schädigen die Schilfgürtel der Stillwasserbereiche. Landröhricht verschwindet, wo der Boden entwässert wird. Andererseits ist eine Zunahme zu verzeichnen, wo der Landröhricht in wertvolle Riedwiesen hineinwächst. Grossseggenried Magnocaricion Laubfrosch Hyla arborea Das Grossseggenried ist das Bindeglied zwischen Wasser- und Landvegetation. Es gedeiht auf Böden, die immer nass bleiben und schlecht belüftet sind. Die landwirtschaftliche Pflege der Bestände ist wichtig, da sich sonst Gehölze ansiedeln, insbesondere Weiden-, Birken- und Erlenbüsche. Der Lebensraum ist geprägt von der Dominanz der hochwüchsigen Grossseggen. Einige Seggen-Arten wie z.B. die Steife Segge (Carex elata) bilden charakteristische Kuppen. Diese sogenannten Bulten ragen selbst bei hohem Wasserstand aus dem Wasser heraus und bilden ideale Nistplätze für Vögel. Schnabel-Segge Carex rostrata Gemeiner Gilbweiderich Lysimachia vulgaris 40–130 cm hoch Blüte Juni–August Blätter gegenständig oder quirlständig. Blüten in den obersten Blattwinkeln. 30–80 cm hoch Blüte Mai–Juni Stengel glatt, 3-kantig. Blätter graugrün, steif, höher als der Blütenstand. Fruchtschläuche gelb glänzend, aufgeblasen. Gelbe Schwertlilie Iris pseudacorus 50–100 cm hoch Blüte Juni Blätter schmal, allmählich zugespitzt. Blüten gelb, ohne deutliche Adern. Die Mehrzahl der Grossseggenriede kommt im Mittelland vor. Im Vergleich mit anderen Feuchtgebietstypen ist das Grossseggenried für Mittellandverhältnisse mit rund 60 ha immer noch relativ gut vertreten. Im gesamten Kantonsgebiet finden sich noch rund 150 ha Grossseggenried, das entspricht einem Anteil von 2.6% an der Gesamtfläche der Feuchtgebiete. Viele Kennarten des Grossseggenrieds wie z.B. der Wassernabel (Hydrocotyle vulgaris) sind gefährdet. Alpen Mosaikjungfer Aeshna caerulea Davallseggenried Kleinseggenriede Caricion davallianae Das Davallseggenried ist ein Ried, das von kalkhaltigem Wasser geprägt ist und auf besonders nassen Böden wächst. Es kommt häufig an feuchten Hanglagen im Berggebiet vor. Es besteht aus einem einheitlichen Teppich niederwüchsiger Sauergräser von eher hellgrünem Aspekt. Eine grosse Vielfalt von Blütenpflanzen, insbesondere auch viele Orchideen, verleihen diesem Flachmoortyp die charakteristische Farbenprächtigkeit. In vielen Fällen wird das Davallseggenried am Ende des Sommers als Streuewiese genutzt. Davalls Segge Carex davalliana 10–30 cm hoch Blüte April–Juli Blätter und Stengel rauh, dichte Horste bildend. Fruchtschläuche abwärts gebogen. Moorenzian Swertia perennis Breitblättriges Wollgras Eriophorum latifolium Kelch-Liliensimse Tofieldia calyculata 15–40 cm hoch Blüte Juli–August Stengel 4-kantig, unverzweigt. Blütenkrone hellviolett, dunkler punktiert und mit Adern. 20–50 cm hoch Blüte April–Mai Blütenstand mit mehreren, hängenden Ähren, Ährenstiele rauh. Blatt flach, kurze Blattspitze. 10–30 cm hoch Blüte Juni–September Blätter grasähnlich, steif. Kleine, gelbgrüne bis weissliche Blüten. Mehlprimel Primula farinosa 5–20 cm hoch Blüte Mai–Juli Grundständige Blattrosette, Blätter unterseits weissmehlig bestäubt. Blüten im Zentrum mit gelbem Ring. Das Davallseggenried kann natürlicherweise von Tallagen bis in Höhen von über 2000 m ü.M. vorkommen, der Verbreitungsschwerpunkt liegt heute jedoch in den Voralpen und Alpen. Im Kanton Bern ist das Davallseggenried der häufigste Feuchtgebietstyp und bedeckt eine Fläche von mehr als 2000 ha (36% der Feuchtgebietsfläche). Das Davallseggenried bietet Lebensraum für mehrere Arten der Roten Liste und die grosse Vielfalt von Blütenpflanzen ist Nahrungsquelle für Insekten. Braunseggenried Caricion nigrae Kleinseggenriede Das Braunseggenried ist im Gegensatz zum Davallseggenried auf saurem, entsprechend kalkarmem und oft torfigem Boden anzutreffen. Es ist auf Bodennässe angewiesen und reagiert empfindlich auf Entwässerungsmassnahmen. Der Bewuchs besteht hauptsächlich aus einem dichten, rasigen Bestand kleinwüchsiger Sauergräser und ist im Vergleich zum Davallseggenried von einem deutlich dunkleren Grün. Das Braunseggenried weist merklich weniger Blütenpflanzen auf und ist von geringerer Farbenvielfalt. Manchmal kommt das Scheuchzer’s Wollgras als vorherrschende Art vor. Igelfrüchtige Segge Carex echinata 10–30 cm hoch Blüte Mai–Juli Blätter kürzer als der Stengel. Fruchtschläuche morgensternartig abstehend. Braune Segge Carex nigra 10–50 cm hoch Blüte Mai–Juli Grundständige Blattscheiden dunkelbraun und glänzend. Traunsteiners Knabenkraut Dactylhoriza traunsteineri 20–35 cm hoch Blüte Mai–Juni Stengel nicht hohl, max. 6 Stengelblätter, diese mit oder ohne Flecken. Blüten leuchtend rot. Scheuchzers Wollgras Eriophorum scheuchzeri bis 30 cm hoch Blüte Juni–August Stengel rund. Pflanze wächst rasig. Ährchen einzeln, kugelig. Auch das Braunseggenried ist häufig anzutreffen, obwohl insbesondere in den tiereren Lagen seine Fläche drastisch zurückgegangen ist. Rund 20% der Feuchtgebiete im Kanton Bern sind Braunseggenriede (1150 ha). Das Braunseggenried spielt insbesondere in der alpinen Stufe eine wichtige Rolle, da in dieser Höhenlage keine anderen Feuchtgebietstypen anzutreffen sind. Natterwurzperlmutterfalter Clossiana titania Sumpfdotterblumenwiese Calthion Die Sumpfdotterblumenwiese wächst auf frischen Böden, die durch nährstoffreiches Grundwasser oder durch regelmässigen Düngereintrag einen relativ hohen Nährstoffgehalt aufweisen. Eine landwirtschaftliche Nutzung als Mähwiese oder Weide ist Bedingung für das Vorkommen der Sumpfdotterblumenwiese. Grossblättrige, üppige Kräuter sind vorherrschend, die Wiesenstruktur bleibt aber dennoch klar erkennbar. In der Regel wachsen häufige Pflanzenarten, darunter viele Frühlingsblüher. Sumpfdotterblumenwiesen sind reich an Pollen und Nektar und bilden bedeutsame Nahrungsquellen für Kleintiere. Bachnelkwurz Geum rivale 30–60 cm hoch Blüte April–Juli Stengel behaart, Blätter lang gestielt mit kleinen Teilblättchen. Rispensegge Carex paniculata 30–100 cm hoch Blüte Mai–Juni Stengel 3-kantig, kräftige Horste. Blütenstand glänzend dunkelbraun. Sumpfdotterblume Caltha palustris bis 50 cm hoch Blüte März–Mai Stengel hohl, kahl. Blätter herz- oder nierenförmig, gezähnt. Trollblume / Ankebälli Trollius europaeus bis 60 cm hoch Blüte Mai–Juni Blätter wachsig, handförmig, bis zum Grund geteilt. Blüte kugelig, endständig. Sumpfdotterblumenwiesen kommen relativ häufig vor. Ein leichter Schwerpunkt liegt im Voralpenraum, aber auch im Jura und im Mittelland ist dieser Feuchtgebietstyp vertreten. Rund 20% der Feuchtgebiete im Kanton Bern sind Sumpfdotterblumenwiesen, das entspricht einer Fläche von rund 1150 ha. Spierstaudenflur Sumpfrohrsänger Acrocephalus palustris Filipendulion Entscheidend für die Ausbildung der Spierstaudenvegetation sind genügend Nährstoffe und ein gut durchfeuchteter aber nicht überfluteter Boden. Diese Bedingungen finden sich z.B. entlang von Bachläufen oder im Saum von feuchten Wäldern. Der sehr produktive Lebensraum besteht aus hohen Stauden (z.B. Spierstaude) und ist mit einem dichten Blattwerk ausgestattet, das den Boden beschattet. Die Spierstaudenflur wird von zahllosen Insekten bevölkert, die wiederum wichtige Nahrungsquelle für Vögel und andere Kleintiere bilden. Zottiges Weidenröschen Epilobium hirsutum Brustwurz Angelica sylvestris 30–100 cm hoch Blüte Mai–Juni Blätter handförmig, bis zum Grund 5-teilig. Meist einblütig. 30–100 cm hoch Blüte Mai–Juni Blätter handförmig, bis zum Grund 5-teilig. Kohldistel Cirsium oleraceum Spierstaude / Mädesüss Filipendula ulmaria 30–100 cm hoch Blüte Mai–Juni Blätter unterbrochen gefiedert mit sehr kleinen Teilblättchen. 30–100 cm hoch Blüte Mai–Juni Blätter weich, kaum stechend, ohne Haare auf den Nerven. Mehrere Blüten knäuelig gehäuft. Der Bestand an Spierstaudenfluren schrumpft, wo die Landwirtschaft intensiviert wird und dehnt sich aus, wo Verbrachungstendenzen herrschen. Spierstaudenfluren bleiben in der Regel kleinräumig und streifig. Obwohl sie regelmässig anzutreffen sind, beträgt ihr Flächenanteil im Kanton Bern nur gerade 31 ha, was einem Anteil von rund 0,5% am Gesamtvorkommen der Feuchtgebiete entspricht. Pfeifengraswiese Grosser Moorbläuling Maculinea teleius Molinion Die Pfeifengraswiese wächst auf nährstoffarmen und zeitweise vernässten Böden. Ein regelmässger Schnitt der Vegetation ist zwingend, da sonst Verbuschung einsetzt. Das namengebende und charakteristische Pfeifengras wächst in hohen und dichten Büscheln, die im Herbst durch ihre goldgelbe leuchtende Farbe auffallen. Die Wechselfeuchtigkeit und die vielfältigen Lichtverhältnisse in der Pfeifengraswiese bewirken den hohen Artenreichtum mit prächtiger Blütenfülle im Spätsommer. Teufelsabbis Succisa pratensis 20–80 cm hoch Blüte Juli–September Blätter oval bis lanzettlich, mit rotem Rand – beim Auseinanderreissen bilden sich weisse Fäden. Weiden-Alant Inula salicina 30–60 cm hoch Blüte Juli–August Pflanze meist unverzweigt. Blätter lanzettlich, ledrig, abstehend. Blütenblätter nur ca. 1 mm breit. Blaues Pfeifengras Molinia caerulea Schwalbenwurz-Enzian Gentiana asclepiadea 30–100 cm hoch Blüte Juli–September Pflanze am Grunde zwiebelartig verdickt. Blätter blaugrün, rauh; im Herbst goldgelb. 30–90 cm hoch Blüte August–Oktober Stengel gleichmässig beblättert. Blätter lang zugespitzt, 5-nervig. Blüten in den Blattachseln sitzend. Der Verbreitungsschwerpunkt der Pfeifengraswiesen liegt in den Voralpen. Im Mittelland und Jura des Kantons Bern ist das Vorkommen durch die Intensivierung der Landwirtschaft und durch Drainagen erloschen. An der Gesamtfläche der Feuchtgebiete erreichen die empfindlichen Pfeifengraswiesen gerade noch einen Anteil von 0.3% (17 ha). Diese Zahlen belegen nicht nur die Seltenheit sondern auch die starke Gefährdung der Pfeifengraswiese und deren Charakterarten.