Zeitlicher Verlauf chemischer Reaktionen

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Zeitlicher Verlauf chemischer Reaktionen
1. Reaktionen vom Typ A  2 B
Grundsätzlich entspricht diese Reaktion einem radioaktiven Zerfall: In einer Zeiteinheit
zerfällt ein bestimmtes Molekül A mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, die unabhängig
davon ist, wie viele andere Moleküle A oder B im Reaktionsraum vorhanden sind. Da wir nun
stets sehr viele Moleküle betrachten, zerfällt also in einer Zeiteinheit stets ein gewisser
Prozentsatz aller vorhandenen Moleküle A. Damit ergibt sich für den zeitlichen Verlauf der
Konzentrationen cA(t) und cB(t) das Differentialgleichungssystem
d
c A ( t)
dt
k 1  c A ( t)
d
2k1  cA ( t)
dt
cB( t)
(1a)
(1b)
k1 gibt dabei an, wie rasch der Zerfall von A unter den gegebenen, als zeitlich konstant
angenommenen Bedingungen (Temperatur, Anwesenheit eines Katalysators etc.) abläuft. Der
Faktor 2 in (1b) ergibt sich, weil ja aus einem Molekül A zwei Moleküle B entstehen.
(1a) ist recht einfach durch Variablentrennung zu lösen und führt zu
c A ( t)
 k 1t
C 1e
und durch Integration von (1b) ergibt sich
c B( t)

2  k 1   c A ( t) d t


 k 1t
2  C 1  e
C2
C1 und C2 sind dabei Konstanten, die sich aus den Anfangskonzentrationen cA(0) und cB(0)
berechnen lassen, womit sich folgende Lösung ergibt:
c A ( t)
c B( t)
 k 1t
c A ( 0)  e

 k 1t
2  c A ( 0)  1  e
  c B(0)
2. Reaktionen vom Typ A  2B:
Wenn wir die soeben besprochene Reaktion als Gleichgewichtsreaktion betrachten, wenn also
der Reaktionsablauf in der Gegenrichtung nicht mehr vernachlässigbar ist, dann wird das
Differentialgleichungssystem komplizierter. Bei der Rückreaktion ist zu beachten, dass sich in
einem bestimmten kleinen Volumselement erst einmal zwei Moleküle B treffen müssen,
damit die Reaktion in die Gegenrichtung überhaupt ablaufen kann. Die Wahrscheinlichkeit,
dass sich ein einzelnes Molekül B in diesem Volumselement aufhält, ist nun proportional zur
Konzentration cB, also ist die Wahrscheinlichkeit für das Ablaufen der Rückreaktion in
diesem Volumselement proportional zu cB2. Die Proportionalitätskonstante bezeichnen wir
mit k2.
Damit erhalten wir folgendes Differentialgleichungssystem:
d
dt
d
dt
1
k1  cA ( t) 
cA ( t)
2
 k2 cB( t)
(1a)
2k1  cA ( t)  k2  cB( t)
cB( t)
2
2
(1b)
Der Faktor ½ in (1a) ergibt sich daraus, dass beim Ablauf der Rückreaktion die Konzentrationszunahme von A ja nur halb so groß ist wie Konzentrationsabnahme von B.
Hier handelt es sich nun um ein nichtlineares Differentialgleichungssystem, wie es im
allgemeinen bei der mathematischen Beschreibung des zeitlichen Verlaufs einer chemischen
Reaktion immer entsteht. Ein solches nichtlineares Differentialgleichungssystem ist im
Normalfall nur numerisch lösbar.
Bemerkung: Gleichgewichtskonstante
Im Gleichgewicht ändern sich die Konzentrationen der Reaktionspartner nicht mehr, weil die
Reaktion in beide Richtungen gleich schnell abläuft. Wenn wir also die linke Seite von (1a)
oder (1b) gleich Null setzen und die Gleichung etwas umformen, erhalten wir
2
cB
2  k1
cA
k2
Da k1 und k2 bei gegebenen Bedingungen (Temperatur, Katalysatoren etc.) konstant sind,
ergibt sich im Gleichgewicht für den Quotienten cB2 / cA stets derselbe Wert, und zwar
unabhängig von den Ausgangskonzentrationen der beteiligten Substanzen. Dieser
konstante Wert wird Gleichgewichtskonstante genannt.
3. Kompliziertere Reaktionen:
Mit denselben Überlegungen wie bei Punkt 2 lassen sich kompliziertere Reaktionen durch ein
Differentialgleichungssystem beschreiben. Wenn wir zum Beispiel die Reaktion
4A+3BC+2D
betrachten, so erhalten wir
d
cA ( t)
dt
k1  cA ( t)  cB( t)  4k2  cC( t)  cD ( t)
d
cB( t)
dt
3 d
3
4
3
2
 cA ( t)  k1  cA ( t)  cB( t)  3  k2  cC( t)  cD ( t)
4 dt
4
1
4
3
2
 k1  cA ( t)  cB( t)  k2  cC( t)  cD ( t)
4
d
cC( t)
dt
d
cD ( t)
dt
4
2
d
cC( t)
dt
3
2
1
4
3
2
 k1  cA ( t)  cB( t)  2  k2  cC( t)  cD ( t)
2
Auf ähnliche Weise lassen sich natürlich auch für mehrstufige chemische Reaktionen
entsprechende Differentialgleichungssysteme beschreiben. In der Atmosphärenchemie führen
derartige Überlegungen zu hochkomplexen mathematischen Modellen, die neben den
Konzentrationen der einzelnen Reaktanden auch noch deren räumliche Umverteilung durch
Luftströmungen berücksichtigen. Ebenfalls zu berücksichtigen sind Faktoren, die den Zahlenwert der jeweiligen „Konstanten“ k1 und k2 beeinflussen, wie zum Beispiel Temperatur und
UV-Strahlung. Da diese Faktoren einer permanenten zeitlichen Änderung unterworfen sind
(Tages- und Jahresrhythmus), befinden sich chemische Reaktionsabläufe in der Atmosphäre
(zum Beispiel Ozonabbau) nie im Gleichgewicht, weshalb auch eine Analyse mit Hilfe der
Gleichgewichtskonstanten nicht möglich ist.
Für bestimmte chemische Reaktionsketten ergeben sich für das entsprechende Differentialgleichungssystem periodische Lösungen, was einem Oszillieren des chemischen Reaktionsablaufs entspricht. Als klassisches Beispiel sind hier Belousov-Zhabotinsky-Reaktionen zu
nennen – im untenstehenden Bild der Ablauf einer solchen Reaktion mit Ferroin (Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Belousov-Zhabotinsky-Reaktion).
Diese Oszillationen können in weiterer Folge zu einer wellenartigen Ausbreitung einer
chemischen Reaktion führen – im untenstehenden Bild sind die Wellenfront und die Ausbreitungsrichtung in einem bestimmten Punkt eingezeichnet.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Belousov-Zhabotinsky-Reaktion).
Dass die Nichtlinearität der Differentialgleichungen zu einem interessanten zeitlichen
Verhalten führen kann, zeigt die sogenannte „Joduhr“ (Video unter http://www.chemie.unibremen.de/thiemann/ioduhr.html).
Literatur:
Walker, Jearl (1980): Oszillierende chemische Reaktionen, in: Spektrum der Wissenschaft
Mai / 1980, S. 131 - 137.
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