T R E F F P U N K T FO R SC H U N G GENETIK | | Bienenvölker: Männer ohne Väter, Frauen ohne Kinder Schon im Jahre 1845 stellte der Bienenforscher J. Dzierzon fest, dass weibliche Honigbienen (Apis mellifera) aus befruchteten Eiern, männliche aus unbefruchteten Eiern schlüpfen. Ob sich aus den weiblichen Eiern Arbeiterinnen oder Königinnen entwickeln, hängt von der Ernährung der Larven ab; ob Arbeiterinnen als Stockbienen oder Sammelbienen arbeiten, wird von ihrem Alter und sozialen Bedingungen beeinflusst. Morphologie und Verhalten der Honigbiene werden also in komplexer Weise von Genom und Umwelt gesteuert. A B B . Honigbiene (Apis mellifera). Entscheidend für die Entwicklung eines Weibchens ist das Vorhandensein von zwei verschiedenen Allelen des so genannten csd- (complementary sex determiner) Gens. Man weiß heute, dass etwa 20 Prozent aller Tierarten eine haplodiploide Geschlechtsbestimmung aufweisen. Allein die Hymenoptera (Hautflügler wie Ameisen, Wespen und Bienen) machen 200.000 Arten aus, hinzu kommen Thysanoptera (Fransenflügler: Thripse), einige Milben, Homoptera (Gleichflügler: Zikaden, Pflanzenläuse) und Rädertierchen. Bei allen sind die Weibchen diploid, die Männchen haploid. Geschlechtschromosomen fehlen, die geschlechtsspezifische Entwicklung wird durch ein primäres geschlechtsbestimmendes Signal eingeleitet. Beye et al. sequenzierten jetzt bei der Honigbiene das entscheidende Gen csd (complementary sex determiner), es besteht aus 1453 Nukleotiden mit 12 | Biol. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2004 Nr. 1 | neun Exons und codiert für ein Protein aus 385 Aminosäuren. Ein Ende des Proteins weist auffallend viele Varianten auf, die auf Einzelsubstitutionen, Insertionen und Deletionen im csd-Gen zurückzuführen sind, es gibt daher mindestens ein Dutzend csd-Allele. Ein Weibchen entsteht nur, wenn zwei verschiedene csd-Allele im diploiden Genom vorliegen, Weibchen sind also stets csd-heterozygot. Tritt das gleiche csd-Allel beispielsweise durch Inzucht homozygot auf, dann handelt es sich genetisch zwar um ein Weibchen, es entwickelt sich aber ein steriles Männchen, das von den Arbeiterinnen gefressen wird. Haploide Tiere besitzen zwangsläufig nur ein csd-Allel, sie sind hemizygot und werden zu Männchen. Entscheidend für die Entwicklung eines Weibchens ist also nicht der Befruchtungsvorgang, sondern das Vorhandensein von zwei verschiedenen csd-Allelen. Vermutlich werden die von den heterozygoten Allelen gebildeten Proteine nachträglich zu einem aktiven Signalmolekül zusammengesetzt, das die weibliche Entwicklung einleitet. Von homozygoten Allelen transkribierte Moleküle sind dagegen inaktiv. Die csd-Allele werden sowohl beim Männchen als auch beim Weibchen während der gesamten zellulären Larvalentwicklung gleichermaßen abgelesen, differentielle Genexpression spielt bei diesem primären Signal demnach keine Rolle. Das Signalmolekül reguliert vielmehr kaskadenartig die differentielle Expression wei- terer Gene bis zum Abschluss der Larvalentwicklung. Das Verhalten erwachsener Arbeiterinnen hängt von ihrer Aufgabe im Stock ab. Junge Arbeiterinnen pflegen die Waben und füttern die Larven, ältere Arbeiterinnen betätigen sich außerhalb des Stockes als Sammlerinnen. Der Übergang von der Stockbiene zur Sammelbiene ist zwar altersabhängig, kann aber sozial reguliert werden. Alte Arbeiterinnen geben zum Beispiel Pheromone ab, die verhindern, dass zu früh neue Sammler nachkommen. Whitfield et al. konnten zeigen, dass das Verhalten durch differentielle Genaktivität im Gehirn gesteuert wird. Bei 57 von 60 Bienen ließ sich das Verhalten anhand der RNA-Profile korrekt ablesen, denn Stockbienen und Sammelbienen weisen im Gehirn ein vollkommen unterschiedliches Muster aktiver Gene auf. Der Verhaltenswechsel bei Arbeiterinnen spiegelt sich in der unterschiedlichen Aktivität von circa 40 Prozent der 5500 untersuchten Gene im Bienengehirn wieder. Das erwachsene Gehirn ist also extrem flexibel. Um zu beweisen, dass diese differentielle Genexpression vom Verhalten und nicht vom Alter der Bienen abhängt, erzeugten die Autoren für einen Kontrollversuch Bienenvölker ohne Alttiere. Stockbienen werden unter diesen Bedingungen etwa 14 Tage früher zu Sammlerinnen. Ihre Hirn-Genaktivität zeigt jetzt nicht das altersgemäße Profil, sondern das typische einer Sammelbiene. Weitere Experimente sollen zeigen, wie der Wechsel in der Genexpression koordiniert und reguliert wird. Bei den Honigbienen sind Expressionsmuster und Verhalten überraschend eng gekoppelt. Es kann bisher aber nicht ein bestimmtes Gen für ein bestimmtes Verhalten verantwortlich gemacht werden. [1] M. Beye, M. Hasselmann, M.K. Fondrk, R.E. Page, S.W. Omholt, Cell 2003, 114, 419-429. [2] C.W. Whitfield, A.-M. Cziko, G.E. Robinson, Science 2003, 302, 296-299. Inge Kronberg, Hohenwestedt