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19
REAKTIONSKINETIK 1: KLASSIFIZIERUNG UND EINFACHE REAKTIONEN
19.1 Einführung
In der Thermodynamik hatten wir uns mit Systemen im Gleichgewicht beschäftigt. Wir
konnten Aussagen darüber treffen, in welche Richtung eine Reaktion verlaufen wird. In
den Kapiteln „Reaktionskinetik“ geht es um die Geschwindigkeit, mit der Reaktionen ablaufen. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist von hohem technischen Interesse; man möchte schließlich Produkte in einem überschaubaren Zeitraum herstellen. Außerdem enthält die Reaktionskinetik oft Informationen über den Reaktionsmechanismus.
19.1.1 Die Reaktionsgeschwindigkeit
Die Reaktionsgeschwindigkeit gibt an, wie schnell sich die Konzentrationen der Substanzen ändern, die an einer Reaktion beteiligt sind. Betrachten wir als Beispiel die
Reaktion 2 H → H2. Läuft die Reaktion ab, dann ändert sich die Konzentration von H
schneller als die von H2, denn
d [H ]
d [H 2 ]
= 2⋅
dt
dt
Sinnvoller ist, die Reaktionsgeschwindigkeit über die Reaktionslaufzahl zu definieren.
Betrachten wir eine relativ allgemeine chemische Reaktion
νA ⋅ A+ νB ⋅B→ νC ⋅C + νD ⋅D
Wir hatten früher die Reaktionslaufzahl ξ definiert als
dξ =
dni
νi
Unter Reaktionsgeschwindigkeit (rate of reaction) verstehen wir die Geschwindigkeit
der Zunahme der Reaktionslaufzahl:
v=
dξ 1 dni
=
dt ν i dt
In dem erwähnten Beispiel ist die Reaktionsgeschwindigkeit
v=
dξ
1 d [H ] d [H 2 ]
=−
=
dt
2 dt
dt
Die Beträge der Größen d [ A] dt , d [B ] dt , usw. werden als Bildungs- bzw. Zerfallsgeschwindigkeit (rate of consumption oder formation) bezeichnet.
Beispiel: Die Bildungsgeschwindigkeit von NO bei der Reaktion
2 NOBr(g) → 2 NO(g) + Br2(g)
beträgt 1,6×10-4 M s-1. Wie groß sind die Reaktionsgeschwindigkeit und die Zerfallsgeschwindigkeit von NOBr?
Reaktionsgeschwindigkeit
M
1 dni 1 d [NO ] 1,6 × 10 −4 M
v=
=
=
= 8 × 10 −5
ν i dt 2 dt
s
2s
Zerfallsgeschwindigkeit (Der stöchiometrische Faktor hat ein negatives Vorzeichen)
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
-2-
v=
M
M
1 d [NOBr ] d [NOBr ]
⋅
⇒
= −2 ⋅ 8 × 10−5
= −1,6 × 10− 4
dt
dt
s
s
−2
Die Zerfallsgeschwindigkeit beträgt also 1,6×10-4 M s-1.
19.1.2 Die Reaktionsordnung
Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt im Allgemeinen von den Konzentrationen der beteiligten Stoffe ab. Für viele chemische Reaktionen beobachtet man folgende Abhängigkeit:
v = k ⋅ [ A]α [B ]β …
[A] , [B ] , usw. sind die Konzentrationen der beteiligten Stoffe. Die Exponenten α, β,
usw. bezeichnet man als die Ordnung der Reaktion in Bezug auf die Komponente
A, B, usw. Die Summe
n = α + β +…
wird als Ordnung der gesamten Reaktion oder Reaktionsordnung (overall order) bezeichnet. Die Reaktionsordnung muss nicht unbedingt eine ganze Zahl sein.
Die Proportionalitätskonstante k heißt Geschwindigkeitskonstante. Bitte nicht mit der
Boltzmann-Konstante verwechseln! Ihre Dimension hängt von der Ordnung ab.
Die Reaktionsordnung wird rein empirisch bestimmt. Man kann nicht mit Sicherheit aus
der Reaktionsgleichung auf die Reaktionsordnung schließen. Es kann z.B. sein, dass
es sich bei der Reaktionsgleichung nicht um den elementaren Schritt handelt. Beispiel:
Zerfall von gasförmigen Acetaldehyd:
v = k ⋅ [CH 3CHO ]3 2
CH3CHO(g) → CH4(g) + CO(g)
In anderen Fällen gibt die Ordnung die Stöchiometrie der Reaktion wieder. Beispiel:
Oxidation von Stickstoff(II)oxid:
2 NO(g) + O2(g) → 2 NO2(g)
v = k ⋅ [NO ]2 [O2 ]
Es gibt Reaktionen die Nullter Ordnung und damit unabhängig von den Konzentrationen sind. Bei einigen Reaktionen lässt sich die Reaktionsgeschwindigkeit nicht in der
Form v = k [ A] [B ] … schreiben. Diese Reaktionen haben keine Ordnung. Beispiel:
Herstellung von Bromwasserstoff:
α
β
H2(g) + Br2(g) → 2 HBr(g)
v=
k ⋅ [H 2 ] ⋅ [Br2 ]3 2
[Br2 ] + K ' [HBr ]
Man muss die Reaktionsordnung von der Molekularität einer Reaktion unterscheiden.
Die Molekularität einer Reaktion drückt aus, wie viele Teilchen an dem elementaren
Schritt der Reaktion beteiligt sind. Beispiel: A → C+D ist monomolekular, A+B → C+D
ist bimolekular. Ordnung und Molekularität stimmen meist nur bei einfachen Reaktionen
überein.
Wir wollen zunächst die Kinetik einfacher Reaktionen mathematisch beschreiben. Danach wird das experimentelle Vorgehen besprochen.
19.2 Reaktionen erster Ordnung
19.2.1 Einfache Reaktion erster Ordnung
Wir wollen den zeitlichen Ablauf der Reaktion
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
-3k
1
A ⎯⎯→
P
beschreiben. A zerfällt in ein oder mehrere Produkte, eine Rückreaktion sei ausgeschlossen. Die Moleküle A sollen sich nicht gegenseitig beeinflussen und auch nichts
vom Produkt spüren. Dann leuchtet unmittelbar ein, dass die Zahl zerfallender Moleküle
pro Zeit proportional zur Zahl der vorhandenen Moleküle A ist. Pro Volumen ausgedrückt heißt das
d [ A]
= −k1 ⋅ [ A]
dt
Da die Konzentration von A abnimmt, steht das Minuszeichen. In diesem Fall ist die
Reaktionsgeschwindigkeit in Bezug auf A identisch mit der Reaktionsgeschwindigkeit
der gesamten Reaktion. Sie ist proportional zur Konzentration von A und damit handelt
es sich um eine Reaktion erster Ordnung. Die Gleichung ist eine einfache Differentialgleichung mit der Variablen [ A] . Man kann sie integrieren:
[ A]
t
d [ A]
1
= − k1 ⋅ dt ⇒ ∫
d [ A]' = − k1 ⋅ ∫ dt ' ⇔ ln[ A] − ln[ A]0 = − k1 ⋅ t
[A]
[
]
A
'
[ A]
0
0
⇔ ln
[A] = −k ⋅ t
1
[A]0
Die Konzentration von A fällt also gemäß
[A] = [A]0 ⋅ e −k t
1
exponentiell ab. [ A]0 ist die Anfangskonzentration. Die Geschwindigkeitskonstante gibt
an, nach welcher Zeit die Komponente A bis auf den 1/e-ten Teil ihrer Konzentration
abgefallen ist. Ist k1 groß, dann zerfällt A schnell. Ist k1 klein, dann ist A relativ stabil.
Die Konzentration des Produkts steigt entsprechend mit der Zeit von Null auf den Wert
[A]0 an gemäß
[P] = [A]0 ⋅ (1 − e − k t )
1
Für k1 = 1 s-1 ist der Konzentrationsverlauf in der folgenden Abbildung gezeigt.
Konzentration
1
0,8
Edukt
0,6
Produkt
0,4
0,2
0
0
1
2
3
Zeit
Beispiel: Wir betrachten den Zerfall von Stickstoff(V)oxid:
2 N2O5→ 4 NO2 + O2
Dies ist eine Reaktion erster Ordnung. Bei 25°C beträgt die Geschwindigkeitskonstante
3,38×10-5 s-1. Die Ausgangskonzentration sei 1 mol/m³. Welche Konzentration ist nach
einem Tag vorhanden?
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
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[A] = 1 mol3 ⋅ e −3,38×10
− 5 −1
s ⋅24⋅60⋅60 s
=1
m
mol
m
3
⋅ e −2,92 = 0,054
mol
m3
Oft gibt man die Halbwertszeit eines Zerfalls an. Die Halbwertszeit t1/2 ist die Zeit, nach
der die Hälfte der Moleküle zerfallen ist. Nach t1/2 ist die Konzentration auf [ A]0 2
abgefallen.
[A]0 = [A] ⋅ e − k t
0
1 12
2
⇒ ln
1
= − k1 ⋅ t1 2
2
Daraus folgt die nützliche Beziehung:
t1 2 =
ln 2
k1
Die Halbwertszeit beim Zerfall von Stickstoff(V)oxid beträgt beispielsweise 20507 s
oder 5,7 h.
Ein wichtiges Beispiel für Reaktionen erster Ordnung sind radioaktive Zerfälle von
Atomkernen.
Beispiel: 226
88 Ra zerfällt mit einer Halbwertszeit von 1600 Jahre durch Abgabe eines αTeilchens (He+). Wie viele Zerfälle beobachtet man bei 1 g Radium pro Sekunde?
t1 2 = 1600 y = 1600 ⋅ 365 ⋅ 24 ⋅ 60 ⋅ 60 s = 5,05 × 1010 s
k1 =
ln 2
= 1,37 × 10 −11 s −1
t1 2
Die Anzahl Kerne in 1 g Radium ist
1g ⋅ 6,022 × 10 23 mol −1
= 2,66 × 1021
−1
226 gmol
Die Zahl der Zerfälle beträgt 1,37 × 10 −11 ⋅ 2,66 × 10 21 g −1s −1 = 3,64 × 1010 g −1s −1 , wobei
ich vorausgesetzt habe, dass die Zahl der Atome über den Beobachtungszeitraum nicht
wesentlich abnimmt.
19.2.2 Einfache Reaktion erster Ordnung mit Rückreaktion
Bisher haben wir keine Rückreaktion erlaubt. Im allgemeinen Fall kann auch Produkt P
zurück ins Edukt A umgewandelt werden:
A ←
⎯→ P
Die Geschwindigkeitskonstante von A nach P bezeichnen wir mit k1, für die Rückreaktion (P nach A) verwenden wir k-1. Um die Konzentrationen zeitabhängig zu berechnen, stellen wir wieder die Differentialgleichung auf:
d [ A]
= −k1 ⋅ [ A] + k −1 ⋅ [P ]
dt
Je mehr A vorhanden ist, desto mehr Moleküle A zerfallen in P. Damit sinkt die Konzentration von A. Je mehr Moleküle P vorhanden sind, desto mehr Moleküle gehen von P
nach A über, und die Konzentration von A steigt. Für P kann man entsprechend schreiben:
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
d [P ]
= k1 ⋅ [ A] − k −1 ⋅ [P ]
dt
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Gehen wir von der ersten Gleichung aus. Es ist klar, dass die Gesamtkonzentration der
vorhandenen Moleküle [S ]Ges konstant ist. D.h. zu jeder Zeit gilt
[S ]Ges = [A] + [P] ⇒ [P] = [S ]Ges − [A]
Einsetzen
d [A]
= −k1 ⋅ [A] + k −1 ⋅ ([S ]Ges − [ A]) = −(k1 + k −1 ) ⋅ [ A] + k −1 ⋅ [S ]Ges
dt
Der zweite Term ist eine Konstante, die sich zeitlich nicht ändert. Bemerkung: Die Reaktionsgeschwindigkeit ist proportional zur Konzentration von A und damit von erster
Ordnung. Die Lösung dieser Gleichung ist nicht mehr ganz so einfach wie eben. Es
handelt sich nämlich um eine inhomogene, lineare Differentialgleichung erster Ordnung.
Dabei bedeutet:
•
•
Lineare Differentialgleichung: Alle Terme hängen linear von der Variablen, in unserem Fall [ A], ab.
Erster Ordnung: Die höchste Ableitung, die in der Differentialgleichung auftaucht, ist
die erste Ableitung.
Die Crux liegt in der Inhomogenität, d.h. in dem Auftauchen des konstanten Terms
k −1 [S]Ges . Zuerst schreiben wir die Differentialgleichung in der Form
d [A]
+ (k1 + k −1 ) ⋅ [A] = k −1 ⋅ [S ]Ges
dt
Ein Satz der Mathematik besagt, dass die allgemeine Lösung der inhomogenen, linearen Differentialgleichung gleich der Summe aus zwei Lösungen ist: Der allgemeinen
Lösung der entsprechenden homogenen Differentialgleichung plus einer Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Zuerst suchen wir die allgemeine Lösung der entsprechenden homogenen Differentialgleichung
d [ A]
+ (k1 + k −1 ) ⋅ [ A] = 0
dt
Dies ist die gleiche Differentialgleichung wie im ersten Fall. Die allgemeine Lösung ist
[A] = A* ⋅ e − (k1 + k−1 )⋅t
A* ist eine Konstante, die von den Anfangsbedingungen abhängt. Dazu kommen wir
gleich.
Jetzt brauchen wir noch eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Eine
einfache Lösung ist
[A] = [A]∞ =
k −1
⋅ [S ]Ges
k1 + k −1
Man kann das durch Einsetzen leicht verifizieren. Die gesamte Lösung ist also
[A] = A* ⋅ e − (k1 + k−1 )⋅t + [A]∞
Der erste Term fällt exponentiell mit der Zeit ab. Nach langer Zeit ist die Konzentration
von A durch den zweiten Term gegeben; deshalb der Index „Unendlich“. A* ergibt sich
aus der Bedingung, dass am Anfang die Konzentration von A gerade [ A]0 ist. D.h.
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
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[A]0 = A* ⋅ e −(k +k
1
−1
)⋅0 + [ A] = A* + [ A] ⇒ A* = [ A] − [ A]
∞
∞
0
∞
Insgesamt lautet die Lösung also
[A] = ([A]0 − [A]∞ ) ⋅ e − (k + k
1
−1
)⋅t + [ A]
∞
Die Produktkonzentration ist entsprechend
[P] = ([P]0 − [P]∞ ) ⋅ e − (k1 + k−1 )⋅t + [P ]∞
mit
[P]∞ =
k1
⋅ [S ]Ges
k1 + k −1
Starte ich mit geringer Produktkonzentration, dann gilt [P ]0 < [P ]∞ und der Faktor vor
der Exponentialfunktion ist negativ.
Für ein Beispiel ist der Verlauf der Edukt- und Produktkonzentration in der folgenden
Abbildung dargestellt. Dabei ist k1 = k −1 = 1s −1 . Bei t = 0 liegt ausschließlich das Edukt
und kein Produkt vor.
Konzentration
1
Edukt
0,8
Produkt
0,6
0,4
0,2
0
0
1
2
3
Zeit
Welches Konzentrationsverhältnis stellt sich nach langer Zeit ein? Im Gleichgewicht
dürfen sich die Konzentrationen nicht ändern. D.h.
d [ A]
= −k1 ⋅ [ A]∞ + k −1 ⋅ [P ]∞ = 0 ⇒ k1 [ A]∞ = k −1 [P ]∞
dt
oder
k1 [P ]∞
=
=K
k −1 [ A]∞
Die Konzentrationsverhältnisse im Gleichgewicht entsprechen gerade dem umgekehrten Verhältnis der Geschwindigkeitskonstanten. K ist die Gleichgewichtskonstante der
Reaktion.
Zwischenfrage: Wir betrachten ein System, in dem nur das Edukt vorliegt. Die Zerfallsrate k1 sei 1 s-1. Starten wir die Reaktion, dann erwarten wir, dass die Moleküle mit einer
Relaxationszeit von 1 s ins Produkt übergehen. Jetzt lassen wir eine Rückreaktion zu.
Die Geschwindigkeitskonstante sei k-1 = 10 s-1. Wie schnell relaxiert das System ins
neue Gleichgewicht? Viel schneller als im ersten Fall, nämlich mit einer Relaxationszeit
von
τ = 1 (k1 + k −1 ) = 1 (1 + 10 )s = 0,0909 s
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
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Die Reaktionsgeschwindigkeit, d.h. die Konzentrationsänderung pro Zeit, ist dennoch
geringer als im ersten Fall, da das neue Gleichgewicht anders liegt.
Man muss zwischen “Geschwindigkeitskonstanten” und “inversen Relaxationszeiten”
unterscheiden. Geschwindigkeitskonstanten geben die Raten an, mit der ein bestimmter Teilschritt einer Reaktion abläuft. Die inversen Relaxationszeiten sind die beobachtbaren Größen. Sie hängen oft von mehr als nur einer Geschwindigkeitskonstanten
ab.
Beispiel: Eine Reaktion A ←
⎯→ B startet mit 0,02 M A und 0,15 M B. Mit einer
Relaxationszeit von τ = 43 μs geht das System in ein neues Gleichgewicht über. Am
Ende liegt A mit einer Konzentration von 0,16 M und B mit 0,01 M vor. Berechnen Sie
die Geschwindigkeitskonstanten.
k1 [B ]∞ 0,01
=
=
= 0,0625 ⇒ k1 = 0,0625 ⋅ k −1
k −1 [ A]∞ 0,16
τ=
1
1
⇒ k1 + k −1 = k −1 ⋅ (0,0625 + 1) =
= 23256s −1
−6
k1 + k −1
43 × 10 s
⇒ k −1 =
23256
= 21888s −1
1,0625s
⇒ k1 = 0,0625 ⋅ 21888s −1 = 1368s −1
19.2.3 Irreversible Folgereaktionen
Wir betrachten jetzt eine Folge von zwei Reaktionsschritten:
k
k
1
2
A ⎯⎯→
B ⎯⎯→
C
Ein Stoff C wird aus A gebildet wobei ein Zwischenprodukt B durchlaufen wird. Die Geschwindigkeitskonstanten bezeichnen wir mit k1 und k2. Die Bildungs- bzw. Zerfallsgeschwindigkeiten sind:
d [ A]
= −k1 ⋅ [ A]
dt
d [B ]
= + k1 ⋅ [ A] − k 2 ⋅ [B ]
dt
d [C ]
=
dt
+ k 2 ⋅ [B ]
Die erste Gleichung ist identisch mit der bereits behandelten Gleichung. Die Lösung ist
[A] = [A]0 ⋅ e −k t
1
Das setzen wir in die zweite Gleichung ein:
d [B ]
= k1 ⋅ [ A]0 ⋅ e −k1t − k 2 ⋅ [B ]
dt
Vorgehen wie eben, d.h. (1) die homogene Differentialgleichung
d [B ]
+ k 2 ⋅ [B ] = 0
dt
allgemein lösen, und (2) eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
d [B ]
+ k 2 ⋅ [B ] = k1 ⋅ [ A]0 ⋅ e −k1t
dt
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finden. Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist
[B] = B* ⋅ e − k 2 t
wobei B* eine noch zu bestimmende Konstante ist. Als eine Lösung der inhomogenen
Differentialgleichung “raten” wir
[B] = B'⋅e − k1t
B’ ist eine weitere Konstante. Einsetzen in die inhomogene Differentialgleichung ergibt
− k1 ⋅ B'⋅e − k1t + k 2 ⋅ B'⋅e − k1t = k1 ⋅ [ A]0 ⋅ e − k1t
⇒ −k1 ⋅ B'+ k 2 ⋅ B' = k1 ⋅ [ A]0
Die geratene Gleichung ist also eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung,
wenn
B' =
k1 ⋅ [ A]0
k 2 − k1
gewählt wird. Die Konzentration von B verläuft also gemäß
[B ] = B* ⋅ e − k 2t + k1[A]0
k 2 − k1
⋅ e − k1t
Wir müssen noch B* bestimmen. Dazu verwenden wir die Anfangsbedingung. Zum
Zeitpunkt t=0 liegt B mit der Konzentration [B ]0 vor. Daraus folgt:
[B]0 = B * +
k1 [ A]0
k 2 − k1
⇒ B* = [B ]0 −
k1 [ A]0
k 2 − k1
Einsetzen ergibt
⎞
⎛ k [ A]
⋅ e − k1t − ⎜⎜ 1 0 − [B ]0 ⎟⎟ ⋅ e − k 2 t
k 2 − k1
⎠
⎝ k 2 − k1
[B ] = k1[A]0
Wir haben es also mit einem Verlauf zu tun, der durch zwei Exponentialfunktionen beschrieben wird. Die Zeitkonstanten der beiden Exponentialfunktionen sind die Kehrwerte der Geschwindigkeitskonstanten.
Bemerkung: Den pathologischen Fall k 2 = k1 betrachten wir nicht. Wir gehen davon
aus, dass in der Realität die Geschwindigkeitskonstanten nie genau gleich sind.
Den Konzentrationsverlauf der Substanz C erhalten wir leicht aus der Bedingung, dass
die Gesamtmenge des Materials [S ]Ges = [ A] + [B ] + [C ] konstant ist. Einsetzen der
Ausdrücke für [ A] und [B ] ergibt:
[C ] = [S ]Ges − ⎛⎜⎜ [B]0 − k1[A]0 ⎞⎟⎟ ⋅ e − k 2t − ⎛⎜⎜ [A]0 + k1[A]0 ⎞⎟⎟ ⋅ e − k1t
⎝
k 2 − k1 ⎠
⎝
k 2 − k1 ⎠
Ein vereinfachter Ausdruck ergibt sich, wenn am Anfang nur A und kein B oder C vorliegt. Man erhält dann
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
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[C ] = [A]0 +
Ausklammern von
k [ A] ⎞
k1 [ A]0 −k2t ⎛
⋅e
− ⎜⎜ [ A]0 + 1 0 ⎟⎟ ⋅ e −k1t
k 2 − k1
k 2 − k1 ⎠
⎝
[A]0
und Ersetzen der „1“ im hinteren Klammerausdruck durch
k 2 − k1 k 2 − k1 führt zu
⎛
[C ] = [A]0 ⋅ ⎜⎜1 +
⎝
⎞
k2
k1
⋅ e− k 2t −
⋅ e − k1t ⎟⎟
k 2 − k1
k 2 − k1
⎠
In der folgenden Abbildung ist der Konzentrationsverlauf für drei Substanzen mit den
Geschwindigkeitskonstanten k1 = 2 s −1 und k 2 = 0,5s −1 gezeigt. Die Anfangsbedingungen sind [S ]Ges = [ A]0 = 1M und [B ]0 = [C ]0 = 0 .
Konzentration
1
0,8
A
0,6
B
0,4
C
0,2
0
0
1
2
Zeit
3
Angenommen ein Schritt verläuft wesentlich langsamer als der andere, d.h. k 2 >> k1
oder k 2 << k1 . Dann wird die Bildung von C nur durch den langsameren Schritt bestimmt. Diesen Schritt nennt man den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt (rate
limiting step).
19.3 Reaktionen zweiter Ordnung
19.3.1 Einfache Reaktion zweiter Ordnung
Wir wollen den zeitlichen Ablauf der Reaktion
k
1
2 A ⎯⎯→
P
beschreiben. Zwei Moleküle A reagieren zu einem oder mehreren Produkten. Eine
Rückreaktion sei ausgeschlossen. In diesem Fall ist die Reaktionsgeschwindigkeit proportional zum Quadrat der Konzentration von A:
d [ A]
= −k1 ⋅ [ A]2
dt
Zur Erinnerung: In diesem Fall hat die Geschwindigkeitskonstante k1 die Einheit
M −1s −1 . Die Differentialgleichung kann man leicht integrieren:
[ A]
t
⎛ 1
d [ A]
1
1 ⎞
⎜
⎟
=
−
⋅
⇒
=
−
⋅
⇔
−
−
'
'
k
dt
d
[
A
]
k
dt
1
1
∫
∫
⎜ [ A] [ A] ⎟ = −k1 ⋅ t
2
[
]
'
A
[A]2
0⎠
⎝
[ A]0
0
Den Ausdruck kann man nach [ A] auflösen:
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-10-
1
1
=
+ k ⋅ t ⇒ [ A] =
[A] [A]0 1
1
k t [ A]0
1
+ 1
[ A]0 [A]0
Die Konzentration von A fällt also gemäß
[A] =
[A]0
1 + [ A]0 ⋅ k1 ⋅ t
ab. Der Kehrwert von [ A]0 k1 entspricht der Zeit, die vergeht, bis die Konzentration von
A auf die Hälfte abgefallen ist:
t1 2 =
1
[A]0 ⋅ k1
In der folgenden Abbildung ist der Verlauf der Konzentrationen von A und dem Produkt
im Vergleich zur Reaktion erster Ordnung gezeigt. In beiden Fällen betrug die Ausgangskonzentration 1 M und war k1 = 1 s-1. Man sieht, dass der Abfall von [ A] am Anfang etwa gleich schnell ist wie bei einer Reaktion erster Ordnung. Danach flacht die
Kurve ab und die Reaktionsgeschwindigkeit ist kleiner.
Konzentration
1
A 1.Ordn.
0,8
A 2. Ordn.
0,6
Produkt
0,4
0,2
0
0
1
2
3
Zeit
Beispiel: Die Reaktion 2 I → I2 verläuft in Hexan bei 50°C mit einer Geschwindigkeitskonstanten von 1,8×1010 M-1s-1. Die Reaktion wird bei einer Konzentration von 0,1 M
gestartet. Beim Start soll kein I2 vorhanden sein. Nach welcher Zeit erwarten Sie eine I2Konzentration von 0,02 M?
[I 2 ] = 0,02M
ist erreicht, wenn [I ] auf 0,06 M gesunken ist. Also
0,06M =
0,1M
0,1
1
6,67
⇒ k1 ⋅ t =
−
⇒t =
= 3,7 ×10 −10 s
1 + 0,1M ⋅ k1 ⋅ t
0,1⋅ 0,06M 0,1M
k1M
19.3.2 Reaktion zweiter Ordnung zwischen unterschiedlichen
Molekülen
Wir wollen den zeitlichen Ablauf der Reaktion
k
1
A + B ⎯⎯→
P
beschreiben. Molekül A reagiert mit Molekül B zu einem oder mehreren Produkten.
Eine Rückreaktion sei ausgeschlossen. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist gegeben als:
d [ A] d [B ]
=
= −k1 ⋅ [ A] ⋅ [B ]
dt
dt
PCIII-19.DOC MASKOS/BUTT 26.06.2009
-11-
Die Reaktion ist erster Ordnung in A und erster Ordnung in B. Insgesamt liegt eine
Reaktion zweiter Ordnung vor. Um diese Differentialgleichung zu lösen, führt man eine
weitere Variable ein. Dabei gehen wir von den Ausgangskonzentrationen [ A]0 und
[B]0
aus. Nach einer Zeit ist ein Teil von A umgesetzt. Diesen Teil nenne ich x. Die
Konzentration von A beträgt dann [ A] = [ A]0 − x . Da pro Moleküle A genau ein Molekül
B reagiert, verringert sich die Konzentration von B auf [B ] = [B ]0 − x . Ich kann die
Differentialgleichung umschreiben in:
d [ A] d [B ]
=
= −k1 ⋅ ([ A]0 − x ) ⋅ ([B ]0 − x )
dt
dt
Außerdem gilt
d [ A] d [B ]
dx
=
=−
dt
dt
dt
Damit erhalten wir
dx
= k1 ⋅ ([ A]0 − x ) ⋅ ([B ]0 − x )
dt
Der Vorteil dieser Gleichung ist, dass sie nur noch eine Variable enthält - nämlich x statt zwei ( [ A] und [B ] ). Die Differentialgleichung kann man integrieren:
x
t
dx
dx'
= k1 ⋅ dt ⇒ ∫
= k1 ⋅ ∫ dt ' = k1t
([A]0 − x )⋅ ([B]0 − x )
(
[
]
)
(
[
]
)
A
−
x
'
⋅
B
−
x
'
0
0
0
0
Das Integral auf der linken Seite ist
[A]0 − x'
[B ]0 ⋅ ([A]0 − x )
dx'
1
1
∫ ([A]0 − x')⋅ ([B]0 − x') = − [B]0 − [A]0 ⋅ ln [B]0 − x' = [A]0 − [B]0 ⋅ ln [A]0 ⋅ ([B]0 − x )
0
0
x
x
Bemerkung: Die Lösung ist völlig symmetrisch bezüglich [ A]0 und [B ]0 . Das muss sie
auch, denn welches Molekül ich mit A und mit B bezeichne, darf keinen Einfluß auf das
Ergebnis haben.
Als Lösung erhalten wir:
[B] ⋅ ([A]0 − x )
1
⋅ ln 0
[A]0 − [B]0 [A]0 ⋅ ([B ]0 − x )
k1 ⋅ t =
Diese Gleichung kann man nach x und damit nach [ A] und [B ] auflösen:
[B]0 ⋅ ([A]0 − x )
[B]0 ⋅ ([A]0 − x )
⇔ e k t ([ A] −[B ] ) =
[A]0 ⋅ ([B ]0 − x )
[A]0 ⋅ ([B]0 − x )
⇔ e k t ([ A] −[B ] ) ⋅ [ A]0 ⋅ ([B ]0 − x ) = [B ]0 ⋅ ([ A]0 − x )
⇔ x ⋅ ([B ]0 − [ A]0 e k t ([ A] −[B ] ) ) = [ A]0 [B ]0 ⋅ (1 − e k t ([ A] −[B ] ) )
k1t ([ A]0 − [B ]0 ) = ln
1
1
0
0
0
0
1
⇔ x = [ A]0 [B ]0 ⋅
0
0
1 − e k1t ([ A]0 −[B ]0 )
[B] − [A] e k1t ([ A]0 −[B ]0 )
0
0
Für die Konzentration von A ergibt sich damit
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1
0
0
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⎛
[A] = [A]0 − x = [A]0 ⋅ ⎜⎜1 − [B]0 ⋅
⎝
⎞
1 − e k1t ([ A]0 − [B ]0 )
⎟
k1t ([ A]0 − [B ]0 ) ⎟
[B]0 − [A]0 e
⎠
Einen entsprechenden Ausdruck kann man für B hinschreiben.
Diese Lösung ist leider relativ kompliziert und undurchsichtig. Grund: Der Faktor im
Exponenten enthält die Anfangskonzentrationen. Praktisch heißt das z. B. Folgendes:
Angenommen ich beobachte den Zerfall von A. Die Zerfallsgeschwindigkeit hängt dann
von der Konzentration B ab. Je mehr B vorhanden ist, desto schneller findet ein Molekül
A einen Partner für die Reaktion.
Ein Fall der oft auftritt ist, dass ein Reaktionspartner in großem Überschuß auftritt.
Seine Konzentration ändert sich also während der Reaktion nicht merklich. Den Reaktionspartner, der in großem Überschuß auftritt, nenne ich B. Für [B ]0 >> [ A]0 ≥ x können
wir in der letzten eingerahmten Gleichung einige Näherungen machen:
[B] ⋅ ([A]0 − x )
[B] ⋅ ([A]0 − x ) 1
[A]0
1
1
=
⋅ ln
⋅ ln 0
≈−
⋅ ln 0
[A]0 − [B]0 [A]0 ⋅ ([B]0 − x ) [B]0
[A]0 ⋅ [B]0
[B ]0 ([A]0 − x )
Mit [ A] = [ A]0 − x erhalte ich
k1t =
[A]
1
⋅ ln 0
[B]0 [A]
Für die Konzentration von A ergibt sich daraus
[B]0 k1t = ln
[A]0
[A]
⇒ e [B ]0 k1t =
[A]0
[A]
⇒
[A] = [A]0 ⋅ e −k 't
mit
k ' = [B ]0 k1
Man erhält einen Zerfall wie bei einer einfachen Reaktion erster Ordnung: Die Geschwindigkeitskonstante k‘ ist aber nicht nur durch k1 sondern durch [B ]0 k1 gegeben!
Man spricht von einer „Pseudo 1. Ordnung“.
Beispiel: Synthese von Iodwasserstoff. Bei 400°C läuft die Gasreaktion I2+H2 → 2HI mit
einer Geschwindigkeitskonstanten von 2,4×10-2 M-1s-1 ab. Wir starten die Reaktion mit
den Partialdrücken P ( I 2 ) = 1bar und P ( H 2 ) = 0,003bar . Beschreiben Sie den Reaktionsverlauf.
Umrechnen von Druck auf Konzentration. Dabei gehen wir davon aus, dass sich die
Gase ideal verhalten. Für I2 erhält man:
n
P
105 Nmol
mol
PV = nRT ⇒ =
=
= 17,9 3 = 1,79 ×10 − 2 M
2
V RT 8,314 ⋅ 673Jm
m
Die Konzentration von H2 beträgt 5,26×10-5 M. Die Konzentration von Wasserstoff wird
exponentiell von 0,003 bar mit einer Zeitkonstanten von
τ=
1
[B ]0 k1
=
Ms
1,79 ×10
−2
M ⋅ 2,4 ×10 − 2
= 2300s
abnehmen. Die Konzentration von Iodwasserstoff nimmt entsprechend dem stöchiometrischen Faktor 2 mit der doppelten Geschwindigkeit zu.
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19.4 Experimentelle Methoden
19.4.1 Vorbemerkungen
Im letzten Kapitel hatten wir einen bestimmten Reaktionsmechansimus angenommen
und haben daraus die Konzentrationsverläufe der beteiligten Substanzen berechnet.
Diese Beziehung ist eindeutig. Kenne ich das Reaktionsschema, die Anfangskonzentrationen und die Geschwindigkeitskonstanten, dann sind die Konzentrationsverläufe (und
damit die meßbaren Relaxationszeiten) eindeutig bestimmt.
In der Praxis stellt sich eher das umgekehrte Problem: Ich beobachte nach dem Start
einer Reaktion die Konzentrationsverläufe und möchte daraus auf den Reaktionsmechanismus schließen und die Geschwindigkeitskonstanten bestimmen. Dieser
Schritt ist nicht eindeutig.
Beispiel: Ich habe ein Verfahren, mit dem ich die Konzentrationen der Substanzen A, B,
und C messen kann. Mit einem gewissen Rauschen beobachte ich Konzentrationsverläufe, wie sie in der letzten Abbildung gezeigt sind. Der Schluß, dass dann der
Reaktionsmechanimus
k = 2 s −1
k = 0 , 5 s −1
1
2
⎯⎯→ B ⎯⎯
⎯⎯
⎯→ C
A ⎯⎯
zugrunde liegen muss, ist falsch. Es könnte z.B. ein schnell zerfallendes Zwischenprodukt geben:
k = 2 s −1
k = 0 , 5 s −1
k =50 s −1
2
3
1
A ⎯⎯
⎯⎯→ B ⎯⎯
⎯ ⎯→ D ⎯⎯
⎯⎯→ C
D zerfällt so schnell, dass es in nur geringer Konzentration anfällt und die gesamte
Reaktion nicht verzögert wird. Im Rahmen der Meßgenauigkeit würden die zeitlichen
Verläufe [A], [B] und [C] genauso aussehen. Man kann aus den Meßergebnissen nur
folgern, dass ich die Beobachtung mit Hilfe des ersten Schemas beschreiben kann,
nicht aber, dass dieses das tatsächlich gültige ist. Solange man keine Hinweise auf das
Vorliegen eines komplizierteren Reaktionsschemas hat, verwendet man das einfachste
Schema, welches mit den experimentellen Resultaten vereinbar ist.
Chemische Reaktionen können mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen.
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Radikal-Molekül- Rekombination freier
Reaktionen in Lösung Radikale in Gasphase
Photoisomerisation
Reaktionen bei denen
kovalente Bindungen
gebrochen werden
Photoionisation
Photodissoziation
Diffusionskontrollierte
Reaktionen in Lösung
Molekül- Molekülrotation schwingungen
Intramolekulare Energieverteilung
Stöße Lösungsmittel-gelöste Substanz
103
1
10-3
(1 ms)
10-6
(1 μs)
10-9
(1 ns)
10-12
(1 ps)
10-15 sec
(1 fs)
19.4.2 Experimentelles Vorgehen
Um die Kinetik einer chemischen Reaktion zu bestimmen, muss man die Stöchiometrie aller beteiligten Edukte und Produkte und, falls möglich, auch die möglicher
Zwischenstufen kennen. Hat man diese Angaben nicht, dann muss man sie sich zuerst
experimentell oder durch Literatursuche beschaffen.
Bei der Durchführung kinetischer Experimente sollte man auf die Reinheit der Substanzen achten. Oft können kleine Verunreinigungen große Effekte haben. Außerdem muss
die Temperatur kontrolliert werden. Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen hängt
normalerweise stark von der Temperatur ab.
Ziel eines kinetischen Experiments ist im Allgemeinen, den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen aller an einer chemischen Reaktion beteiligten Substanzen zu verfolgen.
Die Methoden, mit denen die Konzentrationen gemessen werden, sind vielfältig. Sie
hängen von der Substanz ab und von der Reaktionsgeschwindigkeit.
Bei Gasreaktionen kann man ausnutzen, dass Gas entsteht oder vernichtet wird. Die
Reaktionsgeschwindigkeit lässt sich dann anhand des Drucks ermitteln. Ein Nachteil
der Methode ist, dass sie nicht spezifisch ist. Jede gasförmige Substanz erhöht den
Druck.
Beispiel: Wie stark ändert sich der Druck wenn gasförmiges Distickstoff(V)-pentoxid
N2O5 in Stickstoff(IV)-dioxid und Sauerstoff zerfällt? Die Reaktionsgleichung ist
N2O5 → 2 NO2 + ½ O2
Aus 1 Teil Gas werden 2.5 Teile Gas. Haben wir zu Beginn n Mole N2O5 und ist nach
einer bestimmten Zeit ein Anteil α davon zerfallen, dann sind
n ⋅ (1 − α )
Mole N2O5,
2nα
Mole NO2 und
½ nα
Mole O2 vorhanden.
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Insgesamt haben wir also n ⋅ (1 − α ) + 2nα + 0.5nα = n ⋅ (1 + 1.5α ) Mole Gas. Verhält
sich das Gas ideal, dann erhöht sich der Druck von P0 auf P = n ⋅ (1 + 1.5α ) ⋅ P0 .
Absorbieren Substanzen in einem leicht meßbaren Teil des Spektrums, kann man die
Konzentration spektroskopisch bestimmen. Ändert sich bei einer Reaktion in Lösung
die Ionenstärke, kann man sie anhand der Leitfähigkeit oder des pHs verfolgen.
Die bisher genannten Techniken lassen sich in Echtzeit anwenden. Oft kann man die
Konzentration eines Stoffes nur durch eine Analyse bestimmen. Dann ist es angezeigt,
die Reaktion eine Weile ablaufen zu lassen und sie dann zu quenchen, d.h. zu
stoppen. Dies kann z.B. durch rasches Abkühlen erfolgen oder indem eine Substanz
dazugegeben wird, die die Reaktion zum Erliegen bringt.
Beispiel:1 Viele Enzyme werden durch Phosphorylierung reguliert. Wir wollen wissen,
wie schnell ein bestimmtes Enzym phosphoryliert wird. Bei dieser Reaktion wird ein
Phosphat vom ATP auf das Enzym übertragen:
E + ATP → E-P + ADP
Dazu gibt man Enzym, mögliche Katalysatoren und radioaktiv markiertes ATP zusammen. Man lässt die Reaktion eine Zeit laufen und stoppt dann durch Zugabe von Säure.
Danach misst man die Konzentration radioaktiv gelabelten Enzyms.
Um Reaktionskinetiken mit einer Geschwindigkeit bis in den 1 ms-Bereich zu messen,
kann man Strömungsapparaturen verwenden. Ein Strömungsapparat zur Messung
von Reaktionen 2. Ordnung ist in der folgenden Abbildung gezeigt. Die beiden Edukte
werden aus Vorratsflaschen mit Hilfe von Pumpen in eine Mischkammer gepumpt. Das
reagierende Gemisch fließt in ein Rohr. An diesem Rohr werden die Konzentrationen
der Edukte, z.B. durch Absorption, gemessen. Dabei entspricht die Position der
Detektionseinheit einer bestimmten Reaktionszeit. Befindet sich die Detektionseinheit
eine Strecke x von der Mischkammer entfernt und fließt das Gemisch in dem Rohr mit
einer Geschwindigkeit v, dann entspricht die Position x einer Reaktionszeit t = x / v .
Bewegliches
Spektrometer
x
Pumpen
Ein Nachteil konventionellen Strömungapparate liegt im hohen Verbrauch der Edukte.
Mit weit weniger Substanz kommen sogenannte stopped-flow Geräte aus. Dabei wird
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mit hohem Druck für eine kurze Zeit Substanz in die Mischkammer und das
anschließende Rohr gedrückt. Danach wird der Fluß gestoppt und an einem festen Ort
zeichnet ein Detektionsgerät den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen auf, z.B. mit
Hilfe der Absorption.
Strömungsmethoden haben eine Zeitauflösung von 1-10 ms. Diese Zeit ist dadurch
begrenzt, dass die Mischung der Reaktanden eine gewisse Zeit braucht.
Spektrometer
19.5 Relaxationsverfahren
Noch schneller Prozesse lassen sich mit Hilfe von Relaxationsexperimenten analysieren. Dabei nutzt man aus, dass Geschwindigkeitskonstanten i.a. von Druck und
Temperatur abhängen. In einem Relaxationsexperiment liegt zunächst ein System im
Gleichgewicht vor. Dann ändert man sprunghaft Druck (pressure jump experiment) oder
Temperatur (temperature jump) oder einen anderen Parameter, der die Geschwindigkeitskonstanten verändert. “Sprunghaft” heißt in dem Zusammenhang, dass die Zeit für
die Änderung des Parameters schneller sein muss als die Zeit, die das Systems
benötigt, um ins neue Gleichgewicht zu relaxieren.
Beispiel: Wir haben eine 10 mM wäßrige Lösung mit CH3COOH bei 10°C vorliegen. Bei
dieser Temperatur beträgt die Dissoziationskonstante der Carboxylgruppe K =
1,729×10-5 M. Der pK ist pK = − log K = 4,762 . Damit können wir den pH der Lösung
berechnen, vorausgesetzt, sie enthält nicht noch andere Komponenten (wie z.B. aus
der Luft gelöstes CO2). Der pH beträgt
pH =
pK log c 0A 4,762 − 2
−
=
−
= 3,381
2
2
2
2
Jetzt erhöhen wir die Temperatur auf 15°C. Die Dissoziationskonstante steigt auf
1,745×10-5 M, der pK sinkt auf 4,758. Damit fällt der pH auf
pH =
4,758 − 2
−
= 3,379
2
2
Diese pH-Änderung kann man z.B. mit Hilfe von pH-abhängigen Farbstoffen spektroskopisch nachweisen.
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19.5.1 Mathematische Beschreibung
Wie können wir ein Relaxationsexperiment mathematisch beschreiben? Welche Änderungen der Konzentrationen erwartet man in Abhängigkeit von der Zeit? Diese Frage
wollen wir zuerst an einem einfachen Beispiel behandeln, nämlich der reversiblen
Reaktion
A ↔ P
Die Hinrate vor dem Sprung sei k1’, die Rückrate k-1’. Im Gleichgewicht gilt
K '=
[P ]'G
[A]'G
=
k1 '
k −1 '
Der Index G steht für “Gleichgewicht”. Mit der Änderung des Parameters (Druck,
Temperatur,...) springen die Geschwindigkeitskonstanten auf einen neuen Wert: k1’ wird
zu k1, die Rückrate k-1’ wird zu k-1. Die Konzentrationen, die unmittelbar nach dem
Sprung noch den alten Gleichgewichtswert hatten, beginnen sich zu ändern und
streben einem neuen Gleichgewicht
K=
[P]G
[A]G
=
k1
k −1
zu. Jetzt führen wir zweckmäßigerweise eine neue Variable y ein. y sei die zeitabhängige Abweichung der Konzentration vom neuen Gleichgewichtswert des Produkts.
Bei t = 0 nimmt y seinen betragsmäßig größten Wert an. y ist positiv, wenn die Produktkonzentration nach dem Sprung abnimmt. Nach langer Zeit wird y = 0. Die Konzentrationen sind
[A] = [A]G + y
und
[P] = [P]G − y
Die Bildungsgeschwindigkeit des Produkts ist
d [P ]
= k1 [ A] − k −1 [P ]
dt
Einsetzen ergibt eine Differentialgleichung für y:
d ([P ]G − y )
= k1 ⋅ ([ A]G + y ) − k −1 ⋅ ([P ]G − y )
dt
d [P ]G dy
⇔
−
= k1 [ A]G + k1 y − k −1 [P ]G + k −1 y
dt
dt
Der erste Term auf der linken Seite verschwindet, da die Gleichgewichtskonzentration
ein fester Wert ist und sich nicht ändert. Umordnen der Terme auf der rechten Seite
ergibt
−
dy
= k1[ A]G − k −1 [P ]G + (k1 + k −1 ) ⋅ y
dt
Die ersten beiden Terme auf der rechten Seite kann man streichen; sie heben sich
gegenseitig weg. Demnach
dy
= −(k1 + k −1 ) ⋅ y
dt
Die Lösung dieser Differentialgleichung ist
y = y0 ⋅ e − (k1 + k −1 )⋅t
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Man würde also eine Relaxation mit der gleichen Relaxationszeit beobachten, wie man
sie für eine Reaktion erster Ordnung erwartet. Schematisch ist der Verlauf der
Konzentration in der folgenden Abbildung gezeigt.
Konzentration
Sprung
Produkt
yo
Edukt
Zeit
Was für eine Relaxation erwartet man bei einer Reaktion zweiter Ordnung? Wir wollen
dazu die folgende Reaktion analysieren:
A + B ↔P
Die Hinrate sei wieder k1’, die Rückrate k-1’. Bemerkung: Die Gleichung ist äquivalent
zur Dissoziation P ↔ A+B, ich brauche nur die Bezeichnungen der Geschwindigkeitskonstanten zu ändern. Für das Gleichgewicht vor dem Sprung gilt
K'=
[P]'G
[A]'G ⋅[B]'G
=
k1 '
k −1 '
Das neue Gleichgewicht ist durch
K=
[P]G
[A]G ⋅ [B]G
=
k1
k −1
gegeben. Die zeitabhängigen Konzentrationen sind
[A] = [A]G + y ,
[B] = [B ]G + y
und
[P] = [P]G − y
Die Bildungsgeschwindigkeit des Produkts ist
d [P ]
= k1 [ A]⋅ [B ] − k −1 [P ]
dt
Einsetzen der Konzentrationen ergibt folgende Differentialgleichung für y:
d ([P ]G − y )
= k1 ⋅ ([ A]G + y ) ⋅ ([B ]G + y ) − k −1 ⋅ ([P ]G − y )
dt
dy
⇔−
= k1 [ A]G [B ]G + k1 [ A]G y + k1 y[B ]G + k1 y 2 − k −1 [P ]G + k −1 y
dt
Der erste und vorletzte Term auf der rechten Seite heben sich auf. Außerdem gehen
wir davon aus, dass die Konzentrationsänderung y klein ist im Vergleich zu den Gleichgewichtskonzentrationen. Dann ist k1 y 2 klein gegenüber den anderen Termen und wir
vernachlässigen den Ausdruck. Demnach
−
dy
dy
= + k1 [ A]G y + k1[B ]G y + k −1 y ⇒
= −(k1 [ A]G + k1 [B ]G + k −1 ) ⋅ y
dt
dt
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Die Lösung dieser Differentialgleichung ist
y = y0 ⋅ e − (k1 [ A]G + k1 [B ]G + k −1 )⋅t
Ungeachtet der tatsächlichen Reaktionsordnung klingt die Störung wie bei einer Kinetik
erster Ordnung ab. Der Kehrwert der Relaxationszeit ist gegeben durch
1
τ
= k1 ⋅ ([ A]G + [B ]G ) + k −1
Aus der Relaxationszeit τ allein können die Geschwindigkeitskonstanten nicht bestimmt
werden. Der Kehrwert von τ setzt allenfalls ein oberes Limit für die Geschwindigkeitskonstanten. Kenne ich dagegen auch die Gleichgewichtskonstante, dann kann ich aus
einer einzigen Messung der Relaxationszeit die Geschwindigkeitskonstanten bestimmen. Man sieht das, wenn man die Gleichung etwas umschreibt. Mit k −1 = k1 K erhält
man
1⎞
⎛
= k1 ⋅ ⎜ [ A]G + [B ]G + ⎟
τ
K⎠
⎝
1
Beispiel: Für die Reaktion H+ + OH- ↔ H2O beobachtet man bei 25°C und pH 7 eine
Relaxationszeit von 33,3 μs. Wie groß sind die Geschwindigkeitskonstanten k1 und
k −1 ?
Die Gleichgewichtskonzentrationen ergeben sich aus dem Ionenprodukt des Wassers:
[OH ] ⋅ [H ] = 10 M
[H ] = 10 M folgt [OH ]
−
+
G
−14
2
G
+
−7
−
−7
Mit
G
G = 10 M . Mit Hilfe des des Ionenprodukts kann
man auch die Gleichgewichtskonstante berechnen:
[
] [ ]
1 OH − G ⋅ H +
=
[H 2O]G
K
G
10 −14 M 2 10 −14 M 2
=
=
⇒ K = 5,5 × 1015 M −1
55M
[H 2O]G
Bitte aufpassen! In unserem Fall ist die Gleichgewichtskonstante der Kehrwert der gewohnten Dissoziationskonstanten. Auflösen der Gleichung für die Relaxationszeit nach
k1 und Einsetzen ergibt
k1 =
1 ⎛
1⎞
⋅ ⎜ [ A]G + [B ]G + ⎟
K⎠
τ ⎝
−1
=
1
33,3 × 10
−6
s ⋅ 2 × 10
−7
M
= 1,5 × 1011 M −1s −1
Mit der Gleichgewichtskonstanten K ergibt sich auch die Rückrate:
k1 1,5 ×1011 M −1s −1
k −1 = =
= 2,7 × 10 − 5 s −1
15
−
1
K
5,5 × 10 M
19.5.2 Temperatursprung Verfahren
Temperatursprung-Experimente werden relativ häufig angewendet, insbesondere bei
Reaktionen, die in wäßrigem Lösungsmittel ablaufen. Die Temperaturerhöhung kann
durch einen kurzen Laserpuls hervorgerufen werden. Die Lösung absorbiert das Licht
und die Energie wird in Wärme umgewandelt. Üblicher ist, die Temperatur durch einen
Stromstoß zu erhöhen. Die Lösung muss Salz enthalten, um eine ausreichende
elektrische Leitung zu gewährleisten. Die Zeitauflösung bei Temperatursprung-Experimenten kann bis zu 0,1 μs betragen. Eine Temperatusprunganordnung mit optischer
Detektion ist schematisch in der folgenden Abbildung gezeigt.
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-20-
1
J.P. Froehlich et al., J. Biol. Chem. 1976, 251, 2186.
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