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Die italienische Südfrage
Von Prof. Dr. Hans Nabholz, Zollikon b. Zürich
Der italienischen Regierung ist neben dem politischen Problem der Abwehr
des Kommunismus eine zweite schwere Aufgabe gestellt : die wirtschaftliche und
soziale Sanierung von Süditalien, der Landschaften Apulien, Basilikata und
Kai ab rien im Süden der Halbinsel sowie der Insel Sizilien; es handelt sich um
die Gebiete, die unter der Bezeichnung mezzogiorno zusammengefasst werden.
Die Mehrzahl der Bewohner dieses Teils von Italien fristet ein armseliges Dasein;
sie verdient kaum genug, um sich dürftig nähren und kleiden zu können. Grund
und Boden gehören zum grössern Teil Grossgrundbesitzern, die sich nur ausnahmsweise mit der Bewirtschaftung ihres Latifundiums beschäftigen, vielmehr in einer der Städte wohnen, dort vielfach andern Berufen nachgehen und
ihren Landbesitz als Rentenquelle benützen. Angesichts des grossen Bevölkerungsüberschusses und der wenigen Verdienstmöglichkeiten ist der Taglohn
äusserst bescheiden. Trotz dieser ungünstigen Verhältnisse wächst die Bevölkerung, gegenwärtig etwa 16 Millionen, in einem viel raschern Tempo zu als im
übrigen Italien. Hier 7,4 Geburten auf 1000 Einwohner, im Süden deren 15,9.
Da die Industrie in Neapel und Umgebung sowie in einem Teile von Apulien
zusammengeballt ist und im übrigen Gebiete ausschliesslich Landwirtschaft betrieben wird, steht dem Bevölkerungsüberschuss kein Ausweg in Handel und
Industrie offen. Viele Landarbeiter finden nur 100 bis 150 Tage im Jahr Arbeit,
in einzelnen Gegenden noch weniger. Das Ergebnis dieser Verhältnisse sind
Armut und Übervölkerung.
Die Regierung machte Anstrengungen, um die nahezu unerträglichen Zustände im mezzogiorno zu sanieren. Seit dem Zusammenschluss von Nord- und
Süditalien im Jahre 1861 sind eine Reihe von Anläufen unternommen worden,
um bessere Verhältnisse zu schaffen. Zu einem befriedigenden Ergebnis ist man
bis heute nicht gelangt. Auch die gegenwärtige Regierung ist energisch an die
Lösung des schweren Problems herangetreten. Noch kann man nicht wissen,
ob ihren Anstrengungen ein besserer Erfolg beschieden ist als den Bemühungen
ihrer Vorgänger.
Alle Vorbedingungen und Möglichkeiten zu einem erfolgreichen Sanierungswerk gründlich und scharfsinnig abwägend, setzt sich Friedrich Vöchting mit
dem gesamten Fragenkomplex in einem umfangreichen Werke auseinander \
Auf Grund eigener Studien an Ort und Stelle und unter Verarbeitung der überaus
reichen, meist italienischen Literatur über die italienische Südfrage verarbeitet
1
Friedrich Vöchting, Die italienische Südfrage. Entstehung und Problematik eines wirtschaftlichen Notstandsgebietes. Berlin 1951. Duncker & Humblot. 680 S. DM. 34.—.
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der Verfasser das weitschichtige Material nicht nur vom 'wirtschaftlichen, sondern
ebenso eingehend vom national-psychologischen und soziologischen Standpunkt aus. Gründlich werden ferner die geologischen und klimatischen sowie
die geschichtlichen Vorbedingungen untersucht und die verschiedenen, sich über
Jahrzehnte erstreckenden Sanierungsversuche kritisch gewürdigt. Sein in einer
eigenwilligen, nicht immer leichten Sprache geschriebenes Buch fesselt den
Leser von der ersten bis zur letzten Seite.
Trotz seiner günstigen Lage, führt der Verfasser aus, liefert der Boden des
mezzogiorno nicht denjenigen Ertrag, den man erwarten könnte. Der Grund liegt
zum Teil in der extensiven Bearbeitung, zum Teil in der Bodenbeschaffenheit.
Die dünne, durch Baumwurzeln zusammengehaltene Humusschicht ist teilweise
infolge Abholzung weggeschwemmt worden. Fast überall fehlt es an einer zureichenden Bewässerung. Während die Bäche zur Regenzeit zu tosenden Flüssen
anschwellen, versiegen sie in den heissen Sommermonaten völlig oder hinterlassen schmutzige Pfützen, unbrauchbar zum Tränken des Viehs, dagegen Herde
für Entstehen von Fieber und Malaria, dieser Geissei des Südens, deren erfolgreiche Bekämpfung erst in der Gegenwart gelungen ist. Nur in günstig gelegenen
Küstenstreifen gedeihen Orangen, Zitronen, Mandeln, Oliven und Trauben.
Der übrige Teil eignet sich ausschliesslich für Getreidebau und Weidwirtschaft.
Sommerhitze und Trockenheit erlauben im gebirgigen Teil nur eine extensive
Wirtschaft, für die die grossräumigen Latifundien die geeignete Form sind.
Mit künstlicher Bewässerung hat man erst einen Anfang gemacht. Erschwerend
kommt der Mangel an einem ausgebauten Strassennetz hinzu. Ein weiteres
Hindernis für ein rasches und erfolgreiches Reformwerk bildet die psychologische
Verfassung der Landbewohner. Es fehlt ihnen an der notwendigen Einsicht und
dem guten Willen, um aus eigener Initiative an die Besserung ihrer Lage heranzutreten. Resigniert fügen sie sich in ihr trauriges Schicksal.
Die im höchsten Grade unbefriedigenden Zustände sind, wie Vöchting einleuchtend ausführt, zu einem grossen Teil das Ergebnis des besondern Schicksals
Süditaliens in den vergangenen Jahrhunderten. Geographisch bildet es mit dem
übrigen Teil der Apenninenhalbinsel eine Einheit, ging aber bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts mit wenigen kurzen Unterbrechungen seine eigenen Wege. Die
Geschichte des mezzogiorno bildet eine fortlaufende Kette von Fremdherrschaften.
Im Altertum kämpften Karthager und Griechen in jahrzehntelangen das Land
verwüstenden Kämpfen um den Besitz Siziliens und Unteritaliens, bis sie im
3. Jahrhundert v. Chr. ebenfalls nach hartem Ringen durch die Römer überwunden wurden. Diese übergaben einen Teil des eroberten Gebietes den Kriegsveteranen zur Bewirtschaftung. Ihren Grund und Boden Hessen die Römer durch
Sklaven bearbeiten, unter denen sich wohl auch ein Teil der Urbewohner befand.
Wie traurig deren Lage war, beleuchten schlaglichtartig die drei verzweifelten,
aber blutig niedergeschlagenen Sklavenaufstände in den Jahren 135-71 v. Chr.
Nach dem Zusammenbruch des westlichen Römerreichs begann für Süditalien eine neue Leidenszeit. Nach vorübergehender Besetzung durch den Ostgoten Theoderich geriet der Süden Italiens unter die Verwaltung von Ostrom
(540 n. Chr.).
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Auch die mittelalterliche Geschichte Süditaliens ist durch eine Reihe sich
ablösender Fremdherrschaften gekennzeichnet. Sarazenen, Normannen, das
deutsche Kaiserhaus der Staufer waren nacheinander seine Herren. Am Ende
des 13. Jahrhunderts bemächtigte sich mit päpstlicher Hilfe Karl von Anjou,
ein Spross des französischen Königshauses, des umstrittenen Gebietes. Nach
kurzer Regierungszeit wurde er durch den als Sizilianische Vesper bekannten
Aufstand aus Sizilien vertrieben, konnte sich aber auf dem Festlande behaupten.
Sizilien wurde eine Provinz der spanischen Könige von Aragonien. Im Jahre
1442 wurden die Anjous durch das Haus von Aragonien auch aus dem Festlande
vertrieben. Dadurch war die politische Einheit zwischen Sizilien und dem Festlande wieder hergestellt. Im Zusammenhang mit dem spanischen Erbfolgekrieg
verloren die Könige von Aragonien ihre italienischen Besitzungen. Für kurze
Zeit ging die Herrschaft über Sizilien an den Herzog von Savoyen, dann zusammen
mit dem Festland an den Kaiser von Österreich über, und dieser trat die beiden
Gebiete im Jahre 1738 in Gestalt einer secundogenitur an das Bourbonische
Königshaus in Spanien ab, d. h. Sizilien und das Festland sollten als Königreich beider Sizilien von einem Vertreter des spanischen Königshauses, einem
Vizekönig, selbständig verwaltet, aber nie mit der spanischen Krone vereinigt
werden. Die Herrschaft der spanischen Vizekönige dauerte bis zum Jahre 1861.
Damals schloss sich Süditalien unter Garibaldis Führung dem jungen italienischen
Königreich an.
Soweit sich die Geschichte Siziliens und Süditaliens zurückverfolgen lässt,
waren die eingesessenen Bewohner dieser Gebiete, wohl ein vorarischer Volksstamm mit mediterranem Charakter, nie Herren im eigenen Lande. Beständig
standen sie unter der Herrschaft fremder Eroberer, beständig waren sie nicht
Subjekt, sondern Objekt der Politik, beständig benutzten die fremden Herrscher
das eroberte Gebiet als Spenderin der landwirtschaftlichen Produkte. Etwas
anderes als Landwirtschaft zu treiben, war der eingeborenen Bevölkerung versagt. Seit der Römerzeit war die Form des landwirtschaftlichen Betriebes die
Latifundienwirtschaft in der Hand von Angehörigen des Eroberervolkes. Neben
der grossen Masse der eingeborenen Landbevölkerung, die wohl heute noch
grossenteils von der ursprünglichen Einwohnerschaft abstammt, entstand eine
dünne Oberschicht, zusammengesetzt aus Angehörigen der Eroberervölker. Mit
den untern Klassen hat sich diese nie solidarisch gefühlt und unbekümmert um
deren Wohlergehen das Land für eigenen Gewinn ausgebeutet. Ausschliesslich
diese Kreise waren es, die sich mit Handel und Gewerbe beschäftigten.
Die Verhältnisse veränderten sich auch nicht unter der langjährigen Herrschaft der spanischen Vizekönige. Ein Wandel trat nur insofern ein, als die
Grossgrundbesitzer anfingen, auf die direkte Bewirtschaftung ihrer Latifundien
zu verzichten, ihre Güter Grosspächtern oder Verwaltern anvertrauten und in
die Städte zogen, um dort ein bequemes und kultiviertes Leben zu führen.
Daneben erwarben durch Handel und Gewerbe wohlhabend gewordene Stadtbewohner Grossgrundbesitz als Rentenquelle, wobei sie die Bewirtschaftung in der
Regel einem Pächter oder Verwalter überliessen. Als dritter Grossgrundbesitzer
erlangte unter der spanischen Herrschaft die Kirche immer grössere Bedeutung.
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Die Grosspächter von Latifundien hatten kein anderes Ziel, als möglichst
viel aus ihrer Pacht herauszuwirtschaften, ohne Rücksicht auf das Wohl der
Landbevölkerung. Die Folge war eine allgemeine Landflucht. Armes Volk
strömte in die Städte, um dort in untergeordneten Stellungen oder durch Bettel
seine Existenz zu fristen. Von den etwa 400 000 Einwohnern von Neapel lebten
vor dem Weltkrieg etwa zwei Drittel der Bevölkerung unter durchaus ungenügenden, ja unwürdigen Daseinsbedingungen. Auf der vernachlässigten
Landschaft nahm die Malaria, diese Geissei Süditaliens, überhand. Durch die
Habsucht der Grossgrundbesitzer oder ihrer Stellvertreter geschädigte Landarbeiter rächten sich, indem sie überhaupt nicht mehr arbeiteten und sich als
Wegelagerer oder Räuber für das erlittene Unrecht zu rächen suchten. Zweimal,
nach dem Sturze Napoleons und im Revolutionsjahr 1848, suchte sich die Bevölkerung vergeblich von der Fremdherrschaft zu befreien. Die beständig
gährende Erbitterung führte zur Mafia in Sizilien und zur Camorra auf dem
Festlande. Es waren Geheimbünde zu dem Zweck geschaffen, sich unter Umgehung der staatlichen Rechtsordnung durch Erpressung, Entführung, Brandstiftung und Mord flüchtige Vorteile zu verschaffen. Diese Geheimorganisationen
bestehen in ihren Ausläufern heute noch ; sie haben der Regierung des geeinigten
Italien bis ins 20. Jahrhundert hinein Sorgen bereitet.
Die Französische Revolution führte auch im Königreich beider Sizilien zur
Aufhebung der Feudalherrschaft und brachte den Dörfern ein gewisses Mass
von Selbstverwaltung. Damit war aber nur der rechtliche, nicht der soziale Zustand geändert. Für die Grossgrundbesitzer bestand nunmehr die Möglichkeit,
ihre Latifundien durch Ankauf von Land, das nicht mehr durch das Lehensrecht
gebunden war, zu vergrössern.
Die jahrhundertlange Fremdherrschaft hat nicht nur die Wirtschaftsverfassung des mezzogiorno bestimmt, sie war auch entscheidend für die Prägung
des Volkscharakters. Die Landbevölkerung besitzt heute noch diejenigen Eigenschaften, die charakteristisch sind für Völker, die lange unter Fremdherrschaft
gelitten haben : Verschlossenheit, Misstrauen, Verschlagenheit, Mangel an Selbstvertrauen und Unternehungsgeist, resigniertes Hinnehmen des Schicksals.
Die Befreiung von der spanischen Herrschaft im Jahre 1861 war das Werk
der bürgerlichen Kreise in den Städten. Die Landbevölkerung hatte der Erhebung teilnahmslos gegenübergestanden. Ein Grossteil der Bauernschaft war
bourbonisch gesinnt, nicht aus innerer Überzeugung, sondern einfach aus Gewöhnung. Daher konnte der vertriebene Vizekönig, Ferdinand II., den Versuch
wagen, das verlorene Königreich zurückzuerobern. Es entstand ein langjähriger,
grausam geführter Bürgerkrieg zwischen der Unabhängigkeitspartei und den
Anhängern der Bourbonen. Erst im Jahre 1870 konnte die Partei des Vizekönigs
endgültig zur Unterwerfung gezwungen werden.
Der wirtschaftliche und soziale Unterschied zwischen dem Italien nördlich
von Neapel und dem ehemaligen Königreich beider Sizilien war enorm. Der
Norden der Halbinsel hatte mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung
von Mitteleuropa Schritt gehalten; im südlichen Teile lebten, wenn auch unter
veränderten rechtlichen Verhältnissen, die mittelalterlichen Zustände weiter.
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Die Frage war, wie sich diese beiden so grundverschiedenen Teile nicht nur
administrativ, sondern auch wirtschaftlich und sozial zur Einheit verschmelzen
Hessen.
Der Versuch, die Verwaltungsgrundsätze des Nordens auf den mezzogiorno
zu übertragen, erwies sich als Missgriff. Das auf die nördlichen Verhältnisse zugeschnittene Steuersystem z. B. hatte, auf den Süden angewendet, zum Ergebnis, dass dieser ärmere Teil Italiens verhältnismässig mehr zu leisten hatte
als der wohlhabende Norden. Zudem erforderte die teilweise Selbstverwaltung
der Gemeinden neue Finanzmittel, die zur Hauptsache durch indirekte, die
untern Klassen besonders belastende Abgaben beschafft wurden. Für Einrichtungen, die eine gewisse politische Reife der Bevölkerung voraussetzten, wie
Geschworenengerichte, selbständige Gemeindeverwaltung, war das Landvolk des
mezzogiorno nicht vorbereitet. Die Folgen waren Bürokratie, Korruption und
FamiKenherrschaft in den Gemeinden.
Die wirtschaftliche Lage schien sich allerdings in den ersten Jahren der
Einigung günstig entwickeln zu wollen. Die liberale HandeispoUtik der europäischen Staaten zwischen 1860 und 1887 erleichterte auch für Italien die Ausfuhr ; sie führte ferner zur Steigerung der Produktion von Weizen und Oliven in
Süditalien. Die Verheerungen, die die Reblaus in den französischen Weinbergen
anrichtete, ermöglichten eine vermehrte Ausfuhr von italienischen Weinen und
damit eine Ausdehnung der Rebenkultur. Während des Deutsch-Französischen
Krieges hielt die gute Konjunktur an. Die Regierungspolitik ermöglichte vielen
Taglöhnern den Erwerb kleiner Bauerngütchen.
Die Ende der 80er Jahre einsetzende Schutzzollpolitik wirkte sich indessen
für Süditalien katastrophal aus. Infolge der Drosselung der Ausfuhr sanken die
Preise der Lebensmittel und die Löhne. Viele der Kleinbauern waren genötigt,
den erworbenen Grundbesitz wieder preiszugeben. Weit herum drohte Hungersnot. Unter dem Einfluss des Sozialismus schlössen sich die untern Schichten
der Bevölkerung Siziliens unter Führung von Intellektuellen zu fasci zusammen.
In über 20 Ortschaften brachen Revolten aus. Ratshäuser wurden besetzt,
Zollbuden in Brand gesteckt, Steuerregister vernichtet. Die Bauern besetzten
kommunalen und privaten Grundbesitz und schritten zu gewaltsamer Bodenverteilung. Im Januar 1894 wurde der Aufstand durch Militär niedergeschlagen,
ohne dass indessen die Regierung den Versuch machte, tatkräftig an eine Besserung der Zustände, die den Aufstand veranlasst hatten, heranzutreten.
Die traurige Lage rief einer Massenauswanderung der untern Volksschichten
nach den Vereinigten Staaten, Argentinien und Brasilien. Der damit verbundene
Verlust an junger Arbeitskraft erwies sich dabei als Heilmittel der unheilbar
gewordenen Lage; denn die Auswanderung erleichterte ein wenig den Druck
der Übervölkerung. Das verminderte Angebot von Taglöhnern auf dem Grossgrundbesitz führte zur Steigerung der Löhne und zum Sinken der Pachtpreise.
Mangel an Arbeitskräften veranlasste die Einführung von landwirtschaftlichen
Maschinen und die Verbesserung des Betriebes. Die Auswanderer schickten
einen Teil ihrer Ersparnisse nach Hause oder kehrten mit einem kleinen ersparten Vermögen in die Heimat zurück. Sie linderten auf diese Weise die all27
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gemeine Armut. Allein die in den 30er Jahren einsetzende Wirtschaftskrise und
die dadurch verursachte Einschränkung der Einwanderung nach Übersee führte
in Süditalien zum Versiegen der Geldzuschüsse und damit zu neuer wirtschaftlicher Not.
Die vorübergehende Verbesserung der Lage hatte einige Zeit die Illusion
aufkommen lassen, die Verhältnisse des mezzogiorno würden sich dank dem Anschluss an den so viel wohlhabenderen Norden automatisch bessern. Die Erfahrungen der beginnenden 90er Jahre führten zur Einsicht, dass die Missstände nur durch ein energisches Sanierungswerk beseitigt werden konnten
und dass es die Pflicht des Königreiches sei, sich des Südens ganz besonders anzunehmen. Dabei ging der Anstoss nicht von der leidenden Landbevölkerung aus.
Angehörige der obera Schichten des Südens und angesehene Volkswirtschafter,
Soziologen, Rassen- und Bodenforscher von Mittel- und Norditalien bemühten
sich, in Zeitschriftenartikeln und in selbständigen Werken die Gründe der Missstände zu entdecken und Mittel und Wege zur Abhilfe zu weisen. Es waren
indessen vereinzelte Stimmen; ein einheitlicher Wille als Grundlage eines umfassenden Reformwerkes kam nicht zustande.
Die Geschichte der Sanierungsbestrebungen berichtet von einer Reihe wohlgemeinter und verschiedenartiger Massnahmen, denen indessen der innere Zusammenhang fehlte. Es waren Versuche, die in ihrer Vereinzelung mit teilweisem
oder gänzlichem Misserfolg endeten und bei der Bevölkerung Enttäuschung und
Mutlosigkeit erzeugten. Um wirksam einzugreifen, war es notwendig, den Kampf
gegen Schwierigkeiten verschiedenster Art aufzunehmen : Massnahmen gegen die
Malaria, Verbesserung des Kulturlandes, Bewässerung und Aufforstung, rationeller Fruchtwechsel an Stelle des bisherigen Raubbaues, Gewinnung neuer
Ackerflächen, durchgreifende Verbesserung des Verkehrsnetzes, Vermehrung
des Ertrags von Grund und Boden durch eine bessere Technik des landwirtschaftlichen Betriebs. Dazu kamen Mißstände, für die nicht die klimatischen
Verhältnisse, sondern menschliches Handeln verantwortlich war: Aufhebung
oder wenigstens Einschränkung der Latifundien, Kampf gegen die Armut und
die Übervölkerung und gegen die daraus entspringende Energielosigkeit der
Landbevölkerung.
Es lag im Wesen des Freiheitsgedankens, der dem italienischen Volk den
Willensimpuls zum Kampf um die Einigung verliehen hatte, dass der Reformwille in erster Linie beim Grossgrundbesitz einsetzte. Er war von zweierlei Art.
Die Gemeinden besitzen ihre Allmenden zur Benutzung für die gesamte Dorfbevölkerung. Weit wichtiger ist jedoch die zweite Art des Grossgrundbesitzes,
das private Latifundium. Nur noch etwa ein Zehntel von ihnen wird einheitlich
unter der Leitung und Aufsicht des Eigentümers mit Hilfe von Lohnarbeitern
bewirtschaftet. Neun Zehntel der Grossgüter werden in Form von einzelnen
Bauernstellen an Landleute abgegeben teils gegen einen Pachtzins in bar, teils
gegen Ablieferung der Hälfte des Ertrages in natura (Halbpacht). Bisweilen
steigt die Naturalpacht bis auf drei Viertel der Ernte.
Die Betriebsweise ist durchwegs noch primitiv. Gegen Verwendung von
Maschinen wie gegen künstliche Düngung hat der Kleinbauer Abneigung. All-
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gemein gebräuchlich ist, in Ersetzung der Düngung, die Dreifelderwirtschaft in
verschiedenen Varianten. Die Tatsache, dass die Pachtverträge in der Regel
auf nur wenige Jahre lauten, verleitet den Pächter, während einiger Jahre möglichst grosse Ernten herauszuwirtschaften, ohne Rücksicht auf die Erhaltung
der Fruchtbarkeit des Bodens, um sodann, wenn dieser nichts mehr herzugeben
vermag, sein Pachtland zu verlassen und eine andere Pacht zu suchen. Dieser
Raubbau und die damit verbundene Wanderpacht gehören zu den schädlichsten
Gebrechen der süditalienischen Landwirtschaft. Rücksichtslose Ausbeutung
lassen sich auch Grosspächter zuschulden kommen, da auch ihre Pachtverträge
in der Regel von kurzer Dauer sind, drei bis sechs, höchstens neun Jahre.
Verwickelt sind zum Teil heute noch die Besitzesverhältnisse auf den Latifundien und dem Gemeindeland. Es kommt vor, dass nicht einzelne Teile eines
Grossgrundbesitzes als Bauernstellen verpachtet werden, dass vielmehr die auf
einem Stück des Grossgrundbesitzes wachsenden Produkte verschiedenen
Pächtern zugesprochen sind, indem der eine erntet, was direkt aus dem Boden
spriesst, während dem andern die Früchte, die an Bäumen und Sträuchern
reifen, gehören. Oft hatten Bauern Stücke der Gemeindealmend eingehegt und
für den persönlichen Nutzen angebaut. Als Überreste der mittelalterhchen Wirtschaftsverfassung lasten auf dem Gemeinde- und dem privaten Allmendland
Nutzungsrechte der umwohnenden Bewohner in Gestalt von ewigen Servituten :
Sammeln von wildwachsenden Früchten, Sammeln von Holz und Laub, Weidrecht auf nicht angepflanzten Parzellen und ähnliches. Diese Nutzungsrechte
mussten zuerst von den Gemeinden und den Grossgrundbesitzern unter Entschädigung an die Berechtigten abgelöst werden; erst nach dieser Bereinigung
war es möglich, Teile des Grossgrundbesitzes als Bauernstellen für arme, landlose Bewohner auszuscheiden. Die Grundlage für dieses Vorgehen bildete das
Gesetz des Jahres 1888. Bei seiner Durchführung erwies es sich jedoch als Missgriff. Die Geldzahlungen für Ablösungen der Nutzungsrechte verschwanden
in den Gemeindekassen, so dass der Einzelne, der seine Nutzungsrechte hatte
preisgeben müssen, sich beraubt vorkam. Die Folge war eine grosse Erbitterung
der Bevölkerung, die sich in Revolten, offenem Widerstand, gewaltsamer Landnahme durch die Bauern und in ihrer Forderung nach Wiederherstellung des
früheren Zustandes Luft machte.
Versuche der faschistischen Regierung, durch neue Gesetze der Jahre 1924
und 1927 den Mischbesitz zu beseitigen, ergaben ebenfalls kein befriedigendes
Resultat. Erst während des Zweiten Weltkrieges kam man einen Schritt weiter.
Lange Jahre unangefochten ausgeübter Besitz von eingehegtem Gemeindeland
oder von Nutzungsrechten wurde zu Recht anerkannt und auf gesetzlicher Basis
abgelöst. Die von solchen Servituten befreiten Allmendteile konnten nun zu
Bauernstellen zusammengelegt abgegeben werden. Bis zum Jahre 1947 gelang
es, 60 % des mit solchem Mischbesitz beschwerten Landes zu bereinigen. Die
kleinen Bauerngüter, die aus solchem von Servituten befreiten Land gebildet
wurden, waren aber, angesichts der viel zu zahlreichen Bewerber, zu klein gemacht worden, um eine Familie ernähren zu können. Das führte neuerdings zu
Raubbau. Anderseits fehlte es den mit solchem Lande ausgerüsteten Leuten —
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die Armen waren in erster Linie bedacht worden — an den notwendigen Geldmitteln, um einen geordneten Betrieb einzurichten; sie waren genötigt, gegen
Verpfändung des Landes Geld zu entlehnen. Konnten sie die Zinsen nicht bezahlen, so fiel das Land dem Gläubiger anheim, der es an besser situierte Bauern
oder an einen Grundherrn verkaufte. So kehrte der grösste Teil des enteigneten
Landes wiederum in die Hand des Gross- oder Mittelbesitzes zurück.
Ein zweiter Weg zur Aufteilung von Grossgrundbesitz war die Säkularisierung des klösterlichen Grundeigentums. Nach einem stürmischen Anfang von
Besetzung geistlicher Güter durch Garibaldi wurde das Verfahren durch ein
Gesetz des Jahres 1862 in geordnete Bahnen gelenkt und auf Grund weiterer
Erlasse der Jahre 1866 und 1867 im grossen durchgeführt. Die Säkularisierung
sollte in erster Linie der Ebbe in der Staatskasse abhelfen. Bei der Versteigerung
der klösterlichen Ländereien waren es aber vor allem die über Geldmittel verfügenden Grundherren und wohlhabende Bürger und Bauern, die zudem noch
über die in diesen Gegenden so wichtigen persönlichen Beziehungen zur Bureaukratie verfügten, die den landlosen armen Landleuten die Güter wegschnappten.
Von den Käufern waren 52 % Grossgrundbesitzer, 40,6 % wohlhabende Bauern
mit Mittelbesitz und nur 7,4 % kleine landlose Leute. Und diese waren nicht
selten genötigt, nach einigen Jahren Raubbau ihr Land an die wohlhabenden
Mitbürger zu verkaufen, weil sie nicht die nötigen Geldmittel besassen, um einen
geordneten Betrieb aufrechtzuerhalten. Die ganze Aktion erfüllte die untern
Schichten mit Erbitterung und trug wesentlich zu den bereits früher erwähnten
Ausschreitungen und zur Bildung der fasci in Sizilien bei. Mit aller Deutlichkeit
zeigte sich, dass blosse Verteilung des Latifundienbesitzes nicht zum Ziele
führte, dass man sich dabei in einem circuius vitiosus, einem «Lasterzirkel»,
wie der Verfasser sagt, bewegte.
In dieser Erkenntnis ging die faschistische Regierung .einen Schritt weiter,
indem sie sich bemühte, vor allem durch Bodenverbesserung den Ertrag und
damit die Bodenrente zu steigern. Durch Entsumpfung, Berieselung, Suchen
nach neuen Wasserquellen, Bodenverbesserung durch Düngung und zweckmässige Fruchtfolge sollte der Ertrag der Landwirtschaft gesteigert werden.
Während in der Poebene, wo ähnliche Sanierungsarbeiten einsetzten, neben dem
von der Regierung gegebenen Anstoss die private Initiative Bedeutendes leistete,
musste im Süden das Sanierungswerk dem Volke von der Regierung förmlich
aufgezwungen werden. Erst nach dem Weltkriege bildeten sich auch im Süden
Unternehmerfirmen, die mit staatlicher und privater Unterstützung das Meliorarationswerk erfolgreich in Angriff nahmen. Unter ihnen sind besonders die halb
staatlichen, zur Hauptsache durch ehemalige Kriegsteilnehmer gebildeten Korporationen und in Sizilien das von der Bank von Sizilien geschaffene Istituto
Vittorio Emanuele III0 per il bonificamento della Sicilia hervorzuheben. Im
Jahre 1940 ging diese Organisation in den durch Gesetz geschaffenen Ente di
colonizzazione del latifundo di Sicilia über. Diese Organisation hatte das Recht,
Besitzer von Latifundien, die sich der Melioration ihres Grundbesitzes widersetzten, zu enteignen und das Land Kleinbauern zur Verfügung zu stellen.
Anderseits hatte der Grundherr das Recht, saniertes Land gegen Erstattung der
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den Staatsbeitrag übersteigenden Kosten zurückzunehmen; im andern Falle
wurde es vom Konsortium übernommen und in Form von Bauerngütern zu
günstigen Bedingungen an landlose Bauern übergeben. Diese Art des Vorgehens wies im Vergleich mit den früheren Versuchen einen bedeutenden Fortschritt auf. Man begnügte sich nicht damit, dem kleinen Mann einfach Land zu
verschaffen; er wurde gleichzeitig mit dem notwendigen Betriebskapital ausgestattet, dessen Fehlen bisher so manchen glücklichen Landbesitzer gezwungen
hatte, seinen Boden wieder preiszugeben. Das zur Verfügung gestellte Betriebskapital musste im Verlaufe einer längeren Frist zurückbezahlt werden.
Durch die sinnvolle Verbindung der BodenVerbesserung mit einer staatlich subventionierten Verbesserung der Betriebseinrichtung konnte der Ertrag
auf das Fünf- bis Siebenfache gesteigert werden.
Mit der Schaffung neuer Bauernstellen war die Notwendigkeit verbunden,
neue Siedlungen zu schaffen. Dabei stellte sich die Frage der Siedelungsform,
Einzelgehöft oder Anlage ganzer Dörfer. In Anlehnung an die bestehende Gewohnheit wurde die geschlossene Siedlung bevorzugt. Dabei war es vielfach
notwendig, durch Anlegen von guten Wegen diesen Ortschaften einen leichteren
Verkehr mit dem Absatzmarkte zu ermöglichen. Bei der Frage, ob die neugeschaffenen Bauernstellen dem Empfänger zum Eigentum oder in Pacht zu
überlassen seien, erwies sich die Pacht, und zwar die Halbpacht, als die für Bauer
und Grundherr oder Gemeinde vorteilhafteste Regelung. Weil aber der Halbpacht der Makel eines Überrestes aus der Feudalzeit anhaftete, hatte sie einige
Mühe sich durchzusetzen.
Die Durchführung dieses von der faschistischen Regierung ausgearbeiteten
Sanierungsplanes wurde durch die von Mussolini in Gang gebrachte «Weizenschlacht» beeinträchtigt. Nach der Ansicht des Diktators sollte Italien soweit
wie immer möglich wirtschaftlich autark gemacht werden. Zu diesem Zwecke
musste das Land vor allem seinen Bedarf an Brotgetreide selbst hervorbringen.
Das konnte nur geschehen durch bessere Wirtschaftsmethoden und durch Vermehrung der Ackerfläche. Von diesen Massnahmen wurde vor allem der Süden
als das eigentliche Getreideland betroffen. Der Forderung der Regierung kam
er nicht durch bessere Anpflanzungsmethoden, sondern einzig durch Vermehrung
des Ackerfeldes entgegen. Diese betrug im mezzogiorno 12,6 % gegen 4,7 % in
Norditalien. Diese Ausdehnung war nur auf Kosten des Wiesen- und Weidelandes möglich. Das führte zu einer bedeutenden Verminderung des Grossviehund namentlich des Schafbestandes. Ferner wurde im Interesse einer gesteigerten
Weizenproduktion auf den die Bodenfruchtbarkeit fördernden Fruchtwechsel
verzichtet.
Die mit der «Weizenschlacht» verbundene Zollpolitik führte zu Gegenmassnahmen des Auslandes. Die Folge war ein starker Rückgang der Ausfuhr von
Orangen, Zitronen, Mandeln, Wein und Olivenöl. Das kam den mit Italien im
Angebot von Südfrüchten konkurrierenden Ländern Spanien, Palästina und den
Vereinigten Staaten zu statten. Im Plan der Autarkiewirtschaft lag auch die
Ankurbelung der Industrie durch staatliche Hilfe. Davon hatte jedoch aus-
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schliesslich der für Industriebetrieb bevorzugte Norden Vorteil. Die Gelegenheit, im Süden industrielle Betriebe ins Leben zu rufen, wurde verpasst.
Trotz dieser ungünstigen Einwirkung war das Ergebnis der Anstrengungen
beachtenswert. Bis zum Einmarsch der alliierten Truppen im Jahre 1943 waren
neun Dorfsiedelungen, borghi, mit 2684 Bauernhäusern, 30 km neue Strassen und
18 km Wasserleitungen erstellt worden. Durch zahlreiche Bohrungen hatte man
neue Wasserquellen entdeckt. Der Einmarsch der alliierten Truppen verdammte
das gross angelegte Unternehmen zum Stillstand. Von den gegründeten Dörfern
sind einzelne wieder ausgestorben.
Nach Einstellung der Feindseligkeiten setzten die Sanierungsmassnahmen
von neuem ein. Sie erhielten einen bedeutenden Auftrieb durch die Marshallhilfe. Für das Rechnungsjahr 1948/49 wurden aus ihr 70 Milliarden Lire zur
Verfügung gestellt, wovon 70 % für den Süden bestimmt waren. Ein Beispiel
für das gegenwärtige Vorgehen der Regierung bietet die auf dem Sila-Gesetz
vom 12. Mai 1950 beruhende Durchführung einer grossangelegten Bodenreform
in einem Teile von Kalabrien. Es war ein Gebiet, das die katastrophale Wirkung
von Armut und Übervölkerung gleichsam als Schulbeispiel veranschaulichte :
hochgradige Unterbeschäftigung (130 bis höchstens 180 Arbeitstage im Jahr),
starke Lohnunterbietung und rasender Pachtwettbewerb. Das hatte zur Folge,
dass der Grossgrundbesitzer bei diesen misslichen, aber für ihn vorteilhaften
Verhältnissen es vorzog, mit dem alten Ausbeutungssystem fortzufahren, statt
sich in die kostspieligen Reformversuche einzulassen.
Ein Versuch der verelendeten Bevölkerung von Melissa in Kalabrien, sich
mit Gewalt Teile von Latifundien anzueignen, der blutig mit drei Todesopfern
und einer Anzahl von Verwundeten niedergeschlagen worden war, veranlasste
die Regierung, das ganze etwas über 500 000 ha umfassende, von 25 000 bäuerlichen Familien bewohnte Gebiet, die Sila, zur Bekämpfung der revolutionären
Gesinnung der Bewohner grosszügig zu sanieren. Der Plan sah die Enteignung
von 52 000 ha Grossgrundbesitz vor, die, in Bauernstellen abgeteilt, unter landarme
und landlose Bewohner abgegeben wurden gegen Bezahlung eines Drittels des
Enteignungspreises und gegen die Verpflichtung, die notwendigen, vom Staat
zu subventionierenden Landverbesserungen vorzunehmen. Die Kaufsumme
hatte der Bauer in 30 Jahresraten abzubezahlen. Damit das Land nicht wieder
an Grossgrundbesitzer verkauft wurde, ist es mit einem 20jährigen Verkaufsverbot belegt worden. Der Inhaber der Bauernstelle wurde ferner verpflichtet,
einer Korporation beizutreten, deren Aufgabe es ist, die Bewirtschaftung und den
Verkauf der Früchte zu erleichtern. Unter den Bewerbern wurde eine sorgfältige
Auslese nach der Eignung getroffen ; unter den als geeignet Befundenen entschied
das Los. Der Umfang der Bauernstellen wurde der Grösse der Familien angepasst.
Da die Zahl der Anwärter viel grösser war als diejenige der Bedachten, entstand bei denjenigen, die leer ausgingen, Enttäuschung und Erbitterung. Das
veranlasste die «opera», d.h. .die Organisation, die mit der Durchführung des
Gesetzes betraut war, im Widerspruch mit dem Willen des Gesetzes kleinere
Bauerngüter auszuscheiden, die für den Unterhalt einer Familie nicht mehr
genügten.
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Dazu trat eine zweite Schwierigkeit. Die für das Werk zur Verfügung gestellten 15 Milliarden Lire reichten bei weitem nicht aus, und drittens brauchten
die amputierten Latifundien weniger Arbeitskräfte, was sich in einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit auswirkte. In richtiger Erkenntnis der Schwierigkeiten
versuchte die Leitung des Sanierungswerkes, der hervorragende Kräfte angehörten, in der Sila zugleich industrielle Werke ins Leben zu rufen. Das Ergebnis dieser Bemühungen wird sich erst nach Ablauf von einigen Jahren feststellen lassen.
Unmittelbar nach Erlass der legge Sila ging die Regierung zu einem neuen,
ganz Italien umfassenden Reformplan über. Da sich indessen herausstellte, dass
seine Durchführung die finanziellen Kräfte des Staates weit überschreiten würde,
wurde das Unternehmen vorläufig auf den mezzogiorno samt Teilen von Latium,
der Toskana und der Pomündung beschränkt. Die Grundsätze dieses «beschnittenen» Gesetzes, der legge stralcio, stimmen mit den in der Sila befolgten
zur Hauptsache überein. Es geht aber insofern über die legge Sila hinaus, als
nicht nur Latifundien und unbebautes Land enteignet werden können, sondern
auch Mittel- und Kleinbesitz, der einen nach einem komplizierten Schlüssel
festzustellenden ungenügenden Betrag abwirft. Die Regierung hofft, auf diesem
Wege ungefähr 700 000 ha zur Verteilung an rund 100 000 Familien freimachen
zu können.
Gegen das Gesetz wurden während der Beratungen durch die Legislative
und in der Presse allerlei Bedenken erhoben. Es schaffe insofern Unsicherheit,
wurde gesagt, als kein Besitzer von bebautem Land mehr wisse, ob ihm nicht sein
Eigentum unter der Begründung, dass sein Ertrag nicht befriedige, weggenommen
werde. Dadurch werde der Wille, aus eigener Initiative Verbesserungen vorzunehmen, gelähmt. Man fand es ferner unzweckmässig, der Verbesserung bedürftiges Land an arme Leute abzugeben, von denen man nicht wusste, ob sie
mangels Betriebskapital das ihnen anvertraute Land überhaupt halten konnten.
Es wurde ferner hervorgehoben, dass das Gesetz wohl neue Bauernstellen
schaffe, sich aber nicht um die bereits vorhandenen, beständig mit der Not
ringenden Kleinbauern kümmere. Wie weit sich die legge stralcio durchführen
lässt und welche Ergebnisse sie zeitigen wird, werden erst die kommenden Jahre
erkennen lassen.
Zusammenfassend kann gesagt werde, dass sich die wirtschaftliche Lage
im mezzogiorno seit seinem Zusammenschluss mit dem nördlichen Italien nicht
gebessert hat. Eine Einsicht hat sich aus den verschiedenen, so wenig erfolgreichen Sanierungsversuchen ergeben: Die Hebung der wirtschaftlichen und
sozialen Zustände im mezzogiorno lässt sich durch einseitig auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse ausgerichtete Massnahmen nicht erreichen. Alle bisherigen Anstrengungen, das Übel einseitig von der landwirtschaftlichen Seite
her zu bekämpfen, haben sich in einem «Lasterzirkel» bewegt, sie haben das
Hauptgebrechen, Armut und Übervölkerung, nicht geheilt, nicht einmal gemindert.
Solange diese beiden zentralen Übel bestehen, sind alle Versuche, das wirtschaftliche Problem endgültig zu lösen, zum Scheitern verurteilt. Man kann Vöchting
nur beistimmen, wenn er immer wieder auf die Notwendigkeit hinweist, hier
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Hans Nabholz
mit den Heilungsversuchen anzusetzen. Die beiden Übel sind seit der Einstellung
der Feindseligkeiten noch schwerer geworden. Durch den Verlust von Libyen ist
der Abfluss der überschüssigen Bevölkerung nach dem Norden von Afrika unmöglich geworden, und die Auswanderung nach Amerika oder nach Ländern
Europas ist bei dem Andränge von Flüchtlingen aus dem Osten ebenfalls kein
Ausweg mehr. Dazu hat sich der Bevölkerungszuwachs seit 1936 noch verstärkt.
Eine Geburtenkontrolle kommt bei dem streng katholischen Süditaliener nicht
in Frage.
Auch die Bekämpfung der Armut scheint angesichts der vielzuvielen Mitesser ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Die Löhne der Landarbeiter werden
bei dem lebhaften Zudrang zu dieser Beschäftigung nicht steigen, und die vielen
kleinen Landbesitzer, die ein kümmerliches Dasein fristen, sind nicht in der
Lage, bei aller Sparsamkeit nach und nach die so notwendigen Mittel zu einer
rationellem Gestaltung ihres Betriebs zusammenzubringen.
Der einzige Weg, der aus den scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten
herauszuführen verspricht, ist der Versuch, im mezzogiorno Gewerbe und Industrie anzusiedeln. Auf diese Weise könnte dem gestauten Überfluss von Arbeitskräften ein Ausgang geschaffen werden. Zugleich bestände Aussicht, dass
sich gleichzeitig der vollkommen fehlende Mittelstand allmählich entwickeln
würde, der seinerseits der Landwirtschaft einen günstigen Absatzmarkt schaffen
und seine Mittel in der Landwirtschaft investieren würde.
Schon die faschististe Regierung hatte die Notwendigkeit eingesehen, in
diesen Gebieten Industrie mit staatlichen Mitteln anzusiedeln. Durch die
«Weizenschlacht» und mehr noch durch die folgenden Kriegsereignisse blieben
ihre Anstrengungen in den Anfängen stecken. Bemühungen in dieser Richtung
wurden auch von der das faschistische Regime ablösenden Nachkriegsregierung
gemacht. Die Grundlage bildete ein Erlass vom 14. Dezember 1947. Er sah eine
weitgehende finanzielle Entlastung für im Süden entstehende oder in Erweiterung begriffene industrielle Werke vor; unter andern sollten sie für 10 Jahre
von der Einkommenssteuer befreit sein. Einige Grossbanken des Südens sollten
für Erstellung von Werken vom Staat gesicherte Darlehen zur Verfügung
stellen. Für den Ausbau von die entstehende Industrie fördernden Hilfsmitteln
wie Eisenbahn- und Strassennetz, Wasserkräfte, Elektrizität und dergleichen
sah der Staat einen Kredit von 57 Milliarden vor. Aber rasch erwies sich, dass
alle diese Massnahmen bei dem gewaltigen Kapitalbedarf, den die Schaffung
einer Industrie gleichsam aus dem Nichts erforderte, nichts als «fadenscheinige
Pflaster» waren. Im Norden, vor allem in den industriellen Kreisen, zeigte sich
wenig Neigung, mit den Steuern, an die die Industrie einen bedeutenden Beitrag
leistet, im Süden eine den Norden konkurrenzierende Industrie aufzubauen.
Das Unternehmen geriet ins Stocken. Damit war der Süden um eine Enttäuschung reicher. Sie machte sich unter anderm dadurch Luft, dass die Sizilianer
eine Zeitlang mit dem Gedanken der Trennung von Italien spielten und im Juli
1948 eine weitgehende administrative Autonomie ertrotzten.
Angesichts der wenig Erfolg versprechenden Bemühungen, den Süden zu
industrialisieren, scheinen sich die Pläne der Regierung von diesem Gedanken
Die italienische Südfrage
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abzuwenden und sich neuerdings einer einseitigen Sanierung des landwirtschaftlichen Bereichs zuzuwenden. Im Jahre 1950 wurde eine Summe von
1000 Milliarden, auf zehn Jahre verteilt, in Aussicht genommen. Sie soll verwendet werden zur Hebung der Landwirtschaft, Bodenreform und Förderung
des Fremdenverkehrs. Auch da wieder wird man Vöchting zustimmen, wenn er
die Befürchtung ausspricht, dass durch diesen neuen Plan die Industrialisierung
des Südens ad calendas graecas verschoben wird und Gefahr besteht, dass der
neue, mit reichen Geldmitteln ausgestattete, aber einseitig für die Landwirtschaft berechnete Plan wieder dem «Lasterzirkel» verfällt.
Vöchtings Werk vermittelt nicht nur dem Volkswirtschafter tief in die
Materie eindringende Einblicke in die so überaus komplizierte und schwer entwirrbare italienische Südfrage. Jedermann wird das Buch mit grossem Gewinn
lesen. Er wird einen Begriff von der Schwere der Aufgabe bekommen, die die
italienische Regierung zu lösen hat, und verstehen, dass die Mißstände, das Ergebnis einer unglücklichen Gestaltung der Verhältnisse in Süditalien während
Jahrhunderten, nicht durch einen Federstrich, sondern nur durch jahrelange
zielbewusste Anstrengung behoben werden können.
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