Warum Nutzpflanzen selbst vermehren? Eigenproduktion von Saatgut war eine weitverbreitete Praktik (Haus-oder Hofsorten, Landsorten) – heute sind es Spezialisten, die vor allem Sorten für die industrielle Landwirtschaft züchten, die nicht nachgebaut werden können. Dadurch wächst die Monopolstellung einiger grosser Saatgutmultis, die ihre Sorten technisch verschlüsseln (Hybridsorten, genmanipulierte Sorte etc.) und durch ein überaus kompliziertes internationales System von Zertifizierung und Patentierung rechtlich schützen und so jeglichen Nachbau durch Bauern und Gärtner immer mehr einschränken. Viele alte und wertvolle Sorten sind deshalb im Handel nicht (mehr) erhältlich und vom Aussterben bedroht. Jedoch werden die Qualitäten alter Sorten von vielen GärtnerInnen sehr geschätzt, leider oft ohne das Wissen über das Gewinnen des eigenen Saatguts. Einige gute Gründe, seine Nutzpflanzen selbst zu vermehren, alte Sorten zu erhalten und eigenes Saatgut zu produzieren: Ökologischer Wert: − Erhalt der pflanzengenetischen Ressourcen: alte Sorten haben eine größere genetische Variation, sie können damit besser auf langfristige Veränderungen reagieren und sind als Sorte auch krankheitsresistenter, saisonalen Anbau − →Erhalt der Biodiversität − →Stabilität/ Resilienz der Ökosysteme Kultureller Wert: − Erhalt von alten Sorten als Kulturgut: das Wissen über die Praxis der Vermehrung und die Verwendung (Ernährung, Kleidung, Heilmittel, Baustoffe, Färberstoffe, Kosmetik, Brennstoffe etc.) Politischer Wert: − Erhalt von Unabhängigkeit: eigene Entscheidungen treffen, was und wie man anbauen will; mit über die eigene Zukunft bestimmen; durch samenfeste Sorten das eigene Saatgut verwenden können statt mit z.B. Hybridsaatgut auf agroindustrielle Konzerne angewiesen zu sein − man kann Sorten vermehren, die man sonst nicht auf dem Markt erhält − man kann Sorten erhalten, die sonst verloren gehen Ökonomischer Wert: − als züchterische Quelle für Krankheitsresistenzen oder Anpassung an veränderte Umwelt-, Produktions- oder Marktbedingungen Gesundheitlicher Wert − Ernährungsqualität (Beispiel Weizen) − Erhalt der Pflanzenvielfalt als Quelle für Heilsubstanzen persönlicher Wert: − es macht Spass − man nimmt den Lebenszyklus der Pflanzen wahr − man lernt sehr viel Grundlagen für die sortenechte Vermehrung • Grundsätzlich unterscheidet man vegetative und generative Vermehrung. Die vegetative Vermehrung erfolgt über Pflanzenteile. Die Nachkommen sind mit der Mutterpflanze genetisch identisch. Die generative (geschlechtliche) Vermehrung erfolgt über Samen und führt zu neuen genetischen Kombinationen. • Samenfeste Sorten: Sie können äusserlich nicht erkannt werden. Bei folgenden Sorten kann meistens davon ausgegangen werden, dass sie sortenfest sind: Lokalsorten, über lange Zeit auf einem Hof/Garten angebaut und vermehrt Alte gärtnerische Zuchtsorten, manche Sortennamen waren schon unseren Grosseltern bekannt, z.B. der Salat ‚Maikönig’ Neue Sorten aus biologischer und vor allem biodynamischer Züchtung, allerdings gibt es auch in der biologischen Züchtung Hybridsorten Basiswissen Der Samen entsteht durch die Befruchtung, also die Bestäubung der weiblichen Narbe mit den männlichen Pollen. Für die sortenechte Vermehrung will man Pollen und Narbe von einer Sorte zusammenbringen. Dazu muss man die Blühbiologie der betreffenden Sorte kennen und wissen, wie sie bestäubt wird. Es gibt blühbiologisch drei verschiedene Blütenvarianten: 1. Zwitterblüte: Weibliche und männliche Organe in einer Blüte. Zwitterblüten befruchten sich oft selbst, können aber auch fremdbefruchtet werden. Radieschen, Kohlgemüse, Senf Kreuzblüttler/Cruciferea Bohnen, Erbsen, Linsen Schmetterlingsblütler/Fabaceae Karotte,Fenchel, Pastinake Doldenblütler/Apiaceae Salat, Sonnenblume, Schwarzwurzel Korbblütler/Compositae Lauch, Küchenzwiebel, Knoblauch Zwiebelgewächse/Alliaceae Tomaten, Paprika, Auberginen Nachtschattengewächse/Solanaceae 2. Einhäusige Blüten Weibliche und männliche Organe an zwei verschiedenen Blüten, aber an der gleichen Pflanze. Auch hier können prinzipiell Pollen und Narbe derselben Pflanze zusammen den Samen ausbilden oder auch Pollen und Narbe zwei verschiedener Pflanzen. Mais Süssgräser/Poaceae Gurken, Melonen, Kürbisse Kürbisgewächse/Cucurbitaceae 3. Zweihäusige Blüten Weibliche und männliche Organe an zwei verschiedenen Blüten, auf verschiedenen Pflanzen. Das heisst, es müssen mindestens eine weibliche und eine männliche Pflanze vorhanden sein, um Samen auszubilden. Spargel Zwiebelgewächse/Alliaceae Spinat Gänsefussgewächse/Chenopodiaceae Hanf Hanfgewächse/Cannabaceae Die Bestäubung 1. Selbstbefruchtung: Hier bestäubt der blüteneigene Pollen die Narbe → die Pflanze befruchtet sich selbst. Bei Salat, Erbsen, Busch- und Stangenbohnen, der Art Phaseolus vulgaris, Sojabohnen, Tomaten findet die Bestäubung in geschlossener Knospe statt. 2. Potentielle Selbstbefruchtung: Das sind solche Arten, die sich selbst bestäuben können und dies unter Isolation (im Gewächshaus oder Isolierkäfig) auch tun. Im Freiland werden sie aber gerne von Insekten aufgesucht und es kann zu Verkreuzungen kommen. Beispiele dafür sind: Mohn, Paprika, Puffbohne, Aubergine 3. Fremdbefruchtung: Hier wird auf einer Pflanze der Pollen einer anderen Pflanze deponiert, durch Tiere, den Wind, den Regen. Von Insekten bestäubte Arten: Kohl, Radieschen, Basilikum, Kürbis, Feuerbohne Vom Wind bestäubte Arten: Mais, Amaranth, Randen, Krautstiel (leichter Pollen) 4. Selbstunfruchtbarkeit: Die genetische Barriere gegen Selbstbefruchtung ist ein Schutzmechanismus gegen Inzucht und gewährleistet eine natürliche Vielfalt. Bei Kohlgewächsen oder einigen Kürbisgewächsen, zum Beispiel besserer Ertrag, wenn mehrere Pflanzen Zucchini zusammen stehen Isolation einzelner Samenträger Um zu verhindern, dass sich unterschiedliche Sorte, die zu einer Art gehören, verkreuzen, können die Samenträger auf unterschiedliche Art und Weise voneinander isoliert werden. 1. Räumliche Isolation Dabei ist zu beachten: • Geländegestaltung, z.B. Hecken • Anzahl Samenträger, je mehr umso grösser der Abstand • Blütenangebot, je mehr unterschiedliche Pflanzen umso weniger Verkreuzung • Attraktivität der Blüten für Insekten, Grösse, Farbe, Nektargehalt • Hauptwindrichtung Von Insekten bestäubte Arten: Abstand von 100 bis 150 m Vom Wind bestäubte Arten: Abstand von 300m Es gilt also je nach Lage die geeigneten Abstände festzustellen. Miteinzubeziehen sind auch die Pflanzen, die im nachbarlichen Garten wachsen. 2. Zeitliche Isolation Für Arten die eine kurze Kulturdauer haben. Durch zeitlich gestaffelten Anbau kann man die Sorten zeitlich versetzt zur Blüte bringen, z. B. Feldsalat, Spinat. 3. Mechanische Isolation Anbau unter Käfigen oder Isoliertunnel durch Kulturschutznetze von freifliegenden Insekten getrennt. Einsatz von Bestäuberinsekten (Schmeissfliegen, Mauerbienen, Mistbienen, Erdhummeln) ausser bei potentiellen Selbstbefruchtern. Checkliste zur Bewahrung der Sortenechtheit: • Gehören mehrere zu vermehrende Sorten botanisch der gleichen Art an? ◦ Nein: keine Verkreuzungsgefahr (in seltenen Fällen gibt es Ausnahmen) ◦ Ja: potentielle Verkreuzungsgefahr • Sind die Pflanzen Selbst- oder Fremdbefruchter? ◦ Selbstbefruchter: keine oder sehr geringe Verkreuzungsgefahr ◦ Fremdbefruchter: Verkreuzungsgefahr • Wenn Fremdbefruchter: Werden die Pflanzen von Insekten oder vom Wind bestäubt? ◦ Wind: ausreichende räumliche Isolierung oder dichte Vlieshauben ◦ Insekten: ausreichende räumliche oder zeitliche Isolierung oder Isolierkäfige • Bei Vermehrung in Isolierkäfigen: Können die Pflanzen sich auch selbst bestäuben? ◦ Ja: keine Bestäuberinsekten nötig ◦ Nein: Bestäuberinsekten nötig Kulturdauer im Gemüse-Samenbau Die Kulturdauer zur Samengewinnung unterscheidet sich bei vielen Gemüsearten deutlich von der Dauer für die Gemüseproduktion. Einjährige Pflanzen: Diese Gemüse bilden das nutzungsreife Gemüse und die Samen in einer Anbausaison aus. Beispiele dafür sind: Salat, Bohnen, Erbsen, Tomaten, Paprika, Kürbis, Gurke, Melone, Basilikum, Gartenmelde, Gartenkresse, Spinat. Zweijährige Pflanzen: Diese Gemüse bilden im ersten Jahr das nutzungsreife Gemüse und im zweiten Jahr die Samen. Beispiele dafür sind: Küchenzwiebel, Lauch, Karotte, Pastinake, Sellerie, Randen, Mangold, Kohlrabi, Weisskohl. Hier müssen die Samenträger überwintert werden. Ein- oder zweijährige Pflanzen: Je nach Sorte oder unterschiedlichen Kulturverfahren/Klima kann eine Gemüseart entweder in der ersten oder in der zweiten Anbausaison Samen bringen. Beispiele dafür sind Endivie, Zichorie, Rettich, Brokkoli, Chinakohl. Mehrjährige Pflanzen: Diese Gemüse können jährlich über mehrere Jahre Samen ausbilden. Beispiele sind: Schnittlauch, Ampfer, Spargel, Artischocke, Kardone, Meerkohl, viele mehrjährige Kräuter. Ernte, Aufbereitung und Lagerung Bestimmung des richtigen Zeitpunktes für die Ernte abhängig von • Witterung • Lage des Gartens • Art, Sorte Fruchtgemüse Saatgut nur von vollreifen Früchten abnehmen. Den Farbumschlag der Früchte abwarten: Gurken: grün → gelb Tomaten: grün → gelb, grün → rot, grün → orange Paprika: grün/gelb → rot/ orange, gelb → rot, violett → orange/ rot Auberginen: violett, grün oder weiß → gold-gelb Spargel: grün → rot Monatserdbeeren: weiss → rot Körbchen Salat, Haferwurz, und andere Korbblütler Hülsen Erbsen, Bohnen und andere Hülsenfrüchtler Schote Kohl, Radieschen und andere Kreuzblütler Sonderbehandlungen Ernte knapp bevor der Samen von selber ausfällt; die Körbchen sollen nicht längeren Regenperioden ausgesetzt sein. In der Reifephase evtl. überdachen. Ernte wenn vollkommen trocken und brüchig. Ausnahme: Zuckererbsen und manche Bohnensorten, die nicht brüchig sondern zäh werden. Ernte, wenn die ersten Schoten trocken und die Mehrzahl der Schoten goldbraun, aber noch weich sind. Bei zu langer Reifezeit/ Frühfrösten kann man die Pflanzen zu einer Notreife der Samen anregen: Die ganzen Pflanzen ausraufen oder abschneiden und zum Trocknen unter Dach aufhängen. Dies funktioniert nur, wenn die Samen bereits in der Gelbreife sind. Notfalls können unreife Doldenblütler (z.B. Gemüsefenchel) oder Kreuzblütler (z.B. Broccoli), wenn sie in der Phase der Grünreife sind, ausgegraben und umgetopft und an einem frostfreien Standort zum Reifen gebracht werden. Saatgutaufbereitung − Nassreinigung bei Fruchtgemüse − Trockenreinigung bei allen anderen Samenträgern Nassreinigung: Diese Methode wird angewandt bei Tomaten, Gurken, Kürbissen, Andenbeere und anderem Fruchtgemüse. Die Nassreinigung kann mit und ohne Gärung erfolgen. • Mit Gärung: Bei Tomaten und Gurken. Der Gärungsvorgang dient dazu, die keimhemmende Schicht, die das Samenkorn umgibt, zu entfernen. • Ohne Gärung: Bei allem anderen Fruchtgemüse. Die dafür notwendigen Arbeitsgeräte sind: Messer, Kaffeelöffel, Gläser, Kübel, Siebe, Kaffeefilter. Trockenreinigung: Die Trockenreinigung erfolgt in drei Schritten: dem Trocknen der Samenträger oder des Saatguts, dem Dreschen und dem Reinigen. Wichtig bei der Saatgut-Lagerung: − Trockenes Saatgut − Dichte Lagergefäße − Kühle Lagerung − Dunkle Lagerung − Trockene Lagerung − Mäusesicher − Beschriften des Saatguts: Gattung, Art, Sorte und Jahrgang und evtl. Besonderheiten Beispiel 1: Kürbisgewächse/ Cucurbitaceae Deutscher Name Gattung Art Pepo-Kürbis, Gartenkürbis, Zucchetti, Ölkurbis und Zierkürbis Cucurbita pepo Maxima-Kürbis, Winterkürbis, Riesenkürbis Cucurbita maxima Moschuskürbis Cucurbita moschata Gurke Cucumis sativus Zucker- und Honigmelone Cucumis melo Wassermelone Citrullus lanatus Die Fruchtstängel verraten die Art: Um über die Verkreuzungsmöglichkeiten Klarheit zu erhalten, muss man über die botanische Artenzugehörigkeit der Sorten Bescheid wissen Ein relativ zuverlässiges Hilfsmittel sind die charakteristischen Fruchtstängel. • • • Pepo-Kürbisse: die Stängel haben fünf Längsrippen, zwischen denen weitere Rippen ausgebildet sein können und sind leicht bestachelt Maxima-Kürbisse: die Stängel sind verkorkt und rund, 1-6cm dick. Wenn die Frucht reif ist, löst er sich oft von selbst. Moschuskürbisse: Die Stängel sind kantig bis scharfkantig, können rau sein und kleine Höckerchen ausbilden. Die Stängelbasis ist entweder weit ausladend oder wirkt eingeschnürt und sitzt auf der Frucht auf. Bestäubungsbiologie des Kürbis: Alle Kürbissorten, die der gleichen Art angehören, können sich verkreuzen. Kürbisse sind einhäusig; die Pflanzen blühen mit weiblichen und männlichen Blüten. Alle Kürbisse sind Fremdbefruchter. Sowohl weibliche wie männliche Blüten sind stets nur einen Tag lang geöffnet Die männlichen Blüten haben Nektar und Pollen, die weiblichen nur Nektar. Zwischen einzelnen Sorten einer Art müssen relativ grosse Abstände eingehalten werden. • Sortenerhaltung durch mechanische Isolierung: Isolierkäfig oder Tunnel mit Bestäuberinsekten • Handbestäubung – gezielte Befruchtung: Die Handbestäubung bei Kürbissen ist ein relativ zeitaufwendiges, aber auch spannendes und sicheres Verfahren zur sortenreinen Vermehrung. Sie kann auch zur gezielten Kreuzung zweier Sorten eingesetzt werden. Was Sie brauchen: • • • • • • • 6-12 gesunde Pflanzen mindestens zwei Pflanzen, die gleichzeitig blühen Mindestens eine weibliche Blüte Mindestens drei männliche Blüten einer anderen Pflanze Krepp-Klebeband (3cm breit) oder Plastik-Wäscheklammern Etiketten oder dicke Wollfäden Zeit am Vorabend der Bestäubung, Zeit am Vormittag für die Bestäubung Wichtig: Um Inzucht-Erscheinungen zu vermeiden ist es notwendig, eine Pflanze mit dem Pollen anderer Pflanzen zu bestäuben. Bei der gezielten Bestäubung muss verhindert werden, dass Insekten vor der Handbestäubung an die Pflanzen kommen. Weitere Tipps: - Bessere Resultate bei den ersten Blüten einer Pflanze. - Erfolgschancen in den Morgenstunden am besten. Kühle. Samenernte: Die Samen werden den vollreifen Früchten entnommen. Die Fruchtreife erkennt man an der Härte der Fruchthaut und am Fruchtstängel, der in der Reife hart wird und vertrocknet. Die reifen Früchte einlagern. Optimal ist eine niedrige Raumtemperatur (12 – 17° Grad) Sortenmerkmale und Auslesekriterien: Geschmack, frühe Beerntbarkeit, Lagerfähigkeit, Krankheitsresistenz, etc. Beispiel 2: Nachtschattengewächse/ Solanacae Deutscher Name Gattung Art Tomate Lycopersicon esculentum Paprika, Pfefferoni,Chili Capsicum annuum baccatum frutenscens etc Aubergine Solanum melongena Kartoffel Solanum tuberosum Bestäubungsbiologie der Tomate: Tomaten sind überwiegend Selbstbefruchter, Fremdbefruchtung durch Insekten, Meist Hummeln, kann vorkommen (vor allem bei grosser Hitze). Was Sie brauchen: • • Gesunde, reichtragende Pflanzen 6-12 Pflanzen • • reichliches Blütenangebot, um potentielle Bestäuberinsekten ‚umzuleiten’ Einmachgläser Samengewinnung: Samen von den ersten, gut ausgereiften, gesunden Tomaten entnehmen. Nassreinigung mit Gärung. Auslesekriterien: • • Pflanze: gesund, frühreif, oder spätreif bei lagerfähigen Sorten, gleichmässiger Wuchs, sortenspezifische Wuchsform, etc. Früchte: guter Geschmack, sortentypische Form, Eigenschaften (Farbe, Haut etc.) Literatur: Handbuch Samengärtnerei, Andrea Heistinger, ProSpecie Rara, Arche Noah, www.loewenzahn.at