Leitthema Diabetologe 2014 · 10:115–121 DOI 10.1007/s11428-013-1111-6 Online publiziert: 8. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A. Bosy-Westphal1, 2 · M.J. Müller2 1 Institut für Ernährungsmedizin, Universität Hohenheim, Stuttgart 2 Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Moderne Ernährungskonzepte bei Typ-2-Diabetes Die Ernährungstherapie ist sowohl für die Prävention als auch für die Behandlung des Typ-2-Diabetes von Bedeutung. Während sie beim Prädiabetes als alleinige Therapie ausreichen kann, dient die gesunde Ernährung als Basistherapie des Typ-2-Diabetes. Sie ist durch ein günstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis gekennzeichnet und unterstützt die medikamentöse Therapie sowohl additiv als auch synergistisch. Bedeutung für die Prävention Prospektive Studien zum Zusammenhang zwischen Ernährung und dem Risiko für Typ-2-Diabetes untersuchen hypothesenzentriert etablierte Ernährungsqualitätsindizes, deren Komponenten nachgewiesene gesundheitsfördernde Eigenschaften aufweisen [Z. B. Dietary Approach to Stop Hypertension (DASH-Diät), Healthy Eating Index (HEI)], oder Ernährungsqualitätsindizes, die auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) oder internationaler Fachgesellschaften beruhen. Vor allem ein mediterranes Ernährungsmus­ter ist im Hinblick auf die Prävention des Typ-2-Diabetes geeignet (Übersicht: [17]; . Tab. 1). Andere Indizes sind dagegen nicht oder nicht in allen Studien wirksam (Übersicht: [17]). Während sich einige populäre Ernährungsmuster zu Prävention und Therapie des Diabetes gegenseitig ausschließen (z. B. eine kohlenhydratarme und eine fettarme Ernährung) könnten sich die positiven Faktoren anderer Ernährungsmuster (z. B. der mediterranen und asiatischen Ernährung) durchaus ergänzen [21]. So gibt es bereits Kochbücher und Überlegungen zu möglichen gesundheitlichen Vorteilen einer „MediterrAsian Diet“, die in zukünftigen Studien auf ihre Komponenten und deren Wirksamkeit geprüft werden müssen, denn nicht alle Komponenten sind protektiv, und der Verzehr von poliertem Reis erhöht beispielsweise das Risiko für Typ-2-Diabetes [14]. Die Identifikation von Clustern protektiver Ernährungsfaktoren ist sinnvoll, da jede Ernährung nicht aus beliebigen einzelnen Lebensmitteln besteht, sondern ein bestimmtes Lebensmittelmus­ter gewählt wird. Dennoch entsprechen weder die konventionellen Ernährungsqualitätsindizes noch die durch den statistischen Zusammenhang identifizierten Er- nährungsfaktoren einem häufigen habituellen Ernährungsmuster. So liegt z. B. die Empfehlung einer mediterranen Ernährung den Ernährungsgewohnheiten von Süd­europäern näher und erfordert für die deutsche Bevölkerung eine größere Umstellung. Um die Compliance zu unterstützen, sollte daher die Umsetzung der epidemiologischen Daten in praktische Empfehlungen vor dem Hintergrund individueller Ernährungsgewohnheiten erfolgen. Die Anpassung eines protektiven Ernährungsmusters an soziokulturelle Bedürfnisse (z. B. Einsatz von Raps- statt Olivenöl) setzt jedoch voraus, dass die gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe (z. B. hoher Gehalt an einfach ungesättigten Fettsäuren) bzw. deren Wirkmechanismen bekannt sind. Tab. 1 Charakteristika eines mediterranen Ernährungsmusters Lebensmittel Olivenöl Nüsse, Erdnüsse Obst Gemüse Hülsenfrüchte Ggf. Rotwein Geflügel Fisch (besonders Fettfisch), „seafood“ Empfohlene Verzehrmengea 4 Teelöffel/Tag ≥3 Portionen a 30 g/ Woche ≥3 Portionen/Tag ≥2 Portionen/Tag ≥3 Portionen/Woche ca. 7 Gläser/Woche Statt rotem Fleisch ≥3 Portionen/Woche Gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe Ölsäure, Polyphenole Ballaststoffe, ungesättigte Fettsäuren, ­Vitamin E, Magnesium, Kalium, Phytosterole Polyphenole, Flavonoide, Gylkosinolate, Carotinoide, antioxidative Vitamine, Ballaststoffe Ballaststoffe, Phytosterole, Saponine Resveratrol ω3-Fettsäuren aAdaptiert nach [8], gleichzeitig geringer Konsum von Softdrinks (<1/Tag), rotem Fleisch und Wurstwaren (<Portion/Tag), Streichfett (<1 Portion/Tag), Backwaren wie Kuchen und Keksen und Süßwaren (<3 Portionen/ Woche). Der Diabetologe 2 · 2014 | 115 Mögliche Wirkmechanismen protektiver Ernährungsmuster Die in epidemiologischen Studien identifizierten Ernährungsmuster lassen nur Vermutungen im Hinblick auf die zugrunde liegenden protektiven Mechanismen zu. Beispielsweise deutet der Befund einer inversen Beziehung zwischen dem Verzehr verschiedener Früchte (Heidelbeeren, Trauben und Äpfeln) und dem Typ-2-Diabetes-Risiko bei gleichzeitig positiver Beziehung für den Konsum von Fruchtsaft [20] darauf hin, dass entweder ein schnellerer Anstieg der Blutzuckerkonzentration (und auch eine schnelle Anflutung der resorbierten Fructose) oder aber die veränderte Lebensmittelmatrix (geringerer Gehalt an Ballaststoffen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen) eine entscheidende Rolle für das Diabetesrisiko spielt. Die Erkenntnis, dass der unterschiedliche Blutzuckerkonzentrationsanstieg verschiedener kohlenhydrathaltiger Lebensmittel eine Rolle für die Blutzuckereinstellung des Diabetespatienten spielt, führte bereits 1981 zur Entwicklung des Glykämischen-Index(GI)-Konzepts [15]. Der GI ist ein Maß zur Charakterisierung der Wirkung eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels auf den Blutzuckerspiegel. Lebensmittel, die durch einen niedrigen GI zu einem geringeren Blutzuckeranstieg führen, induzieren auch eine geringere Inkretin- und Insulinsekretion [9]. Die 1997 erfolgte Erweiterung des GI-Konzepts um die glykämische Last (GL) berücksichtigt neben dem GI den Kohlenhydratanteil/100 g Lebensmittel. Grundlegende Prinzipien einer niedrig-glykämischen Ernährung sind in . Tab. 2 zusammengefasst. In einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien waren Gl und GL mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes assoziiert [GI: relatives Risiko (RR) =1,40, 95%-Konfidenzintervall (95%-KI): 1,23–1,59; GL: RR =1,27, 95%-KI: 1,12–1,45, [4]]. Eine weitere Metaanalyse prospektiver Kohortenstudien bestätigt die positive Beziehung zwischen GL und Diabetesrisiko, macht darüber hinaus Angaben zur Dosis-Wirkung-Beziehung und gibt eine Empfehlung für eine maximale GL von 100 g (. Tab. 3; [19]). Dies bedeutet keinesfalls eine zuckerfreie Ernährung. Legt man einen GI des Haushaltszuckers von 68 zugrunde und wird bei einem Energiebedarf von 2000 kcal/Tag die Kalorienzufuhr beispielsweise zu 10% durch Haushaltszucker gedeckt (200 kcal/4=50 g Zucker), beträgt die GL allein durch den Zucker nur 34 g (=50×68/100). Für die übrige Kohlenhydratzufuhr wäre noch eine GL von 66 g übrig, die bei normaler Kohlenhydratzufuhr und hohem Ballaststoffanteil nicht überschritten wird (. Tab. 3). Eine kontrollierte Ernährungsintervention zum Einfluss des GI/GL auf die Blutzuckerregulation hat im Vergleich zu epidemiologischen Studien weniger methodische Nachteile, da sie die Ernährung genau vorgeben kann. Um die Bedeutung der Ernährung für die Entstehung von metabolischen Risiken bei Gesunden zu untersuchen, muss jedoch eine Art „metabolischer Stress“ wie z. B. eine kalorische Unter- oder Überernährung ausgeübt werden. In einer kontrollierten Ernährungsstudie wurde der Einfluss von Variationen in Kohlenhydratmenge und GI auf Veränderungen der Insulinsensitivität während der Realimentation nach einer Körpergewichtsabnahme bei gesunden normalgewichtigen Probanden untersucht [16, 17]. Sowohl der überwiegende Verzehr von Lebensmitteln mit einem höheren GI (. Abb. 1) als auch eine hohe Kohlenhydratzufuhr erhöhten die postprandialen Glucosespiegel im Tagesverlauf signifikant. Die Abnahme der Insulinsensitivität im „refeeding“ konnte durch den Verzehr von niedrig-glykämischen, ballaststoffreichen Lebensmitteln, v. a. bei einer niedrigen GL, verringert werden [16]. Eine hohe Kohlenhydratzufuhr (65% der Energiezufuhr) führte außerdem zu Anstiegen des Leberfettgehalts und des Nüchterntriglyzeridspiegels [17]. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine niedrige GL Insulinsensitivität und Insulinbedarf bei Gesunden günstig beeinflusst. » Niedrige glykämische Last beeinflusst Insulinsensitivität und -bedarf bei Gesunden günstig Ein niedriger GI ist geeignet, die Glucosetoleranz und das Körpergewicht bei Frauen, die einen Gestationsdiabe- Zusammenfassung · Abstract tes in der Anamnese haben, zu verbessern [27]. Eine Niedrig-GI/GL-Diät war sowohl in der Women’s Health Study als auch in Langzeitstudien zu niedrigeren Spiegeln des C-reaktiven Proteins (CRP) bzw. einem günstigeren Lipidprofil assoziiert [18, 26]. Ein niedriger GI bzw. eine hohe Ballaststoffzufuhr sind insbesondere bei hoher Kohlenhydrataufnahme von Bedeutung, da sie nicht nur dem Anstieg der postprandialen Blutzuckerkonzentration, sondern auch des Nüchterntriglyzeridspiegels entgegenwirken [10]. Die positiven Effekte des GI-GL-Konzepts werden teilweise durch einen hohen Ballaststoffgehalt verstärkt [12], sind jedoch anteilig unabhängig von den positiven Wirkungen der Ballaststoffe [6, 19, 23]. Neben dem Fett- und Proteingehalt eines Lebensmittels ist v. a. der Ballaststoffgehalt ein wesentlicher Faktor, der den postprandialen Anstieg der Blutzuckerkonzentration vermindert. Im Gegensatz zum Fettgehalt hat ein hoher Ballaststoffgehalt jedoch einen gesundheitlichen Nutzen. Durch die enge Beziehung zwischen GI und Ballaststoffgehalt von kohlenhydratreichen Lebensmitteln ist die Unterscheidung zwischen GI und Ballaststoffen mehr von akademischem Interesse als von praktischer Relevanz in der Ernährungsberatung. Für eine pragmatische Verbindung der GIund Ballaststoffkonzepte in der Beratung spricht auch, dass dadurch eher ungünstige, niedrig glykämische Zucker oder Zuckeraustauschstoffe wie Fructose und Sorbit nicht empfohlen werden. Ein weiterer protektiver Mechanismus, der sich im geringen Verzehr von Wurstwaren und hohem Verzehr an Olivenöl verbirgt, besteht im höheren Anteil an einfach ungesättigten und geringeren Anteil an gesättigten Fettsäuren. Epidemiologische Daten zeigen eine Beziehung zwischen einer hohen Aufnahme an gesättigten Fettsäuren und einem erhöhten HbA1c [13]. Diäten mit hohem Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. die mediterrane Ernährung) führen dagegen zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität [24] und einer Senkung des HbA1c [25]. Die mediterrane Ernährung ist nicht fettarm, sie beinhaltet jedoch nicht nur eine geringere Zufuhr gesättigter und eine hohe Zufuhr einfach ungesättigter Fettsäuren, sondern auch ein günstiges Verhält- 118 | Der Diabetologe 2 · 2014 Diabetologe 2014 · 10:115–121 DOI 10.1007/s11428-013-1111-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A. Bosy-Westphal · M.J. Müller Moderne Ernährungskonzepte bei Typ-2-Diabetes Zusammenfassung Das Konzept der mediterranen Ernährung ist in der Prävention und Therapie des Typ-2Diabetes wirksam. Aber auch kohlenhydratarme, proteinreiche Diäten haben eine Verbesserung des HbA1c bei Diabetespatienten zur Folge und müssen daher hinsichtlich ihrer Langzeiteffekte besser untersucht werden. Das Verständnis über die zugrunde liegenden Mechanismen eines protektiven Ernährungsmusters ermöglicht deren Berücksichtigung in einer weitgehend individualisierten Ernährung, die durch Berücksichtigung persönlicher Präferenzen die Compliance der Patienten erhöht. Ein niedriger glykämischer Index (GI)/eine niedrige glykämische Last (GL), eine hohe Zufuhr an einfach ungesättigten Fett- säuren sowie ein hoher Verzehr von Ballaststoffen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen sind die Grundlage der modernen Ernährungstherapie bei Typ-2-Diabetes. Mit zunehmenden Erkenntnissen zur unterschiedlichen Ätiologie des Diabetes wird die Heterogenität dieser Erkrankung evident. Die Idee einer individuellen Ernährungstherapie wird damit zu einer wichtigen Aufgabe in der Ernährungsforschung. Schlüsselwörter Prädiabetes · Glykämischer Index · Glykämische Last · Mediterrane Ernährung · Individualisierte Medizin Modern dietary concepts for type 2 diabetes Abstract A Mediterranean diet has been shown to be effective in the prevention and treatment of type 2 diabetes. However, a low carbohydrate and high protein diet have also shown positive effects on glycemic control in type 2 diabetes and need to be investigated regarding long-term safety and effectiveness. Understanding the underlying mechanisms of a protective dietary pattern allows integration into an individualized dietary recommendation considering personal preferences and thus increasing patient compliance. A modern concept of diet therapy in type 2 diabetes nis von ω6- zu ω3-Fettsäuren. Darüber hinaus erhöhen bestimmte Polyphenole der mediterranen Diät die endogene Produktion von ω3-Fettsäuren [7] und tragen so zu den antiinflammatorischen sowie antithrombogenen Eigenschaften der mediterranen Ernährung bei. Da die Fettsäurezusammensetzung Einfluss auf die Membranfluidität und damit auf die Effizienz der Glucosetransporter hat, führt ein höherer Anteil an gesättigten Fettsäuren in Membranphospholipiden bei Patienten mit Prädiabetes zu einer Verschlechterung der Insulinsensititvität [30]. Dagegen begünstigt eine hohe Zufuhr an mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus pflanzlicher Kost (bei gleichzeitig geringerem Anteil an gesättigten Fettsäuren sowie der schwefelhaltigen Aminosäure Me- includes a low glycemic index and low glycemic load diet with a high content of monounsaturated fatty acids as well as a high intake of fiber and secondary plant compounds. The etiology of type 2 diabetes is diverse and reveals the heterogeneity of the disease. The idea of an individualized targeted nutritional therapy is appealing and requires further investigation. Keywords Prediabetes · Glycemic index · Glycemic load · Mediterranean diet · Individualized medicine thionin aus tierischer Kost) den Körpergewichtserhalt, indem sie die Fettoxidation und Thermogenese erhöhen [2, 22]. Eine alternative Erklärung für die positive Beziehung zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch sowie Wurstwaren und dem Diabetesrisiko ist der negative Einfluss einer hohen Eisenzufuhr. Dies wird durch die Ergebnisse einer Metaanalyse gestützt, die auf ein höheres Diabetesrisiko bei hoher Aufnahme von Hämeisen und bei hohen Körpereisenspeichern hinweist [3]. Dass eine ganze Reihe sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe für die positive Wirkung einer mediterranen Ernährung bedeutsam ist, zeigt . Tab. 1. Besonders protektiv scheinen Nüsse und Beerenfrüchte zu sein. Abb. 1 9 Kontinuierliche interstitielle Glucosemessung (Freestyle ­Navigator®, Fa. Abbott, Wiesbaden) über 24 h während ­einer hyperkalorischen Ernährung (+50% Energiebedarf, 50% Kohlenhydrate, 35% Fett, 15% ­Protein), differenziert nach glyk­ ämischem Index [niedriger GI (LGI) =40±3; hoher GI (HGI) =74±3]. Das Glucose­tagesprofil zeigt bei Verzehr von Lebensmitteln mit hohem GI ­eine ­höhere Glyk­ämie (d. h. ­eine höhere inkrementale ­Fläche ­unter der interstitiellen Glucosekurve in der postprandialen Zeit des Tages) bei jungen gesunden Männern. AUC „area under the ­curve“. (­Adaptiert nach ­Lagerpusch et al. [17]) Bedeutung für die Therapie In einer Metaanalyse verschiedener randomisierter kontrollierter Studien mit ≥6-monatiger Dauer wurden verschiedene Diäten zur Behandlung des Typ-2Diabetes verglichen [1]. Hierbei führte die mediterrane Ernährung zur stärksten Reduktion des HbA1c-Werts, gefolgt von einer proteinreichen Ernährung und einer Diät mit niedrigem GI bzw. einer Diät mit niedrigem Kohlenhydratanteil. Allen Diäten gemeinsam ist jedoch eine niedrige GL. Sowohl die kohlenhydratarme als auch die mediterrane Ernährung führten außerdem zu einer erfolgreichen Körpergewichtsreduktion. Eine Erhöhung des High-density-lipoproteins(HDL)-Spiegels konnte durch alle Diäten mit Ausnahme der proteinreichen Ernährung erreicht werden. Diäten mit hohem Proteinanteil (>20- bis 30%iger Proteingehalt) können neben einer niedrigeren GL sowohl über eine Appetitminderung als auch über eine Verbesserung der Insulinsensitivität wirksam sein [10]. » Diät mit niedrigem glykämischen Index vermindert Risiko für glykämische Entgleisungen Eine Diät mit niedrigem Gl vermindert nicht nur den HbA1c-Wert, sondern verbessert auch die Blutzuckereinstellung, d. h., sie vermindert sowohl das Risiko für Hypo- als auch Hyperglykämien [28]. Des Weiteren bewirkt eine Diät mit niedrigem GI eine Verbesserung des Lipidmusters [Senkung der Triglyzeridspiegel, Gesamt- und Low-density-lipoproteins(LDL)-Cholesterinspiegel und Anstieg des HDL-Cholesterinspiegels]; dies ist aufgrund der hohen kardiovaskulären Mortalität von Patienten mit Typ-2-Diabetes von besonderer Bedeutung [12]. Individualisierte Ernährungstherapie Gemäß molekularbiologischer und immunologischer Erkenntnisse stellt der Typ-2-Diabetes ätiologisch ein heterogenes Bild dar. Eine genetische Analyse, die Bestimmung spezifischer Antikörper und eine differenzierte metabolische Phänotypisierung (hinsichtlich Insulinsensitivität und β-Zell-Funktion) könnten daher in Zukunft die Individualisierung der Therapie ermöglichen. Erste Studien zeigen jedoch keine klare metabolische Abgrenzung zwischen unterschiedlichen immunologischen Phänotypen mit Diabetes [29]. Eine Phänotypisierung aufgrund der metabolischen Charakteristika Insulinsensitivität und β-Zell-Funktion könnte v. a. zwischen dem „hyperinsulinemic“ und „insulinopenic“ Diabetes sowie dem „klassischen“ Typ-2-Diabetes unterscheiden (. Tab. 4). Individuen, die nach einem oralen Glucosetoleranztest (oGTT) oder einer i.v-Glucose-Gabe mit einem niedrigeren Blutzuckerspiegel reagieren, haben prospektiv ein höheres Risiko für eine Körpergewichtszunahme [5]. Es liegt daher nahe, dass v. a. Personen mit diesem metabolischen „Insulin-high-responder“Phänotyp von einer Diät mit niedrigem GI profitieren. Tatsächlich könnten aber wiederum gerade schlanke Typ-2-Diabetes-Patienten, bei denen die Insulinresistenz in der Regel nicht mit einer Hyperinsulinämie einhergeht, von einer niedrigen Der Diabetologe 2 · 2014 | 119 Leitthema Tab. 2 Prinzipien einer niedrig-­ Tab. 4 Metabolische Phänotypen des Typ-2-Diabetes und Hypothesen für eine glykämischen Ernährung ­phänotypspezifische Ernährungstherapie Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index – Die meisten Gemüse- und Obstarten – Hülsenfrüchte – Alle Lebensmittel, die kohlenhydratarm sind, z. B. Eier, Milchprodukte, Käse, Fisch und Fleisch Bei den Kohlenhydratträgern sind ­Verarbeitungsgrad und Ballaststoffgehalt entscheidend – Vollkornbrot ist vorteilhafter als Baguette – Kernige Haferflocken sind besser als ­Cornflakes – Pellkartoffeln günstiger als Kartoffelpüree Der glykämische Index einer Mahlzeit hängt von ihrer Makronährstoffzusammensetzung ab. (Hoher Eiweiß- und Fettgehalt senken den glykämischen Index.) Auch der glykämische Index eines einzelnen Lebensmittels kann beträchtlichen Schwankungen unterliegen, die insbesondere vom Reifungsgrad und der Sorte des Lebensmittels sowie dessen küchentechnischer Zubereitungsart und Dauer des Kochprozesses bestimmt werden. Tab. 3 Beziehungen zwischen ­ ohlenhydratzufuhr, glykämischem Index K (GI) und glykämischer Last (GL). ­ (Adaptiert nach [19]) Das relative Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, steigt ab einer GL von 95 g/2000 kcal und beträgt für jede zusätzliche GL von 100 g 1,45 (95%-KI: 1,31–1,61) Eine GL von 100 g sollte daher nicht ­überschritten werden und entspricht 100 g: KH mit einem GI von 100 130 ga: KH mit einem GI von 77 200 gb: KH mit einem GI von 50 250 gb: KH mit einem GI von 40 300 gc: KH mit einem GI von 33 KH Kohlenhydrate, 95%-KI 95%-Konfidenzintervall.aEntspricht dem „Recommended-daily-allowance“(RDA)-Wert für Erwachsene.b200–250-g entsprechen im Mittel der westlichen Ernährungsweise bei Erwachsenen.cEntspricht etwa 60% der Energiezufuhr. GL profitieren, weil sie den „insulin demand“ verringert. Übereinstimmend mit diesen Überlegungen war eine höhere GL nur bei schlanken, nicht aber bei übergewichtigen Typ-2-Diabetes-Patienten mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert [6]. Die Diätetik bei Patienten mit Typ-2Diabetes ist wesentlich auch von diabetesassoziierten Stoffwechselstörungen abhängig. Bei Hypertriglyzeridämie ist ein 120 | Der Diabetologe 2 · 2014 Metabolische Besonderheiten Übergewicht Komorbiditäten Ernährungstherapie IGT, „insulinopenic“ Typ-2-Diabetes Normale bis erhöhte Insulinsensitivität bei stark beeinträchtigter β-Zell-Funktion (Gestörte β-Zellfunktion ist führend) Selten Kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen Niedriger GI/GLa „Klassischer“ ­Typ-2-Diabetes Insulinresistenz und gestörte β-Zellfunktion IFG, „hyperinsulinemic“ ­Typ-2-Diabetes Schwere Insulinresistenz bei normaler bis erhöhter β-Zellfunktion (Insulinresistenz ist führend) Häufig Sehr häufig Erhöhtes Risiko für metabolisches Syndrom, Fettleber und kardiovaskuläre Erkrankungen Körpergewichtsreduktion, ­niedriger GI/GLb Körpergewichtsreduktion GI glykämischer Index, GL glykämische Last, IGT „impaired glucose tolerance“, IFG „impaired fasting glucose“. aUm mit geringer Insulinsekretion auszukommen.bUm die Insulinsekretion gering zu halten. mediterranes Ernährungsmuster mit Alkoholkarenz indiziert. Bei bestehender Hypercholesterinämie ist eine fett- und cholesterinarme (<30%, <300 mg/Tag) bzw. linolsäurereiche Diät zu diskutieren, sofern diese aus Sicht einer möglicherweise bestehenden Hyperinsulinämie vertreten werden kann. Bei Hypertonie sollte eine kochsalzarme Variante der mediterranen Diät (<6 g NaCl/Tag, z. B. als kochsalzarme DASH-Diät) gewählt werden. Fazit für die Praxis FNationale und auch ­internationale Fachgesellschaften empfehlen für ­Diabetespatienten häufig einen Kohlenhydratanteil zwischen 45 und 60% der täglichen Energiezufuhr, während der Fettanteil 30 Energie-% nicht übersteigen sollte. Sowohl prospektive Beobachtungs- als auch Interventionsstudien zeigen jedoch, dass im Hinblick auf die Prävention und Therapie des Typ-2-Diabetes eine niedrige GL und eine günstige Fettsäurezusammensetzung (mit einem niedrigen Anteil an gesättigten und einem hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren) im Vordergrund der Empfehlungen stehen sollte. FDie moderne Ernährungstherapie bei Prädiabetes und Typ-2-Diabetes ist daher überwiegend vegetabil, legt hohen Wert auf Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte, enthält 5 Portionen Gemüse und Obst/Tag, aber we- nig fette Wurst und fettreiche Milchprodukte. FSie berücksichtigt individuelle Verzehrgewohnheiten und bevorzugt bei der Speisenzubereitung Öle mit einem hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. Raps- oder Olivenöl). FDie moderne Ernährungstherapie bei Prädiabetes und Typ-2-Diabetes entspricht somit den derzeitigen Erkenntnissen über eine gesunde Ernährung. Eine spezielle „DiabetesDiät“ gibt es nicht. Korrespondenzadresse Prof. Dr. A. Bosy-Westphal Institut für Ernährungsmedizin, Universität Hohenheim Fruwirthstr. 12 70593 Stuttgart Anja.Bosy-Westphal@ uni-hohenheim.de Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. A. Bosy-Westphal und M.J. Müller geben an, dass kein Interessenkonflikt ­besteht. Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Fachnachrichten Literatur 1. Ajala O, English P, Pinkney J (2013) Systematic review and meta-analysis of different dietary approaches to the management of type 2 diabetes. Am J Clin Nutr 97:505–516 2. Astrup A (2005) The role of dietary fat in obesity. Semin Vasc Med 5:40–47 3. Bao W, Rong Y, Rong S, Liu L (2012) Dietary iron intake, body iron stores, and the risk of type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. BMC Med 10:119 4. Barclay AW, Petocz P, McMillan-Price J et al (2008) Glycemic index, glycemic load, and chronic disease risk - a meta-analysis of observational studies. Am J Clin Nutr 87:627–637 5. 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Curr Diabetes Rev 8:390–400 Ausschreibung Wissenschaftspreis 2014 „Ludwig-HeilmeyerMedaille in Silber” Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wird der LudwigHeilmeyer-Preis, der aus einer Silber-Medaille und einem Geldbetrag von 5.000,- Euro besteht, für das Jahr 2014 ausgeschrieben. Der Preis wird alle 2 Jahre für grundlegende wissenschaftliche Arbeiten über aktuelle Themen der Inneren Medizin verliehen. Die Arbeiten dürfen bislang bei keinem Wissenschaftspreis eingereicht worden sein. Es darf nur eine Arbeit eingereicht werden. Diese sollte weitgehend im deutschsprachigen Raum entstanden sein. Dabei kann es sich um eine Habilitationsschrift handeln. Der Bewerber soll nicht älter als 40 Jahre sein. Der Preis der ausgewählten Arbeit geht an den Autor, der die Bewerbung eingereicht hat. Ein kurzes curriculum vitae (ebenfalls in 7-facher Ausfertigung) wird erbeten. Die eingereichte Arbeit muss in 7-facher Ausfertigung bis zum 15. Mai 2014 bei dem Generalsekretär der Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin, Prof. Dr. med. R. Mies, St. Antonius Krankenhaus, Schillerstr. 23, 50968 Köln, eingegangen sein. Die drei besten eingereichten Arbeiten werden auf einer Posterdemonstration anlässlich des Symposiums vorgestellt. Die Entscheidung des Kuratoriums über die Auswahl des Preisträgers ist endgültig. Der Rechtsweg bleibt ausgeschlossen. Die Preisverleihung findet anlässlich des 33. Ludwig-Heilmeyer-Symposiums vom 06. bis 08. November 2014 in Köln statt. Kommentieren Sie diesen Beitrag auf springermedizin.de Quelle: Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin, www.siegenthaler-gesellschaft.de 7 Geben Sie hierzu den Bei- tragstitel in die Suche ein und nutzen Sie anschließend die Kommentarfunktion am Beitragsende. Der Diabetologe 2 · 2014 | 121