Für Gott und Gold – die iberische Expansion

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Spanischer Kolonialismus
Für Gott und Gold – die iberische Expansion
Zwei unbedeutende Königreiche am Rande Europas – Portugal und das spanische Kasti­lien –
begannen Ende des 15. Jahrhunderts auf unterschiedlichen neuen Hochseerouten ein Ent­
deckungswettrennen zu den indischen Gewürzinseln mit ihren märchenhaften Reich­tümern.
Damit wurde der Grundstein für das spanische Kolonialreich gelegt. Was waren die ersten
Schritte auf diesem Weg? Welche Ergebnisse brachten sie für die daran Beteiligten und
davon Betroffenen?
Der Darstellungsteil legt die Bedingungen, Ursachen und erste Schritte für die iberische Expansion dar. Auf d
­ ieser
Grundlage können Sie die spanische Überseepolitik jener Zeit analysieren und beurteilen.
1 2 Zeichnen Sie eine Verlaufsskizze zur ersten Etappe der iberischen Expansion und deren Ergebnissen.
Erörtern Sie, ob es gerechtfertigt war, die Inbesitznahme maurisch beherrschter Gebiete auf der iberischen
Halbinsel als Reconquista zu bezeichnen.
3 Erläutern Sie anhand der Karte D 1, in welche unterschiedlichen Bedeutungszusammenhänge die euro­
päischen Entdeckungsfahrten eingeordnet werden können.
4 Verfassen Sie aus der Sicht des Kolumbus passend zu den Abbildungen Q 1–Q 3 einen Bericht, der für das
spanische Königspaar bestimmt sein und die Unterstützung weiterer Expeditionen bringen soll.
5 Der deutsche Philosoph Georg Christoph Lichtenberg schrieb im 18. Jahrhundert: „Der Amerikaner, der
den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung“. Interpretieren und diskutieren Sie diesen
Ausspruch.
Ursachen und Anfänge der iberischen Expansion
Nachdem die aus Nordafrika stammenden muslimischen
Mauren 711 das Westgotenreich auf der iberischen Halb­
insel erobert hatten, versuchten die dort noch verbliebenen
christlichen Herrschaften immer wieder, das Land zurück­
zuerobern. Das Zurückdrängens der maurischen Herrschaft
erwies sich als langwierig und war von zahlreichen Rück­
schlägen geprägt. Durch die Beteiligung von Rittern, die
nicht aus dem iberischen Raum stammten, bekam die
Rückerorberung span. reconquista) bisweilen Kreuzzugs­
charakter. (Zu den Kreuzzügen vgl. Kapitel „Pilgerfahrten
und Kreuzzüge“ in diesem Heft.) Die Kreuzzugsidee jedoch
richtete sich bald nicht mehr nur auf eine Rückeroberung
ehemals christlicher Gebiete. Denn nach mehreren hundert
Jahren maurischer Herrschaft war es durchaus nicht einfach
zu entscheiden, wer denn nun ein Recht auf dieses Land
besaß. Zum Vergleich: Granada befand sich 781 Jahre un­
ter muslimischer Herrschaft, Konstantinolpel bzw. Istanbul
blickt heute auf ungefähr 560 Jahre islamischer Tradition
zurück. Der von Christen geführte Kampf gegen den „Glau­
bensfeind“ entwickelte damals jedoch eine solche Überzeu­
gungskraft, dass die „Rückeroberung“ Granadas 1492, des
letzten unabhängigen maurischen Gebiets auf iberischem
Boden, keiner weiteren Rechtfertigung ­bedurfte.
Von da an ging die Reconquista (Rückeroberung) naht­
los in die Conquista (Eroberung) über. Zwar hatten die ibe­
rischen Königreiche Portugal und Kastilien bis dahin bereits
Inseln und Hafenstädte außerhalb Europas erobert, doch
die systematische überseeische Expansion setzte erst jetzt
ein. Den Anstoß dazu gab der portugiesische Prinz Heinrich
„der Seefahrer“ (1394–1460). Er etablierte an der Südküste
Portugals ein Zentrum für Nautik und Schiffbau. Hier sam­
melte er kartographischen Informationen und ließ neue
hochseetaugliche Schiffstypen entwickeln, mit denen man
weite Strecken zurücklegen konnte. Heinrichs Ziel bestand
darin, den lukrativen Gewürzhandel im direkten Kontakt mit
Indien zu führen. Bisher war dieser Handel vor allem über
Venedig und die andere norditalienischen Fernhandelsstäd­
te gelaufen. Das schränkte die Gewinnmöglichkeiten ein,
denn die italienischen Zwischenhändler waren an hohen
Einnahmen interessiert. Weitere Einschränkungen erfuhr
der Gewürzhandel nach 1453, als Konstantinopel an die Os­
manen fiel. Damit standen die östlichen und südlichen Mit­
telmeerküsten vollständig unter muslimischer Herrschaft.
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Für Gott und Gold – die iberische Expansion
Eine direkte Schiffsverbindung, wie Heinrich sie sich vor­
stellte, war nur möglich, wenn der Seeweg um Afrika
herum erschlossen würde. 1498 gelang es dem portugie­
sischen Admiral Vasco da Gama, Indien auf dieser Route
zu erreichen. Das kleine Königreich Portugal scheute keine
Anstrengungen und unterwarf den Indischen Ozean mit
Hilfe neuartiger Schiffe und Feuerwaffen seiner Herrschaft.
Die übrigen Königreiche auf der Iberischen Halbinsel,
die sich im 16. Jahrhundert zum Königreich Spanien zusam­
menschlossen, wandte sich zunächst anderen Zielen zu.
Aragon orientierte sich auf den Mittelmeerraum und unter­
warf die Balearen, Sardinien, Sizilien und Süditalien. Kasti­
lien hatte bereits ab 1402 die im Atlantik gelegenen Kanari­
schen Inseln erobert. Sie dienten in späterer Zeit nicht nur
das Sprungbrett nach Amerika. All dies kann als Vorspiel
zur iberischen Conquista Amerikas gesehen werden.
Die erste Fahrt des Christoph Kolumbus
Kaum war 1492 die Reconquista auch für Kastilien abge­
schlossen, wurde von Ferdinand und Isabella „den Katho­
lischen Königen“ von Aragon und Kastilien ein Vertrag mit
Christoph Kolumbus unterzeichnet. Kolumbus, ein Genu­ese,
hatte dem Königspaar vorgeschlagen, für Kastilien ­einen
dritten Weg nach Indien zu erschließen: nicht über das Mit­
telmeer wie Venedig und nicht um Afrika herum wie die
Portugiesen, sondern mittels Querung des großen Ozeans
im Westen.
D1
Europäische Entdeckungsreisen
Die Portugiesen waren sich sicher, in wenigen Jahren die
Route nach Indien um Afrika herum erschlossen zu haben.
Die Westroute schien ihnen nicht interessant. Die spani­
schen Könige jedoch hatten bei einem derartigen Experi­
ment wenig, nämlich nur einige Schiffe, zu verlieren, aber
im Falle des Erfolgs sehr viel zu gewinnen: die Beteiligung
am direkten Gewürzhandel mit Indien. Daher stimmten sie
dem abenteuerlich klingenden Plan des Kolumubus zu.
1492 stach Kolumbus mit drei Schiffen vom südspani­
schen Palos aus in See. Von den Kanaren aus überquerte
er den Atlantik. In einem offiziellen Logbuch gab er stets
geringere Strecken an, die zu bewältigen waren, um die
Mannschaft nicht unnötig zu verunsichern. Denn keines­
falls alle Besatzungsmitglieder waren so überzeugt wie
ihr Admiral, dass sie im Westen auf Land stoßen würden,
bevor sie alle verhungert waren. Dass die Seeleute glaub­
ten, dass die Erde eine Scheibe sei, stimmt hingegen wohl
nicht. Jeder Seemann wusste, dass man immer zuerst die
Berggipfel oder Turmspitzen am Horizont sah, und konnte
sich damit die Erdkrümmung gut vorstellen.
Nach einer Überfahrt, in der die kleine Flotte länger als
einen Monat lang kein Land sichtete, stieß sie schließlich
auf die erste amerikanische Insel, die San Salvador („Heili­
ger Erlöser“) getauft wurde. Kolumbus hatte die Bahamas
in der Karibik erreicht. Bald musste er jedoch feststellen,
dass sich sein Dolmetscher, der neben Latein unter ande­
rem Arabisch sprach, in Amerika nicht verständlich machen
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Spanischer Kolonialismus
konnte. Damit erhärtete sich der Verdacht, dass man sich
nicht in der Nähe Indiens befand. An der Bezeichnung „Las
Indias“ für die von ihm gefundenen Küsten hielt Kolumbus
dennoch Zeit seines Lebens fest.
Die Karibische Etappe des spanischen Kolonialismus
Ohne den erwarteten und versprochenen Reichtum wollte
Kolumbus nicht nach Spanien zurückkehren. So versuchte
er nun, Gold zu finden. Die auf den Karibikinseln lebenden
Tainos verfügten tatsächlich über einiges Gold, das die Spa­
nier bald in ihren Besitz gebracht hatten. Zurück in Spa­
nien bauschte Kolumbus – der sich nunmehr „Admiral der
Weltmeere“ nannte – den Reichtum der Karibik gewaltig
auf und schilderte sie als Paradies auf Erden, das leicht zu
erobern, zu christianisieren und auszubeuten sei. Dies lös­
te in Kastilien eine erste Kolonisierungsbegeisterung aus,
die man als Beginn der spanischen Conquista Amerikas
Q1
Die Entdeckung der Antillen durch Kolumbus, Holzschnitt,
1493, Illustration aus dem Brief des Kolumbus an den
­spanischen Schatzmeister Luis Santangel, geschrieben am
15. ­Februar 1493
und gleichzeitig des spanischen Kolonialismus betrach­
ten kann. 1493 brach Kolumbus mit 17 Schiffen und ca.
1500 Menschen erneut nach Amerika auf und gründete auf
Haiti die erste spanische Stadt. Er nannte sie zu Ehren der
kastilischen Königin Isabela. Doch der Platz war ungüns­
tig gewählt, und bald schon zeigte sich, dass Kolumbus ein
schlechter Gouverneur war. Ungeschickt im Umgang mit
seinen Untergebenen und brutal gegenüber den Indigenen
machte er sich schnell Feinde. Viele Spanier waren dem Ad­
miral in dem Irrglauben gefolgt, dort in kürzester Zeit und
ohne körperliche Arbeit zu großem Reichtum zu gelangen.
Um seinen hohen Versprechungen zumindest in Teilen ge­
recht werden zu können, ließ Kolumbus Tainos und andere
dort lebende Indianer für die Spanier Gold schürfen. Als er
Menschen zum Verkauf als Sklaven nach Spanien schickte,
zeigte sich Königin Isabella schockiert. Die gesamte, so ge­
nannte „Karibische Etappe“ des spanischen Kolonialismus
Q2
Kolumbus baut auf der Insel Hispaniola ein Lager,
­Holzschnitt, 1493, Illustration aus dem Brief des
­Kolumbus an den spanischen Schatzmeister Luis
­Santangel, geschrieben am 15. Februar 1493
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Für Gott und Gold – die iberische Expansion
war geprägt von Misswirtschaft und hemmungsloser Aus­
beutung der indigenen Bevölkerung.
Die neu entdeckten Überseegebiete galten nicht als
Kolonien, sondern als Provinzen des Königreichs Kastili­
ens bzw. nach der Vereinigung von Kastilien und Aragon
als Provinzen Spaniens. Die Versklavung von Menschen
dieser neuen Provinzen wurde noch zu Zeiten des Kolum­
bus offiziell verboten. Alle ihre Bewohner, ob Spanier oder
Indigene , sollten als freie Untertanen behandelt werden.
In der Praxis jedoch wurden die Indigenen von Beginn an
unterdrückt. Als Gegenleistung galt, dass die Spanier ihnen
den „wahren Glauben“, (spanische) Kultur und (spanische)
Zivilisation beibrachten.
Die Zwangsarbeit, denen die Indigenen unterworfen
wurden, glich der Sklaverei. Schutzbestimmungen wurden
nicht beachtet, da es keine wirksamen Kontrollinstanzen
gab. Zudem gab es Ausnahmeregelungen, die die Sklaverei
Q3
Indianische Zigarrenraucher auf Kuba, Holzschnitt, 1493, Illust­
ration aus dem Brief des Kolumbus an den spanischen Schatz­
meister Luis Santangel, geschrieben am 15. Februar 1493
doch ermöglichten: Da Indigene außerhalb des spanischen
Machtbereichs nicht als freie Untertanen galten, wurden
auf den übrigen karibischen Inseln regelrechte Menschen­
jagden durchgeführt. Gab es Aufstände gegen die spani­
sche Herrschaft, dann durften die gefangenen Aufstän­
dischen versklavt werden. Eine weitere Gruppe, die aus
Spanischer Sicht für die Sklaverei in Betracht kam, bildete
das Volk der Cariben, nach dem das Karibische Meer be­
nannt ist. Die Spanier beriefen sich auf Aussagen der TainoIndianer und unterstellten den Kariben, Kannibalen zu sein.
Das galt als gotteslästerliche Sünde und diente ebenfalls
als ausreichendes Argument für deren Versklavung.
All diese Faktoren sowie auch von den Spaniern einge­
schleppte Krankheitserreger, gegen die die Immunsysteme
der Indigenen noch keine Abwehrstoffe hatten, führten
dazu, dass die indianische Bevölkerung in der spanischen
Karibik innerhalb dreier Jahrzehnte praktisch ausgerottet war.
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Spanischer Kolonialismus
Die Materialien verdeutlichen die unterschiedlichen Motive und Ziele, die einerseits die spanische Krone (Q 4)
und andererseits Seefahrer wie Kolumbus und Vespucci (Q 5, Q 8) mit den Entdeckungsfahrten verfolgten und
welche Einschätzungen es dazu gab (Q 6, Q 8). Diese Materialien geben Ihnen die Grundlagen, die unterschied­
lichen Perspektiven zu deuten und zu bewerten.
1 2 3 4 5 Das spanische Königspaar hatte lange gezögert, dem von Kolumbus vorgelegten Vertrag (Q 4) zuzustimmen.
Erörtern Sie, welche Gründe dafür vorlagen.
Erläutern Sie, ob und wenn ja, inwiefern die Entdeckungsreisen bereits den Keim des Kolonialismus in sich
tragen (Q 4, Q 6, Q 8).
Interpretieren Sie die Aussagen und die Perspektive, die der Darstellung Q 7 zugrunde liegen.
Vergleichen Sie Q 5, Q 6 und Q 8 miteinander: Beurteilen Sie interessen und Ziele für die Entdeckungsrei­
sen, die darin zum Ausdruck kommen.
Diskutieren Sie auf Grundlage von Q 5 und Q 8, ob man eher Kolumbus oder eher Vespucci „Entdecker
Amerikas“ nennen sollte.
Q5
Q4
Der Kronvertrag von Santa Fé
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Der Vertrag wurde zwischen Fray Juan
Pérez als Vertreter des Christoph Kolumbus, und Juan de Coloma als Vertreter der spanischen Könige, am 17. April
1492 in Santa Fé ausgehandelt, wo der
Hof damals residierte:
Don Fernando und Doña Isabella,
von Gottes Gnaden König und Königin
von Kastilien, León, Aragón, Sizilien,
Granada [etc. …]. Wir haben einige
Vertragstitel gesehen, die mit Unserem
Namen unterzeichnet, mit Unserem
Siegel gesiegelt und in dieser Weise abgefaßt sind.
Die erbetenen Titel und Rechte, welche Eure Hoheiten dem Don Cristóbal
de Colón gewähren und verleihen als
Belohnung für das, was er in den Ozeanischen Meeren entdeckt hat, und für
die Reise, die er jetzt mit Gottes Hilfe
im Dienste Eurer Hoheiten auf diesen
Meeren unternehmen soll, sind jene, die
im folgenden aufgeführt werden:
Zum ersten ernennen Eure Hoheiten
als Herrn über die genannten Ozeanischen Meere von heute an den genannten Don Cristóbal Colón zu ihrem Admiral über all jene Inseln und Festlande,
die von ihm und durch seine Bemühungen […] entdeckt und gewonnen werden, auf Lebenszeit, und nach seinem
Tod seine Erben und Nachkommen auf
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ewig, von einem zum anderen fortlaufend, und mit allen jenen Vorrechten
und Privilegien, die zu diesem Amt gehören […]. Ihre Hoheiten stimmen zu.
Johan de Coloma.
Ferner ernennen Eure Hoheiten den
genannten Don Cristóbal Colón zu ihrem Vizekönig und Generalgouverneur
aller genannten Inseln und Festlande, und Inseln, die er, wie erwähnt, in
den genannten Meeren entdeckt und
gewinnt. Für die Verwaltung von allen
und jeder einzelnen der Inseln und
Festlande wird er für jedes Amt drei
Personen vorschlagen, unter denen Eure
Hoheiten diejenige Person auswählen
werden, die für ihre Dienste am geeignetsten erscheint. […] Ihre Hoheiten
stimmen zu. Johan de Coloma.
Des weiteren wollen Eure Hoheiten,
daß […] er [Kolumbus] von dem, was
rein und unbelastet bleibt [d. h. von
dem Gewinn], den zehnten Teil haben
und einnehmen und damit nach seinem Gutdünken verfahren soll, wobei
die übrigen neun Teile für Eure Hoheiten bleiben. Ihre Hoheiten stimmen zu.
Johan de Coloma.
Dokumente zu Geschichte der europäischen
Expansion, Bd. 3: Die großen Entdeckungen,
hrsg. von Matthias Meyn, Manfred Mimler,
Anneli Partenheimer-Bein u. Eberhard Schmitt,
München 1984, S. 105–107, hier: S. 106–107.
Wertloses Gold?
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Aus dem Bordbuch des Christoph Kolumbus über die erste Landung in Amerika:
Samstag, den 13. Oktober […]
Ich bemerkte – und nicht nur ich! –,
daß manche Indianer die Nase durchlöchert und in die so entstandene Öffnung ein Stück Gold gesteckt haben. Sie
tauschen das Gold, das sie offenbar für
wertlos ansehen, gern gegen Glasperlen
ein, doch verbot ich diesen Tauschhandel sofort; das Gold gehört der Krone
allein! Ich fragte die Eingeborenen, woher das Gold stamme, und erfuhr, daß
es auf ihrer Insel gefunden werde, in
geringen Mengen nur, während es im
Süden ein Reich gebe, wo ein König aus
großen Gefäßen aus purem Gold esse
und trinke. Ich fragte weiter, ob dieses
Reich Cipango heiße, doch sie verstanden mich nicht.
Dennoch gibt es für mich keinen
Zweifel mehr: Der König ist derselbe,
dessen prächtige Stadt [der mittelalterlich China-Reisende] Marco Polo
beschrieben hat, und die Krieger, die
die Bewohner Guanahanis [der Insel,
auf der sich Kolumbus gerade befand]
dann und wann überfallen, sind Untertanen des Groß-Khans der Tartarei,
des kühnsten Kriegers und Räubers aller Zeiten, dem der Venezianer [Marco
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Polo] von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hat. Zu ihm mag es
wohl noch weit sein, aber nicht zu dem
König, der seinen Wein aus goldenen
Pokalen trinkt. Zu ihm wollen wir bald
weiterfahren.
Darstellung der Indianer als Kannibalen, Holzschnitt, 1493, Illustration aus
dem Brief des Kolumbus an den spanischen Schatzmeister Luis Santangel,
geschrieben am 15. Februar 1493
Columbus, Christoph: Das Bordbuch, hrsg. von
Robert Grün, Tübingen/Basel 1970, S. 94–99
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„Las Indias“?
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Fray Juan de Torquemada, ein franziskanischer Missionar, schrieb 1611:
Diejenigen, die den Admiral Don
Cristóbal Colón für einen großen Kosmographen halten, glauben, dass er [die
neu entdeckten Läner] im Hinblick auf
Ost-Indien so nannte. Sie glauben, dass
er, als er Las Indias entdeckte, Cipango
suchte, das nahe an China oder Catay
liegt […].
Aber viele glauben, dass es eine solche Insel nicht gibt. Andre sagen, dass
Colón keinen anderen Grund hatte,
sie „Indien“ zu nennen, als mit dieser
Benennung die Habsucht der Fürsten
anzufachen, mit denen er verhandelte,
und um seine Entdeckungsfahrt besser
zu rechtfertigen. Durch das Gold, Silber,
die Perlen und andere neu entdeckte
Gewürze, die er dort entdeckt und gefunden zu haben vorgab und die anders
sind als diejenigen aus unserer Weltgegend, sollten sie [seine Entdeckungen]
in Bezug auf Reichtum mit Ost-Indien
wetteifern lassen können.
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„Neue Welt“?
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Torquemada, Juan de: Monarquia Indiana, lib.
I, cap. VII, hrsg. v. Miguel León Portilla, México
1969, Bd. 1, S. 21, Übers. FH
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Aus einem Brief des Kosmographen
Amerigo Vespucci, der 1503 in vielen
Sprachen in Europa verbreitet wurde:
In den letzten Tagen habe ich Euch
ausführlich von meiner Rückreise aus
jenen neuen Regionen berichtet, die wir
mit der Flotte auf Kosten und im Auftrag des durchlauchtigsten Königs von
Portugal (woher ich Euch nun schreibe) erkundeten und entdeckten, und
die man als eine neue Welt bezeichnen
könnte, wo doch die Alten von diesen
Gebieten keine Kenntnis besaßen und
deren Existenz allen, die davon hören,
völlig neu ist. Denn in der Tat übersteigt
dies die Vorstellungen der Menschen
unserer Antike bei weitem, insofern
der Großteil von ihnen meinte, es gäbe
überhaupt kein Festland südlich des
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Äquators, sondern nur noch das Meer,
welches sie Atlantik nannten; und selbst
wenn einige wenige behaupteten, dass
dort Festland läge, so erklärten sie doch
mit vielen Argumenten, dass dieses Land
nicht bewohnbar wäre. Dass aber diese
ihre Vorstellung falsch ist und der Wahrheit in keiner Weise entspricht, hat diese
meine letzte Seefahrt bewiesen, da ich in
jenen südlichen Breiten einen Kontinent
fand, der mit Völkern und Tieren dichter bevölkert ist als unser Europa oder
Asien und Afrika, und darüber hinaus
ein Klima, das gemäßigter und angenehmer ist als in irgendeiner anderen uns
bekannten Weltgegend […].
Die Eroberung einer neuen Welt. Päkolumbi­
sche Kulturen, europäische Eroberung, Koloni­
alherrschaft in Amerika, hrsg. von Hans-Jochen
König, Michael Riekenberg u. Stefan Rinke,
Schwalbach/Ts. 2005, S. 88
zusammenfassende aufgaben
I Die Suche nach Gold war für die Entdecker von zentraler Bedeutung. Kolumbus erwähnt Gold in seinem
T­ agebuch während der ersten Reise an 65 Stellen. Recherchieren Sie, welche Bedeutung diesem Edel­
metall für die indigenen Völker und für die Europäer hatte und legen Sie die Folgen dar.
Zugehörige Unterlagen
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