PDF - Novo Nordisk Deutschland

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SGA
Ein Überblick zu Kleinwuchs infolge einer
vorgeburtlichen Wachstumsverzögerung
Wir danken dem Autor
Dr. med. Andreas Krebs
Universitätsklinikum Freiburg
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Bereich Endokrinologie/Diabetes/Stoffwechsel
SGA
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Inhaltsverzeichnis
SGA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Beschreibung und Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
• Beurteilung und Vergleichbarkeit der körperlichen Entwicklung bei Geburt. . . . . . . . . . . 6
• Definition SGA, IUGR, AGA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
• Silver-Russel-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Erkennung und Ursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
• Diagnose SGA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
• SGA-Ursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Vorbeugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
• Rauchen, Alkohol, Drogen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
• Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Entwicklung nach der Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
• Aufholwachstum und Zielgröße. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
• Frühgeborene SGA-Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
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SGA
Inhaltsverzeichnis
Gesundheitliche Risiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Endokrinologische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Neurologische, psychosoziale und intellektuelle Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Stoffwechselveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Andere Organveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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24
25
25
Behandlung und Langzeitbetreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Voraussetzungen für eine Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Wachstumshormon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
• Behandlung mit Wachstumshormon bei Kleinwuchs infolge SGA. . . . . . . . . . . . . . . . .
• Unerwünschte Wirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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33
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Verwendete Abkürzungen und Fremdwörter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5
SGA
Beschreibung und Häufigkeit
Beurteilung und Vergleichbarkeit der
körperlichen Entwicklung bei Geburt
Zur Beurteilung des körperlichen Entwicklungszustandes eines neugeborenen Kindes bei Geburt
werden Körpergewicht und -länge sowie der Kopfumfang gemessen und auf die Schwangerschaftsdauer sowie das Geschlecht des Neugeborenen
bezogen. Diese Messdaten können als Perzentilen
(Prozentangaben) berechnet werden und ermög­
lichen dann den Vergleich mit den Normalwerten für
männliche und weibliche deutsche Neugeborene.
Sie zeigen, ob ein Kind vom Normal- oder Durchschnittsbereich der gesunden Bevölkerung abweicht.
Diese Normalwerte stehen als Perzentilenkurven
(s. Abbildung 1) für Mädchen und Jungen im Alter
von 0 bis 18 Jahren in Form von Diagrammen zur
Verfügung. Der Bereich von der 3. bis zur 97. Perzentile wird als Normalbereich bezeichnet. Entspricht
beispielsweise die Körperhöhe eines Kindes der
3. Perzentile im Diagramm, sind nur 3 % der gleich­
altrigen Mädchen oder Jungen kleiner. Liegt die
Körperhöhe des Kindes auf der 50. Perzentile des
6
Diagramms, sind 50 % der gleichaltrigen Kinder
kleiner/größer, und bei einer Körperhöhe entsprechend der 97. Perzentile sind nur 3 % der Kinder
größer. Eine Körperhöhe unterhalb der 3. Perzentile
wird als Kleinwuchs und eine Körperhöhe oberhalb
der 97. Perzentile als Hochwuchs bezeichnet. Wird
die Körperhöhe eines Kindes regelmäßig gemessen
und mit den Durchschnittswerten gleichaltriger
Mädchen oder Jungen des Perzentilendiagramms
verglichen, kann man die Wachstumsgeschwindigkeit ermitteln und problemlos erkennen, ob das
Wachstum im Vergleich mit Gleichaltrigen normal,
langsamer oder schneller erfolgt. Solche Perzentilendiagramme gibt es außer für die Körperhöhe u. a.
auch für das Körpergewicht und den Kopfumfang.
Neben der Verwendung von Perzentilen zur Beschreibung von Länge, Gewicht und Kopfumfang
eines Kindes und zur Einordnung dieser Messwerte
in normal, zu klein oder zu groß hat sich auch die
Angabe von Zahlenwerten für die Standardabweichung (englisch: standard deviation score, SDS)
bewährt. Besteht keine Abweichung von der Norm,
SGA
beträgt die Standardabweichung 0 (0 SDS) und
entspricht damit der 50. Perzentile. Bei einer Abweichung von der Norm um 2 Standardabweichungen
nach oben (2 SDS) entspricht dies in etwa der
97. Perzentile. Liegt ein Wert 2 Standardabweichun­
gen unterhalb des Normwertes (–2 SDS) entspricht
dies ungefähr der 3. Perzentile (s. Abbildung 2).
Mit den SDS-Werten können auch Größen- oder
Gewichtswerte, die deutlich unter der 3. Perzentile
liegen, eindeutig definiert werden. Verwendet man
diese Zahlenwerte der Standardabweichung (SDS)
zur Beurteilung, so liegt der Normalbereich für die
Körperhöhe, das Körpergewicht oder den Kopfumfang zwischen –2 SDS und 2 SDS. Bezogen auf
die Körperhöhe entspricht 1 SDS ca. 6 cm.
Perzentilen sind Prozentlinien, die auf Basis
von immer wiederkehrenden Messungen der
körperlichen Maße erstellt werden. Danach
ist die 50. Perzentile auch gleichbedeutend
mit dem Normwert. Wenn ein Kind unter
der 3. Perzentile z. B. für die Körperhöhe liegt,
dann liegen nur noch 3 % aller Kinder dieser
Altersklasse und dieses Geschlechtes darunter.
Sollte ein Kind über der 97. Perzentile liegen,
so befinden sich 97 % der Kinder gleichen
Geschlechts und Alters unter diesem Wert.
7
Inhaltsverzeichnis
SGA
Abbildung 1: Perzentilenkurven für Mädchen (rot) und Jungen (blau)
Ingeborg Brandt, Der Kinderarzt 11, 43–51 (1980)
Ingeborg Brandt, Human Growth. A Comprehensive Treatside. 2. Ed. Vol. 1. Hrsg. F. Falkner und J.M. Tanner, Plenum Press. New York 1986
Ingeborg Brandt und Lothar Reinken, Klin. Pädiatr. 200, 451–456 (1988)
Lothar Reinken et al., Klin. Pädiatr. 192, 25–33 (1980)
Lothar Reinken und Gerta van Oost, Klin. Pädiatr. 204, 129–133 (1992)
8
SGA
Abbildung 2: Normalverteilungskurve zum besseren Verständnis des Zusammenhangs von
Standardabweichung (SD) und Perzentilen
3er
10er
94%
80%
50%
25er 50er 75er
Perzentile
90er
97er
X ± 1 SD = 68,27%
X ± 2 SD = 95,45 %
X ± 3 SD = 99,73 %
X ± 4 SD = 99,9336 %
+4 SD
+3 SD
+2 SD
+1 SD
–1 SD
–2 SD
–3 SD
–4 SD
Durchschnittswert (X)
9
Inhaltsverzeichnis
SGA
Definition SGA, IUGR und AGA
2009 wurden in Deutschland 651.000 Kinder ge­
boren. Rund 5 % aller Neugeborenen (32.550) sind
zu leicht und/oder zu klein für ihre Schwangerschaftsdauer („Small for Gestational Age“, SGA)
und liegen mit Geburtsgewicht und/oder Geburtslänge unterhalb der 3. Perzentile. SGA-Neugeborene werden danach in solche mit vermindertem
Geburtsgewicht, mit verminderter Geburtslänge oder
mit gleichzeitig vermindertem Geburtsgewicht und
-länge unterteilt, d. h. jeweils unter der 3. Perzentile
bezogen auf die Schwangerschaftsdauer und unter
Berücksichtigung des Geschlechts (s. Tabelle 1a + 1b).
Es ist üblich, in diesem Zusammenhang auch von
symmetrischen (sowohl verzögert in der Geburtslängen- und Geburtsgewichtsentwicklung) oder
asymmetrischen (verzögert in der Entwicklung von
nur einem der körperlichen Maße) SGA-Kindern
10
zu sprechen. Die Unterteilung in diese Formen ist
von praktischer Bedeutung hinsichtlich des An­
sprechens auf eine Wachstumshormonbehandlung
(s. Seite 26). Bei allen Formen ist auch der Kopfumfang entsprechend der vorliegenden Entwicklungsverzögerung verkleinert.
SGA
Sowohl Neugeborene mit einer zeitgerechten
Schwangerschaftsdauer von 38 bis 42 Wochen als
auch Frühgeborene mit einer verkürzten Schwangerschaftsdauer von weniger als 37 Wochen
können als SGA geboren werden und haben dann
unter­schiedliche Grenzwerte bezüglich Länge und
Gewicht. Die meisten dieser Kinder holen jedoch
ihren Wachstumsrückstand in den ersten zwei bis
drei Jahren nach der Geburt auf.
Konnte mittels Ultraschalluntersuchungen die
Wachstumsverzögerung und deren Ursache schon
während der Schwangerschaft nachgewiesen
werden, spricht man von „Intrauterine Growth
Retardation (IUGR)“.
Neugeborene mit entsprechend ihrer Schwangerschaftsdauer normalem Geburtsgewicht und normaler Geburtslänge werden dagegen als AGA-Kinder
(„Appropriate for Gestational Age“) bezeichnet.
11
SGA
Tabelle 1a: Datentabellen zur raschen Diagnose bei Verdacht auf Kleinwuchs infolge SGA für Mädchen
SGA-Datengrundlage Mädchen
Geburtsgewicht1
(g)
Geburtslänge1
(cm)
Aktuelle
Körperlänge/-höhe2 (cm)
Wachstumsgeschwindigkeit2,3 (cm/Jahr)
voll.
SSW
3. Perzentile
3. Perzentile
Alter
Mittelwert
 SD
– 2,5 SDS
Alter
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
390
440
500
540
590
650
714
802
920
1030
1180
1410
1650
1930
2170
2400
2570
2700
2790
2800
2600
27,0
27,7
28,5
29,5
30,5
31,6
33,0
34,3
35,7
37,2
38,6
40,2
41,8
43,5
44,9
46,1
47,1
47,9
48,4
48,5
48,5
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
74,8  2,0 87,8  3,3
96,8  3,6
104,5  4,1
111,1  4,3
117,9  4,6
124,7  4,6
130,7  4,8
135,9  5,1
141,6  5,5
147,1  6,1
153,5  6,8
159,0  6,6
161,7  5,7
165,7  5,2
166,0  5,1
166,8  5,0
167,0  5,1
69,8
79,6
87,8
94,3
100,4
106,4
113,2
118,7
123,2
127,9
131,9
136,5
142,5
147,5
178,7
153,3
154,3
154,3
0 –1
1– 2
2– 3
3– 4
4 – 5
5 – 6
6 –7
7– 8
8 – 9
9 –10
10 –11
11–12
12–13
13 –14
14 –15
15 –16
16 –17
17–18
Mittelwert
 SD
24,0  2,50
11,9  1,57
9,3  1,02
7,7  0,88
6,9  0,71
6,4  0,76
6,0  0,59
5,7  0,71
5,6  0,88
5,6  1,12
6,0  1,48
6,4  1,61
6,0  1,63
4,2  1,24
2,8  0,90
1,7 0,59
1,1  1,08
0,3  0,31
1. Voigt et al., „Analyse des Geburtsgutes des Jahrgangs 1992 der Bundesrepublik Deutschland. Teil 1: Neue Perzentilwerte für die Körpermasse von Neugeborenen.“ Geburtsh. und Frauenheilk. (1996), 56:550 –558 und „Kurzmitteilung zu den Perzentilkurven für die Körpermaße der Neugeborenen“, Geburtsh. und Frauenheilk. 2002;62:274–276. 2. Reinken L. et al.,
„Longitudinale Körperentwicklung gesunder Kinder von 0 bis 18 Jahren – Körperlänge/-höhe, Körpergewicht und Wachstumsgeschwindigkeit“, Klin. Pädiatr. 1992;204:129 –133. 3. Brandt I.
und Reinken L., „Die Wachstumsgeschwindigkeit gesunder Kinder in den ersten 16 Lebensjahren: Longitudinale Entwicklungsstudie Bonn – Dortmund“, Klin. Pädiatr. 1988;200:451–456.
12
SGA
Tabelle 1b: Datentabellen zur raschen Diagnose bei Verdacht auf Kleinwuchs infolge SGA für Jungen
SGA-Datengrundlage Jungen
Geburtsgewicht1
(g)
Geburtslänge1
(cm)
Aktuelle
Körperlänge/-höhe2 (cm)
Wachstumsgeschwindigkeit2,3 (cm/Jahr)
voll.
SSW
3. Perzentile
3. Perzentile
Alter
Mittelwert
 SD
– 2,5 SDS
Alter
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
410
470
520
570
620
680
750
840
964
1090
1250
1480
1740
2020
2270
2510
2690
2810
2910
2930
2720
27,1
27,8
28,7
29,7
30,7
31,8
33,2
34,6
36,0
37,5
39,1
40,7
42,3
44,0
45,5
46,7
47,7
48,4
48,9
49,0
49,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
76,1  2,9 88,5  2,7
98,3  3,4
105,3  4,0
112,1  3,9
118,4  4,3
125,1  4,9
130,9  5,2
136,5  5,5
141,4  5,9
146,1  6,4
150,7  7,3
158,1  8,1
165,2  8,7
172,1  7,7
176,8  6,8
178,8  6,7
179,9  6,4
68,9
81,8
89,8
95,3
101,5
107,7
112,9
117,9
122,8
126,7
130,1
132,5
137,8
143,4
152,8
159,8
162,1
163,9
0 –1
1 – 2
2 – 3
3 – 4
4 – 5
5 – 6
6 – 7
7 – 8
8 – 9
9 –10
10 –11
11 –12
12 –13
13 –14
14 –15
15 –16
16 –17
17 –18
Mittelwert
 SD
25,3  2,61
11,3  1,69
9,1  1,31
7,7  0,96
7,1  0,85
6,8  0,86
6,2  0,81
5,8  0,72
5,4  0,71
5,2  0,78
5,1  0,90
5,7  1,31
7,0  1,70
7,9  1,98
7,6  2,25
5,0  2,02
2,5  1,91
1,1  1,08
1. Voigt et al., „Analyse des Geburtsgutes des Jahrgangs 1992 der Bundesrepublik Deutschland. Teil 1: Neue Perzentilwerte für die Körpermasse von Neugeborenen.“ Geburtsh. und Frauenheilk. (1996), 56:550 –558 und „Kurzmitteilung zu den Perzentilkurven für die Körpermaße der Neugeborenen“, Geburtsh. und Frauenheilk. 2002;62:274–276. 2. Reinken L. et al.,
„Longitudinale Körperentwicklung gesunder Kinder von 0 bis 18 Jahren – Körperlänge/-höhe, Körpergewicht und Wachstumsgeschwindigkeit“, Klin. Pädiatr. 1992;204:129 –133. 3. Brandt I.
und Reinken L., „Die Wachstumsgeschwindigkeit gesunder Kinder in den ersten 16 Lebensjahren: Longitudinale Entwicklungsstudie Bonn – Dortmund“, Klin. Pädiatr. 1988;200:451–456.
13
Inhaltsverzeichnis
SGA
Silver-Russel-Syndrom (SRS)
Eine Untergruppe der SGA-Kinder zeigt zusätzliche
körperliche Veränderungen und wird als SilverRussel-Syndrom (SRS) bezeichnet. Außer den oben
beschriebenen SGA-Merkmalen kann eine Körper­asymmetrie mit Verkleinerung einer Gesichtshälfte
oder der Extremitäten auf einer Körperseite auftreten. Die kleinen Finger können leicht gebogen sein
und das Gesicht hat eine dreieckige Form mit vorgewölbter Stirn.
Bei Kindern mit SRS ist der Kopf insgesamt jedoch
nicht verkleinert und erscheint deshalb zu groß für
den kleinwüchsigen Körper. Hinzu kommt, dass die
körperliche Entwicklung dieser Kinder auch nach der
Geburt verzögert bleibt.
Ist eine Abgrenzung zwischen Silver-Russel-Syndrom
und SGA durch die klinische Untersuchung nicht
möglich, gelingt es mit Hilfe genetischer Untersuchungen in über 50 % der Kinder die Diagnose
SRS zu bestätigen. Es handelt sich dabei um den
Nachweis von Regulationsstörungen von Erbanlagen
auf Chromosom 7 (sog. maternale uniparentale
14
Disomie UPD 7) bzw. auf Chromosom 11 (sog.
Epimutationen der Region 11p15.5). Bei knapp der
Hälfte der SRS-Betroffenen findet sich allerdings
keine der bekannten (epi)genetischen Veränderungen. Somit
gibt es keinen Test, der ein SRS
sicher ausschließen kann. Die
genauen Ursachen für die bekannten Genregulationsstörungen sind unbekannt, sie treten
meist in Familien auf, in denen
Kleinwuchs bislang nicht vorkam. Bei einem plötzlichen,
nicht vorhersehbaren Auftreten
einer solchen Veränderung
spricht man von einem spora­
dischen Fall. Die zugrunde liegende Veränderung entsteht
zufällig und kann durch das
Verhalten der Eltern vor und
während der Schwangerschaft
weder ausgelöst noch verhindert werden.
SGA
Erkennung
und Ursachen
Diagnose SGA
SGA-Ursachen
Um ein Neugeborenes als SGA erkennen zu können,
werden seine exakt ermittelten Körpermaße zum
Zeitpunkt der Geburt auf die Schwangerschaftsdauer bezogen. Die genaue Festlegung der Schwangerschaftsdauer gelingt mit Ultraschalluntersuchungen,
ergänzt durch die Berechnung des Geburtstermins
nach der letzten Monatsblutung.
Ein normales Wachstum des Kindes während der
Schwangerschaft ist in erster Linie von der Gesundheit der Mutter und einer ausreichenden Versorgung
mit Sauerstoff und Nährstoffen durch die Plazenta
abhängig. Dies wird durch eine gesunde Lebensweise und eine ausgewogene Ernährung unterstützt.
Das Wachstum des Kindes in der Schwangerschaft
wird zu mehr als 60 % von den Lebensbedingungen
bestimmt, die während seiner Entwicklung in der
mütterlichen Gebärmutter herrschen. Eine große
Rolle für die Entwicklung der kindlichen Körper­
maße spielen aber auch die Körperhöhe und Körper­
statur der Eltern. Ferner gibt es weitere Faktoren
und Ursachen für eine kindliche Entwicklungsverzögerung, die in Tabelle 2 zusammengestellt sind.
Bei rund einem Drittel der SGA-Neu­ge­borenen gelingt es allerdings nicht, eine sichere Ursache für
die Entwicklungsverzögerung zu finden.
Regelmäßig durchgeführte Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft zur Bestimmung
des Geburtstermins und zur Beurteilung einer zeitgerechten Entwicklung des Kindes berücksichtigen
zum Beispiel die Messung der Scheitel-Steiß-Länge,
des Kopfdurchmessers, des Bauchdurchmessers und
der Oberschenkelknochenlänge. Sollte sich der Verdacht auf eine Entwicklungsverzögerung des Kindes
ergeben, kann auch der Blutfluss in den kindlichen
Gefäßen mit Ultraschall (Doppler-Sonografie) gemessen werden und zusätzliche Hinweise auf eine mögliche verzögerte Entwicklung geben.
15
Inhaltsverzeichnis
Erkennung
und Ursachen
Tabelle 2: Mögliche Ursachen für kindliche Entwicklungsverzögerungen während
der Schwangerschaft
Mütterliche Ursachen
Krankheiten
Hypertonie (Bluthochdruck)
Nierenerkrankungen
Infektionen (z. B. Röteln, Windpocken, Toxoplasmose, Herpes,
Cytomegalie, HIV u. a.)
Alle sonstigen schweren chronischen Erkrankungen
Lebensstil und soziale Umstände
Rauchen, Alkohol
Medikamente (Steroidhormone, Antikonvulsiva)
Drogen (Methamphetamin, Kokain)
Unterernährung
Entbindung vor dem 16. oder nach dem 35. Lebensjahr
Mehrlingsschwangerschaft
Krankhafte Veränderungen der
Plazenta
Lageanomalien
Durchblutungsstörungen
Kindliche Ursachen
16
Angeborene Fehlbildungen
z. B. Skelettdysplasien, Herzfehler
Angeborene Stoffwechselstörungen
z. B. Phenylketonurie
Chromosomenveränderungen
z. B. Down-Syndrom (Trisomie 21), Ullrich-Turner-Syndrom
Infektionen
z. B. Ansteckung des Kindes bei einer mütterlichen Infektion, s. o.
SGA
Vorbeugung
von SGA
Wesentlichstes Ziel der Vorbeugung einer SGA-Geburt sollte die umfassende Aufklärung zukünftiger Eltern
über alle Risiken für das ungeborene Kind sein, da einige der in Tabelle 1 genannten Ursachen durchaus
vermeidbar sind.
Rauchen, Alkohol, Drogen
Rauchen während der Schwangerschaft führt nachweislich zu einer Verminderung von Körpergewicht,
Körperlänge und Kopfumfang des neugeborenen
Kindes und erhöht den Anteil unterentwickelter
Neugeborener und von Frühgeburten. Bei 21 und
mehr Zigaretten täglich konnte gezeigt werden, dass
bei Raucherinnen im Vergleich zu Nichtraucherinnen
die Frühgeburtenrate um 5 % höher und das Geburtsgewicht ihrer Kinder über 300 g niedriger waren.
Alkoholkonsum während der Schwangerschaft kann
außer Wachstumsstörungen des ungeborenen Kindes eine Reihe weiterer Schäden zur Folge haben.
Bekannt sind zum Beispiel typische Gesichtsveränderungen, Hör- und Sehstörungen, Herzfehler, geistige
und motorische Behinderungen. Alkoholbedingte
kindliche Schädigungen sind häufig und werden mit
ein bis zwei Fällen pro 1.000 Neugeborenen angegeben. Sie können nur durch absoluten Alkoholver-
zicht während der Schwangerschaft vermieden
werden. Es ist kein Grenzwert für den mütterlichen
Blutalkoholspiegel bekannt, bei dessen Unterschreitung kindliche Alkoholschäden sicher vermieden
werden können.
Der Gebrauch von Drogen durch schwangere Frauen ist ein ernstes Problem, da die körperliche und
geistige Entwicklung des Kindes vor und nach der
Geburt verzögert und gestört sein kann. So ist
Methamphetamin (Crystal Meth) beispielsweise eine
illegale, extrem suchterzeugende und giftige Sub­
stanz. Wird Methamphetamin in der Schwangerschaft eingenommen, erhöht es das Risiko einer
SGA-Geburt um das 3,5-fache und gefährdet
langfristig das weitere Wachstum sowie die intellektuelle Entwicklung des Kindes.
17
Vorbeugung von SGA
Inhaltsverzeichnis
Medikamente
Ist die Einnahme von Medikamenten während der
Schwangerschaft unbedingt erforderlich, sollte mit
Unterstützung des Frauenarztes sorgfältig geprüft
werden, ob aufgrund wissenschaftlicher Daten die
Möglichkeit für Schädigungen des Fetus oder Em­
bryos gegeben sind. Besteht die Gefahr fort, kann
man versuchen, das betreffende Arzneimittel für
die Dauer der Schwangerschaft abzusetzen, durch
eine verträglichere Substanz zu ersetzen oder gegebenenfalls seine Dosis zu ver­mindern. Die Verabreichung von Glukokortikoiden (z. B. Prednison) in der
Schwangerschaft vermindert das Geburtsgewicht und
stört dauerhaft die normale Entwicklung der Lunge
und anderer Organe des heranwachsenden Kindes.
Frauen mit Epilepsie müssen zur Vermeidung oder
Verminderung von Anfällen häufiger auch in der
Schwangerschaft antikonvulsive Medikamente wie
Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin oder Phenobarbital einnehmen, von denen bekannt ist, dass
sie vermehrt zu Frühgeburten und SGA-Geburten
führen können.
18
Dabei ist es wichtig, sowohl die Risiken einer medikamentösen Behandlung als auch die Gefahren
durch epileptische Anfälle während der Schwangerschaft für Mutter und Kind zu berücksichtigen und
abzuwägen.
Zusammenfassend kann empfohlen werden, nach
Möglichkeit vor der Schwangerschaft alle gesundheitlichen Risiken der zukünftigen Eltern ärztlich
abklären zu lassen, den Impfstatus zu überprüfen
und die medikamentösen Behandlungen chronischer
Krankheiten auf das Notwendigste zu beschränken.
Während der Schwangerschaft sollte unter allen
Umständen auf Alkohol, Rauchen, Drogen und unkontrollierte Selbstmedikation verzichtet werden.
Ist die Anwendung von Medikamenten bei akuten
Krankheiten nicht zu umgehen, empfiehlt sich in
je­dem Fall die Rücksprache mit dem behandelnden
Arzt.
SGA
Entwicklung
nach der Geburt
Die ersten Wochen und Monate nach der Geburt
sind für die weitere Entwicklung von Säuglingen mit
einer Entwicklungsverzögerung infolge SGA von
besonders großer Bedeutung, und eine optimale Ernährung, Pflege und medizinische Betreuung sind
entscheidende Voraussetzungen für ein gutes Gedeihen. Muttermilch ist für Säuglinge aufgrund ihrer
Zusammensetzung die beste Nahrung und sollte
nach Möglichkeit in den ersten 4 bis 6 Monaten ausschließlich verabreicht werden. Industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrungen sind eine sehr gute
Alternative zur Muttermilch. Sie erfordern aber insbesondere bei SGA-Säuglingen das Einhalten der
empfohlenen Mengen, um eine zu rasche Gewichtszunahme mit der Gefahr von Übergewicht und Fettsucht im späteren Leben zu vermeiden. Das Körpergewicht, die Körperlänge und der Kopfumfang von
SGA-Kindern sollten im ersten Lebensjahr alle drei
Monate und danach im Abstand von sechs Monaten
ermittelt werden.
19
Entwicklung nach der Geburt
Inhaltsverzeichnis
Aufholwachstum und Zielgröße
Mehr als 80 % der SGA-Kinder sind in der
Lage, die nach der Entbindung festgestellte Wachstumsverzögerung innerhalb von
sechs Monaten aufzuholen. Nach zwei
Jahren haben etwa 90 % der SGA-Kinder ihr
Körperlängen- und Gewichtsdefizit ausge­
glichen. Die verbleibenden 10 % erfordern eine
intensive kinderärztliche Betreuung, um bei
Bedarf ein un­zureichendes Auf­holwachstum
durch geeignete Maßnahmen zeitgerecht
behandeln zu können. Nach dem vierten Lebensjahr ist in der Regel nicht mehr damit zu
rechnen, dass sich eine Wachstumsverzögerung infolge SGA im Laufe der kindlichen Entwicklung noch von selbst ausgleicht. Diese Kinder
erreichen ihre genetisch vorgegebene Körperhöhe
als Erwachsene meist nicht und bleiben zu klein.
SGA wird in ca. 10 – 20 % als Ursache eines Kleinwuchses im Erwachsenenalter angenommen.
20
SGA
Entwicklung
nach der Geburt
Die genetisch beeinflusste Zielgröße (genetische
Zielgröße) eines Kindes lässt sich aufgrund der
Untersuchungen von Tanner vorhersagen und
wird wie folgt berechnet:
Beispiel
Körperhöhe des Vaters:
Körperhöhe der Mutter: 185 cm
163 cm
Genetische Zielgröße:
185 cm + 163 cm
Genetische Zielgröße
2
= 174 cm +/– 6,5 cm
Größe des Vaters + Größe der Mutter
Ein Junge dieser Eltern kann eine genetische
Zielgröße von ca. 180,5 cm, ein Mädchen von
167,5 cm erreichen. Der statistische Schwankungsbereich liegt bei +/– 8,5 cm.
2
+ 6,5 cm
– 6,5 cm
für Jungen
für Mädchen
Ein Aufholwachstum wird erkennbar, wenn die
Wachstumsgeschwindigkeit (Zentimeter pro Jahr) größer ist als der Mittelwert (50. Perzentile) von gleich­
altrigen Kindern gleichen Geschlechts. Auch dafür
liegen dem Kinderarzt entsprechende Normwerte vor.
Unabhängig vom Aufholwachstum können jedoch
bei SGA-Kindern im Vergleich zu Kindern mit normaler Schwangerschaftsentwicklung gesundheitliche
Veränderungen und Störungen auftreten, die für
das gesamte weitere Leben von Bedeutung sind
(s. Kapitel „Gesundheitliche Risiken“).
21
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung
nach der Geburt
Frühgeborene SGA-Kinder
Von allen SGA-Geborenen beträgt der Anteil frühgeborener SGA-Kinder ca. 8 –10 %. Im Vergleich zu
SGA-Neugeborenen mit einer normalen Schwanger­
schaftsdauer von 38 – 42 Wochen ist das Wachstum
SGA-Frühgeborener mit einer Schwangerschaftsdauer von weniger als 32 Wochen verzögert. Bei
SGA-Frühgeborenen, die ein Geburtsgewicht von
weniger als 1.250 g bzw. unterhalb der 10. Perzentile hatten, zeigten nur 44 % ein Aufholwachstum
im Alter von zwei Jahren. Dies ist in erster Linie durch
eine unzureichende Nahrungsaufnahme der Frühgeborenen bedingt. Gelingt eine ausreichende
Ernährung bei Frühgeborenen, sind das Wachstum
während der Kindheit und die Körperhöhe im Erwachsenenalter von SGA-Frühgeborenen vergleichbar mit den Werten von AGA-Frühgeborenen.
SGA-­Frühgeborene erreichen eine normale Körperhöhe allerdings häufig erst mit vier bis fünf Jahren.
22
SGA
Gesundheitliche
Risiken
Die Erkennung und besondere Betreuung von SGANeugeborenen ist wichtig, weil eine Wachstumsverzögerung während der Schwangerschaft mit einem
erhöhten Erkrankungs- und Sterblichkeitsrisiko in
den ersten Wochen nach der Geburt verbunden ist.
Verminderte Werte für Blutdruck oder Blutzucker,
Darmentzündungen oder Atemstörungen können
vermehrt auftreten. Auch später sind diese Kinder
in 10 % der Fälle kleiner als Gleichaltrige, die ohne
Entwicklungsverzögerung geboren werden. Sie leiden häufiger an Appetitmangel und haben Ernährungsprobleme. Hinzu kommt, dass ehemalige
SGA-Neugeborene ein erhöhtes Risiko für körper­
liche, psychische und geistige Einschränkungen
im späteren Leben haben. Als Hauptursache für das
erhöhte Krankheitsrisiko von SGA-Kindern im Erwachsenenalter wird eine Mangelernährung ins­
besondere während des mittleren und letzten
Schwangerschaftsdrittels angenommen, die offensichtlich zu bleibenden Veränderungen mit Unterentwicklung einzelner Organe führen kann. So
werden z. B. Herz-Kreislauf-Krankheiten, das metabolische Syndrom selbst oder das Auftreten einzelner
Komponenten des Syndroms wie Bluthochdruck,
Fettstoffwechselstörungen, gestörte Glukosetoleranz oder Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) mit
SGA in Verbindung gebracht (Barker-Hypothese).
23
Gesundheitliche Risiken
Inhaltsverzeichnis
SGA und hormonelle (endokrinologische)
Veränderungen
Es gibt Hinweise, dass das Ansprechen auf Wachstumshormon bei SGA-Neugeborenen vermindert ist,
sich jedoch bald normalisiert. Wenn jedoch bei SGAKindern die Wachstumsgeschwindigkeit konstant
vermindert ist, wird eine Testung der wachstumshormonabhängigen Wachstumsfaktoren (IGF-1 und
IGFBP-3) empfohlen. Meist beginnt man damit vor
dem 4. Geburtstag des Kindes.
Auffällige Veränderungen hinsichtlich des Beginns
und Verlaufs der Pubertät sowie der Ausbildung von
Pubertätsmerkmalen bei SGA-Kindern im Vergleich
mit normal entwickelten Kindern konnten bisher
nicht zuverlässig nachgewiesen werden.
24
SGA und neurologische, psychosoziale und
intellektuelle Veränderungen
Infolge verminderter Versorgung des Kindes mit
Sauerstoff und Nährstoffen während der Schwangerschaft (Ursachen s. Tabelle 2) kann die normale
Entwicklung und Differenzierung des Gehirns verzögert oder gestört sein. Dadurch kann es bei diesen Kindern zu einer geringen Erhöhung des
Risikos für Lernschwierigkeiten, Sprachstörungen,
für Defizite hinsichtlich der Aufmerksamkeit und
des Verhaltens oder zu Hyperaktivität kommen.
Die rechtzeitige Beachtung solcher Auffälligkeiten
und eine gezielte Beeinflussung und Förderung
dieser Kinder sollte mit dem Ziel einer möglichst
normalen sozialen und intellektuellen Entwicklung
verfolgt werden.
SGA
Gesundheitliche
Risiken
SGA und Stoffwechselveränderungen
Im Erwachsenenalter können bei ehemaligen SGANeugeborenen Störungen des Glukosestoffwechsels,
Zuckerkrankheit, Fettstoffwechselstörungen, hoher
Blutdruck und vermehrt Herz-Kreislauf-Krankheiten
auftreten. Vor allem SGA-Neugeborene mit besonders raschem Aufholwachstum und schneller Körpergewichtszunahme sind später häufiger übergewichtig
und zeigen die genannten krankhaften Veränderungen, die bei gleichzeitigem Auftreten als metabo­
lisches Syndrom bezeichnet werden.
SGA und andere Organveränderungen
Eine Reihe weiterer Organe kann durch die mangelhafte Entwicklung eines Kindes während der
Schwangerschaft in ihrer Funktion und ihrem
strukturellen Aufbau krankhaft verändert sein.
So wird in Einzelfällen über Erkrankungen der
Niere (verminderte Filtration), Lunge (Asthma),
Leber (Zirrhose), Augen (Netzhautschäden) und
der Knochen (Osteoporose) berichtet.
25
Inhaltsverzeichnis
Behandlung
und Langzeitbetreuung
Bei annähernd 10 % der SGA-Neugeborenen
bleibt ohne Behandlung ein dauerhafter Kleinwuchs
bestehen, der nach Abschluss des Wachstums bei
den betroffenen Erwachsenen eine Verminderung
der Körperhöhe um mindestens zwei Standard­ab­
wei­chun­gen ( –2 SD, etwa 12 – 15 cm) zur Durch­
schnitts­größe in Deutschland (Männer 180 cm,
Frauen 168 cm) zur Folge haben kann.
defizit im Vergleich zur Normalpopulation bezogen
auf das Alter und das Geschlecht nicht spontan aufgeholt hat, eine Behandlung mit Wachstumshormon
(somatotropes Hormon, STH; englisch: growth
hormone, GH) erwogen werden. Eltern und Patient
sollten ausführlich über alle Vor- und Nachteile
einer Behandlung mit Wachstumshormon informiert
werden und ausdrücklich zustimmen.
Bei SGA-Kindern mit Kleinwuchs ohne Aufholwachstum kann eine Behandlung mit Wachstumshormon
durchgeführt werden, um ein Aufholwachstum
während der Kindheit und eine möglichst normale
Körperhöhe im Erwachsenenalter zu erreichen.
Zur Beurteilung der jeweiligen Wachstumssituation
eines Kindes werden die aktuelle Köperhöhe, die
Wachstumsgeschwindigkeit und die Körperhöhe
der Eltern herangezogen.
Vor der Behandlung eines Kindes mit der Diagnose
Kleinwuchs infolge einer vorgeburtlichen Wachstumsverzögerung (SGA) müssen jedoch ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die in der
nebenstehenden Tabelle zusammengefasst sind.
Um das Wachstum anzuregen und zu beschleunigen, kann bei einem kleinwüchsigen SGA-Kind, das
in den ersten vier Lebensjahren sein Körperlängen-
26
SGA
Behandlung
und Langzeitbetreuung
Voraussetzungen für den Einsatz von Wachstumshormon bei Kindern mit Kleinwuchs
infolge einer vorgeburtlichen Wachstumsverzögerung (SGA)
Unter Berücksichtigung der Schwangerschaftsdauer liegen Geburtslänge und/oder Geburtsgewicht
mindestens zwei Standardabweichungen ( –2 SD) unterhalb der Altersnorm.
Das Kind muss mindestens vier Jahre alt sein.
Die aktuelle Körperhöhe sollte wenigstens 2 Standardabweichungen ( –2,5 SD) unterhalb der
Altersnorm liegen.
Es darf kein Aufholwachstum mehr nachweisbar sein und die Wachstumsgeschwindigkeit muss
altersentsprechend unterdurchschnittlich oder verlangsamt sein.
Die aktuelle Körperhöhe muss wenigstens eine Standardabweichung ( –1 SD) unterhalb der auf
das aktuelle Alter des Kindes bezogenen genetischen Zielgröße (Mittelwert aus der Körperhöhe
beider Eltern) liegen.
SGA, Small for Gestational Age; SD, Standard Deviation (Standardabweichung)
27
Behandlung und Langzeitbetreuung
Inhaltsverzeichnis
Die in der Tabelle genannten Voraussetzungen für
eine Behandlung mit Wachstumshormon lassen sich
am Beispiel eines 6-jährigen Jungen verdeutlichen.
Als SGA-Kind ohne Aufholwachstum hat dieser
Junge eine Körperhöhe, die –2,5 SDS unterhalb der
Altersnorm liegt. Die entsprechende Altersnorm für
die Körperhöhe beträgt 118 cm und 1 SDS entspricht ca. 6 cm. Dementsprechend wäre der Junge
ca. 15 cm kleiner als seine gesunden Altersgenossen.
Bei gutem Ansprechen auf die Behandlung mit
Wachstumshormon besteht die Möglichkeit, bis zu
10 cm der Wachstumsverzögerung aufzuholen. Zur
Entscheidungsfindung für oder gegen eine Behandlung mit Wachstumshormon wird auch die Körperhöhe der leiblichen Eltern des Jungen herangezogen.
Eine Behandlung wird dann befürwortet, wenn
zwischen der jetzigen um –2,5 SDS verminderten
Körperhöhe des Jungen und der ebenfalls in SDS
ausgedrückten elterlichen Körperhöhe eine Differenz
von mindestens –1 SDS besteht. Da die Körperhöhe
der Eltern für die Körperhöhe ihrer Kinder von großer Bedeutung ist, muss berücksichtigt werden, dass
28
eine Behandlung mit Wachstumshormon sehr wahrscheinlich erfolglos ist, wenn die mittlere elterliche
Körperhöhe deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung liegt. In Deutschland beträgt die durchschnittliche Körperhöhe für Männer ca. 180 cm und
für Frauen ca. 168 cm.
Die Behandlung mit Wachstumshormon ist allerdings nur dann angezeigt, wenn die Diagnose SGA
eindeutig ist und keine anderen Ursachen für den
Kleinwuchs nachweisbar sind. In der Regel sind bei
Kindern mit Kleinwuchs infolge SGA normale Werte
für das Wachstumshormon im Blut nachweisbar.
SGA
Behandlung
und Langzeitbetreuung
Beispiel für den Wachstumsverlauf eines Jungen mit SGA-Kleinwuchs
Größe in cm
Perzentile
97
90
75
50
25
10
3
190
170
150
130
Standardabweichung
110
Junge, Geburt in der
40. Schwangerschaftswoche
Geburtsgewicht: 2.750 g
Geburtslänge: 46 cm
90
70
0,11 Jahre: – 4,12
0,28 Jahre: – 4,10
1,01 Jahre: –3,33
2,22 Jahre: –3,02
3,03 Jahre: –3,21
4,47 Jahre: –3,03
5,67 Jahre: –3,03
50
0
2
4
6
8
10
12
Alter (Jahre)
14
16
18
20
29
Behandlung und Langzeitbetreuung
Inhaltsverzeichnis
In der unten stehenden Tabelle sind einige Krankheiten aufgeführt, die zu Kleinwuchs führen
können und vor Beginn einer Behandlung mit
Wachstumshormon im Rahmen der SGA-Indikation
sicher ausgeschlossen werden müssen.
Wichtige Ursachen für einen Kleinwuchs
Familiärer Kleinwuchs
Chromosomenanomalien (Ullrich-Turner-Syndrom, Trisomie 21 )
Prader-Willi-Syndrom
Skelettdysplasien (Achondroplasie)
Chronische Krankheiten (Zöliakie, Niereninsuffizienz, Herzkrankheiten)
Endokrinologische Krankheiten (Schilddrüsenunterfunktion, Wachstumshormonmangel)
Stoffwechselkrankheiten (Glykogenosen)
Wachstumshemmende Medikamente (Glukokortikoide, Zytostatika)
Mangelernährung
Kindesvernachlässigung
30
SGA
Behandlung
und Langzeitbetreuung
Wachstumshormon
Das Wachstumshormon ist ein körpereigenes Hormon und wird in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
gebildet. Es hat große Bedeutung für ein normales
Körperwachstum und die Geweberegeneration.
Zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Faktoren
fördert das Wachstumshormon ein symmetrisches
Längenwachstum an den Wachstumsfugen (Epiphysenfugen), insbesondere der langen Röhrenknochen
an Beinen und Armen. Das Längenwachstum ist normalerweise mit der Verknöcherung der Wachstumsfugen am Ende der Pubertät abgeschlossen.
Als Medikament muss Wachstumshormon einmal
am Tag abends unter die Haut gespritzt werden
(subkutane Injektion).
Geeignete Injektionssysteme werden von verschiedenen Pharmaunternehmen angeboten, z. B. das
flüssige Wachstumshormon der Firma Novo Nordisk,
in einem leicht handhabbaren Fertigpen.
Wachstumshormon wird seit Mitte der 80er Jahre
biosynthetisch hergestellt und wurde von der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines
Agency, EMA) 2003 zur Behandlung von Kindern
mit Kleinwuchs infolge einer vorgeburtlichen Wachstumsverzögerung (SGA) zugelassen. Die Behandlung
mit Wachstumshormon wird insgesamt gut vertragen und es besteht nach der aktuellen Datenlage
kein erhöhtes Risiko für bleibende Veränderungen
oder bösartige Erkrankungen.
31
Behandlung und Langzeitbetreuung
Behandlung mit Wachstumshormon
bei Kleinwuchs infolge SGA
Seit vielen Jahren bestehen Erfahrungen in der Behandlung von SGA-Kindern mit Wachstumshormon. In klinischen Studien konnte gezeigt werden,
dass die Gabe von Wachstumshormon bei der
Mehrheit der Kinder (85 %) zum Erreichen der genetischen Zielgröße beiträgt. Die Wachstums­
hormon­therapie ist besonders wirkungsvoll, wenn
die Behandlung in der frühen Kindheit beginnt und
kontinuierlich bis zum Erreichen der Erwachsenenkörperhöhe fortgeführt wird. Jede Unterbrechung
dieser Langzeitbehandlung reduziert die erreichbare
Körperhöhe. Die in wissenschaftlichen Studien nachgewiesene Verbesserung der Körperhöhe von SGAKindern betrug nach einer achtjährigen Behandlung
mit Wachstumshormon durchschnittlich 5 bis 8 cm
im Vergleich zu unbehandelten SGA-Kindern. In Einzelfällen betrug das Aufholwachstum über 10 cm
und die Kinder erreichten die familiäre Zielgröße.
Falls nach dem ersten Behandlungsjahr keine posi­
tive Wachstumsreaktion erkennbar ist, sollte die zugrunde gelegte Diagnose sowie die verwendete
Dosis und korrekte Verabreichung des Wachstumshormons überprüft werden. Gegebenenfalls kann
über den Abbruch der Behandlung nachgedacht
32
werden. Bei gutem Ansprechen auf die regelmäßige
Verabreichung des Wachstumshormons wird die
Behandlung in der Regel bis zum Ende des Körper­
höhenwachstums erfolgen. Das entspricht bei
Mädchen einem Alter von ca. 14 Jahren und bei Jungen von ca. 16 Jahren und beruht auf dem Schluss
der Wachstumsfugen (Epiphysenfugen) durch Verknöcherung am Ende der Pubertät. Durch die Behandlung mit Wachstumshormon kommt es neben
den positiven Effekten auf das Körperhöhenwachstum noch zu weiteren positiven Effekten. So verbessern sich kognitive Fähigkeiten, psychosoziales
Verhalten und der Fettstoffwechsel. Wachstumshormon kann zu Veränderungen des Glukosestoffwechsels führen, die sich nach Beendigung der Behandlung
vollständig normalisieren. Deshalb sollte vor Beginn
der Behandlung ein Glukosetoleranztest durchgeführt werden, um eventuell bestehende Störungen
des Glukosestoffwechsels rechtzeitig erkennen zu
können. Auch sollte ermittelt werden, ob ein erhöhtes familiäres Risiko für eine Zuckerkrankheit
(Diabetes mellitus) besteht, obwohl es keine Hinweise gibt, dass die Behandlung mit Wachstumshormon eine Diabeteserkrankung auslösen kann.
Behandlung und Langzeitbetreuung
Unerwünschte Wirkungen
Unter einer Wachstumshormonbehandlung wurden
selten (bei etwa einem von 1.000 Kindern) anhaltende Kopfschmerzen ohne Zeichen eines Infektes
beobachtet, die auf eine Steigerung des Schädel­
innendrucks zurückzuführen sind. Bei solchen
Beschwerden sollte in Absprache mit dem behandelnden Arzt umgehend eine augenärztliche
Untersuchung veranlasst werden.
Ebenfalls selten ist die Hüftkopflösung (Epiphyseolysis capitis femoris), ein Krankheitsbild, bei dem sich
das obere Ende des Oberschenkelknochens, die Epiphyse, die den Gelenkkopf für das Hüftgelenk trägt,
vom restlichen Knochen, der Diaphyse, löst. Ursache
für die Hüftkopfepiphysenlösung ist das vermehrte
Wachstum im Rahmen der Wachstumshormonbehandlung, wodurch es zu einer Lockerung der aktiven Epiphysenfuge kommt. Aufgrund der schrägen
Lage der Epiphysenfuge zur Gewichtsbelastung
durch den Rumpfbereich kommt es zu einer typischen Verschiebung bzw. einem Abrutschen des
Hüftkopfes vom Oberschenkelknochen. Sollten bei
Ihrem Kind Schmerzen in der Hüfte oder Schmerzen
beim Gehen auftreten, wird empfohlen, umgehend
den behandelnden Arzt aufzusuchen, damit dieser
sofort weitere Untersuchungen veranlassen kann.
Nach dem jetzigen Kenntnisstand gilt, dass Wachstumshormon für SGA/SRS-Kinder das Leukämieoder Krebsrisiko nicht steigert.
Es ist bekannt, dass Wachstumshormon den Spiegel
von IGF-1 (insulinähnlicher Wachstumsbotenstoff)
steigert. Aus Tierversuchen, aber auch bei Erwachsenen ist bekannt, dass langfristig erhöhte IGF-1-­
Spiegel das Tumorrisiko steigern können. Bei einer
Tumorerkrankung des Kindes in der Vorgeschichte
muss die Risiko-Nutzen-Bewertung daher mit dem
behandelnden Arzt besonders gründlich vorgenommen werden.
Aus demselben Grund wird unter einer Wachstumshormonbehandlung immer auch der IGF-1-Spiegel
im Blut gemessen. Bei erhöhtem IGF-1-Spiegel sollte
die Dosis des Wachstumshormons gegebenenfalls reduziert werden, um Nebenwirkungen zu minimieren.
33
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Pediatr Endocrinol Rev. 2010 Dec;8(2):86–93
34
Glossar
Verwendete Abkürzungen und Fremdwörter
SGA
Small for Gestational Age
SRS
Silver-Russel-Syndrom
IUGR
Intrauterine Growth Retardation
AGA
Appropriate for Gestational Age
Frühgeburt
Geburt vor der 37. Schwangerschaftswoche oder Geburtsgewicht unter 2.500 g
SD
Standard Deviation
SDS
Standard Deviation Score
EMA
European Medicines Agency
IGF-1
Insulin-like Growth Factor-1
IGFBP-3
Insulin-like Growth Factor Binding Protein-3
Perzentilen
Perzentilen für Körperhöhe, Körpergewicht oder Kopfumfang sind
Prozentangaben der Durchschnittswerte normaler Kinder bezogen auf Alter
und Geschlecht und ermöglichen den Vergleich mit individuellen Messwerten.
Epiphysenfugen
Wachstumsfugen der Knochen
Dysplasie
Fehlbildung
Endokrinologie
Teilgebiet der Medizin, das sich mit hormonellen Störungen und Stoffwechselkrankheiten beschäftigt, z. B. Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Schilddrüsenerkrankungen, Adipositas (Fettsucht), Osteoporose (Knochenschwund),
Wachstumsstörungen
Chromosomen
Chromosomen befinden sich im Zellkern jeder Körperzelle und enthalten die
Erbinformationen (genetischen Informationen).
35
Artikel-Nr.: 701691 (04/15) DE/GHT/0315/0013 Druckdatum: 04/15 Auflage: 2.000 Druck: PPPP
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