Wesemann, W., (2004) Funktionsprinzipien und Messgenauigkeit

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AKTUELL
Beim Eintritt in die Sonnenscheibe verformt sich
das Bild der Venus infolge der Lichtbeugung
kurzzeitig zu einem „Tropfen“. Dies verringerte
die Genauigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse. Oben: Zeichnungen von James Cook
von 1769; unten: Foto des Venustransits vom
8. Juni 2004.
Fast alle Medien haben ausführlich
über das Ereignis berichtet. Doch es
wurde nicht erwähnt, worin die eigentliche Bedeutung dieses seltenen
Himmelsspektakels lag. Die exakten
Beobachtungen und Aufzeichnungen
des Venustransits ermöglichten nämlich 1791, also vor über 200 Jahren,
zum ersten Mal die Bestimmung des
Abstandes der Erde von der Sonne.
Von diesem Meilenstein in der Geschichte der Astronomie möchte ich
hier kurz berichten.
der Venus von der Sonne um 28% kleiner ist
als der Abstand der Erde von der Sonne.
Man hatte aber nur sehr vage Vorstellungen über die tatsächlichen Abstände im
Weltenraum. Ptolemäus schätze die Entfernung von der Erde zur Sonne auf 600 Erddurchmesser, das sind 7 Millionen Kilometer. Kepler meinte, dass die Erde 22 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist.
Der nicht genau bekannte Abstand der Erde
von der Sonne wurde deshalb zur „Astronomischen Einheit AE“ ernannt, mit dessen Hilfe man die Ausdehnung unseres Sonnensystems wenigstens in relativen Einheiten angeben konnte.
Die nächsten Venusdurchgänge sollten
sich erst in den Jahren 1761 und 1769 ereignen. Diesmal planten Astronomen in ganz
Europa, die Erscheinung zu beobachten,
denn 1716 hatte Edmond Halley4 eine Methode veröffentlicht5, mit der man den Abstand der Erde von der Sonne aus der Position der Venus vor der Sonne berechnen
konnte. Er schlug vor, von möglichst weit
auseinander liegenden Orten auf der Erde
genaue Messungen des Venustransits
durchzuführen. Die Früchte dieser genialen
Idee konnte Halley nicht mehr ernten, denn
er starb hochbetagt 19 Jahre bevor sich der
nächste Transit ereignete.
Der Venustransit und seine
astronomische Bedeutung
1627 veröffentlichte Kepler die „Rudolphinischen Tafeln“3, die für die folgenden Jahrhunderte die Grundlage zur Berechnung
der Planetenstellungen bildeten. Neun Jahre nach Keplers Tod las der englische Pfarrer
Jeremy Horrocks, der damals erst 20 Jahre
alt war, in diesen Tafeln und erkannte, dass
die Venus bereits wenige Wochen später,
am 4. Dezember 1639, vor der Sonne vorbeiziehen würde. Er beobachtete den Transit
mit einem Fernrohr vom Fenster seines
Wohnhauses und verfasste anschließend
ein Buch über seine Beobachtungen.
■ Die Geometrie
des Transits
Die Venus überholt die Erde auf der
Innenbahn. Sie scheint über die Sonnenscheibe zu wandern, wenn sie sich beim
Überholvorgang exakt auf der Sichtlinie
zwischen Erde und Sonne befindet.
Die Venus- und die Erdbahn sind aber
gegeneinander um 3,4° geneigt. Deshalb ist
der Venustransit nur dann beobachtbar,
wenn sich beide Planeten, Venus und Erde,
beim Überholvorgang sehr nahe bei der
■ Keplers Vermächtnis
Johannes Kepler hatte, aufbauend auf
den Himmelbeobachtungen von Tycho Brahe, revolutionäre neue Vorstellungen von
der Himmelsmechanik entwickelt. In seinen
drei Keplerschen Gesetzen stellte er ein heliozentrisches Planetensystem vor, das die
1400 Jahre alte Lehre von Ptolemäus, nach
der die Erde das Zentrum des Weltalls war,
ablöste.
Das dritte Keplersche Gesetz1 erlaubte eine exakte Berechnung der relativen Entfernungen im Sonnensystem. Aus den Umlaufzeiten von Erde und Venus2 konnte man z.B.
schon damals ausrechnen, dass der Abstand
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Abb. 1: Die Venus überholt die Erde auf der Innenbahn. Da beide Bahnebenen um 3,4° gegeneinander geneigt sind, läuft die Venus aber nur dann vor der Sonne vorbei, wenn Erde, Venus und Sonne
im Moment des Überholens genau auf der Knotenlinie liegen
DOZ 7-2004
AKTUELL
Emond Halley und James Cook
Knotenlinie, also der Schnittlinie beider
Bahnebenen, befinden. Anderenfalls zieht
die Venus unterhalb oder oberhalb der
Sonne vorbei.
Die Erde kreuzt die Knotenlinie Anfang Juni und Anfang Dezember. Zu diesem Zeitpunkt ist die Venus aber fast immer an einer
anderen Stelle. Das exakte Zusammentreffen an der Knotenlinie tritt in einem unregelmäßigen Rhythmus ein, nämlich alle 121,5
Jahre, danach 8 Jahre später, dann in 105,5
Jahren und danach wieder 8 Jahre später.
Beobachter an verschiedenen Orten der
Erde sehen die Venus während des Transits
auf unterschiedlichen Bahnen vor der Sonne vorüberziehen. Gemessen werden der
exakte Eintritts- und Austrittszeitpunkt und
die scheinbare Winkelversetzung dieser
Bahnen, die Parallaxe. Außerdem muss
der genaue räumliche Abstand zwischen
den verschiedenen Beobachtungsstationen
bekannt sein. Aus den Daten lässt sich zunächst die Distanz zwischen Erde und Venus
berechnen. Über die bekannten Umlaufzeiten und das 3. Keplersche Gesetz erhält
man schließlich den Abstand der Erde von
der Sonne in Kilometern6.
■ Die Expeditionen
1761 und 1769 wurde der Venustransit an
mehr als 80 Orten von Expeditionen aus
England, Deutschland, Österreich, Spanien
und Russland detailliert beobachtet.
Einen der bekanntesten Forschungsreisenden der damaligen Zeit kennen wir noch
heute. Es war der englische Kapitän James
Cook. Er segelte 1768 auf seiner ersten großen Reise im Auftrag des englischen Königs
DOZ 7-2004
in die Südsee, um von dort aus den Venustransit zu beobachten. Auf Tahiti errichtete
er den Beobachtungsstützpunkt „Fort
Venus“ und kam nach 2,5 Jahren tatsächlich
mit genauen Beobachtungsdaten zurück.
Danach ergab sich 1874 und 1882 erneut
die Gelegenheit zur Beobachtung dieses seltenen Schauspiels. Viele Länder sandten
auch diesmal Expeditionen aus. Das deutsche Reich schickte 1874 vier Expeditionen
nach China, Südafrika, Neuseeland und
Mauritius. Die Chinaexpedition führte 107
Kisten mit 14 Tonnen Gewicht mit sich. 1882
starteten 5 deutsche Expeditionen, von denen eine ihr Lager in der südlichsten Stadt
der Erde, Punta Arenas, aufschlug und eine
andere auf der unwirtlichen Antarktisinsel
Süd-Georgien. Die Ergebnisse der SüdGeorgien Expedition waren aufgrund vieler
Schreib- und Ablesefehler aber letztlich
vollkommen unbrauchbar7.
■ Die Astronomische
Einheit
Nach den Expeditionen von 1761 und
1769 lagen 150 Beobachtungen vor. Als Entfernung der Erde von der Sonne erhielt man
daraus 153 Millionen Kilometer – ein Wert,
der nur wenig größer war als der tatsächli1
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7
che Wert von 149,598 Millionen Kilometer.
Der Messfehler entstand zum einen aus der
Luftunruhe. Die Luftunruhe machte sich
besonders bei den kurz belichteten Photographien der deutschen Expeditionen von
1874 bemerkbar, sodass alle photographischen Aufnahmen für die wissenschaftliche
Auswertung nutzlos waren.
Ein anderes Problem bestand in der Beurteilung des exakten Ein- und Austrittszeitpunkts der Venus in die Sonnenscheibe. Am
Rand der Sonnenscheibe verformt sich das
Bild der runden Venus nämlich zu einer
tropfenförmigen Gestalt, so dass der Zeitpunkt des Eintritts nicht exakt abgelesen
werden konnte. Durch den „schwarzen
Tropfen“ unterschieden sich zum Beispiel
die von Captain Cook und seinem Schiffsastronomen an zwei Teleskopen ermittelten
Eintrittszeiten um 42 Sekunden. Ursache ist
die optische Überlagerung von unscharfem
Sonnen- und Venusrand. Deshalb konnte
die von Halley vorhergesagte Messgenauigkeit von 0,2% in der Praxis nie erreicht
werden.
Die Expeditionen im 18. und 19. Jahrhundert waren mühselig und gefährlich.
Heute hat es die Wissenschaft leichter, denn
inzwischen lässt sich der Abstand der Venus
von der Erde mit Radarechos sehr genau
messen.
Der Venustransit gibt uns auch eine
gewisse anschauliche Vorstellung von den
Größenverhältnissen im Sonnensystem. Im
Moment des Transits befindet sich die Venus
relativ nahe bei der Erde. Sie erscheint uns
deshalb perspektivisch größer. Dennoch ist
ihr schwarzer Umriss 30 mal kleiner als der
Durchmesser der Sonnenscheibe. Stände
die Venus im gleichen Abstand wie die
Sonne, erschiene sie sogar 100 mal kleiner
als der Durchmesser der Sonne.
Wer den Venustransit nicht miterleben
konnte, hat am 6./7. Juni 2012 noch eine
zweite Chance. Danach kann man dieses
Ereignis erst wieder im Jahr 2117 sehen.
PD Dr. Wolfgang Wesemann
Höhere Fachschule für Augenoptik Köln
E-Mail: [email protected]
Die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten verhalten sich wie die 3. Potenzen ihrer mittleren Abstände von der Sonne.
Erde, 365 - 256 Tage; Venus 224 - 701 Tage
Benannt zu Ehren seines damaligen „Arbeitgebers“ des römisch-deutschen Kaisers und Königs von Böhmen Rudolph II.
Edmond Halley (1656 – 1742), der Entdecker des „Halley´schen“ Kometen
E. Halley, A new method of determining the parallax of the sun. Philosophical Transactions of the Royal Society, 29, 1716.
Aus dem Lateinischen ins Englische übersetzt unter http://sunearth.gsfc.nasa.gov/eclipse/transit/HalleyParallax.html
siehe Berechnungsformeln in M.J. Neumann, Venus vor der Sonne. In: Sterne und Weltenraum, Heidelberg, Heft 6, 2004,
Seite 25 oder auch: http://spiff.rit.edu/classes/phys235/venus_t/venus_t.html
siehe H.W. Duerbeck, Venusdurchgänge zu Kaisers Zeiten. In: Sterne und Weltenraum, Heidelberg, Heft 6, 2004, Seite 34 – 42.
Hintergrundbild: Die Schiffe von James Cook vor Tahiti.
(Bild des Malers William Hodges)
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