Selig die im Herzen Reinen

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Gottesdienst vom 24.4.2016, EMK Solothurn
Thema: Selig die im Herzen Reinen
"Selig die im Herzen Reinen, denn sie werden Gott schauen." (Matth 5,8)
Wir sind mittlerweile bei der sechsten Seligpreisung angekommen. „Selig die im Herzen
Reinen“ Was könnte damit gemeint sein?
Zunächst eine kleine Bemerkung zum „Herz“: Wir reden vom Herz, wenn wir von Gefühlen
reden – oft im Gegensatz zum Verstand. Kopf und Herz sehen wir oft als zwei verschiedene
Dinge. In der hebräischen Denktradition ist das etwas anders. Da ist das Herz das Zentrum
der Person schlechthin, nicht nur die Gefühle werden im Herzen angesiedelt, sondern auch
das Denken und der Wille.
Wenn Jesus von den im Herzen Reinen redet, meint er also den ganzen Menschen - mit
seinem Denken, Fühlen und Wollen. Selig, wer in seinem Denken, Fühlen, Wollen rein ist.
Was bedeutet aber rein? In der Welt Jesu war klar, was mit Reinheit gemeint war. Reinheit
war die Bedingung, um mit dem heiligen Gott in Kontakt zu kommen. In Psalm 24,3f lesen wir:
„Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer
unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist.“ Reinheit meint also: Gemeinschaftsfähigkeit
mit Gott.
Wir finden in der Thora viele Ausführungen dazu, wie jemand seine Reinheit bewahrt. Und es
steht geschrieben, was zu tun ist, wenn man sie verliert. Unrein wird man zum Beispiel, wenn
man mit Blut oder toten Lebewesen in Berührung kommt. Wenn man oder frau unrein
geworden ist, muss man gewisse rituelle Reinigungsakte vollziehen, dann ist man wieder rein
und kann mit Gott Gemeinschaft haben.
Zu der Zeit Jesu waren die Pharisäer diejenigen, die am genausten auf Reinheit achteten. Sie
hielten sich peinlich genau an die Reinheitsvorschriften und hielten sich von allem fern, was
verunreinigte. Sie wollten für Gott heilig sein - auch im Alltag. Sie sonderten sich darum sehr
bewusst ab. Das Wort Pharisäer heisst: die Abgesonderten.
Ganz anders Jesus. Einer der Grundkonflikte zwischen ihm und den Pharisäern bestand
darin, dass er die Reinheit ganz anders verstand als sie. In den Augen der Pharisäer
verunreinigte Jesus sich ständig – weil er zum Beispiel mit Personen Kontakt pflegte, die als
unrein galten oder weil er und seine Jünger sich nicht an alle Speisevorschriften hielten.
Jesus hatte ein anderes Verständnis, was Reinheit bedeutete. Er dachte radikal anders als
die Pharisäer in der Frage, woher Unreinheit kommt. Die Pharisäer wollten sich rein halten,
indem sie sich von allem Unreinen fern hielten; weder assen sie unreine Speisen noch
pflegten sie Kontakt mit unreinen Menschen; dazu zählten die sogenannten Heiden (also
nichtjüdische Menschen, die sich nicht an das Mosaische Gesetz hielten), dazu zählten
Kranke, Prostituierte oder auch Hirten, weil diese oft mit toten Tieren in Berührung kamen,
wodurch sie verunreinigt wurden). Die Pharisäer sonderten sich ab - in der Annahme, dass
sie so gottgefällig leben würden. Denn so konnte keine Verunreinigung an sie herankommen.
Nach ihrem Verständnis kam die Unreinheit von aussen.
Nach Jesus aber kommt die Unreinheit des Menschen von innen her, man könnte auch
sagen: vom Herzen. In der Auseinandersetzung mit Pharisäern sagte er einmal in Bezug auf
Speisen: "Nicht das, was ein Mensch durch den Mund in sich aufnimmt, macht ihn unrein,
sondern, was aus seinem Mund herauskommt." (Mt 15,11)
Ich glaube, dass es mit diesem Verständnis der Reinheit zusammenhängt, was Jesus den
Pharisäern zum Vorwurf machte (und, nebenbei gesagt, ich rede ja nur deshalb so
ausführlich von den Pharisäern, weil auch wir ChristInnen immer in der Gefahr stehen,
pharisäisch zu werden). Jesus warf ihnen ihre Heuchelei und ihre Selbstgerechtigkeit vor.
Wie hängt das mit dem Verständnis von Reinheit zusammen? Bei den Pharisäern hängt die
Reinheit von dem ab, was von aussen kommt. Daher kann man auch von aussen sehen, ob
sich jemand rein hält oder sich verunreinigt. Man sieht es, ob jemand sich verunreinigt, weil er
mit kranken oder mit heidnischen Personen in Berührung kommt, man sieht ob jemand mit
Menschen in Kontakt kommt, die sich von Berufs wegen ständig verunreinigen, man sieht, ob
jemand die vorgeschriebenen Waschungen macht etc. So verschiebt sich unversehens der
Blickwinkel: Der Glaube orientiert sich plötzlich überhaupt an dem, was von aussen einsehbar
ist. Es geschieht bestimmt meistens unbewusst, aber das ist das Heuchlerische bei den
Pharisäern und oft genug bei uns ChristInnen: Wir orientieren uns daran, wie wir von aussen
wirken. Jesus bezeichnet zum Beispiel diejenigen als Heuchler, die beim Beten darauf
achten, welchen Eindruck sie auf die menschlichen Zuhörer/Zuschauer machen. Darin
besteht die Heuchelei beim Beten, dass wir uns gar nicht mehr an Gott orientieren, sondern
an den Zuschauern. Oder wenn jemand beim Almosengeben darauf schaut, dass es alle
sehen, dann geht es plötzlich nicht mehr darum, dass dem Bedürftigen geholfen wird. Dann
wird der in Not Geratene ein Mittel für meine Selbstdarstellung.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht. Ich beobachte jedenfalls bei mir immer wieder, wie ich
mich davon leiten lasse, wie ich auf meine Mitmenschen einen guten Eindruck machen kann.
Mit wem ich mich abgebe und von wem ich mich fern halte, hat ganz oft damit zu tun, welche
Erwartungen ich spüre. Oder in Gebeten höre ich mich plötzlich Dinge sagen, die ich
eigentlich nicht Gott sage, sondern meinen Mitmenschen.
Das meint Jesus mit Heuchelei, dass wir vordergründig den Willen Gottes tun wollen, aber
unbewusst orientieren wir uns an unseren Mitmenschen. Wir möchten korrekt und vorbildlich,
untadelig und rein leben – und orientieren uns vor allem daran, dass wir vor allem in den
Augen unserer Mitmenschen so dastehen.
Der andere Vorwurf von Jesus an die Pharisäer war der, dass sie sich wegen ihrer heiligen
Lebensweise den sogenannt Unreinen unglaublich überlegen fühlten. Diese
Selbstgerechtigkeit spricht Jesus zum Beispiel im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner an, die
im Tempel beten (Lk 18,9-14). Da betet der Pharisäer: "Ich danke dir, dass ich nicht so bin,
wie jener Zöllner dort." Und dann zählt er all die Dinge auf, die man von aussen sieht und die
ihn als gottesfürchtigen Mann ausweisen. Ich glaube, dass dieses Gebet durchaus ernst
gemeint war. Pharisäer sind sich nicht bewusst, wie sie in ihrem Bestreben, gottgefällig zu
leben, sich genau so verhalten, dass Gott keinen Gefallen daran hat. Denn Gott, so wie er
sich in Jesus Christus offenbart hat, will ja nicht, dass wir uns voneinander fern halten oder
dass wir andere verachten, sondern er will eine neue Gemeinschaft stiften, die von Frieden
und Gerechtigkeit, von Liebe und gegenseitiger Achtung geprägt ist und die Geringsten mit
einschliesst.
Jetzt habe ich vor allem davon geredet, was Reinheit nach Jesus nicht bedeutet. Was
Reinheit positiv formuliert ist, sehen wir auch in jenem Gleichnis vom Zöllner und vom
Pharisäer. Der Zöllner pflanzt sich nicht vorne im Tempel auf. Er bleibt hinten. Sein Gebet
lautet: "Gott, sei mir Sünder gnädig." Dieser Zöllner, so sagt Jesus, ging gerechtfertigt nach
Hause.
Jesus verlangt nicht, dass wir einen, untadeligen und in diesem Sinn reinen Lebenswandel
haben, damit wir zu Gott kommen dürfen. Nein, er lädt uns ein, so zu Gott zu kommen, wie
wir sind – mit aller Unreinheit und allem, was uns von Gott trennt.
Gemeinschaftsfähigkeit mit Gott ist nichts, was wir Menschen herstellen oder uns bewahren
können. Im Gegenteil: Jesus weiss darum, dass die Unreinheit aus unserem Herzen kommt.
Darum kann nur Gott uns rein machen. Diese Erkenntnis steht natürlich auch schon im Alten
Testament, zum Beispiel im Ps 51, wo jemand betet (V12): „O Gott, schaffe in mir ein reines
Herz.“ Gott ist es, der uns durch seinen Geist rein und unsere Herzen neu macht.
Was heisst es demnach, ein reines Herz zu haben? Ein reines Herz ist eines, , das weiss,
dass es auf Gottes Gnade angewiesen ist, ein Herz, das sich nichts einbildet auf den
Lebenswandel oder auf die eigene Frömmigkeit, ein Herz, das sich selbst und den
Mitmenschen und Gott nichts vormacht. Ein reines Herz ist eines, das im Bewusstsein zu Gott
kommt: Da gibt es vieles, was gut ist in meinem Leben, aber auch vieles, was fragwürdig ist.
Ich komme mit meinem getrübten Denken, mit meinem Fühlen, das mich immer wieder in die
Irre leitet, mit meinem schwachen Willen. Mit all dem komme ich, weil ich weiss, dass Gott
mich in seiner Bermherzigkeit annimmt.
Wer seine Frömmigkeit anderen zur Schau stellt, wer sich daran orientiert, wie er/sie auf
andere Menschen wirkt, steht ständig in der Gefahr, heuchlerisch oder selbstgerecht zu
werden.
Ein reines Herz ist eines, das sich allein an Gott orientiert. Und da verlieren wir uns Masken,
da verlieren wir jede Selbstgerechtigkeit. Da sagen wir: "Gott, sei mir Sünder gnädig."
Nun wird auch klar, was die Verheissung bedeutet, dass diejenigen mit einem reinen Herzen
Gott schauen werden: Nur die Reinen im Herzen werden erkennen, wie Gott wirklich ist. Wer
sich auf seinen frommen Lebenswandel etwas einbildet, wird nie verstehen, wer Gott ist. Er
wird immer nur sein Bild eines Gottes vor Augen haben, der die Guten belohnt und die Bösen
bestraft, der die „Reinen“ annimmt und die „Unreinen“ verwirft, der Leistung anerkennt und
Versagen verabscheut.
Der Mensch aber, der um sein unreines Herz weiss und darum, dass Gott dieses Herz nimmt,
sieht Gott. Wer weiss, dass er Gott nichts zu bieten hat und Gott ihn trotzdem annimmt, sieht
Gott. Er sieht den Gott, der gnädig und barmherzig ist, geduldig und von grosser Güte.
Amen
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