Stillempfehlung bei HCV-infizierten Müttern Susanne Polywka und Rainer Laufs Institut für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, 20246 Hamburg, tel.: 040 42803 3147, e-mail: [email protected] Das Risiko einer Übertragung des Hepatitis-C-Virus (HCV) von einer infizierten Mutter auf ihr Kind liegt bei ca. 4% (1). Nach unseren Ergebnissen, die auf der Untersuchung von 616 Kindern HCV-positiver Mütter basieren, erfolgt die Infektion oft bereits im Mutterleib, sodass sich das Risiko auch durch eine Schnittentbindung nicht senken lässt. Das gleiche Ergebnis erhielten wir auch, als wir unsere Daten mit anderen Zentren in ganz Europa im Rahmen unseres Europäischen Pädiatrischen HCV Netzwerkes (EPHN) verknüpften (2). Hier überblicken wir derzeit ein Kollektiv von 1474 HCV-exponierten Kindern. Von den vaginal entbundenen Kindern erwiesen sich in dieser Studie 9,9% als infiziert, von den durch Schnittentbindung geborenen Kindern waren es mit 8,3% nicht signifikant weniger. Wir haben schon 1999 beschrieben, dass in unserem Kollektiv keine einzige untersuchte Milchprobe von HCV-infizierten Müttern HCV-RNA enthielt (3, 4, 5). Insgesamt konnten wir bisher 164 Milchproben von 142 chronisch HCV-infizierten Müttern untersuchen. Da sich die Zusammensetzung der Milch mit zunehmender Reife sehr verändert, wurden die Milchproben zwischen dem 31. Tag vor und dem 384. Tag nach der Entbindung entnommen (Median: 4 Tage nach der Entbindung). Die frühe Milch bis etwa zum 14. Tag nach der Entbindung ist sehr zellreich, danach sinkt die Konzentration der Zellen zunehmend; für eine Virusübertragung sind besonders virushaltige Zellen von Bedeutung. Obwohl die Mütter, bei denen wir parallel zur Muttermilch auch die HCV-RNA im Blut untersuchen konnten, in der Mehrzahl virämisch waren mit Viruskonzentrationen zwischen 102 und 107 Kopien/ml (Median: 9x103 Kopien/ml), konnten wir bisher in keiner Muttermilch HCV-RNA nachweisen. Wenn wir diese Milch mit dem Serum eines bekannt positiven, virämischen Patienten versetzten, so konnten wir hier jeweils die HCV-RNA aus dem zugesetzten Serum wieder nachweisen, d.h. die Bestandteile in der Milch inhibieren nicht den Ablauf der PCR. Auch waren bei uns die Infektionsraten der gestillten (3,9%) und der nicht-gestillten Kinder (2,6%) nicht signifikant unterschiedlich. Auch hier haben wir, um diese Daten durch Einbeziehung eines größeren Kollektivs weiter abzusichern, unsere Ergebnisse im Rahmen des EPHN mit denen anderer Zentren verknüpft; auch in diesem großen Kollektiv von 1424 HCV-exponierten Kindern unterschieden sich die Infektionsraten der gestillten (8,3%) und der nicht-gestillten Kinder (9,5%) nicht signifikant voneinander (2). Diese Ergebnisse zeigen, dass eine Infektionsgefährdung durch das Stillen des Kindes nicht gegeben ist. Besonders am Anfang, kurz nach der Einführung der ersten HCV-Antikörpertests und der Polymerasekettenreaktion zum Nachweis der HCV-RNA gab es sehr unterschiedliche Angaben über die Möglichkeit der Virusübertragung durch Muttermilch. Dies lag v.a. daran, dass die Methode, die zum Nachweis der HCV-RNA aus dem Serum etabliert worden war, sich nicht problemlos auf eine Milchprobe anwenden ließ. Eine kürzlich veröffentlichte Beurteilung der nationalen Stillkommission stuft die Übertragung des Hepatitis-C-Virus durch das Stillen als unwahrscheinlich ein, schließt diese aber nicht vollständig aus (6). Dabei beruft sich die Kommission auf Untersuchungsergebnisse einer spanischen Studie (7). Hier wurde ein sehr viel kleineres Kollektiv von nur 68 Milchproben untersucht. Die PCR-Methodik dieser Studie ist aber sehr unzuverlässig. So bezeichnen die Autoren 8 untersuchte Kinder als HCV-infiziert, davon hatten aber 7 nur ein einziges Mal ein positives PCR-Ergebnis und keines dieser 7 Kinder entwickelte Antikörper, d.h. letztendlich erwiesen sie sich als nicht-infiziert. Dies zeigt, dass hier bei nicht-infizierten Patienten falsch positive PCR-Ergebnisse erhoben wurden. Bei unseren HCV-exponierten Kindern, von denen sich 24 als infiziert erwiesen, konnten wir solche Ergebnisse nicht sehen; vielmehr kam es bei 95% der infizierten Kinder zu einem chronischen Verlauf mit anhaltend oder intermittierend positiver HCVPCR. Eine Ausheilung der Infektion konnten wir bislang nur bei einem Kind nachweisen. Offenbar gibt es also einen nicht unerheblichen Teil falsch positiver PCR-Ergebnisse in der spanischen Studie. Demzufolge konnten die Autoren auch in 5,9% der untersuchten Milchproben ein positives PCR-Ergebnis finden, aber die Infektionsraten der gestillten Kinder waren auch hier nicht höher als die der nicht-gestillten Kinder. Deshalb raten auch diese Autoren trotz dieser PCR-Ergebnisse nicht vom Stillen ab. Durch Einbeziehung einer möglichst großen Zahl von HCV-positiven Müttern und deren Kindern sowie durch die Untersuchung zahlreicher Muttermilchproben bemühen wir uns, eine Entscheidungshilfe zu bieten. Basierend auf unseren Ergebnissen sehen wir kein erhöhtes Risiko der HCV-Infektion bei einem gestillten Kind. Wir raten deshalb Frauen mit einer chronischen HCV-Infektion nicht vom Stillen ab. Nur im Fall einer zum Ende der Schwangerschaft oder während der Stillzeit frischerworbenen HCV-Infektion können wir dieses Risiko noch nicht abschließend bewerten. Hier ist mit einer sehr viel höheren Viruskonzentration bei gleichzeitig noch fehlender, neutralisierender Immunantwort zu rechnen, und daraus kann eine leichtere Übertragung des Virus resultieren. Solche akuten Infektionen sind aber in der Schwangerschaft sehr selten; nur eine von 513 Müttern unserer Studie wurde in der Schwangerschaft frisch infiziert, bei allen anderen Müttern war die Infektion bereits chronisch. Wir sind weiterhin sehr daran interessiert, diese Ergebnisse durch Untersuchung weiterer Mutter-Kind-Paare und der entsprechenden Milchproben zu überprüfen. Empfehlung Wir empfehlen Frauen mit einer chronischen HCV-Infektion folgendes Vorgehen: • Eine Entbindung durch einen Kaiserschnitt ist nicht erforderlich, da dadurch das Infektionsrisiko des Kindes nicht gesenkt werden kann. • Wenn möglich sollten diagnostische Eingriffe vor der Geburt wie z.B. Fruchtwasseruntersuchungen vermieden werden, da es durch eine solche Maßnahme zur Infektion kommen kann. • Die von der Mutter auf das Kind übertragenen HCV-Antikörper bleiben ca. ein Jahr lang nachweisbar. Während dieser Zeit ist die Infektion des Kindes nur durch eine Bestimmung der HCV-RNA aus dem kindlichen Blut nachzuweisen bzw. auszuschließen. Diese Untersuchungen sind bereits gegen Ende der ersten Lebenswoche möglich und sinnvoll, da nur bei einer so frühzeitig begonnenen Diagnostik eine Unterscheidung zwischen vor oder nach der Geburt erworbener Infektion möglich ist. • Die Kinder sollten danach in ca. dreimonatigen Intervallen auf Antikörper und HCVRNA nachuntersucht werden, bis die mütterlichen Antikörper vollständig abgebaut sind. Dies ist nach spätestens 18 Monaten der Fall. • Frauen mit einer HCV-Infektion bieten wir die Untersuchung ihrer Milch auf HCV-RNA an, um ihnen eine zusätzliche Sicherheit zu geben. Wir sind sehr daran interessiert, den Stellenwert unserer bisherigen Empfehlungen durch Einbeziehung zusätzlicher Mütter, Kinder und Milchproben weiter abzusichern. Es sollte vermieden werden, dass HCV-positive Mütter durch anderslautende Empfehlungen in ihrem Stillverhalten verunsichert werden. Herr Prof. Dr. Rainer Laufs und Frau Dr. med. Susanne Polywka leiten das Hep-Net Teilprojekt „Vertikale Übertragung der Hepatitis C“. Einzelheiten zu dem Projekt erfahren Sie www.kompetenznetz-hepatitis.de/ueber_hep-net/hep_net/info/kf-vu.htm Literatur 1. Polywka S., Feucht H., Zöllner B., Laufs R. 1997. Hepatitis C virus infection in pregnancy and the risk of mother-to-child transmission. Eur. J. Clin. Microbiol. Infect. Dis. 16 : 121-124. 2. European Paediatric Hepatitis C Network. 2001. Effects of mode of delivery and infant feeding on the risk of mother-to-child transmission of hepatitis C virus. Brit. J. Obstet. Gynaecol. 108 : 371-377. 3. Polywka S., Schröter M., Feucht H., Zöllner B., Laufs R. 1999. Low risk of vertical transmission of hepatitis C virus by breast milk. Clin. Infect. Dis. 29 : 1327-1329. 4. Polywka S., Schröter M., Feucht H., Laufs R. 2000. Die vertikale Übertragung des Hepatitis-C-Virus. Med. Welt 11: 337-340. 5. Polywka S., Laufs R. 1999. Die vertikale Übertragung des Hepatitis-C-Virus von infizierten Müttern auf ihre Kinder. Bundesgesunheitsbl. 42: 562-568. 6. Empfehlung der Nationalen Stillkommission vom 19. März 2001 in Abstimmung mit der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernähung und der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie. 2002. Hepatitis C und Stillen. Bundesgesundheitsbl. 45: 1013-1014. 7. Ruiz-Extremera A., Salmeron J., Torres C., De Rueda P., Gimènez F., Robles C., Miranda M. 2000. Follow-up of transmission of hepatitis C to babies of human immunodeficiency virus-negative women : the role of breast-feeding in transmission. Pediatr. Infect. Dis. J. 19: 511-516. Datum: 03.03.2003 Autoren: Fr. Dr. S. Polywka, Hr. Prof. Dr. R. Laufs