M E D I Z I N DISKUSSION zu dem Beitrag Reisemedizin: Schwerpunkt häufige Tropenkrankheiten von Prof. Dr. med. Gerd-Dieter Burchard Prof. Dr. med. Bernhard Fleischer in Heft 25/2005 Impfung kontraindiziert Während die Reiseberatung für Kinder, Schwangere und Senioren relativ ausführlich ist, wird der Abschnitt „Patienten mit Vorerkrankungen“ sehr knapp, missverständlich und unvollständig dargestellt. Unabhängig davon, dass eine Fernreise während einer bestehenden onkologischen Therapie selten sein wird und der genauen Beratung durch den Kinderonkologen bedarf, ist die Aussage, dass die Varizellenimpfung bei Kindern mit Leukämie möglich sei, nicht haltbar. Während der intensiven Therapieblöcke ist die Impfung kontraindiziert. Die Gesellschaft Pädiatrische Hämatologie und Onkologie (GPOH) lehnt entgegen der aktuellen STIKO-Empfehlung 2004 eine Varizellenimpfung auch während der Dauertherapie ab, da aufgrund der notwendigen Unterbrechung der Dauertherapie für mindestens zwei Wochen ein höheres Rückfallrisiko angenommen wird. Außerdem kam es bei Kindern, die während der Dauertherapie geimpft wurden, in 50 Prozent der Fälle bis zu einem Monat nach der Impfung zu einem Hautexanthem, 40 Prozent der Kinder wurden mit Aciclovir behandelt, 5 Prozent mussten stationär aufgenommen werden (1). Ebenso ist beschrieben, dass immungesunde, nicht Windpocken erkrankte Kinder eine milde Infektion bekamen, nachdem ihre an Leukämie erkrankten Geschwister geimpft wurden (2). Hingegen übertrugen immungesunde Kinder den Impfvirus nicht auf ihre onkologisch erkrankten Geschwister. Die Artikel zeigen, dass die Virämie mit Impfviren bei immunsupprimierten Kindern mit bis zu vier Wochen deutlich verlängert ist. Daher sind sämtliche Lebendimpfungen bei einem Kind mit Leukämie auch während der Dauertherapie abzulehnen. Andere Impfungen sollten unbedingt mit dem behandelnden Kinderonkologen abgesprochen werden. Ein besonderes, lebenslang bestehendes Risiko haben Patienten aller Altersklassen mit funktioneller oder anatomischer Asplenie, an einer Overwhelming Post-Splenctomy-Infektion (OPSI) mit bekapselten Bakterien lebensbedrohlich zu erkranken (3). Insofern sind die genannten Impfungen gegen Pneumokokken und Meningokokken unabhängig von Reisen zu empfehlen. Ebenso sollte der Schutz gegen Hämophilus influenza B bekannt sein. Da durch die Impfungen nicht alle Subtypen bekapselter Bakterien erreicht werden, ist eine Antibiotikaprophylaxe möglichst bis zum Adoleszenten-, wünschenswerter bis zum Erwachsenenalter von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) empfohlen. Zusätzlich sollten die Betroffenen im Besitz eines Notfallausweises sein. Bei Fieber sollte schnellst möglichst ein Arzt konsultiert werden können und/oder ein Antibiotikum zur Verfügung stehen, dass das landesspezifische Resistenzspektrum gegen Pneumokokken berücksichtigt (4). Literatur 1. La Russa P, Steinberg S, Gershon AA:Varicella vaccine for immunocompromised children: results of collaborative studies in the United States and Canada. J Infect Dis 1996;174: 320–3. 2.Tsolia M, Gershon AA, Steinberg SP, Gelb L: Live attenuated varicella vaccine: evidence that the virus is attenuated and the importance of skin lesions in transmission of varicella-zoster virus. National Institute of Allergy and Infectious Diseases Varicella Vaccine Collaborative Study Group. J Pediatr 1990; 116: 184–9. 3.Schellong G, Riepenhausen M: Late effects after therapy of Hodgkin's disease: update 2003/04 on overwhelming post-splenectomy infections and secondary malignancies. Klin Padiatr 2004; 216: 364–9. 4. Castagnola E, Fioredda F: Prevention of life-threatening infections due to encapsulated bacteria in children with hyposplenia or asplenia: a brief review of current recommendations for practical purposes. Eur J Haematol 2003; 71: 319–26. Dr. med. Hans-Jürgen Laws Klinik für Kinder-Onkologie, Hämatologie und Immunologie Universitätsklinikum Düsseldorf Postfach 10 10 07 40001 Düsseldorf ⏐ Jg. 102⏐ ⏐ Heft 44⏐ ⏐ 4. November 2005 Deutsches Ärzteblatt⏐ Schlusswort Wir haben aus Platzgründen nur sehr kurz auf die Reisevorbereitungen bei immunsupprimierten Patienten hinweisen können. Insbesondere sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass Lebendimpfungen im Allgemeinen kontraindiziert sind. Um uns nicht der Kritik auszusetzen, auf Ausnahmefälle zu dieser allgemeinen Regel hinzuweisen, haben wir in einer Klammer kurz die Varizellenimpfung erwähnt. Wir haben uns hier auf die Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) bezogen, nach denen seronegative Patienten unter immunsuppressiver Therapie oder seronegative Patienten mit Leukämie gegen Varizellen geimpft werden können (unverändert in den aktuellen Empfehlungen der ständigen Impfkommission von Juli 2005). Wir sind aus Platzgründen – und insbesondere da dies nicht das Thema unseres Artikels war – nicht auf die weiterführenden Anwendungsbeschränkungen eingegangen. Diesbezüglich sehr differenzierte Empfehlungen finden sich im Übrigen in den Kanadischen Leitlinien (1). Wir sind Herrn Dr. Laws dankbar, dass er auf die Empfehlungen der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie hingewiesen hat – zumal diese Empfehlungen auf der Homepage der Gesellschaft nicht publiziert sind. Zu den Differenzen in den Empfehlungen der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie und der ständigen Impfkommission möchten wir als Tropen- und Reisemediziner aber keine Stellung beziehen. Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. Literatur 1. An advisory committee statement (ACS). National Advisory Committee on Immunization (NACI). NACI update to statement on varicella vaccine. Can Commun Dis Rep 2002; 28 (ACS-3): 1–7. Prof. Dr. med. Gerd-Dieter Buchard/ Prof. Dr. med. Bernd Fleischer Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Bernhard-Nocht-Straße 74 20359 Hamburg A 3039