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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.17 Visuelles System:
genikulärer Anteil
Seitenventrikel
Tractus
opticus
N. opticus
Sehnerv
Corpus geniculatum laterale
Sehstrahlung
für unteres
Gesichtsfeld
Lichteinfall
3. Neuron:
Ganglienzellen
2. Neuron:
bipolare
Zellen
Impulsfortleitung
Area
striata
a
Chiasma
opticum
MeyerSchleife
Sehstrahlung für
oberes Gesichtsfeld
A Übersicht über die Sehbahn
Ansicht von links. Die Sehbahn erstreckt sich vom Auge, einem vorgestülpten Teil des Diencephalon, bis zum Okzipitalpol. Sie umfasst damit fast die gesamte Längsachse des Gehirns. Die wichtigsten Stationen sind:
Retina (Netzhaut): In ihr liegen die ersten drei Neurone der Sehbahn
(s. b ):
• 1. Neuron: zugleich Stäbchen und Zapfen als Photorezeptoren, die an
der dem Licht abgewandten Seite der Retina liegen (Inversion der Retina),
• 2. Neuron: bipolare Zellen und
• 3. Neuron: Ganglienzellen, deren Axone sich zum N. opticus zusammenlagern.
N. opticus (Sehnerv), Chiasma opticum (Sehnervenkreuzung) und Tractus opticus: Dieser neurale Teil der Sehbahn gehört zum Zentralnervensystem (N. opticus = Hirnnerv II) und ist von Hirnhäuten umgeben. Der
Sehnerv ist also kein Nerv sondern eine Bahn (= Tractus). Der N. opticus
bildet an der Basis des Diencephalon mit dem N. opticus der Gegenseite
1. Neuron:
Stäbchen
und Zapfen
b
c
GennariStreifen
das Chiasma opticum, das sich in die beiden Tractus optici aufzweigt,
die sich wiederum in eine Radix lateralis und medialis aufteilen.
Corpus geniculatum laterale: 90 % der Axone des 3. Neurons (= 90 %
der Fasern des N. opticus) enden im Corpus geniculatum laterale auf
Neuronen, die in die Area striata (Sehrinde, s. u.) projizieren = genikulärer Anteil der Sehbahn (wird hier besprochen). Sie dient der bewussten
Sehwahrnehmung und wird über die Radix lateralis des Tractus opticus
weitergeleitet. Die restlichen 10 % der Axone des 3. Neurons der Sehbahn enden nicht im Corpus geniculatum laterale = nicht genikulärer Anteil der Sehbahn (mediale Wurzel, s. B, S. 361), ihre Impulse werden nicht
bewusst.
Sehstrahlung (Radiatio optica) und Sehrinde (Area striata): Die Sehstrahlung, die im Corpus geniculatum laterale beginnt, zieht bandförmig um Unter- und Hinterhorn der Seitenventrikel und endet in der
Sehrinde, der Area striata (= Area 17 nach Brodmann). Die im Okzipitallappen liegende Sehrinde ist makroskopisch durch einen Streifen weißer Substanz in der Hirnrinde zu erkennen (Gennari-Streifen s. c ). Er verläuft parallel zur Hirnoberfläche und ist im Inset, in dem die graue Substanz der Sehrinde rötlich eingefärbt ist, zu erkennen.
nasales Gesichtsfeld
des rechten Auges
linkes Gesichtsfeld
rechtes Gesichtsfeld
temporales Gesichtsfeld
des rechten Auges
nasale Retina
B Repräsentation des linken bzw. rechten Gesichtsfeldes in der
jeweils kontralateralen Sehrinde
Ansicht von dorsal. Die Lichtstrahlen des jeweils nasalen Teils des Gesichtsfeldes werden auf den jeweils temporalen Teil der Retina projiziert,
die temporalen auf den nasalen Teil. Dadurch projiziert das linke Gesichtsfeld in die Sehrinde des rechten Okzipitalpols, das rechte in die
Sehrinde des linken Okzipitalpols. Diese Darstellung berücksichtigt aus
Übersichtsgründen nur die Unterteilung des Gesichtsfeldes in zwei Hälften, die zunächst einmal verstanden sein will. Danach sollte man sich
die Unterteilung in vier Quadranten zu eigen machen (s. C ).
Beachte: In Höhe des Chiasma opticum kreuzen die Axone von den nasalen Retinahälften um sich den nicht kreuzenden Axonen von den temporalen Retinahälften anzuschließen.
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temporale Retina
N. opticus
Chiasma opticum
Tractus opticus
Corpus
geniculatum
laterale
Sehrinde
(Area striata)
Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
makuläres
Gesichtsfeld
blinder
Fleck
Gesichtsfeld
Fovea centralis
Repräsentation des
Gesichtsfelds wie im
Perimeter bestimmt
temporale
Sichel
1
blinder Fleck
2
3
D Orientierende Bestimmung des Gesichtsfeldes mit dem Konfrontationstest
Die Bestimmung des Gesichtsfeldes ist eine
der Grundlagen für die Diagnostik von Störungen der Sehbahn (s. A, S. 360). Das Gesichtsfeld
kann orientierend mit einem Konfrontationstest erfasst werden, bei dem der Arzt sein intaktes Gesichtsfeld mit dem gegenüberliegenden Gesichtsfeld des Patienten konfrontiert.
Arzt und Patient fixieren einander so, dass die
Fixierlinien beider Augen identisch sind. Der
Arzt führt seinen bewegten Zeigefinger von außen in das Gesichtsfeld hinein, der Patient muss
angeben, wann er den Finger sieht. Durch den
Konfrontationstest lassen sich mögliche Gesichtsfeldausfälle grob erfassen. Exakt lässt sich
der Umfang des jeweiligen Gesichtsfeldes mit
einem Perimeter erfassen, bei dem Leuchtpunkte den Zeigefinger des Arztes ersetzen. Die
Ergebnisse des Tests werden dann in Schemata
eingetragen, wie sie z. B. in C zu sehen sind.
4
5
6
7
N. opticus
8
Chiasma
opticum
Tractus
opticus
Corpus
geniculatum
laterale
C Topik des genikulären Anteils der Sehbahn
Die Fovea centralis, der Punkt des schärfsten Sehens auf der Netzhaut,
hat eine hohe Rezeptordichte. Die Rezeptoren senden dementsprechend viele Axone nach zentral, so dass die Fovea centralis durch einen
überdurchschnittlich großen Bereich in der Sehrinde repräsentiert ist.
Andere, weiter peripher liegende Netzhautbereiche, enthalten weniger
Rezeptoren und damit weniger Axone, so dass sie dementsprechend
geringer in der Sehrinde repräsentiert sind. Die Abbildung soll sowohl
diesen Sachverhalt als auch den Verlauf der Nervenfasern aus den unterschiedlichen Abschnitten der Retina veranschaulichen.
Beachte: Es ist nur das linke Gesichtsfeld dargestellt, das in vier Quadranten ( 1) unterteilt ist (oben temporal und nasal sowie unten temporal und nasal); die Repräsentation dieser Unterteilung setzt sich bis in
die Sehrinde fort.
1 Die drei Zonen, die jeweils einem bestimmten Gesichtsfeld (= links)
entsprechen, sind jeweils links mit abnehmender Farbintensität markiert:
• die kleinste und dunkelste Zone in der Mitte ist die Fovea centralis,
ihr entspricht das zentrale Gesichtsfeld;
• die größte Zone ist das makuläre Gesichtsfeld, in dem auch der
„blinde Fleck“ (= Papilla n. optici, s. 2 ) liegt;
• jeweils temporal ist der monokuläre Gesichtsfeldanteil zu erkennen („temporale Sichel“),
• jeweils medial der mediale Gesichtsfeldanteil mit der Einengung
durch die Nase (kleine mediale Delle).
2 Durch die Lichtbrechung in der Linse werden oben und unten sowie
temporal und nasal genau umgekehrt auf der Retina abgebildet.
9
3 u. 4 Am Beginn des N. opticus liegen die Fasern, die das makuläre Gesichtsfeld repräsentieren, lateral, um dann zunehmend ins Zentrum
des Nervs zu gelangen (4 ).
5 Im Chiasma opticum kreuzen die nasalen Fasern des N. opticus bogenförmig auf die Gegenseite.
6 Zu Beginn des Tractus opticus werden die Fasern der korrespondierenden Retinahälften vereinigt: rechter Tractus – rechte Retinahälften und linker Tractus – linke Retinahälften; das rechte Gesichtsfeld
endet schließlich in der linken Area striata. Die Makulafasern liegen
zunächst weiterhin zentral im Tractus opticus.
7 Am Ende des Tractus opticus, kurz vor dessen Eintritt in das Corpus
geniculatum laterale, gruppieren sich die Fasern zu einem Keil um.
8 Im Corpus geniculatum laterale bleibt die Keilform erhalten, die
makulären Fasern nehmen fast seine Hälfte ein. Nach der Umschaltung auf das 4. Neuron werden sie zum hinteren Ende des Okzipitalpols (= Sehrinde) projiziert.
9 Hier wird deutlich, dass das zentrale Gesichtsfeld – im Vergleich zu
allen anderen Gesichtsfeldern – in der Sehrinde durch die größte Fläche repräsentiert wird. Grund hierfür ist die große Zahl von Axonen,
welche die Fovea centralis in den Sehnerv entsendet. Diese hohe Anzahl von Axonen bleibt bis hin zur Sehrinde erhalten, so dass die Fovea centralis mit der Sehrinde eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung hat.
Die anderen Gesichtsfelder haben genauso eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, bestehen aber aus weniger Axonen. Die zentrale untere Gesichtsfeldhälfte ist mit einem großen Areal direkt am Okzipitalpol
oberhalb des Sulcus calcarinus repräsentiert, die zentrale obere Gesichtsfeldhälfte unterhalb. Auch im Corpus geniculatum laterale (s. 8 )
beansprucht der Bereich des zentralen Sehens den größten Platz.
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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.18 Visuelles System: Läsionen des genikulären Anteils
und nicht genikuläre Projektionen
rechtes
Gesichtsfeld
linkes
Gesichtsfeld
1
1
2
2
3
3
1
2
4
4
3
5
6
5
5
4
6
7
7
6
7
A Gesichtsfeldausfälle (Skotome) und ihre Lokalisation entlang
der Sehbahn
Gesichtsfeldausfälle und Läsionsort sind einseitig für die linke Sehbahn
dargestellt. Die Sehbahn kann bei einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen geschädigt sein. Der Patient nimmt diese Schädigung als
Sehstörungen wahr. Da die Art des Gesichtsfeldausfalls oft auf den Ort
der Schädigung verweist, ist die Kenntnis der Ausfallmuster klinisch von
Bedeutung. Zur Lokalisation der Schäden unterteilt man das Gesichtsfeld in vier Quadranten: oberer und unterer temporaler sowie oberer
und unterer nasaler Quadrant (s. auch S. 359).
1 Bei einseitiger Schädigung des N. opticus ist ausschließlich das betroffene Auge vollständig erblindet: Amaurose.
2 Bei Schädigung des Chiasma opticum kommt es zur bitemporalen
Hemianopsie („Scheuklappen“), weil die Fasern der nasal liegenden
Retinaabschnitte (nur die kreuzen im Chiasma opticum!), welche die
temporalen Gesichtsfelder repräsentieren, unterbrochen sind.
3 Eine einseitige Schädigung des Tractus opticus führt zur homonymen
Hemianopsie zur Gegenseite, weil die temporalen Retinaabschnitte
des Auges auf der gleichen Seite sowie die nasalen Abschnitte des
Auges auf der Gegenseite unterbrochen sind.
Beachte: Alle homonymen Gesichtsfeldausfälle haben ihre Ursache
retrochiasmal.
4 Bei einseitiger Schädigung der Sehstrahlung im vorderen Temporallappen (Meyer-Schlinge) entsteht eine obere Quadrantenanopsie zur Gegenseite. Sie ist dadurch bedingt, dass diese Fasern um
das im Temporallappen liegende Unterhorn des Seitenventrikels ziehen und von den Fasern der unteren Gesichtsfeldhälfte getrennt sind
(s. S. 358).
5 Aus der einseitigen Schädigung der inneren Sehstrahlung im Bereich des Parietallappens resultiert eine untere Quadrantenanopsie
zur Gegenseite; sie ist dadurch bedingt, dass diese Fasern weiter kranial ziehen als die für den oberen Quadranten in der Meyer-Schleife
(s. S. 358).
6 Die Läsion des Okzipitallappens führt zur homonymen Hemianopsie.
Da sich die Sehstrahlung vor ihrem Eintritt in die Sehrinde weit auffächert, sind Läsionen im Okzipitallappen beschrieben, bei denen die
Sehkraft wie hier dargestellt in der Fovea centralis erhalten blieb. Solche Läsionen sind meist durch intrazerebrale Blutungen verursacht.
Aufgrund der unterschiedlichen Größe der Blutungen können die Gesichtsfeldausfälle sehr variabel sein.
7 Wenn am Okzipitalpol nur die Kortexareale geschädigt sind, die die
Makula repräsentieren, entsteht ein homonym-hemianoptisches
Zentralskotom.
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12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
Sehrinde
(Area striata)
Nucleus suprachiasmaticus
Pulvinar
thalami
Colliculi
superiores
Sehstrahlung
Area
pretectalis
Corpus geniculatum laterale
Nuclei
terminales
Formatio
reticularis
B Nicht genikulärer Teil der Sehbahn
Etwa 10 % der Axone des N. opticus enden nicht auf Neuronen im Corpus geniculatum laterale, die dann auf die Sehrinde projizieren, sondern
ziehen in der medialen Wurzel des Tractus opticus weiter: nicht genikulärer Teil der Sehbahn. Die Informationen aus diesen Bahnen gelangen
nicht in das Bewusstsein, spielen aber eine wichtige Rolle bei der unbewussten Regulation diverser, mit dem Sehen verbundener Vorgänge
sowie bei der Verschaltung von Reflexen (z. B. afferenter Schenkel des
Lichtreflexes). Axone des nicht genikulären Teils der Sehbahn enden in
folgenden Regionen:
• Axone zum Colliculus superior: übertragen Bewegungsinformationen, die zur Fixierung bewegter Objekte durch unbewusste Augenund Kopfbewegungen nötig sind (retinotektales System).
• Axone zur Area pretectalis: Afferenzen für Pupillen- und Akkommodationsreflexe (retinopretektales System). Die Unterteilung in ein-
Afferenz
Efferenz
N. opticus
A
S
N. oculomotorius
A Pupillenreflex
S vestibulo-
N. trigeminus
okulärer Reflex
D
N. facialis
N. vestibulocochlearis
D Kornealreflex
•
•
•
•
zelne Kerngebiete ist beim Menschen noch nicht vorgenommen worden, deshalb wird der Begriff Area verwendet.
Axone zum Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus: Beeinflussung der zirkadianen Rhythmik.
Axone zu den Nuclei terminales (tractus optici) im Tegmentum mesencephali und zu den Nuclei vestibulares: Afferenzen für den optokinetischen Nystagmus (= physiologische, ruckartige Augenbewegungen beim Blick auf schnell vorbeiziehende Objekte): akzessorisches
optisches System.
Axone zum Pulvinar thalami: visueller Assoziationskortex für die Okulomotorik (Umschaltung der Neurone im Colliculus superior).
Axone zum Nucleus parvocellularis der Formatio reticularis: Weckfunktion.
C Hirnstammreflexe: Klinische Bedeutung der nicht genikulären
Anteile der Sehbahn
Hirnstammreflexe spielen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung komatöser Patienten: Ihr Ausfall ist ein Zeichen für den Hirntod. Drei von ihnen sollen ausführlicher geschildert werden.
Pupillenreflex: Hier spielen die nicht genikulären Anteile der Sehbahn
eine entscheidende Rolle (s. S. 363). Die Afferenzen zu diesem Reflex
stammen vom dienzephalen N. opticus (Das Diencephalon ist nicht Teil
des Hirnstamms, deshalb ist „Hirnstammreflex“ eine etwas unglückliche Bezeichnung!), die Efferenzen gehen vom akzessorischen Kern des
N. oculomotorius (III. Hirnnerv) aus, der im Hirnstamm liegt. Wenn der
Pupillenreflex ausfällt, kann dies also sowohl ein Zeichen für die Schädigung des Di (Zwischenhirn)- als auch des Mesencephalon (Mittelhirn)
sein.
Kornealreflex: Er wird nicht über die Sehbahn vermittelt. Die Afferenzen für diesen Reflex (ausgelöst durch Reizung der Cornea z. B. mit einem sterilen Wattetupfer) verlaufen über den N. trigeminus, die Efferenzen (Kontraktion des M. orbicularis oculi als Folge der Korneareizung) über den N. facialis. Das Schaltzentrum für den Kornealreflex liegt
im pontinen Teil des Hirnstamms.
Vestibulookulärer Reflex: Wenn man den Gehörgang mit kaltem Wasser spült, kommt es bei Gesunden zum Nystagmus der Gegenseite (Afferenz über N. vestibulocochlearis = VIII. Hirnnerv; Efferenz über N. oculomotorius = III. Hirnnerv). Wenn dieser Reflex bei einem komatösen
Patienten komplett ausfällt, gilt dies als schlechtes Zeichen, da dieser
Reflex der zuverlässigste klinische Test für die Beurteilung der Hirnstammfunktion ist.
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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.19 Visuelles System:
Reflexe
M. ciliaris
M. sphincter
pupillae
M. rectus
medialis
Nn. ciliares
breves
Ganglion
ciliare
N. opticus
Tractus opticus
N. oculomotorius
Nucleus Perlia
Corpus
geniculatum
laterale
Nucleus n. oculomotorii
(M. rectus medialis)
Area
pretectalis
Nuclei accessorii
n. oculomotorii
Area 19
Area 17
Area 18
A Verschaltungen für Konvergenz und Akkommodation
Wenn sich dem Auge ein Objekt nähert, müssen die Sehachsen beider
Augen aufeinander zugehen (Konvergenz), gleichzeitig muss die Linse
ihre Brennweite ändern (Akkommodation). Nur so entsteht ein scharfer
räumlicher Seheindruck. Diese beiden gekoppelten Vorgänge können
in drei Teilprozesse gegliedert werden:
1. Bei der Konvergenz führen die beiden Mm. recti mediales die Pupillen und damit die Augenachse nach innen, so dass sich das nähernde
Objekt immer in der Fovea centralis abbildet.
2. Bei der Akkommodation wird die Linse gerundet, so dass das sich
nähernde Objekt scharf auf der Retina abgebildet wird. Die Linse wird
durch den Zug der Linsenfasern, die im M. ciliaris verankert sind, flach
gehalten. Kontrahiert sich der M. ciliaris im Zuge der Akkommodation, werden diese Linsenfasern entspannt und die Linse kann sich
durch ihren Eigendruck runden.
3. Zur Erhöhung der Sehschärfe wird zusätzlich noch die Pupille durch
den M. sphincter pupillae verengt.
Konvergenz und Akkommodation können bewusst (Fixierung eines nahen Gegenstandes) oder unbewusst (Fixierung auf ein sich näherndes
Fahrzeug) ablaufen. Die meisten Axone des 3. Neurons der Sehbahn
verlaufen im N. opticus über das Corpus geniculatum laterale, wo sie
auf das 4. Neuron umgeschaltet werden, dessen Axone dann zur primären Sehrinde (Area 17) ziehen. Mittels Umschaltungen über Zwischenneurone ziehen schließlich Axone aus der sekundären visuellen Area 19
in die Area pretectalis. Dort findet eine weitere Umschaltung statt, die
Axone dieser Neurone enden im Nucleus Perlia. Dieser liegt zwischen
den beiden Edinger-Westphal-Kernen (= Nuclei accessorii n. oculomotorii). Im Nucleus Perlia sind zwei funktionell verschiedene Neuronengruppen lokalisiert:
• Eine schaltet für die Konvergenzbewegungen auf den somatomotorischen Okulomotoriuskern um, der seine Axone direkt zum M. rectus
medialis sendet.
• Die andere Neuronengruppe schaltet die für Akkommodation und
Pupillenverengung verantwortlichen Neurone in den viszeromotorischen (parasympathischen) Nuclei accessorii n. oculomotorii (Edinger-Westphal) um (parasympathische Innervation im Folgenden nur
einseitig dargestellt).
Nach Umschaltung in diesem Kerngebiet ziehen die präganglionären,
parasympathischen Axone zum Ganglion ciliare, wo die Umschaltung
vom zentralen auf das periphere parasympathische Neuron erfolgt.
Auch hier gibt es zwei Neuronengruppen: die eine zieht zum M. ciliaris
(Akkommodation), die andere zum M. sphincter pupillae (Pupillenverengung). Bei Spätstadien der Lues (Infektion mit Treponema pallidum
= Syphilis) ist die Lichtreaktion (M. sphincter pupillae) erloschen, während Akkommodation (M. ciliaris) und Konvergenz erhalten sind. Diese
Kombination nennt man Argyll-Robertson-Pupille. Aus diesem Befund
hat man geschlossen, dass die Verbindungen zum M. ciliaris und zum
M. sphincter pupillae durch unterschiedliche Bahnen vermittelt wird,
deren anatomischer Verlauf jedoch noch nicht klar identifiziert ist.
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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
M. sphincter
pupillae
Nn. ciliares
breves
Ganglion
ciliare
N. opticus
N. oculomotorius
(parasympathische
Anteile)
Tractus opticus
Corpus
geniculatum
laterale
Nuclei accessorii
n. oculomotorii
Corpus
geniculatum
mediale
B Regulation der Pupillenweite, Lichtreflex
Der Lichtreflex ermöglicht es dem Auge, sich auf wechselnde Helligkeiten einzustellen. Bei verstärktem Lichteinfall (z. B. Strahl einer Taschenlampe) verengt sich die Pupille (Schutz der Photorezeptoren in der Retina), bei Verdunkelung erweitert sie sich. Wie der Name Reflex schon
sagt, geschieht diese Adaptation ohne unser Bewusstsein (nicht genikulärer Teil der Sehbahn!).
Afferenter Schenkel des Lichtreflexes: Die ersten drei Neurone (1. Neurone: Stäbchen und Zapfen; 2. Neurone: bipolare Zellen; 3. Neurone:
Ganglienzellen) der afferenten Bahn dieses Reflexes liegen in der Retina.
Die Axone der Ganglienzellen bilden den N. opticus. Die für den Lichtreflex verantwortlichen Axone (hellblau) ziehen mit der medialen Wurzel des Tractus opticus zur Area pretectalis (nicht genikulärer Anteil der
Sehbahn; die übrigen Axone zum Corpus geniculatum laterale (dunkelblau). Nach Umschaltung im Nucleus pretectalis ziehen die Axone der
4. Neurone zu den parasympathischen Kerngebieten (Nuclei accessorii n. oculomotorii = Edinger-Westphal) beider Seiten des N. oculomotorius. Da beide Seiten innerviert werden, wird eine konsensuelle Lichtreaktion ermöglicht (s. u.).
Efferenter Schenkel des Lichtreflexes: Die 5. Neurone, die im EdingerWestphal-Kern liegen (zentrale parasympathische Neurone), senden
ihre Axone zum Ganglion ciliare. Dort findet eine Umschaltung auf die
6. Neurone (periphere parasympathische Neurone) statt, deren Axone
dann zum M. sphincter pupillae ziehen.
Bei der Lichtreaktion unterscheidet man eine direkte und indirekte
Lichtrektion:
Area
pretectalis
Um die direkte Lichtreaktion zu testen, bedeckt man beim wachen
und kooperativen Patienten beide Augen und gibt dann ein Auge frei.
Nach einer kurzen Latenzzeit verengt sich die Pupille des gerade aufgedeckten Auges.
Um die indirekte Lichtreaktion zu testen, legt der Untersucher seine
Hand auf die Nasenwurzel des Patienten, so dass bei der anschließenden Beleuchtung mit einer Taschenlampe nur ein Auge belichtet wird.
Getestet wird, ob sich – wie es normalerweise der Fall ist – bei Beleuchtung des direkt beleuchteten Auges auch die Pupille des nicht beleuchteten Auges mitverengt (konsensuelle Lichtreaktion).
Ausfall der Lichtreaktion bei bestimmten Schädigungen: Ist der N. opticus einseitig geschädigt, fällt – bei Beleuchtung der betroffenen Seite –
die direkte Lichtreaktion der betroffenen Seite aus. Ferner fällt die konsensuelle Lichtreaktion auf der Gegenseite aus, da der afferente Schenkel des Lichtreflexes auf der betroffenen Seite gestört ist. Bei Beleuchtung der nicht betroffenen Seite tritt auf der nicht betroffenen Seite
– natürlich – eine Pupillenverengung auf (direkte Lichtreaktion); die
konsensuelle Lichtreaktion tritt ebenfalls auf, da die Afferenz für diesen
Reflex über die nicht betroffene Seite vermittelt wird, während die Efferenzen nicht über den N. opticus vermittelt werden. Wenn der parasympathische Okulomotoriuskern oder das Ganglion ciliare geschädigt
sind, fällt der efferente Teil des Reflexes aus. In beiden Fällen unterbleiben direkte und indirekte Lichtreaktionen der Augen. Eine Schädigung
der Sehstrahlung oder der Sehrinde (genikulärer Anteil der Sehbahn)
führen naturgemäß nicht zum Ausfall dieses Reflexes, da dieser über
den nicht genikulären Anteil der Sehbahn vermittelt wird.
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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
12.20 Visuelles System:
Koordination der Augenbewegungen
rostraler interstitieller Kern
des Fasciculus
longitudinalis
medialis (riFLM)
Nucleus
n. oculomotorii
Nucleus
n. trochlearis
mesenzephale
retikuläre
Formation (MRF)
Fasciculus
longitudinalis
medialis (FLM)
paramediane
pontine retikuläre
Formation (PPRF)
Nucleus
n. abducentis
Nucleus prepositus
hypoglossi
riFLM
a
III
IV
PPRF
b
A Blickmotorische Kerne und ihre übergeordnete Verschaltung
im Hirnstamm
a Mediansagittalschnitt, Ansicht von links; b Schaltschema für die
supranukleäre Organisation der Augenbewegungen.
Beim Blick auf ein neues Objekt bewegen wir die Fovea centralis unserer
Augen ruckartig auf das Ziel zu. Diese schnellen und präzisen, sozusagen ballistischen Bewegungen werden als Sakkaden bezeichnet. Sie sind
vorprogrammiert und während ihres Ablaufes nicht mehr zu ändern. An
der Ausführung dieser Bewegungen sind die Kerne sämtlicher motorischer Augenmuskelnerven beteiligt (Kerne der Hirnnerven III, IV und
VI; rot dargestellt). Sie sind zu diesem Zweck durch den Fasciculus longitudinalis medialis (bläulich) untereinander verbunden (zu seiner Lage
s. B). Da an solchen komplexen Augenbewegungen im Prinzip alle Augenmuskelnervenkerne mit den von ihnen innervierten Augenmuskeln
beteiligt sind, muss die Aktivität der Kerne übergeordnet, also supranukleär koordiniert werden. Das bedeutet z. B. beim Blick nach rechts
PPRF
VI
für das rechte Auge, dass der rechte M. rectus lateralis (N. VI, Abduzenskern aktiviert) sich kontrahieren, der rechte M. rectus medialis (N. III,
Okulomotoriuskern inhibiert) erschlaffen muss; für das linke Auge, dass
der linke M. rectus lateralis (N. VI) erschlaffen, der linke M. rectus medialis (N. III) sich dagegen kontrahieren muss. Solche Augenbewegungen, an denen beide Augen beteiligt sind, werden als konjugierte Augenbewegungen bezeichnet. Für die Koordination dieser Bewegungen gibt
es mehrere Zentren (prämotorische Kerne, violett dargestellt). Die Programmierung horizontaler Blickbewegungen erfolgt im Kerngebiet der
paramedianen pontinen Formatio reticularis (PPRF), während vertikale
Blickbewegungen im rostralen interstitiellen Kern des Fasciculus longitudinalis medialis (riFLM) programmiert werden. Beide Blickzentren
stehen beiderseits in Kontakt zu den Hirnnervenkernen III, IV, VI. Die Signale für den Haltetonus der neuen Augenposition stammen vom Nucleus prepositus hypoglossi (s. a).
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Neuroanatomie
12. Funktionelle Systeme und klinische Bezüge
Nucleus
n. oculomotorii
Nucleus
n. trochlearis
Fibrae
corticonucleares
Aquaeductus
mesencephali
Fasciculus
longitudinalis
medialis
Tractus
corticospinalis
Nucleus
n. abducentis
monookulärer Nystagmus
Rechtsblick
Konvergenz
rechts
M. rectus medialis
(nicht aktiviert)
links
M. rectus lateralis
(funktionstüchtig)
N. oculomotorius
N. abducens
Fasciculus
longitudinalis
medialis
Nucleus
n. oculomotorii
Nucleus
n. trochlearis
Area 8 (frontales
Blickzentrum)
Läsion
Nucleus
n. abducentis
B Verlauf des Fasciculus longitudinalis
medialis im Hirnstamm
Mediansagittalschnitt, Ansicht von links. Der
Fasciculus longitudinalis medialis verläuft beiderseits ventral des Aquaeductus mesencephali und zieht vom Mesencephalon weiter bis
zum Halsmark. In ihm verlaufen die Fasern für
die Koordination der konjugierten Augenbewegungen. Aus seiner Schädigung resultiert
eine internukleäre Ophthalmoplegie (s. C ).
C Schädigung des Fasciculus longitudinalis medialis und internukleäre
Ophthalmoplegie
Der Fasciculus longitudinalis medialis verbindet die Augenmuskelkerne untereinander;
diese Verbindung schließt die Verknüpfung
mit der Gegenseite ein. Wenn diese „Datenautobahn“ geschädigt wird, liegt eine internukleäre Ophthalmoplegie vor. Am häufigsten tritt
eine solche Schädigung zwischen dem Kern
des N. abducens und des N. oculomotorius auf
(„Unfallschwerpunkt“). Sie kann ein- oder beidseitig sein. Ursachen hierfür sind multiple Sklerose oder Durchblutungsstörungen. Die Schädigung macht sich durch den Ausfall konjugierter Augenbewegungen bemerkbar. Wenn,
wie hier dargestellt, eine Schädigung des linken Fasciculus longitudinalis medialis vorliegt,
kann der linke M. rectus medialis bei Blick nach
rechts nicht mehr aktiviert werden. Auf der
Seite der Läsion ist die Bewegung des Auges
nach innen nicht möglich (Ausfall M. rectus
medialis), auf der Gegenseite kommt es zum
Augenzittern in Richtung der gewünschten
Blickrichtung (M. rectus lateralis durch N. abducens innerviert, intakt). Reflektorische Bewegungen, wie z. B. die Konvergenzreaktion,
sind nicht beeinträchtigt, da weder eine periphere noch eine nukleäre Läsion vorliegt und
diese Reaktion nicht über den Fasciculus longitudinalis medialis vermittelt wird.
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