ENDBERICHT PROJEKT CHANCEN FÜR BESONDERE LERNER (Projektleitung Dr. Daniel Holzinger / Prim. Dr. Johannes Fellinger) Kinder mit Lese- / Rechtschreibschwierigkeiten 30.04.2007 Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Institut für Sinnes- und Sprachneurologie Primar Dr. Johannes Fellinger Seminarzentrum Seilerstätte 2 4020 Linz gefördert durch Gesundheitsabteilung LR Dr. Stöger -1- Endbericht Chancen für Besondere Lerner Kooperationen und Danksagung Die Teilstudie zur Früherkennung von Lese-/Rechtschreibstörungen im Kindergarten erfolgte in intensiver Zusammenarbeit mit den Kindergärten des Magistrats Linz sowie auch der Logopädie des Magistrats Linz. Von den Kindergartenpädagoginnen wurden Fragebögen ausgefüllt, Elternfragebögen verteilt und insbesondere dann mit Risikokindern das Trainingsprogramm „Hören-LauschenLernen I und II“ durchgeführt. Die Logopädinnen des Magistrats Linz stellten uns die Daten ihres Sprachentwicklungsscreenings im letzten Kindergartenjahr zur Verfügung. Von Studierenden der Akademie für den logopädisch-phoniatrisch audiologischen Dienst am AKH Linz wurden Screeningverfahren zur Überprüfung der Vorläuferfertigkeiten der Schriftsprache im Kindergarten durchgeführt. Der Landesschulrat für Oberösterreich ermöglichte schließlich einen Zugang zu den Schülern in der 1. und 2. Klasse. Finanziert wurde die gesamte Studie aus Strukturmitteln der Gesundheitsabteilung des Landes Oberösterreich (Landesrätin Dr. Stöger). Die Studie war nur aufgrund des engen Netzwerks der genannten Stellen durchführbar. Unser Dank gilt ihnen allen und nicht zuletzt den Eltern aller beteiligten Kinder. -2- INHALTSVERZEICHNIS: 1. 1.1.Früherkennung im Kindergarten (Dr. Daniel Holzinger) 1.2.Effektivität präventiver Förderung im Kindergarten (Mag. Elisabeth Leopold) 1.3.Drohende Legasthenie und psychosoziale Problembelastung (Dr. Johannes Fellinger) 2. Kinder mit Legasthenie 2.0. Legasthenie / allgemeine Lernschwäche: Einführung 2.1. Legasthenie und sprachliche Fähigkeiten (Dr. German Brandstötter) 2.2. Legasthenie und Lernen (Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz) 2.3. Legasthenie und ADHS (Dr. Anna Dirmhirn) 2.4. Legasthenie und Motorik (Dr. Anna Dirmhirn) 2.5. Legasthenie und psychosoziale Faktoren (Dr. Johannes Fellinger) 3. Kinder mit allgemeiner Lernschwäche 3.1. Lernschwäche und sprachliche Fähigkeiten (Dr. German Brandstötter) 3.2. Lernschwäche und Lernen (Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz) 3.3. Lernschwäche und AD(H)S (Dr. Anna Dirmhirn) 3.4. Lernschwäche und Motorik (Dr. Anna Dirmhirn) 3.5. Lernschwäche und psychosoziale Belastung -3- (Dr. Johannes Fellinger) 4. Zusammenfassende Empfehlungen der Studie Chancen für Besondere Lerner 5. Literaturangaben -4- 1.1. Früherkennung Kindergarten drohender Lese-Rechtschreibschwierigkeiten im (Dr. Daniel Holzinger) Einleitung Die Wichtigkeit schriftsprachlicher Fertigkeiten und hier insbesondere der Lesekompetenz für die Gesamtentwicklung des Kindes und Erwachsenen ist in vielfältigen Studien belegt. So wurde ein starker Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und allgemeinen Schulleistungen, höheren Schulabschüssen, beruflichen Karrieremöglichkeiten bis hin zu sozialer Anpassung und persönlicher Autonomie nachgewiesen (z. B. Moats 200, Cramer & Ellis 1996, Chall 1996). Definition Die Definition einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) erfolgt nach den Kriterien des ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen). Demnach zählt die LeseRechtschreibstörung (hinfort LRS) zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (F 81.0), d. h. Lese- und Rechtschreibfertigkeiten liegen deutlich unter dem Niveau, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten wäre. Hierbei sind die folgenden diagnostischen Kriterien einzuhalten: Die Lese-Rechtschreibleistung liegt bei einem Prozentrangwert von unter 10 und der Intelligenzquotient oberhalb von 70. Weiters muss der Intelligenzquotient 1,5 Standardabweichungen oberhalb des Lese-Rechtschreib-Testwerts liegen. Ursachen Im Bereich der Ursachenforschung der LRS kommt insbesondere einer mangelhaften phonologischen Verarbeitung (Sprachverarbeitung auf Ebene der Laute) eine herausragende Rolle zu. Weiters ist eine starke genetische Komponente belegt, Wiederholungsrisiko für Geschwister 52 bis 62 %, bei einem legasthenen Elternteil ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind ebenso legasthen ist bei Söhnen von 35 bis 40 % und bei Töchtern 18 % (SchulteKörne 2006). Auch Zusammenhänge zwischen Auffälligkeiten der Sprachentwicklung und späteren Lese-Rechtschreibstörungen sind vielfach belegt. Bei Kindern mit einer Geschichte von Sprachentwicklungsauffälligkeiten liegt die Wahrscheinlichkeit später auch LeseRechtschreibschwierigkeiten zu entwickeln zwischen 30 und 70 %. -5- Früherkennung Eine Früherkennung eines erhöhten Risikos zur späteren Entwicklung von LeseRechtschreibschwierigkeiten ist aufgrund der folgenden Faktoren bereits im Kindergarten wichtig: 1. Die Identifikation von erhöhtem Risiko stellt die Grundlage zur Einleitung spezifischer Frühtherapie dar. Frühtherapie erweist sich erst dann als sinnvoll, wenn sie gezielt mit Risikokindern und nicht in der allgemeinen Kindergruppe durchgeführt wird. 2. Effiziente Frühinterventionsprogramme (Würzburger Trainingsprogramm HörenLauschen-Lernen I und II von Roth, Schneider, Küspert, Marx) liegen vor. 3. Bei einer frühen Erkennung und Intervention können sekundär Probleme wie generalisiertes Schulversagen, psychische Sekundärstörungen, soziale Folgen und insbesondere schwerwiegende Frustrationserlebnisse bereits in der Schuleingangsstufe vermieden werden. Ziel der Früherkennungsstudie Ein herausragendes Anliegen der Studie war eine Überprüfung der bestehenden Screeningverfahren für den österreichischen Sprachraum. Schließlich sollte über ein Einbeziehen zusätzlicher Variablen (z. B. sprachliche Kompetenzen, psychosoziale Faktoren, familiäre Belastungen bezüglich Lese- Rechtschreibstörungen, nichtdeutsche Muttersprache) die Früherkennung optimiert werden. Nicht zuletzt ging es um einen Effizienznachweis der frühen Kindergartenintervention hinsichtlich späterer Lese- und Rechtschreibkompetenzen (1. und 2. Klasse der Volksschulen). Methode Das nachfolgende Diagramm übermittelt einen Überblick über das Studiendesign. Ausgewählt wurden möglichst alle Kinder der Magistratskindergärten in Ebelsberg (Therapiegruppe), weiters als Kontrollgruppe Kinder aus Magistratskindergärten in Urfahr. -6- Als Eingangsuntersuchung wurden die folgenden Verfahren durchgeführt bzw. FragebogenInstrumente eingesetzt: - Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC I). - ein Elternfragebogen zur Erhebung relevanter Einflussfaktoren auf die spätere LeseRechtschreibstörung (siehe Beilage 1) - die Ergebnisse einer logopädischen Reihenuntersuchung zur Sprachentwicklung (siehe Beilage 2) und schließlich - der SDQ (Strength and Difficulties Questionnaire) von Seiten der Eltern als auch Kindergartenpädagoginnen. Anschließend wurde lediglich in der Therapiegruppe das Frühinterventionsprogramm HörenLauschen-Lernen I und II ausschließlich mit Risikokindern durchgeführt. Gegen Ende des letzten Kindergartenjahres (ca. 4 Monate vor Einschulung) wurde das Bielefelder Screeningverfahren (BISC II) wiederholt. Schließlich erfolgte eine Untersuchung der schriftsprachlichen Fertigkeiten gegen Ende des 1. Schuljahres mit Hilfe des Salzburger Lese-Rechtschreibtests (SLRT), die schriftsprachlichen Fertigkeiten wurden dann gegen Ende der 2. Klasse nochmals (wiederum mit dem SLRT) überprüft. Da wie unten ausführlich dargestellt ein beträchtlicher Teil der Kinder die Vorschule besuchte, wurden die schriftsprachlichen Fertigkeiten der 1. und 2. Klasse im Vergleich zur Restgruppe ein Jahr später erhoben. Gegen Ende der 2. Klasse wurden von den Lehrern und Eltern nochmals der SDQ (StärkenSchwächen-Fragebogen) zur psychosozialen Entwicklung des Kindes ausgefüllt. -7- Ebelsberg BISC I Urfahr EF Log. K. SDQ BISC I EF Log. K. SDQ Würzburger Training Kindergarten BISC II BISC II SLRT 1.Kl. SLRT 1. Kl. Schule SLRT 2. Kl. SDQ SLRT 2. Kl. SDQ Ergebnisse Früherkennung von Lese-Rechtschreibstörung Insgesamt wurden Daten von 412 Kindern im letzten Kindergartenjahr erfasst, das Durchschnittsalter bei Studienbeginn lag bei 5;8 Jahren, das Geschlechterverhältnis war ausgewogen (51 % Mädchen, 9 % Buben). Folgende Abbildung stellt die sprachliche Familiensituation der Kinder in Ebelsberg und Urfahr dar. Gruppenvergleich: Ebelsberg Urfahr 237 175 kein Deutsch 61,4 % 13,3 % 81,5 % 3,3 % fremdsprachig + Dt. 15,0 % 8,6 % Dt. + fremdsprachig 10,3 % 6,6 % Deutscherwerb nicht abgeschl. (log. Abklärung) 24,4 % 8,3 % Kinder Familiensprache: nur Deutsch -8- Es zeigt sich ein signifikant höherer Anteil von Kindern in multilingualen Familien im Stadtteil Ebelsberg. Der Anteil der Kinder, die ausschließlich deutschsprachig aufwachsen, liegt in Ebelsberg bei über 60 %, in Urfahr bei über 80 %. In der logopädischen Reihenuntersuchung zum Sprachentwicklungsstand liegt der Anteil der Kinder mit nicht abgeschlossenem Deutscherwerb laut logopädischer Einschätzung als Zweitsprache in Ebelsberg bei knapp 25 %, in Urfahr bei 8 %. Es ist somit von durchaus unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen der Kinder in der Therapiegruppe (Ebelsberg) und der Kontrollgruppe auszugehen. Dementsprechend ergeben sich bereits deutliche Unterschiede hinsichtlich der im Bielefelder Screeningverfahren (BISC I) auffälligen Kinder, erwartbar sind laut Testautoren 15 % Risikokinder. In Ebelsberg liegt dieser Anteil bei 26,2 % und in Urfahr bei 13,1 %. Es stellt sich nun zunächst die Frage, bei welchen Kindern das Risiko von LeseRechtschreibschwierigkeiten erhöht ist. Signifikante Zusammenhänge zeigen sich mit nichtdeutscher Muttersprache. Migrationshintergrund BISC I RISIKO Nicht deutsche Familiensprache Deutsche Familiensprache 41,7% Dt.+ fremdspr. 23,5% Fremdspr. + Dt. 43,8% 13,9% Dt. als Fremdsprache nicht 47,5% abgeschlossen (Log. Ko.) Bei Kindern mit einer nichtdeutschen Familiensprache liegt die Wahrscheinlichkeit eines erhöhten Risikos im BISC I bei über 40 %. Schließlich bestätigen sich auch starke Zusammenhänge zwischen Sprachentwicklungsproblemen laut Elterneinschätzung wie auch laut logopädischer Kontrolle und erhöhtem Risiko im BISC I. Die Zahlen entsprechen sehr gut den internationalen Ergebnissen. Bei Kindern mit signifikanten Sprachentwicklungsauffälligkeiten laut Elterneinschätzung bzw. -9- Dysgrammatismus laut logopädischer Kontrolle liegt die Wahrscheinlichkeit im BISC I zu den Risikokindern zu zählen bei ca. 50 %. Schließlich werden psychosoziale Faktoren in ihrem Zusammenwirken mit erhöhtem Risiko im BISC I dargestellt. Psychosoziale Faktoren SDQ Kindergarten BISC I RISIKO Emotionale Probleme auff. Probleme mit Gleichaltrigen Hyperaktivität 44,8% 31,6% 50% Zusammenhänge zeigen sich hier insbesondere zwischen emotionalen Problemen und erhöhtem BISC I Risiko, weiters auch mit Hyperaktivität. Schließlich wurde der Frage nachgegangen, ob der ca. doppelt so hohe Risikoanteil von Kindern in Ebelsberg im Vergleich zu Urfahr vorwiegend auf den erhöhten Anteil mehrsprachig aufwachsender Kinder in Ebelsberg zurückführbar ist. Hiezu wurden die BISC I Ergebnisse der ausschließlich deutschsprachig aufwachsenden Kinder in Ebelsberg und Urfahr verglichen. Hier zeigte sich, dass auch bei diesen Kindern das BISC I Risiko in Ebelsberg bei 21 % und in Urfahr bei nur 5,7 % lag. Die Daten zu gemischtsprachig aufwachsenden Kindern finden sich im Diagramm „Sozioökonomisches Niveau der Familie“. Sozioökonomisches Niveau der Familie (Wohnumgebung) BISC I RISIKO (%) nur Deutsch fremd/gemischtsprachig Ebelsberg Urfahr Gesamt 21,0% 5,7% 13,9% 34,4% 42,9% 36,4% - 10 - Zusammenfassend zeigt sich somit, dass die nichtdeutsche Muttersprache einen gewichtigen Einfluss auf erhöhtes Risiko auf die spätere Lese-Rechtschreibschwierigkeiten hat, darüber hinaus jedoch durchaus auch die Wohnumgebung (sozioökonomisches Niveau und Bildungsstandards der Familien unterscheiden sich in den Stadtteilen Urfahr und Ebelsberg deutlich). Als Zwischenzusammenfassung kann somit festgehalten werden, dass das Aufwachsen in einer nichtdeutschen Muttersprache, der Sprachentwicklungsstand der Muttersprache, psychosoziale Faktoren sowie Wohnumgebung deutlich mit Ergebnissen des BISC I in Zusammenhang stehen. Prädiktion schriftsprachlicher Fertigkeiten durch den BISC Im Folgenden stellt sich nun die Frage, wie sicher Lese- und Rechtschreibfertigkeiten gegen Ende der 2. Volksschulklasse durch das Bielefelder Screeningverfahren zu Beginn des letzten Kindergartenjahres vorhergesagt werden können. Im folgenden Diagramm werden zunächst die Zahlen der beiden Vergleichsgruppen dargestellt. VS 2. Klasse (incl. 78 ehem. Vorschulkinder) Ebelsberg • 213 Kinder • 10% Ausfall • ehem. Vorschulkinder 21% Urfahr • 145 Kinder • 17% Ausfall • ehem. Vorschulkinder 20% Der Anteil von ehemaligen Vorschulkindern (gemessen an den verfügbaren Kindern gegen Ende der 2. Volkschulklasse) beträgt 78, hierbei ist der Anteil derselben in der Therapiegruppe Ebelsberg etwa gleich hoch wie in der Kontrollgruppe in Urfahr. Der Ausfall von Kindern der Kontrollgruppe war etwas höher als in der Therapiegruppe. - 11 - Im folgenden werden die Ergebnisse bezüglich der Prädiktorqualität des BISC I und BISC II für das Lesen und Schreiben am Ende der 2. Volksschulklasse dargestellt. Hierbei gilt es zwischen der Spezifität und der Sensitivität zu unterscheiden. Unter Spezifität ist der Anteil der durch das Screeningverfahren korrekt als unauffällig eingestuften Kinder zu verstehen, unter Sensitivität der Anteil der richtig als auffällig erkannten Kinder. Im Salzburger LeseRechtschreibtest werden die Leseflüssigkeit (Lesezeit) als auch die Lesegenauigkeit (Lesefehler) in verschiedenen Subtests erfasst, d. h. beim Lesen von häufigen Wörtern, beim Lesen eines kurzen Textes wie auch beim Lesen von wortunähnlichen und wortähnlichen Pseudowörtern (PW I und PW II). Aufgrund der vergleichsweise transparenten Orthographie der deutschen Sprache gilt die Lesezeit im Gegensatz zur Lesegenauigkeit als primäre Messgröße für Lesekompetenz auf Wortebene. Im Bereich der Rechtschreibung wird zwischen nicht lauttreuen Fehlern sowie orthographischen Fehlern unterschieden (N-Fehler, O-Fehler). Zunächst werden die Ergebnisse ausschließlich für die Kontrollgruppe (um nivellierende Einflüsse des Therapieprogramms in der Therapiegruppe in Ebelsberg auszuschließen) angeführt. Vorhersage für Lesen/Schreiben 2. VS durch BISC I (nur KG) Spezifität Lesezeit HW 90% Lesezeit Text 89% Lesezeit PWI 89% Lesezeit PWII 90% N-Fehler 89% O-Fehler 87% Sensitivität 67% 75% 75% 57% 60% 0% Es zeigt sich eine befriedigende Spezifität, d. h. nur wenige der im Screening unauffälligen Kinder erweisen sich später als lese-rechtschreibgestört. Die Sensitivität liegt je nach Subtest zwischen 57 und 75 %, d. h. 2 bis 3 von 4 im Screening auffälligen Kindern erweisen sich später als tatsächlich lese-rechtschreibgestört. Auffällig ist, dass orthographische Fehler nicht durch das Screeningverfahren prädiziert werden. - 12 - Um die Stichprobengröße zu erhöhen, wurden schließlich die Daten der Gesamtgruppe (Therapiegruppe und Kontrollgruppe) für das Bielefelder Screening II (d. h. 4 Monate vor Einschulung) in ihrer Prädiktorqualität für das spätere Lesen und Rechtschreiben untersucht. Hier zeigen sich ähnliche Ergebnisse hinsichtlich der Spezifität, geringfügig schlechtere Ergebnisse hinsichtlich der Sensitivität. Vorhersage für Lesen/Schreiben 2. VS durch BISC II (Gesamt) Lesezeit HW Lesezeit Text Lesezeit PWI Lesezeit PWII N-Fehler O-Fehler Zusammenfassend kann Spezifität 90% 91% 90% 90% 90% 90% festgehalten werden, Sensitivität 54% 64% 46% 50% 57% 24% dass durch das Bielefelder Screeningverfahren auch im österreichischen Sprachraum eine befriedigende Spezifität erreicht wird, d. h. die im Bielefelder Screeningverfahren unauffälligen Kinder sind später zu allermeist tatsächlich unauffällig. Auch die Sensitivität ist ausreichend, d. h. die Hälfte bis zwei Drittel der Risikokinder erweisen sich später als tatsächlich auffällig. In der Originalstudie der Testautoren des Bielefelder Screeningverfahrens wurde bezogen auf eine Störung des Lesens und/oder Rechtschreibens Ende der 2. Klasse eine Spezifität von 97 % und Sensitivität von 65 % erreicht. Nur bezogen auf das Rechtschreiben in der 3. Klasse ergab die Münchener Logikstudie eine Spezifität von 93 % und Sensitivität von 52 %. Vorschüler Für die Vorschüler (ca. 20 % der Gesamtgruppe) ist festzuhalten, dass diese eine Hochrisikogruppe für spätere Lese-Rechtschreibschwierigkeiten trotz des zusätzlichen Unterrichtsjahrs darstellen. Unter den Vorschülern zeigte sich kein signifikant erhöhter Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache, sodass dieser Faktor hier nicht wesentlich ist. Es ergab sich jedoch ein deutlich erhöhter Anteil von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen, ein etwas verstärkter Anteil von Buben. Die Wohnumgebung (Ebelsberg oder Urfahr) spielte keine Rolle hinsichtlich des Anteils der Vorschüler. - 13 - In den folgenden Tabellen wird der Vergleich der Leseleistungen (Leseflüssigkeit und Lesegenauigkeit) der ehemaligen Vorschulkinder im Vergleich zur Restgruppe dargestellt. Vorschulbesuch - Leseflüssigkeit Mittelwert keine Vorschule Vorschule •70,0Einfügen: Diagramm aus 57,3 51,7 60,0 48,9 1.Ergebnisse 2. Klasse Volksschule 42,3S. 5: 50,0 34,0 40,0 26,5 22,5 Lesefehler und Rechtschreiben 30,0 18,2 20,0 10,0 V2 Lesen - Häufige Wörter - Zeit *** V2 Lesen - Text (kurz) - Zeit *** V2 Lesen V2 Lesen w ortunähnliche w ortähnliche Pseudow örter - Zeit ** Pseudow örter - Zeit *** Vorschulbesuch - Lesegenauigkeit keine Vors chule Vors chule 3,3 Mittelwert 3,5 3,0 2,7 2,5 2,0 1,9 1,8 1,0 1,4 1,2 1,5 0,6 0,3 0,5 V2 Lesen - Häufige Wörter - Fehler *** V2 Les en - Tex t (kurz ) Fehler *** V2 Les en w ortunähnliche Pseudow örter - Fehler *** V2 Lesen w ortähnlic he Pseudow örter - Fehler *** Die Vermutung liegt nahe, dass angesichts des hohen Anteils von Kindern in der Vorschule nur ein Teil derselben allgemeine Lernschwierigkeiten aufweist, bei den anderen scheinen durchaus spezifische Lernstörungen (Lese-Rechtschreibstörung) gegeben, was einer differenzierten Förderung bedarf. Von 190 Kindern mit einer Lese-Rechtschreibstörung aus der Inanspruchnahmepopulation unserer Ambulanz hatten 28,4 % die vorschule besucht, von den lernschwachen Kindern (IQ = 70 – 84) 55,9 %. Die Möglichkeiten intensiv zur Vorbereitung auf und Einführung in die Schriftsprache in der Vorschule scheinen durchaus noch optimierbar. - 14 - Verbesserungsmöglichkeiten der Früherkennung Wie oben bereits ersichtlich, stehen Faktoren wie Wohnumgebung, nichtdeutsche Muttersprache, Sprachentwicklungsfaktoren der Muttersprache sowie psychosoziale Auffälligkeiten in starkem Zusammenhang mit erhöhtem Risiko zur Entwicklung späterer Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Bei Einberechnung dieser Faktoren in die Prädiktion von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zusätzlich zum BISC II kann lediglich durch den Faktor Dysgrammatismus (Resultat der logopädischen Reihenuntersuchung) die Sensitivität beim Subtest „Lesen eines kurzen Textes“ auf 70 % erhöht werden (Spezifität 87 %). Beim Lesen eines Textes spielen wie zu erwarten auch sprachliche Kompetenzen (z. B. grammatische wie auch lexikalische Faktoren) eine wesentliche Rolle. In einer hierarchischen Regressionsanalyse zur Prädiktion der späteren Leseprobleme können die zusätzlich Wohnumgebung, einbezogenen psychosoziale Faktoren Auffälligkeiten, wie nichtdeutsche Muttersprache, Sprachentwicklungsstörung oder Vorschulbesuch die Erklärung der Varianz zusätzlich nicht signifikant erhöhen, wobei alle der genannten Variablen mit den Leseergebnissen deutlich korrelieren. Durch das Kompetenzen Bielefelder Screeningverfahren werden somit sowie Faktoren in Zusammenhang mit offensichtlich sprachliche Schichtzugehörigkeit und Wohnumgebung sowie psychosozialen Auffälligkeiten bereits miterfasst. Die Ergebnisse des Bielefelder Screeningverfahrens sind auch für den oberösterreichischen Sprachraum ausreichend, um einen flächendeckenden Einsatz zu Beginn des letzten Kindergartenjahres zu empfehlen. - 15 - 1.2. Effektivität präventiver Förderung im Kindergarten (Mag. Elisabeth Leopold) Einführung Im Rahmen der Studie „Chancen für besondere Lerner“ wurde neben der frühen Erkennung von Lese-/Rechtschreibstörung ebenfalls die Effektivität der frühen Förderung im Kindergarten für den österreichischen Sprachraum überprüft. Dabei wurden die Kinder in der Therapiegruppe nach Erkennung als Risikokinder (durch das BISC) spezifisch gefördert. Die Lese-/ Rechtschreibleistungen der Kinder wurden am Ende der 1. und 2. Klasse untersucht, mit den Leistungen der Kinder der Kontrollgruppe sowie den Kindern mit unauffälligem BISC verglichen. Als Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Schriftsprache gelten nach neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen, das schnelle Benennen und der schnelle Abruf aus dem Langzeitspeicher, das phonologische Kurzzeitgedächtnis, die visuelle Aufmerksamkeit und die phonologische Bewusstheit. Alle diese Fertigkeiten werden im BISC überprüft. Wissenschaftlicher Hintergrund Als Fähigkeiten, die normalerweise im Vorschulalter erlernt werden und eine wichtige Grundlage für den Lese- und Schreiberwerb darstellen, konnten identifiziert werden: - Schnelles Benennen von Bildern und Objekten/Zugriff auf phonologische Wortform (Wolf, 1986; Catts et al., 2002) - Phonologisches Kurzzeitgedächtnis (Jorm, Share, 1983) - Visuelles Buchstabengedächtnis (Marx, 1992) - Phonologische Bewusstheit (Torgesen, 1994, Schneider&Marx, 2000; Küspert, 1998; Catts at al., 2000) - Phonematische Diskrimination (Tallal et al., 1989) Unter dem Begriff der phonologischen Bewusstheit wird generell die Einsicht verstanden, dass Sprache aus distinktiven lautlichen Einheiten bestehend wahrgenommen und mit diesen lautlichen Segmenten analytisch und / oder synthetisch umgegangen werden kann (Mannhaupt und Jansen 1999). - 16 - Im Bereich der phonologischen Bewusstheit lässt sich zwischen der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn, welche die Wahrnehmung gröberer sprachlicher Einheiten (Sätze, Wörter, Silben) und der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinn (Analyse von einzelnen bedeutungsunterscheidenden Lauten: Phoneme) unterscheiden. Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit lassen sich bereits im Kindergarten und Vorschulalter bei den Kindern identifizieren, wobei die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn später zusätzlich durch den Buchstabenerwerb und der Buchstabenerwerb wiederum durch die phonologische Bewusstheit positiv beeinflusst wird. Nach Erkennen und Identifikation von Kindern mit Schwierigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit stellt sich nun die Frage, ob nach einem frühen Erkennen auch die Förderung in diesem Bereich effizient und überhaupt möglich ist bzw. ob eine Förderung dieser Vorläuferfähigkeiten überhaupt Effekte für das Lesen und Schreiben bringt, d.h. ob ein Transfer von dieser Übung im Bereich der Laute auf den Schriftspracherwerb gesehen werden kann. In einer dänischen Trainingsstudie (Lundberg, Frost, Petersen, 1988) sollte der Effekt eines vorschulischen Trainings der Vorläuferfertigkeiten auf den Schriftspracherwerb überprüft werden. Dabei wurden in einer Trainingsgruppe Kinder über 8 Monate lang täglich für die lautlichen Eigenschaften der Wörter sensibilisiert, wobei in den ersten Wochen im Bereich der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn und erst in den letzten Monaten im Bereich der Phoneme (Einzellaute einer spezifischen Sprache) gearbeitet wurde. Die Kontrollgruppe wurde nicht gefördert. Sowohl Kontroll- als auch Therapiegruppe wurden vor dem Training und nach dem Training getestet, die Leistungen beider Gruppen im Lesen und Schreiben bis in die 3. Kl. verfolgt. Bei Vergleich der Vor- und Nachtestergebnisse konnte ein spezifischer Effekt der Förderung im Bereich der Phonologie nachgewiesen werden. Bei Kindern der Trainingsgruppe, welche beim Vortest in Summe schlechter abschnitten als Kinder der Kontrollgruppe, zeigte sich eine deutliche Steigerung der Fähigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit im Nachtest, wobei die Leistungen der Kinder der Kontrollgruppe zwischen Vor- und Nachtest nahezu stagnierten. Somit konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass phonologische Bewusstheit spezifisch trainiert werden kann und dass es sich nicht um einen normalen Entwicklungsverlauf handelt, sondern sich spezifische Trainingseffekte bei Förderung dieser Fähigkeiten abzeichnen. - 17 - Ergebnis 1 • Durch ein Training zeigen sich spezifische Effekte bezüglich phonologischer Bewusstheit Klarerweise war nicht nur der Trainingseffekt der phonologischen Fertigkeiten für diese Studie interessant, sondern insbesondere der Transfer auf die späteren Lese-/ Rechtschreibleistungen der geförderten und nicht geförderten Kinder. Dabei konnte die dänische Trainingsstudie bis zum Anfang der 3. Kl. positive Trainingseffekte sowohl im Lesen als auch im Schreiben feststellen. Gemessen wurde dabei die Anzahl der korrekt geschriebenen und die Anzahl der korrekt gelesenen Wörter, welche in der Therapiegruppe jeweils höher waren. Ergebnis 2 • Durch ein Training im Bereich der phonologischen Bewusstheit ergeben sich Langzeiteffekte im Lesenund Schreiben Für den deutschsprachigen Raum wurden durch die Würzburger Trainingsstudien (Schneider et al. 1997, Roth/Schneider 2002) die Effekte des Trainings der phonologischen - 18 - Bewusstheit bestätigt. Auch die Würzburger Trainingsstudien konnten Langzeiteffekte des phonologischen Trainings bis zum Ende der 2. Kl. im Lesen als auch im Schreiben nachweisen. Würzburger Trainingsstudien (Schneider et al., 1997, 2000; Roth, Schneider, 2002) • phonologische Bewusstheit kann im Vorschulalter trainiert werden • Bereichsspezifische Trainingseffekte • Das Training erleichtert den Schriftspracherwerb in der Schule Nachdem für das Training der phonologischen Bewusstheit signifikante Einflüsse auf den Schriftspracherwerb nachgewiesen werden konnten, wurde nach einer Verbesserung dieser spezifischen Trainingseffekte gesucht, um möglicherweise bessere Langzeitergebnisse und ausgeprägtere Ergebnisse beim Einstieg des Lese-/Rechtschreiberwerbs zu erhalten. In der Trainingsstudie von Hatcher, Hulme und Ellis (1994) sollte nicht nur ein Training der phonologischen Bewusstheit, d.h. der lautlichen Analyse und Synthese des Gesprochenen erfolgen, sondern zusätzlich zu diesen analysierten Lauten erste Buchstaben vermittelt werden (Phonological Linkage Hypothese). Durch eine Kombination aus phonologischen Aufgaben und der gleichzeitigen Verknüpfung mit dem visuellen Abbild erhoffte man sich eine Steigerung gegenüber des reinen phonologischen Trainings. Vier Gruppen von schwachen Lesern wurden hier wiederum in einem Vor- und Nachtest untersucht. Die erste Gruppe erhielt reines Lesetraining, die zweite Gruppe ein rein phonologisches Training, die dritte Gruppe eine Kombination aus Lesetraining und phonologischem Training und die vierte Gruppe keine Intervention. - 19 - Trainingsstudie (Hatcher, Hulme & Ellis, 1994) • Hypothese: Ein kombiniertes Training, welches sowohl die phonologische Bewusstheit als auch die Buchstabenkenntnis vermittelt, ist effektiver als die Förderung einer einzelnen Komponente („Phonological-Linkage) • Methode: – VPN: 124 schwache Leser (7,4 Jahre) » Gruppe 1: Lesetraining (n=31) » Gruppe 2: phonologisches Training (n=30) » Gruppe 3: Kombination (n=32) » Gruppe 4: keine Intervention (n=31) Nach intensiver Förderung über 20 Wochen zeigte sich in einem Nachtest, dass schwache Leser, welche mit der kombinierten Trainingsmethode aus Phonologie und Lesen gefördert wurden, unmittelbar nach dem Training die besten Ergebnisse aller Gruppen im Lesen erzielen. Auch eine Follow Up-Studie nach Trainingsende konnte für das Lesen und das Schreiben deutlich bessere Ergebnisse in der Gruppe des kombinierten Trainings gegenüber allen Kontrollgruppen finden. Das kombinierte Training zeigte weiters auch die größten Langzeiteffekte bis in die 2. u. 3. Klasse. Methode Angelehnt an die bisherigen Studien aus dem deutschsprachigen Raum wurde mit den Kindern der Therapiegruppe Ebelsberg eine spezifische Förderung durch die Kindergartenpädagogen durchgeführt, welche von LogopädInnen in das Verfahren eingeführt worden waren und spezifische Instruktion erhalten hatten. Die Förderung wurde nur mit Kindern durchgeführt, welche im BISC 1 auffällig waren und somit Risikokinder für den späteren Lese-/Rechtschreiberwerb darstellten. Weiters sollte die Gruppengröße nicht mehr als 5 Kinder übersteigen. Die Förderung wurde durch Kindergärtnerinnen vor Ort täglich 10 min lang durchgeführt, erstreckte sich auf 20 Wochen und war durch einen vorgegebenen Trainingsplan mit täglichen Übungen und Spielen gut strukturiert. - 20 - Mit den Kindern der Trainingsgruppe in Ebelsberg wurden die Programme „Hören – Lauschen – Lernen I u. II“ verwendet, welche bereits in den Würzburger Trainingsstudien eingesetzt worden waren. Dabei wird in den ersten 10 Wochen Einsicht in die rein lautliche Gliederung von größeren und kleineren sprachlichen Einheiten gegeben, wobei das Kind durch Lauschspiele („was hörst du draußen?“...) darauf aufmerksam gemacht wird, dass es genau auf Klangereignisse horcht. In Reimspielen und Spielen mit Sätzen und Wörtern werden Kinder langsam auf die segmentalen Einheiten der Sprache hingewiesen. Die Analyse des lautlichen Signals betrifft dabei immer kleinere Einheiten bis zur Phonemsynthese und –analyse. In den folgenden 10 Wochen wurde die akustische Wahrnehmung mit der visuellen Buchstabenrepräsentation verknüpft. Dabei wurden 12 Buchstaben eingeführt, wobei mit Kontinuanten und Vokalen begonnen wurde, aber dann auch Plosive ins Training mit eingeflossen sind. Ziel sollte es hier nicht sein, dass Kinder Buchstaben schreiben lernen, sie sollten lediglich erkennen, dass es zu einem akustisch wahrnehmbaren Laut auch ein visuelles Zeichen gibt. Ergebnisse Um die Effektivität der Förderung zu überprüfen, wurden die Kinder nach diesem Training mit dem BISC II (Testform 4 Monate vor Einschulung) getestet. Bei deutlich schlechterer Ausgangslage der Therapiegruppe in Ebelsberg, hier fielen 26 % der Kinder in den Risikobereich im BISC I gegenüber 13 % der Kinder in der Kontrollgruppe, sollten die Leistungen nun nach der spezifischen Förderung überprüft werden (insgesamt lagen 20 % aller Kinder im BISC I – Risikobereich). Kinder fallen ab dem Wert von 3 Risikopunkten in den kritischen Bereich. - 21 - Verteilung der Risikopunkte vor der Intervention 40 30 20 Untersuchungsgruppe Kontrollgruppe 10 Prozent Urfahr Therapiegruppe 0 Ebelsberg 0 1 2 3 4 5 6 7 BISC I - Risikopunkte (Risiko für LRS 0-9) Bei Überprüfung der Leistungen der phonologischen Bewusstheit, der akustischen Kurzzeitspeicherung, visuellen Aufmerksamkeit, des schnellen Benennens, Lautanalyse und Lautsynthese im BISC 2, zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Leistungen, wobei über die Zeit auch in der Kontrollgruppe eine Tendenz des Rückgangs der Risikokinder zu beobachten war (von 13 auf 9 %), in der Therapiegruppe der Anteil der Risikokinder allerdings von 26 auf 14 % nahezu halbiert wurde. Durch diesen Vor- und Nachtest konnte also ein signifikantes Ergebnis der Förderung für den Bereich der phonologischen Bewusstheit nachgewiesen werden. B IS C Au ff ällig e %-Anteil der Auffälligen 30 25 20 KG 15 TG 10 5 0 B IS C 1 B IS C 2 Auch wenn nach der Förderung tendenziell der Mittelwert der Gesamtrisikopunkte in der Therapiegruppe leicht höher liegt als in der Kontrollgruppe (1,8 gegenüber 1,5), sind die - 22 - Unterschiede statistisch nicht mehr signifikant, somit haben sich die Gruppen aneinander angenähert. Der Mittelwert für alle getesteten Kinder –lag mit 1,6 um 0,4 Punkte unter dem Ergebnis der ersten Untersuchung. Der Anteil der Kinder im Risikobereich sinkt auf 12%. Mittelwerte der Risikopunkte Risikopunkte Entwicklung der Risikopunkte 2,5 2,32 2 1,5 1,56 1 0,5 0 BISC1 1,8 1,5 TG KG BISC2 Hätte man anhand der BISC I-Ergebnisse mit einem deutlich höheren Vorschulbesuch in der Therapiegruppe rechnen können, so nähert sich nun tatsächlich der Vorschulbesuch der beiden Gruppen einander an. Der Anteil der Kinder, die eine Vorschule besuchen ist nun in der Therapiegruppe und Kontrollgruppe gleich hoch, wobei insgesamt 56,5 % der im BISC auffälligen Kinder die Vorschule besuchen. Vorschulbesuch % der Kinder Vorschulbe such und BISC 30 20 KG 10 TG 0 BISC1 BISC2 - 23 - Vors chule Bei Vergleich der BISC I und BISC II-Ergebnisse kann man bei den einzelnen Subtests unterschiedliche Steigerungen feststellen. Die Kinder verbesserten sich demnach besonders in Subtests zur visuellen Aufmerksamkeit (Qualität), wobei hier sicherlich die Bewusstmachung der einzelnen Buchstabenbilder die Kinder in diesem Bereich sensibilisiert hat. Auch die Subtests zur phonologischen Bewusstheit im weiteren und engeren Sinn konnten über das Training verbessert werden. Gleichbleibend waren die Ergebnisse im Bereich des schnellen Benennens, des akustischen Kurzzeitgedächtnisses und der Geschwindigkeit beim visuellen Vergleich, d.h. des Vergleichs zweier Schriftformen. Welche Fertigkeiten (Subtests) konnten verbessert werden? Entwicklung der Fähigkeiten 12 11 10 Punktwerte 9 10,7 10,1 9,3 9,2 8,7 9,2 8,5 8 7,7 7,6 7 7,8 6 6,1 5,7 6,2 6,1 5 4,9 4,9 7 WVS Qu. WVS Zeit PWN SB F1 SB F2 R LA SS LZW 4 3 B ISC1 BIS C2 Die Follow Up-Ergebnisse in der 1. Kl. zeigten für die Therapiegruppe sehr erfreuliche Leistungen im Bereich des lautierenden Lesens, wobei alle Kinder der Therapiegruppe, welche zuvor im BISC auffällig waren, in der 1. Kl. lautierend lesen konnten (nur 82 % der Kontrollgruppe war dies hinsichtlich Geschwindigkeit und Genauigkeit unauffällig möglich). Die Lese-/Rechtschreibleistungen wurden dabei mit dem SLRT für die 1. u. 2. Schulstufe überprüft, wobei die Bereiche des lautierenden Lesens über die Subtests des Pseudowortlesens überprüft wurden. Vergleicht man alle Subtests (Häufige Wörter, Text kurz, wortunähnliche Pseudowörter lesen), so sind die Leistungen über alle Subtests bei den als Risikokinder erkannten Kindern in der Therapiegruppe zu 8% auffällig, in der Kontrollgruppe zu 23 %. Die Leistungen im Bereich des synthetischen zusammenschleifenden Lesens, waren in der Therapiegruppe auch in der 2. Kl. noch signifikant besser als jene der Kontrollgruppe. Als tendenziell besser, aber nicht mehr signifikant erwiesen die Lesegeschwindigkeit und -genauigkeit gegenüber der Kontrollgruppe in anderen Subtests zum Lesen. - 24 - Die Rechtschreibleistungen wurden durch den standardisierten Salzburger Rechtschreibtest überprüft, wobei hier am Ende der 1. Kl. deutlich mehr Kinder als in der Normstichprobe im Bereich der Orthographie auffällig waren (knapp 50 %) und somit dieses Verfahren offensichtlich gegen Ende der 1. Klasse nicht zuverlässig einsetzbar ist. Somit zeichnete sich kein Effekt der Förderung in der Therapiegruppe im Bereich der Orthographie ab. In der lauttreuen Schreibung, d.h. der Fähigkeit, die im Vorschulalter durch Lautanalysen trainiert wurde, schneiden Kinder der Therapiegruppe tendenziell besser ab. Fazit ist, dass ein phonologisches Training in unserer Studie die Bewusstheit der 1 : 1 – Zuordnung von Phonemen zu Graphemen verbessert hat und somit auch die Leistungen im späteren lautierenden Lesen und lauttreuen Schreiben, d.h. den Einstieg in die Schriftsprache, erleichtert hat. Orthographische Besonderheiten müssen allerdings zusätzlich explizit über das Abspeichern von Schriftwortbildern passieren. Dazu stellt sich in unserer Studie das Training der phonologischen Bewusstheit allein als zu wenig effektiv dar. In den Vor- und Nachtests sollte die Subgruppe der Kinder nichtdeutscher Muttersprache genauer hinsichtlich der Entwicklung der schriftsprachlichen Leistungen und der Verbesserung der Phonologie betrachtet werden, da diese Gruppe vor allem in der Therapiegruppe Ebelsberg einen hohen Prozentsatz der auffälligen Kinder darstellte. Bei Vergleichen der BISC I und BISC II-Werte zeigen sich bei Kindern nichtdeutscher Muttersprache tendenziell bessere Ergebnisse nach der Förderung als bei Kindern deutscher Muttersprache, welche ebenfalls nach dem Würzburger Trainingsprogramm gefördert wurden. Diese Ergebnisse lassen nun den Schluss zu, dass auch Kinder nichtdeutscher Muttersprache durch spezifische Förderung ihre phonologische Bewusstheit im Vorschulalter signifikant verbessern können. Kinder nichtdeutscher Muttersprache unterscheiden sich Ende der 1. und 2. Klasse beim phonologisch dekodierendem Lesen nicht signifikant vom Rest der Gruppe. Der schnelle Zugriff auf ganze Wortformen, welcher natürlich auch vom gespeicherten Wortschatz abhängt sowie der Geschwindigkeit und Genauigkeit beim Lesen eines Textes, wo zusätzlich auf grammatische Fähigkeiten zurückgegriffen werden muss, ist signifikant schlechter. Die Leistungen im Schreiben in der 2. Klasse sind für die fremdsprachigen Kinder tendenziell schlechter, allerdings nicht signifikant. Hier ergeben sich keine Unterschiede im Bereich der orthographischen Fehler, lauttreuen Fehler oder Groß-/Kleinschreibfehler. - 25 - Zur gleichen Zeit der Durchführung des BISC I wurde ein logopädisches Screening bei allen Kindern durchgeführt, wobei 10 % einen Dysgrammatismus, 1,4 % eine Redeflussstörung und 45,6 % eine Aussprachestörung (Dyslalie) aufwiesen. Die Frage stellte sich nun, wie sich diese spezifische Gruppe der sprachentwicklungsgestörten Kinder im Lese- und Schreiberwerb abbildet und ob hier ein höheres Risiko für persistierende Lese-Rechtschreibschwächen bestehen. Bei Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen konnte weder ein Zusammenhang zwischen Dyslalie noch von Redeflussstörungen zu den Ergebnissen des BISC I-Tests nachgewiesen werden, d.h. Kinder mit einer diagnostizierten Dyslalie oder Redeflussstörung schnitten im BISC I nicht schlechter ab als Kinder, welche expressiv als unauffällig erkannt wurden. Demgegenüber steht die Gruppe der spezifischen Sprachentwicklungsstörungen mit Dysgrammatismus, welche deutlich häufiger in den Risikobereich im BISC I fallen. So sind 47 % der Kinder, welche die Diagnose Dysgrammatismus erhielten, auch im BISC I auffällig gegenüber nur 16 % aller anderen Kinder, welche die Diagnose Dysgrammatismus nicht erhielten. Diese Ergebnisse bestätigen Resultate einer groß angelegten Longitudinalstudie von Catts et al. 2001, wo die stärksten Zusammenhange zwischen Grammatikkompetenz und späterer Lesekompetenz festgestellt wurde. Bei BISC I - Risikokindern mit Dysgrammatismus bleiben 35 % in der 2. Volksschule im Lesen oder Schreiben auffällig, wohingegen nur 24 % der Kinder ohne Dysgrammatismus auffällig bleiben, d.h. es zeigt sich eine Tendenz dazu, dass schwerwiegendere Sprachprobleme, die Persistenz von Schwierigkeiten im Lesen oder Schreiben erhöhen. Zusammenfassung Die Förderung im Bereich der phonologischen Bewusstheit wirkt sich vor allem im lautierenden, lauttreuen Lese- und Schreibprozess aus, welcher auch die erste Stufe der Lese-/Rechtschreibentwicklung darstellt. Keine Effekte zeigen sich im Bereich der Orthographie oder des morphologischen Regelbewusstseins. Deshalb, will man diese Bereiche zusätzlich verbessern, welche vor allem in der 3. u. 4. Klasse ausschlaggebend für einen Rechtschreiberfolg sind, muss man im Bereich der Orthographie und Morphologie spezifisch ansetzen. - 26 - Als weitere Empfehlung kann gesagt werden, dass der zweite Teil des Trainings, welcher sich näher mit der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinn sowie der Buchstabe-/Lautverknüpfung beschäftigt, im Training intensiviert werden soll, wohingegen die Übungen zur Phonologie im weiteren Sinn gekürzt bzw. vorgezogen werden sollten. Vor allem für Kinder nichtdeutscher Muttersprache würde eine zusätzliche Erweiterung des Wortschatzes eine Verbesserung im Bereich der Lesegeschwindigkeit und Lesegenauigkeit sowie des Lesens eines Textes erbringen. - 27 - 1.3. Legasthenie und psychosoziale Problembelastung (Dr. Johannes Fellinger) Einleitung: Ein Zusammenhang zwischen Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und emotionalen sowie Verhaltensproblemen ist lange Zeit bereits bekannt und Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Viele Aspekte in diesem Zusammenhang sind unklar und umstritten, widersprüchliche Befunde von bis dato relativ wenigen Studien liegen vor. In der großen Isle of Wight – Studie 1970 (Rutter, Tizard und Whitmore 1970) wurde ein enger Zusammenhang zwischen Schwierigkeiten beim Lesenlernen und aggressiv-störendem Verhalten nachgewiesen. Auch in der Mannheimer Längsschnittstudie weist Esser den starken Zusammenhang zwischen Lese-Rechtschreibstörung und externalisierende Verhaltensstörungen nach. Er konnte dabei eindrucksvoll die Persistenz der psychischen Belastung Betroffener aufzeigen. McGee, Williams et al., 1986, McGee & Share 1988 konnten nachweisen, dass vor allem Aufmerksamkeitsprobleme einen engeren Zusammenhang mit Problemen beim Lesenlernen aufweisen. Es wurden aber auch Befunde vorgelegt, die den Zusammenhang von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten mit emotionalen Störungen, insbesondere Depressionen, betonten. So konnten Maughan, Rowe, Loeber und Stouthamer-Loeber 2003 im Rahmen einer Längsschnittstudie zeigen, dass Leseschwierigkeiten bei jüngeren Kindern längerfristig das Risiko für die Entwicklung von depressiven Störung erhöhen. Neben der Art der Auffälligkeit ist auch die Kausalrichtung des Zusammenhangs zwischen Lese-Rechtschreibschwierigkeit und Verhaltensauffälligkeiten unklar. Verschiedene UrsacheWirkungs-Relationen können angenommen werden. Die Verhaltensschwierigkeiten können Folge der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten sein, diese können aber auch der LeseRechtschreibschwierigkeit vorausgehen und schließlich können sowohl die Lese- Rechtschreibschwierigkeiten als auch die Verhaltensschwierigkeiten auf einen dritten Faktor zurückzuführen sein. Um in dieser Frage Klarheit zu bekommen ist es äußerst bedeutungsvoll, bereits vor Schulbeginn das Ausmaß der psychosozialen Auffälligkeiten und das Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zu erfassen. In der großen Dunedin-Studie (epidemiologische Längsschnittstudie aus Neuseeland, Williams und McGee, 1996) wurde der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsstörungen und Leseschwierigkeiten nachgewiesen, wobei allerdings der Zusammenhang vorwiegend durch die Assoziation Aufmerksamkeitsstörung und Sprachentwicklungsstörung bedingt war. Klicpera zeigte, dass der Zusammenhang zwischen Verhaltensschwierigkeiten und Vorläuferfertigkeiten für Lesen und Schreiben bereits im Kindergartenalter bestand und sich - 28 - die Problemfelder im Längsschnitt als stabil erwiesen. In der 4. Klasse Volksschule hatten vor allem soziale Anpassungsschwierigkeiten der von einer LRS betroffenen Schüler zugenommen. Im nun berichteten Teil der Studie wird untersucht, inwieweit 1. bereits im Kindergartenalter Verhaltensprobleme mit Problemen in Vorläuferfertigkeiten für Lesen und Schreiben korrelieren, 2. welche Verhaltensdimensionen besonders starke Zusammenhänge aufweisen, 3. ob und in welchem Maße im Kindergarten beobachtete Verhaltensprobleme in der zweiten Klasse Volksschule persistieren, 4. ob der SDQ als Stärken-Schwäche Fragebogen im Kindergarten als Screeninginstrument eingesetzt werden kann und beitragen kann, Risikokinder frühzeitig auch in Hinblick auf ihre Sprachentwicklung untersuchen zu lassen. Methodik Als Verfahren zur Erfassung des Verhaltens wurde der SDQ (Strengths and Difficulties Questionnaire = Fragebogen zu Stärken und Schwächen) von Goodman 1997 in der deutschen Version von Woerner et al. 2002 eingesetzt. Der SDQ baut sich aus 25 Items auf, die in fünf Skalen mit je fünf Items zusammengefasst sind und umfasst emotionale Probleme Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsprobleme Probleme mit Gleichaltrigen externalisierende Verhaltensauffälligkeiten prosoziales Verhalten. SDQ • Subskala: Emotionale Probleme * Klagt häufig über Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Übelkeit * Hat viele Sorgen; erscheint häufig bedrückt * Oft unglücklich oder niedergeschlagen; weint häufig * Nervös und umklammernd in neuen Situationen; verliert leicht das Selbstvertrauen * Hat viele Ängste; fürchtet sich leicht. - 29 - SDQ • Subskala: Probleme mit Gleichaltrigen * Einzelgänger, spielt meist alleine * hat wenigstens einen guten Freund oder eine gute Freundin * im Allgemeinen bei Kindern beliebt * wird von anderen gehänselt oder schikaniert sie * kommt mit Erwachsenen besser aus als mit Kindern SDQ • Subskala: Verhaltensauffälligkeiten * Hat oft Wutanfälle; ist aufbrausend * Im allgemeinen folgsam; macht meist, was Erwachsene verlangen * Streitet sich oft mit anderen Kindern oder schikaniert sie * Lügt oder mogelt häufig * Stiehlt zuhause; in der Schule oder anderswo SDQ • Subskala: Hyperaktivität * Unruhig, überaktiv, kann nicht lange stillsitzen * ständig zappelig * leicht abblenkbar, unkonzentriert * denkt nach, bevor er/sie handelt * führt Aufgaben zu Ende; gute Konzentrationsspanne - 30 - SDQ • Subskala: Prosoziales Verhalten * rücksichtsvoll * hilfsbereit, wenn andere verletzt, krank oder betrübt sind * lieb zu jüngeren Kindern * hilft anderen oft freiwillig Aus den Rohwerten der ersten vier Skalen wird der Gesamtproblemwert ermittelt. Es lassen sich anhand der Skalenrohwerte für alle Kategorien einzeln Aussagen über deren Ausprägung (unauffällig/grenzwertig/auffällig) machen. Die Bearbeitung nimmt ca. 5 Minuten in Anspruch. Sowohl Eltern, als auch Kindergärtnerinnen wurden am Beginn der Stunde gebeten, den SDQ – Fremdbeurteilungsbogen auszufüllen. In der zweiten Klasse Volksschule wurde wiederum der SDQ an Eltern und Lehrer/Innen ausgegeben. Ergebnisse: Verhaltensauffälligkeiten und Risiko von Kindern mit drohenden Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten (BISC I) Durchgeführt an Kindergärten des Magistrats Linz in zwei Linzer Stadtteilen (Ebelsberg und Urfahr). Von 412 ausgegebenen SDQ – Fragebögen konnten Bögen von 405 Kindergartenkindern ausgewertet werden. - 31 - Dabei zeigte sich, dass Kinder die im BISC I(Vorläuferfertigkeiten für Lesen und Schreiben) auffällig waren, auch 2 bis 3-mal so häufig psychosoziale Auffälligkeiten im SDQ aufwiesen (Eltern, Kindergärtnerinnenurteil). Nur 18 % der im SDQ unauffälligen Kinder fielen auch in die Gruppe die im BISC I als Risikogruppe identifiziert wurde. Kinder mit auffälligem SDQ sind auch mindestens doppelt so häufig in der Gruppe der Kinder mit Dysgrammatismus und nicht abgeschlossenem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache zu finden. Kinder mit erhöhten Werten in der Hyperaktivitätsskala wiesen 3 x häufiger Symptome von Dysgrammatismus auf. In der zweiten Klasse Volksschule wurden nochmals Eltern und Lehrer mit dem SDQ befragt. Es konnten 180 Fragebögen zur Auswertung herangezogen werden Die Auffälligkeiten, die im SDQ im Kindergarten festgestellt wurden, sind auch am Ende der zweiten Klasse in hohem Maße noch vorzufinden. Es zeigen sich signifikante Korrelationen zwischen den Ergebnissen im Kindergartenalter und den Ergebnissen in der zweiten Klasse Volksschule (Korrelationskoeffizient (Pearson R) Elternbewertung zwischen 0.42 und 0.64, Kindergarten und Lehrerbewertung zwischen 0.24 und 0.52). Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Übereinstimmung bei der Einschätzung emotionaler Probleme zwischen Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen nicht ausreichend war (0.17). Zusammenfassung Kinder mit Problemverhalten im Kindergarten weisen mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses auch in der Schule auf. Kinder mit Problemen im Bereich Hyperaktivität, Umgang mit Gleichaltrigen sowie Verhaltensproblemen und Schwächen im prosozialen Verhalten haben ein signifikant höheres Risiko in der zweiten Klasse Volksschule im Lesen aufzuweisen. - 32 - Konklusion Hat ein Kind Schwierigkeiten im Verhalten, so ist es durchaus wahrscheinlich, dass es auch in der Sprachentwicklung hat und umgekehrt, weist ein Kind Schwierigkeiten mit den Vorläuferfunktionen von Lesen und Schreiben auf, so ist es notwendig, auch sein Verhalten genau zu beobachten. - 33 - 2. Kinder mit Legasthenie 2.0. Legasthenie / allgemeine Lernschwäche: Einführung Der zweite Studienteil befasst sich mit Kindern unserer Inanspruchnahmepopulation der neurologisch-linguistischen Ambulanz, wobei im Projektbericht in Teil 2. Begleit- oder Folgeprobleme bei Kindern mit Lese-Rechtschreibstörungen beleuchtet werden, in Teil 3. die Komorbidität bei Kindern mit allgemeiner Lernschwäche. Der folgende Studienteil stellt somit eine Begleitforschung der neurologisch-linguistischen Ambulanz dar. In den Jahren 2005/2006 wurden 485 Kinder, welche erstmalig in der NLA vorstellig wurden, in umfassende Analysen einbezogen. All diese Kinder waren im Pflichtschulalter und wurden aufgrund von Lernschwierigkeiten vorgestellt. Von diesen 485 Kindern erfüllten 190 die Kriterien für die Diagnose einer umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie). 34 dieser Kinder hatten eine allgemeine Lernschwäche, d. h. das Ergebnis für den Gesamtintelligenzquotienten lag zwischen 70 und 84. Die folgende Tabelle gibt einen ersten Überblick. Wie zu erwarten zeigt sich bei Kindern mit einer Legasthenie ein deutlich erhöhter Anteil von Buben, bei Kindern mit einer Lernschwäche ist dieser geringfügig erhöht. Das Durchschnittsalter legasthener Kinder liegt bei 9;7 Jahren, bei den Kindern mit einer Lernschwäche bei 9;11 Jahren. Hinzuweisen ist auf eine gut durchschnittliche Intelligenz der Kinder mit Legasthenie (IQ = 109), bei den Kindern mit Lernschwächen wird ein Mittelwert von 80 erreicht. Anzahl Legasthenie Lernschwäche 190 34 Buben-Mädchen 76.8% - 23.2% 58.8% - 41.2% Alter 9;7 9;11 Intelligenz 109 80 - 34 - Hinsichtlich der Schulform ist festzuhalten, dass ca. 68 % der Legastheniker zum Zeitpunkt der Erstvorstellung bei uns eine Volksschule besuchten, 22,7 % eine Hauptschule und 7,7 % eine allgemein bildende höhere Schule. Der Anteil von legasthenen Kindern, welche zuvor eine Vorschule besucht hatten, liegt bei 28,4 %. Schulformen Legasthenie Lernschwäche Volksschule 68.5 % 82.4% Hauptschule 22.7% 14.7% AHS 7.7% 2.9% Ehem. Vorschule 28.4% Erwähnenswert sind schließlich auch 55.9% signifikante Unterschiede hinsichtlich des Bildungsgrades der Eltern von legasthenen und lernschwachen Kindern. Hier zeigt sich, dass offensichtlich unser Angebot für Kinder mit Legasthenie sehr stark von Familien und Eltern mittlerer und oberer Bildungsschichten wahrgenommen wird. Bei Kindern mit Lernschwächen hingegen ist der Anteil von Eltern mit Matura oder Universitätsniveau vernachlässigbar klein. Ausbildung der Eltern Zunächst Kinder mit Legasthenie (umschriebene Lese-Rechtschreibstörung) und im folgenden Kapitel Kinder mit einer Lernschwäche - 35 - umfassend beschrieben. 2.1. Legasthenie und sprachliche Fähigkeiten (Dr. German Brandstötter) Einleitung Legasthenie ist eine biologisch verursachte lebensbegleitende Störung der Entwicklungsfähigkeit des Lesens und Schreibens. Je nach Lebensalter unterschiedlich zeigt sich Symptomatik besonders augenfällig und stark während der schulischen Laufbahn. Nach dem Spracherwerb und dem zugrundeliegenden nötigen Erlernen der basalen Lesefähigkeiten wie Buchstabenkenntnis, Phonem-Graphem-Beziehung, rekodierendem und synthetisierendem Lesen wird automatisiertes, schnelles, sinnerfassendes Lesen, Textverständnis und informative, sowohl orthographisch wie grammatikalisch richtige und flexible schriftliche Sprachproduktion selbstverständlich gefordert und, je höher die Schulstufe, desto mehr vorausgesetzt. Das Erfassen und Bearbeiten von schriftsprachlichen Unterlagen spielt im Unterricht und bei der Leistungserhebung sowie beim selbständigen Lernen eine maßgebliche Rolle als die zentrale Kulturtechnik des schulischen Unterrichts. So erhalten in der Volksschule im Fach Deutsch zwar 45 % der bei uns vorgestellten Legastheniker die Note Befriedigend und 70 % eine Note zwischen Sehr Gut und Befriedigend. Nach der Volksschule finden sich jedoch mehr als die Hälfte der Legastheniker in der 3. Leistungsgruppe für Deutsch wieder. Wie stark selbständiges Lesen und Schreiben vorausgesetzt wird, zeigt sich im Fremdspracherwerb. Im Fall von Englisch erhalten in der Hauptschule 75 % der Legastheniker die Note Befriedigend oder Genügend und 53 % befinden sich in der 3. Leistungsgruppe dieses Faches. Diese hier erhobenen Ergebnisse zeigen die besonderen Gefahren für Motivation und psychische Gesundheit bei legasthenischen Kindern auf, da die intellektuelle Begabung Noten im oberen Leistungsspektrum erwarten ließe (durchschnittlicher verbaler IQ unserer Population knapp 112 IQ-Punkte). Wie wichtig eine differenzierte Leistungsbeurteilung und eine differenzierte Unterrichtung ist, zeigt sich an folgendem Sachverhalt: Lesen und Rechtschreiben sind neben Sprechen, Sprachbetrachtung und Textverständnis nur 2 Teile der Gesamtnote des jeweiligen Sprachfaches sind. Obwohl drei Viertel der Legastheniker Schwierigkeiten beim Lesen seit der 1. Klasse haben und zwei Drittel beim Schreiben seit Schulbeginn, sind die relativ schlechten Noten in der Grundstufe 2 oder höher nicht allein dadurch erklärbar. Legasthenie zeigt sich also nicht nur als eine Störung der Lesefertigkeiten und der orthographischen Schreibrichtigkeitsfertigkeiten, sondern auf schriftsprachlichen Kompetenz. - 36 - den verschiedenen Ebenen der Eine Beurteilung nach mündlichen und inhaltlichen Aspekten laut Lehrplan erscheint also umso wichtiger, um der Begabung von Legasthenikern, die außerhalb des Schriftspracherwerbs liegt, gerecht zu werden. Der Aspekt der Schreib- und Leserichtigkeit allein soll den Lernerfolg und das Interesse an inhaltlich zu lernenden Punkten ja nicht behindern (vgl. dazu das Rundschreiben Nr. 32/2001 des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Leistungsbeurteilung bei lese-/rechtschreibschwachen Kindern). Diese Arbeit setzt sich mit sprachlichen Fähigkeiten und Vorläuferfähigkeiten, die für die Schriftsprachkompetenz relevant sind, auseinander, nämlich mit Lexikon und Semantik („Wortschatz“), Syntax und Morphosyntax („Satzbau“) Phonologie und Perzeption („Lautverarbeitung“). Sprachentwicklung Jede Schriftsprache ist eine schriftliche Wiedergabe der Lautsprache und baut auf dem erfolgreichen Erwerb, der grammatikalischen und kommunikativen Fähigkeiten und der Bewusstheit über den Aufbau der Lautsprache auf. Je defizitärer der Erwerb der Lautsprache war, desto eher zeigt sich eine Legasthenie; je besser die phonologische Bewusstheit ist, desto besser entwickeln sich die schriftsprachlichen Fertigkeiten. Etwas mehr als 4 % der Bevölkerung zeigen Legasthenie und 3 – 5 % der Kinder zeigen eine spezifische Sprachentwicklungsstörung, wobei vorsichtigen Schätzungen zufolge 60 % der sprachentwicklungsgestörten Kinder später schriftsprachliche Schwierigkeiten entwickeln; andere Untersuchungen sprechen von bis zu 90 %-igen Anteilen von Kindern mit späteren Leseschwierigkeiten. Auch in der von uns durchgeführten Prädiktionsstudie von Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten auf Grund phonologischer Vorläuferfertigkeiten zeigt sich, dass 47 % der als dysgrammatisch eingestuften Kinder ein erhöhtes Risiko für Lese/Rechtschreibschwierigkeiten /Rechtschreibschwierigkeiten hatten. Betroffenen Fast ein in unserer Drittel der Population von Lese- berichteten über Sprachauffälligkeiten in der engeren Familie. Der Zusammenhang zwischen spezifischen Sprachentwicklungsstörungen und Legasthenie dürfte, wie jüngere Forschungen zeigen, ein sehr enger sein. Schon Babys, welche in Longitudinalstudien beobachtet wurden und später Sprachentwicklungsstörungen bzw. Legasthenie zeigten, zeigen Defizite bei der automatischen sprachbezogenen auditiven Signalverarbeitung. Gleichzeitig ließ sich in großen Studien nachweisen, dass die Defizite, die Kinder mit späteren Sprachentwicklungsstörungen im Lautspracherwerb aufwiesen, großteils dieselben sind, wie sie spätere Legastheniker zeigen. Dies betrifft vor allem die Unterscheidung von Lautkategorien, also - 37 - die schnelle Lautzuordnung zu einer phonologischen Repräsentation, die Größe des Wortschatzes und die durchschnittliche Äußerungslänge. Wortschatz In unserer Studie zeigte sich bei den von uns beschriebenen Legasthenikern ein durchschnittlicher verbaler Intelligenzquotient von 111,6 Punkten, ein nonverbaler IQ von 103, und ein Gesamt-IQ von 108 Punkten. Die Höhe des verbalen Intelligenzquotienten beruht vor allem auf Wortschatzfähigkeiten, indem Wörter im Test durch Synonyme, Beispiele oder andere Begriffe erklärt und beschrieben werden sollen. Ebenso wird im Bereich der sprachlichen Verarbeitung die Fähigkeit abgebildet, die lexikalisch-semantischen Repräsentationen ökonomisch ordnen und strukturieren zu können, also Taxonomien und Hierarchien zu bilden, nicht nur freie Assoziationen. Ein weiterer beitragender Faktor zum Verbal-IQ besteht in der Fähigkeit, neben dem schnellen und strukturierten Abruf von Begriffen und Wörtern auch frei beschreiben zu können (Flexibilität). Bezüglich der Legastheniker ist im Bereich des Wortschatzes hiermit vor allem auffällig, dass zwischen den guten mündlichen inhaltlichen Leistungen, wie in den diversen Intelligenztests belegt, und den schriftlichen Leistungen, die inhaltlich flach oder inadäquat wirken, eine große Schere klafft. Abzuleiten ist, dass in der Leistungsbeurteilung somit mündlich vermittelter und überprüfter Inhalt positiv kompensatorisch zu einer schriftsprachlich determinierten schlechteren Deutschnote wirken. Satzbau Im Bereich der Grammatik fallen den Eltern in der Anamnese im Kleinkindalter bei knapp 40 % der von Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten Betroffenen Satzbildungsschwierigkeiten wie mangelnde Übereinstimmung, falsche Verbplatzierungen und Auslassung von grammatikalischen Funktionswörtern auf. Dies ist bei 14 % der späteren Legastheniker der Fall. Diese Sprachentwicklungsschwierigkeiten fallen bei unserer älteren Population spontansprachlich kaum mehr auf, da sie mündlich großteils kompensiert werden. Der Mittelwert unserer Gruppe für die Schulstufe beträgt 3,7. Dem Alter nach sind unsere Kinder im Durchschnitt 10 Jahre alt. - 38 - Sprachentwicklungsprobleme fallen tendenziell wieder in der Grundstufe 2 auf, wo Schwierigkeiten bei Aufsätzen, bei Erzählungen, Nacherzählungen oder Beschreibungen evident werden. In früheren Schulstufen wird im Bezug auf die Lese- und Schreibfähigkeiten weniger an Grammatik gebraucht, da die basale Lese- und Schreibfertigkeit des lauttreuen Schreibens und des Wiedergebens aus dem orthographisch visuellen Speicher von ganzen Wörtern erlernt werden muss. Lautsprachliche grammatikalische Schwierigkeiten sind oberflächlich durch Reihensätze relativ einfach kompensierbar und der Inhalt der Texte ist besser vorhersagbar und trainierbar als in der 3. u. 4. Kl., genauso wie Phrasen und Formulierungen (vgl. Verbal-IQ). Ab höheren Schulstufen wird eine noch vorhandene Sprachschwäche am „flacheren“ Stil erkennbar: Hauptsatzketten, Vermeidungen vom komplexen Sätzen und Gliedsätzen, Phrasenwiederholungen, Wortwiederholungen und schematisches Auswendiglernen von Idiomen, sind signifikant häufiger. Vor allem beim Erlernen von Fremdsprachen findet sich schematisches Vorgehen oft. Eine im Lautspracherwerb gelernte gute mündliche grammatikalische Kompetenz schlägt sich nieder in flexiblerem Gebrauch von Phrasen und Formulierungen, bei erhöhter grammatikalischer Komplexität einzelner Sätze und besserer Textkohärenz. Kinder mit erfolgreichem Grammatikerwerb können informative, stilsichere Texte verfassen. Sind sind beim Lesen und Verstehen komplexer Sätze und Texte schneller und besser in der Lage, grammatikalisches Wissen für das vorausschauende Lesen und die Sinnentnahme zu nützen. All dies steht Legasthenikern mit teilkompensierten Sprachentwicklungsschwierigkeiten auf grammatikalischer Ebene nicht zur Verfügung. Kinder mit Legasthenie sind informationsverarbeitend höher belastet, da sie sich beim Aufsatzschreiben auf die defizitären basalen schriftsprachlichen Fertigkeiten konzentrieren müssen, wo sie einen geringeren Automatisierungsgrad erreicht haben, also Wörter orthographisch richtig zu schreiben und den eigenen Text immer wieder lesen und merken, was naturgemäß mit Zeitverlust einher geht. Für komplexe Grammatik oder für genaue morphologische Kongruenz, noch dazu z.B. in der in der gesprochenen Sprache kaum vorkommenden Mitvergangenheit, bleibt kaum Zeit. Lautverarbeitung Auf der Ebene der Lautverarbeitung geben die Eltern an, dass als Kleinkinder ca. 30 % der Legastheniker in der Aussprache auffällig gewesen seien. Ca. 40 % hatten oder haben logopädische Behandlung. Hinsichtlich der phonologischen Verarbeitung spielen die Größe des Kurzzeitspeichers und die Geschwindigkeit des Zugriffs auf im Langzeitgedächtnis gespeicherte phonologische - 39 - Repräsentationen von Wörtern und Lauten eine große Rolle. Hinsichtlich des Tempos, des schnellen Gedächtnisabrufs, sind so nur 8 % der Legastheniker bei den Schnellsten. Insgesamt sind Legastheniker bzgl. ihrer individuellen Begabung unterdurchschnittlich bei der zeitlich begrenzten Verarbeitung von Information, bei der Zwischenergebnisse und Ergebnisse gespeichert und weiterverarbeitet werden müssen. Diese Fähigkeit spielt gerade beim Schreiben eine große Rolle. Wenn ein Wort gehört und geschrieben werden soll, muss das ganze Wort getrennt von den umgebenden Wörtern erfasst und phonetischphonologisch analysiert sowie seine Bedeutung aktiviert werden. Im Prozess des Schreibens muss nach der Worterkennung das Wort in Sprechsilben und Laute zerlegt werden und müssen diese Laute, welche sicher wahrgenommen werden müssen, mit den korrelierenden Buchstaben verknüpft werden und die Buchstabenfolgen in schreibmotorische Bewegungen übersetzt werden. Es ist also nötig, dass schnell mehrere Repräsentationsebenen von Wörtern und Lauten aktiviert und zeitlich gestaffelt und automatisiert verarbeitet werden. Dazu sind vor allem die Fähigkeiten der Lautverarbeitung bei jüngeren Kindern in der Einschulungsphase relevant (phonologische Bewusstheit). Die Fähigkeiten der phonologischen Verarbeitung und der phonologischen Bewusstheit werden mit dem Alter und zunehmender Lese- und Schreiberfahrung immer besser, insofern, als Kinder, die gute phonologische Bewusstheit haben, später auch bessere schriftsprachliche Fähigkeiten haben werden und Kinder mit guten schriftsprachlichen Fähigkeiten eine immer bessere phonologische Bewusstheit entwickeln werden. Insofern unterstützen der schriftsprachliche Erwerb und die Strukturierung durch die Schriftsprache auch die lexikalische Repräsentation von Wörtern. Gute Lautanalysefähigkeiten, Lautverarbeitungsfähigkeiten, phonologische Bewusstheit, auditive Merkfähigkeit und phonologisches Arbeitsgedächtnis unterstützen die Kinder bei der Laut-/Buchstabzuordnung, beim Lesen, wo schneller Wortzugriff sowohl lautlich als auch semantisch notwendig ist und bei der stabilen Verknüpfung von visueller und lautlicher Repräsentation. Gerade diese Verknüpfung von visuell-orthographischer und phonologischer Regularität ist bei Legasthenikern wie in rezenten fMRI-Studien nachgewiesen wurde, defizitär. Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu sagen, dass Schriftsprachentwicklung und Sprachentwicklung stark verzahnt miteinander einhergehen und kaum getrennt voneinander zu betrachten sind. Sprachliche Entwicklungsschwierigkeiten fallen oft erst wieder beim Erlernen der Schriftsprache auf. Gerade bei Legasthenikern besteht eine auffallend große Schere zwischen der guten bis sehr guten inhaltlichen Begabung und den schwachen schriftsprachlichen - 40 - Leistungen. Gerade deshalb sollte der jeweils inhaltliche Aspekt des Lehrplans bei nachweislicher Störung Priorität über dem formalen Aspekt der Schreibrichtigkeit haben. Dass dem noch nicht so ist, zeigt die Benotung. Legasthenische Kinder und Kinder mit Legasthenierisiko aus unserer Kohorte haben zu 31 % bereits eine Klasse wiederholt; knapp 15% werden nach Sonderpädagogischen Lehrplan unterricht. Zur Beurteilung, ob es sich um eine Legasthenie oder um eine allgemeine Verzögerung handelt, genügt es nicht, sich auf Screenings zu verlassen. So zeigte das Salzburger Lesescreening, welches mit Hilfe des Lesetempos screent, bei unserer Kohorte nur in zwei Drittel der Fälle eine Zuweisung zur richtigen Gruppe. Gerade im Deutschen zeigt sich Legasthenie oft im Bereich einer Störung des orthographischen Schreibens, in der so genannten isolierten Rechtschreibstörung. So zeigte sich in unserer Population in 34 % der Fälle eine Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) und in 12,5 % der Fälle eine isolierte Rechtschreibstörung, nur 2 % der Fälle zeigten eine isolierte Lesestörung. Lesen und Schreiben sollen also sowohl im Unterricht und der Förderung, bei der Leistungserhebung als auch bei der Anwendung und Interpretation von Tests getrennt betrachtet werden. Das inhaltliche Interesse an Fächern sollte nicht durch mangelnde Erklärungen durch den übermäßigen Einsatz von schriftsprachlichen Materialien und durch den Einsatz von nicht mündlichen Prüfungen erlahmen. - 41 - 2.2. Legasthenie und Lernen (Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz) Spezifische Lernfaktoren und ihre Auswirkungen Als erfassbare spezifische Lernfaktoren werden im Folgenden objektive Daten sowie Selbstund Fremdbeurteilungsinformationen bezüglich des Arbeitsgedächtnisses und der Arbeitsgeschwindigkeit zusammengefasst. 2.2.1. Arbeitsgedächtnis Ein weit verbreitetes Modell zu diesem Konstrukt ist von Baddeley & Hitch (2000) Es geht davon aus, dass die kurzfristige Behaltensleistung durch zwei Inputsysteme moderiert wird: ein phonologisches, das über den auditiven Kanal operiert sowie ein visuelles. Als 3. Inputebene wird ein episodischer Puffer genannt, der größere Einheiten abspeichern soll. Organisiert werden sollen die Ebenen durch die sogenannte zentrale Exekutive. Das Konstrukt des Arbeitsgedächtnisses stellt den Versuch dar, kurzfristiges Lernen und Unterschiede bei Menschen in dieser Funktion zu beschreiben und zu erklären. Für das Lernen ist das unmittelbare Einspeichern verschiedenster Information weg-weisend, je umfangreicher die Information, die einmal dargeboten wird, desto höher die Behaltensleistung und Integration in das Langzeitgedächtnis (Anbinden an bereits vorhandene Information). - 42 - In der Studie „Besondere Lerner“ wurden isoliert visuelle und auch phonologische Kurzzeitspeicheraufgaben durchgeführt. Während das seriell-visuelle Gedächtnis bei Legasthenikern im Vergleich mit der Normpopulation völlig unauffällig ist (gemessen über die Aufgabe „KNOX“-Würfeltest) schneiden die Legastheniker im Vergleich zur Normpopulation bezüglich des phonologischen Kurz- und Arbeitsspeichers deutlich schlechter ab. Der Unterschied zwischen der durchschnittlichen allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit und der Leistung der Legastheniker bei Aufgaben zum phonologischen Arbeitsspeicher ist statistisch bedeutsam (1 Standardabweichung). Einschätzungen von Eltern und Lehrer der Arbeitsgedächtnisleistungen „ihrer“ Legastheniker, erhoben durch den BROWN-Fragebogen, ergibt, dass bei den Beurteilern diese besondere Schwäche häufig auffällt – den Eltern noch häufiger als den Lehrern. 2.2.2. Arbeitsgeschwindigkeit Kinder, die eine geringere Arbeitsgeschwindigkeit aufweisen, brauchen bei schulischen Aufgaben sowie bei den Hausaufgaben länger. Auf der Übungsebene bedeutet dies, dass sie in derselben Zeit wie andere Kinder weniger Übungen machen und dadurch über die Zeit einen erheblichen Übungsrückstand aufweisen. Unsere Frage war, wie die Arbeitsgeschwindigkeit bei Legasthenikern im Vergleich zu ihrer allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit abschneidet. Überprüft mit der „Symbolsuche“ aus einem Intelligenzdiagnostikum, wurde die visuelle Arbeitsgeschwindigkeit / visuelle Erfassung erhoben. Es zeigt sich, dass bei Legasthenikern wiederum ein statistisch bedeutsamer Unterschied zwischen visueller Arbeitsgeschwindigkeit und allgemeiner kognitiver Leistungsfähigkeit (IQ) zu finden ist. Dies zeigt, dass Kinder mit einer Legasthenie nicht nur, wie häufig beschrieben wird, eine langsamere Schreibgeschwindigkeit aufweisen, sondern auch eine insgesamt etwas langsamere Arbeitsgeschwindigkeit. Aus Einschätzungen der Eltern, die sie in Form von Fragebögen an uns abgeben, zeigt sich, dass bei über einen Drittel der Legastheniker ihre Schreibgeschwindigkeit als langsam eingestuft wird. Das allgemeine Arbeitstempo wird bei einem Viertel der Legastheniker durch ihre Eltern als verlangsamt eingestuft. - 43 - Zusammenfassend kann gesagt werden, dass überdurchschnittlich viele Legastheniker Defizite in der akustischen kurzfristigen Speicherung aufweisen, während der visuelle Speicher unbeeinträchtigt ist. Die messbar geringere Arbeitsgeschwindigkeit wirkt sich auf das Lesen, Schreiben und auf die Dauer von Lernsituationen aus. Welche Auswirkungen zeigen sich dadurch? Außenanamnestische Daten von Eltern und Lehrern zeigen auf, dass bei 90 % der Legastheniker im Volksschulalter Unterstützung bei den Hausübungen notwendig ist, bei der Hälfte etwa ist ein ständiges Dabeisitzen gefordert. Auch sind Auswirkungen auf die Hausaufgabendauer zu beobachten: bei etwa einem Drittel der Volksschüler mit einer Lese/Rechtschreibstörung und durchschnittlicher Begabung wird mehr als 1 Std. für die Hausübung täglich investiert – ohne Lernen. Häufig stellt die Hausaufgabensituation bei Kindern mit einer Legasthenie die Hausaufgabensituation ein hohes Konfliktpotential dar. 80 % der Volksschüler mit LRS und immerhin noch zwei Drittel der Schüler Sekundarstufe beschreiben die Hausübungssituation als „täglichen Kampf“. Die bereits belastende Schriftsprachentwicklung der Legastheniker muss häufig noch außerschulisch mit Therapie belastet werden. Beinahe jeder zweite Legastheniker nimmt zusätzliche Förderungen im Ausmaß von 1 – 2 Stunden pro Woche in Anspruch. 2.2.3. Welche Ableitungen lassen sich aus diesen Information machen? Bei vielen Kindern mit einer Lese-/Rechtschreibstörung dienen viele (mündliche) Wiederholungen als kompensatorischer Prozess gegenüber dem eingeschränkten phonologischen Arbeitsgedächtnis. Zusätzlich können visuelle Hinweisreize wie z.B. die Verwendung von Farben, von Skizzen oder Mind Maps eine gute Unterstützung darstellen. Das verlangsamte schriftliche Lernen (Abschreiben) wird häufig durch das geringere Arbeitstempo beeinträchtigt – Quantität (Wiederholungen) kann durch mündliches Üben erreicht werden. - 44 - 2.3. Legasthenie und ADHS (Dr. Anna Dirmhirn) Definition und Diagnosekriterien von AD(H)S Bei ADHS treten 3 Hauptsymptome in unterschiedlicher Ausprägung und Zusammensetzung auf, nämlich eine Aufmerksamkeitsstörung, verstärkte Impulsivität und motorische Unruhe (Hyperaktivität). Ein Kind mit Aufmerksamkeitsschwäche ist ablenkbar und nicht bei der Sache. Dem Kind unterlaufen häufig Flüchtigkeitsfehler, es beachtet Einzelheiten nicht, es hat Schwierigkeiten, längere Zeit bei einer Aufgabe oder bei einem Spiel zu bleiben, es wechselt statt dessen häufig von einer Aktivität zur nächsten. Es scheint oft nicht zuzuhören und die Aufträge anderer werden häufig nicht vollständig durchgeführt. Es hat Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren, es vermeidet häufig oder beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die länger dauernde geistige Anstrengung erfordern, es verliert häufig Gegenstände, die es für Aufgaben oder Aktivitäten braucht. Es ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich. Diese Aufmerksamkeitsschwäche ist besonders dann zu sehen, wenn die Kinder nicht nach eigenen, sondern fremden Regeln spielen sollen, wenn eine Aufgabe für das Kind nicht mehr neu und interessant ist oder wenn das Kind die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum selbständig steuern muss, d.h. in Situationen, wo nicht genau vorgegeben ist, was es machen soll. Motorische Unruhe äußert sich in Herumzappeln mit Händen und Füßen oder Herumwetzen auf dem Sessel. Ein betroffenes Kind kann auch in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, auf-stehen und herumgehen bzw. kann auch exzessiv herumklettern und umtriebig sein. Bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auch auf ein subjektives Gefühl der inneren Unruhe beschränkt bleiben. Häufig bestehen Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich bei Freizeitaktivitäten ruhig zu betätigen. Das Kind wirkt häufig wie getrieben oder spricht auch übermäßig viel. Impulsivität, d.h. „unbedacht drauf los“. Das Kind kann nur schwer warten, bis es an die Reihe kommt. Es platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist. Es unterbricht und stört andere häufig. Diagnosekritierien nach ICD 10: diese Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsregulierung, der Impulskontrolle und der Aktivität tritt in einem Ausmaß auf, das dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes nicht entspricht und aktuell zu Beeinträchtigungen in mindestens - 45 - 2 Lebensbereichen des Kindes führt. Es ist gefordert, dass die Verhaltensmerkmale länger als 6 Monate bestehen und einige Symptome bereits vor dem 7. Lebensjahr beobachtbar waren. Ferner müssen andere Entwicklungsstörungen oder Umgebungsfaktoren ausgeschlossen werden, die diese Symptome erklären würden, z.B. ein deutlicher Entwicklungsrückstand bzw. Überforderung, eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, der Verlust von Bezugspersonen etc. Nach DSM 4 werden 3 Untergruppen unterschieden: erstens der Mischtyp, bei dem Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gleichermaßen stark ausgeprägt sind (ADHS), zweitens der vorwiegend unaufmerksame Typ, bei dem eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung besteht, während Überaktivität und Impulsivität weniger deutlich ausgeprägt sind (ADS), drittens der hyperaktiv-impulsive Typ, bei dem Hyperaktivität und Impulsivität deutlich in Erscheinung treten, eine Aufmerksamkeitsstörung aber nur geringgradig ausgeprägt ist. Diagnosefindung: in einer Anamnese ist zunächst das aktuelle Problem bzw. die Fragestellung zu klären, ferner ist die Vorgeschichte in Bezug auf Entwicklung (motorisch, sprachlich, psychosozial, Spielverhalten, Sauberkeit etc.), Lernen und medizinische Vorgeschichte genau zu erheben. Zur Einschätzung des Schweregrades, der Symptomatik, eignen sich Fragebögen für Eltern und Lehrer, bei Jugendlichen auf Fragebögen zur Selbstbeurteilung. Weiters muss ein differenziertes Begabungsprofil erhoben, die schulischen Leistungen überprüft werden (z.B. Lese- und Rechtschreibtest, Rechentest). Der motorische und neurologische Status wird überprüft, ebenso Aufgaben zur Hör- und Sprachverarbeitung. Spezifische Aufmerksamkeitstests sowie fakultativ EEG und Laboruntersuchung zum Ausschluss anderer medizinischer Ursachen. Wichtig ist auch eine Beobachtung des Kindes in der Untersuchungssituation sowie ein klinisches Interview mit Fokus auf Aufmerksamkeit, Arbeitstempo, Selbstorganisation, Befindlichkeit, Umgang mit Anderen, um den Schweregrad der Beeinträchtigung des Kindes in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit oder seine sozialen Beziehungen einschätzen zu können und um andere Ursachen auszuschließen. Generell ist festzuhalten, dass sich Unaufmerksamkeit in erster Linie auf die Leistungsfähigkeit auswirkt, während Hyperaktivität und Impulsivität stärker in den sozialen Beziehungen ihren Niederschlag finden. Ergebnisse Die Frage Aufmerksamkeitsstörung wurde von 48,5 % der Eltern vorgebracht und formuliert, die Diagnose ADS bzw. ADHS wurde bei 27 % unserer Gesamtstichprobe gestellt (bei 130 von 485 Kindern). Bei Kindern mit Legasthenie wurde die Diagnose in 21 % gestellt (bei 41 von 190 Kindern). Betrachtet man nun die Daten der Kinder mit Legasthenie, so ist - 46 - festzustellen, dass im Fremdbeurteilungsbogen zum Hyper-kinetischen Syndrom (FBB-HKS) knapp zwei Drittel der Eltern zu einem unauffälligen Beschreibungsresultat kommen (64,4 %) und knapp drei Viertel der Lehrer (74,5 %). Hyperaktivität / Impulsivität beschreiben nach DSM 4 Forschungskriterien 7,4 % der Eltern und 7,2 % der Lehrer als auffällig (mind. 6 von 9 Symptome treffen zu). Eine Störung der Aufmerksamkeit nach DSM 4 Kriterien (mind. 6 von 9 Symptomen treffen zu) beschreiben insgesamt 33,9 % der Eltern und 21,8 % der Lehrerbeurteilungsbögen, dabei wird eine isolierte Störung der Aufmerksamkeit, ohne dass die Kriterien für Hyperaktivität und Impulsivität erfüllt werden, bei 28,2 % der Elternangaben und 18,2 % der Lehrer-beurteilungen sichtbar. D.h., in unserer Stichprobe überwiegt der vorwiegend unaufmerk-same Typ. Buben werden prozentual gesehen häufiger als Mädchen als auffällig beschrieben. In den ADD Skalen nach BROWN liegt der Gesamtscore in 32,6 % der Elternbeurteilungen und 25,3 % der Lehrerbeurteilungen über einem T-Wert von 60. In den BROWN-Skalen werden Buben und Mädchen von Eltern und Lehrern etwa gleich häufig als auffällig beschreiben. Was bedeutet die Kombination + AD(H)S im Schulalltag? Kinder mit ADHS gehen oft weniger strukturiert und strategisch an Aufgaben heran, daher ist z.B. regelgeleitetes Rechtschreibtraining oft weniger erfolgreich. Durch diese Unaufmerksamkeit wird die Sinnentnahme beim Lesen oft erschwert, beim Verfassen von Texten verlieren sie leichter den „Roten Faden“, Schwächen im Arbeitsgedächtnis wirken sich häufig verstärkt aus. Kinder mit Legasthenie haben bereits häufig eine verminderte akustische Erfassungsspanne, Kinder mit ADHS verinnerlichen das Gehörte weniger und es fällt ihnen schwerer, Informationen kurzfristig präsent zu halten. Dieser Additionseffekt bildet sich in der Subskala Gedächtnis in den BROWN Skalen, sowohl im Eltern- als auch im Lehrerurteil ab. Die mittleren T-Werte sind bei der Skala Gedächtnis am höchsten in der Gruppe der Kinder, die eine Lese- und Recht-schreibstörung + ADHS haben bzw. ist jeweils am niedrigsten in der Gruppe, bei der weder die Diagnose ADHS noch Lese-/Rechtschreibstörung gestellt wurde (s. Tabelle BROWN-Skala Gedächtnis aus Elternurteil und Lehrerurteil). Die Probleme, die sich aus der Lese-/Rechtschreibstörung und aus der Aufmerksamkeitsproblematik ergeben, verstärken sich gegenseitig und führen zu einer Multiplikation der Schwierigkeiten, daher ist es wesentlich, die Aufmerksamkeitsstörung adäquat zu beachten und zu behandeln. Empfehlungen: bei sehr unorganisierten Kindern geben Routinen, Rituale und fixe Abläufe einen Rahmen. Ein fixer Sitzplatz mit nicht zu hohem Ablenkungspotential ist hilfreich (Gruppentische bewähren sich oft weniger gut). Strukturierungshilfen bei Freiarbeiten sind oft notwendig, z.B. nonverbale Signale, die ans Weiterarbeiten erinnern. Aufgrund der - 47 - Schwächen im Arbeitsgedächtnis ist es empfehlenswert, Hausaufgabenhefte führen zu lassen, wichtige Arbeitsschritte an die Tafel zu schreiben sowie häufig Checklisten einzusetzen, wenn mehrere Aufgaben zu erledigen sind. Kürzere Arbeitsblöcke mit überschaubaren Zielen ermöglichen Erfolgserlebnisse. Es ist sehr wichtig, unmittelbar und häufig positive Rückmeldungen über erwünschtes Verhalten zu geben. Bei mittelgradiger oder schwerer Ausprägung des ADHS sollte eine medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien überlegt werden, dies bringt gerade in der Lernsituation oft eine große Entlastung. - 48 - 2.4. Legasthenie und Motorik (Dr. Anna Dirmhirn) In den anamnestischen Daten gaben 37 % der Eltern an, dass ihre Kinder im Kindergartenalter nicht gerne zeichneten. 25 % hatten Probleme beim Basteln, 37 % gaben ein langsames Schreibtempo an. Bei 25 % war die Stifthaltung verkrampft. Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde bei 4,2 % der Kinder mit Legasthenie eine Entwicklungsstörung motorischer Fertigkeiten diagnostiziert, diese Kinder haben alltagsrelevante Schwierigkeiten im Bereich der Grob-, Fein- und Graphomotorik. Bei 7,4 % der Kinder bestanden motorische Schwierigkeiten in einem dieser Bereiche, leichte motorische Auffälligkeiten fanden sich insgesamt bei knapp der Hälfte der Kinder (47 %). Daten aus der Zürcher Neuromotorik: dieses ist ein standardisiertes Verfahren mit Normen für Kinder und Jugendliche von 5 – 18 Jahren, bei dem das motorische Tempo (Bewegungsgeschwindigkeit) und die Bewegungsqualität (Zahl der Mitbewegungen) beurteilt werden. Bei rein motorischen Leistungen (das sind repetitive Hand-, Fuß- und Fingerbewegungen) sowie alternierende Fuß- und Handbewegungen sowie sequenzielle Fingerbewegungen, waren 25,7 % der Kinder mit Legasthenie mind. 1 ½ Standardabweichungen unterhalb des Durchschnitts (unter PR 7). Bei feinmotorisch adaptiven Leistungen (Steckbrett) waren dies 14,5 %, in der dynamischen Balance (grobmotorisch adaptive Leistungen) 26,3 %, in der statischen Balance (Gleichgewicht im Einbeinstand) 10,7 %. Betrachtet man die Zahl der auffälligen Komponenten der Zürcher Neuromotorik, so liegt bei 26 % der getesteten Kinder eine Komponente unterhalb von Prozentrang 7, bei 14,6 % sind es 2 Komponenten, bei 6,7 % 3 Komponenten, bei 0,7 % alle 4 Komponenten. Bei 52 % der Kinder liegen alle 4 Komponenten oberhalb von Prozentrang 7, d.h. innerhalb von 1 ½ Standardabweichungen. Fazit: ein Viertel der Kinder mit Legasthenie hat eine langsamere motorische Verarbeitungsgeschwindigkeit. Auffälligkeiten in der Graphomotorik sind relativ häufig (ein Viertel der Kinder gibt ein langsames Schreibtempo an oder zeigt eine verkrampfte Stifthaltung). Zeitdruck verschärft die Probleme, daher ist es wichtig, mehr Zeit zu geben. Bei bestehenden graphomotorischen Schwierigkeiten ist ab der 3. oder 4. Klasse Volksschule ein Maschinschreibtraining sinnvoll, sofern ein Kind gut begabt ist und Ressourcen hat. Ziel wäre, in der Sekundarstufe das Maschinschreiben zum Schreiben längerer Texte benützen zu können. Bestehen in der Sekundarstufe weiterhin große Tempoprobleme beim Schreiben und sind die Mitschriften zum Lernen nicht nutzbar, da sie unvollständig und/oder stark fehlerhaft sind, so ist eine Entlastung wichtig. In manchen Fächern sollten Kopien ermöglicht werden und es sollte eine gute mündliche Mitarbeit eingefordert und ermöglicht - 49 - werden. Schwächen in der Grobmotorik werden von den Eltern häufig weniger wahrgenommen, stellen aber insbesondere für Buben in der Gleichaltrigengruppe ein Imageproblem dar. - 50 - 2.5. Legasthenie und psychosoziale Faktoren (Dr. Johannes Fellinger) Ziel dieses Studienteils ist ein vertieftes Verständnis von Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten zu erlangen und besonders auch Begleit- und Folgeprobleme zu evaluieren. Methodik Die Untersuchungsberichte von 485 Kindern mit Lernschwierigkeiten die im Schuljahr 2005/2006 erstmalig an der neurologisch-linguistischen Ambulanz des Krankenhauses der Barmherzigen Brüdern vorgestellt worden waren, wurden multidimensional untersucht. Zur Erfassung der psychosozialen Leidensbelastung wurde wiederum der StärkenSchwächen Fragebogen von Robert Goodman angewandt und zwar in der Fremdbeurteilungsform für Eltern und Lehrer und in der Selbstbeurteilungsform für Kinder über einem Alter von 11 Jahren. 190 Kinder waren von einer Lese-/Rechtschreibstörung betroffen, davon 76,8 % Buben, 23,2 % Mädchen, Durchschnittsalter 9,7 Jahre, durchschnittliche Intelligenz 109. Im Teil A werden nun die Daten dieser Kinder näher vorgestellt. Ergebnisse Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben mit Ausnahme von Problemen mit Gleichaltrigen (Elternurteil) B uben und Mädchen Linz Buben und Mädchen England 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 alt en e er h bl em le s P ro so zia Pe e V r- P ro ro bl P le oti on a tp es am G Em ro bl em w er em t e - Eltern-SDQ - 51 - Nach Elternurteil haben Kinder mit LRS signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben mit Ausnahme von Probleme mit Gleichaltrigen. Hier sahen Eltern keine spezifischen Probleme. Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben in allen Subskalen (Lehrerurteil) Bube n Linz Buben England 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 alt en e m er h bl e al es V r- P ro ro so zi Pe e P G Em ot io es am tp na le ro b le m w Pr ob le er t m e - Lehrer-SDQ Im Lehrerurteil wurden in allen Subskalen höhere Problemwerte festgestellt, am deutlichsten im Bereich Hyperaktivität. Sowohl Lehrer als auch Eltern sehen bei Mädchen keine externalisierende Verhaltensauffälligkeiten. Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen sind zwar bei LRS betroffenen Kindern nach Lehrerurteil deutlich, erreichen aber, wenn man sie getrennt betrachtet, nicht das Signifikanzniveau. Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben in allen Subskalen (Selbsturteil) Buben und Mädc hen Linz Buben und Mädc hen England 16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 alt en e m er h bl e s V r- P ro le ee P P ro so zia ot io Em G es am tp ro na le bl em w Pr ob le er t m e - Selbst-SDQ Im Selbsturteil haben Kinder mit LRS signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben. Bei Selbsteinschätzung erreichen die Problemwerte, was Verhaltensauffälligkeiten und Hyperaktivität betrifft bei Mädchen nicht das Signifikanzniveau. - 52 - Bei Buben erreichen die Hyperaktivitätsprobleme nicht das Signifikanzniveau in der Selbsteinschätzung. Problembereiche (diskrepant) Stichprobe LRS Eltern vs. Lehrer vs. Selbst 6% 4,72% 4,38% 4% 4,32% 3,21% 2,82% 2,61% 2,29% 2% 1,92% 2,08% 1,82% 1,36% Eltern Lehrer Selbst 1,61% ch al tr ig e gl ei ve rh al te n em ot io na l 0% Auffällig ist, wie stark die Eltern-, Lehrer- und Selbsturteile übereinstimmen. Die Korrelation zwischen Eltern- und Lehrerurteil ist sogar deutlich höher als in der englischen Normstichprobe. Das bedeutet, dass sowohl Eltern, als auch Lehrer relativ sensibel für die Probleme des Kindes sind und in ihrer Einschätzung auch der emotionalen Komponenten übereinstimmen. Am sicherlich auffälligsten ist die hohe Problembelastung in der Selbsteinschätzung. Hier würden in der Durchschnittsbevölkerung niedrigere Problemwerte erwartet werden. Zusammenfassung Wenn man die Cut-Off Werte für diesen Stärken- Schwächenfragebogen für Auffälligkeiten betrachtet, also Problemverhalten im engeren Sinn, sowohl im Sinne einer emotionalen Problematik (Somatisierungsprobleme), Verstimmungen, Angst, als auch im Sinne einer externalisierenden Problematik (Verhaltensprobleme im Sinne von Überschreiten von Grenzen und Hyperaktivität), so gibt sich eine doppelt so hohe Auffälligkeitsrate aus Elternund Lehrersicht im Vergleich zur Durchschnitts-bevölkerung. Im Selbstrating wird der kritische Problemwert 2 ½ x so häufig überschritten. - 53 - 3. Kinder mit allgemeiner Lernschwäche 3.1. Lernschwäche und sprachliche Fähigkeiten (Dr. German Brandstötter) Einleitung Lernschwache Kinder lassen sich charakterisieren durch schwächere Leistungen in allen Fächern, durch nötige öftermalige Wiederholung von Inhalten und Lerninhalten, durch mehr Lernschritte und durch Zerlegung von Inhalten in kleiner, besser fassliche Einheiten, sowie durch geringere Kompensationsmöglichkeiten was die Einspeicherung, Merkfähigkeit und Strukturierung des Wissens betrifft. Es bestehen im Unterschied zu Legasthenikern keine besonderen Unterschiede zwischen schriftlichen und mündlichen Leistungen. Insgesamt lassen sie sich beschreiben, indem zu sagen ist, dass die kognitiven Ressourcen global in ziemlich homogener Weise reduziert sind. Sprache und Kognition Im Zusammenhang mit Sprachentwicklungsstörungen zeigt sich bei einem Vergleich in longitudinaler Form von 7 – 14-Jährigen, dass spezifisch sprachentwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche mit zunehmendem Alter zum nonverbalen IQ Lernschwacher tendieren, d.h. auch wenn der „Start-IQ“ relativ hoch war, so sinkt er durch die Sprachentwicklungsstörung auch im nonverbalen Bereich ab. So sind z.B. bereits im Alter von 11 Jahren von vorher nonverbal „normalen“ Kinder nun 1/3 im unterdurchschnittlichen Intelligenzbereich zu identifizieren. Sprachfähigkeit und Kognition interagieren also stark. In unserer Studie zeigten die als lernschwach definierten Kinder einen verbalen IQ von 86 und einen nonverbalen IQ von 79,6. Im Vergleich von relativ jungen sprachentwicklungsgestörten Kindern zu lernschwachen Kindern mit Verzögerungen in der Sprachentwicklung zeigen sich signifikante Minderleistungen der Lernschwachen im Alter von 5 – 6 Jahren, wenn diese zusätzlich eine Sprachentwicklungsstörung hatten, vor allem in den Bereichen der rezeptiven und produktiven Grammatik, beim aktiven Wortschatz und in der Phonemdifferenzierung. Anamnese Bei unseren lernschwachen Kindern gaben in der Anamnese 17,6 % der Eltern auch die Sprachentwicklung als Untersuchungsanliegen an. Nach ihren Beobachtungen haben 50 % der Kinder im Bereich der Aussprache und Lautbildungsschwierigkeiten gehabt, 38 % im Wortschatz, 35 % in der Grammatik und 70,6 - 54 - % beim Sprachverständnis. Im Vergleich mit den anderen Kindern erhielten lernschwache sprachentwicklungsgestörte Kinder bereits ab 5 Jahren, also früher und öfter, Logopädie. 70 % von ihnen hatten oder haben logopädische Therapie. Wie Schöler &al.(2003) zeigte, erhalten Lernschwache mit Sprachentwicklungsstörungen auch früher und häufiger Ergotherapie und Mototherapie als andere Kinder. Schule In Bezug auf das Erlernen des Lesens und Rechtschreibens gaben 59 % der Eltern an, dass Mängel vor allem beim sinnverstehenden Lesen bestünden. In der gesamten untersuchten Gruppe waren dies „nur“ 33 %. Die Mängel beim Lesen, sinnentnehmenden Lesen und Rechtschreiben sind bei lernschwachen Kindern am stärksten ausgeprägt und fallen bereits früher, nämlich schon beim Schuleintritt, auf. Bezüglich der Notengebung unterscheiden sich Lernschwache nicht maßgeblich von Legasthenikern. Die lernschwachen Kinder erhielten zu einem Drittel die Note Genügend in Deutsch, Legastheniker zu einem Viertel. In Englisch erhielten 80 % der lernschwachen Kinder die Note Befriedigend oder Genügend, von den Legasthenikern 75 %. Lautverarbeitung Im Bereich der Lautverarbeitung, insbesondere beim phonologischen Arbeitsgedächtnis bzw. beim verbalen Arbeitsgedächtnis, zeigen drei Viertel der lernschwachen Kinder Probleme beim Erfassen und Umsetzen mehrgliedriger Aufträge in der Anamnese. Bei der zeitlich begrenzten Verarbeitung von Information mit Zwischenergebnis- und Endergebnisspeicherung (auditive Merkspanne und Arbeitsgedächtnis) zeigte sich keine Diskrepanz zur allgemeinen intellektuellen Entwicklung. Bei der Lautanalyse und Lautsynthese und beim dichotischen Hören zeigten sich einige Subtests als zu schwierig, andere als zu einfach. Ohne qualitative Analyse dieser Tests werden Kinder mit Lernschwäche oft in der Schule den Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten gleichgestellt, haben aber wesentlich schlechtere Lernvoraussetzungen, denn im Vergleich liegt der verbale IQ der lese- und rechtschreibgestörten Kinder unserer Kohorte um beinahe 2 Standardabweichungen darüber. Lese- und Rechtschreibtests Bezüglich der Lese- und Rechtschreibtests zeigt sich, dass nur einzelne Subtests die Gruppen von spezifische lese-/rechtschreibgestörten - 55 - Kindern und lernschwachen differenzieren können. So machten lernschwache Kinder wesentlich mehr nicht-lauttreue Fehler, also Fehler in der Buchstabenkenntnis. Bezüglich des Lesens ist das sinnentnehmende Lesen bei lernschwachen Kindern wesentlich stärker betroffen. Immerhin sind etwas mehr als ein Drittel der lernschwachen Kinder jedoch im Salzburger Lesetest unter den schlechtesten 10 % bei der Sinnentnahme. Auch hier sollte man sich nicht rein auf das Salzburger Lesescreening verlassen, die lernschwachen Kinder erreichten hier im SLS 1 – 4 den Mittelwert 90. Das sinnerfassende Lesen, das im SLS für die 5. – 8. Schulstufe stärker überprüft wurde, schlägt sich erst im SLS 5 – 8 nieder mit einem Mittelwert von 81. Ohne Kenntnis der individuellen Begabung lässt sich mit gängigen Tests nicht gut zwischen Lese-/Rechtschreibschwäche oder Störung bzw. Lernschwäche differenzieren. Zusammenfassend, vor allem was Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen betrifft, fallen diese bei lernschwachen Kindern stärker und früher auf. Gerade die Fertigkeiten beim Lesen, die auf Geschwindigkeit, Nutzung sprachlicher Strukturen und Nutzung von Weltwissen beruhen und eine wichtige Voraussetzung für Lernerfolg und Lesemotivation darstellen, sind bei lernschwachen Kindern durch verminderte Ressourcennutzbarkeit schwächer ausgeprägt. - 56 - 3.2. Lernschwäche und Lernen (Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz) Spezifische Lernfaktoren und ihre Auswirkungen Anders als bei Legasthenikern sind bei allgemein lernschwachen Kindern (Grundkognition < 70 IQ-Punkte) die Unterschiede zwischen allgemeinem kognitiven Niveau und dem Arbeitsgedächtnis (phonologisch sowie visuell) nicht signifikant. Die visuelle und phonologische Speicherfähigkeit sind deutlich eingeschränkt, sie entsprechen jedoch dem allgemeinen Entwicklungsniveau. Die Einschätzungen durch Eltern und Lehrer zeigen, dass sich beide Beurteiler im Durchschnitt ähnlich bewusst sind, dass Probleme in der unmittelbaren Speicherung und im Arbeitsgedächtnis vorliegen. Bezüglich der Arbeitsgeschwindigkeit gilt Ähnliches wie beim Arbeitsgedächtnis: In der Gruppe lernschwacher Kinder stimmen allgemeine kognitive Fähigkeiten und die Arbeitsgeschwindigkeit überein, die Arbeitsgeschwindigkeit ist gegenüber der NormPopulation deutlich eingeschränkt. Auswirkungen der Arbeitsgeschwindigkeit sind sowohl beim Tempo als auch bei der Elterneinschätzung im allgemeinen Arbeitstempo deutlich zu finden. So ist fast die Hälfte der Schüler lt. Elterneinschätzung beim Schreiben und in der Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamt. Auswirkungen dieser spezifischen Lernfaktoren sind drastischer als bei den Legasthenikern: drei Viertel der Volksschüler und 100 % der Sekundarschüler mit einer allgemeinen Lernschwäche brauchen Unterstützung bei der Hausübung. Nur ein sehr kleiner Teil kann die Hausübung in der Volksschule alleine machen. Viele der lernschwachen Kinder brauchen aufgrund ihres Arbeitstempos und der geringeren Leistungsfähigkeit auch sehr lange für die Hausübung: bei einem Drittel dauert die Hausübung von lernbehinderten Volksschülern mehr als 1 Stunde, bei einem Viertel der Schüler der Sekundarstufe sogar über 2 Stunden. Die schwierigen Lernvoraussetzungen wirken sich auch auf das Konfliktpotential aus: während in der Volksschule in der Gruppe der lernschwachen Schüler ein Viertel häufig Konflikte bei der Hausübung aufweist, sind es in der Sekundarstufe bereits 60 %! Eine zusätzliche Förderung wird nur durch 9 % dieser Schüler in Anspruch genommen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass lernschwache Kinder ein geringes Arbeitstempo, ein geringes Schreibtempo, eine geringe akustische und visuelle Speicherung aufweisen. Auswirkungen sind auf die gesamte Lernsituation zu finden, sowohl in der Dauer als - 57 - auch in der Konfliktträchtigkeit. Die geringe Selbständigkeit bei den Hausaufgaben schafft für die Schüler eine hohe Abhängigkeit und auch Belastung für die betreuenden Personen. Speziell bei der Hausaufgabensituation sind die Einschränkungen in den spezifischen Lernfaktoren sowie der geringere Energielevel durch die stärkere Belastung am Vormittag in Bezug auf die Lerneffizienz zu bedenken. Auch hier wurde neben dem Arbeitsgedächtnis auch die Arbeitsgeschwindigkeit wieder erfasst, zunächst nach der Einschätzung der im Anamnesegespräch erhobenen Daten durch die Eltern, wobei sich die Ergebnisse hier deutlich von denen der legasthenen Schüler unterscheiden. Die Zahl der Schüler, die hier als langsam eingestuft wird, ist deutlich höher. So zeigt sich hinsichtlich der Schreibgeschwindigkeit, aber auch hinsichtlich des allgemeinen Arbeitstempos kaum ein Unterschied, etwa 45 % der Eltern schätzen ihre lernschwachen Kinder als langsam ein. Arbeitsgeschwindigkeit Eltern - Einschätzungen Einschätzung des allg. Arbeitstempo Einschätzung der Schreibgeschwindigkeit wechsl. 9,4% schnell 12,9% langsam 45,2% ø 41,9% schnell 9,4% langsam 43,8% ø 37,5% Betrachtet man die Ergebnisse des Untertests Symbolsuche aus dem HAWIK, zeigt sich hier im Vergleich mit dem durchschnittlichen Gesamt-IQ dieser Stichprobe, dass die Arbeitsgeschwindigkeit in diesem Fall dem allgemeinen Leistungsniveau entspricht. Auch im Untertest Zahlensymboltest, welcher eine komplexere Aufgabe als die Symbolsuche darstellt, aber auch Arbeitsgeschwindigkeit bei visueller Erfassung und visuellem Arbeitsgedächtnis erfasst, zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Auch hier entsprechen die Ergebnisse dem allgemeinen Leistungsniveau dieser Kinder. - 58 - Arbeitsgeschwindigkeit Fakten „Symbolsuche“: misst die Arbeitsgeschwindigkeit bei visueller Erfassung 130 115 100 Gesamt IQ 79 Arbeitsgeschwindigkeit IQ 84 85 70 79 84 AGS entspricht allg. Leistungsniveau 55 IQ SS Zusammenfassend kann man festhalten, dass in der Gruppe der lernschwachen Kinder die Ergebnisse der Untersuchung mit den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten übereinstimmen. Fast die Hälfte der Schüler dieser Gruppe sind lt. Einschätzung der Eltern beim Schreiben und im allgemeinen Arbeitstempo langsam. Welche Auswirkungen und Folgen werden von Eltern beschrieben ? Bei den Volksschülern zeigt sich hinsichtlich der Selbständigkeit ein ähnliches Ergebnis wie bei den Kindern mit Legasthenie bei normaler Begabung. Auch hier gelingt es 16 % der Kinder, ihre Hausübung selbständig und alleine zu erledigen und 84 % der Kinder brauchen Unterstützung in dem Ausmaß, dass ständig jemand dabei sein soll bzw. dass zumindest kontrolliert wird. Auffällig werden die Ergebnisse in der Sekundarstufe in der Gruppe der lernschwachen Schüler. Kinder mit Lerndefiziten benötigen in der Sekundarstufe zu 100 % Unterstützung von zu Hause bei den Hausübungen. Auch hinsichtlich der Dauer zeigen sich auffällige Ergebnisse. So gelingt es in der Volksschule keinem der Schüler, das Pensum unter einer halben Stunde zu erledigen und immerhin noch ein Drittel benötigt über eine Stunde für seine Hausübungen. Auch in der Sekundarstufe brauchen alle Schüler länger als eine Stunde und 20 % brauchen mehr als 2 Stunden. Dabei sei vielleicht zu bedenken, dass der Energiehaushalt eines lernschwachen Kindes schon sehr aufgebraucht ist, wenn der Vormittag in der Schule schon sehr anstrengend war und auch am Nachmittag für die Hausübung noch Energie aufzuwenden ist. Zudem dürfte die deutlich höhere Anzahl mit langsamer Schreib- und Arbeitsgeschwindigkeit hier eine Rolle spielen. - 59 - Hausübung Selbständigkeit Volkschüler Sekundarstufe mit Kontr. 48% mit Kontr. 80% alleine 16% alleine 0% Ständig dabei 20% Ständig dabei 36% Hausübung Dauer Volkschüler Sekundarstufe < 0,5 h 0% <1h 0% >1h 33% >2h 20% 1-2h 80% 0,5 - 1 h 67% Was die damit Hausaufgabenkonflikte betrifft, zeigt sich in der Volksschule, dass es bei etwa einem Viertel der Schüler zu häufigen Konflikten kommt, bei 42 % der Schüler aber keine Konflikte beschrieben werden. Auffällig dazu der Unterschied in der Sekundarstufe. Bei steigender Beschulungsdauer steigt auch das Konfliktpotential. Hier von 100 % berichtet, dass es zumindest manchmal bei 60 % davon immerhin häufig zu Konflikten kommt, d.h. also die allgemeine Lernproblematik wächst sich nicht aus, sondern bei zunehmenden Anforderungen wird auch die Belastung und damit das Konfliktpotential höher, wobei die Vermutung nahe liegt, dass bei lernschwachen Kindern die Lernprobleme in allen Bereichen zu finden sind, d. h. nicht nur im Lesen und Schreiben. Was die Lernförderungen anbelangt, zeigt sich, dass von diesen Kindern beinahe die Hälfte eine zusätzliche Lernförderung meist im außerschulischen Bereich beansprucht, zumeist im Ausmaß von 1 – 2 Stunden pro Woche. Dabei sei jedoch darauf hingewiesen, dass zusätzliche Lernförderung häufig aufgrund der langen Hausübungsdauer, der fehlenden - 60 - kognitiven Ressourcen und auch der höheren kognitiven Ermüdung am Nachmittag nicht mehr möglich ist. Zusammenfassung Zusammenfassend kann man zu den Auswirkungen einer allgemeinen Lernschwäche sagen, dass zwei Drittel der Volksschüler und 100 % der Sekundarschüler Unterstützung bei der Erledigung ihrer Hausübungen benötigen, wobei ein Drittel der lernschwachen Volksschüler mehr als eine Stunde für die Hausübung benötigt. In der Sekundarstufe steigt dieser zeitliche Rahmen bei 20 % der Schüler auf 2 oder mehr Stunden. Weiters auffällig, dass das Konfliktpotential im Laufe der Schulzeit zunimmt, während es bei legasthenen Schülern eher abnimmt. 42 % der Schüler nehmen zusätzliche Förderung in Anspruch. - 61 - 3.2.1. Lernschwäche und AD(H)S (Dr. Anna Dirmhirn) Bei Kindern mit Lernschwäche wurde in 26,5 % die Diagnose ADHS gestellt. Im Fremdbeurteilungsbogen zum Hyperkinetischen Syndrom (FBB-HKS) beschreiben 12,9 % der Eltern und 7,1 % der Lehrer die Bereiche Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität nach DSM 4 Kriterien als auffällig. 16 % der Eltern und 25 % der Lehrer beschreiben nur den Bereich Aufmerksamkeit als auffällig. Unterhalb des Grenzwertes blieben die Beurteilungen durch die Eltern in 71 % und durch die Lehrer in 67,9 %, d.h. der Übereinstimmungsgrad der Beschreibung ist relativ hoch, wenngleich Eltern motorische Unruhe und Impulsivität häufiger als auffällig beschreiben als die Lehrer. In den ADD-Skalen nach BROWN liegt der T-Wert bei 44,1 % der Elternbeurteilungen und bei 56,2 % der Lehrerbeurteilungen über einem Wert von 60 (auffällig). Warum beurteilen Eltern und Lehrer in den BROWN-Skalen wesentlich häufiger Auffälligkeiten als im FBBHKS. Die BROWN-Skalen bilden neben Symptomen der Aufmerksamkeitsstörung auch exekutive Funktionen ab. Kinder mit Lernschwäche haben oft besondere Schwierigkeiten mit Umstellungsfähigkeit, Planen, Monitoring und Arbeitsgedächtnis, beim Planen, Problemlösen und bei der Überwachung des eigenen Tuns. - 62 - 3.3. Lernschwäche und Motorik (Dr. Anna Dirmhirn) Die Häufigkeit von AD(H)S ist in etwa gleich hoch wie bei Kindern mit Lernstörungen, die durchschnittlich begabt sind. Die bereits oben gegebenen Empfehlungen betreffend eine gute Strukturierung und eine Lenkung durch positive Verstärkung sowie eine medikamentöse Behandlung des ADHS gelten auch für diese Kinder. Darüber hinaus ist eine frühzeitige individuelle und intensive schulische Förderung mit den dafür notwendigen Rahmenbedingungen besonders wichtig. Durch ein freiwilliges 10. oder 11. Schuljahr sollten sie die Möglichkeit zur Erreichung eines Hauptschulabschlusses bekommen. Eine Entwicklungsstörung motorischer Fertigkeiten wurde bei 23,5 % der Kinder mit Lernschwäche diagnostiziert, eine motorische Schwäche bei 11,8 %. Insgesamt fanden sich bei 78 % der Kinder leichte motorische Auffälligkeiten. Probleme beim Zeichnen, Basteln sowie langsames Schreib- und Arbeitstempo gaben die Eltern in 42 – 45 % an. Betrachtet man die Daten aus der Zürcher Neuromotorik, so sieht man, dass die rein motorischen Leistungen bei 37 % der Kinder mindestens 1 ½ Standardabweichungen unterhalb des Durchschnitts liegen (unter Prozentrang 7), die feinmotorisch-adaptiven Leistungen (Steckbrett) bei 55,6 %, die grobmotorisch-adaptiven Leistungen (dynamische Balance) in 69,2 % und die statische Balance (Gleichgewicht) in 40,7 % unterhalb von PR 7 liegen. Eine Komponente der Zürcher Neuromotorik war bei 11,5 %, 2 Komponenten bei 34,6 %, 3 Komponenten bei 34,6 % und 4 Komponenten bei 3,8 % der Kinder unterhalb von Prozentrang 7, bei 15,4 % lagen alle 4 Komponenten oberhalb von Prozentrang 7. Dies bedeutet, dass bestehende Schwächen in der motorischen Verarbeitungsgeschwindigkeit und in der motorischen Planung im Alltag nicht so gut kompensiert werden können und sich hier stärker auswirken. - 63 - 3.4. Lernen und psychosoziale Belastung (Dr. Johannes Fellinger) N = 34 / 58, 8 % Buben, Durchschnittsalter 9,11 Jahre, erhoben mit dem StärkenSchwächen-Fragebogen. Kinder mit einem Intelligenzquotienten zwischen 70 – 85 haben signifikant höhere Problemwerte in allen Bereichen im Vergleich zu Normstichproben aus Lehrer- und aus Elternsicht. Am dramatischsten zeigt sich dabei die hohe Problembelastung in der Selbsteinschätzung, die sich noch einmal von den erhöhten Problemwerten aus der Lehrer- und Elternbeurteilung abhebt. Kinder mit IQ 70 bis 85 haben signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben in allen Subskalen (Eltern- und Lehrerurteil) Buben und Mädchen Linz Buben und Mädchen England Buben und Mädchen Linz 16,00 16,00 14,00 14,00 12,00 12,00 10,00 10,00 8,00 8,00 6,00 6,00 4,00 4,00 2,00 2,00 - Eltern-SDQ ee r P Pr o so zi ale s Ve r -P ro b le ha lte n m e e t ro ble m er m w le P b le ro tp es am oti on a V le s G Em e m alt en er h bl e r- P ro Pe e ro so z ia P Em oti tp on a ro le P bl em we r ro b le m t e - es am G Buben und Mädchen England Lehrer-SDQ Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei Kindern mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung (Vergleich Normalpopulation UK) 8% 6,82% 6% 4% 2% 4,18% 3,82% 3,73% 2,20% 1,50% 1,20% 0,60% gl ei ch al tr ig e 0% em ot ion al ve rh al te n . - 64 - engl. Stichprobe Selbst Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei Kindern mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung (Vergleich Normalpopulation UK) . 19% 18 ,55% 16% 12% engl. Stichprobe Selbst 8 ,3 6% 8,00% 8% 5,60% 4% 0% gesamt pro-sozial Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei Kindern mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung 8% 6,8 2% 6% 4% 5,22% 4,96% 4,18% 3,82% 3,28% 3,2 1% 3,73% 2,48 % 2,24% 2,11% 2% Eltern Lehrer Selbst 1,63% gl ei ch al tr ig e l em ot io na ve rh al te n 0% Selbst-SDQ Bei Betrachtung der Cut-Off Werte für grenzwertige und auffällige Problembelastung zeigt sich im SDQ bei Kindern mit IQ zwischen 70 und 85 eine 3,7-fach höhere Rate von psychosozialer Belastung aus Elternsicht. Im Lehrerrating wird 2,7 Mal so häufig der kritische Problemwert überschritten. Im Selbstrating wird der kritische Problemwert 6 x so häufig überschritten. Konklusion Die dramatische Problembelastung lernschwacher Kinder ist nicht unerwartet, weist aber unter Beachtung der Selbstratingbefunde vor allem auch auf die große Selbstwertproblematik hin. - 65 - Maßnahmen die den Kindern helfen ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen (auch im schulischen Kontext) sind für Ihre weitere psychosoziale Gesundheit von größter Bedeutung. Neben stabilen emotionalen Beziehungen zu Eltern, Lehrern und Klassenkollegen kommt der positiven Verstärkung von Geleistetem größte Bedeutung zu. - 66 - 4. Zusammenfassende Empfehlungen der Studie „Chancen für Besondere Lerner“ o Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten bestimmen entscheidend die Bildungsmöglichkeiten eines Kindes mit. Ersichtlich wird dies unter anderem am geringen Anteil von betroffenen Kindern im Gymnasium (trotz guter Intelligenz), auch einem hohen Anteil dieser Kinder in der 3. Leistungsgruppe in den Hauptschulen, dies im Unterrichtsfach Deutsch aber auch in Englisch und teils auch Mathematik (was schon auf den Faktor einer Generalisierung von schulischer Demotivation hinweist). Mangelhafte schriftsprachliche Leistungen allein dürfen den Zugang zu höherer Bildung nicht einschränken. Hier kommt einer fachlichen umfassenden Abklärung der Lese-Rechtschreibstörung sowie einer differenzierten gesetzlich geregelten Leistungsbeurteilung weiterhin eine entscheidenden Rolle zu. o Der Früherkennung einer drohenden Lese-/Rechtschreibschwäche bereits im Kindergarten ist somit wesentlich. In der Studie konnte eine ausreichende Qualität des Bielefelder Screeningverfahrens für die Früherkennung belegt werden. Ein möglichst flächendeckender Einsatz dieses Screenings innerhalb des letzten Kindergartenjahres ist somit zu empfehlen. o Zur Auswahl von Kindern, die in die spätere Förderung einbezogen werden, sollte neben den BISC-Ergebnissen auch der Sprachentwicklungsstand des Kindes (Ergebnisse aus den logopädischen Reihenuntersuchungen) miteinbezogen werden. o Die Durchführung des Würzburger Trainingsprogramms in den Kindergärten hat sich als effektiv und umsetzbar erwiesen und ist somit für die spezielle Zielgruppe der „Risikokinder“ zu empfehlen. Das Training im Kindergarten wirkt sich deutlich auf den Erwerb des lauttreuen Schreibens und frühen Lesens in der Grundstufe I aus. o Das Würzburger Trainingsprogramm hat sich auch bei Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache als effektiv erwiesen, wobei hier als Grundlage des Lesens zusätzlich einer frühen Sprachförderung eine hohe Wichtigkeit zukommt (z. B. konsequenter Kindergartenbesuch ab 3 Jahren). o Kinder mit Sprachenwicklungsstörung profitieren vom Trainingsprogramm, zeigen aber anhaltend etwas erhöhtes Risiko für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Diese Kinder benötigen besonderes Augenmerk bereits in der frühen Intervention (Förderung der phonologischen Verarbeitung als auch der Sprache). Im weiteren - 67 - Verlauf stellen sie bei deutlicher Betroffenheit gegebenenfalls auch einen Aufgabenbereich einer Sprachheilschule dar. o Vorschulkinder bleiben trotz eines zusätzlichen Entwicklungsjahres eine Hochrisikogruppe für anhaltende Schriftsprachprobleme ! Empfehlenswert wäre eine frühe Differentialdiagnostik zur Abgrenzung allgemeiner Lernschwächen oder aber einer spezifischen Veranlagung zur Lese- Rechtschreibschwäche, um so auch gezielte Schriftsprachanbahnung in der Vorschule vorzunehmen. o Verbesserte phonologische Grundlagen übertragen sich nicht automatisch auf eine verbesserte Orthographie. Überlegenswert ist eventuell ein früherer Einstieg in die Orthographie, d. h. bereits im Laufe der 2. Klasse. o Signifikante Zusammenhänge zwischen psychosozialen Auffälligkeiten und erhöhtem Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten wurden festgestellt. Es gilt somit Kinder mit Auffälligkeiten der phonologischen und / oder sprachlichen Entwicklung im Hinblick auf Verhaltensprobleme und Emotionalität zu beobachten, aber auch Kinder mit Problemverhalten im Hinblick auf ihre Sprachentwicklung und phonologische Verarbeitung. o Kinder mit Lese-/Rechtschreibstörung zeigen überdurchschnittlich häufig auch Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Verhaltensprobleme, Sprachschwächen und eine generell verlangsamte Arbeitsgeschwindigkeit. Diese Faktoren potenzieren die Gesamtbelastung eines Kindes und seiner Familie. Kinder mit Legasthenie sind somit nicht nur früh sondern auch umfassend zu beobachten. Hier bedarf es auch einer intensiven Kooperation zwischen Schulen und medizinisch – psychologischen Einrichtungen, um zu gewährleisten, dass dem Kind über Jahre ausreichend Halt gegeben werden kann und der Selbstwert der Kinder unterstützt und erhalten bleibt. Diesem kommt hinsichtlich der schulischen und beruflichen Möglichkeiten eine entscheidende Rolle zu. Zur Verhinderung und Vermeidung von psychosozialen sekundären Problemen ist eine Entlastung des Kindes und seiner Familie wesentlich. Dies geschieht durch die Umsetzung einer differenzierten Leistungsbeurteilung schriftlicher Aufgaben in der Schule, Möglichkeiten zur mündlichen Leistungskontrolle, Zeitzuschläge bei schriftlichen Arbeiten bis hin zu eingeschränkten spezifischen Hausaufgaben. Um das betroffene Kind in seiner Gesamtsituation zu stärken sind regelmäßige Kontakte zwischen Eltern und Schule erforderlich. - 68 - Zur Entlastung Fördermaßnahmen des familiären (spezifische Systems sind auch Lese-/Rechtschreibförderung, außerschulische psychologische Begleitung bei der Therapie der Aufmerksamkeitsstörungen etc.) nach Bedarf einzubeziehen. Eine (Teil-)Finanzierung durch das Gesundheitssystem erscheint nicht zuletzt aufgrund der Gefährdung der seelischen Gesundheit des Kindes als angebracht. - 69 - 5. Literaturangaben Ackerman, P.L., Beier, M.E. & Boyle, M.O. 2005. Working memory and intelligence: The same or differenz constructs? Psychological Bulletin 131 : 30-60. APA – American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – DSM-IV-TR (4th edition, Text Revision). American Psychiatric Association, Washington, DC 2000. Bishop, D.V.M. & Snowling, MJ. 2004. Developmental dyslexia and specific language impairment: same or different? 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