Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.1 MODERNE POSITIONEN ZUR STAATSVERSCHULDUNG Überblick Positionen zur Staatsverschuldung Merkmale zeitliche Keynesianisch neoklassisch Ricardianisch kurzfristig langfristig langfristig makroökonomische (intertemporale) (intertemporale) Stabilität Allokation Allokation OLG RA „Crowding out“ „Staatsschuld- Orientierung Zieldimension paradigmatisches IS-LM Modell Stichwort „Deficit spending“ neutralität“ Vertreter Lerner, u.a. Diamond, Buiter, Robert J.Barro u.a. Bewertung positiv negativ (evtl. positiv) neutral Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.2 KEYNESIANISCHE POSITION Grundkonzept der antizyklischen Fiskalpolitik BIP zyklische Entwicklung ohne Stabilisierung tatsächliche Entwicklung Wachstums trend Zeit Haushaltsdefizit + 0 Zeit - ► Übernormale Auslastung (Boom): kontraktive Budgetpolitik, d.h. Budgetüberschuss ges.wi. Nachfrage ► Unternormale Auslastung (Krise): expansive Budgetpolitik, d.h. Budgetdefizit ges.wi. Nachfrage Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.3 KEYNESIANISCHE POSITION „Deficit Spending“: Multiplikator-Modell ► einfaches Keynesianisches Multiplikator-Modell: geschlossene Volkswirtschaft mit völlig preiselastischem Güterangebot und völlig zinselastischem Geldangebot private Konsumnachfrage C, private Investitionsnachfrage I staatliche Nachfrage nach Waren und Diensten G Steuern T, Transferzahlungen des Staates Tr (1) Volkseinkommen (effektive Nachfrage) (2) privat verfügbares Einkommen (3) Konsumfunktion (abs. Einkommenshyp.) (4) Investitionsnachfrage utonom (5) Fiskalpolitik ► Veränderungen des Volkseinkommens bei einer Veränderung der autonomen fiskalischen Größen: , , , mit als Ausgabenmultiplikator mit als Steuermultiplikator mit als Transfermultiplikator ► Der Multiplikator gibt jeweils an, wie stark das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen auf eine Änderung der jeweiligen fiskalischen Größe reagiert Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.4 KEYNESIANISCHE POSITION „Deficit Spending“: steuerfinanzierte Staatsausgabenerhöhung ► Trygve Haavelmo (1911-1999), Nobelpreis 1989 ► vollständig steuerfinanzierte Veränderung der Staatsausgaben: ► Beides wirkt multiplikativ auf das Realeinkommen: ► Der Multiplikator einer steuerfinanzierten Veränderung der Staatsausgaben ist gleich eins (Haavelmo-Theorem): ► Eine steuerfinanzierte Erhöhung der Staatsausgaben ist nicht neutral in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sondern erhöht die aggregierte Güternachfrage für jede zusätzlich ausgegebene Einheit um eben diese Einheit ► Begründung für das Haavelmo-Theorem: Die Gesamtnachfrage steigt deswegen, weil der Staat im Gegensatz zu den Privaten nicht spart Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.5 KEYNESIANISCHE POSITION „Deficit Spending“: kreditfinanzierte Staatsausgabenerhöhung ► vollständig kreditfinanzierte Veränderung der Staatsausgaben: ► Nur der Staatsausgabenmultiplikator wirkt auf das Realeinkommen: ► Multiplikator einer kreditfinanzierten Veränderung der Staatsausgaben: ► Da die marginale Konsumquote c deutlich größer als null ist, ist der expansive Effekt einer kreditfinanzierten Erhöhung der Staatsausgaben auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage deutlich stärker als der einer steuerfinanzierten Staatsausgabenerhöhung Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.6 KEYNESIANISCHE POSITION Diskretionäre „Fiscal Policy“: Grundlagen ► Diskretionäre Fiscal Policy := (def.) stabilitätspolitisch motivierte Eingriffe, die von den finanzpolitischen Akteuren ausschließlich nach eigenem Ermessen und meist ad hoc vorgenommen werden (Fritz Neumark, 1971) ► Bei einer diskretionären „Fisc l Policy“ h ben die politischen Akteure ein hohes Maß an Handlungsfreiheit in (mindestens) 5 Entscheidungsdimensionen: „ob“ (Beurteilung der konjunkturellen Situ tion) „wie“ (qu lit tive Ausw hl der Instrumente) „wieviel“ (Dosierung der Maßnahmen) „w nn“ (Timing der M ßn hmen) „wie l nge“ (D uer der Gültigkeit der M ßn hmen) ► Vorteil: Möglichkeit, auf jede konjunkturelle Störung finanzpolitisch individuell reagieren zu können ► (gravierender) Nachteil: „Timelags“ (s.n.S.) das erhebliche Ausmaß dieser Zeitverzögerungen kann dazu führen, dass eine eigentlich antizyklisch motivierte Politik schließlich prozyklisch wirkt und die Vw destabilisiert Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.7 KEYNESIANISCHE POSITION Diskretionäre „Fiscal Policy“: Lag-Problematik ► Das „Insidelag“ beschreibt die Verzögerungen, für welche die Träger der Fiskalpolitik die Verantwortung tragen ► D s „Outsidelag“ hingegen wird durch die Re ktionsgeschwindigkeit der privatwirtschaftlichen Akteure auf veränderte fiskalpolitische Daten bestimmt Rezession tritt ein Erkenntnislag (recognition lag) Rezession wird wahrgenommen Insidelag Entscheidungslag (decision lag) Entscheidung über Instrumenteneinsatz fällt Handlungslag (action lag) Entscheidung ist administrativ umgesetzt Outsidelag Wirksamkeitslag (policy effect lag) Entscheidung wirkt konjunkturbelebend Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.8 KEYNESIANISCHE POSITION Built-in-Flexibility: Grundlagen ► built-in-flexibility; auch: automatische Stabilisatoren ► Prinzip der Built-in-Flexibility (BiF): aufgrund bestehender Gesetze, die als Datum genommen werden, bewegen sich bestimmte Budgetpositionen automatisch in Abhängigkeit von Konjunkturschwankungen ► beidseitige Flexibilität: Einnahmen und Ausgaben eines öffentlichen Haushalts bewegen sich automatisch antizyklisch (z.B. gesetzliche Arbeitslosenversicherung) ► einseitige Flexibilität: nur die Einnahmen- oder nur die Ausgabenseite eines öffentlichen Haushalts bewegt sich automatisch antizyklisch (z.B. progressive Einkommensteuer im Bundeshaushalt) ► Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der (beidseitigen) BiF: eigenständiger Haushalt, in dem Einnahmen aus Beiträgen und Ausgaben in Form von Unterstützungszahlungen in einem direkten Zusammenhang stehen in der Hochkonjunktur entstehende Mehreinnahmen werden tatsächlich stillgelegt, um in der Rezession zur Verausgabung zu gelangen Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.9 KEYNESIANISCHE POSITION Built-in-Flexibility: Kritik (am Bsp.: ESt) ► zu geringe Manövriermasse BiF umfasst nur Teile des Budgets ► Synchronisierungsmängel zwischen Volkseinkommen und Steueraufkommen zeitliche Differenz zwischen Einkommensentstehung und Steuerzahlung kann sehr groß sein, insbes. bei veranlagten oder gewinnabhängigen Steuern Gefahr prozyklischer Wirkungen ► mangelnde Phaseneffizienz der BiF (s. auch S. 10) Steueraufkommen sinkt bereits wieder, obwohl das Volkseinkommen noch oberhalb des langfristigen Gleichgewichtseinkommens liegt ► „Fiscal Drag“ (s. auch S. 11) in einer wachsenden Volkswirtschaft steigt das Steueraufkommen bei gleichbleibender Tarifgestaltung permanent, was zu andauernden Einnahmeüberschüsse der öffentlichen Haushalte führt und – kreislauftheoretisch, nicht anreiztheoretisch (!) – zugleich die volkswirtschaftliche Aktivitätsentfaltung der Privaten verringert und dadurch zu Wachstumseinbußen führt Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.10 KEYNESIANISCHE POSITION Built-in-Flexibility: mangelnde Phaseneffizienz Index des Volkseinkommens und des Steueraufkommens Steueraufkommen Volkseinkommen Gleichgewichtseinkommen bei Vollbeschäftigung Volkseinkommen Steueraufkommen t Die Bewegung des Volkseinkommens (VE) vom Gleichgewicht fort wird durch überproportionale Steigerung des Steueraufkommens (SA) und Geldstillegung gebremst Die Bewegung des VE zum Gleichgewicht ist erwünscht, wird aber durch die Abnahme des SA verlangsamt Die Bewegung des VE vom Gleichgewicht fort wird durch eine überproportionale Abnahme des SA gebremst Die Bewegung des VE zum Gleichgewicht ist erwünscht, wird aber durch eine Zunahme des SA verlangsamt Bewertung: positiv Bewertung: negativ Bewertung: positiv Bewertung: negativ Boom Durch Einnahmen, die das SA im Gleichgewicht übersteigen, wird zusätzlich Kaufkraft abgeschöpft Bewertung: positiv Krise Durch Einnahmen, die geringer sind als das SA im Gleichgewicht, verbleibt Kaufkraft bei den Privaten Bewertung: positiv Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.11 KEYNESIANISCHE POSITION Built-in-Flexibility: „Fiscal Drag“ Index des Volkseinkommens und des Steueraufkommens IV. Phase I. Phase II. Phase III. Phase IV. Phase I. Phase Steueraufkommen Volkseinkommen Pfad des möglichen gleichgewichtigen Wachstums Steueraufkommen t Das SA steigt stärker als das VE. Der Aufschwung wird verzögert nicht eindeutig Das SA steigt unvermindert. Die Hochkonjunktur wird gebremst positiv Durch die Steigerung des SA erreicht das VE die Wendemarke. Die Hochkonjunktur wird endgültig gestoppt positiv mit Einschränkung Das VE nimmt weiter geringfügig zu. Das mögliche Wachstum wird nicht erreicht, das das SA immer noch wächst. Der fiscal drag führt zu Wachstumsverlusten negativ Der zunehmende Anstieg des VE wird durch das stärker steigende SA gebremst negativ Das VE und das SA wachsen mit abnehmenden Raten. Auch auf dem Höhepunkt der konjunkturellen Entwicklung wird das mögliche Gleichgewicht nicht mehr erreicht negativ Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten Finanzpolitik C.2.12 KEYNESIANISCHE POSITION Built-in-Flexibility: Fazit ► Die BiF besitzt den großen Vorzug, dass aufgrund der automatischen Wirkungsweise weder Diagnose- noch Prognoseprobleme entstehen und Einzelentscheidungen entbehrlich werden ► Der ges mte „Insidel g“ entfällt d durch ► Dieser Vorzug wird allerdings durch instrumentellen Schwächen der BiF beeinträchtigt ► Dennoch gilt heute als stabilitätspolitischer Minimalkonsens: Die Finanzpolitik sollte automatische Stabilisatoren wirken lassen