David LaChapelle durfte 1995 ran und gewann mit den „Küssenden Matrosen“ den Epica Grand Prix und Eurobest Gold. Branding Oktober_2008 Nur ja keinen Trends folgen Das italienische Jeans- und Modelabel DIESEL ist nicht nur Renzo Rossos Unternehmen, sondern auch sein Leben. Und das ist exzentrisch ebenso wie die Werbung der Modemarke, die heuer ihr 30-jähriges Jubiläum feiert. text clemens coudenhove I ndividuell und anders sein als der Rest. italienischen Molvena ein Weingut namens So könnte man die italienische Jeans- Diesel-Farm betreibt, ist es vor allem die und Modemarke Diesel, die heuer ihr Werbung, die die Marke vorantreibt. Und 30-jähriges Jubiläum feiert, reduziert auf die Kampagnen, die Joakim Jonason, da- den Punkt bringen. Der Mann hinter der maliger Chef der schwedischen Agentur Marke heißt Renzo Rosso und wird als Pop- Paradiset DDB Needham, in den 1990er- star des „Casual Wear“ gefeiert. Als Rosso Jahren gestaltete und prägte, waren in ers- im Jahr 1978 mit Partnern die Genesis ter Linie provokant und lustig. „Zu sagen Group gründete und die Marke Diesel ins ‚Das ist mein Produkt, komm und kauf‘ ist Leben rief, wurden Konventionen gebro- arrogant“, sagt Rosso im jüngst erschiene- chen: Der Italiener aus der Provinz Veneto nen Buch „Diesel – XXX Years of Diesel hatte sich vorgenommen, Jeans zu verkau- Communication“, das von Kevin Roberts, fen, die alt, gebraucht und durchlöchert Worldwide CEO von Saatchi & Saatchi und waren. Vintage nennt man das heutzutage. Autor des Buches „Lovemarks“, mitge- In jedem Interview – und davon gibt es staltet wurde. Vielmehr geht es Renzo viele – betont der Diesel-Gründer, dass er Rosso um einen Dialog mit der Diesel- damals nicht vorhatte, eine Marke zu grün- Community, in dem der Zynismus des Kon- den: Er wollte Kleidung herstellen, die er sums eine tragende Rolle spielt. Eine ziem- und sein Team gerne tragen würden. Und: lich bizarre Gruppe an Charakteren wird Trends oder „Stildiktatoren“, wie Rosso sie in den Kampagnen dargestellt, ohne das nennt, wurden ignoriert. Heute ist Diesel eigentliche Produkt in den Mittelpunkt zu laut eigenen Angaben in 80 Staaten prä- stellen. „Aus Respekt vor dem Publikum, allem Humor beziehungsweise die Fähig- sent; Jeans, Kleidung und Accessoires be- das mit schlechter Werbung konfrontiert keit, über sich selber lachen zu können. kommt man in über 5.000 Shops, 300 davon wird“, sagt Rosso. Schmusende Matrosen, Besonders in den „Guides For Successful sind so genannte Monobrand-Stores. künstlich aussehende Frauen, die Urin Living“, wie die Werbephase in den 90er- trinken, nackte Cowboys, geile alte Frauen Jahren hieß, wird diese Strategie deutlich. Eigene Nische besetzt oder dekadente Afrikaner stehen im Mit- Und: Überall auf der Welt die gleiche Wer- Nicht nur Diesel-Produkte, sondern vor al- telpunkt der Diesel-Kampagnen, die Ro- bung, und zwar auf Englisch. lem Jeans setzen sich von anderen Marken berts zufolge immer unvorhersehbar seien durch den Vintage-Look ab. Neben dem und eines gemeinsam hätten: Ironie, Pro- Kritik an Werbung und Medien charismatischen Diesel-Boss, der im nord- vokation, Sex, Exzentrik, Kitsch und vor Was das Diesel-Kreativteam unter der Füh- Vom Diesel-Indianer („Only the brave“) entwickelte sich das Logo zum schlichten, schwarzen Schriftzug. Alte, schmutzige Menschen spielten in der „dirty denim“-Kampagne von 1998 die Hauptrolle. rung von CD Wilbert Das und der Agentur Paradiset in den 1990er-Jahren besonders störte, war Werbung, die einfache Lösungen zu schwierigen Problemen anbot. Darüber machte man sich in der Anzeigenserie „Shortcuts to Life“ lustig, in der Drogen aller Art beworben wurden: „Fab modern Drugs are as simple as A-B-C! Paranoia. Better haircuts, brain damage and a shorter Life will all be yours quicker“, war da menten mit Intelligenz zu begegnen anstatt ihnen dumme Verkaufsversprechen zu machen. Die Kampagne „How to smoke 145 Cigarettes a day – Man, who needs two „Planet Diesel“-Gründer Renzo Rosso feierte vor zwei Jahren seinen 50er, und zwar mit dem aufwendigst gestalteten Buch „Fifty“, in dem praktisch sein ganzes Leben aufgerollt wird. Zum 30jährigen Firmenjubiläum gibt es ebenfalls ein Buch, das die Diesel-Kommunikation feiert. 74_BESTSELLER Lungs anyway“ hätte Gerüchten zufolge sogar dazu geführt, dass der Tabakmulti Philip Morris Magazinmanager gebeten fotos Diesel (10), Bryan Adams etwa zu lesen. Immer mit dem Ziel, Konsu- „Global Warming Ready“ lautete der Titel der von Terry Richardson geschossenen Kampagne 2007, die eine schauerliche Zukunft stylisch inszeniert. Egal wie die Zukunft aussieht, Menschen bleiben unvollkommen: „Human after all“ war die zweite Kampagne 2007, Johann Renck fotografierte. 1993 galt es, Heuchelei mit der „How to smoke 145 a day“-Kampagne aufzuzeigen (Foto: Andrew Macpherson). Verkehrte Welt: Ellen von Unwerth schoss die Bilder zu „The Daily African“ (Bild ganz rechts). Terry Richardson inszenierte „Diesel Heaven“ im Jahr 2006. „It’s real“ hieß die Kampagne, Beschwingte Ironie im Jahr 2005: Elaine die sich darüber mockierte, Constantine schoss die Fotos zur Kampagne Promis werben zu lassen. „The Future – a musical to believe in“. Die berühmte Yalta-Konferenz von 1945 hat Fotograf Peter Gehrke 1997 etwas anders „gesehen“. hätte, die Sujets nicht zu veröffentlichen. und gewannen neben vielen anderen Krea- die auf Diesel.com zu sehen waren und als Die Kampagne „How to teach your chil- tivpreisen den Grand Prix in Cannes. DVD in Diesel-Stores verteilt wurden. 2007 wurden die Diesel.com-Besucher von zwei dren to love and care – teaching Kids to kill helps them deal directly with reality“ Community-Experimente Models namens Heidi („The Heidis“) über- zeigte junge Männer mit auf den Betrach- Ein wichtiger Part im Diesel-Branding ist rascht, die in einem Hotelzimmer einge- ter gerichteten Pistolen. Zahlreiche Pro- Communitybuilding. Bereits 1995 startete sperrt waren, und Forderungen an das Die- teste vor Kaufhäusern waren die Folge. Ab Diesel.com. Die Website schärfte die in der sel-Management stellten. „Intertainment“ dem Jahr 1994 wurde auf den kleinge- Werbung offensichtliche Trennlinie zwi- nannte Rosso die Online-Reality-Show. druckten Text verzichtet. Dem Publikum schen den „Planet-Diesel-Bewohnern“ und Engagement zeigt das Label außerdem in zu geben, was es nie für möglich gehalten dem „spießigen Rest“, wie Kevin Roberts Sachen Kunst. Im Diesel Style Lab haben hätte, lautete das Credo. Im Jahr 2000 schreibt. Humor und Chaos wurden auf der junge Künstler die Möglichkeit, mit neuen wurde die Boulevardpresse und die Strate- Website gefeiert, zusätzlich waren sämtli- Werbeformen zu experimentieren. Auf der gie, Prominente für Werbezwecke zu enga- che Werbesujets auf der Website verfüg- „Diesel Wall“, einer leeren Hausfassade in gieren, aufs Korn genommen, und zwar mit bar. 2002 startete die „Friendship Galerie“ Mailand, können Künstler für jeweils drei einer multimedialen Kampagne namens des Maskottchens „Donald Diesel“, ein Monate ihre Kunstwerke präsentieren, zu- „It’s real“. Im Mittelpunkt stand ein fal- übertrieben grinsendes Männchen mit ei- dem sponsert das Unternehmen den De- sches Popsternchen namens Joanna. Über- nem roten Irokesen. Jungkünstler wurden signwettbewerb IST und veranstaltet un- trieben reißerische Coverseiten des „It’s aufgefordert, interaktive Kunstwerke und ter Diesel:U:Music einen Bandwettbewerb. real“-Magazins berichteten über ihre Skan- Animationen für die Website zu gestalten, Dass dem Team um Renzo Rosso die Ideen dale, unterstützt durch Auftritte, Websites solange sie Emotionen zum Ausdruck ausgehen, ist unwahrscheinlich. Zum 30. und TV-Spots. Eine verkehrte Welt, in der brächten. Die Friendship Galerie war Vor- Geburtstag, der am 11. und 12. Oktober in Afrika der reiche und Europa und die USA reiter des Projektes „Diesel Dreams“. Auf 30 Städten mit großen Partys gefeiert die armen Kontinente sind, wurde mit der Plakaten und Anzeigen waren Menschen wurde, kündigte Rosso an, sich sowohl vom Kampagne „The Daily African“ inszeniert. mit geschlossenen Augen zu sehen, ein sur- Diesel-Logo als auch vom Slogan „For Suc- Dekadente Partys mit Champagner schlür- realer Text verriet den Titel ihres Traumes cessful Living“ verabschieden zu wollen. fenden gut gekleideten Afrikanern und mit der Webadresse. Insgesamt 30 Filme- Und die Zukunft? Rosso: „Diesel wird Headlines wie „Africa agrees on financial macher, Künstler, Musiker und Illustrato- schon bald eine dunkle und noch rebelli- aid to America“ sorgten für Verwirrung ren gestalteten Animationen und Videos, schere Seite zeigen.“ BESTSELLER_75