UNIVERSITÄT HOHENHEIM INSTITUT FÜR UMWELT UND TIERHYGIENE SOWIE TIERMEDIZIN MIT TIERKLINIK FACHRICHTUNG UMWELT UND TIERHYGIENE Prof. Dr. Ludwig E. Hölzle Universität Hohenheim (460b), D – 70593 Stuttgart Herrn Dr. Bertram Kehres Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V. Von-der-Wettern-Straße 25 D-51149 Köln 16. Juli 2012 Informationen und Einschätzung zur Thematik Legionellen in biologischen Stoffen wie Kompost, Gärrückstände, Wirtschaftsdünger und Kultursubstrate Sehr geehrter Herr Dr. Kehres, zur Frage eines eventuellen Auftretens von Legionellen in Kompost und anderen biologischen Substraten, sowie deren mögliche Verbreitung mit dem Risiko der Ansteckung des Menschen bei der Produktion und dem Umgang mit solchen Stoffen möchten wir wie folgt Stellung nehmen. 1 Steckbrief der Legionellen Legionellen sind nicht sporenbildende, aerobe, gramnegative Stäbchenbakterien, meist beweglich kokkoid bis pleomorph, katalasepositiv, ureasenegativ und sehr anspruchsvoll auf Wachstumsmedien. Die Legionellen wachsen unter aeroben Bedingungen und sind biochemisch wenig aktiv. Ihre Kultivierung erfordert Spezialnährmedien und sie benötigen L-Cystein und Eisensalze. Die Erreger stellen sog. „Umweltkeime“ dar und sind daher in feuchten Böden, Schlamm, Kompost, Pflanzenerde sowie theoretisch in Grund-, Oberflächenwasser sowie in Fließgewässern, mit Vorliebe in süßwasserhaltigem Milieu zu finden. 2 Epidemiologie der Legionellen Im Jahre 1976 brach während eines Treffens einer US-amerikanischen Veteranenorganisation in Philadelphia in einem Hotel eine fieberhafte Atemwegserkrankung auf, die als „Legionärskrankheit“ bezeichnet wurde und mehrere Todesopfer forderte. Jahre danach wurde aus Lungengewebe Verstorbener eine bis dahin unbekannte Bakterienart, die sog. Legionella pneumophila identifiziert. 3 Taxonomie und Virulenz der Legionellen Es sind bisher 50 Legionellen-Arten mit über 70 Serogruppen bekannt. Die medizinisch wichtigste Art ist Legionella pneumophila. Die Mehrzahl der anderen Arten gilt als potenziell humanpathogen. Für die Virulenz der Legionellen ist der fakultativ intrazelluläre Parasitismus in Makrophagen entscheidend. Legionella pneumophila transloziert mehrere Effektorproteine über ein spezielles SekretiGarbenstraße 30 Frachtstation : D - 70599 S T U T T G A R T Deutsche Bahn AG Telefon : 0711 / 459 – 22427 Siegelstraße Telefax : 0711 / 459 – 22431 D - 70806 K O R N W E S T H E I M e-mail : [email protected] Bankverbindung : BW Bank Konto Nr. 2 560 108 BLZ 600 501 01 ) USt - ID - Nr. (VAT): DE 147 794 207 2 onssystem in das Zytosol der befallenen Zelle. Sie blockieren die Verschmelzung des erregerhaltigen Endosoms mit Lysosomen, was die Abtötung und den Abbau der aufgenommenen Erreger verhindert. 4 Übertragung und Infektion durch Legionella pneumophila Die Übertragung der Erreger hängt von der Konzentration im Milieu und dabei insbesondere von der Temperatur ab. In Süßwasser und in feuchtem Erdboden können sich Legionellen auch intrazellulär in Protozoen vermehren. Eine Infektionsgefahr besteht daher insbesondere, wenn Warmwasser bei Haltetemperaturen zwischen 25° C und 45 °C gehalten wird. Bei diesen optimalen Vermehrungsbedingungen sind gute Voraussetzungen für hohe Erregerzahlen geschaffen. Da sich der Mensch in der Regel aerogen über die Aufnahme von erregerhaltigen Tröpfchenaerosolen oder durch Aspiration keimhaltigen Wassers infiziert, stellen besonders kleinste legionellenhaltige Wassertröpfchen eine Infektionsgefahr dar. Epidemiologisch wichtige Reservoire und Ansteckungsquellen sind kontaminierte Klima- und Wasserversorgungsanlagen bei mangelndem Wasserfluss (Stagnation) und Wassertemperaturen im mesophilen Temperaturbereich. Bei Temperaturwerten über 60 °C sterben Legionella pneumophila innerhalb weniger Minuten ab. Eine Infektion mit Legionellen zeigt sich in zwei unterschiedlichen Krankheitsbildern: Die „Legionärskrankheit“ beginnt in der Regel 2 bis 10 Tage nach Aufnahme der Erreger mit grippeartigen Symptomen wie z. B. Glieder- und Kopfschmerzen und Reizhusten. Dann folgt eine Lungenentzündung mit Schmerzen im Brustraum, Schüttelfrost, hohem Fieber. Bei schweren Krankheitsverläufen treten als Symptome Benommenheit und Verwirrtheit hinzu. Unbehandelt kann die Legionärskrankheit tödlich verlaufen. Pontiac-Fieber: Beim sehr viel häufiger vorkommenden „Pontiac-Fieber“ handelt es sich um eine grippeähnliche Erkrankung mit Kopf-, Gliederschmerzen, Husten und Fieber, die nach Aufnahme der Legionellen innerhalb von 2 Tagen beginnt und binnen weniger Tage auch unbehandelt wieder abklingt. 5 ten Einschätzung des Risikos von Legionellen in Kompost, Gärrückständen und anderen Substra- Bis heute sind uns in Deutschland keine Meldungen bekannt, die von Infektionen mit Legionella pneumophila bei Beschäftigten in Kompostierungsanlagen und in Gartenbaubetrieben oder bei Verbrauchern berichten. Im Gegensatz dazu haben schottische Gesundheitsbehörden vor LegionellenInfektionen bei Hobbygärtnern gewarnt, die zuletzt in England und Schottland aufgetreten seien. Auch sind angeblich in den vergangenen Jahren aus Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Schweden vereinzelt Fälle gemeldet worden. Bei den gemeldeten Fällen handelt es sich um Infektionen mit Legionella longbeachae, einer Gattung, die bei empfindlichen Menschen Infektionen verursachen kann. Zu den Risikofaktoren einer Infektion zählen Diabetes, bestimmte Krebsarten, das Alter, Immunsuppression, Emphysem und Rauchen. Eine Infektion ist selten, kann aber in jedem Alter auftreten. Die genannte Gattung bzw. Spezies kommt in der natürlichen Umwelt vor und kann auch in Bioabfällen und anderen biologischen Stoffen auftreten. Im Gegensatz zu anderen Legionellen ist Legionella longbeachae bisher nicht in Wasser nachgewiesen worden. Über eine Verbreitung ist bisher auch nichts bekannt. Vergleichbar mit Legionella pneumophila können Legionella longbeachae eingeatmet werden. Bei unhygienischem Verhalten kann es zur oralen Infektion kommen. Die Erreger können jedoch problemlos durch Waschen der Hände von diesen entfernt werden. Garbenstraße 30 Frachtstation : D - 70599 S T U T T G A R T Deutsche Bahn AG Telefon : 0711 / 459 – 22427 Siegelstraße Telefax : 0711 / 459 – 22431 D - 70806 K O R N W E S T H E I M e-mail : [email protected] Bankverbindung : BW Bank Konto Nr. 2 560 108 BLZ 600 501 01 ) USt - ID - Nr. (VAT): DE 147 794 207 3 Wie bereits erwähnt, sind Legionellen Umweltkeime und können daher in vielen unbehandelten Substraten (Bioabfall, Klärschlamm, Dung, Gartenerde, Eigenkompostierung etc.) vorkommen. So können etwa nicht gedämpfte Blumenerden als ein Reservoir für Legionellen fungieren. Allerdings sind in Deutschland dazu bisher keine Fälle bekannt. Werden mit den für die Kompostierung vorgesehenen Ausgangssubstraten (Bioabfälle) die möglicherweise gramnegative, nicht sporenbildende aerob wachsende Legionellen-Arten enthalten dem Kompostierungsprozess unterzogen, sind sie Temperatureinflüssen ausgesetzt, die bei der Mehrzahl der überprüften Kompostierungsverfahren bei > 60 °C über mehrere Tage bis wenige Wochen liegen. Dies wird aus den Unterlagen zu den konformitätsgeprüften Kompostierungsanlagen im Rahmen des Hygiene-Baumusterprüfsystem der Bundesgütegemeinschaft Kompost deutlich. Bei den thermischen Voraussetzungen, die in den geprüften Kompostierungsverfahren gemessen werden, ist davon auszugehen, dass unabhängig von der Substratzusammensetzungen, der Inhomogenität und den möglicherweise vorhandenen protektiven Schutzmechanismen im Substrat (Fett- und Eiweißsubstanzen) Legionellen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit inaktiviert, das heißt abgetötet werden und damit beim späteren „handling“ des Kompostes eine Infektion von Beschäftigten oder Verbrauchern mit Legionellen ausgeschlossen ist. Auch in Gärrückständen aus Biogasanlagen, bei denen der Bioabfallbehandler die hygienisierende Behandlung der Bioabfälle nach den in Anhang 2 der Bioabfallverordnung (BioAbfV) festgelegten Vorgaben durchzuführen hat, um die seuchen- und phytohygienische Unbedenklichkeit der Bioabfälle nach der Behandlung und bei der Abgabe oder der Aufbringung auf Flächen sicherzustellen, ist bei einer Pasteurisierung der Bioabfälle von einer Inaktivierung der Legionellen auszugehen. Ob eine Inaktivierung auch bei einer gemäß BioAbfV thermophilen Prozessführung (50 bis 53 °C bei 20 bis 22 Stunden Mindestaufenthaltszeit) zu erreichen ist, ist unklar und kann nur durch Ergebnisse von gezielten verfahrenstechnischen Untersuchungen, zunächst in Labor- bzw. halbtechnischen Biogasanlagen, beantwortet werden. Bei mesophil betriebenen Biogasanlagen ist eine Inaktivierung unwahrscheinlich. Ein Auftreten von Legionellen ist in den in solchen Anlagen üblicherweise eingesetzten Substraten (Gülle, Energiepflanzen, Speiseabfälle) allerdings unwahrscheinlich. Eine Vermehrung von Legionellen ist bei anaeroben Behandlungsverfahren nach fachlicher Einschätzung - auch im Vergleich mit anderen aeroben gramnegativen Bakterien - auszuschließen. Darüber hinaus ist mit einer „Ausdünnung“ im Fermenter zu rechnen, wenn über die Substratzufuhr Legionellen in den Fermenter gelangt sein sollten. 6 Vorbeugemaßnahmen zum Schutz der Infektion mit Legionellen Wie allgemein bekannt, sind Arbeitsplätze im Bereich der biologischen Abfallbehandlung durch den unmittelbaren Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen gekennzeichnet. Arbeitsbedingte Infektionskrankheiten von Beschäftigten sowie toxische und allergische Wirkungen, die durch den Kontakt mit Mikroorganismen und deren Stoffwechselprodukte auftreten können, sind grundsätzlich möglich. So ist etwa bekannt, dass Bioaerosole unter bestimmten klimatischen Einwirkungen (Wind) auf offenen Kompostierungsanlagen zu Irritationen der Augen- und Nasenschleimhäute geführt haben. Eine kausale und eindeutige Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Bioabfällen oder anderen biologischen Stoffen ist im Hinblick auf eine mögliche Infektion mit Legionellen ebenso wenig zu erwarten, Garbenstraße 30 Frachtstation : D - 70599 S T U T T G A R T Deutsche Bahn AG Telefon : 0711 / 459 – 22427 Siegelstraße Telefax : 0711 / 459 – 22431 D - 70806 K O R N W E S T H E I M e-mail : [email protected] Bankverbindung : BW Bank Konto Nr. 2 560 108 BLZ 600 501 01 ) USt - ID - Nr. (VAT): DE 147 794 207 4 wie der Nachweis eines solchen Zusammenhanges bei anderen Erregern, die über Bioaerosole verbreitet werden können. Es überlagern sich dabei zu viele verschiedene Einflussfaktoren. Es fehlen beispielsweise Angaben über das qualitative und quantitative Vorkommen von Legionellen in den verschiedensten Ausgangssubstraten sowie Kenntnisse über die Wirkmechanismen und die Einflüsse der individuellen Disposition. Unter Berücksichtigung der persönlichen Schutzmaßnahmen von Beschäftigten im Abfallbereich entsprechend den Vorgaben der Biostoffverordnung (BioStoffV) ist davon auszugehen, dass der persönliche Schutz der Beschäftigten vor Krankheitserregern generell auch einen Schutz vor einer Infektion mit Legionellen gewährt, sofern diese Erreger in Substraten wie Bioabfällen u.a. vorhanden sein sollten. Bei Komposten und Gärrückständen, die einer Qualitätssicherung eines anerkannten Trägers einer regelmäßigen Güteüberwachung nach § 11 Abs. 3 BioAbfV bzw. § 12 KrWG unterliegen, kann davon ausgegangen werden, dass deren Handhabung und Anwendung im Hinblick auf eine Verbreitung von Legionellen undbedenklich ist und dies auch dann, wenn Legionellen in den unbehandelten Ausgangssubstraten nachgewiesen wurden. Anzumerken bleibt, dass Daten zum qualitativen Vorkommen der unterschiedlichen Legionella spp. in relevanten Substraten für die Kompostierung und Anaerobbehandlung fehlen, gleichermaßen besteht ein Defizit zu Angaben über die Tenazität von Legionella pneumophila und Legionella longbeachae bei aeroben und anaeroben Behandlungsverfahren. Mit freundlichen Grüßen Dr. Werner Philipp Garbenstraße 30 Frachtstation : D - 70599 S T U T T G A R T Deutsche Bahn AG Telefon : 0711 / 459 – 22427 Siegelstraße Telefax : 0711 / 459 – 22431 D - 70806 K O R N W E S T H E I M e-mail : [email protected] Prof. Dr. Ludwig E. Hölzle Bankverbindung : BW Bank Konto Nr. 2 560 108 BLZ 600 501 01 ) USt - ID - Nr. (VAT): DE 147 794 207