projekt chancen für besondere lerner

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ENDBERICHT
PROJEKT CHANCEN FÜR BESONDERE LERNER
(Projektleitung Dr. Daniel Holzinger / Prim. Dr. Johannes Fellinger)
Kinder mit Lese- / Rechtschreibschwierigkeiten
30.04.2007
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder
Institut für Sinnes- und Sprachneurologie
Primar Dr. Johannes Fellinger
Seminarzentrum
Seilerstätte 2
4020 Linz
gefördert durch
Gesundheitsabteilung
LR Dr. Stöger
-1-
Endbericht Chancen für Besondere Lerner
Kooperationen und Danksagung
Die Teilstudie zur Früherkennung von Lese-/Rechtschreibstörungen im Kindergarten erfolgte
in intensiver Zusammenarbeit mit den Kindergärten des Magistrats Linz sowie auch der
Logopädie des Magistrats Linz.
Von den Kindergartenpädagoginnen wurden Fragebögen ausgefüllt, Elternfragebögen
verteilt und insbesondere dann mit Risikokindern das Trainingsprogramm „Hören-LauschenLernen I und II“ durchgeführt. Die Logopädinnen des Magistrats Linz stellten uns die Daten
ihres Sprachentwicklungsscreenings im letzten Kindergartenjahr zur Verfügung.
Von Studierenden der Akademie für den logopädisch-phoniatrisch audiologischen Dienst am
AKH Linz wurden Screeningverfahren zur Überprüfung der Vorläuferfertigkeiten der Schriftsprache im Kindergarten durchgeführt.
Der Landesschulrat für Oberösterreich ermöglichte schließlich einen Zugang zu den
Schülern in der 1. und 2. Klasse.
Finanziert wurde die gesamte Studie aus Strukturmitteln der Gesundheitsabteilung des
Landes Oberösterreich (Landesrätin Dr. Stöger).
Die Studie war nur aufgrund des engen Netzwerks der genannten Stellen durchführbar.
Unser Dank gilt ihnen allen und nicht zuletzt den Eltern aller beteiligten Kinder.
-2-
INHALTSVERZEICHNIS:
1.
1.1.Früherkennung im Kindergarten
(Dr. Daniel Holzinger)
1.2.Effektivität präventiver Förderung im Kindergarten
(Mag. Elisabeth Leopold)
1.3.Drohende Legasthenie und psychosoziale Problembelastung
(Dr. Johannes Fellinger)
2.
Kinder mit Legasthenie
2.0.
Legasthenie / allgemeine Lernschwäche: Einführung
2.1.
Legasthenie und sprachliche Fähigkeiten
(Dr. German Brandstötter)
2.2.
Legasthenie und Lernen
(Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz)
2.3.
Legasthenie und ADHS
(Dr. Anna Dirmhirn)
2.4.
Legasthenie und Motorik
(Dr. Anna Dirmhirn)
2.5.
Legasthenie und psychosoziale Faktoren
(Dr. Johannes Fellinger)
3. Kinder mit allgemeiner Lernschwäche
3.1. Lernschwäche und sprachliche Fähigkeiten
(Dr. German Brandstötter)
3.2. Lernschwäche und Lernen
(Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz)
3.3. Lernschwäche und AD(H)S
(Dr. Anna Dirmhirn)
3.4. Lernschwäche und Motorik
(Dr. Anna Dirmhirn)
3.5. Lernschwäche und psychosoziale Belastung
-3-
(Dr. Johannes Fellinger)
4. Zusammenfassende Empfehlungen der Studie Chancen für Besondere Lerner
5. Literaturangaben
-4-
1.1.
Früherkennung
Kindergarten
drohender
Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
im
(Dr. Daniel Holzinger)
Einleitung
Die Wichtigkeit schriftsprachlicher Fertigkeiten und hier insbesondere der Lesekompetenz für
die Gesamtentwicklung des Kindes und Erwachsenen ist in vielfältigen Studien belegt. So
wurde
ein
starker
Zusammenhang
zwischen
Lesekompetenz
und
allgemeinen
Schulleistungen, höheren Schulabschüssen, beruflichen Karrieremöglichkeiten bis hin zu
sozialer Anpassung und persönlicher Autonomie nachgewiesen (z. B. Moats 200, Cramer &
Ellis 1996, Chall 1996).
Definition
Die Definition einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) erfolgt nach den Kriterien des
ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen). Demnach zählt die LeseRechtschreibstörung
(hinfort
LRS)
zu
den
umschriebenen
Entwicklungsstörungen
schulischer Fertigkeiten (F 81.0), d. h. Lese- und Rechtschreibfertigkeiten liegen deutlich
unter dem Niveau, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung
zu erwarten wäre. Hierbei sind die folgenden diagnostischen Kriterien einzuhalten:
Die Lese-Rechtschreibleistung liegt bei einem Prozentrangwert von unter 10 und der
Intelligenzquotient
oberhalb
von
70.
Weiters
muss
der
Intelligenzquotient
1,5
Standardabweichungen oberhalb des Lese-Rechtschreib-Testwerts liegen.
Ursachen
Im Bereich der Ursachenforschung der LRS kommt insbesondere einer mangelhaften
phonologischen Verarbeitung (Sprachverarbeitung auf Ebene der Laute) eine herausragende
Rolle zu. Weiters ist eine starke genetische Komponente belegt, Wiederholungsrisiko für
Geschwister 52 bis 62 %, bei einem legasthenen Elternteil ist die Wahrscheinlichkeit, dass
ihr Kind ebenso legasthen ist bei Söhnen von 35 bis 40 % und bei Töchtern 18 % (SchulteKörne 2006). Auch Zusammenhänge zwischen Auffälligkeiten der Sprachentwicklung und
späteren Lese-Rechtschreibstörungen sind vielfach belegt. Bei Kindern mit einer Geschichte
von Sprachentwicklungsauffälligkeiten liegt die Wahrscheinlichkeit später auch LeseRechtschreibschwierigkeiten zu entwickeln zwischen 30 und 70 %.
-5-
Früherkennung
Eine Früherkennung eines erhöhten Risikos zur späteren Entwicklung von LeseRechtschreibschwierigkeiten ist aufgrund der folgenden Faktoren bereits im Kindergarten
wichtig:
1. Die Identifikation von erhöhtem Risiko stellt die Grundlage zur Einleitung spezifischer
Frühtherapie dar. Frühtherapie erweist sich erst dann als sinnvoll, wenn sie gezielt
mit Risikokindern und nicht in der allgemeinen Kindergruppe durchgeführt wird.
2. Effiziente Frühinterventionsprogramme (Würzburger Trainingsprogramm HörenLauschen-Lernen I und II von Roth, Schneider, Küspert, Marx) liegen vor.
3. Bei einer frühen Erkennung und Intervention können sekundär Probleme wie
generalisiertes Schulversagen, psychische Sekundärstörungen, soziale Folgen und
insbesondere
schwerwiegende
Frustrationserlebnisse
bereits
in
der
Schuleingangsstufe vermieden werden.
Ziel der Früherkennungsstudie
Ein herausragendes Anliegen der Studie war eine Überprüfung der bestehenden
Screeningverfahren für den österreichischen Sprachraum.
Schließlich sollte über ein Einbeziehen zusätzlicher Variablen (z. B. sprachliche
Kompetenzen,
psychosoziale
Faktoren,
familiäre
Belastungen
bezüglich
Lese-
Rechtschreibstörungen, nichtdeutsche Muttersprache) die Früherkennung optimiert werden.
Nicht zuletzt ging es um einen Effizienznachweis der frühen Kindergartenintervention
hinsichtlich späterer Lese- und Rechtschreibkompetenzen (1. und 2. Klasse der
Volksschulen).
Methode
Das nachfolgende Diagramm übermittelt einen Überblick über das Studiendesign.
Ausgewählt wurden möglichst alle Kinder der Magistratskindergärten in Ebelsberg
(Therapiegruppe), weiters als Kontrollgruppe Kinder aus Magistratskindergärten in Urfahr.
-6-
Als Eingangsuntersuchung wurden die folgenden Verfahren durchgeführt bzw. FragebogenInstrumente eingesetzt:
-
Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
(BISC I).
-
ein Elternfragebogen zur Erhebung relevanter Einflussfaktoren auf die spätere LeseRechtschreibstörung (siehe Beilage 1)
-
die Ergebnisse einer logopädischen Reihenuntersuchung zur Sprachentwicklung
(siehe Beilage 2) und schließlich
-
der SDQ (Strength and Difficulties Questionnaire) von Seiten der Eltern als auch
Kindergartenpädagoginnen.
Anschließend wurde lediglich in der Therapiegruppe das Frühinterventionsprogramm HörenLauschen-Lernen I und II ausschließlich mit Risikokindern durchgeführt.
Gegen Ende des letzten Kindergartenjahres (ca. 4 Monate vor Einschulung) wurde das
Bielefelder Screeningverfahren (BISC II) wiederholt.
Schließlich erfolgte eine Untersuchung der schriftsprachlichen Fertigkeiten gegen Ende des
1. Schuljahres mit Hilfe des Salzburger Lese-Rechtschreibtests (SLRT), die schriftsprachlichen Fertigkeiten wurden dann gegen Ende der 2. Klasse nochmals (wiederum mit
dem SLRT) überprüft.
Da wie unten ausführlich dargestellt ein beträchtlicher Teil der Kinder die Vorschule
besuchte, wurden die schriftsprachlichen Fertigkeiten der 1. und 2. Klasse im Vergleich zur
Restgruppe ein Jahr später erhoben.
Gegen Ende der 2. Klasse wurden von den Lehrern und Eltern nochmals der SDQ (StärkenSchwächen-Fragebogen) zur psychosozialen Entwicklung des Kindes ausgefüllt.
-7-
Ebelsberg
BISC I
Urfahr
EF Log. K. SDQ
BISC I EF Log. K. SDQ
Würzburger
Training
Kindergarten
BISC II
BISC II
SLRT 1.Kl.
SLRT 1. Kl.
Schule
SLRT 2. Kl.
SDQ
SLRT 2. Kl.
SDQ
Ergebnisse
Früherkennung von Lese-Rechtschreibstörung
Insgesamt wurden Daten von 412 Kindern im letzten Kindergartenjahr erfasst, das
Durchschnittsalter bei Studienbeginn lag bei 5;8 Jahren, das Geschlechterverhältnis war
ausgewogen (51 % Mädchen, 9 % Buben).
Folgende Abbildung stellt die sprachliche Familiensituation der Kinder in Ebelsberg und
Urfahr dar.
Gruppenvergleich:
Ebelsberg
Urfahr
237
175
kein Deutsch
61,4 %
13,3 %
81,5 %
3,3 %
fremdsprachig + Dt.
15,0 %
8,6 %
Dt. + fremdsprachig
10,3 %
6,6 %
Deutscherwerb nicht
abgeschl. (log.
Abklärung)
24,4 %
8,3 %
Kinder
Familiensprache:
nur Deutsch
-8-
Es zeigt sich ein signifikant höherer Anteil von Kindern in multilingualen Familien im Stadtteil
Ebelsberg. Der Anteil der Kinder, die ausschließlich deutschsprachig aufwachsen, liegt in
Ebelsberg bei über 60 %, in Urfahr bei über 80 %.
In der logopädischen Reihenuntersuchung zum Sprachentwicklungsstand liegt der Anteil der
Kinder mit nicht abgeschlossenem Deutscherwerb laut logopädischer Einschätzung als
Zweitsprache in Ebelsberg bei knapp 25 %, in Urfahr bei 8 %.
Es ist somit von durchaus unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen der Kinder in der
Therapiegruppe (Ebelsberg) und der Kontrollgruppe auszugehen.
Dementsprechend ergeben sich bereits deutliche Unterschiede hinsichtlich der im Bielefelder
Screeningverfahren (BISC I) auffälligen Kinder, erwartbar sind laut Testautoren 15 %
Risikokinder. In Ebelsberg liegt dieser Anteil bei 26,2 % und in Urfahr bei 13,1 %.
Es stellt sich nun zunächst die Frage, bei welchen Kindern das Risiko von LeseRechtschreibschwierigkeiten erhöht ist. Signifikante Zusammenhänge zeigen sich mit
nichtdeutscher Muttersprache.
Migrationshintergrund
BISC I RISIKO
Nicht deutsche
Familiensprache
Deutsche Familiensprache
41,7%
Dt.+ fremdspr.
23,5%
Fremdspr. + Dt.
43,8%
13,9%
Dt. als Fremdsprache nicht 47,5%
abgeschlossen (Log. Ko.)
Bei Kindern mit einer nichtdeutschen Familiensprache liegt die Wahrscheinlichkeit eines
erhöhten Risikos im BISC I bei über 40 %.
Schließlich bestätigen sich auch starke Zusammenhänge zwischen Sprachentwicklungsproblemen laut Elterneinschätzung wie auch laut logopädischer Kontrolle und erhöhtem
Risiko im BISC I. Die Zahlen entsprechen sehr gut den internationalen Ergebnissen. Bei
Kindern mit signifikanten Sprachentwicklungsauffälligkeiten laut Elterneinschätzung bzw.
-9-
Dysgrammatismus laut logopädischer Kontrolle liegt die Wahrscheinlichkeit im BISC I zu den
Risikokindern zu zählen bei ca. 50 %.
Schließlich werden psychosoziale Faktoren in ihrem Zusammenwirken mit erhöhtem Risiko
im BISC I dargestellt.
Psychosoziale Faktoren
SDQ Kindergarten
BISC I RISIKO
Emotionale
Probleme auff.
Probleme mit
Gleichaltrigen
Hyperaktivität
44,8%
31,6%
50%
Zusammenhänge zeigen sich hier insbesondere zwischen emotionalen Problemen und
erhöhtem BISC I Risiko, weiters auch mit Hyperaktivität.
Schließlich wurde der Frage nachgegangen, ob der ca. doppelt so hohe Risikoanteil von
Kindern in Ebelsberg im Vergleich zu Urfahr vorwiegend auf den erhöhten Anteil
mehrsprachig aufwachsender Kinder in Ebelsberg zurückführbar ist. Hiezu wurden die BISC
I Ergebnisse der ausschließlich deutschsprachig aufwachsenden Kinder in Ebelsberg und
Urfahr verglichen. Hier zeigte sich, dass auch bei diesen Kindern das BISC I Risiko in
Ebelsberg bei 21 % und in Urfahr bei nur 5,7 % lag.
Die Daten zu gemischtsprachig
aufwachsenden Kindern finden sich im Diagramm „Sozioökonomisches Niveau der Familie“.
Sozioökonomisches Niveau der
Familie (Wohnumgebung)
BISC I RISIKO (%)
nur
Deutsch
fremd/gemischtsprachig
Ebelsberg
Urfahr
Gesamt
21,0%
5,7%
13,9%
34,4%
42,9%
36,4%
- 10 -
Zusammenfassend zeigt sich somit, dass die nichtdeutsche Muttersprache einen
gewichtigen Einfluss auf erhöhtes Risiko auf die spätere Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
hat, darüber hinaus jedoch durchaus auch die Wohnumgebung (sozioökonomisches Niveau
und Bildungsstandards der Familien unterscheiden sich in den Stadtteilen Urfahr und
Ebelsberg deutlich).
Als Zwischenzusammenfassung kann somit festgehalten werden, dass das Aufwachsen in
einer nichtdeutschen Muttersprache, der Sprachentwicklungsstand der Muttersprache,
psychosoziale Faktoren sowie Wohnumgebung deutlich mit Ergebnissen des BISC I in
Zusammenhang stehen.
Prädiktion schriftsprachlicher Fertigkeiten durch den BISC
Im Folgenden stellt sich nun die Frage, wie sicher Lese- und Rechtschreibfertigkeiten gegen
Ende der 2. Volksschulklasse durch das Bielefelder Screeningverfahren zu Beginn des
letzten Kindergartenjahres vorhergesagt werden können.
Im folgenden Diagramm werden zunächst die Zahlen der beiden Vergleichsgruppen
dargestellt.
VS 2. Klasse
(incl. 78 ehem. Vorschulkinder)
Ebelsberg
• 213 Kinder
• 10% Ausfall
• ehem. Vorschulkinder
21%
Urfahr
• 145 Kinder
• 17% Ausfall
• ehem. Vorschulkinder
20%
Der Anteil von ehemaligen Vorschulkindern (gemessen an den verfügbaren Kindern gegen
Ende der 2. Volkschulklasse) beträgt 78, hierbei ist der Anteil derselben in der
Therapiegruppe Ebelsberg etwa gleich hoch wie in der Kontrollgruppe in Urfahr.
Der Ausfall von Kindern der Kontrollgruppe war etwas höher als in der Therapiegruppe.
- 11 -
Im folgenden werden die Ergebnisse bezüglich der Prädiktorqualität des BISC I und BISC II
für das Lesen und Schreiben am Ende der 2. Volksschulklasse dargestellt. Hierbei gilt es
zwischen der Spezifität und der Sensitivität zu unterscheiden. Unter Spezifität ist der Anteil
der durch das Screeningverfahren korrekt als unauffällig eingestuften Kinder zu verstehen,
unter Sensitivität der Anteil der richtig als auffällig erkannten Kinder. Im Salzburger LeseRechtschreibtest werden die Leseflüssigkeit (Lesezeit) als auch die Lesegenauigkeit
(Lesefehler) in verschiedenen Subtests erfasst, d. h. beim Lesen von häufigen Wörtern, beim
Lesen eines kurzen Textes wie auch beim Lesen von wortunähnlichen und wortähnlichen
Pseudowörtern (PW I und PW II).
Aufgrund der vergleichsweise transparenten Orthographie der deutschen Sprache gilt die
Lesezeit im Gegensatz zur Lesegenauigkeit als primäre Messgröße für Lesekompetenz auf
Wortebene.
Im Bereich der Rechtschreibung wird zwischen nicht lauttreuen Fehlern sowie orthographischen Fehlern unterschieden (N-Fehler, O-Fehler). Zunächst werden die Ergebnisse
ausschließlich für die Kontrollgruppe (um nivellierende Einflüsse des Therapieprogramms in
der Therapiegruppe in Ebelsberg auszuschließen) angeführt.
Vorhersage für Lesen/Schreiben
2. VS durch BISC I (nur KG)
Spezifität
Lesezeit HW 90%
Lesezeit Text 89%
Lesezeit PWI 89%
Lesezeit PWII 90%
N-Fehler
89%
O-Fehler
87%
Sensitivität
67%
75%
75%
57%
60%
0%
Es zeigt sich eine befriedigende Spezifität, d. h. nur wenige der im Screening unauffälligen
Kinder erweisen sich später als lese-rechtschreibgestört. Die Sensitivität liegt je nach
Subtest zwischen 57 und 75 %, d. h. 2 bis 3 von 4 im Screening auffälligen Kindern erweisen
sich später als tatsächlich lese-rechtschreibgestört.
Auffällig ist, dass orthographische Fehler nicht durch das Screeningverfahren prädiziert
werden.
- 12 -
Um die Stichprobengröße zu erhöhen, wurden schließlich die Daten der Gesamtgruppe
(Therapiegruppe und Kontrollgruppe) für das Bielefelder Screening II (d. h. 4 Monate vor
Einschulung) in ihrer Prädiktorqualität für das spätere Lesen und Rechtschreiben untersucht.
Hier zeigen sich ähnliche Ergebnisse hinsichtlich der Spezifität, geringfügig schlechtere
Ergebnisse hinsichtlich der Sensitivität.
Vorhersage für Lesen/Schreiben
2. VS durch BISC II (Gesamt)
Lesezeit HW
Lesezeit Text
Lesezeit PWI
Lesezeit PWII
N-Fehler
O-Fehler
Zusammenfassend
kann
Spezifität
90%
91%
90%
90%
90%
90%
festgehalten
werden,
Sensitivität
54%
64%
46%
50%
57%
24%
dass
durch
das
Bielefelder
Screeningverfahren auch im österreichischen Sprachraum eine befriedigende Spezifität
erreicht wird, d. h. die im Bielefelder Screeningverfahren unauffälligen Kinder sind später zu
allermeist tatsächlich unauffällig. Auch die Sensitivität ist ausreichend, d. h. die Hälfte bis
zwei Drittel der Risikokinder erweisen sich später als tatsächlich auffällig. In der
Originalstudie der Testautoren des Bielefelder Screeningverfahrens wurde bezogen auf eine
Störung des Lesens und/oder Rechtschreibens Ende der 2. Klasse eine Spezifität von 97 %
und Sensitivität von 65 % erreicht. Nur bezogen auf das Rechtschreiben in der 3. Klasse
ergab die Münchener Logikstudie eine Spezifität von 93 % und Sensitivität von 52 %.
Vorschüler
Für die Vorschüler (ca. 20 % der Gesamtgruppe) ist festzuhalten, dass diese eine
Hochrisikogruppe für spätere Lese-Rechtschreibschwierigkeiten trotz des zusätzlichen
Unterrichtsjahrs darstellen. Unter den Vorschülern zeigte sich kein signifikant erhöhter Anteil
von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache, sodass dieser Faktor hier nicht wesentlich ist.
Es ergab sich jedoch ein deutlich erhöhter Anteil von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen, ein etwas verstärkter Anteil von Buben. Die Wohnumgebung (Ebelsberg
oder Urfahr) spielte keine Rolle hinsichtlich des Anteils der Vorschüler.
- 13 -
In den folgenden Tabellen wird der Vergleich der Leseleistungen (Leseflüssigkeit und
Lesegenauigkeit) der ehemaligen Vorschulkinder im Vergleich zur Restgruppe dargestellt.
Vorschulbesuch - Leseflüssigkeit
Mittelwert
keine Vorschule
Vorschule
•70,0Einfügen: Diagramm aus
57,3
51,7
60,0
48,9
1.Ergebnisse 2. Klasse Volksschule
42,3S. 5:
50,0
34,0
40,0
26,5
22,5
Lesefehler
und Rechtschreiben
30,0
18,2
20,0
10,0
V2 Lesen - Häufige
Wörter - Zeit ***
V2 Lesen - Text (kurz)
- Zeit ***
V2 Lesen V2 Lesen w ortunähnliche
w ortähnliche
Pseudow örter - Zeit ** Pseudow örter - Zeit ***
Vorschulbesuch - Lesegenauigkeit
keine Vors chule
Vors chule
3,3
Mittelwert
3,5
3,0
2,7
2,5
2,0
1,9
1,8
1,0
1,4
1,2
1,5
0,6
0,3
0,5
V2 Lesen - Häufige
Wörter - Fehler ***
V2 Les en - Tex t (kurz ) Fehler ***
V2 Les en w ortunähnliche
Pseudow örter - Fehler
***
V2 Lesen w ortähnlic he
Pseudow örter - Fehler
***
Die Vermutung liegt nahe, dass angesichts des hohen Anteils von Kindern in der Vorschule
nur ein Teil derselben allgemeine Lernschwierigkeiten aufweist, bei den anderen scheinen
durchaus spezifische Lernstörungen (Lese-Rechtschreibstörung) gegeben, was einer
differenzierten Förderung bedarf. Von 190 Kindern mit einer Lese-Rechtschreibstörung aus
der Inanspruchnahmepopulation unserer Ambulanz hatten 28,4 % die vorschule besucht,
von den lernschwachen Kindern (IQ = 70 – 84) 55,9 %. Die Möglichkeiten intensiv zur
Vorbereitung auf und Einführung in die Schriftsprache in der Vorschule scheinen durchaus
noch optimierbar.
- 14 -
Verbesserungsmöglichkeiten der Früherkennung
Wie oben bereits ersichtlich, stehen Faktoren wie Wohnumgebung, nichtdeutsche
Muttersprache,
Sprachentwicklungsfaktoren
der
Muttersprache
sowie
psychosoziale
Auffälligkeiten in starkem Zusammenhang mit erhöhtem Risiko zur Entwicklung späterer
Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Bei Einberechnung dieser Faktoren in die Prädiktion von
Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zusätzlich zum BISC II kann lediglich durch den Faktor
Dysgrammatismus (Resultat der logopädischen Reihenuntersuchung) die Sensitivität beim
Subtest „Lesen eines kurzen Textes“ auf 70 % erhöht werden (Spezifität 87 %). Beim Lesen
eines Textes spielen wie zu erwarten auch sprachliche Kompetenzen (z. B. grammatische
wie auch lexikalische Faktoren) eine wesentliche Rolle.
In einer hierarchischen Regressionsanalyse zur Prädiktion der späteren Leseprobleme
können
die
zusätzlich
Wohnumgebung,
einbezogenen
psychosoziale
Faktoren
Auffälligkeiten,
wie
nichtdeutsche
Muttersprache,
Sprachentwicklungsstörung
oder
Vorschulbesuch die Erklärung der Varianz zusätzlich nicht signifikant erhöhen, wobei alle der
genannten Variablen mit den Leseergebnissen deutlich korrelieren.
Durch das
Kompetenzen
Bielefelder Screeningverfahren werden somit
sowie
Faktoren
in
Zusammenhang
mit
offensichtlich sprachliche
Schichtzugehörigkeit
und
Wohnumgebung sowie psychosozialen Auffälligkeiten bereits miterfasst.
Die Ergebnisse des Bielefelder Screeningverfahrens sind auch für den oberösterreichischen
Sprachraum ausreichend, um einen flächendeckenden Einsatz zu Beginn des letzten
Kindergartenjahres zu empfehlen.
- 15 -
1.2.
Effektivität präventiver Förderung im Kindergarten
(Mag. Elisabeth Leopold)
Einführung
Im Rahmen der Studie „Chancen für besondere Lerner“ wurde neben der frühen Erkennung
von Lese-/Rechtschreibstörung ebenfalls die Effektivität der frühen Förderung im Kindergarten für den österreichischen Sprachraum überprüft. Dabei wurden die Kinder in der
Therapiegruppe nach Erkennung als Risikokinder (durch das BISC) spezifisch gefördert. Die
Lese-/ Rechtschreibleistungen der Kinder wurden am Ende der 1. und 2. Klasse untersucht,
mit den Leistungen der Kinder der Kontrollgruppe sowie den Kindern mit unauffälligem BISC
verglichen.
Als Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Schriftsprache gelten nach neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen, das schnelle Benennen und der schnelle Abruf aus dem Langzeitspeicher, das phonologische Kurzzeitgedächtnis, die visuelle Aufmerksamkeit und die
phonologische Bewusstheit.
Alle diese Fertigkeiten werden im BISC überprüft.
Wissenschaftlicher
Hintergrund
Als Fähigkeiten, die normalerweise im Vorschulalter
erlernt werden und eine wichtige Grundlage für den
Lese- und Schreiberwerb darstellen, konnten
identifiziert werden:
- Schnelles Benennen von Bildern und Objekten/Zugriff auf
phonologische Wortform (Wolf, 1986; Catts et al., 2002)
- Phonologisches Kurzzeitgedächtnis (Jorm, Share, 1983)
- Visuelles Buchstabengedächtnis (Marx, 1992)
- Phonologische Bewusstheit (Torgesen, 1994,
Schneider&Marx, 2000; Küspert, 1998; Catts at al., 2000)
- Phonematische Diskrimination (Tallal et al., 1989)
Unter dem Begriff der phonologischen Bewusstheit wird generell die Einsicht verstanden,
dass Sprache aus distinktiven lautlichen Einheiten bestehend wahrgenommen und mit
diesen lautlichen Segmenten analytisch und / oder synthetisch umgegangen werden kann
(Mannhaupt und Jansen 1999).
- 16 -
Im Bereich der phonologischen Bewusstheit lässt sich zwischen der phonologischen
Bewusstheit im weiteren Sinn, welche die Wahrnehmung gröberer sprachlicher Einheiten
(Sätze, Wörter, Silben) und der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinn (Analyse von
einzelnen bedeutungsunterscheidenden Lauten: Phoneme) unterscheiden.
Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit lassen sich bereits im Kindergarten und
Vorschulalter bei den Kindern identifizieren, wobei die phonologische Bewusstheit im
engeren Sinn später zusätzlich durch den Buchstabenerwerb und der Buchstabenerwerb
wiederum durch die phonologische Bewusstheit positiv beeinflusst wird.
Nach Erkennen und Identifikation von Kindern mit Schwierigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit stellt sich nun die Frage, ob nach einem frühen Erkennen auch die
Förderung in diesem Bereich effizient und überhaupt möglich ist bzw. ob eine Förderung
dieser Vorläuferfähigkeiten überhaupt Effekte für das Lesen und Schreiben bringt,
d.h. ob ein Transfer von dieser Übung im Bereich der Laute auf den Schriftspracherwerb
gesehen werden kann.
In einer dänischen Trainingsstudie (Lundberg, Frost, Petersen, 1988) sollte der Effekt eines
vorschulischen Trainings der Vorläuferfertigkeiten auf den Schriftspracherwerb überprüft
werden. Dabei wurden in einer Trainingsgruppe Kinder über 8 Monate lang täglich für die
lautlichen Eigenschaften der Wörter sensibilisiert, wobei in den ersten Wochen im Bereich
der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn und erst in den letzten Monaten im
Bereich der Phoneme (Einzellaute einer spezifischen Sprache) gearbeitet wurde. Die
Kontrollgruppe wurde nicht gefördert. Sowohl Kontroll- als auch Therapiegruppe wurden vor
dem Training und nach dem Training getestet, die Leistungen beider Gruppen im Lesen und
Schreiben bis in die 3. Kl. verfolgt.
Bei Vergleich der Vor- und Nachtestergebnisse konnte ein spezifischer Effekt der Förderung
im Bereich der Phonologie nachgewiesen werden. Bei Kindern der Trainingsgruppe, welche
beim Vortest in Summe schlechter abschnitten als Kinder der Kontrollgruppe, zeigte sich
eine deutliche Steigerung der Fähigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit im
Nachtest, wobei die Leistungen der Kinder der Kontrollgruppe zwischen Vor- und Nachtest
nahezu stagnierten. Somit konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass phonologische
Bewusstheit spezifisch trainiert werden kann und dass es sich nicht um einen normalen
Entwicklungsverlauf handelt, sondern sich spezifische Trainingseffekte bei Förderung dieser
Fähigkeiten abzeichnen.
- 17 -
Ergebnis 1
• Durch ein Training zeigen sich spezifische
Effekte bezüglich phonologischer Bewusstheit
Klarerweise war nicht nur der Trainingseffekt der phonologischen Fertigkeiten für diese
Studie interessant,
sondern insbesondere der
Transfer
auf
die späteren Lese-/
Rechtschreibleistungen der geförderten und nicht geförderten Kinder. Dabei konnte die
dänische Trainingsstudie bis zum Anfang der 3. Kl. positive Trainingseffekte sowohl im
Lesen als auch im Schreiben feststellen. Gemessen wurde dabei die Anzahl der korrekt
geschriebenen und die Anzahl der korrekt gelesenen Wörter, welche in der Therapiegruppe
jeweils höher waren.
Ergebnis 2
• Durch ein Training im Bereich der phonologischen
Bewusstheit ergeben sich Langzeiteffekte im Lesenund Schreiben
Für den deutschsprachigen Raum wurden durch die Würzburger Trainingsstudien
(Schneider et al. 1997, Roth/Schneider 2002) die Effekte des Trainings der phonologischen
- 18 -
Bewusstheit bestätigt. Auch die Würzburger Trainingsstudien konnten Langzeiteffekte des
phonologischen Trainings bis zum Ende der 2. Kl. im Lesen als auch im Schreiben
nachweisen.
Würzburger Trainingsstudien
(Schneider et al., 1997, 2000; Roth, Schneider,
2002)
• phonologische
Bewusstheit kann im
Vorschulalter trainiert
werden
• Bereichsspezifische
Trainingseffekte
• Das Training erleichtert
den Schriftspracherwerb
in der Schule
Nachdem für das Training der phonologischen Bewusstheit signifikante Einflüsse auf den
Schriftspracherwerb nachgewiesen werden konnten, wurde nach einer Verbesserung dieser
spezifischen Trainingseffekte gesucht, um möglicherweise bessere Langzeitergebnisse und
ausgeprägtere Ergebnisse beim Einstieg des Lese-/Rechtschreiberwerbs zu erhalten.
In der Trainingsstudie von Hatcher, Hulme und Ellis (1994) sollte nicht nur ein Training der
phonologischen Bewusstheit, d.h. der lautlichen Analyse und Synthese des Gesprochenen
erfolgen, sondern zusätzlich zu diesen analysierten Lauten erste Buchstaben vermittelt
werden (Phonological Linkage Hypothese). Durch eine Kombination aus phonologischen
Aufgaben und der gleichzeitigen Verknüpfung mit dem visuellen Abbild erhoffte man sich
eine Steigerung gegenüber des reinen phonologischen Trainings. Vier Gruppen von
schwachen Lesern wurden hier wiederum in einem Vor- und Nachtest untersucht. Die erste
Gruppe erhielt reines Lesetraining, die zweite Gruppe ein rein phonologisches Training, die
dritte Gruppe eine Kombination aus Lesetraining und phonologischem Training und die vierte
Gruppe keine Intervention.
- 19 -
Trainingsstudie
(Hatcher, Hulme & Ellis, 1994)
• Hypothese: Ein kombiniertes Training, welches
sowohl die phonologische Bewusstheit als auch
die Buchstabenkenntnis vermittelt, ist
effektiver als die Förderung einer einzelnen
Komponente („Phonological-Linkage)
• Methode:
– VPN: 124 schwache Leser (7,4 Jahre)
» Gruppe 1: Lesetraining (n=31)
» Gruppe 2: phonologisches Training (n=30)
» Gruppe 3: Kombination (n=32)
» Gruppe 4: keine Intervention (n=31)
Nach intensiver Förderung über 20 Wochen zeigte sich in einem Nachtest, dass schwache
Leser, welche mit der kombinierten Trainingsmethode aus Phonologie und Lesen gefördert
wurden, unmittelbar nach dem Training die besten Ergebnisse aller Gruppen im Lesen
erzielen. Auch eine Follow Up-Studie nach Trainingsende konnte für das Lesen und das
Schreiben deutlich bessere Ergebnisse in der Gruppe des kombinierten Trainings gegenüber allen Kontrollgruppen finden. Das kombinierte Training zeigte weiters auch die größten
Langzeiteffekte bis in die 2. u. 3. Klasse.
Methode
Angelehnt an die bisherigen Studien aus dem deutschsprachigen Raum wurde mit den
Kindern der Therapiegruppe Ebelsberg eine spezifische Förderung durch die Kindergartenpädagogen durchgeführt, welche von LogopädInnen in das Verfahren eingeführt
worden waren und spezifische Instruktion erhalten hatten.
Die Förderung wurde nur mit Kindern durchgeführt, welche im BISC 1 auffällig waren und
somit Risikokinder für den späteren Lese-/Rechtschreiberwerb darstellten. Weiters sollte die
Gruppengröße nicht mehr als 5 Kinder übersteigen. Die Förderung wurde durch Kindergärtnerinnen vor Ort täglich 10 min lang durchgeführt, erstreckte sich auf 20 Wochen und
war durch einen vorgegebenen Trainingsplan mit täglichen Übungen und Spielen gut
strukturiert.
- 20 -
Mit den Kindern der Trainingsgruppe in Ebelsberg wurden die Programme „Hören –
Lauschen – Lernen I u. II“ verwendet, welche bereits in den Würzburger Trainingsstudien
eingesetzt worden waren. Dabei wird in den ersten 10 Wochen Einsicht in die rein lautliche
Gliederung von größeren und kleineren sprachlichen Einheiten gegeben, wobei das Kind
durch Lauschspiele („was hörst du draußen?“...) darauf aufmerksam gemacht wird, dass es
genau auf Klangereignisse horcht. In Reimspielen und Spielen mit Sätzen und Wörtern
werden Kinder langsam auf die segmentalen Einheiten der Sprache hingewiesen.
Die Analyse des lautlichen Signals betrifft dabei immer kleinere Einheiten bis zur Phonemsynthese und –analyse.
In den folgenden 10 Wochen wurde die akustische Wahrnehmung mit der visuellen Buchstabenrepräsentation verknüpft. Dabei wurden 12 Buchstaben eingeführt, wobei mit
Kontinuanten und Vokalen begonnen wurde, aber dann auch Plosive ins Training mit eingeflossen sind. Ziel sollte es hier nicht sein, dass Kinder Buchstaben schreiben lernen, sie
sollten lediglich erkennen, dass es zu einem akustisch wahrnehmbaren Laut auch ein
visuelles Zeichen gibt.
Ergebnisse
Um die Effektivität der Förderung zu überprüfen, wurden die Kinder nach diesem Training mit
dem BISC II (Testform 4 Monate vor Einschulung) getestet.
Bei deutlich schlechterer Ausgangslage der Therapiegruppe in Ebelsberg, hier fielen 26 %
der Kinder in den Risikobereich im BISC I gegenüber 13 % der Kinder in der Kontrollgruppe,
sollten die Leistungen nun nach der spezifischen Förderung überprüft werden (insgesamt
lagen 20 % aller Kinder im BISC I – Risikobereich). Kinder fallen ab dem Wert von 3
Risikopunkten in den kritischen Bereich.
- 21 -
Verteilung der Risikopunkte
vor der Intervention
40
30
20
Untersuchungsgruppe
Kontrollgruppe
10
Prozent
Urfahr
Therapiegruppe
0
Ebelsberg
0
1
2
3
4
5
6
7
BISC I - Risikopunkte (Risiko für LRS 0-9)
Bei Überprüfung der Leistungen der phonologischen Bewusstheit, der akustischen Kurzzeitspeicherung, visuellen Aufmerksamkeit, des schnellen Benennens, Lautanalyse und Lautsynthese im BISC 2, zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Leistungen, wobei über die
Zeit auch in der Kontrollgruppe eine Tendenz des Rückgangs der Risikokinder zu
beobachten war (von 13 auf 9 %), in der Therapiegruppe der Anteil der Risikokinder
allerdings von 26 auf 14 % nahezu halbiert wurde. Durch diesen Vor- und Nachtest konnte
also ein signifikantes Ergebnis der Förderung für den Bereich der phonologischen
Bewusstheit nachgewiesen werden.
B IS C Au ff ällig e
%-Anteil der Auffälligen
30
25
20
KG
15
TG
10
5
0
B IS C 1
B IS C 2
Auch wenn nach der Förderung tendenziell der Mittelwert der Gesamtrisikopunkte in der
Therapiegruppe leicht höher liegt als in der Kontrollgruppe (1,8 gegenüber 1,5), sind die
- 22 -
Unterschiede statistisch nicht mehr signifikant, somit haben sich die Gruppen aneinander
angenähert. Der Mittelwert für alle getesteten Kinder –lag mit 1,6 um 0,4 Punkte unter dem
Ergebnis der ersten Untersuchung. Der Anteil der Kinder im Risikobereich sinkt auf 12%.
Mittelwerte der Risikopunkte
Risikopunkte
Entwicklung der Risikopunkte
2,5
2,32
2
1,5 1,56
1
0,5
0
BISC1
1,8
1,5
TG
KG
BISC2
Hätte man anhand der BISC I-Ergebnisse mit einem deutlich höheren Vorschulbesuch in der
Therapiegruppe rechnen können, so nähert sich nun tatsächlich der Vorschulbesuch der
beiden Gruppen einander an. Der Anteil der Kinder, die eine Vorschule besuchen ist nun in
der Therapiegruppe und Kontrollgruppe gleich hoch, wobei insgesamt 56,5 % der im BISC
auffälligen Kinder die Vorschule besuchen.
Vorschulbesuch
% der Kinder
Vorschulbe such und BISC
30
20
KG
10
TG
0
BISC1
BISC2
- 23 -
Vors chule
Bei Vergleich der BISC I und BISC II-Ergebnisse kann man bei den einzelnen Subtests
unterschiedliche Steigerungen feststellen. Die Kinder verbesserten sich demnach besonders
in Subtests zur visuellen Aufmerksamkeit (Qualität), wobei hier sicherlich die Bewusstmachung der einzelnen Buchstabenbilder die Kinder in diesem Bereich sensibilisiert hat.
Auch die Subtests zur phonologischen Bewusstheit im weiteren und engeren Sinn konnten
über das Training verbessert werden. Gleichbleibend waren die Ergebnisse im Bereich des
schnellen Benennens, des akustischen Kurzzeitgedächtnisses und der Geschwindigkeit
beim visuellen Vergleich, d.h. des Vergleichs zweier Schriftformen.
Welche Fertigkeiten (Subtests)
konnten verbessert werden?
Entwicklung der Fähigkeiten
12
11
10
Punktwerte
9
10,7
10,1
9,3
9,2
8,7
9,2
8,5
8
7,7
7,6
7
7,8
6
6,1
5,7
6,2
6,1
5
4,9
4,9
7
WVS Qu.
WVS Zeit
PWN
SB F1
SB F2
R
LA
SS
LZW
4
3
B ISC1
BIS C2
Die Follow Up-Ergebnisse in der 1. Kl. zeigten für die Therapiegruppe sehr erfreuliche
Leistungen im Bereich des lautierenden Lesens, wobei alle Kinder der Therapiegruppe,
welche zuvor im BISC auffällig waren, in der 1. Kl. lautierend lesen konnten (nur 82 % der
Kontrollgruppe war dies hinsichtlich Geschwindigkeit und Genauigkeit unauffällig möglich).
Die Lese-/Rechtschreibleistungen wurden dabei mit dem SLRT für die 1. u. 2. Schulstufe
überprüft, wobei die Bereiche des lautierenden Lesens über die Subtests des Pseudowortlesens überprüft wurden. Vergleicht man alle Subtests (Häufige Wörter, Text kurz, wortunähnliche Pseudowörter lesen), so sind die Leistungen über alle Subtests bei den als
Risikokinder erkannten Kindern in der Therapiegruppe zu 8% auffällig, in der Kontrollgruppe
zu 23 %.
Die Leistungen im Bereich des synthetischen zusammenschleifenden Lesens, waren in der
Therapiegruppe auch in der 2. Kl. noch signifikant besser als jene der Kontrollgruppe. Als
tendenziell besser, aber nicht mehr signifikant erwiesen die Lesegeschwindigkeit und
-genauigkeit gegenüber der Kontrollgruppe in anderen Subtests zum Lesen.
- 24 -
Die Rechtschreibleistungen wurden durch den standardisierten Salzburger Rechtschreibtest
überprüft, wobei hier am Ende der 1. Kl. deutlich mehr Kinder als in der Normstichprobe im
Bereich der Orthographie auffällig waren (knapp 50 %) und somit dieses Verfahren
offensichtlich gegen Ende der 1. Klasse nicht zuverlässig einsetzbar ist. Somit zeichnete sich
kein Effekt der Förderung in der Therapiegruppe im Bereich der Orthographie ab.
In der lauttreuen Schreibung, d.h. der Fähigkeit, die im Vorschulalter durch Lautanalysen
trainiert wurde, schneiden Kinder der Therapiegruppe tendenziell besser ab.
Fazit ist, dass ein phonologisches Training in unserer Studie die Bewusstheit der 1 : 1 –
Zuordnung von Phonemen zu Graphemen verbessert hat und somit auch die Leistungen im
späteren lautierenden Lesen und lauttreuen Schreiben, d.h. den Einstieg in die Schriftsprache, erleichtert hat. Orthographische Besonderheiten müssen allerdings zusätzlich
explizit über das Abspeichern von Schriftwortbildern passieren. Dazu stellt sich in unserer
Studie das Training der phonologischen Bewusstheit allein als zu wenig effektiv dar.
In den Vor- und Nachtests sollte die Subgruppe der Kinder nichtdeutscher Muttersprache
genauer hinsichtlich der Entwicklung der schriftsprachlichen Leistungen und der
Verbesserung der Phonologie betrachtet werden, da diese Gruppe vor allem in der Therapiegruppe Ebelsberg einen hohen Prozentsatz der auffälligen Kinder darstellte.
Bei Vergleichen der BISC I und BISC II-Werte zeigen sich bei Kindern nichtdeutscher Muttersprache tendenziell bessere Ergebnisse nach der Förderung als bei Kindern deutscher
Muttersprache, welche ebenfalls nach dem Würzburger Trainingsprogramm gefördert
wurden. Diese Ergebnisse lassen nun den Schluss zu, dass auch Kinder nichtdeutscher
Muttersprache durch spezifische Förderung ihre phonologische Bewusstheit im Vorschulalter
signifikant verbessern können.
Kinder nichtdeutscher Muttersprache unterscheiden sich Ende der 1. und 2. Klasse beim
phonologisch dekodierendem Lesen nicht signifikant vom Rest der Gruppe.
Der schnelle Zugriff auf ganze Wortformen, welcher natürlich auch vom gespeicherten
Wortschatz abhängt sowie der Geschwindigkeit und Genauigkeit beim Lesen eines Textes,
wo zusätzlich auf grammatische Fähigkeiten zurückgegriffen werden muss, ist signifikant
schlechter.
Die Leistungen im Schreiben in der 2. Klasse sind für die fremdsprachigen Kinder tendenziell
schlechter, allerdings nicht signifikant. Hier ergeben sich keine Unterschiede im Bereich der
orthographischen Fehler, lauttreuen Fehler oder Groß-/Kleinschreibfehler.
- 25 -
Zur gleichen Zeit der Durchführung des BISC I wurde ein logopädisches Screening bei allen
Kindern durchgeführt, wobei 10 % einen Dysgrammatismus, 1,4 % eine Redeflussstörung
und 45,6 % eine Aussprachestörung (Dyslalie) aufwiesen. Die Frage stellte sich nun, wie
sich diese spezifische Gruppe der sprachentwicklungsgestörten Kinder im Lese- und
Schreiberwerb abbildet und ob hier ein höheres Risiko für persistierende Lese-Rechtschreibschwächen bestehen.
Bei Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen konnte weder ein Zusammenhang zwischen Dyslalie noch von Redeflussstörungen zu den Ergebnissen des BISC I-Tests
nachgewiesen werden, d.h. Kinder mit einer diagnostizierten Dyslalie oder Redeflussstörung
schnitten im BISC I nicht schlechter ab als Kinder, welche expressiv als unauffällig erkannt
wurden. Demgegenüber steht die Gruppe der spezifischen Sprachentwicklungsstörungen mit
Dysgrammatismus, welche deutlich häufiger in den Risikobereich im BISC I fallen. So sind
47 % der Kinder, welche die Diagnose Dysgrammatismus erhielten, auch im BISC I auffällig
gegenüber nur 16 % aller anderen Kinder, welche die Diagnose Dysgrammatismus nicht
erhielten.
Diese Ergebnisse bestätigen Resultate einer groß angelegten Longitudinalstudie von Catts
et al. 2001, wo die stärksten Zusammenhange zwischen Grammatikkompetenz und späterer
Lesekompetenz festgestellt wurde.
Bei BISC I - Risikokindern mit Dysgrammatismus bleiben 35 % in der 2. Volksschule im
Lesen oder Schreiben auffällig, wohingegen nur 24 % der Kinder ohne Dysgrammatismus
auffällig bleiben, d.h. es zeigt sich eine Tendenz dazu, dass schwerwiegendere
Sprachprobleme, die Persistenz von Schwierigkeiten im Lesen oder Schreiben erhöhen.
Zusammenfassung
Die Förderung im Bereich der phonologischen Bewusstheit wirkt sich vor allem im
lautierenden, lauttreuen Lese- und Schreibprozess aus, welcher auch die erste Stufe der
Lese-/Rechtschreibentwicklung darstellt. Keine Effekte zeigen sich im Bereich der Orthographie oder des morphologischen Regelbewusstseins. Deshalb, will man diese Bereiche
zusätzlich verbessern, welche vor allem in der 3. u. 4. Klasse ausschlaggebend für einen
Rechtschreiberfolg sind, muss man im Bereich der Orthographie und Morphologie spezifisch
ansetzen.
- 26 -
Als weitere Empfehlung kann gesagt werden, dass der zweite Teil des Trainings, welcher
sich näher mit der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinn sowie der Buchstabe-/Lautverknüpfung beschäftigt, im Training intensiviert werden soll, wohingegen die Übungen zur
Phonologie im weiteren Sinn gekürzt bzw. vorgezogen werden sollten.
Vor allem für Kinder nichtdeutscher Muttersprache würde eine zusätzliche Erweiterung des
Wortschatzes eine Verbesserung im Bereich der Lesegeschwindigkeit und Lesegenauigkeit
sowie des Lesens eines Textes erbringen.
- 27 -
1.3. Legasthenie und psychosoziale Problembelastung
(Dr. Johannes Fellinger)
Einleitung:
Ein Zusammenhang zwischen Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und emotionalen sowie
Verhaltensproblemen ist lange Zeit bereits bekannt und Gegenstand wissenschaftlicher
Diskussion. Viele Aspekte in diesem Zusammenhang sind unklar und umstritten,
widersprüchliche Befunde von bis dato relativ wenigen Studien liegen vor. In der großen Isle
of Wight – Studie 1970 (Rutter, Tizard und Whitmore 1970) wurde ein enger Zusammenhang
zwischen
Schwierigkeiten
beim
Lesenlernen
und
aggressiv-störendem
Verhalten
nachgewiesen. Auch in der Mannheimer Längsschnittstudie weist Esser den starken
Zusammenhang
zwischen
Lese-Rechtschreibstörung
und
externalisierende
Verhaltensstörungen nach. Er konnte dabei eindrucksvoll die Persistenz der psychischen
Belastung Betroffener aufzeigen. McGee, Williams et al., 1986, McGee & Share 1988
konnten
nachweisen,
dass
vor
allem
Aufmerksamkeitsprobleme
einen
engeren
Zusammenhang mit Problemen beim Lesenlernen aufweisen. Es wurden aber auch Befunde
vorgelegt, die den Zusammenhang von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten mit emotionalen
Störungen, insbesondere Depressionen, betonten. So konnten Maughan, Rowe, Loeber und
Stouthamer-Loeber
2003
im
Rahmen
einer
Längsschnittstudie
zeigen,
dass
Leseschwierigkeiten bei jüngeren Kindern längerfristig das Risiko für die Entwicklung von
depressiven Störung erhöhen.
Neben der Art der Auffälligkeit ist auch die Kausalrichtung des Zusammenhangs zwischen
Lese-Rechtschreibschwierigkeit und Verhaltensauffälligkeiten unklar. Verschiedene UrsacheWirkungs-Relationen können angenommen werden. Die Verhaltensschwierigkeiten können
Folge der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten sein, diese können aber auch der LeseRechtschreibschwierigkeit
vorausgehen
und
schließlich
können
sowohl
die
Lese-
Rechtschreibschwierigkeiten als auch die Verhaltensschwierigkeiten auf einen dritten Faktor
zurückzuführen sein. Um in dieser Frage Klarheit zu bekommen ist es äußerst
bedeutungsvoll, bereits vor Schulbeginn das Ausmaß der psychosozialen Auffälligkeiten und
das Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zu erfassen. In der
großen Dunedin-Studie (epidemiologische Längsschnittstudie aus Neuseeland, Williams und
McGee, 1996) wurde der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsstörungen und
Leseschwierigkeiten nachgewiesen, wobei allerdings der Zusammenhang vorwiegend durch
die Assoziation Aufmerksamkeitsstörung und Sprachentwicklungsstörung bedingt war.
Klicpera zeigte, dass der Zusammenhang zwischen Verhaltensschwierigkeiten und
Vorläuferfertigkeiten für Lesen und Schreiben bereits im Kindergartenalter bestand und sich
- 28 -
die Problemfelder im Längsschnitt als stabil erwiesen. In der 4. Klasse Volksschule hatten
vor allem soziale Anpassungsschwierigkeiten der von einer LRS betroffenen Schüler
zugenommen.
Im nun berichteten Teil der Studie wird untersucht, inwieweit
1. bereits im Kindergartenalter Verhaltensprobleme mit Problemen in Vorläuferfertigkeiten für
Lesen und Schreiben korrelieren,
2. welche Verhaltensdimensionen besonders starke Zusammenhänge aufweisen,
3. ob und in welchem Maße im Kindergarten beobachtete Verhaltensprobleme in der zweiten
Klasse Volksschule persistieren,
4. ob der SDQ als Stärken-Schwäche Fragebogen im Kindergarten als Screeninginstrument
eingesetzt werden kann und beitragen kann, Risikokinder frühzeitig auch in Hinblick auf ihre
Sprachentwicklung untersuchen zu lassen.
Methodik
Als Verfahren zur Erfassung des Verhaltens wurde der SDQ (Strengths and Difficulties
Questionnaire = Fragebogen zu Stärken und Schwächen) von Goodman 1997 in der
deutschen Version von Woerner et al. 2002 eingesetzt.
Der SDQ baut sich aus 25 Items auf, die in fünf Skalen mit je fünf Items zusammengefasst
sind und umfasst
emotionale Probleme
Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsprobleme
Probleme mit Gleichaltrigen
externalisierende Verhaltensauffälligkeiten
prosoziales Verhalten.
SDQ
• Subskala: Emotionale Probleme
* Klagt häufig über Kopfschmerzen,
Bauchschmerzen oder Übelkeit
* Hat viele Sorgen; erscheint häufig bedrückt
* Oft unglücklich oder niedergeschlagen;
weint häufig
* Nervös und umklammernd in neuen
Situationen; verliert leicht das Selbstvertrauen
* Hat viele Ängste; fürchtet sich leicht.
- 29 -
SDQ
• Subskala: Probleme mit Gleichaltrigen
* Einzelgänger, spielt meist alleine
* hat wenigstens einen guten Freund oder eine gute
Freundin
* im Allgemeinen bei Kindern beliebt
* wird von anderen gehänselt oder schikaniert sie
* kommt mit Erwachsenen besser aus als mit Kindern
SDQ
• Subskala: Verhaltensauffälligkeiten
* Hat oft Wutanfälle; ist aufbrausend
* Im allgemeinen folgsam; macht meist, was
Erwachsene verlangen
* Streitet sich oft mit anderen Kindern oder
schikaniert sie
* Lügt oder mogelt häufig
* Stiehlt zuhause; in der Schule oder anderswo
SDQ
• Subskala: Hyperaktivität
* Unruhig, überaktiv, kann nicht lange stillsitzen
* ständig zappelig
* leicht abblenkbar, unkonzentriert
* denkt nach, bevor er/sie handelt
* führt Aufgaben zu Ende; gute
Konzentrationsspanne
- 30 -
SDQ
• Subskala: Prosoziales Verhalten
* rücksichtsvoll
* hilfsbereit, wenn andere verletzt, krank oder betrübt
sind
* lieb zu jüngeren Kindern
* hilft anderen oft freiwillig
Aus den Rohwerten der ersten vier Skalen wird der Gesamtproblemwert ermittelt.
Es lassen sich anhand der Skalenrohwerte für alle Kategorien einzeln Aussagen über deren
Ausprägung (unauffällig/grenzwertig/auffällig) machen.
Die
Bearbeitung
nimmt
ca.
5
Minuten
in
Anspruch.
Sowohl
Eltern,
als
auch
Kindergärtnerinnen wurden am Beginn der Stunde gebeten, den SDQ – Fremdbeurteilungsbogen auszufüllen.
In der zweiten Klasse Volksschule wurde wiederum der SDQ an Eltern und Lehrer/Innen
ausgegeben.
Ergebnisse:
Verhaltensauffälligkeiten und Risiko von Kindern mit drohenden Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten (BISC I)
Durchgeführt an Kindergärten des Magistrats Linz in zwei Linzer Stadtteilen (Ebelsberg und
Urfahr).
Von 412 ausgegebenen SDQ – Fragebögen konnten Bögen von 405 Kindergartenkindern
ausgewertet werden.
- 31 -
Dabei zeigte sich, dass Kinder die im BISC I(Vorläuferfertigkeiten für Lesen und Schreiben)
auffällig waren, auch 2 bis 3-mal so häufig psychosoziale Auffälligkeiten im SDQ aufwiesen
(Eltern, Kindergärtnerinnenurteil).
Nur 18 % der im SDQ unauffälligen Kinder fielen auch in die Gruppe die im BISC I als
Risikogruppe identifiziert wurde.
Kinder mit auffälligem SDQ sind auch mindestens doppelt so häufig in der Gruppe der Kinder
mit Dysgrammatismus und nicht abgeschlossenem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache
zu finden.
Kinder mit erhöhten Werten in der Hyperaktivitätsskala wiesen 3 x häufiger Symptome von
Dysgrammatismus auf.
In der zweiten Klasse Volksschule wurden nochmals Eltern und Lehrer mit dem SDQ befragt.
Es konnten 180 Fragebögen zur Auswertung herangezogen werden
Die Auffälligkeiten, die im SDQ im Kindergarten festgestellt wurden, sind auch am Ende der
zweiten Klasse in hohem Maße noch vorzufinden.
Es zeigen sich signifikante Korrelationen zwischen den Ergebnissen im Kindergartenalter
und den Ergebnissen in der zweiten Klasse Volksschule (Korrelationskoeffizient (Pearson R)
Elternbewertung zwischen 0.42 und 0.64, Kindergarten und Lehrerbewertung zwischen 0.24
und 0.52). Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Übereinstimmung bei
der Einschätzung emotionaler Probleme zwischen Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen nicht
ausreichend war (0.17).
Zusammenfassung
Kinder mit Problemverhalten im Kindergarten weisen mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses
auch in der Schule auf.
Kinder mit Problemen im Bereich Hyperaktivität, Umgang mit Gleichaltrigen sowie
Verhaltensproblemen und Schwächen im prosozialen Verhalten haben ein signifikant
höheres Risiko in der zweiten Klasse Volksschule im Lesen aufzuweisen.
- 32 -
Konklusion
Hat ein Kind Schwierigkeiten im Verhalten, so ist es durchaus wahrscheinlich, dass es auch
in der Sprachentwicklung hat und umgekehrt, weist ein Kind Schwierigkeiten mit den
Vorläuferfunktionen von Lesen und Schreiben auf, so ist es notwendig, auch sein Verhalten
genau zu beobachten.
- 33 -
2.
Kinder mit Legasthenie
2.0. Legasthenie / allgemeine Lernschwäche: Einführung
Der zweite Studienteil befasst sich mit Kindern unserer Inanspruchnahmepopulation der
neurologisch-linguistischen Ambulanz, wobei im Projektbericht in Teil 2. Begleit- oder
Folgeprobleme bei Kindern mit Lese-Rechtschreibstörungen beleuchtet werden, in Teil 3. die
Komorbidität bei Kindern mit allgemeiner Lernschwäche. Der folgende Studienteil stellt somit
eine Begleitforschung der neurologisch-linguistischen Ambulanz dar.
In den Jahren 2005/2006 wurden 485 Kinder, welche erstmalig in der NLA vorstellig wurden,
in umfassende Analysen einbezogen. All diese Kinder waren im Pflichtschulalter und wurden
aufgrund von Lernschwierigkeiten vorgestellt.
Von diesen 485 Kindern erfüllten 190 die Kriterien für die Diagnose einer umschriebenen
Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie).
34 dieser
Kinder
hatten eine allgemeine
Lernschwäche, d. h. das Ergebnis für den Gesamtintelligenzquotienten lag zwischen 70 und
84.
Die folgende Tabelle gibt einen ersten Überblick. Wie zu erwarten zeigt sich bei Kindern mit
einer Legasthenie ein deutlich erhöhter Anteil von Buben, bei Kindern mit einer
Lernschwäche ist dieser geringfügig erhöht. Das Durchschnittsalter legasthener Kinder liegt
bei 9;7 Jahren, bei den Kindern mit einer Lernschwäche bei 9;11 Jahren. Hinzuweisen ist auf
eine
gut
durchschnittliche
Intelligenz
der
Kinder
mit
Legasthenie
(IQ = 109), bei den Kindern mit Lernschwächen wird ein Mittelwert von 80 erreicht.
Anzahl
Legasthenie
Lernschwäche
190
34
Buben-Mädchen 76.8% - 23.2%
58.8% - 41.2%
Alter
9;7
9;11
Intelligenz
109
80
- 34 -
Hinsichtlich der Schulform ist festzuhalten, dass ca. 68 % der Legastheniker zum Zeitpunkt
der Erstvorstellung bei uns eine Volksschule besuchten, 22,7 % eine Hauptschule und 7,7 %
eine allgemein bildende höhere Schule.
Der Anteil von legasthenen Kindern, welche zuvor eine Vorschule besucht hatten, liegt bei
28,4 %.
Schulformen
Legasthenie
Lernschwäche
Volksschule
68.5 %
82.4%
Hauptschule
22.7%
14.7%
AHS
7.7%
2.9%
Ehem. Vorschule 28.4%
Erwähnenswert
sind
schließlich
auch
55.9%
signifikante
Unterschiede
hinsichtlich
des
Bildungsgrades der Eltern von legasthenen und lernschwachen Kindern. Hier zeigt sich,
dass offensichtlich unser Angebot für Kinder mit Legasthenie sehr stark von Familien und
Eltern mittlerer und oberer Bildungsschichten wahrgenommen wird. Bei Kindern mit
Lernschwächen hingegen ist der Anteil von Eltern mit Matura oder Universitätsniveau
vernachlässigbar klein.
Ausbildung der Eltern
Zunächst Kinder mit Legasthenie (umschriebene Lese-Rechtschreibstörung) und im
folgenden
Kapitel
Kinder
mit
einer
Lernschwäche
- 35 -
umfassend
beschrieben.
2.1.
Legasthenie und sprachliche Fähigkeiten
(Dr. German Brandstötter)
Einleitung
Legasthenie ist eine biologisch verursachte lebensbegleitende Störung der Entwicklungsfähigkeit des Lesens und Schreibens. Je nach Lebensalter unterschiedlich zeigt sich
Symptomatik besonders augenfällig und stark während der schulischen Laufbahn.
Nach dem Spracherwerb und dem zugrundeliegenden nötigen Erlernen der basalen
Lesefähigkeiten wie Buchstabenkenntnis, Phonem-Graphem-Beziehung, rekodierendem und
synthetisierendem
Lesen
wird
automatisiertes,
schnelles,
sinnerfassendes
Lesen,
Textverständnis und informative, sowohl orthographisch wie grammatikalisch richtige und
flexible schriftliche Sprachproduktion selbstverständlich gefordert und, je höher die
Schulstufe, desto mehr vorausgesetzt. Das Erfassen und Bearbeiten von schriftsprachlichen
Unterlagen spielt im Unterricht und bei der Leistungserhebung sowie beim selbständigen
Lernen eine maßgebliche Rolle als die zentrale Kulturtechnik des schulischen Unterrichts.
So erhalten in der Volksschule im Fach Deutsch zwar 45 % der bei uns vorgestellten
Legastheniker die Note Befriedigend und 70 % eine Note zwischen Sehr Gut und
Befriedigend. Nach der Volksschule finden sich jedoch mehr als die Hälfte der Legastheniker
in der 3. Leistungsgruppe für Deutsch wieder.
Wie stark selbständiges Lesen und Schreiben vorausgesetzt wird, zeigt sich im Fremdspracherwerb. Im Fall von Englisch erhalten in der Hauptschule 75 % der Legastheniker die
Note Befriedigend oder Genügend und 53 % befinden sich in der 3. Leistungsgruppe dieses
Faches.
Diese hier erhobenen Ergebnisse zeigen die besonderen Gefahren für Motivation und
psychische Gesundheit bei legasthenischen Kindern auf, da die intellektuelle Begabung
Noten im oberen Leistungsspektrum erwarten ließe (durchschnittlicher verbaler IQ unserer
Population knapp 112 IQ-Punkte).
Wie wichtig eine differenzierte Leistungsbeurteilung und eine differenzierte Unterrichtung ist,
zeigt sich an folgendem Sachverhalt: Lesen und Rechtschreiben sind neben Sprechen,
Sprachbetrachtung und Textverständnis nur 2 Teile der Gesamtnote des jeweiligen
Sprachfaches sind. Obwohl drei Viertel der Legastheniker Schwierigkeiten beim Lesen seit
der 1. Klasse haben und zwei Drittel beim Schreiben seit Schulbeginn, sind die relativ
schlechten Noten in der Grundstufe 2 oder höher nicht allein dadurch erklärbar. Legasthenie
zeigt sich also nicht nur als eine Störung der Lesefertigkeiten und der orthographischen
Schreibrichtigkeitsfertigkeiten,
sondern
auf
schriftsprachlichen Kompetenz.
- 36 -
den
verschiedenen
Ebenen
der
Eine Beurteilung nach mündlichen und inhaltlichen Aspekten laut Lehrplan erscheint also
umso
wichtiger,
um
der
Begabung
von
Legasthenikern,
die
außerhalb
des
Schriftspracherwerbs liegt, gerecht zu werden. Der Aspekt der Schreib- und Leserichtigkeit
allein soll den Lernerfolg und das Interesse an inhaltlich zu lernenden Punkten ja nicht
behindern (vgl. dazu das Rundschreiben Nr. 32/2001 des Bundesministeriums für Bildung,
Wissenschaft und Kultur zur Leistungsbeurteilung bei lese-/rechtschreibschwachen Kindern).
Diese Arbeit setzt sich mit sprachlichen Fähigkeiten und Vorläuferfähigkeiten, die für die
Schriftsprachkompetenz relevant sind, auseinander, nämlich mit Lexikon und Semantik
(„Wortschatz“),
Syntax
und
Morphosyntax
(„Satzbau“)
Phonologie
und
Perzeption
(„Lautverarbeitung“).
Sprachentwicklung
Jede Schriftsprache ist eine schriftliche Wiedergabe der Lautsprache und baut auf dem
erfolgreichen Erwerb, der grammatikalischen und kommunikativen Fähigkeiten und der
Bewusstheit über den Aufbau der Lautsprache auf. Je defizitärer der Erwerb der Lautsprache
war, desto eher zeigt sich eine Legasthenie; je besser die phonologische Bewusstheit ist,
desto besser entwickeln sich die schriftsprachlichen Fertigkeiten.
Etwas mehr als 4 % der Bevölkerung zeigen Legasthenie und 3 – 5 % der Kinder zeigen
eine spezifische Sprachentwicklungsstörung, wobei vorsichtigen Schätzungen zufolge 60 %
der
sprachentwicklungsgestörten
Kinder
später
schriftsprachliche
Schwierigkeiten
entwickeln; andere Untersuchungen sprechen von bis zu 90 %-igen Anteilen von Kindern mit
späteren Leseschwierigkeiten. Auch in der von uns durchgeführten Prädiktionsstudie von
Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten auf Grund phonologischer Vorläuferfertigkeiten zeigt sich,
dass 47 % der als dysgrammatisch eingestuften Kinder ein erhöhtes Risiko für Lese/Rechtschreibschwierigkeiten
/Rechtschreibschwierigkeiten
hatten.
Betroffenen
Fast
ein
in
unserer
Drittel
der
Population
von
Lese-
berichteten
über
Sprachauffälligkeiten in der engeren Familie.
Der Zusammenhang zwischen spezifischen Sprachentwicklungsstörungen und Legasthenie
dürfte, wie jüngere Forschungen zeigen, ein sehr enger sein. Schon Babys, welche in
Longitudinalstudien beobachtet wurden und später Sprachentwicklungsstörungen bzw.
Legasthenie zeigten, zeigen Defizite bei der automatischen sprachbezogenen auditiven
Signalverarbeitung. Gleichzeitig ließ sich in großen Studien nachweisen, dass die Defizite,
die Kinder mit späteren Sprachentwicklungsstörungen im Lautspracherwerb aufwiesen,
großteils dieselben sind, wie sie spätere Legastheniker zeigen. Dies betrifft vor allem die
Unterscheidung
von
Lautkategorien,
also
- 37 -
die
schnelle
Lautzuordnung
zu
einer
phonologischen Repräsentation, die Größe des Wortschatzes und die durchschnittliche
Äußerungslänge.
Wortschatz
In unserer Studie zeigte sich bei den von uns beschriebenen Legasthenikern ein durchschnittlicher verbaler Intelligenzquotient von 111,6 Punkten, ein nonverbaler IQ von 103, und
ein Gesamt-IQ von 108 Punkten.
Die Höhe des verbalen Intelligenzquotienten beruht vor allem auf Wortschatzfähigkeiten,
indem Wörter im Test durch Synonyme, Beispiele oder andere Begriffe erklärt und
beschrieben werden sollen. Ebenso wird im Bereich der sprachlichen Verarbeitung die
Fähigkeit abgebildet, die lexikalisch-semantischen Repräsentationen ökonomisch ordnen
und strukturieren zu können, also Taxonomien und Hierarchien zu bilden, nicht nur freie
Assoziationen. Ein weiterer beitragender Faktor zum Verbal-IQ besteht in der Fähigkeit,
neben dem schnellen und strukturierten Abruf von Begriffen und Wörtern auch frei
beschreiben zu können (Flexibilität).
Bezüglich der Legastheniker ist im Bereich des Wortschatzes hiermit vor allem auffällig, dass
zwischen den guten mündlichen inhaltlichen Leistungen, wie in den diversen Intelligenztests
belegt, und den schriftlichen Leistungen, die inhaltlich flach oder inadäquat wirken, eine
große Schere klafft.
Abzuleiten ist, dass in der Leistungsbeurteilung somit mündlich vermittelter und überprüfter
Inhalt positiv kompensatorisch zu einer schriftsprachlich determinierten schlechteren
Deutschnote wirken.
Satzbau
Im Bereich der Grammatik fallen den Eltern in der Anamnese im Kleinkindalter bei knapp 40
% der von Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten Betroffenen Satzbildungsschwierigkeiten wie
mangelnde Übereinstimmung, falsche Verbplatzierungen und Auslassung von grammatikalischen Funktionswörtern auf. Dies ist bei 14 % der späteren Legastheniker der Fall.
Diese
Sprachentwicklungsschwierigkeiten
fallen
bei
unserer
älteren
Population
spontansprachlich kaum mehr auf, da sie mündlich großteils kompensiert werden. Der
Mittelwert unserer Gruppe für die Schulstufe beträgt 3,7. Dem Alter nach sind unsere Kinder
im Durchschnitt 10 Jahre alt.
- 38 -
Sprachentwicklungsprobleme fallen tendenziell wieder in der Grundstufe 2 auf, wo
Schwierigkeiten bei Aufsätzen, bei Erzählungen, Nacherzählungen oder Beschreibungen
evident werden.
In früheren Schulstufen wird im Bezug auf die Lese- und Schreibfähigkeiten weniger an
Grammatik gebraucht, da die basale Lese- und Schreibfertigkeit des lauttreuen Schreibens
und des Wiedergebens aus dem orthographisch visuellen Speicher von ganzen Wörtern
erlernt werden muss. Lautsprachliche grammatikalische Schwierigkeiten sind oberflächlich
durch Reihensätze relativ einfach kompensierbar und der Inhalt der Texte ist besser
vorhersagbar und trainierbar als in der 3. u. 4. Kl., genauso wie Phrasen und Formulierungen
(vgl. Verbal-IQ). Ab höheren Schulstufen wird eine noch vorhandene Sprachschwäche am
„flacheren“ Stil erkennbar: Hauptsatzketten, Vermeidungen vom komplexen Sätzen und
Gliedsätzen,
Phrasenwiederholungen,
Wortwiederholungen
und
schematisches
Auswendiglernen von Idiomen, sind signifikant häufiger. Vor allem beim Erlernen von
Fremdsprachen findet sich schematisches Vorgehen oft.
Eine im Lautspracherwerb gelernte gute mündliche grammatikalische Kompetenz schlägt
sich nieder in flexiblerem Gebrauch von Phrasen und Formulierungen, bei erhöhter
grammatikalischer Komplexität einzelner Sätze und besserer Textkohärenz. Kinder mit
erfolgreichem Grammatikerwerb können informative, stilsichere Texte verfassen. Sind sind
beim Lesen und Verstehen komplexer Sätze und Texte schneller und besser in der Lage,
grammatikalisches Wissen für das vorausschauende Lesen und die Sinnentnahme zu
nützen.
All
dies
steht
Legasthenikern
mit
teilkompensierten
Sprachentwicklungsschwierigkeiten auf grammatikalischer Ebene nicht zur Verfügung.
Kinder mit Legasthenie sind informationsverarbeitend höher belastet, da sie sich beim
Aufsatzschreiben auf die defizitären basalen schriftsprachlichen Fertigkeiten konzentrieren
müssen, wo sie einen geringeren Automatisierungsgrad erreicht haben, also Wörter
orthographisch richtig zu schreiben und den eigenen Text immer wieder lesen und merken,
was naturgemäß mit Zeitverlust einher geht. Für komplexe Grammatik oder für genaue
morphologische Kongruenz, noch dazu z.B. in der in der gesprochenen Sprache kaum
vorkommenden Mitvergangenheit, bleibt kaum Zeit.
Lautverarbeitung
Auf der Ebene der Lautverarbeitung geben die Eltern an, dass als Kleinkinder ca. 30 % der
Legastheniker in der Aussprache auffällig gewesen seien. Ca. 40 % hatten oder haben logopädische Behandlung.
Hinsichtlich der phonologischen Verarbeitung spielen die Größe des Kurzzeitspeichers und
die Geschwindigkeit des Zugriffs auf im Langzeitgedächtnis gespeicherte phonologische
- 39 -
Repräsentationen von Wörtern und Lauten eine große Rolle. Hinsichtlich des Tempos, des
schnellen Gedächtnisabrufs, sind so nur 8 % der Legastheniker bei den Schnellsten.
Insgesamt sind Legastheniker bzgl. ihrer individuellen Begabung unterdurchschnittlich bei
der zeitlich begrenzten Verarbeitung von Information, bei der Zwischenergebnisse und
Ergebnisse gespeichert und weiterverarbeitet werden müssen. Diese Fähigkeit spielt gerade
beim Schreiben eine große Rolle. Wenn ein Wort gehört und geschrieben werden soll, muss
das ganze Wort getrennt von den umgebenden Wörtern erfasst und phonetischphonologisch analysiert sowie seine Bedeutung aktiviert werden. Im Prozess des Schreibens
muss nach der Worterkennung das Wort in Sprechsilben und Laute zerlegt werden und
müssen diese Laute, welche sicher wahrgenommen werden müssen, mit den korrelierenden
Buchstaben verknüpft werden und die Buchstabenfolgen in schreibmotorische Bewegungen
übersetzt werden. Es ist also nötig, dass schnell mehrere Repräsentationsebenen von
Wörtern und Lauten aktiviert und zeitlich gestaffelt und automatisiert verarbeitet werden.
Dazu sind vor allem die Fähigkeiten der Lautverarbeitung bei jüngeren Kindern in der
Einschulungsphase relevant (phonologische Bewusstheit).
Die Fähigkeiten der phonologischen Verarbeitung und der phonologischen Bewusstheit
werden mit dem Alter und zunehmender Lese- und Schreiberfahrung immer besser, insofern,
als Kinder, die gute phonologische Bewusstheit haben, später auch bessere schriftsprachliche Fähigkeiten haben werden und Kinder mit guten schriftsprachlichen Fähigkeiten
eine immer bessere phonologische Bewusstheit entwickeln werden. Insofern unterstützen
der schriftsprachliche Erwerb und die Strukturierung durch die Schriftsprache auch die
lexikalische Repräsentation von Wörtern.
Gute Lautanalysefähigkeiten, Lautverarbeitungsfähigkeiten, phonologische Bewusstheit,
auditive Merkfähigkeit und phonologisches Arbeitsgedächtnis unterstützen die Kinder bei der
Laut-/Buchstabzuordnung, beim Lesen, wo schneller Wortzugriff sowohl lautlich als auch
semantisch notwendig ist und bei der stabilen Verknüpfung von visueller und lautlicher
Repräsentation. Gerade diese Verknüpfung von visuell-orthographischer und phonologischer
Regularität ist bei Legasthenikern wie in rezenten fMRI-Studien nachgewiesen wurde,
defizitär.
Zusammenfassung
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Schriftsprachentwicklung und Sprachentwicklung stark
verzahnt miteinander einhergehen und kaum getrennt voneinander zu betrachten sind.
Sprachliche Entwicklungsschwierigkeiten fallen oft erst wieder beim Erlernen der Schriftsprache auf. Gerade bei Legasthenikern besteht eine auffallend große Schere zwischen der
guten bis sehr guten inhaltlichen Begabung und den schwachen schriftsprachlichen
- 40 -
Leistungen. Gerade deshalb sollte der jeweils inhaltliche Aspekt des Lehrplans bei nachweislicher Störung Priorität über dem formalen Aspekt der Schreibrichtigkeit haben. Dass dem
noch nicht so ist, zeigt die Benotung. Legasthenische Kinder und Kinder mit
Legasthenierisiko aus unserer Kohorte haben zu 31 % bereits eine Klasse wiederholt; knapp
15% werden nach Sonderpädagogischen Lehrplan unterricht.
Zur Beurteilung, ob es sich um eine Legasthenie oder um eine allgemeine Verzögerung
handelt, genügt es nicht, sich auf Screenings zu verlassen. So zeigte das Salzburger
Lesescreening, welches mit Hilfe des Lesetempos screent, bei unserer Kohorte nur in zwei
Drittel der Fälle eine Zuweisung zur richtigen Gruppe.
Gerade im Deutschen zeigt sich Legasthenie oft im Bereich einer Störung des
orthographischen Schreibens, in der so genannten isolierten Rechtschreibstörung. So zeigte
sich in unserer Population in 34 % der Fälle eine Lese- und Rechtschreibstörung
(Legasthenie) und in 12,5 % der Fälle eine isolierte Rechtschreibstörung, nur 2 % der Fälle
zeigten eine isolierte Lesestörung.
Lesen und Schreiben sollen also sowohl im Unterricht und der Förderung, bei der
Leistungserhebung als auch bei der Anwendung und Interpretation von Tests getrennt
betrachtet werden.
Das inhaltliche Interesse an Fächern sollte nicht durch mangelnde Erklärungen durch den
übermäßigen Einsatz von schriftsprachlichen Materialien und durch den Einsatz von nicht
mündlichen Prüfungen erlahmen.
- 41 -
2.2.
Legasthenie und Lernen
(Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz)
Spezifische Lernfaktoren und ihre Auswirkungen
Als erfassbare spezifische Lernfaktoren werden im Folgenden objektive Daten sowie Selbstund Fremdbeurteilungsinformationen bezüglich des Arbeitsgedächtnisses und der Arbeitsgeschwindigkeit zusammengefasst.
2.2.1. Arbeitsgedächtnis
Ein weit verbreitetes Modell zu diesem Konstrukt ist von Baddeley & Hitch (2000)
Es geht davon aus, dass die kurzfristige Behaltensleistung durch zwei Inputsysteme
moderiert wird: ein phonologisches, das über den auditiven Kanal operiert sowie ein
visuelles. Als 3. Inputebene wird ein episodischer Puffer genannt, der größere Einheiten
abspeichern soll. Organisiert werden sollen die Ebenen durch die sogenannte zentrale
Exekutive.
Das Konstrukt des Arbeitsgedächtnisses stellt den Versuch dar, kurzfristiges Lernen und
Unterschiede bei Menschen in dieser Funktion zu beschreiben und zu erklären.
Für das Lernen ist das unmittelbare Einspeichern verschiedenster Information weg-weisend,
je umfangreicher die Information, die einmal dargeboten wird, desto höher die
Behaltensleistung und Integration in das Langzeitgedächtnis (Anbinden an bereits
vorhandene Information).
- 42 -
In der Studie „Besondere Lerner“ wurden isoliert visuelle und auch phonologische
Kurzzeitspeicheraufgaben durchgeführt.
Während das seriell-visuelle Gedächtnis bei Legasthenikern im Vergleich mit der
Normpopulation völlig unauffällig ist (gemessen über die Aufgabe „KNOX“-Würfeltest)
schneiden die Legastheniker im Vergleich zur Normpopulation bezüglich des phonologischen Kurz- und Arbeitsspeichers deutlich schlechter ab. Der Unterschied zwischen der
durchschnittlichen
allgemeinen kognitiven
Leistungsfähigkeit
und
der
Leistung
der
Legastheniker bei Aufgaben zum phonologischen Arbeitsspeicher ist statistisch bedeutsam
(1 Standardabweichung).
Einschätzungen
von
Eltern
und
Lehrer
der
Arbeitsgedächtnisleistungen
„ihrer“
Legastheniker, erhoben durch den BROWN-Fragebogen, ergibt, dass bei den Beurteilern
diese besondere Schwäche häufig auffällt – den Eltern noch häufiger als den Lehrern.
2.2.2. Arbeitsgeschwindigkeit
Kinder, die eine geringere Arbeitsgeschwindigkeit aufweisen, brauchen bei schulischen
Aufgaben sowie bei den Hausaufgaben länger. Auf der Übungsebene bedeutet dies, dass
sie in derselben Zeit wie andere Kinder weniger Übungen machen und dadurch über die Zeit
einen
erheblichen
Übungsrückstand
aufweisen.
Unsere
Frage
war,
wie
die
Arbeitsgeschwindigkeit bei Legasthenikern im Vergleich zu ihrer allgemeinen kognitiven
Leistungsfähigkeit abschneidet.
Überprüft mit der „Symbolsuche“ aus einem Intelligenzdiagnostikum, wurde die visuelle
Arbeitsgeschwindigkeit / visuelle Erfassung erhoben. Es zeigt sich, dass bei Legasthenikern
wiederum ein statistisch bedeutsamer Unterschied zwischen visueller Arbeitsgeschwindigkeit
und allgemeiner kognitiver Leistungsfähigkeit (IQ) zu finden ist.
Dies zeigt, dass Kinder mit einer Legasthenie nicht nur, wie häufig beschrieben wird, eine
langsamere Schreibgeschwindigkeit aufweisen, sondern auch eine insgesamt etwas
langsamere Arbeitsgeschwindigkeit.
Aus Einschätzungen der Eltern, die sie in Form von Fragebögen an uns abgeben, zeigt sich,
dass bei über einen Drittel der Legastheniker ihre Schreibgeschwindigkeit als langsam
eingestuft wird. Das allgemeine Arbeitstempo wird bei einem Viertel der Legastheniker durch
ihre Eltern als verlangsamt eingestuft.
- 43 -
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass überdurchschnittlich viele Legastheniker
Defizite in der akustischen kurzfristigen Speicherung aufweisen, während der visuelle
Speicher unbeeinträchtigt ist. Die messbar geringere Arbeitsgeschwindigkeit wirkt sich auf
das Lesen, Schreiben und auf die Dauer von Lernsituationen aus.
Welche Auswirkungen zeigen sich dadurch?
Außenanamnestische Daten von Eltern und Lehrern zeigen auf, dass bei 90 % der
Legastheniker im Volksschulalter Unterstützung bei den Hausübungen notwendig ist,
bei der Hälfte etwa ist ein ständiges Dabeisitzen gefordert. Auch sind Auswirkungen auf die
Hausaufgabendauer zu beobachten: bei etwa einem Drittel der Volksschüler mit einer Lese/Rechtschreibstörung und durchschnittlicher Begabung wird mehr als 1 Std. für die
Hausübung täglich investiert – ohne Lernen.
Häufig stellt die Hausaufgabensituation bei Kindern mit einer Legasthenie die Hausaufgabensituation ein hohes Konfliktpotential dar. 80 % der Volksschüler mit LRS und immerhin
noch zwei Drittel der Schüler Sekundarstufe beschreiben die Hausübungssituation als
„täglichen Kampf“.
Die bereits belastende Schriftsprachentwicklung der Legastheniker muss häufig noch außerschulisch mit Therapie belastet werden. Beinahe jeder zweite Legastheniker nimmt
zusätzliche Förderungen im Ausmaß von 1 – 2 Stunden pro Woche in Anspruch.
2.2.3. Welche Ableitungen lassen sich aus diesen Information machen?
Bei vielen Kindern mit einer Lese-/Rechtschreibstörung dienen viele (mündliche) Wiederholungen als kompensatorischer Prozess gegenüber dem eingeschränkten phonologischen
Arbeitsgedächtnis. Zusätzlich können visuelle Hinweisreize wie z.B. die Verwendung von
Farben, von Skizzen oder Mind Maps eine gute Unterstützung darstellen. Das verlangsamte
schriftliche
Lernen
(Abschreiben)
wird
häufig
durch
das
geringere
Arbeitstempo
beeinträchtigt – Quantität (Wiederholungen) kann durch mündliches Üben erreicht werden.
- 44 -
2.3.
Legasthenie und ADHS
(Dr. Anna Dirmhirn)
Definition und Diagnosekriterien von AD(H)S
Bei ADHS treten 3 Hauptsymptome in unterschiedlicher Ausprägung und Zusammensetzung
auf, nämlich eine Aufmerksamkeitsstörung, verstärkte Impulsivität und motorische Unruhe
(Hyperaktivität).
Ein Kind mit Aufmerksamkeitsschwäche ist ablenkbar und nicht bei der Sache. Dem Kind
unterlaufen häufig Flüchtigkeitsfehler, es beachtet Einzelheiten nicht, es hat Schwierigkeiten,
längere Zeit bei einer Aufgabe oder bei einem Spiel zu bleiben, es wechselt statt dessen
häufig von einer Aktivität zur nächsten. Es scheint oft nicht zuzuhören und die Aufträge
anderer werden häufig nicht vollständig durchgeführt. Es hat Schwierigkeiten, Aufgaben und
Aktivitäten zu organisieren, es vermeidet häufig oder beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die länger dauernde geistige Anstrengung erfordern, es verliert häufig Gegenstände,
die es für Aufgaben oder Aktivitäten braucht. Es ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
Diese Aufmerksamkeitsschwäche ist besonders dann zu sehen, wenn die Kinder nicht nach
eigenen, sondern fremden Regeln spielen sollen, wenn eine Aufgabe für das Kind nicht mehr
neu und interessant ist oder wenn das Kind die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum selbständig steuern muss, d.h. in Situationen, wo nicht genau vorgegeben ist, was es
machen soll.
Motorische Unruhe äußert sich in Herumzappeln mit Händen und Füßen oder Herumwetzen
auf dem Sessel. Ein betroffenes Kind kann auch in Situationen, in denen Sitzenbleiben
erwartet wird, auf-stehen und herumgehen bzw. kann auch exzessiv herumklettern und
umtriebig sein.
Bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auch auf ein subjektives Gefühl der inneren
Unruhe beschränkt bleiben. Häufig bestehen Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich bei
Freizeitaktivitäten ruhig zu betätigen. Das Kind wirkt häufig wie getrieben oder spricht auch
übermäßig viel.
Impulsivität, d.h. „unbedacht drauf los“. Das Kind kann nur schwer warten, bis es an die
Reihe kommt. Es platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
Es unterbricht und stört andere häufig.
Diagnosekritierien nach ICD 10: diese Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsregulierung,
der Impulskontrolle und der Aktivität tritt in einem Ausmaß auf, das dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes nicht entspricht und aktuell zu Beeinträchtigungen in mindestens
- 45 -
2 Lebensbereichen des Kindes führt. Es ist gefordert, dass die Verhaltensmerkmale länger
als 6 Monate bestehen und einige Symptome bereits vor dem 7. Lebensjahr beobachtbar
waren.
Ferner müssen andere Entwicklungsstörungen oder Umgebungsfaktoren ausgeschlossen
werden, die diese Symptome erklären würden, z.B. ein deutlicher Entwicklungsrückstand
bzw. Überforderung, eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, der Verlust von Bezugspersonen etc.
Nach DSM 4 werden 3 Untergruppen unterschieden: erstens der Mischtyp, bei dem Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gleichermaßen stark ausgeprägt sind (ADHS),
zweitens der vorwiegend unaufmerksame Typ, bei dem eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung besteht, während Überaktivität und Impulsivität weniger deutlich ausgeprägt sind
(ADS), drittens der hyperaktiv-impulsive Typ, bei dem Hyperaktivität und Impulsivität deutlich
in Erscheinung treten, eine Aufmerksamkeitsstörung aber nur geringgradig ausgeprägt ist.
Diagnosefindung: in einer Anamnese ist zunächst das aktuelle Problem bzw. die Fragestellung zu klären, ferner ist die Vorgeschichte in Bezug auf Entwicklung (motorisch, sprachlich, psychosozial, Spielverhalten, Sauberkeit etc.), Lernen und medizinische Vorgeschichte
genau zu erheben. Zur Einschätzung des Schweregrades, der Symptomatik, eignen sich
Fragebögen für Eltern und Lehrer, bei Jugendlichen auf Fragebögen zur Selbstbeurteilung.
Weiters muss ein differenziertes Begabungsprofil erhoben, die schulischen Leistungen überprüft werden (z.B. Lese- und Rechtschreibtest, Rechentest). Der motorische und neurologische Status wird überprüft, ebenso Aufgaben zur Hör- und Sprachverarbeitung.
Spezifische Aufmerksamkeitstests sowie fakultativ EEG und Laboruntersuchung zum Ausschluss anderer medizinischer Ursachen. Wichtig ist auch eine Beobachtung des Kindes in
der Untersuchungssituation sowie ein klinisches Interview mit Fokus auf Aufmerksamkeit,
Arbeitstempo, Selbstorganisation, Befindlichkeit, Umgang mit Anderen, um den Schweregrad der Beeinträchtigung des Kindes in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit oder seine
sozialen Beziehungen einschätzen zu können und um andere Ursachen auszuschließen.
Generell ist festzuhalten, dass sich Unaufmerksamkeit in erster Linie auf die Leistungsfähigkeit auswirkt, während Hyperaktivität und Impulsivität stärker in den sozialen Beziehungen
ihren Niederschlag finden.
Ergebnisse
Die Frage Aufmerksamkeitsstörung wurde von 48,5 % der Eltern vorgebracht und formuliert,
die Diagnose ADS bzw. ADHS wurde bei 27 % unserer Gesamtstichprobe gestellt (bei 130
von 485 Kindern). Bei Kindern mit Legasthenie wurde die Diagnose in 21 % gestellt (bei 41
von 190 Kindern). Betrachtet man nun die Daten der Kinder mit Legasthenie, so ist
- 46 -
festzustellen, dass im Fremdbeurteilungsbogen zum Hyper-kinetischen Syndrom (FBB-HKS)
knapp zwei Drittel der Eltern zu einem unauffälligen Beschreibungsresultat kommen (64,4 %)
und knapp drei Viertel der Lehrer (74,5 %). Hyperaktivität / Impulsivität beschreiben nach
DSM 4 Forschungskriterien 7,4 % der Eltern und 7,2 % der Lehrer als auffällig (mind. 6 von 9
Symptome treffen zu). Eine Störung der Aufmerksamkeit nach DSM 4 Kriterien (mind. 6 von
9 Symptomen treffen zu) beschreiben insgesamt 33,9 % der Eltern und 21,8 % der
Lehrerbeurteilungsbögen, dabei wird eine isolierte Störung der Aufmerksamkeit, ohne dass
die Kriterien für Hyperaktivität und Impulsivität erfüllt werden, bei 28,2 % der Elternangaben
und 18,2 % der Lehrer-beurteilungen sichtbar. D.h., in unserer Stichprobe überwiegt der
vorwiegend unaufmerk-same Typ. Buben werden prozentual gesehen häufiger als Mädchen
als auffällig beschrieben.
In den ADD Skalen nach BROWN liegt der Gesamtscore in 32,6 % der Elternbeurteilungen
und 25,3 % der Lehrerbeurteilungen über einem T-Wert von 60. In den BROWN-Skalen
werden Buben und Mädchen von Eltern und Lehrern etwa gleich häufig als auffällig
beschreiben.
Was bedeutet die Kombination + AD(H)S im Schulalltag? Kinder mit ADHS gehen oft
weniger strukturiert und strategisch an Aufgaben heran, daher ist z.B. regelgeleitetes
Rechtschreibtraining oft weniger erfolgreich. Durch diese Unaufmerksamkeit wird die
Sinnentnahme beim Lesen oft erschwert, beim Verfassen von Texten verlieren sie leichter
den „Roten Faden“, Schwächen im Arbeitsgedächtnis wirken sich häufig verstärkt aus.
Kinder mit Legasthenie haben bereits häufig eine verminderte akustische Erfassungsspanne,
Kinder mit ADHS verinnerlichen das Gehörte weniger und es fällt ihnen schwerer,
Informationen kurzfristig präsent zu halten. Dieser Additionseffekt bildet sich in der Subskala
Gedächtnis in den BROWN Skalen, sowohl im Eltern- als auch im Lehrerurteil ab.
Die mittleren T-Werte sind bei der Skala Gedächtnis am höchsten in der Gruppe der Kinder,
die eine Lese- und Recht-schreibstörung + ADHS haben bzw. ist jeweils am niedrigsten in
der Gruppe, bei der weder die Diagnose ADHS noch Lese-/Rechtschreibstörung gestellt
wurde (s. Tabelle BROWN-Skala Gedächtnis aus Elternurteil und Lehrerurteil).
Die Probleme, die sich aus der Lese-/Rechtschreibstörung und aus der Aufmerksamkeitsproblematik ergeben, verstärken sich gegenseitig und führen zu einer Multiplikation der
Schwierigkeiten, daher ist es wesentlich, die Aufmerksamkeitsstörung adäquat zu beachten
und zu behandeln.
Empfehlungen: bei sehr unorganisierten Kindern geben Routinen, Rituale und fixe Abläufe
einen Rahmen. Ein fixer Sitzplatz mit nicht zu hohem Ablenkungspotential ist hilfreich
(Gruppentische bewähren sich oft weniger gut). Strukturierungshilfen bei Freiarbeiten sind oft
notwendig, z.B. nonverbale Signale, die ans Weiterarbeiten erinnern. Aufgrund der
- 47 -
Schwächen im Arbeitsgedächtnis ist es empfehlenswert, Hausaufgabenhefte führen zu
lassen, wichtige Arbeitsschritte an die Tafel zu schreiben sowie häufig Checklisten einzusetzen, wenn mehrere Aufgaben zu erledigen sind. Kürzere Arbeitsblöcke mit überschaubaren Zielen ermöglichen Erfolgserlebnisse. Es ist sehr wichtig, unmittelbar und häufig
positive Rückmeldungen über erwünschtes Verhalten zu geben. Bei mittelgradiger oder
schwerer Ausprägung des ADHS sollte eine medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien
überlegt werden, dies bringt gerade in der Lernsituation oft eine große Entlastung.
- 48 -
2.4.
Legasthenie und Motorik
(Dr. Anna Dirmhirn)
In den anamnestischen Daten gaben 37 % der Eltern an, dass ihre Kinder im Kindergartenalter nicht gerne zeichneten. 25 % hatten Probleme beim Basteln, 37 % gaben ein langsames Schreibtempo an. Bei 25 % war die Stifthaltung verkrampft. Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde bei 4,2 % der Kinder mit Legasthenie eine Entwicklungsstörung motorischer
Fertigkeiten diagnostiziert, diese Kinder haben alltagsrelevante Schwierigkeiten im Bereich
der Grob-, Fein- und Graphomotorik. Bei 7,4 % der Kinder bestanden motorische Schwierigkeiten in einem dieser Bereiche, leichte motorische Auffälligkeiten fanden sich insgesamt bei
knapp der Hälfte der Kinder (47 %).
Daten aus der Zürcher Neuromotorik: dieses ist ein standardisiertes Verfahren mit Normen
für Kinder und Jugendliche von 5 – 18 Jahren, bei dem das motorische Tempo (Bewegungsgeschwindigkeit) und die Bewegungsqualität (Zahl der Mitbewegungen) beurteilt werden.
Bei rein motorischen Leistungen (das sind repetitive Hand-, Fuß- und Fingerbewegungen)
sowie alternierende Fuß- und Handbewegungen sowie sequenzielle Fingerbewegungen,
waren 25,7 % der Kinder mit Legasthenie mind. 1 ½ Standardabweichungen unterhalb des
Durchschnitts (unter PR 7). Bei feinmotorisch adaptiven Leistungen (Steckbrett) waren dies
14,5 %, in der dynamischen Balance (grobmotorisch adaptive Leistungen) 26,3 %, in der
statischen Balance (Gleichgewicht im Einbeinstand) 10,7 %.
Betrachtet man die Zahl der auffälligen Komponenten der Zürcher Neuromotorik, so liegt bei
26 % der getesteten Kinder eine Komponente unterhalb von Prozentrang 7, bei 14,6 % sind
es 2 Komponenten, bei 6,7 % 3 Komponenten, bei 0,7 % alle 4 Komponenten. Bei 52 % der
Kinder liegen alle 4 Komponenten oberhalb von Prozentrang 7, d.h. innerhalb von 1 ½
Standardabweichungen.
Fazit: ein Viertel der Kinder mit Legasthenie hat eine langsamere motorische Verarbeitungsgeschwindigkeit. Auffälligkeiten in der Graphomotorik sind relativ häufig (ein Viertel der
Kinder gibt ein langsames Schreibtempo an oder zeigt eine verkrampfte Stifthaltung).
Zeitdruck verschärft die Probleme, daher ist es wichtig, mehr Zeit zu geben.
Bei bestehenden graphomotorischen Schwierigkeiten ist ab der 3. oder 4. Klasse Volksschule ein Maschinschreibtraining sinnvoll, sofern ein Kind gut begabt ist und Ressourcen
hat. Ziel wäre, in der Sekundarstufe das Maschinschreiben zum Schreiben längerer Texte
benützen zu können. Bestehen in der Sekundarstufe weiterhin große Tempoprobleme beim
Schreiben und sind die Mitschriften zum Lernen nicht nutzbar, da sie unvollständig und/oder
stark fehlerhaft sind, so ist eine Entlastung wichtig. In manchen Fächern sollten Kopien
ermöglicht werden und es sollte eine gute mündliche Mitarbeit eingefordert und ermöglicht
- 49 -
werden. Schwächen in der Grobmotorik werden von den Eltern häufig weniger wahrgenommen, stellen aber insbesondere für Buben in der Gleichaltrigengruppe ein Imageproblem
dar.
- 50 -
2.5.
Legasthenie und psychosoziale Faktoren
(Dr. Johannes Fellinger)
Ziel dieses Studienteils ist ein vertieftes Verständnis von Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten zu erlangen und besonders auch Begleit- und Folgeprobleme zu evaluieren.
Methodik
Die Untersuchungsberichte von 485 Kindern mit Lernschwierigkeiten die im Schuljahr
2005/2006 erstmalig an der neurologisch-linguistischen Ambulanz des Krankenhauses der
Barmherzigen Brüdern vorgestellt worden waren, wurden multidimensional untersucht.
Zur Erfassung der psychosozialen Leidensbelastung wurde wiederum der StärkenSchwächen
Fragebogen
von
Robert
Goodman
angewandt
und
zwar
in
der
Fremdbeurteilungsform für Eltern und Lehrer und in der Selbstbeurteilungsform für Kinder
über einem Alter von 11 Jahren.
190 Kinder waren von einer Lese-/Rechtschreibstörung betroffen, davon 76,8 % Buben, 23,2
% Mädchen, Durchschnittsalter 9,7 Jahre, durchschnittliche Intelligenz 109.
Im Teil A werden nun die Daten dieser Kinder näher vorgestellt.
Ergebnisse
Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte
im SDQ im Vergleich zu Normstichproben mit Ausnahme
von Problemen mit Gleichaltrigen (Elternurteil)
B uben und Mädchen Linz
Buben und Mädchen England
14,00
12,00
10,00
8,00
6,00
4,00
2,00
alt
en
e
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bl
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a
tp
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G
Em
ro
bl
em
w
er
em
t
e
-
Eltern-SDQ
- 51 -
Nach Elternurteil haben Kinder mit LRS signifikant höhere Problemwerte im SDQ im
Vergleich zu Normstichproben mit Ausnahme von Probleme mit Gleichaltrigen. Hier sahen
Eltern keine spezifischen Probleme.
Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte
im SDQ im Vergleich zu Normstichproben in allen
Subskalen (Lehrerurteil)
Bube n Linz
Buben England
12,00
10,00
8,00
6,00
4,00
2,00
alt
en
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m
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b
le
m
w
Pr
ob
le
er
t
m
e
-
Lehrer-SDQ
Im Lehrerurteil wurden in allen Subskalen höhere Problemwerte festgestellt, am deutlichsten
im Bereich Hyperaktivität.
Sowohl
Lehrer
als
auch
Eltern
sehen
bei
Mädchen
keine
externalisierende
Verhaltensauffälligkeiten. Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen sind zwar bei LRS
betroffenen Kindern nach Lehrerurteil deutlich, erreichen aber, wenn man sie getrennt
betrachtet, nicht das Signifikanzniveau.
Kinder mit LRS haben signifikant höhere Problemwerte
im SDQ im Vergleich zu Normstichproben in allen
Subskalen (Selbsturteil)
Buben und Mädc hen Linz
Buben und Mädc hen England
16,00
14,00
12,00
10,00
8,00
6,00
4,00
2,00
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w
Pr
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t
m
e
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Selbst-SDQ
Im Selbsturteil haben Kinder mit LRS signifikant höhere Problemwerte im SDQ im Vergleich
zu
Normstichproben.
Bei
Selbsteinschätzung
erreichen
die
Problemwerte,
was
Verhaltensauffälligkeiten und Hyperaktivität betrifft bei Mädchen nicht das Signifikanzniveau.
- 52 -
Bei Buben erreichen die Hyperaktivitätsprobleme nicht das Signifikanzniveau in der
Selbsteinschätzung.
Problembereiche (diskrepant)
Stichprobe LRS
Eltern vs. Lehrer vs. Selbst
6%
4,72%
4,38%
4%
4,32%
3,21%
2,82%
2,61%
2,29%
2%
1,92%
2,08%
1,82%
1,36%
Eltern
Lehrer
Selbst
1,61%
ch
al
tr
ig
e
gl
ei
ve
rh
al
te
n
em
ot
io
na
l
0%
Auffällig ist, wie stark die Eltern-, Lehrer- und Selbsturteile übereinstimmen. Die Korrelation
zwischen Eltern- und Lehrerurteil ist sogar deutlich höher als in der englischen
Normstichprobe. Das bedeutet, dass sowohl Eltern, als auch Lehrer relativ sensibel für die
Probleme des Kindes sind und in ihrer Einschätzung auch der emotionalen Komponenten
übereinstimmen.
Am sicherlich auffälligsten ist die hohe Problembelastung in der Selbsteinschätzung. Hier
würden in der Durchschnittsbevölkerung niedrigere Problemwerte erwartet werden.
Zusammenfassung
Wenn man die Cut-Off Werte für diesen Stärken- Schwächenfragebogen für Auffälligkeiten
betrachtet, also Problemverhalten im engeren Sinn, sowohl im Sinne einer emotionalen
Problematik (Somatisierungsprobleme), Verstimmungen, Angst, als auch im Sinne einer
externalisierenden Problematik (Verhaltensprobleme im Sinne von Überschreiten von
Grenzen und Hyperaktivität), so gibt sich eine doppelt so hohe Auffälligkeitsrate aus Elternund Lehrersicht im Vergleich zur Durchschnitts-bevölkerung.
Im Selbstrating wird der kritische Problemwert 2 ½ x so häufig überschritten.
- 53 -
3. Kinder mit allgemeiner Lernschwäche
3.1.
Lernschwäche und sprachliche Fähigkeiten
(Dr. German Brandstötter)
Einleitung
Lernschwache Kinder lassen sich charakterisieren durch schwächere Leistungen in allen
Fächern, durch nötige öftermalige Wiederholung von Inhalten und Lerninhalten, durch mehr
Lernschritte und durch Zerlegung von Inhalten in kleiner, besser fassliche Einheiten, sowie
durch geringere Kompensationsmöglichkeiten was die Einspeicherung, Merkfähigkeit und
Strukturierung des Wissens betrifft. Es bestehen im Unterschied zu Legasthenikern keine
besonderen Unterschiede zwischen schriftlichen und mündlichen Leistungen. Insgesamt
lassen sie sich beschreiben, indem zu sagen ist, dass die kognitiven Ressourcen global in
ziemlich homogener Weise reduziert sind.
Sprache und Kognition
Im Zusammenhang mit Sprachentwicklungsstörungen zeigt sich bei einem Vergleich in
longitudinaler Form von 7 – 14-Jährigen, dass spezifisch sprachentwicklungsgestörte Kinder
und Jugendliche mit zunehmendem Alter zum nonverbalen IQ Lernschwacher tendieren, d.h.
auch wenn der „Start-IQ“ relativ hoch war, so sinkt er durch die Sprachentwicklungsstörung
auch im nonverbalen Bereich ab. So sind z.B. bereits im Alter von 11 Jahren von vorher
nonverbal „normalen“ Kinder nun 1/3 im unterdurchschnittlichen Intelligenzbereich zu
identifizieren. Sprachfähigkeit und Kognition interagieren also stark.
In unserer Studie zeigten die als lernschwach definierten Kinder einen verbalen IQ von 86
und einen nonverbalen IQ von 79,6.
Im Vergleich von relativ jungen sprachentwicklungsgestörten Kindern zu lernschwachen
Kindern
mit
Verzögerungen
in
der
Sprachentwicklung
zeigen
sich
signifikante
Minderleistungen der Lernschwachen im Alter von 5 – 6 Jahren, wenn diese zusätzlich eine
Sprachentwicklungsstörung hatten, vor allem in den Bereichen der rezeptiven und
produktiven Grammatik, beim aktiven Wortschatz und in der Phonemdifferenzierung.
Anamnese
Bei unseren lernschwachen Kindern gaben in der Anamnese 17,6 % der Eltern auch die
Sprachentwicklung als Untersuchungsanliegen an.
Nach ihren Beobachtungen haben 50 % der Kinder im Bereich der Aussprache und
Lautbildungsschwierigkeiten gehabt, 38 % im Wortschatz, 35 % in der Grammatik und 70,6
- 54 -
% beim Sprachverständnis. Im Vergleich mit den anderen Kindern erhielten lernschwache
sprachentwicklungsgestörte Kinder bereits ab 5 Jahren, also früher und öfter, Logopädie. 70
% von ihnen hatten oder haben logopädische Therapie. Wie Schöler &al.(2003) zeigte,
erhalten Lernschwache mit Sprachentwicklungsstörungen auch früher und häufiger
Ergotherapie und Mototherapie als andere Kinder.
Schule
In Bezug auf das Erlernen des Lesens und Rechtschreibens gaben 59 % der Eltern an, dass
Mängel vor allem beim sinnverstehenden Lesen bestünden. In der gesamten untersuchten
Gruppe waren dies „nur“ 33 %.
Die Mängel beim Lesen, sinnentnehmenden Lesen und Rechtschreiben sind bei lernschwachen Kindern am stärksten ausgeprägt und fallen bereits früher, nämlich schon beim
Schuleintritt, auf.
Bezüglich der Notengebung unterscheiden sich Lernschwache nicht maßgeblich von
Legasthenikern. Die lernschwachen Kinder erhielten zu einem Drittel die Note Genügend in
Deutsch, Legastheniker zu einem Viertel. In Englisch erhielten 80 % der lernschwachen
Kinder die Note Befriedigend oder Genügend, von den Legasthenikern 75 %.
Lautverarbeitung
Im Bereich der Lautverarbeitung, insbesondere beim phonologischen Arbeitsgedächtnis bzw.
beim verbalen Arbeitsgedächtnis, zeigen drei Viertel der lernschwachen Kinder Probleme
beim Erfassen und Umsetzen mehrgliedriger Aufträge in der Anamnese.
Bei der zeitlich begrenzten Verarbeitung von Information mit Zwischenergebnis- und
Endergebnisspeicherung (auditive Merkspanne und Arbeitsgedächtnis) zeigte sich keine
Diskrepanz zur allgemeinen intellektuellen Entwicklung.
Bei der Lautanalyse und Lautsynthese und beim dichotischen Hören zeigten sich einige
Subtests als zu schwierig, andere als zu einfach.
Ohne qualitative Analyse dieser Tests werden Kinder mit Lernschwäche oft in der Schule
den Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten gleichgestellt, haben aber wesentlich
schlechtere Lernvoraussetzungen, denn im Vergleich liegt der verbale IQ der lese- und
rechtschreibgestörten Kinder unserer Kohorte um beinahe 2 Standardabweichungen
darüber.
Lese- und Rechtschreibtests
Bezüglich der Lese- und Rechtschreibtests zeigt sich, dass nur einzelne Subtests die
Gruppen
von
spezifische
lese-/rechtschreibgestörten
- 55 -
Kindern
und
lernschwachen
differenzieren können. So machten lernschwache Kinder wesentlich mehr nicht-lauttreue
Fehler, also Fehler in der Buchstabenkenntnis.
Bezüglich des Lesens ist das sinnentnehmende Lesen bei lernschwachen Kindern wesentlich stärker betroffen. Immerhin sind etwas mehr als ein Drittel der lernschwachen Kinder
jedoch im Salzburger Lesetest unter den schlechtesten 10 % bei der Sinnentnahme.
Auch hier sollte man sich nicht rein auf das Salzburger Lesescreening verlassen, die lernschwachen Kinder erreichten hier im SLS 1 – 4 den Mittelwert 90. Das sinnerfassende
Lesen, das im SLS für die 5. – 8. Schulstufe stärker überprüft wurde, schlägt sich erst im
SLS 5 – 8 nieder mit einem Mittelwert von 81. Ohne Kenntnis der individuellen Begabung
lässt sich mit gängigen Tests nicht gut zwischen Lese-/Rechtschreibschwäche oder Störung
bzw. Lernschwäche differenzieren.
Zusammenfassend, vor allem was Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen betrifft,
fallen diese bei lernschwachen Kindern stärker und früher auf. Gerade die Fertigkeiten beim
Lesen, die auf Geschwindigkeit, Nutzung sprachlicher Strukturen und Nutzung von
Weltwissen beruhen und eine wichtige Voraussetzung für Lernerfolg und Lesemotivation
darstellen, sind bei lernschwachen Kindern durch verminderte Ressourcennutzbarkeit
schwächer ausgeprägt.
- 56 -
3.2.
Lernschwäche und Lernen
(Mag. Martin Schöfl und Mag. Andrea Steinbauer-Schütz)
Spezifische Lernfaktoren und ihre Auswirkungen
Anders als bei Legasthenikern sind bei allgemein lernschwachen Kindern (Grundkognition
< 70 IQ-Punkte) die Unterschiede zwischen allgemeinem kognitiven Niveau und dem
Arbeitsgedächtnis (phonologisch sowie visuell) nicht signifikant. Die visuelle und phonologische Speicherfähigkeit sind deutlich eingeschränkt, sie entsprechen jedoch dem allgemeinen Entwicklungsniveau.
Die Einschätzungen durch Eltern und Lehrer zeigen, dass sich beide Beurteiler im Durchschnitt ähnlich bewusst sind, dass Probleme in der unmittelbaren Speicherung und im
Arbeitsgedächtnis vorliegen.
Bezüglich der Arbeitsgeschwindigkeit gilt Ähnliches wie beim Arbeitsgedächtnis:
In der Gruppe lernschwacher Kinder stimmen allgemeine kognitive Fähigkeiten und die
Arbeitsgeschwindigkeit überein, die Arbeitsgeschwindigkeit ist gegenüber der NormPopulation deutlich eingeschränkt. Auswirkungen der Arbeitsgeschwindigkeit sind sowohl
beim Tempo als auch bei der Elterneinschätzung im allgemeinen Arbeitstempo deutlich zu
finden. So ist fast die Hälfte der Schüler lt. Elterneinschätzung beim Schreiben und in der
Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamt.
Auswirkungen dieser spezifischen Lernfaktoren sind drastischer als bei den Legasthenikern:
drei Viertel der Volksschüler und 100 % der Sekundarschüler mit einer allgemeinen Lernschwäche brauchen Unterstützung bei der Hausübung. Nur ein sehr kleiner Teil kann die
Hausübung in der Volksschule alleine machen. Viele der lernschwachen Kinder brauchen
aufgrund ihres Arbeitstempos und der geringeren Leistungsfähigkeit auch sehr lange für die
Hausübung: bei einem Drittel dauert die Hausübung von lernbehinderten Volksschülern mehr
als 1 Stunde, bei einem Viertel der Schüler der Sekundarstufe sogar über 2 Stunden.
Die schwierigen Lernvoraussetzungen wirken sich auch auf das Konfliktpotential aus:
während in der Volksschule in der Gruppe der lernschwachen Schüler ein Viertel häufig
Konflikte bei der Hausübung aufweist, sind es in der Sekundarstufe bereits 60 %!
Eine zusätzliche Förderung wird nur durch 9 % dieser Schüler in Anspruch genommen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass lernschwache Kinder ein geringes Arbeitstempo, ein geringes Schreibtempo, eine geringe akustische und visuelle Speicherung aufweisen. Auswirkungen sind auf die gesamte Lernsituation zu finden, sowohl in der Dauer als
- 57 -
auch in der Konfliktträchtigkeit. Die geringe Selbständigkeit bei den Hausaufgaben schafft für
die Schüler eine hohe Abhängigkeit und auch Belastung für die betreuenden Personen.
Speziell bei der Hausaufgabensituation sind die Einschränkungen in den spezifischen Lernfaktoren sowie der geringere Energielevel durch die stärkere Belastung am Vormittag in
Bezug auf die Lerneffizienz zu bedenken.
Auch hier wurde neben dem Arbeitsgedächtnis auch die Arbeitsgeschwindigkeit wieder
erfasst, zunächst nach der Einschätzung der im Anamnesegespräch erhobenen Daten durch
die Eltern, wobei sich die Ergebnisse hier deutlich von denen der legasthenen Schüler unterscheiden. Die Zahl der Schüler, die hier als langsam eingestuft wird, ist deutlich höher.
So zeigt sich hinsichtlich der Schreibgeschwindigkeit, aber auch hinsichtlich des allgemeinen
Arbeitstempos kaum ein Unterschied, etwa 45 % der Eltern schätzen ihre lernschwachen
Kinder als langsam ein.
Arbeitsgeschwindigkeit
Eltern - Einschätzungen
Einschätzung des allg.
Arbeitstempo
Einschätzung der
Schreibgeschwindigkeit
wechsl.
9,4%
schnell
12,9%
langsam
45,2%
ø
41,9%
schnell
9,4%
langsam
43,8%
ø
37,5%
Betrachtet man die Ergebnisse des Untertests Symbolsuche aus dem HAWIK, zeigt sich hier
im Vergleich mit dem durchschnittlichen Gesamt-IQ dieser Stichprobe, dass die
Arbeitsgeschwindigkeit in diesem Fall dem allgemeinen Leistungsniveau entspricht. Auch im
Untertest Zahlensymboltest, welcher eine komplexere Aufgabe als die Symbolsuche
darstellt, aber auch Arbeitsgeschwindigkeit bei visueller Erfassung und visuellem
Arbeitsgedächtnis erfasst, zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Auch hier entsprechen die
Ergebnisse dem allgemeinen Leistungsniveau dieser Kinder.
- 58 -
Arbeitsgeschwindigkeit
Fakten
„Symbolsuche“: misst die
Arbeitsgeschwindigkeit
bei visueller Erfassung
130
115
100
Gesamt IQ 79
Arbeitsgeschwindigkeit IQ 84
85
70
79
84
AGS entspricht allg.
Leistungsniveau
55
IQ
SS
Zusammenfassend kann man festhalten, dass in der Gruppe der lernschwachen Kinder die
Ergebnisse der Untersuchung mit den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten übereinstimmen.
Fast die Hälfte der Schüler dieser Gruppe sind lt. Einschätzung der Eltern beim Schreiben
und im allgemeinen Arbeitstempo langsam.
Welche Auswirkungen und Folgen werden von Eltern beschrieben ?
Bei den Volksschülern zeigt sich hinsichtlich der Selbständigkeit ein ähnliches Ergebnis wie
bei den Kindern mit Legasthenie bei normaler Begabung. Auch hier gelingt es 16 % der
Kinder, ihre Hausübung selbständig und alleine zu erledigen und 84 % der Kinder brauchen
Unterstützung in dem Ausmaß, dass ständig jemand dabei sein soll bzw. dass zumindest
kontrolliert wird. Auffällig werden die Ergebnisse in der Sekundarstufe in der Gruppe der lernschwachen Schüler. Kinder mit Lerndefiziten benötigen in der Sekundarstufe zu 100 %
Unterstützung von zu Hause bei den Hausübungen. Auch hinsichtlich der Dauer zeigen sich
auffällige Ergebnisse. So gelingt es in der Volksschule keinem der Schüler, das Pensum
unter einer halben Stunde zu erledigen und immerhin noch ein Drittel benötigt über eine
Stunde für seine Hausübungen. Auch in der Sekundarstufe brauchen alle Schüler länger als
eine Stunde und 20 % brauchen mehr als 2 Stunden. Dabei sei vielleicht zu bedenken, dass
der Energiehaushalt eines lernschwachen Kindes schon sehr aufgebraucht ist, wenn der
Vormittag in der Schule schon sehr anstrengend war und auch am Nachmittag für die Hausübung noch Energie aufzuwenden ist. Zudem dürfte die deutlich höhere Anzahl mit langsamer Schreib- und Arbeitsgeschwindigkeit hier eine Rolle spielen.
- 59 -
Hausübung
Selbständigkeit
Volkschüler
Sekundarstufe
mit
Kontr.
48%
mit
Kontr.
80%
alleine
16%
alleine
0%
Ständig
dabei
20%
Ständig
dabei
36%
Hausübung
Dauer
Volkschüler
Sekundarstufe
< 0,5 h
0%
<1h
0%
>1h
33%
>2h
20%
1-2h
80%
0,5 - 1 h
67%
Was die damit Hausaufgabenkonflikte betrifft, zeigt sich in der Volksschule, dass es bei etwa
einem Viertel der Schüler zu häufigen Konflikten kommt, bei 42 % der Schüler aber keine
Konflikte beschrieben werden. Auffällig dazu der Unterschied in der Sekundarstufe. Bei
steigender Beschulungsdauer steigt auch das Konfliktpotential. Hier von 100 % berichtet,
dass es zumindest manchmal bei 60 % davon immerhin häufig zu Konflikten kommt, d.h.
also die allgemeine Lernproblematik wächst sich nicht aus, sondern bei zunehmenden
Anforderungen wird auch die Belastung und damit das Konfliktpotential höher, wobei die
Vermutung nahe liegt, dass bei lernschwachen Kindern die Lernprobleme in allen Bereichen
zu finden sind, d. h. nicht nur im Lesen und Schreiben.
Was die Lernförderungen anbelangt, zeigt sich, dass von diesen Kindern beinahe die Hälfte
eine zusätzliche Lernförderung meist im außerschulischen Bereich beansprucht, zumeist im
Ausmaß von 1 – 2 Stunden pro Woche. Dabei sei jedoch darauf hingewiesen, dass
zusätzliche Lernförderung häufig aufgrund der langen Hausübungsdauer, der fehlenden
- 60 -
kognitiven Ressourcen und auch der höheren kognitiven Ermüdung am Nachmittag nicht
mehr möglich ist.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man zu den Auswirkungen einer allgemeinen Lernschwäche sagen,
dass zwei Drittel der Volksschüler und 100 % der Sekundarschüler Unterstützung bei der
Erledigung ihrer Hausübungen benötigen, wobei ein Drittel der lernschwachen Volksschüler
mehr als eine Stunde für die Hausübung benötigt. In der Sekundarstufe steigt dieser zeitliche
Rahmen bei 20 % der Schüler auf 2 oder mehr Stunden. Weiters auffällig, dass das
Konfliktpotential im Laufe der Schulzeit zunimmt, während es bei legasthenen Schülern eher
abnimmt. 42 % der Schüler nehmen zusätzliche Förderung in Anspruch.
- 61 -
3.2.1. Lernschwäche und AD(H)S
(Dr. Anna Dirmhirn)
Bei Kindern mit Lernschwäche wurde in 26,5 % die Diagnose ADHS gestellt. Im Fremdbeurteilungsbogen zum Hyperkinetischen Syndrom (FBB-HKS) beschreiben 12,9 % der
Eltern und 7,1 % der Lehrer die Bereiche Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität
nach DSM 4 Kriterien als auffällig. 16 % der Eltern und 25 % der Lehrer beschreiben nur den
Bereich Aufmerksamkeit als auffällig. Unterhalb des Grenzwertes blieben die Beurteilungen
durch die Eltern in 71 % und durch die Lehrer in 67,9 %, d.h. der Übereinstimmungsgrad der
Beschreibung ist relativ hoch, wenngleich Eltern motorische Unruhe und Impulsivität häufiger
als auffällig beschreiben als die Lehrer.
In den ADD-Skalen nach BROWN liegt der T-Wert bei 44,1 % der Elternbeurteilungen und
bei 56,2 % der Lehrerbeurteilungen über einem Wert von 60 (auffällig). Warum beurteilen
Eltern und Lehrer in den BROWN-Skalen wesentlich häufiger Auffälligkeiten als im FBBHKS. Die BROWN-Skalen bilden neben Symptomen der Aufmerksamkeitsstörung auch
exekutive Funktionen ab. Kinder mit Lernschwäche haben oft besondere Schwierigkeiten mit
Umstellungsfähigkeit, Planen, Monitoring und Arbeitsgedächtnis, beim Planen, Problemlösen
und bei der Überwachung des eigenen Tuns.
- 62 -
3.3.
Lernschwäche und Motorik
(Dr. Anna Dirmhirn)
Die Häufigkeit von AD(H)S ist in etwa gleich hoch wie bei Kindern mit Lernstörungen, die
durchschnittlich begabt sind. Die bereits oben gegebenen Empfehlungen betreffend eine
gute Strukturierung und eine Lenkung durch positive Verstärkung sowie eine medikamentöse
Behandlung des ADHS gelten auch für diese Kinder. Darüber hinaus ist eine frühzeitige
individuelle
und
intensive
schulische
Förderung
mit
den
dafür
notwendigen
Rahmenbedingungen besonders wichtig. Durch ein freiwilliges 10. oder 11. Schuljahr sollten
sie die Möglichkeit zur Erreichung eines Hauptschulabschlusses bekommen.
Eine Entwicklungsstörung motorischer Fertigkeiten wurde bei 23,5 % der Kinder mit Lernschwäche diagnostiziert, eine motorische Schwäche bei 11,8 %. Insgesamt fanden sich bei
78 % der Kinder leichte motorische Auffälligkeiten. Probleme beim Zeichnen, Basteln sowie
langsames Schreib- und Arbeitstempo gaben die Eltern in 42 – 45 % an. Betrachtet man die
Daten aus der Zürcher Neuromotorik, so sieht man, dass die rein motorischen Leistungen
bei 37 % der Kinder mindestens 1 ½ Standardabweichungen unterhalb des Durchschnitts
liegen (unter Prozentrang 7), die feinmotorisch-adaptiven Leistungen (Steckbrett) bei 55,6 %,
die grobmotorisch-adaptiven Leistungen (dynamische Balance) in 69,2 % und die statische
Balance (Gleichgewicht) in 40,7 % unterhalb von PR 7 liegen. Eine Komponente der Zürcher
Neuromotorik war bei 11,5 %, 2 Komponenten bei 34,6 %, 3 Komponenten bei 34,6 % und
4 Komponenten bei 3,8 % der Kinder unterhalb von Prozentrang 7, bei 15,4 % lagen alle
4 Komponenten oberhalb von Prozentrang 7. Dies bedeutet, dass bestehende Schwächen in
der motorischen Verarbeitungsgeschwindigkeit und in der motorischen Planung im Alltag
nicht so gut kompensiert werden können und sich hier stärker auswirken.
- 63 -
3.4.
Lernen und psychosoziale Belastung
(Dr. Johannes Fellinger)
N = 34 / 58, 8 % Buben, Durchschnittsalter 9,11 Jahre, erhoben mit dem StärkenSchwächen-Fragebogen.
Kinder mit einem Intelligenzquotienten zwischen 70 – 85 haben signifikant höhere
Problemwerte in allen Bereichen im Vergleich zu Normstichproben aus Lehrer- und aus
Elternsicht.
Am dramatischsten zeigt sich dabei die hohe Problembelastung in der Selbsteinschätzung,
die sich noch einmal von den erhöhten Problemwerten aus der Lehrer- und Elternbeurteilung
abhebt.
Kinder mit IQ 70 bis 85 haben signifikant höhere
Problemwerte im SDQ im Vergleich zu Normstichproben
in allen Subskalen (Eltern- und Lehrerurteil)
Buben und Mädchen Linz
Buben und Mädchen England
Buben und Mädchen Linz
16,00
16,00
14,00
14,00
12,00
12,00
10,00
10,00
8,00
8,00
6,00
6,00
4,00
4,00
2,00
2,00
-
Eltern-SDQ
ee
r
P
Pr
o
so
zi
ale
s
Ve
r
-P
ro
b le
ha
lte
n
m
e
e
t
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a
V
le s
G
Em
e
m
alt
en
er
h
bl
e
r- P
ro
Pe
e
ro
so
z ia
P
Em
oti
tp
on
a
ro
le
P
bl
em
we
r
ro
b le
m
t
e
-
es
am
G
Buben und Mädchen England
Lehrer-SDQ
Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei Kindern
mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung (Vergleich
Normalpopulation UK)
8%
6,82%
6%
4%
2%
4,18%
3,82%
3,73%
2,20%
1,50%
1,20%
0,60%
gl
ei
ch
al
tr
ig
e
0%
em
ot
ion
al
ve
rh
al
te
n
.
- 64 -
engl. Stichprobe
Selbst
Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei
Kindern mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung
(Vergleich Normalpopulation UK)
.
19%
18 ,55%
16%
12%
engl. Stichprobe
Selbst
8 ,3 6%
8,00%
8%
5,60%
4%
0%
gesamt pro-sozial
Dramatisch höhere Problemwerte zeigen sich bei Kindern
mit IQ 70 bis 85 in der Selbsteinschätzung
8%
6,8 2%
6%
4%
5,22%
4,96%
4,18%
3,82%
3,28%
3,2 1%
3,73%
2,48 %
2,24%
2,11%
2%
Eltern
Lehrer
Selbst
1,63%
gl
ei
ch
al
tr
ig
e
l
em
ot
io
na
ve
rh
al
te
n
0%
Selbst-SDQ
Bei Betrachtung der Cut-Off Werte für grenzwertige und auffällige Problembelastung zeigt
sich im SDQ bei Kindern mit IQ zwischen 70 und 85 eine 3,7-fach höhere Rate von
psychosozialer Belastung aus Elternsicht.
Im Lehrerrating wird 2,7 Mal so häufig der kritische Problemwert überschritten.
Im Selbstrating wird der kritische Problemwert 6 x so häufig überschritten.
Konklusion
Die dramatische Problembelastung lernschwacher Kinder ist nicht unerwartet, weist aber
unter Beachtung der Selbstratingbefunde vor allem auch auf die große Selbstwertproblematik hin.
- 65 -
Maßnahmen die den Kindern helfen ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen (auch im
schulischen Kontext) sind für Ihre weitere psychosoziale Gesundheit von größter Bedeutung.
Neben stabilen emotionalen Beziehungen zu Eltern, Lehrern und Klassenkollegen kommt
der positiven Verstärkung von Geleistetem größte Bedeutung zu.
- 66 -
4. Zusammenfassende Empfehlungen der Studie „Chancen für Besondere
Lerner“
o
Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten
bestimmen
entscheidend
die
Bildungsmöglichkeiten eines Kindes mit. Ersichtlich wird dies unter anderem am
geringen Anteil von betroffenen Kindern im Gymnasium (trotz guter Intelligenz), auch
einem hohen Anteil dieser Kinder in der 3. Leistungsgruppe in den Hauptschulen,
dies im Unterrichtsfach Deutsch aber auch in Englisch und teils auch Mathematik
(was schon auf den Faktor einer Generalisierung von schulischer Demotivation
hinweist). Mangelhafte schriftsprachliche Leistungen allein dürfen den Zugang zu
höherer Bildung nicht einschränken. Hier kommt einer fachlichen umfassenden
Abklärung der Lese-Rechtschreibstörung sowie einer differenzierten gesetzlich
geregelten Leistungsbeurteilung weiterhin eine entscheidenden Rolle zu.
o
Der Früherkennung einer drohenden Lese-/Rechtschreibschwäche bereits im
Kindergarten ist somit wesentlich. In der Studie konnte eine ausreichende Qualität
des Bielefelder Screeningverfahrens für die Früherkennung belegt werden. Ein
möglichst flächendeckender Einsatz dieses Screenings innerhalb des letzten
Kindergartenjahres ist somit zu empfehlen.
o
Zur Auswahl von Kindern, die in die spätere Förderung einbezogen werden, sollte
neben den BISC-Ergebnissen auch der Sprachentwicklungsstand des Kindes
(Ergebnisse aus den logopädischen Reihenuntersuchungen) miteinbezogen werden.
o
Die Durchführung des Würzburger Trainingsprogramms in den Kindergärten hat sich
als effektiv und umsetzbar erwiesen und ist somit für die spezielle Zielgruppe der
„Risikokinder“ zu empfehlen. Das Training im Kindergarten wirkt sich deutlich auf den
Erwerb des lauttreuen Schreibens und frühen Lesens in der Grundstufe I aus.
o
Das Würzburger Trainingsprogramm hat sich auch bei Kindern mit nichtdeutscher
Muttersprache als effektiv erwiesen, wobei hier als Grundlage des Lesens zusätzlich
einer frühen Sprachförderung eine hohe Wichtigkeit zukommt (z. B. konsequenter
Kindergartenbesuch ab 3 Jahren).
o
Kinder mit Sprachenwicklungsstörung profitieren vom Trainingsprogramm, zeigen
aber anhaltend etwas erhöhtes Risiko für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Diese
Kinder benötigen besonderes Augenmerk bereits in der frühen Intervention
(Förderung der phonologischen Verarbeitung als auch der Sprache). Im weiteren
- 67 -
Verlauf
stellen sie bei deutlicher Betroffenheit gegebenenfalls auch einen
Aufgabenbereich einer Sprachheilschule dar.
o
Vorschulkinder
bleiben
trotz
eines
zusätzlichen
Entwicklungsjahres
eine
Hochrisikogruppe für anhaltende Schriftsprachprobleme !
Empfehlenswert wäre eine frühe Differentialdiagnostik zur Abgrenzung allgemeiner
Lernschwächen
oder
aber
einer
spezifischen
Veranlagung
zur
Lese-
Rechtschreibschwäche, um so auch gezielte Schriftsprachanbahnung in der
Vorschule vorzunehmen.
o
Verbesserte phonologische Grundlagen übertragen sich nicht automatisch auf eine
verbesserte Orthographie. Überlegenswert ist eventuell ein früherer Einstieg in die
Orthographie, d. h. bereits im Laufe der 2. Klasse.
o
Signifikante Zusammenhänge zwischen psychosozialen Auffälligkeiten und erhöhtem
Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten wurden festgestellt.
Es gilt somit Kinder mit Auffälligkeiten der phonologischen und / oder sprachlichen
Entwicklung im Hinblick auf Verhaltensprobleme und Emotionalität zu beobachten,
aber auch Kinder mit Problemverhalten im Hinblick auf ihre Sprachentwicklung und
phonologische Verarbeitung.
o
Kinder mit Lese-/Rechtschreibstörung zeigen überdurchschnittlich häufig auch
Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Verhaltensprobleme, Sprachschwächen
und eine generell verlangsamte Arbeitsgeschwindigkeit. Diese Faktoren potenzieren
die Gesamtbelastung eines Kindes und seiner Familie. Kinder mit Legasthenie sind
somit nicht nur früh sondern auch umfassend zu beobachten. Hier bedarf es auch
einer intensiven Kooperation zwischen Schulen und medizinisch – psychologischen
Einrichtungen, um zu gewährleisten, dass dem Kind über Jahre ausreichend Halt
gegeben werden kann und der Selbstwert der Kinder unterstützt und erhalten bleibt.
Diesem kommt hinsichtlich der schulischen und beruflichen Möglichkeiten eine
entscheidende Rolle zu.
Zur Verhinderung und Vermeidung von psychosozialen sekundären Problemen ist
eine Entlastung des Kindes und seiner Familie wesentlich. Dies geschieht durch die
Umsetzung einer differenzierten Leistungsbeurteilung schriftlicher Aufgaben in der
Schule,
Möglichkeiten
zur
mündlichen
Leistungskontrolle,
Zeitzuschläge
bei
schriftlichen Arbeiten bis hin zu eingeschränkten spezifischen Hausaufgaben.
Um das betroffene Kind in seiner Gesamtsituation zu stärken sind regelmäßige
Kontakte zwischen Eltern und Schule erforderlich.
- 68 -
Zur
Entlastung
Fördermaßnahmen
des
familiären
(spezifische
Systems
sind
auch
Lese-/Rechtschreibförderung,
außerschulische
psychologische
Begleitung bei der Therapie der Aufmerksamkeitsstörungen etc.) nach Bedarf
einzubeziehen.
Eine (Teil-)Finanzierung durch das Gesundheitssystem erscheint nicht zuletzt
aufgrund der Gefährdung der seelischen Gesundheit des Kindes als angebracht.
- 69 -
5.
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