Frauen- und Gleichstellungspolitik Geschichte der Frauen in der IG Metall 1871 bis 2005 Versammlung eines Dienstmädchenvereins um 1848 WIR STREITEN FÜR BESSERE ZEITEN Die Geschichte der Frauen in der IG Metall 1871-2005 Titelbild: 13. IG Metall-Frauenkonferenz 1988 Vorwort „Ziel ist das Menschenrecht als Frauenrecht weltweit“ ( Clara Zetkin, 1911) „Aus der Vergangenheit lernen, die Zukunft zu gestalten“, so lautete einst das Motto einer Frauenkonferenz. Frauen können heutzutage ihr Leben erheblich eigenständiger gestalten, als dies ihre Urgroßmütter, Großmütter und Mütter konnten. Die Voraussetzungen dafür haben engagierte Frauen in den letzten zweihundert Jahren hart erkämpft. Seit den Anfängen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung im 19. Jahrhundert hat es Schwierigkeiten beim Aufbau gemeinsamer Organisationen von Männern und Frauen gegeben. Die Gründe sind vielfältig. Einen großen Einfluss hatte und hat wohl auch heute noch die herkömmliche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Männer galten als rational und waren für die materielle Versorgung der Familie verantwortlich, während Frauen vor allem die emotionale Familienarbeit zugeordnet wurde. Die Abhängigkeit der Frauen von den Männern wurde durch eine entsprechende Gesetzgebung, durch unterschiedliche Zugänge zu Ausbildung und Weiterbildung, durch geringe eigene Einkommensmöglichkeiten und vieles mehr gefestigt. Für die kapitalistische Produktionsweise war und ist diese Rollenteilung sehr profitabel. In diesem Buch haben wir versucht wichtige Stationen der Entwicklung von Frauenpositionen innerhalb und außerhalb unserer Gewerkschaften nachzuzeichnen. Arbeitsbedingungen des letzten Jahrhunderts im Metall, Textil- und Holzbereich, die ersten Streiks, Kämpfe für gerechten Lohn und bessere Lebensbedingungen, Frauenförderung und Quotierung. Wer sich für das eine oder andere Ereignis oder Thema stärker interessiert, findet in der Literaturliste weiteren Lesestoff. Wir wünschen viel Spass beim Lesen und neue Erkenntnisse für die »alte« Auseinandersetzung um die Geschlechtergerechtigkeit. Kirsten Rölke Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Inhaltsverzeichnis Impressum Herausgeber: IG Metall-Vorstand, Funktionsbereich Frauen- und Gleichstellungspolitik Redaktionsteam: Christiane Wilke, Gabriele Ulbrich, Astrid Knüttel Bildredaktion, Recherche und Gestaltung: Five-for-You-Multimedia, www.54u.de. Druck: Raiffeisen Druckei, Neuwied Vorwort ............................................................................................................................................... 5 Die Arbeiterinnen im Kaiserreich: 1871 – 1918 ................................................................................... 9 Von der Landarbeiterin oder Dienstmagd zur Hilfsarbeiterin ............................................................. 11 Die allgemeinen Merkmale der industriellen Frauenarbeit ............................................................... 17 „Uns geht es ums Ganze“ - die proletarische Frauenbewegung ........................................................ 23 Die »bürgerliche« Frauenbewegung .................................................................................................. 29 „Die Arbeiterinnen zu höheren Lebensansprüchen erziehen“ ............................................................33 Hauptsache, die Männer sind organisiert ...........................................................................................37 Der Arbeitskampf als Festakt .............................................................................................................. 41 „ … bis zur Erschöpfung in den Dienst des Vaterlandes“ .................................................................. 43 Berufsausbildung .............................................................................................................................. 46 Frauenarbeit und Gewerkschaften in der Weimarer Republik 1918 – 1933 ...................................... 49 Die Errungenschaften der Novemberrevolution 1918 ......................................................................... 50 Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung (1918 – 1923) ................................................................... 51 Die Zurückdrängung der Frauenarbeit während der wirtschaftlichen Demobilmachung (1918 – 1923) ..52 Der Umfang der industriellen Frauenarbeit ....................................................................................... 54 Die Frauenarbeit des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV).................................................... 56 Die Frauenarbeit des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes (DTAV)..................................................... 58 „Mein Arbeitstag, mein Wochenende“............................................................................................... 60 Ohne Arbeit und Unterstützung ......................................................................................................... 63 Die Frauen in der Defensive ............................................................................................................... 64 Die Frauen in den Arbeitskämpfen ..................................................................................................... 65 Die Faschistische Diktatur 1933 – 1945 ..............................................................................................67 Die Frauen und die IG Metall 1945 – 2005 ..........................................................................................73 Der Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg ......................................................................................74 Gewerkschaftliche Frauenpolitik in der DDR ......................................................................................75 Gewerkschaftliche Frauenpolitik in der Bundesrepublik ................................................................... 82 Die Neue Frauenbewegung ............................................................................................................... 109 Auch in Zukunft: starke Frauen für eine starke IG Metall .................................................................. 112 Weiterführende Literatur .................................................................................................................. 114 Bildnachweise .................................................................................................................................. 116 7 Reisigsammlerinnen bei Berlin um 1900 (Foto Heinrich Zille) DIE ARBEITERINNEN IM KAISERREICH 1871-1918 8 Von der Landarbeiterin oder Dienstmagd zur Hilfsarbeiterin Der Arbeitstag der weiblichen Landbevölkerung war lang und enorm mühsam. 18 Stunden Arbeit galten als normal. So war es auch nicht verwunderlich, dass im 19. Jahrhundert mit Beginn der Fabrikarbeit viele Bauernmädchen in die Stadt strömten und beinahe jede Erwerbstätigkeit annahmen, um der Mühsal der Landarbeit zu entgehen. Um die Jahrhundertwende galten Ehe und Familie als verbindliche Lebensformen. Allerdings waren etwa 40 Prozent der erwachsenen Frauen nicht verheiratet bzw. verwitwet oder geschieden. Ganzen Berufsgruppen wurde das Heiraten verboten oder erschwert. So mussten beispielsweise Lehrerinnen, Beamtinnen, Dienstbotinnen ihre berufliche Tätigkeit beenden, sobald sie heirateten. In der Brettschneidemühle um 1870 ( Foto Carl Friedrich August Kotzsch ) 10 11 Unterschicht wurden meist freie Liebesverhältnisse gelebt, weil der Lohn zur Gründung eines Hausstandes nicht ausreichte. Die Aufgaben zwischen Mann und Frau waren strikt getrennt. Sie war zuständig für die häuslichen Belange und die Kindererziehung, er sicherte die materielle Existenz »draußen«. In den Arbeiterfamilien reichte der Lohn des Mannes selten für die ganze Familie. Die Frauen mussten, gerade wenn sie mehrere Kinder hatten, zusätzlich Geld verdienen, entweder in Heimarbeit oder als Fabrikarbeiterin. Oft wurden in den ohnehin schon überfüllten kleinen Wohnungen noch Betten an »Schlafburschen« oder »Schlafmädchen« vermietet. Unverheiratete Frauen aus der Arbeiterschicht hatten ein Leben als Dienstmädchen oder als ungelernte Arbeiterin in der Fabrik vor sich. Frauen fanden vor allem in den Industrien Arbeit, die die Männer wegen der miserablen Arbeitsbedingungen und der geringen Einkommen verlassen hatten. Es handelte sich um Fabriken, in denen die Massenanfertigung eine starke Arbeitsteilung und damit die Zerstückelung eines Arbeitsprozesses erlaubte. Für diese Arbeit waren keine qualifizierten Ausbildungen nötig, sondern sie konnte von Un- und Angelernten verrichtet werden. So waren in der Textil- und der Bekleidungsindustrie, aber auch in der Tabakfabrikation Arbeiterinnen in der Mehrzahl. Mit der Entwicklung weiterer Technik und damit auch der Vereinfachung der Arbeitsweise, wurden auch in der Metallindustrie, vor 18 Stunden Arbeit galten auf dem Land als normal. allem in der Elektrotechnik, in der Feinmechanik und -optik, sowie in der Herstellung von Eisen-, Stahl- und Metallwaren immer mehr Frauen eingestellt. Auch in der Bleistiftbranche waren in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhunderts bereits ein Drittel aller Beschäftigten Frauen. Zum gleichen Zeitpunkt lag beispielsweise der Frauenanteil der Nürnberger und Fürther Spielwarenindustrie um 40 Prozent. Noch erheblich schlechtere Arbeitsbedingungen fanden die Frauen vor, die ihre Arbeit zu Hause, in sogenannter Heimarbeit verrichteten. Zunächst bot Nähen von Arbeiter-Hosen in Heimarbeit um 1890 (Foto Jacob A. Riis) 12 13 die Heimarbeit oder die Hausindustrie den arbeitssuchenden Frauen durchaus Vorteile. Es gab keine Schranken, wie im zünftlerischen Handwerk, in dem Frauen, wenn sie nicht gerade mit dem Meister verheiratet waren, nicht arbeiten durften. Die Arbeit kam sozusagen zu ihnen aufs Land, in ihre Stube, und sie brauchten nur einen Webstuhl oder später eine Nähmaschine. So konnten sie ihre kargen Einkünfte aus der landwirtschaftlichen Arbeit aufbessern. Doch mit zunehmender Industrialisierung gerieten bald alle Heimarbeiterinnen in Wettlauf mit der Zeit und unter Konkurrenzdruck der maschinellen Massenproduktion. Sie versuchten die Einbußen durch noch billigere Löhne, durch Mehrarbeit, endlose Arbeitstage und die Einbeziehung aller Familienmitglieder von den Kindern bis zu den Greisen auszugleichen; aber ihr Elend war dennoch nicht aufzuhalten. Bereits in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat Louise Otto auf das Los der Klöpplerinnen, Strickerinnen und Näherinnen aufmerksam gemacht und sich zur Linderung der Nöte in ihrer »Frauenzeitung« für die Assoziation der Arbeiterinnen eingesetzt. Das Elend der Arbeiterinnen in Land-, Fabrik- und Heimarbeit Frauen in der Metallindustrie 1882-2003 Anstieg der Frauenbeschäftigung Mit der Ausbreitung der Industrialisierung wurden also immer zahlreicher auch weibliche Arbeitskräfte als lohnabhängige Arbeiterinnen in die kapitalistische Produktion eingegliedert. Besondere Dynamik entfaltete dieser Prozess seit dem Ende des 19. Jahrhunderts: 1882 waren in Deutschland 5,5 Millionen Frauen erwerbstätig, 1885 schon 6,5 Millionen, 1907 sogar 9,5 Millionen. Der Erwerbstätigenanteil der Frauen in Deutschland stabilisierte sich längerfristig auf der Skala zwischen 30 und 40 Prozent, um dann in unseren Tagen kräftig über die 40 Prozent-Marge zu steigen. Der enorme Anstieg von Frauenbeschäftigung in der Metallindustrie wurde auch durch die Integration einer enorm steigenden Zahl weiblicher Angestellter erreicht. Während sich der Frauenanteil bei den Angestellten von 1,4 Prozent im Jahre 1895 über 9,8 Prozent im Jahre 1907 auf 28,5 Prozent im Jahre 1925 erhöhte, veränderte er sich bei den Arbeitern und Arbeiterinnen nur unwesentlich von 1 Prozent über 1,1 Prozent bis 4,1 Prozent. 14 Jahr Zahl der beschäftigten Frauen Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten 1882 18.430 3,3 % 1907 78.060 4,6 % 1925 291.925 11,1 % 1950 356.607 15,1 % 1960 924.356 20,5 % 1980 1 124.828 22,4 % 2003 848.577 20,9 % 15 Die allgemeinen Merkmale der industriellen Frauenarbeit Die Proletarierinnen, die von der verbreiteten Not getrieben die Lohnarbeit ergriffen, gelangten ohne Vorbildung und Schulung aus ihrem häuslichen Arbeitsbereich in die Fabriken. Die Arbeiten, die sie auszuführen hatten, waren vorwiegend ungelernteTätigkeiten. Die Zahl der ungelernten Arbeiterinnen war noch 1907 doppelt so hoch wie die ihrer männlichen Arbeitskollegen. Die Berufsausbildung der männlichen Jugendlichen war gesetzlich geregelt. Weibliche Jugendliche hatten kaum die Möglichkeit, eine qualifizierte Ausbildung zu machen. 1907 gab es unter den Arbeiterinnen Frauenarbeit bei Kraus Maffei 16 17 5,8 Prozent Gelernte. Oft bestand die »Ausbildung« aber nur in einer Anlernzeit von 6 bis 8 Monaten. An einer Qualifizierung der Frauen war niemand interessiert. Für die Industrie stand mit den un- und angelernten Frauen – mangels anderer Alternativen – ein billiges Arbeitsheer zur Verfügung. Mit ihrer unzureichenden Qualifikation konnte das niedrige Lohnniveau scheinbar schlüssig und objektiv begründet werden. Ergänzt wurde diese Begründung mit Argumenten von einer naturbedingten »Minderwertigkeit des Weibes«. „Die Schwäche und Rückständigkeit der Frau ward im Laufe der Jahrhunderte zu einem gesellschaftlichen Dogma, zu einer unumstößlichen Grundanschauung erhoben, auf der sich ein ganzes System der körperlichen, geistigen und moralischen Unterdrückung aufbaute“ bemerkte 1889 dazu Clara Zetkin. Frauen sollten sich auf die Ehegattinnen- und Mutterrolle beschränken oder zumindest konzentrieren. Diese Argumentation hatte auch den Vorteil, dass die Arbeiterinnen als flexible Manövriermasse, als »Reservearmee«, je nach Konjunkturlage und nach Belieben angeworben oder gefeuert werden konnte. Die Not trieb Frauen in die Lohnarbeit Frauen als industrielle »Reservearmee« Frauenarbeit – Männerarbeit* Unqualifizierte Arbeit für Frauen Wenn von Frauenarbeit in der Industrie gesprochen wird, sind die sogenannten un- und angelernten Arbeiterinnen gemeint. Zumindest in der Metall-, Holzund Kunststoffbranche. In der Textil- und Bekleidungsindustrie gab es zwar vermehrt Facharbeiterinnen, aber auch dort waren die meisten Arbeiterinnen eher in un- und angelernten Bereichen. Doch sowohl in der Heimarbeit als auch in der Fabrikarbeit gab es eine klare geschlechtsbezogene Zuordnung einzelner Tätigkeiten. Das Metalldrücken, Löten und die Mechanikerarbeiten galten als Männerarbeit; die Bedienung von kleineren Stanzen und Pressen, das Lackieren, das Säubern der Waren, das Galvanisieren u. ä. galt als Frauenarbeit. Kraftaufwand war ein wichtiges Merkmal, das einer Tätigkeit eine höhere Wertigkeit verlieh; Geschick- lichkeit dagegen zählte wenig. War eine Arbeit offensichtlich körperlich nicht zu schwer für Frauen, so wurden oft andere Argumente ins Feld geführt, um sie dennoch für Frauen ungeeignet erscheinen zu lassen. Das Schneiden von Schrauben rief aufgrund des „fortdauernden Stehens“, das „für den weiblichen Organismus“ nicht zuträglich sei, Kritik hervor, während andererseits Schleif- und Polierarbeit „wegen der notwendig gebückten und sitzenden Haltung und des entstehenden Staubes“ für Frauen nicht gern gesehen war. Die Einwände, die sich auf „Anforderungen bedenklicher Art für die Gesundheit“, was vor allem hieß: für die Gebärfähigkeit der Frau, bezogen, wurden ergänzt durch die Sorge der Gewerbeaufsichtsbeamten um Moral und Sittlichkeit der Arbeiterinnen. Allein die Schutzkleidung, die an bestimmten Arbeitsplätzen angezogen werden musste, führte zu einer eindeutigen Geschlechtertrennung. Als beispielsweise während des Ersten Weltkrieges aus Gründen des Unfallschutzes auch für Frauen die Hosenkleidung vorgeschrieben wurde, stieß diese Vorschrift auf eine breite öffentliche Missbilligung. So stellte beispielsweise ein Kölner Gewerberat fest, dass die Hosenkleidung, die bei den meisten Arbeiten angelegt werden müsse, oft anstößig wirke, besonders da eine Trennung der Geschlechter nicht durchführbar sei. Dieser Umstand deutet schon darauf hin, dass Arbeiten, die eine der physischen Natur der Frau nicht angemessene Bekleidung verlangen, für diese ungeeignet sind. Die Aufmerksamkeit der Gewerbeaufsichtsbeamten galt aber nicht nur dem äußeren Erscheinungsbild der weiblichen Arbeitskräfte, auch das Erscheinungsbild des herzustellenden Produkts und der dazu erforderlichen Maschinen wurde zum Kriterium für die Angemessenheit einer Tätigkeit. Für das sogenannte »schwache Geschlecht« erscheinen vor allem kleine Produkte angemessen. Zum Beispiel das Drehen kleiner Metallschrauben oder das Bohren und Nieten von Blechstückchen. Der Einsatz von Frauen bei der Herstellung von Blechdosen und Fahrradlaternen erschien einem Beamten 1901 dagegen weniger angemessen, „weil sie die Bedienung größerer, maschinell betriebener Stanzen und Pressen erfordert, die nicht nur körperliche Anstrengung, sondern auch angespannte Aufmerksamkeit zur Vermeidung ernster Unfallgefahren nötig macht“. Eine weitere Trennung von * Zitate aus: Kassel, Brigitte: Frauen in einer Männerwelt. Frauenerwerbsarbeit in der Metallindustrie und ihre Interessenvertretung durch den Deutschen Metallarbeiter-Verband (1891–1933), Köln 1997 18 19 »Frauenarbeit« und »Männerarbeit« schien sich aufgrund sog. geschlechtstypischen Fähigkeiten nahezu naturgegeben anzubieten. Arbeiterinnen hatten vorzugsweise Aufgaben zu erfüllen, bei denen ihre vorgebliche naturhaft weibliche Fähigkeit, wie die vielzitierte Fingerfertigkeit und Handgeschicklichkeit, produktiv genutzt werden konnten. Metallarbeiterinnen wurden eher in der Fabrikation von Massenware, z. B. Schrauben und Muttern, eingesetzt, als mit qualifizierter Arbeit bei der Herstellung von Unikaten beschäftigt. In der Bleistiftindustrie polierten und banden sie Bleistifte, während die Herstellung der Rohbleistifte von Männern erledigt wurde. In der Textilindustrie sah es ähnlich aus. Darüber hinaus waren die Arbeitsplätze in vertikaler Richtung geschlechtsspezifisch verteilt. Männer hatten als sogenannte Einrichter und vor allem als Meister auch in reinen Arbeiterinnenabteilungen die Aufsicht über Frauen. Im Ergebnis waren die beruflichen Tätigkeiten streng nach Geschlecht hierarchisch geteilt. Mit der Zeit verschob sich die Relation zwischen der ungelernten und der angelernten Arbeit in der weiblichen Industriearbeit etwas mehr zugunsten der angelernten Tätigkeiten. Dies galt vor allem in der Textilund der Bekleidungsproduktion. Eine ähnliche Tendenz zeigte sich bei dem hohen Fraueneinsatz im ersten Weltkrieg in der Metallindustrie und ebenfalls als Folge des Rationalisierungsdrucks im Metallbereich während der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Anteil der Facharbeiterinnen blieb aber kontinuierlich bis in den zweiten Weltkrieg hinein unter 5 Prozent. Das »schwache Geschlecht« Einkommen Einheitslohn für Frauen – auf unterstem Niveau »Frauenakkorde« deulich niedriger Das Frauenlohnniveau erreichte vor dem ersten Weltkrieg nur die Hälfte bis zwei Drittel des Lohnes männlicher Hilfsarbeiter. Außerdem bekamen die Frauen einen Einheitslohn, während die Löhne der Arbeiter nach Alter gestaffelt wurden. Mit zunehmendem Alter erhöhte sich auch das Einkommen. Metallarbeiterinnen verdienten im allgemeinen immer weniger als Metallarbeiter auf der niedrigsten Qualifikationsstufe. Im Schnitt lag der Frauenlohnanteil bei ca. 60 Prozent. Im Einzelfall oder je nach Vergleichsgröße war das Verhältnis von Frauen- zu Männerlöhnen etwas günstiger. Dies galt aber nur für die untersten Qualifikationsgruppen, z. B. Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter. In der Holzbranche war das Einkommen der meist ungelernten Frauen noch nicht einmal halb so hoch Arbeitszeit wie das der am schlechtesten bezahlten Männer. Durch die technologische Entwicklung und die damit verbundene Rationalisierung drangen Frauen gerade in der Metallindustrie zwar in Arbeitsbereiche vor, die früher den Aufgabenkreis von Facharbeitern bildeten, bekamen jedoch keineswegs den den höheren Anforderungen entsprechenden Lohn. Die Akkordarbeit war unter den Metallarbeiterinnen Ende der zwanziger Jahre stärker verbreitet als bei den Männern. Die Akkordpreise dieser »Frauenakkorde« fielen größtenteils 26 bis 40 Prozent niedriger aus als die der vergleichbaren Männerakkorde. Die leistungsfähigste Arbeiterin verdiente auch im Akkord erheblich weniger als der männliche Hilfsarbeiter. Die Minderbezahlung hatte also mit Minderleistung nichts zu tun. Immerhin verringerte sich die Lohnspanne in der Zeit der Weimarer Republik im Vergleich zum Kaiserreich auf »nur« 20 bis 40 Prozent. Die Lohndifferenz blieb auch während der Jahre der Nazidiktatur, von 1933 bis 1945, mit durchschnittlich 30 Prozent im wesentlichen konstant. Wie schon vor 1933 wurden die Arbeiterinnen ohne Rücksicht auf ihre Qualifikation entlohnt, gelernte und ungelernte Arbeiterinnen verdienten also weniger als ihre ungelernten männlichen Kollegen. 20 Um die Jahrhundertwende arbeiteten die Menschen (Frauen und Männer) in der Fabrik durchschnittlich 12 bis 14 Stunden an sechs Tagen in der Woche. Mit der Novelle der Gewerbeordnung von 1891 wurde 1892 unter anderem das Nachtarbeitsverbot für Fabrikarbeiterinnen sowie der elfstündige Maximalarbeitstag für Arbeiterinnen und 1895 die gewerbliche Sonntagsruhe eingeführt. An Vortagen von Sonn- und Feiertagen war die Arbeitszeit auf zehn Stunden beschränkt. Die Arbeitszeit musste zwischen 5:30 Uhr und 20:30 Uhr liegen; an Samstagen und Vorfeiertagen durfte sie bis 17:30 Uhr reichen. Bei großem Arbeitsanfall war mit Genehmigung der Gewerbeaufsicht eine Ausdehnung bis 22 Uhr möglich. Darüber hinaus wurde eine einstündige Pause angeordnet. 21 Eine reichsweite Erhebung der Gewerbeaufsicht über die Arbeitszeit von Fabrikarbeiterinnen im Jahre 1902, die über 800.000 Arbeiterinnen – vorrangig aus der Textilindustrie – erfasste, bestätigt, dass in etwa zwei Drittel der erfassten Betriebe insgesamt mehr als die Hälfte der Frauen bis maximal zehn Stunden täglich arbeiteten. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit lag unter elf Stunden. Mit einer weiteren Novelle der Gewerbeordnung von 1908 wird die Höchstarbeitszeit für Fabrikarbeiterinnen und Jugendliche ab 1910 auf zehn Stunden festgelegt. An den Tagen vor Sonn- und Feiertagen wird die Arbeitszeit auf 8 Stunden begrenzt. Dienstmädchen hatten dagegen nur jeden zweiten Sonntag frei, ansonsten mussten sie nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen. Ein Arbeitstag von 16 Stunden war keine Seltenheit. Insofern war die Fabrikarbeit für viele Frauen die bessere Alternative. Nachdem in der Weimarer Republik Ende 1923 der 1918 eingeführte 8-Stunden-Tag aufgehoben wurde, hatten vor allem wieder Arbeiterinnen der sogenannten Frauenindustrien täglich bis zu 10 Stunden und darüber liegende Arbeitszeiten. „Uns geht es ums Ganze“ - die proletarische Frauenbewegung Nach der Reichsgründung 1871 bekamen nur die deutschen Männer über 25 Jahre das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht zum Reichstag. Die Frauen blieben in diesem und in vielen anderen wirtschafts- und privatrechtlichen Belangen Staatsbürger zweiter Klasse. Die reaktionären Vereinsgesetze mehrerer deutscher Staaten nahmen ihnen bis 1908 die Möglichkeit einer direkten politischen Betätigung. Die meisten frühen gewerkschaftlichen Organisationen der jungen Arbeiterbewegung betrachteten die Vermehrung der Frauenarbeit in der Industrie mit Misstrauen und Konkurrenzangst, die Mitgliedschaft von Arbeiterinnen hielten sie für unerwünscht. Vor allem die Berufsverbände, die dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein des Ferdinand Lassalle nahe standen, lehnten industrielle Frauenarbeit ab. 22 23 Höhere Akzeptanz fanden Arbeiterinnen dagegen bei den Gewerksgenossenschaften der sogenannten Eisenacher Richtung, die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht maßgeblich beeinflusst wurden. Immer wieder forderte ein Teil der Arbeiter die Abschaffung der Fabrikarbeit für Frauen in der Hoffnung, durch ein geringeres Arbeitskräfteangebot die eigenen Löhne aufbessern zu können. Immerhin wurde beispielsweise auf dem »allgemeinen deutschen sozialdemokratischen Arbeiterkongreß« 1869 in Eisenach ein Antrag zur Abschaffung der Frauenarbeit abgelehnt. In der Begründung wurde argumentiert, dass dadurch die notleidenden, auf Erwerb angewiesenen Frauen nur zur Prostitution getrieben würden. Die weibliche Konkurrenz könnte nur durch die gemeinsame Organisation mit den Männern abgeschafft werden. Eine besondere Rolle spielte die im Februar 1869 in Crimmitschau gegründete »Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik und Handarbeiter«, die sich vorrangig als Textilarbeitergewerkschaft verstand und von Beginn an gleichermaßen Männer und Frauen organisierte. Bereits ein Jahr nach der Gründung hatte diese Gewerkschaft bereits weit über 6000 Mitglieder und davon waren ein Sechstel Frauen, wie Clara Zetkin in ihrer Geschichte der proletarischen Frauenbewegung schreibt (S. 130). Besonders bemerkenswert ist, dass in das Organisationskomitee, das für die Gewerksgenossenschaft ein Statut ausarbeitete, auch zwei Frauen (Wilhelmine Weber und Christiane Peuschel ) aufgenommen wurden. In diesem Statut wurde geregelt, dass Frauen nicht nur Mitglied werden konnten, sondern sogar das aktive und passive Wahlrecht Artikel 15. Die Dienstherrschaft ist insbesondere berechtigt, die Dienstboten ohne Aufkündigung sofort zu entlassen: ... 7) wenn sie länger als vierzehn Tage durch Krankheit, Freiheitsstrafe oder Abwesenheit an ihren Dienstleistungen verhindert sind; 8) wenn sie schwanger sind; (Auszug aus der Gesindeordnung vom 28 April 1877, Darmstadt) Die ersten Frauen in den Gewerkschaften zugesprochen bekamen. Für die damalige Zeit eine absolute Sensation. Konnte diese frauenpolitisch fortschrittliche Haltung bei der Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter noch mit einem besonders hohen Anteil weiblicher Arbeitskräfte begründet werden, war es jedoch überraschend, dass die Gewerksgenossenschaft der Metallarbeiter bereits wenige Monate später ähnliche Regelungen verabschiedete. Es spricht vieles dafür, dass die Kollegen sich bei der Verfassung ihrer Satzung nach den von Bebel vorgelegten »Musterstatuten für Deutsche Gewerks- genossenschaften« richteten. Arbeiterinnen waren in ihrer Branche eher selten. Sogenannte frauenpolitische Forderungen, z. B. die Einführung einer Wöchnerinnen-Unterstützung, fanden auch kaum Unterstüzung. In den 70er Jahren kämpften engagierte Frauen wie Clara Zetkin und Emma Ihrer für eine 24 Änderung im Bewusstsein der Arbeiter und ihrer Funktionäre. 1878 erschien das Buch »Die Frau und der Sozialismus« von August Bebel. Die Inhalte dieses Buches beeinflussten das Bewusstsein vieler Männer und Frauen. Zum ersten Mal forderten nun auch Arbeiterorganisationen die Durchsetzung von Rechten, die ausschließlich Frauen betrafen, z. B. die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, einem Arbeiterinnen- und Mutterschutz, einem Wahlrecht für Frauen, gleichen Bildungschancen, privatrechtlicher Gleichstellung und Beseitigung der Gesindeordnung zur Befreiung der Dienstboten. Die proletarische Frauenbewegung war fester Bestandteil der sozialistischen Arbeiterbewegung und verfolgte revolutionäre Ziele. Es ging um den Kampf gegen die Klassengesellschaft. Diesen Kampf bestritten GewerkschafterInnen und SozialistInnen gemeinsam. Gerade im Jahrzehnt des 25 »Sozialistengesetzes«, in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, als das deutsche Reich zur Vernichtung der jungen Arbeiterbewegung angesetzt hatte, entstanden überall Frauenvereine, teils als Bildungsvereine, teils mit gewerkschaftlichem Einschlag. 1883 wurde in Berlin die erste Frauengewerkschaft ins Leben gerufen, der »Verein der Mantelnäherinnen«. Obwohl diesen Frauenvereinen wegen polizeilicher Auflösung meist keine lange Lebensdauer beschieden war, bestand die proletarische Frauenbewegung mit diesen Organisationen ihre erste Feuertaufe. Seit 1890 erschien eine eigene Frauenzeitschrift, zuerst »Die Arbeiterin«, geleitet von Emma Ihrer, seit 1891 »Die Gleichheit«, herausgegeben von Clara Zetkin. Der Parteitag der SPD 1892 in Berlin griff erneut die Frage der Organisationsmöglichkeiten von Frauen und ihre Einbeziehung in die Partei auf. Das System der Vertrauensmänner wurde auf die Frauen übertragen. 1889 bekräftigte der Sozialistenkongress in Paris, der Gründungskongress der II. Internationale, das Recht der Arbeiterinnen auf gleichberechtigte Mitgliedschaft in den Arbeiterorganisationen und forderte gleiche Löhne für gleiche Arbeit für die Arbeit beider Geschlechter. Die deutschen Revolutionäre Ziele Titelblatt und Textauszüge aus dem kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels ( 1848 ). ... Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt. ... Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. ... Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. ... 26 Arbeiterinnen waren auf dem Kongress durch die Delegierten Emma Ihrer und Clara Zetkin vertreten. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes gab sich die Partei der deutschen Sozialdemokratie – inzwischen SPD genannt – 1891 in Erfurt ein neues revolutionäres Programm, in dem sie sich das erste Mal zur Befreiung und Emanzipation der Frau bekannte. Führende Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen wie Clara Zetkin, Emma Ihrer, Ottilie Bader, Luise Zietz nahmen in den 90er Jahren die politische Organisation der Frauen in die 27 Hand und Clara Zetkin erarbeitete die theoretische Position der Sozialdemokratie zur Frauenfrage, die »Frauenemanzipationstheorie«. Diese Theorie begriff die Frauenfrage als Teil der allgemeinen Arbeiterfrage, der allgemeinen sozialen Frage. Nach ihrer Theorie führt der Weg der Frau gerade durch die Einbindung in den Produktionsprozess, durch die außerhäusliche Arbeit zur Befreiung. Die formale Gleichstellung der Geschlechter bildet auf diesem Weg nur eine Etappe, das Ziel ist das Aufheben der wirtschaftlichen Ausbeutung beider Geschlechter, die gesellschaft- liche Umwälzung. Dieses Ziel kann nur durch den gemeinsamen Kampf der Arbeiter und der Arbeiterinnen, durch den proletarischen Klassenkampf ausgefochten werden. Mit der Gründung der »Gleichheit«, »Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen« im Jahre 1892 stand unter der Leitung von Clara Zetkin der proletarischen Frauenbewegung viele Jahre hindurch ein eigenes Presseorgan hilfreich zur Seite. Mit dem internationalen Frauentag, 1911 das erste Mal begangen, wurde auch ein Kampftag für die sozialistischen Frauenforderungen ins Leben gerufen. Frauenfrage und soziale Frage Erster internationaler Frauentag am 8. März 1911 Die »bürgerliche« Frauenbewegung Zugleich kämpfte die bürgerliche Frauenbewegung vor allem für die Selbständigkeit und Mündigkeit von Frauen, die sie vor allem durch ein Recht auf Bildung und ein Recht auf Arbeit erreichen wollten. So gründete beispielsweise Louise Otto-Peters bereits 1849 eine eigene politische FrauenZeitung. Die Vorreiterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung entstammten meist der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht. Für sie galt die Heirat als unhinterfragte Pflicht. Sie mussten sich zwar nicht um das tägliche Überleben sorgen, weil ihre Herkunftsfamilie oder ihr Ehemann für ihre materielle Sicherheit sorgte, aber ihre sonstigen Entwicklungsmöglichkeiten waren sehr begrenzt. Beruflich Arbeitszimmer im Atelier der Fotografin ( Foto Emilie Bieber ) 28 29 standen ihnen z. B. nur die Berufe als Gouvernante, Lehrerin oder Gesellschafterin offen. Ansonsten konnten sie nur über heimliche »standesgemäße« Näh-, Stick-, Häkel- und andere Handarbeiten eigenes Geld verdienen. So schlossen sich 1865 erstmals in der deutschen Geschichte Frauen zusammen und gründeten während ihrer Frauenkonferenz den »Allgemeinen Deutschen Frauenverein« dessen Ziel es war „die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen Hindernissen zu erkämpfen“. Es wurden Industrie- und Handelsschulen für Mädchen, Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz, Chancengleichheit im Beruf, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Gewerbefreiheit für Frauen und das Frauenwahlrecht gefordert. Doch der Kampf um Gleichberechtigung war in dieser Zeit enorm schwer, weil Frauen politisch völlig rechtlos waren. Da sie vom öffentlichen Bildungssystem ausgeschlossen waren, mussten sie notwendiges Wissen autodidaktisch erwerben. Über eventuelles Vermögen oder gar den Verdienst einer Ehefrau bestimmte nach dem damaligen deutschen Rechtssystem der Mann. Um Änderungen durchzusetzen, waren sie auf das Wohlwollen der Männer angewiesen. Erst 1872 wurden den – vorwiegend bürgerlichen – Frauen weitere Berufsmöglichkeiten eröffnet. Es gab die ersten Kindergärtnerinnenseminare und es erfolgte die Zulassung zum Bahn-, Post- und Telegraphendienst. In dieser Zeit entstanden auch private Handelslehrinstitute zur Vorbereitung auf eine gehobene kaufmännische Tätigkeit für Frauen und Gewerbe-, Telgraphen- und Sekretärinnen- sowie Koch- und Haushaltungsschulen. Insgesamt fanden in der sog. bürgerlichen Frauenbewegung unterschiedliche Strömungen ihre Heimat. Es gab Frauen, die eine Politik der Gleichheit der Menschen beiderlei Geschlechts betonten und es gab Frauen, die eher die Differenz der Geschlechter und ihre Unterschiede deutlich machen wollten. Es gab innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung sozusagen einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Samariterinnen, 1870 – 1871 ( Foto Carl Friedrich Mylius ) 30 31 Im Vergleich bleibt festzustellen, dass die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung bei ihrem Kampf von gegensätzlichen Grundauffassungen ausgingen und durchaus auch unterschiedliche Ziele verfolgten. Während es den proletarischen Frauen eher um Schutz vor zu viel Arbeit ging, ging es der bürgerlichen Frau um die »standesgemäße« Zulassung zu Berufen. Für die proletarische Frau war eine Veränderung der Produktionsverhältnisse ( Revolution ) Voraussetzung für Emanzipation, während für die bürgerliche Frau die Veränderung der Geschlechterrollen innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen im Vordergrund stand. Gemäßigte und Radikale „Die Arbeiterinnen zu höheren Lebensansprüchen erziehen“ Der steinige Weg der gewerkschaftlichen Frauenorganisation vor dem 1. Weltkrieg Das deutsche Reich stand an der Schwelle seiner Entwicklung zu einer imperialistischen Wirtschaftsmacht, als Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts die großen gewerkschaftlichen Zentralverbände entstanden, darunter 1891 der Deutsche Metallarbeiter Verband ( DMV ) und der Zentralverband deutscher Textilarbeiter ( DTAV ). 1893 wurde der Holzarbeiter-Verband gegründet. In der Wirtschaftskrise jener Jahre waren sie genötigt, ihre Mitgliederzahl zu erweitern und so öffneten sie, mehr oder weniger überzeugt, auch für Frauen ihre Tore. Den größten Zuwachs an weiblichen Mitgliedern verzeichnete der Textilarbeiterverband, schon 1912 mit einem fast 39-prozentigen Frauenanteil. Im Jahr 1913 standen 54.846 organisierte Textilarbeiterinnen 27.971 Frauen in dem Deutschen Metallarbeiter-Verband ( DMV ) gegenüber; im Verhältnis zu der Frauenmitgliedschaft der übrigen Gewerkschaftsverbände immer noch eine ansehnliche Zahl. Sie 32 33 machte jedoch nur 5 Prozent der Mitgliedschaft des auch schon in der damaligen Zeit größten Einzelverbandes aus. Der Eintritt der Frauen in Gewerkschaften war zum damaligen Zeitpunkt nur möglich, wenn letztere als politisch, d. h. parteipolitisch als »neutral« galten. Schon eine Gewerkschaftsversammlung, auf der nach Meinung des überwachenden Polizisten politische Themen erörtert wurden, konnte wegen Frauenbeteiligung aufgelöst werden. Die Gewerkschaftsverbände, um die es hier geht, standen zwar der SPD nahe, nannten sich aber, um ihre Selbstständigkeit zu demonstrieren und um sich auch gegenüber der 1899 gegründeten christlichen Gewerkschaftsbewegung abzugrenzen »frei«. Die führenden Gewerkschafterinnen wie Emma Ihrer, Paula Thiede, Wilhelmine Kähler, Ida Altmann, Martha Tietz, die offensiv die Auffassung der proletarischen Frauenemanzipation vertraten und die Solidarität der männlichen Arbeiter einforderten, mussten gegen große Widerstände ankämpfen. Verbündete hatten sie nur in wenigen Kollegen, so in der Person des Vorsitzenden des Dachverbandes der Gewerkschaften, der Generalkommission, Karl Legien. Mit seiner Unterstützung wurden 1904 eine Frauenagitationskommission und 1905 das Arbeiterinnensekretariat bei der Generalkommission gerade zur Förderung der Werbung weiblicher Mitglieder eingerichtet. Erklärungen für den immer wieder beklagten unzureichenden Agitationserfolg wurden in der weiblichen Natur gesucht. Gängig war die Ansicht, Frauen seien zu emotional, würden die gewerkschaftliche Organisation zu gefühlsmäßig betrachten, ließen sich leicht vom politischen Gegner beeinflussen. Gewerkschaftliche Frauenarbeit bedeutete damals nicht nur die Vermittlung von Organisationskenntnissen, sondern auch die Vermittlung von ökonomischen Zusammenhängen sowie Erste Organisationsformen Frauen gehen in die Offensive Demonstration zum ersten Internationalen Frauentag in Berlin 1911 „Die Arbeiterinnen zu höheren Lebensansprüchen erziehen“ das Infragestellen anerzogener Denkweisen über die Rollenverteilung der Geschlechter und die Stärkung weiblicher Selbstwertschätzung. GewerkschaftsfunktionärInnen führten den geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad bei den Arbeiterinnen u. a. auf ihre geringe Berufsidentifikation zurück. Die Arbeiten, die ihnen zugemutet wurden, waren so stumpfsinnig und belastend, dass die große Mehrheit der Arbeiterinnen einen Ausweg in der Ehe sahen. Mit der Heirat erhofften sie ihren miserablen Arbeitsbedingungen zu entfliehen. Diese Hoffnung auf eheliche Versorgung hinderte viele von ihnen daran, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Berufsidentifikation, Interessen an der Verbesserung der Arbeiterverhältnisse und Interesse an der gewerkschaftlichen Organisation sind – wie Ida Altmann und Karl Legien verschiedentlich ausführten – miteinander eng verknüpft. „Wir müssen die Organisierung der Arbeiterinnen unter dem Gesichtswinkel betrachten, dass wir verpflichtet sind, die Arbeiterinnen zu höheren Lebensansprüchen zu erziehen“ charakterisierte Martha Hoppe vom Textilarbeiterverband 1911 die Aufgabe. Die Doppelbelastung durch Lohnerwerb und Haushalt, ebenfalls ein entscheidendes Hindernis von gewerkschaftlichen Frauenaktivitäten, kam hier gar nicht zur Sprache. 1907 und 1908 wurden im Textilarbeiterverband mit Unterstützung der »Gleichheit« im ganzen Verbandsgebiet Hausagitationskampagnen durchgeführt. In dieser Gewerkschaft 34 sind vor dem 1. Weltkrieg auf der Ebene der Landesverbände auch schon Arbeiterinnenkonferenzen abgehalten worden. Mit der Erfahrung, dass die Frauenagitation besonders durch den Einsatz von Kolleginnen Erfolg verspricht, tat man sich im DMV besonders schwer. 1905 wurde ein Antrag der Verwaltungsstelle Solingen zur Ernennung von weiblichen Vertrauenspersonen als Beschwerdestellen für die Fabrikund Heimarbeiterinnen nur als Material an den Vorstand überwiesen. 1909 gab es schließlich beim DMV in der Berliner Ortsverwaltung den ersten Versuch einer institutionalisierten gewerkschaftlichen Frauenarbeit. Durch die Initiative von Berliner Vertrauensfrauen wurde mit Zustimmung der Ortsverwaltung eine Arbeiterinnenkommission gegründet, die aus drei Männern und vier Frauen bestand. Die Zahl der weiblichen Mitglieder ist von 3.564 Ende 1908 auf 4.222 Ende 1909 und sogar auf 35 8000 im Jahre 1911 gestiegen. Das war etwa ein Viertel der damals in Berlin beschäftigten Metallarbeiterinnen. Unterstützt wurde die Arbeit der Kommission von 250 weiblichen »Werkstattvertrauenspersonen«. Aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit wurde die Arbeiterinnenkommission gegen Ende des Krieges innerhalb der Verwaltungsstelle aufgewertet. Es wurde eine »Beratungsstelle für Arbeiterinnenfragen« eingerichtet und im Oktober beschloss die Arbeiterinnenkommission allgemeine Leitsätze, in denen die Tätigkeit und Aufgabenbereiche der Kommission näher beschrieben wurden. Zu den selbständig zu bearbeitenden Aufgabengebieten gehörten der Arbeiterinnenschutz, der Ausbau hygienischer Einrichtungen in den Betrieben, die mündliche und schriftliche Agitationsarbeit unter Arbeiterinnen, die Veranstaltung von Vorträgen und Informationsveranstaltungen für Arbeiterinnen. In Fragen der Lohn- und Arbeitsbedin- gungen war die Zusammenarbeit mit den Branchen- und Bezirksleitungen vorgesehen. Bei Lohnbewegungen sollte die Arbeiterinnenkommission konsultiert werden. Darüber hinaus wurde eine Wahlordnung für die Kommission beschlossen, die die jährliche Wahl der Kommissionsmitglieder durch die weiblichen Mitglieder auf Vorschlag der weiblichen Vertrauenspersonen festschrieb. Die Interessenvertretung der Arbeiterinnen wurde weiter dadurch aufgewertet, dass im Herbst 1918 erstmals die Stelle einer Gewerkschaftssekretärin für Frauenfragen in der Berliner Ortsverwaltung ausgeschrieben wurde. Damit erhielten die Arbeiterinnen endlich Sitz und Stimme in der Geschäftsführung der Ortsverwaltung. Die Stelle der Arbeiterinnensekretärin wurde allerdings erst am 15.6.1919 mit Frieda Gladosch besetzt. Erst Ende der 20er Jahr folgten andere Verwaltungsstellen dem Berliner Beispiel. Eine Beratungssstelle für Arbeiterinnenfragen Sitz und Stimme für Arbeiterinnen Hauptsache, die Männer sind organisiert wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang ein von aktiven Frauen initiierter parteiübergreifender Antrag zum Gewerkschaftstag 1921, in welchem ausdrücklich die Gründung von Frauenagitationskommissionen in Verwaltungsstellen mit Metallarbeiterinnen verlangt wurde. Die Forderungen „gleicher Lohn für gleiche Leistung“, und „gleiches Recht der Frauen auf Arbeit“ gehörten zwar prinzipiell zum Grundforderungskatalog der SPD und der freien Gewerkschaften, wurden aber in den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in der Praxis kaum thematisiert. Die gewerkschaftlichen Bemühungen um den Frauenarbeitsschutz schienen nicht nur einem wirklich notwendigem Schutz der Frauen zu dienen, sondern verfolgten u.a. wohl auch das Ziel, Frauenarbeit möglichst einzuschränken. Gewerkschaftliche Frauenarbeit wurde – nicht nur im DMV – als Randproblem angesehen. Als Delegierte an den Verbandstagen und an den zentralen Gewerkschaftskongressen waren nur wenige Frauen vertreten. In dieser Hinsicht war die Situation auch im Textilarbeiterverband nicht besser. Hier waren weibliche Delegierte an den Verbandskongressen, außer dem Gründungskongress 1891, überhaupt nicht anwesend. Nach 1899 war bis zum 1. Weltkrieg auch in der Generalkommission keine Frau mehr vertreten. Auch im Holzarbeiterverband hatten Funktionärinnen eher Seltenheitswert. Trotzdem war es bis 1913 gelungen, jede fünfte Holzarbeiterin zu organisieren, wobei es erschwerend hinzukam, dass ein Viertel von ihnen, nämlich 40.000, Heimarbeit leisteten. 36 Die Problematik der Frauenarbeit zwang die Organisationen über das berufliche Feld hinaus gesellschaftliche Zusammenhänge in Augenschein zu nehmen, und Verhaltensweisen, die genau diese Zusammenhänge verschleierten, in Frage zu stellen. Die Mehrheit der männlichen Gewerkschaftsmitglieder war allerdings – aus Überzeugung oder aus Bequemlichkeit – der Ansicht, dass »die Frau ins Haus« gehöre. Es gelang der sozialistischen Theorie der Frauenbefreiung nicht, den Arbeitern bewusst zu machen, dass sie die Geschäfte der Unternehmer besorgten, wenn sie den vom Kapitalisten ausgespielten Gegensatz von Männer- und Frauenarbeit auch in die Arbeiterbewegung hineintrugen. Bezeichnendes Licht auf das Verhalten vieler Gewerkschafter wirft eine Resolution, die zwischen 1905 und 1926 auf verschiedenen Gewerkschaftskongressen immer wieder auftauchte. Darin sollten Männer verpflichtet werden, 37 ihre erwerbstätigen Frauen und weiblichen Angehörigen gewerkschaftlich zu organisieren. Engagement und Kreativität bei der Werbung weiblicher Mitglieder setzte indes zunächst einmal voraus, dass die männliche Mehrheit die Arbeiterinnen wirklich integrieren wollte. Zweifellos wurde die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmern gestärkt, wenn möglichst viele Arbeitskräfte, also auch Arbeiterinnen organisiert waren. Die Beseitigung der von den Männern immer wieder beklagten »Schmutzkonkurrenz« der billigeren weiblichen Arbeitskräfte war einfacher, wenn die Arbeiterinnen sich aktiv für die Verbesserung ihrer Lohnbedingungen einsetzten und mit der Gewerkschaft an einem Strang zogen. Problematisch war aber, dass viele Männer nicht nur die Konkurrenz der billigeren Frauenarbeit, sondern generell die Konkurrenz weiblicher Arbeit in ihrem Erwerbssektor fürchteten, und diese daher am liebsten abgeschafft gesehen hätten. Durch die Statutenberatungen (neudeutsch: Beratung der Satzung) auf den Verbandstagen (neudeutsch: Gewerkschaftstagen) des DMV zog sich jahrelang immer wieder die gleiche Diskussion über das Pro und Contra einer Staffelung der Beiträge. Grundsätzlich wären Staffelungen nach vielen Kriterien, z. B. Verdienst, Qualifikation, Alter oder Ausbildungsstand, denkbar gewesen. Doch bei der letztlich verabschiedeten Staffelung setzte sich vor allem das Kriterium Geschlecht durch. Den Frauen waren nur bestimmte Beitragsklassen zugänglich. Die Klasse 1 blieb ihnen grundsätzlich versperrt. Die Kollegen befürchteten zu hohe Unterstützungszahlungen an Frauen. Doch die Regelung hatte nicht nur Konsequenzen im Hinblick auf die Unterstützungsleistungen, da diese an die Höhe des Beitrages gekoppelt waren, es sorgte auch eindeutig für Gewerkschaftsmitglieder erster und zweiter Klasse. Frauen als »Schmutzkonkurrenz« Im Vorfeld des Verbandstages 1907 kritisierte die Berlinerin Auguste Kadeit in einem langen Artikel in der Metallarbeiter-Zeitung die diskriminierende Beitragspraxis ihrer Organisation: „Wenn die Staffelung entlang der Geschlechterlinie auch sehr einfach und bequem ist, so ist sie keineswegs gerecht und entspricht auch nicht der Stellung, die die Frau im wirtschaftlichen Leben einnimmt. Die Annahme, daß eine Arbeiterin immer nur halb soviel gilt als ein Arbeiter, ist rein willkürlich und findet in dem heutigen kapitalistischen Beitragsregelungen in den Statuten des Deutschen Metallarbeiter Verbandes 38 39 Wirtschaftssystem keine Begründung ... Das Heer der Metallarbeiter und -arbeiterinnen besteht aus wirtschaftlich Stärkeren und Schwächeren, doch auch hier sind es keineswegs die Frauen allein, die der letzten Klasse zugeteilt werden können, im Gegenteil: In einzelnen Branchen und in verschiedenen Gegenden Deutschlands werden an Kollegen, auch an gelernte, so niedrige Löhne bezahlt, daß sie mit den ihren Berliner Kolleginnen gewährten Löhnen tauschen könnten, ohne ein schlechtes Geschäft dabei zu machen.“ ... „Der Organisation als solcher soll das Geschlecht der Mitglieder genau so gleichgültig sein, wie dem Kapitalismus das Geschlecht der Arbeitenden gleichgültig ist. Wie dieser nur mit der Billigkeit der Ware Arbeitskraft rechnet, so hat die Organisation nur mit der wirtschaftlichen Lage derer zu rechnen, die sie in ihren Bannkreis einbeziehen will. Bedingt die wirtschaftliche Lage der zu organisierenden Arbeitermasse eine Staffelung der Verbandsbeitrage und Gegenleistungen, so darf diese nicht nach dem Geschlecht vorgenommen werden.“ „Eine Arbeiterin gilt immer nur halb so viel wie ein Arbeiter“ Der Arbeitskampf als Festakt Obwohl viele Gewerkschafter in den Arbeiterinnen Streikbrecher witterten, zeigte sich, dass die weiblichen Gewerkschaftsmitglieder die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern ebenso wenig scheuten wie ihre männlichen Kollegen, und beispielsweise zwischen 1904 und 1910 an Streiks in fast gleichem Maße wie die Männer teilgenommen haben. Besonders groß war der Frauenanteil bei Arbeitseinstellungen in der Bekleidungs- und Textilbranche. 1896 in dem großen Konfektionsarbeiterstreik erkämpften Heimnäherinnen das erste Mal Lohnerhöhung und gewisse Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Manche Streiks führten die Arbeiterinnen mit Erfolg alleine, wie die Isenburger Wäscherinnen 1897, die nach 7 Wochen Ausstand eine Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung erreichten und Streik für den 10-Stundentag in Crimmitschau 1903 – 1904 40 41 mit ihrem Beispiel sogar viele Frauen zum Organisationseintritt bewegten. Im Nürnberger Feingoldschlägergewerbe führte 1899 ein 13 Wochen dauernder Streik ebenfalls dazu, dass ca. 400 Arbeiterinnen Mitglied wurden. 1903 im großen Streik der Crimmitschauer Textilarbeiter für den 10-Stunden-Tag, in dem die Streikenden trotz Aussperrung, Polizeischikanen, Belagerungszustand 23 Wochen lang durchgehalten haben, waren mehr als die Hälfte der Beteiligten Frauen. Am 17. Januar 1904 wurde der Arbeitskampf wegen fehlender Mittel der Verbandsführung ohne Erfolg abgebrochen. Am folgenden Tag ließ eine Gruppe der Streikteilnehmerinnen als feierliche Bekräftigung ihres solidarischen Zusammenhalts in vollem Sonntagsstaat ein Erinnerungsfoto anfertigen. Im Mai 1907 wurden 60 Prozent der Metallarbeiter im Rhein-Main-Gebiet ausgesperrt. Die nicht Ausgesperrten erklärten sich massenhaft solidarisch. In den Frankfurter LahmeyerWerken verlangte die Direktion, zwecks Einschüchterung, von den Beschäftigten die persönliche Kündigung, die sie mit Einmütigkeit auch vollzogen haben. Am 29. Mai um 16 Uhr begann der Ausmarsch der Arbeiter durch das Fabriktor. „Den schönsten Eindruck machten“ – nach einem Bericht der »Volksstimme« – „die etwa 80 Arbeiterinnen, die sich ebenfalls mit ihren Kollegen solidarisch erklärten. Sie hatten sich, wie es schien, zu Ehren des Tages besonders geputzt. Die meisten trugen weiße Blusen und rote Krawatten. Um 6 Uhr hatten die etwa 2.400 Arbeiter und Arbeiterinnen die gewaltigen Fabrikräume vollständig geräumt.“ „ … bis zur Erschöpfung in den Dienst des Vaterlandes“ – Frauenarbeit im Ersten Weltkrieg Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 2. August 1914 brachen die Führer der deutschen Arbeiterbewegung mit der internationalistischen Tradition des Antimilitarismus. Die reformistischen, den kapitalistischen Staat bejahenden Kräfte gewannen Oberhand. Die Gewerkschaftsführung hatte alle Streiks abgesagt, die SPD-Fraktion des Reichstages stimmte den Kriegskrediten für das Deutschland des Kaiser Wilhelms zu. Der »Burgfrieden« war an die Stelle des Klassenkampfes getreten. Zur gleichen Zeit, am 4. August 1914, wurde durch das »Notgesetz« der bis dahin geltende Arbeiterinnenschutz praktisch aufgehoben. Nachtarbeit und Sonntagsarbeit wurden wieder möglich. Mit der Einberufung Hunderttausenden von Männern an die Front wurde die Berufsarbeit der Frauen plötzlich zu einer »segensreichen« Tätigkeit. Die Frauen wurden mit indirekten Zwangsmitteln in die Kriegsproduktion verpflichtet; unter ihnen viele wegen des Frauenarbeit im I. Weltkrieg: Herstellung von Granaten 42 43 Krieges arbeitslos gewordene Arbeiterinnen der Textil- und Bekleidungsindustrie. Während der Kriegsjahre erreichte der Beschäftigungsanteil der Frauen in der Industrie fast 50 Prozent. In besonders hohem Maße stieg der weibliche Arbeitseinsatz in der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie. Es gab kaum noch Berufe, in denen Frauen, durch verschiedene Anlernprogramme befähigt, nicht an die Stelle der Männer getreten wären. Im Januar 1918 arbeiteten über 4 Millionen Frauen in der Kriegswirtschaft. Die lange Arbeitszeit ( 11 bis 12 Stunden ), der fehlende Arbeitsschutz und die mangelhafte Ernährung bewirkten am physischen und psychischen Zustand der Arbeiterinnen einen beispiellosen Raubbau. Schwere und schwerste Betriebsunfälle waren an der Tagesordnung. Die Gewerkschaften, darunter der DMV, haben zwar zahlreiche Petitionen und Eingaben, die Arbeitsbedienungen der Frauenarbeit betreffend, verfasst, insgesamt behandelten sie diese Probleme aber defensiv. Eine 1917 vom DMV über die Frauenarbeit in der Metallindustrie veröffentlichte Erhebung beschuldigte hauptsächlich gerade die Metallarbeiterinnen, dass sie infolge ihrer Organisationsferne die katastrophalen Zustände selbst heraufbeschworen. In der Wirklichkeit war die Zahl der dem DMV angeschlossenen Arbeiterinnen seit 1916 im Wachsen begriffen, während die Zahl der organisierten Metallarbeiter infolge des Kriegsdienstes in den Kriegsjahren auf den Stand von Anfang des Jahrhunderts gesunken war. Besondere Fürsorge wandte der DMV-Verbandstag 1915 auf die Schaffung einer gewerkschaftlichen Frauenzeitung, die das erste Mal am 1. Januar 1916 erschienen ist. Die Spitze dieses Manövers richtete sich jedoch gegen die von Klara Zetkin redigierte „Gleichheit“, welche die kriegsstützenden Maßnahmen der SPD und der Gewerkschaftsvorstände unablässig kritisierte. Die wachsende Antikriegsbewegung hat auch die Gewerkschaften nicht ausgespart. Neben dem Schuh- und dem Textilarbeiterverband regte sich gerade im DMV eine starke Opposition. Auf dem politischen Gebiet wurde die 1917 aus der SPD ausgeschiedene linke sozialistische Partei, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands ( USPD ) I. Weltkrieg: Frauen in Arbeitskleidung in einer Kokerei in Essen 44 45 Träger der Protestbewegung. Die Unzufriedenheit der ausgepressten Arbeiterschaft entlud sich im April 1917 und im Januar 1918 schließlich in den viele Hunderttausende umfassenden politischen Massenstreiks der Rüstungsarbeiter für Brot und Frieden. Ein großer Teil der Streikenden rekrutierte sich aus Frauen, die durch die kriegsbedingte Berufser- fahrung selbstbewusster und politischer geworden sind. Ein ausgesprochener »Frauenstreik« war die Erhebung von rund 1700 Arbeiterinnen der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik in Berlin-Wittenau, die vom 17. bis zum 22. August 1918 dauerte. Vom DMV wurden diese Streiks als politische Ausstände weder anerkannt noch unterstützt. Frauen gegen den Krieg Berufsausbildung Keine Lehre für junge Frauen Bis um die Jahrhundertwende bezogen die wachsenden industriellen Großbetriebe zu einem großen Teil ihre qualifizierten Arbeitskräfte aus dem Handwerk. Facharbeiter war derjenige, der in einem kleingewerblichen Handwerksbetrieb in einer mehrjährigen Lehrzeit zum Gesellen ausgebildet worden war. Hierzu gehörten beispielsweise Schlosser, Schmiede, Former, Dreher oder Mechaniker. Die Lehre folgte keinem systematischen Plan, sondern war eher gleichzusetzen mit einem allmählichen Hineinwachsen in den Beruf durch die praktische Tätigkeit unter Anleitung des Meisters. Bis in das 20. Jahrhundert hinein war eine fest strukturierte Lehrlingsausbildung nur in relativ wenigen Betrieben entwickelt. Dort, wo sich In- dustriebetriebe selbst um die Ausbildung eigener Lehrlinge kümmerten, folgte diese Ausbildung dem bekanntem handwerklichen Muster. Da diese handwerkliche Ausbildung der industriellen Fertigung nicht gerecht wurde, mussten die so ausgebildeten Facharbeiter im Betrieb zunächst einmal erneut »angelernt« werden. Diese Art der Ausbildung war für die Betriebe nicht wirklich rentabel, so dass bereits 1892 die ersten industriellen Lehrwerkstätten gegründet wurden. 1926 gab es bereits 67 industrielle Lehrwerkstätten, davon gehörten 60 zur Metallindustrie. Frauen wurde im allgemeinen der Zugang zu einer Lehre im Metallsektor – sei es im Handwerk oder in der Industrie – verwehrt. Ihre Qualifikationsmöglichkeiten lagen vor allem im Bereich der sogenannten angelernten Arbeit in der Industrie. Erst der erste Weltkrieg und der damit verbundene Facharbeitermangel zwang die Unternehmen, stärker auch auf Frauen zurückzugreifen. Die Ausbildung weiblicher Arbeitskräfte in der Metallindustrie nahm höchst unterschiedliche Formen an. Auf jeden Fall war sie, wenn die Ausbildungsdauer zum Maßstab gemacht wird, nicht mit einer regelrechten Lehrlingsausbildung gleichzusetzen. Schon eine zweijährige Lehrzeit, wie sie in der Maschinenfabrik AugsburgNürnberg im Sommer 1917 für Werkzeugschlosserinnen eingeführt wurde, war eher selten. Häufig umfassten die Ausbildungszeiten nur einige Wochen bis Monate. Die Arbeiterinnen sollten möglichst schnell produktiv arbeiten können. Das 46 bedeutete, dass sie nicht für ein vollständiges Berufsgebiet ausgebildet wurden, sondern nur für ein Teilgebiet. Zum Beispiel erlernten die Frauen bei MAN lediglich die „Herstellung feinerer Werkzeuge“ als Teilgebiet des Werkzeugbaus, während die männlichen Lehrlinge in vierjähriger Lehrzeit für den gesamten Werkzeugbau ausgebildet wurden. Die Erfahrungsberichte mit den ausgebildeten Frauen waren durchweg positiv. So stellte beispielsweise die Firma Bosch 1917 fest: „ Ist ... die gelernte Arbeiterin einmal angeleitet, so arbeitet sie sehr zufriedenstellend, und der Ausschuss ist nicht größer als früher.“ (VDIZeitschrift 1917 ) Mit der massenhaften Entlassung von Metallarbeiterinnen nach dem ersten Weltkrieg wurde auch die Aus- und Weiterbil- 47 dung von Frauen im Metallsektor eingestellt. Die personelle Demobilmachung führte so schließlich zu einer Verdrängung der Arbeiterinnen und zu einer weitgehenden Wiederherstellung der Vorkriegsarbeitsmarktverhältnisse im Metallsektor. Mitgliederentwicklung und Frauenanteil in den Jahren 1891 bis 1929 „... der Ausschuss ist nicht größer als früher“ Originalbildunterschrift: „Viele der Frauen, die in den Werken ihren Unterhalt finden, sind Mütter und Ernährer zugleich.“ FRAUENARBEIT UND GEWERKSCHAFTEN IN DER WEIMARER REPUBLIK 1918-1933 48 49 Die Errungenschaften der Novemberrevolution 1918 Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung ( 1918 – 1923 ) Die Novemberrevolution 1918 bewirkte den Sturz der kaiserlichen Monarchie und erfüllte einige grundlegende Forderungen der Arbeiterbewegung: der 8-Stunden-Tag wurde eingeführt, das allgemeine, direkte, gleiche, geheime Wahlrecht auch auf die Frauen ausgedehnt und für alle Parlamente geltend gemacht. Das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen ( ZAG ) Nach der Novemberrevolution ist die Mitgliedschaft der Gewerkschaften sprunghaft angestiegen. Die arbeitenden Menschen setzten in ihre Organisationen große Hoffnungen. Die Steigerungsrate der weiblichen Gewerkschaftsmitglieder betrug zwischen 1918 und 1919 182 Prozent. Im DMV erreichte 1919 mit 222.309 Mitgliedern die Zahl der organisierten Ar- zwischen Gewerkschaften und Unternehmern garantierte die Einführung von paritätischen Arbeitsnachweisen, kollektiven Arbeitsverträgen und paritätischen Schlichtungsausschüssen. Der DMV schloss sich der Arbeitsgemeinschaft allerdings nicht an, vielmehr kritisierte er das Abkommen als eine grundsätzliche Anerkennung der bestehenden Machtverhält- nisse. Das 1920 verabschiedete Betriebsrätegesetz sicherte den Arbeitnehmern ein, wenn auch begrenztes, Mitspracherecht. Die Verfassung der Weimarer Republik verkündete für Männer und Frauen grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, im bürgerlichrechtlichen Bereich blieb jedoch die Vormachtstellung des Mannes fest verankert. 50 51 beiterinnen die Spitze, was aber anteil aus, sie sind im wesentlianteilsmäßig über 13,8 Prozent chen zu Frauengewerkschaften immer noch nicht hinaus ging. geworden. Im deutschen Bekleidungsarbeiterverband bedeutete der Höhepunkt 1922 106.000 organisierte Arbeiterinnen, im Textilarbeiterverband in eben diesem Jahr rund 738.000 Frauen. In diesen zwei Verbänden drückten diese Zahlen einen 66- bzw. 67-prozentigen weiblichen Mitglieder- Die Zurückdrängung der Frauenarbeit während der wirtschaftlichen Demobilmachung ( 1918-1923 ) Der hohen Frauenbeschäftigung im Ersten Weltkrieg setzte die schon im Herbst 1918 einsetzende wirtschaftliche Demobilmachung ein rasches Ende. Das Ziel war die Wiedereinsetzung der zurückkehrenden männlichen Kriegsteilnehmer in ihre alten Arbeitsplätze, politisch gesehen die Verhinderung männlicher Arbeitslosigkeit und daraus resultierender Arbeiterunruhen. Die Frau gehörte nun wieder »ins Haus«. Der DMV, wie auch andere Gewerkschaften, unterstützten dieses Vorgehen, das bald eine Eigendynamik entwickelte. Das führte zur Entlassung zahlloser, bereits vor Kriegsausbruch erwerbstätig gewesener Frauen, meist ohne Berücksichtigung der sozialen und familiären Situation. Auf der Stuttgarter Generalversammlung des DMV im Oktober 1919, wo die Opposition die große Abrechnung mit der Kriegspolitik der Verbandsleitung führte, wurden mehrere Anträge zu mehr oder weniger durchgreifender Beseitigung der industriellen Frauenarbeit gestellt. Da der Vorstand befürchtete, dass deren Annahme den Eindruck erwecken könnte, der Verband erkenne das Recht der Frauen auf Arbeit nicht an, wurden sie an den Vorstand als Material überwiesen. Die gewerkschaftlich organisierten Betriebsratsmitglieder gehörten zu den eifrigsten Verfechtern des Ab- baus der Frauenerwerbsarbeit. Noch 1923, dem letzten Jahr der Geltung der Demobilmachungsverordnungen, setzten sie die Ausschaltung weiblicher Kolleginnen durch. In einem Textilbetrieb in Oberschlesien, in dem 14.000 Arbeiterinnen beschäftigt waren, forderte der Betriebsrat die Entlassung sämtlicher verheirateter Frauen, deren Männer nicht arbeitslos waren. Die Folge davon war, dass dieser Betrieb überhaupt keine verheirateten Frauen mehr einstellte. Eine Ende 1918 getroffene Vereinbarung zwischen dem Bund der Metall-Arbeitgeber in Lübeck und der DMV Verwaltungsstelle Lübeck bestimmte 52 beispielsweise: „Arbeiten, die vor dem Kriege in einem Betrieb von Männern ausgeführt worden sind und in der Zwischenzeit von Frauen geleistet wurden, sollen in Zukunft in der Regel wieder von Männern ausgeführt werden.“ Eine Konferenz der Betriebsräte der Werften im 6. DMV-Bezirk ( Hamburg ) forderte im April 1919: „Frauen dürfen auf den Werften nicht beschäftigt werden. Ausgenommen sind hiervon Reinmachund Scheuerfrauen sowie Speisehallenpersonal, jedoch dürften hier nur Witwen und ledige Frauen beschäftigt werden.“ Die breite gewerkschaftliche Ablehnung der Frauenerwerbsarbeit beschränkte sich nicht 53 auf die Phase der Demobilmachung. So sagte beispielsweise Vorstandsmitglied Heinrich Schliestedt während einer Sitzung des Reichbeirats der Betriebsräte und Konzernvertreter aus der Metallindustrie 1931: „Solange die Frau auch dem Haushalt vorsteht, also doppelt belastet ist, halte ich uns nicht für verpflichtet, diesen Frauen den Weg in die Industrie noch besonders zu ebnen. Die Frage der Doppelerwerbstätigkeit wird von uns gleichfalls von diesem Standpunkt aus betrachtet. Niemand von uns will die Frau verdrängen, aber für die Erwerbsarbeit der verheirateten Frau können wir uns nicht begeistert einsetzen. Wenn der Frau auch noch die Hausarbeit als Frau und Mutter zugemutet wird, so ist es eine Übersteigerung ihrer Arbeitslast; vielmehr sind die Arbeitslöhne der Männer so zu steigern, dass die Erwerbsarbeit der verheirateten Frau nicht nötig ist.“ Die Ablehnung der Erwerbsarbeit besonders bei verheirateten Frauen trat unter einem fürsorgerischen Deckmantel auf. Die Mehrfachbelastung durch Erwerbsarbeit und Familienarbeit überfordere die Frauen. Eine Erhöhung der Männerlöhne schien der einzig denkbare Weg, diesem Problem zu begegnen. Eine veränderte Arbeitsteilung innerhalb der Familie lag außerhalb der Vorstellungswelt. „... für die Erwerbsarbeit der verheirateten Frau können wir uns nicht begeistert einsetzen.“ Der Umfang der industriellen Frauenarbeit Nach der Betriebszählung von 1925 ging der Frauenanteil an der Industriearbeiterschaft von fast 50 Prozent während des Krieges auf 21 Prozent zurück, aber im Vergleich zur Vorkriegszeit war insgesamt eine Zunahme der Frauenarbeit zu verzeichnen. Vor allem hatte sich der Anteil der Frauen an der Angestelltenschaft merklich erhöht. In der Metallindustrie erreichte 1925 der Frauenanteil mit rund 292.000 Beschäftigten 11 Prozent. In der Textilindustrie waren im gleichen Jahr rund 576.000 Arbeiterinnen und rund 21.000 Angestellte beschäftigt; der Frauenanteil an der Textilarbeiterschaft betrug 59 Prozent. Damit nahm die Textilindustrie hinsichtlich der Arbeiterinnenbeschäftigung den ersten Rang unter den Industriezweigen ein. Grundsätzlich gab es aber auch in anderen Branchen besondere 54 Bereiche, in denen vorrangig Frauen arbeiteten. So waren beispielsweise 1928 in den Polier- und Beizabteilungen der Bleistiftfabriken – sie wurden als besonders gesundheitsgefährdend eingestuft – 83,9 Prozent Frauen beschäftigt. Metallindustrie« fest: „Somit waren wir keinen Schritt weiter in der Regelung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit für Arbeiterinnen als vor dem Kriege, wo bereits die 58-stündige Woche als Höchstarbeitszeit in Deutschland… gesetzlich festgesetzt war.“ Frauenfabrikarbeitszeit In den ersten Jahren der Weimarer Republik galt in der Textilindustrie ebenso wie in der süddeutschen Metallindustrie die 46-Stunden-Woche. Nach 1923, nach der Aufhebung der 8-Stundentag-Regelung arbeitete die Mehrheit der Beschäftigten in den sogenannten »Frauenindustrien« bald länger als 8 Stunden täglich: es war sogar möglich, die Arbeitszeit bis zu 10 Stunden täglich auszudehnen. Im Jahre 1930 stellte der DMV in einer Broschüre »Frauenarbeit in der 55 Auszug aus den Gewerkschaften ( 1924 – 1932 ) Nach 1923, am Ende der Hyperinflation, die zu einem finanziellen Zusammenbruch der Gewerkschaften geführt hatte, liefen den Verbänden die Mitglieder davon, die Frauen in größerem Maße noch als die Männer. 1928 stellten die Frauen in den freien Gewerkschaften anteilsmäßig 15 Prozent der Mitglieder, gerade so viel wie 1915. In der Weltwirtschaftskrise verstärkte sich der Trend noch nach unten, sowohl in der Zahl der weiblichen Organisierten wie auch bezogen auf den Organisationsgrad. Besonders stark manifestierte sich diese Entwicklung im DMV, wo 1924 nur noch knapp 60.000 Frauen eingeschrieben waren, etwa 50 Prozent weniger als 1923. Der Frauenanteil in der Mitgliedschaft pendelte sich wieder, wie noch vor dem Krieg, zwischen 7 und 8,4 Prozent ein. Der Organisationsgrad der Metallarbeiterinnen lag also wie schon immer seit Bestehen des DMV unter dem Anteil der Frauenbeschäftigung in der Metallindustrie. Die Frauenarbeit des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) Diese Tatsachen haben sich auf die Frauenarbeit innerhalb des DMV ausgewirkt. Im Herbst 1926 wurde zwar eine Werbeaktion unter den Metallarbeiterinnen durchgeführt mit dem Motto »gleicher Lohn für gleiche Leistung« und am 17. Verbandstag sogar ein diesbezüglicher Antrag angenommen. Praktisch geschah auf dem Gebiet wenig, da kaum wirkungsvolle Maßnahmen eingeleitet wurden. Anträge von Kolleginnen, so 1921 der Antrag der weiblichen Delegierten des Jenaer Verbandstages zur Bildung von Frauenagitationskommissionen und zur Einrichtung einer zentralen Frauenabteilung, wurden als Material an den Vorstand verwiesen. Eine Diskussion konkret, die Rationalisierung der Frauenarbeit betreffend, kam nur schwer in Gang, ein Antrag der Frauengruppe der Verwal- tungsstelle Stuttgart mit der Forderung von Arbeitsschutzmaßnahmen bei Rationalisierung auf dem 19. Verbandstag 1930 landete als Material beim Vorstand. Über Rationalisierung wurde ernsthaft nur dann diskutiert, wenn Männerarbeitsplätze in Gefahr gerieten. Es fehlte auch an einer systematischen Funktionärinnenausbildung. Kurse für Frauen in der DMV-Schule in Bad Dürrenberg wurden nur gelegentlich angeboten. Unter den Angestellten des DMV arbeiteten nur wenige Frauen als »politische Sekretärinnen«, unter den Vorstandsmitgliedern befand sich nie eine Frau. An den 7 Generalversammlungen während der Zeit der Weimarer Republik waren unter den 2.559 Delegierten nur 32, also 1,25 Prozent Frauen. Der Anteil der weiblichen Betriebsräte betrug 1930 nur knapp 8 Prozent; und Frauen waren erst in 33,7 Prozent der Betriebe, in denen überhaupt Betriebsvertretungen der Arbeiterschaft bestanden, im Betriebsrat vertreten. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit wurde in die Tarifverträge des DMV in den 20er Jahren schon der größere Teil der Metallarbeiterinnen einbezogen, 1925 immerhin 70 Prozent. Generell war es für Frauen sehr viel schwieriger als für Männer, einen mehrwöchigen Kurs zu besuchen, da diese nicht nur von der Arbeit freigestellt werden mussten, sondern auch ihre Familie und damit ihre häuslichen Pflichten vernachlässigen mussten. Eine Beschwerde an den ständigen Ausschuss des DMV zeigt, dass für Frauen der Lohnausfall bzw. die unzureichende Ersatzleistung ein weiteres gra- 56 vierendes Hemmnis darstellte. Zwei weibliche Mitglieder aus Aachen hatten an einem Kurs für Funktionärinnen an der Wirtschaftsschule Dürrenberg teilgenommen. Dabei waren sie in dem Glauben gewesen, der Vorstand werde ihnen gemäß einem Rundschreiben den entgangenen Verdienst zu 85 Prozent ersetzen. Sie erhielten folgendes Anschreiben: „Wenn auch in der erwähnten gedruckten Mitteilung von uns für verheiratete Kursteilnehmer eine Entschädigung von 85 vH vorgesehen ist, so muß dabei berücksichtigt werden, daß solche Mitglieder des Verbandes gemeint sind, die als Hausvorstand in Betracht kommen, also für die Ernährung ihrer Familie allein zu sorgen haben. Da Sie jedoch verheiratet sind, so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß auch Ihr Mann zu den 57 Haushaltungskosten beiträgt und Sie demnach nicht allein für den Familienunterhalt zu sorgen haben.“ Der Vorstand war lediglich zu einer Zahlung von 40 Prozent des entgangenen Lohnes bereit. Allein die Tatsache, dass die Frauen verheiratet waren, reichte aus, um sie als teilversorgt anzusehen und die Lohnersatzleistung entsprechend zu kürzen. Widerstände gegen Frauenarbeit im DMV Die Frauenarbeit des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes (DTAV) Der Textilarbeiterverband verlor im Vergleich zu 1922 Mitte der 20er Jahre ebenfalls etwa die Hälfte seiner Mitglieder. Sehr hoch blieb jedoch, mit einigen Schwankungen nahe unter der 60 Prozent-Grenze, der Anteil der weiblichen Gewerkschaftsmitglieder. Der entsprach wiederum etwa dem weiblichen Anteil in der Textilarbeiterschaft. Im Vergleich zum DMV gab es hier bessere Voraussetzungen für eine intensive Frauenarbeit. Auch im Textilarbeiterverband gab es jedoch nur wenige Frauen in gewerkschaftlichen Wahlfunktionen und nur einer einzigen Frau, nämlich Elsa Niviera, gelang es Ende der 20er Jahre, in den Hauptvorstand zu kommen. Unter der Leitung von Martha Hoppe, die an der Spitze des 1921 beim Vorstand eingerichteten Arbeiterinnensekretariats stand, wurde in den Filialen ein Netz von Arbeiterinnenkom- 58 missionen ausgebaut. Ende 1924 existierten bereits 143 Arbeiterinnenkommissionen. 1922 startete der Verband eine Kampagne zur Untersuchung der sozialen Lage der in der Textilindustrie beschäftigten verheirateten Frauen. Dabei wurde nicht nur die Zeitbelastung der Frauen untersucht, sondern auch die Probleme und Gefahren, denen die schwangeren Frauen ausgesetzt waren. Die Untersuchung erbrachte, dass bei 1537 Arbeiterinnen nur 321 Geburten normal verliefen. Die Ergebnisse wurden 1925 in der Broschüre »Erwerbsarbeit, Schwangerschaft, Frauenleid« veröffentlicht. Im Oktober 1926 veranstaltete der Verband in Gera den ersten Textilarbeiterinnenkongress. 280 Delegierte waren zur Beratung über den Arbeits- und Mutterschutz angereist. Der Kongress wurde am 11. Oktober 1926 mit der Kundgebung von 59 10.000 Textilarbeiterinnen eröffnet. Sie forderten einen besseren Arbeits- und Mutterschutz, gleichen Lohn bei gleicher Arbeit und die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218. Die Aktivitäten des Textilarbeiterverbandes fanden in der Öffentlichkeit große Resonanz und gaben den Anstoß zum 1927 verabschiedeten Mutterschutzgesetz. 1928 rief das Arbeiterinnensekretariat die Textilarbeiterinnen im Rahmen eines Preisausschreibens zur Schilderung ihres Arbeitstages und eines Wochenendes aus ihrem Leben auf. 150 eingesendete Berichte wurden 1930 unter dem Titel »Mein Arbeitstag, mein Wochenende« in einer Broschüre veröffentlicht ( Ein Beispiel auf der nächsten Doppelseite ). Der Hauptvorstand errechnete, dass nach den Angaben der Frauen eine Arbeiterin durchschnittlich in der Woche im Betrieb und Haushalt ungefähr 90 Stunden zu arbeiten hatte. Aufgrund der Berichte wurde ein Forderungskatalog aufgestellt, der sich nicht nur gegen die Minderbezahlung der Frauenarbeit richtete, sondern von der staatlichen Sozialpolitik die Verbesserung der Lebensbedingungen der erwerbstätigen Frauen einforderte. 1932 bescheinigte die »Gewerkschaftliche Frauenzeitung« dem Textilarbeiterverband unter den Verbänden die intensivste „Werbungs- und Schulungsarbeit von weiblichen Mitgliedern für die weibliche Kollegenschaft“. »Erwerbsarbeit, Schwangerschaft, Frauenleid« Wer tauscht mit mir? sind sie schlaftrunken. Erst wenn alle ihre Suppe löffeln, wirds Es ist 1⁄25 Uhr. Müde und noch wieder still. Ich muß die Betten garnicht ausgeruht, erhebe ich machen, die Stube aufräumen, mich von meinem Bett, welches die Kinder fertig anziehen, das ich mit den beiden Kindern teiEssen einpacken und endlich le. Die Familie besteht aus vier kann ich auch einen Schluck Kindern und zwei Erwachsenen. Suppe essen. Um 1⁄27 Uhr muß Still, damit ich die Kinder nicht ich fortgehen, die Kinder müssen störe, kleide ich mich an und zum Hort gebracht werden und mache Feuer, stelle die Suppe so schnell können sie nicht lauauf und wecke meinen Mann. Es fen. Fünf Minuten vor 7 Uhr bin ist 5 Uhr geworden. Mein Mann ich dann in der Fabrik, müde, als macht das Brot zurecht zum Mit- ob ich schon acht Arbeitsstunden nehmen. Wenn ich jene Arbeit hinter mir hätte. Mittags setze ich auch noch besorgen müßte, wäre mich hin esse schnell und mache um 4 Uhr die Nacht für mich fünf Minuten die Augen zu. Was vorbei. Ich koche nun die Suppe, koche ich morgen und wie komstelle die Teller hin und lege den me ich am billigsten dazu, läßt Kindern die Sachen zurecht. We- mich nicht ruhen und schnell ist cke die Aelteste, was nicht immer die Pause um. Abends hole ich leicht ist, denn mit 11 Jahren ist die Kinder; freudig begrüßen sie ein Kind um 6 Uhr noch müde, mich und freuen sich, daß Mutter ziehe sie an und raus müssen die wieder da ist. Auf dem Nachhauanderen nun der Reihe nach. Das seweg kaufe ich, was ich brauche ist nun ein Geweine, denn alle und trotzdem es so wenig wie 60 möglich ist, ist mein Geld bald alle. Zu Hause hat mein Mann Feuer angemacht und nun werden die Kinder gesättigt. es wird gekocht, abgewaschen, die Kinder ins Bett gebracht, damit ich in Ruhe meine Arbeit machen kann. Else hat ein Loch im Aermel, Fritz hat eins in der Hose, Frieda keine saubere Schürze und die Strümpfe sind auch zerrissen. Was nun zuerst anfangen ? Wenn ich nun mit allem fertig bin, ist es 9 Uhr. Die Strümpfe muß ich aber noch stopfen. Ich setzte mich also hin; ein Paar ist noch nicht fertig und ich bin so müde. Na, denke ich, du wirst schnell ein Weilchen nicken. Erschreckt springe ich auf, aus dem Weilchen sind 30 Minuten geworden und unnötig habe ich Licht verbrannt. Morgen früh mußt du eine halbe Stunde früher aufstehen, so sage ich mir, und gehe schlafen, froh, daß ein Arbeitstag beendet ist. 61 Wochenende. Sonnabend um 4 Uhr aufstehen und das Geschrei der Kinder ist noch schlimmer, denn sie müssen noch eher raus. Wieder die Hetzjagd, aber heut habe ich doch den Nachmittag frei. Wenn die Arbeit beendet ist, schnell die Kinder holen. Mittags gibt es Kartoffelsuppe, das dauert nicht so lange. Immer muß ich schnell laufen, damit ich beizeiten fertig werde. Dann ist es 6 Uhr geworden. die Kinder bekommen zu Essen. Ich weiche Wäsche ein, denn Sonntag muß ich waschen. Dann lege ich die Kinder schlafen, räume noch auf und flicke bis um 9 Uhr. Dann gehe ich schlafen. Sonntag um 5 Uhr stehe ich auf und wasche. Die Kinder können heute ausschlafen. Dann trinken wir alle zusammen Kaffee und mein Mann muß die Kinder besorgen, das Zimmer aufräumen und nach dem Essen sehen. Nachmittags geht mein Mann aufs Dorf Musik machen, inzwischen muß ich mit der Wäsche fertig sein. Nun ist es 1 Uhr, da wird gegessen, den Abwasch lasse ich stehen bis ich in der Waschküche fertig bin, was um 3 Uhr ist. Dann setze ich mich aber erst eine Weile hin. Die Unordnung aber, die jetzt in der Stube herrscht, läßt mich nicht sitzen. Weiter also, wozu braucht eine Arbeiterfrau zu sitzen ? Arbeite weiter, stopfe Strümpfe, mache das Essen für Montag zurecht, lege die Kinder schlafen und beim Versuch, die Zeitung zu lesen, schlafe ich auch ein. Das ist halt so, solange ich beim Herumlaufen bin, merke ich nicht, wie müde ich bin, aber beim Sitzen schlafe ich sofort ein und so endet dann mein Arbeitsund Wochenende. Wer tauscht mit mir ? H. B., S. 37 Jahre. Ohne Arbeit und Unterstützung – Die Weltwirtschaftskrise ( 1929 – 1933 ) Eine fast ständige und immer belastendere Sorge für die Arbeitnehmer in der Weimarer Republik bedeutete die drohende Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen, die schon vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ein relativ hohes Niveau erreicht hatte, stieg von 1,9 Millionen im Jahre 1929 auf über 6 Millionen bis 1932. Für Arbeiterinnen war die Arbeitslosigkeit noch weitaus stärker mit Nachteilen verbunden als für die Arbeiter. Der Unterstützungssatz für Frauen war niedriger als für Männer, Frauen unter 18 Jahren bekamen keine Unterstützung. Durch die Notverordnungen, am Anfang der 30er Jahre, wurde Frauen, besonders wenn sie verheiratet waren, der Unterstützungsanspruch trotz Beitragszahlung vielfach gänzlich verweigert. Ebenso den geringfügig Be- 62 63 schäftigten, überwiegend Frauen, deren Kreis durch die Bestimmungen in diesen Jahren stark erweitert wurde. So wurde der Begriff der »geringfügigen Beschäftigung« neu definiert und von der Versicherungspflicht befreit. Dies betraf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bis zu 30 Stunden wöchentlich beschäftigt waren bzw. einen Verdienst von weniger als 10 Mark wöchentlich hatten. 1931 wurde der Versicherungscharakter für Ehefrauen durchbrochen, sie erhielten nur noch bei Bedürftigkeit Unterstützungsleistungen. Der Anteil der Frauen an den Unterstützungsberechtigten reduzierte sich durch die Notverordnungen erheblich von 46,2 Prozent im Oktober 1930 auf 13,9 Prozent im Oktober 1931. Viele Frauen meldeten sich unter diesen Umständen, wenn sie ihre Arbeit verloren, gar nicht mehr arbeitslos. Infolge dieser »stillen Reserve« fielen die Arbeitslosenzahlen für Frauen wesentlich niedriger aus als bei den Männern. Erwerbstätige verheiratete Frauen, deren Erwerbsarbeit meistens für die Erhaltung der Familie unentbehrlich war, sollten ihre Arbeitsplätze für männliche Arbeitslose freimachen. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund ( ADGB ), die damalige gewerkschaftliche Dachorganisation, und auch der DMV versäumten es, der Unsinnigkeit der Doppelverdienerdemagogie hinsichtlich der Lösung des Arbeitslosensproblems mit einer klaren Argumentation entgegen zu treten, und leisteten dadurch zu deren Vordringen in der Arbeiterschaft Vorschub. »geringfügig Beschäftigte« auch damals meist Frauen Die Frauen in der Defensive Während der Weimarer Republik zeigte sowohl die Teilnahme der Frauen an den Wahlen wie auch der Frauenanteil in den parlamentarischen Vertretungen eine sinkende Tendenz. Diese Vorgänge signalisierten, ebenso wie der Rückzug der Frauen aus den gewerkschaftlichen Organisationen, dass sich in ihren Reihen Enttäuschung und Resignation ausbreitete. In der ersten deutschen Republik fehlten der Leitgedanke und die Strategie einer offensiven Frauenemanzipation. Die sozialdemokratischen Frauen, die im Reichstag unter allen Fraktionen stets über die meisten Vertreterinnen verfügten, konzentrierten sich auf sozialpolitische Themen Die Frauen in den Arbeitskämpfen und blieben so im wesentlichen in der »Frauenecke«. Die KPD, der 1919 Klara Zetkin beigetreten war, hielt zwar die Ideale der proletarischen Emanzipationstheorie weiterhin hoch, ihr Einfluss in den Betrieben und in der Gewerkschaftsbewegung blieb jedoch begrenzt. Die Benachteiligung der Frauen und besonders der erwerbstätigen Frauen geschah vor dem Hintergrund, dass »Mann« von ihrer Seite kaum Widerstand erwartet hatte. Das Fehlen eines starken, kämpferischen Frauenflügels schwächte die Arbeiterbewegung im Angesicht der wachsenden faschistischen Gefahr nicht weniger als die politische Spaltung in zwei Arbeiterparteien. Wollsortiererinnen bei Nordwolle in Delmenhorst, 1920er Jahre Das kämpferische Potential, das in den Arbeiterinnen schlummerte, zeigte sich auch an ihrer regen Teilnahme an den Arbeitseinstellungen. In etlichen Jahren der Weimarer Republik stellten 64 65 sie in den vom DMV geführten Streiks ein Fünftel bis knapp ein Drittel der Streikenden. Noch größer war der Anteil der Textilarbeiterinnen an den großen Lohnkämpfen ihrer Branche 1928 /29. In dem achtwöchigen Streik in den Betrieben des Norddeutschen Wollkonzerns im Frühjahr 1928 befanden sich unter den 24.000 Streikenden nicht weniger als 13.000 Frauen. DIE FASCHISTISCHE DIKTATUR 1933 -1945 Weibliche Häftlinge im KZ Ravensbrück müssen für die SS Uniformen nähen 66 67 Schon die ersten Maßnahmen der Nazimachthaber nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 zielten – neben der drastischen Einschränkung demokratischer Freiheiten – auf die Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung. Tausende FunktionärInnen und Mitglieder der KPD, der SPD und der Gewerkschaften wurden verhaftet, misshandelt und kamen später in KZ-Lager. Nach einer längeren Hinhaltetaktik wurden am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser 68 69 besetzt und die Gewerkschaften aufgelöst. Viele Aktive der Arbeiterbewegung kämpften unter Einsatz ihres Lebens gegen das Naziregime. Unter ihnen auch viele Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, wie Elsa Niviera, Vorstandsmitglied des Deutschen Textilarbeiterverbandes, oder Margeraethe Traeder, Lisy Alphart, Dina Berner. Die letzten drei waren nach dem Krieg maßgeblich am Aufbau der Frauenarbeit in der IG Metall beteiligt. 71 DIE FRAUEN UND DIE IG METALL 1945 - 2005 Teilnehmerinnen auf der IG Metall Frauenkonferenz 1988 72 73 Gewerkschaftliche Frauenpolitik in der DDR Der Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg Die bedingungslose Kapitulation von Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945 beendete den Zweiten Weltkrieg. 5,25 Millionen Tote waren allein auf deutscher Seite zu beklagen. In breiten Schichten der Bevölkerung herrschte die Überzeugung, dass die Gesellschaft auf der Grundlage wirtschaftlicher und politischer Demokratisierung errichtet werden sollte. 74 Die DDR wurde am 7. Oktober 1949 gegründet. Zugleich setzte die Provisorische Volkskammer eine Verfassung in Kraft, die nach öffentlicher Diskussion im Mai 1949 vom Dritten Deutschen Volkskongress bestätigt worden war. Darin waren u. a. folgende Grundsätze verankert: ■ die Gleichberechtigung von Mann und Frau ■ das Recht auf Arbeit ■ gleicher Lohn für gleiche Arbeit ■ der besondere Schutz der Frauen im Arbeitsprozess ■ das gleiche Recht auf Bildung ■ die gemeinsame Verantwortung von Mann und Frau für die Erziehung der Kinder und ■ der staatliche Schutz der Mutterschaft. Die »Lösung der Frauenfrage« gehörte seit langem zum politischen Programm zur Befreiung der Arbeiterklasse von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung. Friedrich Engels’ Schrift »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des 75 Staates«, vor allem aber August Bebels Schrift »Die Frau und der Sozialismus« lieferten das Fundament für die Theorie, wonach die Befreiung der Arbeiterklasse durch die Beseitigung des Privateigentums, die Herstellung sozialer Gleichheit und die »Lösung der Frauenfrage« untrennbar miteinander verbunden ist. Man ging davon aus, ■ dass Benachteiligung, Unterdrückung und Rechtlosigkeit der Frau im Privateigentum begründet sind und mit dessen Abschaffung auch die Frau befreit werden würde, ■ dass der Kern der Emanzipation der Frau darin liege, sie in die Produktion einzubeziehen und ■ dass sie zu diesem Zwecke von ihren Pflichten für Hausarbeit und Kindererziehung entlastet und diese Bereiche vergesellschaftet werden müssten. Anders als in der Bundesrepublik gab es bei der Gleichberechtigung der Geschlechter in der DDR keine verfassungs- Original Bildunterschrift (Tribüne, wöchentliches Organ des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds, 1963 ): „Zum Weltkongreß der Frauen in Moskau wird die Zwirnerin Rosa Peter aus der Tuchfabrik Cottbus als einzige Delegierte aus dem Bezirk Cottbus fahren. Mit ihrer Delegierung wird ihre gleichermaßen vorbildliche Arbeit als ZweiStuhl-Zwirnerin in der Produktion und als aktivstes Mitglied des Betriebs-Frauenausschusses gewürdigt.“ rechtlichen Auslegungs- und Umsetzungsstreitigkeiten. Vielmehr folgten bald sozial- und familienpolitische Schritte wie das »Gesetz über den Mutterund Kinderschutz und die Rechte der Frau« und Regelungen zur Frauenförderung, die 1968 sogar verfassungsrechtlich festgeschrieben wurden. Die Chancengleichheit der Frau sollte in der DDR durch besondere Förderung bei der beruflichen Qualifizierung gewährleistet werden. 1945 bis 1960 Leben hieß in der sowjetischen Besatzungszone wie auch in den westlichen Zonen zunächst Überleben. Hier wie dort waren die Frauen die ersten, die beim Neuaufbau des verwüsteten Deutschlands als Trümmerfrauen anpacken mußten. Anders als im Westen räumten Frauen in der sowjetisch besetzen Zone jedoch nicht ihre Arbeitsplätze für heimkehrende Soldaten. Sie wurden für den Aufbau der Wirtschaft dringend 76 gebraucht. Mit Kampagnen wurde für ihre Eingliederung in die Betriebe geworben. Insbesondere nicht erwerbstätige Frauen wurden zeitweise zu Arbeitseinsätzen in verschiedenen Bereichen verpflichtet. Die »Hausfrauenbrigaden« entstanden. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands ( DFD ) sah in seiner Gründungszeit seine Hauptaufgabe darin, „Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung für die Arbeit in der Produktion zu gewinnen“. Engagierte Frauen leisteten intensive Aufklärungsarbeit. Sie warben für Ausbildungslehrgänge für unterschiedliche Berufe und Branchen. Die Frauenbewegung wurde zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich von humanistischen Zielen getragen: „Nie wieder Krieg“, eine glückliche Zukunft für die Kinder, gerechte Verteilung der Güter, keine Ausbeutung, Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen. „Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“, lautete das Motto. 77 Diese Ziele der Frauenbewegung stimmten mit den klassischen Werten des Kommunismus und dem Parteiprogramm der SED überein. Doch der Einfluss der Partei auf die Frauenbewegung war zunächst gering. Mit Gründung der DDR, dem Anspruch der SED auf die führende Rolle im Staat und ihrer Vorrangstellung in der »Kaderpolitik« veränderte sich dieses Verhältnis langsam. Der DFD wurde mehr und mehr zum Anhängsel der Partei. Andererseits förderte die SED mit konkreten Aktivitäten die Erwerbstätigkeit der Frau. Laut Parteiprogramm waren Betriebe verpflichtet, zur Entlastung der Frauen von häuslichen Pflichten zum Beispiel Angebote für Fertiggerichte aufzulegen, Bestellsysteme einzuführen, wie auch die Volksbildung und die ganztägige Betreuung der Kinder in der Schule zu sichern. Trotz dieser gesetzlichen Grundlagen für die Gleichberechtigung ließ die Praxis einiges zu wünschen übrig. Frauen waren sowohl in der Industrie als auch in der Politik kaum in leitenden Funktionen zu finden. Die Mehrzahl fand sich in beruflichen Tätigkeiten wieder, die relativ gering bezahlt wurden. An den altbekannten Rollenzuschreibungen wurde nicht gerüttelt. Trotz aller partnerschaftlichen Parolen waren auch in der DDR die Frauen die Hauptverantwortlichen für Hausarbeit und Kindererziehung. Allerdings wurden bessere Voraussetzungen zur Bewältigung der Doppelbelastung geschaffen als in der Bundesrepublik. Die Gewerkschaften bemühten sich in den Betrieben, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu verankern. Beispielsweise entwickelte die Hauptabteilung Frauen der IG Holz ein System von Schulungsmaßnahmen und Kontrollen in den Betrieben, um Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz aufzudecken und gleiches Recht für alle durchzusetzen. Sehr oft sahen sich Frauen dabei nicht nur mit den Vorurteilen der »Hausfrauenbrigaden« und Gleichberechtigung Betriebsleiter oder Eigentümer, sondern auch mit denen ihrer männlichen Kollegen konfrontiert. 1960 bis 1972 Ehrungen im Wandel: Von der »Besten Näherbrigade« zum »Besten Qualitätsarbeiter« 1960 beschloss das Zentralkomitee der SED, in allen Betrieben und gesellschaftlichen Institutionen Frauenkommissionen zu bilden und Frauen verstärkt in leitende Funktionen zu bringen. Einerseits drängten diese Kommissionen den DFD völlig an den Rand, andererseits stärkten sie die Stellung der Frau. Die Frauenkommissionen nahmen sich engagiert der Probleme der Frauen und ihrer Belastungen an. Sie führten die Auseinandersetzung mit Betriebsleitern, der betrieblichen gewerkschaftlichen Leitung ( BGL) und Parteisekretären und sorgten für einige Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zum Beispiel durch Kinderstuben, Nähstuben und Waschmöglichkeiten in den Betrieben. 78 Gesetze flankierten die Aktivitäten in folgenden Bereichen: ■ Die Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen wurden verbessert. Frauensonderklassen zur Ausbildung von Facharbeiterinnen, Meisterinnen, Fachschulkadern, Hochschulkadern usw. wurden gebildet. ■ Mütter konnten bei Geburt eines Kindes ein Jahr zu Hause bleiben, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren. ■ Ein Hausarbeitstag wurde eingeführt. Jede Frau hatte pro Monat einen Tag frei, um ihre Hausarbeit zu erledigen. ■ Jedes Kind hatte ein Recht auf einen Krippen- und einen Kindergartenplatz. ■ Frauenentwicklungsverträge erleichterten Frauen den Zugang zu Leitungsfunktionen. In der Folge drangen Frauen vor allem in Funktionen auf der mittleren Ebene vor. Nur sehr wenige – wenn auch mehr als in der Bundesrepublik – erreichten berufliche Spitzenpositionen. Der Anteil von Frauen in typi79 schen Männerberufen stieg. Frauen wurden nahezu vollständig ins Erwerbsleben integriert. Dennoch blieben Hausarbeit und Kindererziehung weiterhin an ihnen hängen. Ihre Rolle als berufstätige Hausfrau und Mutter wurde am 8. März sogar noch auf »sozialistische Art« geehrt. Anfang der 70er Jahre stellte die SED fest, dass die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft, im Arbeitsleben und in der Familie erreicht sei. 1972 wurde das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft« verabschiedet. Frauen konnten innerhalb einer Frist von zwölf Wochen selbst über einen Abbruch entscheiden. In den 80er Jahren nahmen jedoch die Kritikerinnen, vor allem unter den jüngeren Frauen, stetig zu und es wuchs die Unzufriedenheit mit der Verkürzung der Frauenpolitik auf eine »Muttipolitik«. Die Rahmenbedingungen waren zwar besser 1972 bis 1989 als im Westen, aber tatsächliche Gleichberechtigung gab es auch Ab diesem Zeitpunkt folgten in der DDR nicht. Anfang der nur noch alltagspraktische Ak80er Jahre entstanden infortivitäten, um vor allem jungen melle Frauengruppen, vor allem Müttern die Vereinbarkeit von im kirchlichen Raum und in der Beruf und Familie zu erleichtern. neuen Friedens- und AlternaSchichtarbeit für Frauen mit tivbewegung. 1982 schlossen Kleinkindern wurde verboten. sich »Frauen für den Frieden« Das »Mütterjahr« wurde durch zusammen und protestierten geeine Lohnersatzleistung finangen das neue Wehrdienstgesetz, ziert. Die bezahlte Freistellung das vorsah, im Verteidigungsfall bei Erkrankung des Kindes wur- auch Frauen zum Dienst an der de verlängert und die Arbeitszeit Waffe zu verpflichten. Im Somfür Mütter mit mindestens zwei mer 1989 spitzte sich die politiKindern verkürzt. sche Krise in der DDR durch die Integration der Frauen ins Erwerbsleben Ausreisebewegung zu. Die Opposition begann sich zu formieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt existierten an verschiedenen Orten politische Frauen-, Selbsthilfe-, Selbsterfahrungs- und Diskussionsgruppen. In Berlin zählten die »lila Offensive« ( LILO ) und die »Erster Weiblicher Aufbruch« ( EWA ) zu den Gruppen der »ersten Stunde«. In Thüringen schlossen sich Frauen unter dem Namen »Frauen für Veränderung« zusammen. Doch anders als erhofft, verbesserte die Wiedervereinigung die Lage der Frauen nicht. Im Gegenteil: Vorschuleinrichtungen wurden geschlossen, Kinderbetreuungsangebote eingeschränkt bzw. verteuert. Unzählige Frauen wurden erwerbslos und verloren ihre ökonomische Unabhängigkeit. Zunächst unterstützte die westdeutsche Frauenbewegung Praktikantinnen im VEB Kaltwalzwerk Oranienburg 1990. Der Betrieb wurde 1991 von Krupp übernommen und alsbald geschlossen 80 ihre ostdeutschen Schwestern engagiert. Doch nach einer Phase der »euphorischen Schwesterlichkeit« traten die Unterschiede immer klarer hervor. Die westdeutschen Frauen erkannten zwar die bessere Stellung der Frauen im Osten im Beruf an, sahen diese jedoch auf der »Bewusstseinsebene« um dreißig Jahre »hinterher hinken«. Ihrer Ansicht nach fehlte den ostdeutschen Frauen die Sensibilität für subtile Unterdrückungsmechanismen – eine der Hauptleistungen der Neuen Frauenbewegung im Lauf ihrer 25jährigen Geschichte. Einige Frauen glaubten sogar eine absolute Polarisierung zwischen der west- und der ostdeutschen Frauenbewegung zu sehen, die durch den Spruch „West-Emanzen gegen OstMuttis“ zugespitzt ausgedrückt wurde. Tag der Arbeitsloseninitiative Ost Mitglieder der IG Metall vor ihrem Stand »Neue Arbeit Sachsen e. V.« 81 Gewerkschaftliche Frauenpolitik in der Bundesrepublik Die 50er Jahre In der öffentlichen Wahrnehmung tauchen Frauen im zerstörten Deutschland der Nachkriegszeit zumeist als Trümmerfrauen auf. Diese Sicht blendet wichtige Bereiche aus. Frauen arbeiteten unmittelbar nach Kriegsende auch in Betrieben und in Verwaltungen. Im Dezember 1945 betrug der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen im Bundesgebiet 30,5 Prozent. In der Bevölkerung waren die Frauen in der Mehrheit. Nach Kriegsende lebten in den westlichen Zonen 7,3 Millionen mehr Frauen als Männer. Dennoch bekamen Männer eher einen Arbeitsplatz als Frauen. Verheiratete Frauen wurden gezielt aus dem Erwerbsleben verdrängt. Einige Arbeitsverträge sahen sogar eine so genannte Zölibatsklausel vor. Auch moralisch wurden erwerbstätige Frauen unter Druck gesetzt, ihren Arbeitsplatz für die heimkehrenden Männer freizumachen. Bundeskanzler Konrad Adenauer ( CDU ) und die katholische Kirche propagierten 82 83 Die Zölibatsklausel Eine aus heutiger sicht kaum nachvollziehbare Regelung gegen berufstätige Frauen war die sogenannte „Zölibatsklausel im Deutschen Beamtengesetz § 63“. Darin heist es laut Bundesgesetzblatt Nr. 30 vom 11. Juli 195o: 1. Ein weiblicher Beamter kann, wenn er sich verehelicht, entlassen werden. Er ist zu entlassen, wenn er es beantragt. Er darf ohne Antrag nur entlassen werden, wenn seine wirtschaftliche Versorgung nach der Höhe des Familieneinkommens dauerhaft gesichert erscheint; die wirtschaftliche Versorgung gilt als dauernd gesichert, wenn der Ehemann in einem Bemtenverhältnis steht, mit dem Anspruch auf Ruhegeld verbunden ist. 2. Die oberste Dienstbehörde entscheidet darüber, ob die wirtschaftliche Versorgung dauernd gesichert (ist oder) erscheint. 3. Im Einzelfalle kann die oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Inneren Ausnahmen von Abs. 1, Satz 3, Halbsatz 2 zulassen. 4. Die Entlassung tritt mit Ende des Monats ein, der auf den Monat folgt, in welchem dem Beamten die Entalssungsverfügung mitgeteilt worden ist. § 64 DBG: 1. Die aufgrund des § 63 ausscheidenden weiblichen Beamten erhalten eine Abfindung nach Abs. 2, auch wenn sie Beamte auf Widerruf sind. Durch die Abfindung werden alle Versorgungsbezüge abgegolten. (...) Aus einer Betriebsordnung ... ARBEITSZEIT: 45-STUNDENWOCHE MONTAG BIS FREITAG: (5 Tage á 8 Stunden) Vormittags 07.50 - 09.50 Uhr Nachmittags 12.50 - 16.00 Uhr 10.00 - 12.00 Uhr 16.10 - 18.00 Uhr 10 Min. Pause 10 Min. Pause SAMSTAG: (5 Stunden) Vormittags 07.50 - 09.50 Uhr 10.00 - 13.00 Uhr 10 Min. Pause Während der 10 Minuten Pause wird das mitgebrachte Vesper vom Gang geholt und am Platz eingenommen. Lautes Sprechen ist zu vermeiden. Das Handtuch auf dem Schoß zu behalten, damit die Hände sauber bleiben. Das Verlassen der Werkstatt während der Pause ist auch den Lehrmädchen nicht erlaubt. Die Fenster können geöffnet werden und nachher wieder geschlossen. Unsere Hausordnung verlangt von uns ruhiges Benehmen. Auf dem Treppenhaus darf nicht gesprochen werden. Um den Lehrmädchen die Bodenpflege der Werkstätte zu erleichtern, ziehen alle die schweren Straßenschuhe aus. Für die Zeiteintragung auf der Karte ist gewissenhaft und pünktlich jede Mitarbeitende verantwortlich. Der Werkstattmeisterin ist (in Abwesenheit der Inhaberin) der zur Förderung des Geschäfts nötigen Anordnungen zu folgen. Jeder arbeite an seinem Werk mit freudigem Eifer zum schönen Gelingen ! Lore und Anne kommen um 8 Uhr, dafür räumen sie gründlich in der Mittagszeit auf. Legen ihre Handtücher auf den abgeräumten Zuschneidetisch, um dort zu essen. das Bild der Hausfrau und Mutter, die sich um die drei K – Küche, Kinder, Kirche zu kümmern hatte. Öffentlich wurde darüber diskutiert, dass eine Vernachlässigung dieser Aufgaben die Entwicklung der Kinder gravierend beeinträchtige. »Schlüsselkinder« wurden Kinder genannt, deren Mütter erwerbstätig waren. Diese Ideologie fiel bei vielen Frauen auf fruchtbaren Boden. Mit Familienarbeit und Erwerbstätigkeit enorm belastet, gaben viele freiwillig ihren Arbeitsplatz auf. Die Folge: 1950 waren fast 70 Prozent der allein stehenden Frauen erwerbstätig, aber nur 26,4 Prozent der verheirateten. Am 10. Mai 1957 erklärte das Bundesarbeitsgericht Zölibatsklauseln im Arbeitsvertrag endlich für unwirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten im Familienrecht immer noch die Bestimmungen des 19. Jahrhunderts gegolten: Die Ehefrau durfte eigenständig keine Verträge schließen, ohne Einwilligung des Ehemannes konnte 84 sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Er hingegen konnte mit der Einwilligung des Vormundschaftsgerichts das Arbeitsverhältnis seiner Frau ohne deren Einverständnis kündigen. Er konnte über ihr Einkommen verfügen und Entscheidungen, die die gemeinsamen Kinder betrafen, alleine treffen. Das »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts« von 1957 beendete zwar diese Hierarchie im bürgerlichen Recht. Die grundsätzliche Vorstellung einer geschlechtsspezifischen Rollenverteilung in der Ehe blieb jedoch unangetastet. So durften Frauen weiterhin nur dann berufstätig sein, wenn dies mit ihren Familienpflichten vereinbar war. Gewerkschaftliche Frauenarbeit konzentrierte sich in den Anfangsjahren der Bundesrepublik auf den Aufbau organisatorischer Strukturen und die Werbung weiblicher Mitglieder. Die Hoffnung vieler Gewerkschafterinnen, dass frauenspezifische 85 Fragen gleichwertig in die gewerkschaftliche Arbeit integriert würden, erfüllte sich nicht. Zumeist blieb es engagierten Frauen vorbehalten, Probleme anzusprechen und Veränderungen einzufordern. Dabei ging es vor allem um die Betreuung der Kinder berufstätiger Frauen, die Doppelbelastung, um den Mutterschutz, berufliche Förderung sowie Lohn- und Gehaltsdiskriminierung. Bei Gründung der Bundesrepublik sahen fast alle Tarifverträge Abschlagsklauseln für Frauenlöhne vor. Je nach Tarifvertrag mussten Frauen bei gleicher Arbeit einen Abschlag von zehn bis 25 Prozent auf den Männerlohn hinnehmen. Mit dieser Praxis räumte ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1955 auf. Der Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes umfasse auch den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau und gelte mithin auch für Tarifverträge, beschieden die Richter. Damit waren Lohnabschlagsklauseln gesetzwidrig. Zugleich regte das Gericht an, genauere Lohnkategorien zu bilden und Tätigkeiten nach ihren körperlichen Belastungen zu unterscheiden. Geklagt hatte eine Hilfsarbeiterin einer Stuhlfabrik in Bakede, einem kleinen Ort in Niedersachsen in der Nähe von Hameln. Nach dem Tarifvertrag für die holzverarbeitende Industrie Niedersachsens erhielten die Männer damals den Hilfsarbeiterlohn von 1,17 DM je Stunde. Frauen zahlte die Firma jedoch nur 94 Pfennig. Dies schien durch den Tarifvertrag, Absatz »Frauenarbeit«, gedeckt. Dort hieß es: „Weibliche Arbeitskräfte erhalten für die Spulenindustrie 75 Prozent, für die übrige unter diese Tarifvereinbarung fallende holzverarbeitende Industrie 80 Prozent der betreffenden Männerlöhne.“ Nach dem historischen Urteil machten sich die Arbeitgeber Gedanken darüber, wie sie sich möglichst billig aus der Affäre ziehen könnten. Die Bezahlung der Frauen nach den Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes und Tarifverträge Die 60er Jahre Tarifen für männliche Hilfsarbeiter hätte eine Lohnerhöhung von 25 bis 35 Prozent bedeutet. Um das zu vermeiden, wurden die bisherigen Lohngruppen um weitere ergänzt. 1956 einigte sich zum Beispiel der Vorstand der IG Metall mit dem Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände auf Lohngruppentexte mit dem Merkmal „Ohne besondere Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit“. Unter der bisher niedrigsten Lohngruppe ( zumeist 80 Prozent unterhalb des Facharbeiterlohns, der so genannten Ecklohngruppe ) wurden weitere Gruppen geschaffen. Deren Niveau lag in der Regel bei 72 bis 75 Prozent des Ecklohns. Damit schien zwar formalrechtlich die Diskriminierung der Frauen bei der Entlohnung beseitigt, es gab keine Lohnabschlagsklauseln mehr, stattdessen waren die Leichtlohngruppen geboren, in die vor allem Frauen eingruppiert wurden. Zweites wichtiges Arbeitsfeld für die IG Metall-Frauen war schon früh das Engagement gegen Militarismus und Krieg und für den Frieden. In den 50er Jahren protestierten sie gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und warnten vor den Gefahren atomarer Waffen für die gesamte Welt. ( Aufruf an die Frauen der Welt IN: Int. Frauentag S. 75 ) 86 Die 60er Jahre gelten als die Jahre des »Wirtschaftswunders«. Mehr ArbeitnehmerInnen als je zuvor konnten sich – häufig auf Raten – bei einer 40- bis 45-Stunden-Woche größere Anschaffungen leisten ( einen Fernseher, eine Waschmaschine, ein Auto ) und in Urlaub fahren. In dieser Zeit des Aufschwungs warben die Betriebe um Frauen als Arbeitskräfte und boten unterschiedlichste Arbeitszeitmodelle an, um den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Frauenerwerbstätigkeit wurde mit Hilfe des »DreiPhasen-Modells« legitimiert. Dieses Modell wies familiäre Aufgaben und Erwerbstätigkeit verschiedenen Lebensphasen zu und versuchte auf diese Weise, individuelle, natürliche Lebensprozesse mit wirtschaftlichen Anforderungen zu synchronisieren. Die Frau unterbreche ihre Erwerbstätigkeit nach der Heirat oder Geburt des ersten Kindes und nehme sie nach Beendigung 87 der Schulzeit der Kinder wieder auf. Vera Klein, die diese Theorie gemeinsam mit Alva Myrdal entwickelt hatte, referierte darüber bei der 6. Frauenkonferenz der IG Metall 1967. Zunehmend wurden auch verheiratete Frauen wieder erwerbstätig. Müttern wurde Teilzeitarbeit angeboten. Arbeitszeitmodelle mit Abendschichten und Saisonarbeit kamen auf. Vorreiter war der Dienstleistungsbereich, aber es gab auch so genannte Hausfrauenschichten in der Produktion, in denen in der Regel an- und ungelernte Arbeiterinnen arbeiteten. Sie verrichteten oft Tätigkeiten, die große Fingerfertigkeit erforderten, eng getaktet und sehr monoton waren. Diese Arbeiten stellten angeblich keine großen Anforderungen und wurden gering bezahlt. In der Bekleidungsindustrie wuchs der Frauenanteil unter den Beschäftigten auf 83,8 Prozent an, in der Metallindustrie Die 70er Jahre Verringerung der Doppelbelastung »Notstandsgesetze« verharrte er bei unter 20 Prozent. Vorrangiges Ziel der Frauenpolitik war auch in dieser Zeit, die Doppelbelastung der Frauen zu verringern. Männer beteiligten sich kaum an der Familienarbeit. Hausarbeit musste in dieser Zeit noch vielfach ohne technische Unterstützung bewältigt werden. Da die wenigsten über eine ( halb- ) automatische Waschmaschine verfügten, mussten sie einen Waschtag einplanen. In vier Bundesländern ( Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ) gab es daher den gesetzlichen Anspruch auf einen bezahlten Hausarbeitstag. Dieser wurde jedoch aufgrund der Beschwerde eines allein stehenden Mannes vor dem Bundesverfassungsgericht als exklusives Frauenrecht 1979 für verfassungswidrig erklärt. Sozialpolitische Forderungen prägten die gewerkschaftliche Frauenpolitik: Die Freistellung eines Elternteils bei Krankheit der Kinder, ausreichende Angebote zur Kinderbetreuung, angemessenes Kindergeld und angemessene Altersrenten. Die meisten dieser Forderungen mündeten erst in den 70er Jahren in staatliche Reformen. Im Verlauf der 60er Jahre verschärfte sich in den Betrieben die Auseinandersetzung um bessere Arbeitsbedingungen. Thema war auch eine vorsorgende Gesundheitspolitik. Bis Ende der 60er Jahre bezog zum Beispiel die Arbeitswissenschaft ihre Erkenntnisse aus der Beobachtung junger Männer zwischen 20 bis 25 Jahren. Eine geschlechter- oder altersgerechte Betrachtungsweise war nicht üblich. Aufgrund heftiger Proteste gegen den Vietnam-Krieg und angesichts der zunehmenden Politisierung der Jugend verabschiedete der Bundestag 1968 auf Initiative der Großen Koalition in Bonn die »Notstandsgesetze«, die es ermöglichten, einen Teil der verfassungsmäßigen Rechte im Fall eines »Notstands« außer Kraft zu setzen. Dieser Beschluss löste eine Welle des Widerstands im gesamten Land aus. Studierende, Gewerkschaften, SPD-Mitglieder und linke Gruppen beteiligten sich an vorher undenkbaren gemeinsamen Aktionen. Vor allem die Studierenden verknüpften diesen Protest mit der Forderung nach Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit und nach einer Demokratisierung der Hochschulen. Sie wollten den „Muff von tausend Jahren“ aus den Universitäten vertreiben. Diese Bewegungen legten den Grundstein dafür, dass nach anderthalb Jahrzehnten CDUHerrschaft und nach dem Ende einer drei Jahre lang regierenden großen Koalition von CDU/ CSU und SPD 1969 die erste sozial-liberale Koalition von SPD und FDP gebildet wurde. Willy Brandt wurde zum Bundeskanzler gewählt. Das Motto seiner Regierungserklärung: „Mehr Demokratie wagen !“ 88 Die sozialen Bewegungen vom Ende der 60er Jahre wirkten in den 70er Jahren fort. Viele Menschen politisierten und engagierten sich. Vor allem auch junge Leute und Frauen traten an, das verknöcherte Gesellschaftssystem zu verändern. Es entstand eine neue Frauenbewegung ( siehe unten ). Die sozial-liberale Koalition setzte eine Reihe sozialer Reformen ins Werk, in denen sich auch die sozialpolitischen Forderungen der Gewerkschafterinnen wiederfanden: die Neugestaltung des Ehe- und Familien- und des Nichtehelichenrechts, die Weiterentwicklung der Krankenversicherung mit der Freistellung zur Pflege erkrankter Familienangehöriger und dem Anspruch auf Vorsorgeuntersuchungen, die Einführung des Mutterschaftsurlaubs und des Mutterschaftsgeldes. All diese Themen fanden sich durchgängig in den Anträgen der Frauenkonferenzen der IG Metall in den 60er und 70er Jahren wieder. 89 Mit dem Mutterschutzgesetz von 1965 wurde die Schutzfrist nach der Entbindung auf acht Wochen verlängert und ein Anspruch auf Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft begründet. 1971 wurde der Mutterschaftsurlaub mit Mutterschaftsgeld und Kündigungsschutz bis zwei Monate nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs eingeführt. Das bedeutete Verbesserungen, die die Gewerkschaften schon seit vielen Jahren gefordert hatten. Mit der Reform des Namensrechts 1976 und der Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 wurde das tradierte Leitbild der Hausfrauenehe im Bürgerlichen Recht endlich weitgehend aufgegeben. Nun hatten beide EhepartnerInnen das gleiche Recht erwerbstätig zu sein. Sie teilten sich die Verantwortung für die Haushaltsführung. Zerrüttungsprinzip und Versorgungsausgleich lösten das antiquierte Schuldprinzip im Scheidungsrecht ab. Auch in die Auseinandersetzungen und parlamentarischen Initiativen zur Neuregelung des Abtreibungs-Paragrafen 218 StGB mischten sich die Gewerkschaften ein. Bereits 1971 forderte der Gewerkschaftstag der IG Metall die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs. Die Mitglieder wurden zu einer Unterschriftenaktion zur Unterstützung der Fristenregelung aufgerufen, die mehr als 125.000 Unterschriften einbrachte. Die vom Bundestag im April 1974 verabschiedete »Fristenregelung« billigte der Frau in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft zu, über einen Abbruch selbst zu entscheiden. Jedoch verwarf das Bundesverfassungsgericht diese Reform ein Jahr später als nicht verfassungsgemäß. Mit einem neuen Gesetz wurde schließlich die Indikationenregelung eingeführt, die einen Schwangerschaftsabbruch in bestimmten eng umrissenen Fällen zuließ. Zur Gleichstellung der Frau gehören gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen für Mäd- Reformen im Familienrecht und Neue Frauenbewegung chen wie für Jungen. Als Folge der Bildungsreformen nahm ab Anfang der 70er Jahre die Zahl der Mädchen, die einen Beruf erlernten, kontinuierlich zu. Allerdings konzentrierte sich die Mehrzahl auf relativ wenige, meist schlecht bezahlte, frauentypische Berufe im Dienstleistungssektor, wie Arzthelferin, Friseurin, Näherin, Kauffrau oder Verkäuferin. Seit den 60er Jahren gehörte es zu den Kernanliegen der Frauenarbeit in der IG Metall, die Ausbildung der Mädchen in gewerblich technischen Berufen zu fördern. Die IG Metall plädierte für einheitliche Lehrpläne für Jungen und Mädchen. Jungen sollten am Hauswirtschaftsunterricht teilnehmen, Mädchen am Werkunterricht. Anlernberufe, in denen Mädchen eine Kurzausbildung absolvierten, sollten zu regu- lären dreijährige Ausbildungen aufgewertet werden. Anke Fuchs, bis April 1977 Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, pries Schweden als Vorbild. Dort erhielten Betriebe Zuschüsse, wenn sie Frauen in typischen Männerberufen und Männer in typischen Frauenberufen ausbildeten. Mitte der 70er Jahre beendete eine schwere Wirtschaftskrise die Jahre der Vollbeschäftigung oder doch Beinahe-Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik. 1975 waren über eine Million Menschen arbeitslos, darunter über 400.000 Frauen. Seit diesem Zeitpunkt ist es nie mehr gelungen, den sich weiter vergrößernden Sockel an Arbeitslosigkeit zu beseitigen. In der Wirtschaftskrise der 70er Jahre verschlechterten sich auch die gesellschaftlichen Rah- GTB-Broschüre, 1972 menbedingungen für gewerkschaftliche Frauenarbeit. In dieser Situation veröffentlichte der Frauenausschuss der IG Metall 1978 »Zwölf Thesen«, eine Art politisches Grundsatzprogramm. Mit diesem Programm knüpften die Gewerkschafterinnen an die politischen Grundlagen der proletarischen Frauenbewegung der Jahrhundertwende an. Diese hatte ihren Kampf um die Emanzipation der Frau mit einer präzisen Analyse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verbunden. In der Wirtschaftskrise zeigte sich recht schnell, dass weibliche Erwerbsarbeit noch immer nicht selbstverständlich war, Frauen wurden weiterhin als arbeitsmarktpolitische Verschiebemasse missbraucht, Wirtschaft und Politik unternehmen einmal mehr den Versuch, Frauen in »Männerberufen« 90 91 Die 80er Jahre Ein wichtiges Ziel: Humanisierung der Arbeitswelt das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu ihren Lasten zu lösen. Die Frau als »Doppelverdienerin« saß plötzlich wieder auf der Anklagebank. Gleichzeitig geschah Mitte der 70er Jahre einiges auf europäischer Ebene. Der Ministerrat der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschloss einstimmig zwei wichtige Richtlinien, eine zur Lohngleichheit und eine zur Gleichheit beim Zugang zu Beschäftigung, Weiterbildung, beruflichem Aufstieg sowie Arbeitsbedingungen. Diese Richtlinien sind seither wichtige Grundlagen zur Durchsetzung gleichstellungspolitischer Forderungen. Die »Humanisierung der Arbeitswelt« war in den 70er Jahren ein wichtiges gewerkschaftliches Ziel. Auch die IG Metall initiierte und begleitete viele Projekte – betrieblich und überbetrieblich. Einige Aspekte waren für die Frauen an den Bändern und Maschinen besonders wichtig. Die »einfache« und »leichte« Arbeit, die man ihnen zuwies, war vielfach das letzte Stadium vor der Automation. Die Arbeitsabläufe waren so zerhackt und zergliedert, dass die Gefahr bestand, diese Arbeitsplätze in einer weiteren Welle der Mechanisierung wegzurationalisieren. Bedeutsam war daher die Forderung nach Mindestarbeitsinhalten. Die Gewerkschaften sahen sich durch ein 1975 im Auftrag der Bundesregierung erstelltes arbeitswissenschaftliches Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt. Es besagte Folgendes: Um auf Dauer erträglich zu sein, müsse Arbeit aus einem Mindestmaß an Handgriffen bestehen, die zusammen mehr als eine Minute Zeit erforderten. Außerdem müsse jede Arbeit ein Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit und Kontrolle enthalten. 92 Das Jahr 1982 brachte einen Regierungswechsel und damit die 16 Jahre währende Ära Kohl. Die Arbeitslosenzahlen stiegen und die Beschäftigten in der Metallindustrie streikten für die 35-Stundenwoche. Die 80er Jahre standen aber auch im Zeichen des Frauenaufbruchs. Die Kampagne der IG Metall für die 35-Stunden-Woche verfolgte schwerpunktmäßig das Ziel, durch Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslosigkeit zu verringern. Neben den beschäftigungs- und humanisierungspolitischen Zielen, ging es den Frauen der IG Metall auch darum, Lebenschancen gerechter zu verteilen. Trotz steigender Erwerbsbeteiligung der Frauen hatte sich an der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern kaum etwas verändert. Die Doppelbelastung der Frauen durch Erwerbstätigkeit einerseits, »Küche und Kinder« andererseits bestand 93 Die 35 Stunden-Woche: für Frauen auch eine Möglichkeit zur gerechteren Verteilung von Lebenschancen DGBFrauenkundgebung Bonn 1983: Frauen protestieren gegen sozialen Abbau noch immer. Viele Mütter kleiner Kinder waren ( und sind weiterhin ) dazu gezwungen, nur Teilzeit zu arbeiten, auch wenn sie eigentlich eine Vollzeitstelle haben wollen. Viele wurden in ungesicherte – geringfügige – Beschäftigungsverhältnisse gedrängt. Mitte der 80er Jahre war jede dritte erwerbstätige Frau teilzeitbeschäftigt. Darüber hinaus ging es in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit um die soziale Sicherung der Frau, um Aus- und Weiterbildungsfragen, Altersversorgung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Gefordert wurden auch Gleichstellungsstellen, Frauenbeauftragte und gezielte Frauenförderung. Seit Mitte der 80er Jahre initiierten Kolleginnen der IG Metall Frauenförderpläne sowohl in den Betrieben als auch in den Gliederungen der Gewerkschaft, um Diskriminierungen abzubauen und die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen zu erreichen. Gegen den Willen der DGBSpitze belebten Gewerkschafts94 frauen in den 80er Jahren den Internationale Frauentag neu und feierten ihn seither jedes Jahr. Die IG Metall verband den 8. März mit aktuellen, frauenpolitisch wichtigen Themenschwerpunkten: Lohngleichheit ( 1981 ), Sozialaufbau ( 1982 ), Mitbestimmung und Dienst von Frauen in der Bundeswehr ( 1983 ), Arbeitszeitverkürzung ( 1984 ) und Arbeitslosigkeit ( 1985 ). 1986 führte die Bundesregierung den Erziehungsurlaub und das Erziehungsgeld für Mütter und Väter ein, die ihr neugeborenes Kind selbst betreuen. Erziehungsgeld gab es zunächst zehn Monate lang, ab 1990 dann 18 Monate lang. Seit 1992 bestehen der Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (seit 2001: Elternzeit) unabhängig voneinander. Erziehungsgeld wurde ab diesem Zeitpunkt 24 Monate lang gezahlt. Väter oder Mütter im Erziehungsurlaub konnten bis zu 19 Stunden pro Woche arbeiten. Die Reform des Erziehungsgeldgesetzes 2001 eröffnete beiden Eltern die Möglichkeit, gleichzeitig Elternzeit ( wie der Erziehungsurlaub nun hieß ) zu nehmen und bis zu 30 Stunden pro Woche erwerbstätig zu sein. An frauenspezifischen Fragen des Arbeitsschutzes arbei- teten Metallerinnen auch in den 80er Jahren. Zu den traditionellen Problemen des Arbeitsschutzes gehörten unter anderem Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und die Raumtemperatur. Eine wachsende Rolle spielten auch ergonomische Gesichtspunkte, wie richtiges Sitzen und richtiges Licht. Dass viele Betriebe die Vorschriften missachten, zeigte 1980 eine Aktion mehrerer IG Metall-Verwaltungsstellen in Baden-Württemberg unter dem Moto »Frauen sind nicht zweite Klasse«. Häufig übertreten wurden zum Beispiel die Vorschriften für Frauen zum Heben und Tragen. „Widerstand jetzt“ DGB-Kundgebung gegen sozialen Abbau, Frankfurt/M. 1982 95 In den 70er und 80er Jahren initiierten die IG Metall und andere Gewerkschaften Höhergruppierungsaktionen. Sie wandten sich gegen die Klassifizierung »körperlich leichte Arbeit« an vielen Frauenarbeitsplätzen und forderten die Abschaffung der Leichtlohngruppen als ungerechtfertigt und diskriminierend. Beispielsweise erstritten 14 Arbeiterinnen des Elektromotorenwerks Groschopp in Viersen vor Gericht ihre Höhergruppierung aus der Leichtlohngruppe 2 in die Gruppe 4 des nordrhein-westfälischen Tarifvertrags. Das Arbeitsgericht Mönchengladbach befand, dass das Drähtelöten, mit dem die Frauen beschäftigt waren, mehr als nur geringe körperliche Belastung sei. 1988 verbot das Bundesarbeitsgericht die Leichtlohngruppen endlich als »mittelbar diskriminierend«. Auch hier hatten Metallerinnen geklagt, die in einer Wittener Kabelfirma arbeiteten und eine gerechtere Eingruppierung einforderten. Seit diesem Urteil Kroschu-Kolleginnen vor Beginn der Verhandlung vor dem Bochumer Arbeitsgericht, 1983 96 97 Solidartitätsdemonstration für die Thyssen-Koleginnen vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt 1981 wird unter körperlich schwerer Arbeit auch solche Arbeit verstanden, die stehende Tätigkeiten, eine taktgebundene, repetitive Arbeit, nervliche Belastungen oder Lärmbelastung beinhaltet oder zu einer bestimmten Körperhaltung zwingt – Anforderungen an vielen Arbeitsplätzen von Frauen in der Metall- und Elektroindustrie. Die 90er Jahre Der Anfang der 90er Jahre brachte die deutsche Wiedervereinigung. In der Folge verloren in den neuen Bundesländern Männer wie Frauen ihren Arbeitsplatz. Doch Männer fanden eher eine neue Stelle. Die Erwerbslosigkeit der ostdeutschen Frauen nahm dramatisches Ausmaß an. Mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft und der damit verbundenen anhaltenden Massenarbeitslosigkeit ging für die Frauen in den neuen Bundesländern die Zeit hoher Erwerbstätigkeit zu Ende. In der ehemaligen DDR war es für jede Frau selbstverständlich, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und auf eine öffentliche Infrastruktur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zurückzugreifen. In der DDR waren 87 Prozent aller berufstätigen Frauen Facharbeiterinnen oder hatten eine höhere berufliche Ausbildung. Die Massenarbeitslosigkeit traf die Frauen im Osten trotz gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Kollegen doppelt. Sie wurden als erste Internationaler Frauentag 1994 98 99 entlassen und fanden als letzte einen neuen Job oder ergatterten eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Während im Westen die Frauenerwerbsquote von 1989 bis 1992 von 55,5 Prozent auf 59,5 Prozent gestiegen ist, sank sie im Osten Deutschlands von 91 Prozent ( 1989 ) auf 47,8 Prozent. Parallel zu dieser Entwicklung erlebte die Bundesrepublik die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Mehr als vier Millionen Menschen waren auf dem Höhepunkt dieser Krise, im Februar 1994, arbeitslos gemeldet. 1983 hatten über eine Million Frauen keine Arbeit, 1999 schon fast zwei Millionen. Ihre allgemeine Arbeitslosenquote lag immer über der der Männer. In der Metallwirtschaft war das jedoch etwas anders. Dort lag der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen der Branche mit 19 bis 20 Prozent unter der allgemeinen Quote. Indes stieg der branchenspezifische Anteil der arbeitslosen Frauen in der Textil- und Bekleidungswirt- schaft auf nahezu 90 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ließ auch bei der IG Metall die Mitgliederzahlen sinken. Die Gewerkschaft verlor bis 1994 über 120.000 weibliche Mitglieder, rund 86.000 im Osten und rund 35.000 im Westen. Im Verlaufe der Krise gewannen in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit Konzepte für eine geschlechtergerechte Wirtschafts- und Strukturpolitik an Bedeutung. Das Arbeits- und Aktionsprogramm »Frauen für die 35« flankierte die Tarifrunde 1990. Das Arbeitszeitforum der IG Metall 1990 in Frankfurt mit 350 Teilnehmerinnen unter dem Motto »Wir streiten für bessere Zeiten« bildete einen Schwerpunkt der Aktionen. In den meisten Tarifgebieten wurde Teilzeitarbeit auf Arbeitszeiten oberhalb der Sozialversicherungspflichtgrenze beschränkt. In den 80er Jahren hatte sich die IG Metall noch zum Ziel gesetzt, Teilzeit einzuschränken. In den 90er Jahren traten unter dem Druck der hohen Arbeitslosig- Einbruch der Frauenerwerbsquote in den neuen Bundesländern keit die Durchsetzung bedürfnisorientierter Teilzeitregelungen und qualifizierter Teilzeit in den Vordergrund. 1999 wie schon 1984 stand die Arbeitszeit für die IG Metall-Frauen auch im Mittelpunkt des internationalen Frauentages. Nach einem Beschluss des 18. Gewerkschaftstages 1995 wurde eine »Muss-Quote« im Ortstatut der Verwaltungsstellen verankert. Frauen sollen dort entsprechend ihrem Anteil an der Mitgliedschaft in den Gremien mitarbeiten. In der Folge wurden 16,9 Prozent der Frauen in die Vertreterversammlungen und in die Ortsverwaltungen gewählt ( 1990: 10,4 Prozent ). 1999 wurde die Frauenquote auch in der Organisationssatzung verankert. Bereits im Jahr 2000 wurde sie bei den Organisationswahlen erfüllt. Bei den Betriebsratswahlen schlug sich die mit der Reform des Gudrun Hamacher spricht auf dem Arbeitszeitforum der IG Metall 1990 in Frankfurt Ursula Ibler (l.) und Karin Roth (r.) auf dem Arbeitszeitforum 100 101 Betriebsverfassungsgesetzes neu eingeführte Mindestquote für das Minderheitengeschlecht ebenfalls positiv nieder. Davor war der Frauenanteil in den Beschäftigtenvertretungen von Wahl zu Wahl nur um wenige Zehntel Prozentpunkte gestiegen. Bei der ersten Wahl nach neuem Recht 2002 stieg der Frauenanteil in den Betriebsräten sprunghaft um über vier Prozentpunkte. 1995 riefen Arbeitgeber, der DGB, Wirtschaftsverbände und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Initiative »TOTAL E-QUALITY Deutschland« ins Leben. Die Initiative zeichnet Unternehmen aus, die Chancengleichheit als Grundsatz ihrer Personalpolitik praktizieren. Qualität soll mit Chancengleichheit verbunden werden. Ziel ist es, Firmen zu motivieren, ihre Management-Konzepte gezielt auch auf den weiblichen Teil der Belegschaft auszurichten. 1994 verabschiedete der Bundestag das Zweite Gleichberechtigungsgesetz. Es galt jedoch nur für den öffentlichen Dienst, den in der privaten Wirtschaft beschäftigten Frauen brachte es gar nichts. Hier sind die weiblichen Beschäftigten weiterhin auf eigene Initiativen angewiesen. Chancengleichheitsausschüsse der Betriebsräte setzen sich – vor allem in größeren Betrieben – für Betriebsvereinbarungen zur Chancengleichheit ein. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind dabei Netzwerke, die den direkten Austausch der Akteurinnen über Erfahrungen, Methoden, Strategien und gute Praxis fördern. Im Organisationsbereich der IG Metall wurden zahlreiche Netzwerke in größeren Betrieen brachte es gar nichts. Hier sind die weiblichen Beschäftigten weiterhin auf Quoten für Frauen Mitgliederstruktur der IG Metall, der GTB und der GHK vor ihrer Fusion 16,7 % GHK *: 150.000 Mitglieder davon 25.000 weiblich 17,1% IGM: 2.639.594 Mitglieder davon 450.182 weiblich 59,6 % eigene Initiativen angewiesen. Chancengleichheitsausschüsse der Betriebsräte setzen sich – vor allem in größeren Betrieben – für Betriebsvereinbarungen zur Chancengleichheit ein. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind dabei Netzwerke, die den direkten Austausch der Akteurinnen über Erfahrungen, Methoden, Strategien und gute Praxis fördern. Im Organisationsbereich der IG Metall wurden zahlreiche Netzwerke in größeren Betrieben, aber auch überbetrieblich gegründet. Ende der 90er Jahre schlossen sich zwei kleinere Gewerk- GTB: 183.349 Mitglieder davon 107.717 weiblich * Hochrechnung. 1998 wurden keine Daten erhoben. Letzte Datenerhebung für den Wirtschafts- und Tätigkeitsbericht der GHK 1996/ 1997. 102 103 schaften, die Gewerkschaft Textil und Bekleidung ( 1998 ) sowie die Gewerkschaft Holz und Kunststoff ( 1999 ) der IG Metall an. Beide Gewerkschaften, Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts gegründet, haben eine lange kämpferische Tradition. Die Gewerkschaft Textil Bekleidung verfügt mit ihrem um die 60 Prozent liegenden Frauenanteil obendrein über einen reichen Schatz an Erfahrungen in der Frauenarbeit. Der Anteil der weiblichen Mitglieder entsprach hier auch über einen längeren Zeitraum im Wesentlichen dem Frauenanteil von 60 Prozent in der Textil- und Bekleidungswirtschaft sowie im textilen Reinigungsgewerbe. Der Rückgang der Mitgliederzahl der GTB von rund 431.000 im Jahr 1952 auf dem Höhepunkt ihrer Nachkriegsentwicklung auf etwa 183.000 im Jahr 1997 spiegelt das Schrumpfen der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie wieder. Zusammenschluss von GTB, GHK und IG Metall Die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts 2001 zählte die IG Metall rund 509.000 weibliche Mitglieder. Fast jedes fünfte Mitglied ist eine Frau. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der MetallFrauen liegt damit noch immer unter ihrem Anteil an den Beschäftigten. Das im Juli 2001 in Kraft getretene novellierte Betriebsverfassungsgesetz hat die Möglichkeiten für Initiativen der Betriebsräte zur Chancengleichheit erheblich verbessert. Vorgaben zur Mindestvertretung der Geschlechter im Betriebsrat wie auch der Jugend- und Auszubildendenvertretung ( »Mindestquote« ), eine Soll-Vorschrift für den Gesamt- und den Konzernbetriebsrat, Freizeitausgleich für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder und Teilfreistellungen erleichtern es Frauen, im Betriebsrat mitzuarbeiten. Zugleich erhält der Betriebsrat mehr Rechte, um für Chancengleichheit aktiv zu werden. Am 26. April 2001 fand erstmals bundesweit der Girls‘ Day, der Mädchen-Zukunftstag, Kirsten Rölke spricht auf dem Frauentag der IG Metall 2004 104 105 statt. An diesem Tag erhielten Mädchen im Alter von 10 bis 15 Jahren die Gelegenheit, in Betrieben und Forschungseinrichtungen technische und techniknahe Berufe kennen zu lernen. Initiiert und getragen wurde die Initiative von mehreren Bundesministerien, der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und vom DGB. Die Arbeitszeitpolitik ist neben der Entgeltpolitik weiterhin ein Dreh- und Angelpunkt gewerkschaftlicher Gleichstellungspolitik. Im Jahr 2001 diskutierten Metallerinnen in einem zweitägigen bundesweiten Workshop die Themen kollektive Arbeitszeitverkürzung, Teilzeitarbeit und Arbeitszeitkonten. Die Ergebnisse wurden in einem Positionspapier unter dem Titel: »Zeit zum Arbeiten, Zeit zum Leben – für Frauen und Männer« veröffentlicht. Mit den ersten abgeschlossenen Entgeltrahmentarifverträgen (»ERA« ) beginnt eine neue Ära der Tarifpolitik. Veränderte Arbeitsbedingungen erzwangen veränderte Entgeltstrukturen und neue Bewertungskriterien. Die neuen Entgeltrahmenabkommen bieten Chancen für eine gerechtere Eingruppierung beider Geschlechter. Wie diese Chancen genutzt werden, entscheidet sich auch bei der betrieblichen Umsetzung der neuen Rahmenregelungen. Im Oktober 2003 wurde beim Gewerkschaftstag der IG Metall die Chancengleichheit von Frauen und Männern als ein „wichtiges Zukunftsthema – in Gesellschaft, Arbeitswelt und für die IG Metall ... mit dem Ziel der wirklichen Gleichstellung der Geschlechter“ beschlossen. In Anlehnung an die Strategie der EU betrachtet die IG Metall die Doppelstrategie von Frauenpolitik und Gender Mainstreaming als notwendiges Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Es geht nicht darum, mit einem rein formal verordneten und absolvierten Gender Mainstreaming die bisherige Frauenpolitik auszubremsen. Beide Ansätze sollen einander Frauen noch immer schwächer organisiert als Männer Neue »ERA« in der Tarifpolitik Gender Mainstreaming ergänzend und verstärkend eingesetzt werden. Die Doppelstrategie dient dem Ziel, Frauen und Männern gleiche Chancen auf eine selbstbestimmte Gestaltung eigener Lebensentwürfe jenseits klassischer Geschlechterrollen zu ermöglichen. Mit diesem Beschluss bekennen sich die männlichen Metaller stärker als bisher zu ihrer Verantwortung, Chancengleichheit auch im eigenen Wirkungsbereich umzusetzen! Sogenannte »Reformen« des neuen Jahrhunderts machen sozialpolitische Erfolge der Vergangenheit zunichte. Politische Entscheidungen wie die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze verschärfen vor allem die Situation von Frauen. Entgegen allen Erklärungen und entgegen den Leitlinien europäischer Beschäftigungspolitik denkt die Bundesregierung überhaupt nicht daran, ernsthaft Gender Mainstreaming in die deutsche Politik zu integrieren und Chancengleichheit für Frauen und Männer durchzusetzen. Die beschlossenen und geplanten Reformen verschlechtern überwiegend die Situation von Frauen. Gespart wird in vielen Feldern zu Lasten der weiblichen Hälfte der Bevölkerung! „Sozialer Kahlschlag schafft keine Arbeitsplätze - Reformen ja. Sozialabbau nein danke.“ DGB-Kundgebung 2004: Kornmarkt, Nürnberg 106 107 Die Neue Frauenbewegung 1968 - 1975 ben!“ Tausende von Frauen und auch viele Männer solidarisierDie Neue Frauenbewegung ten sich. Unter der Parole „Mein entstand im Rahmen der StuBauch gehört mir!“ entstanden dentenbewegung von 1967/68. überall Frauengruppen. Bei einer Konferenz des SoziaDie Neue Frauenbewegung listischen Deutschen Studenstand insofern in der Tradition tenbundes ( SDS ) im September der bürgerlichen Frauenbewe1968 in Frankfurt kritisierten gungen, als sie der Veränderung einige Studentinnen, dass ihre der Geschlechterverhältnisse im Kommilitonen in ihrer angeblich Rahmen der bestehenden Geso radikalen Kritik der gesellsellschaftsordnung absolute Prischaftlichen Zustände, das orität einräumte. Es entstanden private Ausbeutungsverhältnis, Selbsterfahrungsgruppen, Fraudie Unterdrückung der Frauen, encafes, Frauenliteratur, Frauvollkommen außer Acht ließen. enhäuser und Initiativen gegen Der Konflikt eskalierte, als Stu- Vergewaltigung. Frauen suchten dentinnen die Redner mit Toma- Stärke in ihrer Geschlechtszugeten bewarfen. hörigkeit und schlossen Männer Der sprunghafte Anstieg aus ihren Aktivitäten bewusst der Zahl von Frauengruppen ab aus. Dies zog den Vorwurf der 1968/69 lag auch am veränder- Männerfeindlichkeit nach sich. ten politischen Bewusstsein von Vor allem Alice Schwarzer wurde Frauen, an ihrer veränderten als Emanze und Männerfeindin Einstellung zur Sexualität, an der diffamiert. Ihr Buch »Der kleine antiautoritären Bewegung und Unterschied« schlug hohe Welan den Kampagnen gegen den len. Abtreibungs-Paragrafen 218. In dieser Phase der Be374 zum Teil prominente Frauen wusstwerdung und Artikulation bezichtigten sich in der Illustrier- besinnen sich Frauen auf sich ten Stern: „Ich habe abgetrieselbst und ihre Stärke: Sie 108 109 versuchen zu einer eigenen Weiblichkeit zu finden. Schwesterlichkeit, Zärtlichkeit unter Frauen und Solidarität sind wichtige Werte. Frauen wollen sich untereinander helfen und unterstützen – ohne Männer. In Selbsterfahrungsgruppen reflektieren Frauen ihre persönliche Entwicklung und Situation, ihre Bedürfnisse und Ängste. 1975 - 1980 1975 begannen Frauengruppen und ihre Netzwerke sich nach Richtungen, Themen und Praxisfeldern zu differenzieren. Unterschiedliche feministische Projekte entstanden: Feministische Gesundheitszentren, Frauenhäuser, Initiativen gegen Vergewaltigung ( auch in der Ehe ) sowie gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Frauenverlage, Frauenbuchhandlungen, Frauencafes und feministische Zeitschriften wurden gegründet. Frauenbands, Frauentheater und -filmgruppen, Frauen-Ferienhäuser und Frauenbildungsstätten ent- „ladies only!“ oder: Männer müssen draußen bleiben Forderungen der neuen Frauenbewegung standen. An Hochschulen wurden zeitlich begrenzte Frauenuniversitäten angeboten. Besondere Bedeutung kam den beiden überregionalen Zeitschriften »Emma« und »Courage« zu. Sie trugen den feministischen Diskurs mit seinen unterschiedlichen Schwerpunkten in die Öffentlichkeit. Wesentliche Themen waren autonome weibliche Sexualität und Erotik, lesbische Lebensformen, sexuelle Gewalt, aber auch die Erneuerung des Arbeitsbegriffes. Die Beschränkung dieses Begriffes auf Lohnarbeit ignoriere die überwiegend von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit. Aus dieser Kritik entwickelten Teile der Frauenbewegung die Forderung nach Lohn für Hausarbeit, die von anderen Gruppierungen, vor allem von Gewerkschafterinnen, nie geteilt wurde. Diese befürchteten eine Festschreibung der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und eine noch größere Abhängigkeit vom Ehemann. Eine Mehrheit innerhalb der Frauenbewegungen wies die Festlegung der Frauen auf die Mutterrolle zurück. Die Folge waren Protestaktionen gegen den Muttertag. Stattdessen wuchs seit den 80er Jahren die Bedeutung des Internationalen Frauentags. Die proletarische Frauenbewegung hatte diesen Tag in Deutschland erstmalig 1911 mit Demonstrationen begangen. Wiederbelebt wurde der 8. März zunächst in der DDR und in den 70er Jahren von einzelnen gewerkschaftlich orientierten Frauen in der Bundesrepublik. Die Abteilung Frauenpolitik des DGB rief 1980 zum Internationalen Frauentag auf, um frauenpolitische Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Seither ist er zu einem Aktionstag für alle Frauen und deren Organisationen in Deutschland geworden, gleich welcher politischen Richtung. Allerdings zeigen sich an diesem Tag auch immer wieder unterschiedliche Akzente und die damit verbundenen Konflikte. Gewerkschaftliche Frauengruppen legen Wert darauf, dass am 8. März nicht nur Frauen, sondern auch Männer für frauenpolitische Forderungen eintreten. Vertreterinnen der Autonomen Frauenbewegung wollen den Tag ohne männliche Beteiligung begehen. 110 Nach 1980 Mit der Konsolidierung der Projekte ging eine gewisse Professionalisierung einher. Frauenpositionen werden in die Politik und in die Entscheidungen unterschiedlicher Institutionen und Organisationen integriert. Die Parteien öffneten sich mehrheitlich für Frauenpolitik. Bei den Grünen war der Feminismus beispielsweise ein wichtiger inhaltlicher Stützpfeiler. Sie gingen Bündnisse mit autonomen Frauen ein. Eine harte Quotierung, das »Feminat« eines rein weiblichen Parteivorstands und wegweisende frauenpolitische Beschlüsse zum Beispiel zur beruflichen Gleichheit setzten Maßstäbe für die anderen Parteien. Die SPD beschloss 1988 111 eine Quotierung von mindestens 30 Prozent für jedes Geschlecht und setzte sich für Gleichstellung und Frauenforschung in den Bundesländern und Kommunen ein. Die CDU hielt sich zwar mit der innerparteilichen Gleichstellung der Frauen zurück. 1985 wurde in der Amtszeit von Heiner Geißler als Familienminister zwar das Erziehungsgeldgesetz verabschiedet, sowie ab 1986 Erziehungsgeld und -urlaub eingeführt, doch wurde damit auch die Frauen auf ihre Mutterrolle festgelegt. Seine Nachfolgerin und Parteikollegin Rita Süßmuth erhielt erstmals auch die explizite Zuständigkeit »Frauenpolitik«. 1994 gelang es einem überparteilichen Bündnis »Frauen in bester Verfassung«, in Artikel 3 des Grundgesetzes die Gleichstellung als staatliche Aufgabe zu verankern. 1995 verabschiedete die IV. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking eine Aktionsplattform mit weit reichenden zukunftsorientierten Initiativen. Gender Mainstreaming wurde als Leitprinzip der Gleichstellung beschlossen und in die Amsterdamer Verträge 1997 übernommen wurde. Frauenpolitik der Parteien Auch in Zukunft: starke Frauen für eine starke IG Metall 112 113 Weiterführende Literatur Weiter wurden benutzt: Achten, Udo: Das ist das Licht der neuen Zeit. Erinnerungen an den 22 wöchigen Streik der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter im Jahre 1903 /1904 für den Zehnstundentag. Essen 2004 Badia, Gilbert: Clara Zetkin, Berlin 1994 Tagungsordner auf der Frauenkonfernz 2004 Das wichtigste hier verwendete und mehrfach zitierte Buch ist: Kassel, Brigitte: Frauen in einer Männerwelt. Frauenerwerbsarbeit in der Metallindustrie und ihre Interessenvertretung durch den Deutschen Metallarbeiter-Verband ( 1891 – 1933 ), Köln 1997 Bajohr, Stefan: Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945, Marburg 1979 Deutscher Gewerkschaftsbund: „Da haben wir uns alle schrecklich geirrt ...“ Die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauenarbeit im DGB von 1945 bis 1960. Pfaffenweiler 1993. 114 Archiv Frauenleben im Main-Kinzig Kreis (Hrsg.): Frauen in den Gewerkschaften 1945 – 1997 in Hessen und im Main-Kinzig-Kreis. Hanau 1998. Klucsarits, Richard u. a.: Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht. Autobiographische Texte rechtloser und entrechteter „Frauenpersonen“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts, Wuppertal [1975] Hervé, Florence: Frauenbewegung und revolutionäre Arbeiterbewegung. Texte zur Frauenemanzipation in Lenz, Ilse: Deutschland und in der BRD von Wie verändern sich die neuen 1848 bis 1980, Frauenbewegungen ? In: ZeitFrankfurt am Main 1981 schrift für Frauenforschung Geschlechterstudien. IG Metall: Bielefeld Heft 4/2002. S. 65–82 Frauen in der Metallgewerkschaft 1891 bis 1982. DokumenLosseff-Tillmanns, Gisela: te, Materialien, Meinungen. Frauenemanzipation und GeFrankfurt am Main 1983. werkschaften ( 1800 – 1975 ). IG Metall: Dissertation, Internationaler Frauentag. Tag Bochum 1975 der Frauen seit 75 Jahren. Frankfurt am Main 1985 Losseff-Tillmanns, Gisela: Frau und Gewerkschaft, Borris; Maria: Frankfurt am Main 1982 25 Jahre Frauenarbeit in der IG Metall. Zwischen Sozialpolitik und Lohnkampf. Frankfurt am Main 1977. 115 Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus. Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiserreich, Wuppertal 1981 Pinl, Claudia: Das Arbeitnehmerpatriarchat. Die Frauenpolitik der Gewerkschaften. Köln 1977 Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890 – 1914, Frankfurt am Main 1982 Thoenessen, Werner: Die Frauenemanzipation in Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie 1863-1933, Frankfurt am Main 1969 Bildnachweise* Achten, Udo - Bildarchiv Bachmeier, Werner Deutsches Historisches Museum, Berlin - Bildarchiv digitale Bibliothek (The York Projekt GmbH) Eisler, Christiane (transit Leipzig) Fabrikmuseum Nordwolle, Delmenhorst Friedrich-Ebert-Stiftung - Archiv der sozialen Demokratie Gedenkstätte und Museum Auschwitz-Birkenau Hessisches Staatsarchiv Huber, Bianka (IGM) IG Metall Bibliothek IG Metall, FB Frauen- und Gleichstellungspolitk IG Metall, Pressestelle Kampfer, Angelika - Ewald Hentze Knapp, W (Thema Pressbüro) Planert, Jürgen (IGM) Sammlungen der MGR/SBG. - Propagandaalbum der SS Salzwedel, Horst (IGM) Scherer, Peter Schindlerphoto Scholz, Manfred W.&Tr. (Tritschler) Werth, Inge Vollmer, Manfred 16, 22, 25, 26, 32, 36, 38, 42, 44, 47, 51, 71, 74, 86, 87 Titelbild, 107, 113 or 75, 76, 78o, 78 u 8, 10, 12, 28, 30 81 65 2, 34, 40, 50, 62, 108 68 24 104, 113 ol, 113 ul, 113 ur, 114, 119 57 58, 83, 84, 90 5 80 91 u 112 ur 66 112 o 112 ul 82, 92 93 48, 54 72, 91 o, 95, 97 94, 96, 98, 100 beide * Falls uns bei der Bildrecherche Fehler unterlaufen sein sollten und Ihre Rechte ggf. nicht berücksichtigt wurden, wenden Sie sich zur Klärung etwaiger Ansprüche bitte an: Five-For-You Multimedia-Agentur, Hamburger Alle 96, 60486 Frankfurt 116 Blick zurück auf Vergangenes IG Metall Frauen besuchen das Ruhrlandmuseum Essen Produkt-Nr.: 6346-10390