Fortbildung Vol. 26 Nr. 1 2015 Wenn Kinderherzen rasen: Supraventriku­läre Tachykardien – ein aktueller Überblick Florian Berger, Matthias Gass, Christian Balmer, Zürich Einleitung Klinik Herzrhythmusstörungen können prinzipiell in jedem Alter auftreten. Dabei machen supraventrikuläre Tachykardien (SVT) bei Kindern mit einer Inzidenz von 0.1–0.4 % den grössten Anteil der tachykarden Rhythmusstörungen aus. Ventrikuläre Tachykardien sind mit einer Inzidenz von 0.002–0.008 % sehr viel seltener. Ursächlich bei SVTs kann ein ReentryMechanismus oder eine fokale Aktivität sein. Der Vorhof ist dabei ein essentieller Bestandteil des Tachykardie-Mechanismus. Um eine chronische Tachykardie bei Kindern zu erkennen, ist die Kenntnis der altersentsprech­ enden Normwerte erforderlich (Abb 1). Ansonsten kann eine leichte Erhöhung der Herzfrequenz in der Sprechstunde leicht verpasst werden. Ja nach Alter des Patienten ist die Präsentation der SVT unterschiedlich: Pränatal wird eine SVT häufig nicht erkannt. Kurz andauernde SVTs haben keine klinische Relevanz, längerdauernde Tachykardien können jedoch über eine kongestive Herzinsuffizienz selten auch zum Hydrops fetalis führen. Säuglinge sind meist asymptomatisch oder zeigen, vor allem nach längeren Tachykardien, Zeichen der Herzinsuffizienz mit vermehrtem Schwitzen, Blässe, Trinkschwäche sowie Stauungszeichen wie Tachydyspnoe und Hepatomegalie. Alter (Klein-) Kinder und Jugendliche klagen in unterschiedlichem Ausmass über Herzrasen, Brustschmerzen, Angstzustände, Leistungs- min. HF/Min. max. HF/Min. Tage 1–2 123 159 Tage 3– 6 129 166 Wochen 1–3 107 182 Monate 1–2 121 179 Monate 3–5 106 186 Monate 6–11 109 169 Jahre 1–2 89 151 Jahre 3– 4 73 137 Jahre 5–7 65 133 Jahre 8–11 62 130 Jahre 12–15 60 119 Abb 1: Altersabhängige Normwerte der Herzfrequenz in Schlägen/Min. Abb 2: Ableitung V5 einer Präexzitation: delta-Welle (Pfeil) sowie verkürzte PQ-Zeit 8 intoleranz, Dyspnoe, Schwindel und selten Synkopen. Bei Schulkindern oder Jugendlichen gelingt es gelegentlich bereits anamnestische Hinweise auf den Tachykardiemechanismus zu gewinnen. So kommt es bei der AV Knoten Reentrytachykardie (AVNRT) zu unangenehmen Pulsationen in den Jugularvenen («es klopft im Hals»). Permanente (incessant) Tachykardien bleiben häufig lange unbemerkt, da hier die Herzfrequenz nur gering erhöht ist. Im schlimmsten Fall kann sich eine tachykardieinduzierte Kardiomyopathie mit Kardiomegalie und Klappeninsuffizienz entwickeln. Diagnostik Im Oberflächen-EKG zeigen SVTs typischerweise schmale QRS-Komplexe, weil die ventrikuläre Erregung über das normale Reizleitungssystem erfolgt. Ausnahmsweise kann eine SVT auch mit breitem QRS-Komplex einhergehen. Bei einer Tachykardie mit breiten QRS-Komplexen muss diese bis zum Beweis des Gegenteils als ventrikuläre Tachykardie beurteilt werden, auch wenn sich eine SVT mit aberranter Überleitung dahinter verbergen könnte. Bei der Dokumentation der Tachykardie im Rhythmusstreifen oder LangzeitEKG geben Beginn und Ende der Tachykardie entscheidende Hinweise auf den Entstehungsmechanismus: So handelt es sich bei plötzlichem Beginn (paroxysmal) und plötzlichem Ende am ehesten um einen Reentry-Mechanismus, häufig ausgelöst durch eine Extrasystole, wohingegen eine kontinuierliche Zu- und Abnahme («warming up» und «cooling down») der Herzfrequenz eher typisch ist für automatische Tachykardien (z.B. ektope atriale Tachykardie). Die AV-Reentrytachykardie (AVRT) ist die häufigste Form der SVT im Kindesalter. Neben dem AV-Knoten existiert zwischen Vorhof ­und Ventrikel eine zusätzliche Leitungsbahn (ak­zessorische Leitungsbahn) mit unter­s chied­lichen Leitungseigenschaften (Leitungsgeschwindigkeit und Refraktärzeit). Im Sinusrhythmus kann über die akzessorische Bahn das ventrikuläre Myokard vorzeitig erregt werden, bevor die Erregungsausbreitung über den normalen Weg via AV-Knoten stattfinden kann (Präexzitiation). Auf dem EKG verkürzt sich die PQ-Zeit zu Gunsten einer delta-Welle, welche der Darstellung der vorzeitigen Kammererregung im QRS-Komplex entspricht (Abb 2). Kommt es durch eine supraventrikuläre Extrasystole zur vorzeiti- Fortbildung Vol. 26 Nr. 1 2015 gen Erregung im Vorhof, ist die akzessorische, schnell leitende Bahn noch unidirektional blockiert und der AV-Knoten (langsamer Schenkel) allein leitet die Erregung antegrad auf die Kammer. In der Zwischenzeit ist die akzessorische Bahn nicht mehr refraktär und leitet den Impuls retrograd zum Vorhof zurück, sodass bei Persistenz daraus ein kreisender Erregungsablauf (Reentry) resultiert. Das Wolff-Parkinson-White (WPW)-Syndrom beinhaltet das Vorliegen einer Präexzitation und einer AV-Reentrytachykardie. Da die Kammer in der Tachykardie ausschliesslich über den AV-Knoten erregt wird, ist die deltaWelle nicht sichtbar. In 90 % läuft die Erregung antegrad über den AV-Knoten und gelangt retrograd via akzessorische Bahn zurück zum Atrium: orthodrome Tachykardie (Abb. 3e). In 10 % läuft die Erregung jedoch antegrad über die akzessorische Bahn auf den Ventrikel und via AV-Knoten retro- grad zurück zum Vorhof. Aufgrund der alleinigen Kammererregung über die aberrante Bahn resultiert im EKG eine maximale Präexzitation mit breiten QRS-Komplexen: antidrome Tachykardie. Beim concealed (verborgenen) WPW-Syndrom leitet das akzessorische Bündel ausschliesslich retrograd vom Ventrikel auf den Vorhof, weshalb im Ruhe-EKG keine delta-Welle sichtbar ist. Eine seltene, prognostisch aber wichtige AVReentrytachykardie ist die permanente junktionale Reentrytachykardie (PJRT), mit unauffälligem EKG im Sinusrhythmus. Hier leitet die akzessorische Bahn nur retrograd und mit verzögernden Leitungseigenschaften ähnlich denen des AV-Knotens, weshalb die Herzfrequenz nur unwesentlich erhöht ist. In der Tachykardie sind die PWellen negativ in II, III und aVF (Abb. 3f). Da die Tachykardie nicht schnell und anhaltend ist, fallen die Patienten in der Regel erst mit den Zeichen der Tachykardiomyopathie auf. Ein WPW-Syndrom kann dann lebensgefährlich sein, wenn die akzessorische Bahn Vorhofflimmern schnell auf die Kammer überleitet. Auf diese Weise kommt es zum tödlichen Kammerflimmern, was beim Gesunden durch die bremsende Wirkung des AV-Knotens verhindert wird. Da Vorhofflimmern auch schon bei Kindern mit WPW-Syndrom in seltenen Fällen auftreten kann, ist eine entsprechende Aufklärung der Familie über das Risiko des plötzlichen Herztodes wichtig. Die Therapie der Wahl ist heutzutage die Radiofrequenzablation der akzessorischen Bahn im Rahmen einer elektrophysiologischen Untersuchung. Zweithäufigste Form der SVT ist die AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT). Hier sind zwei Leitungsbahnen im AV-Knoten angeboren, ein langsam und ein schnell leitender Schenkel (Abb. 3d). Bei der typischen AVNRT läuft die Erregung analog zur AVRT, solange der schnelle Schenkel noch refraktär ist, entlang des langsamen Schenkels auf die Kammer, um anschliessend über den inzwischen erholten schnellen Schenkel wieder nach oben zu steigen. Im EKG sind die PWellen meist vom QRS-Komplex überlagert und kaum bis nicht erkennbar (Abb. 4). Durch die simultane Erregung von Vorhof und Kammer kontrahiert der Vorhof gegen die geschlossene AV-Klappe, was die Patienten als herzfrequenzsynchrone Palpitation im Hals verspüren bzw. als Jugularvenenpulsation sichtbar ist. Ausserdem reduziert sich das Herzzeitvolumen, was sich klinisch als Schwindel äussern kann. Intraatriale Reentrytachykardien (IART) treten bei herzgesunden Kindern extrem selten auf, jedoch häufiger nach Herzoperationen mit Narbenbildung oder Dilatation im Vorhofbereich. Bedingt durch die steigende Zahl der herzoperierten Patienten, welche das Jugendlichen- und Erwachsenenalter erreichen, nimmt die Häufigkeit dieser Tachykardien stetig zu (Abb. 3c). Abb 3: Auswahl von möglichen Mechanismen für eine Schmalkomplextachykardie. Jeweils abgebildet sind Sinusknoten (SK), AV-Knoten (AVK), sowie His-Bündel und Faszikel, welche die Erregung auf die Ventrikel überleiten. Extremitätenableitung II zeigt den Vektor der P-Welle sowie deren zeitliches Verhältnis zum QRS-Komplex. Sinustachykardie (a), ektope atriale Tachykardie (b), Intraatriale Reentrytachykardie bzw. Vorhofflattern (c), AV-Knoten-Reentrytachykardie (d), orthodrome Tachykardie bei WPW-Syndrom (e), permanente junktionale Reentrytachykardie (f). 9 Das typischerweise rechtsseitige Vorhofflattern ist eine Sonderform der IART. Die Erregung läuft gegen den Uhrzeigersinn am Vorhofseptum hoch, an der lateralen Wand des rechten Vorhofs nach unten und anschlies­ send durch den Isthmus zwischen Vena cava inferior und Trikuspidalklappenanulus zurück zum Vorhofseptum. Dabei entstehen die klassischen sägezahnartigen Flatterwellen in den inferioren Ableitungen II, III und aVF. Fortbildung Anders als bei den Reentrytachykardien entsteht die ektope (oder fokale) atriale Tachykardie (EAT) durch einen lokalisierten Fokus im Vorhof mit getriggerter oder autonomer Aktivität. Dabei ändert die P-Welle in Abhängigkeit der Lokalisation des Focus ihren Vektor und ihre Morphologie (Abb. 3b). Elektrokardio­ graphisch wechselnde P-Wellenmorphologie aufgrund multipler Foci sieht man bei der multifokalen atrialen Tachykardie. Zwei Drittel aller Foci sind im rechten Vorhof lokalisiert, hier insbesondere im Bereich der Crista terminalis. Ein Drittel ist im linken Vorhof lokalisiert, typischerweise an den Ostien der Lungenvenen sowie an der Basis des linken Herzohres. Eine Sonderform der ektopen Tachykardie ist die junktional ektope Tachykardie. Diese tritt selten kongenital auf, kann aber über Herzinsuffizienz zum Hydrops fetalis und intrauterinen Tod führen. Häufiger tritt die junktional ­ektope Tachykardie bei Kindern nach Herz­operation in den ersten 2–3 postoperati- Vol. 26 Nr. 1 2015 ven Tagen auf und kann heutzutage intensivmedizinisch gut medikamentös behandelt werden. Therapie SVTs, bei denen der AV-Knoten am Tachykardiemechanismus beteiligt ist (AVRT oder AVNRT), können durch eine kurzfristige Blockierung im AV-Knoten mittels Vagusstimulation oder Medikamente terminiert werden. Aus diesem Grund kommt als Akuttherapie beim stabilen Patienten mit einer Schmalkomplextachykardie primär ein Vagusmanöver zum Einsatz: Bei Säuglingen Auslösen des Würgereizes mittels Spatel, Legen einer Magensonde oder Legen eines Eisbeutels auf das Gesicht; bei älteren Kindern Trinken von eiskalten und kohlesäurehaltigen Getränken, Bauchpresse/Valsalva oder Karotissinusmassage. Falls frustran, kann die Tachykardie zuverlässig mittels intravenös verabreichten Adenosins beendet werden. Unabdingbar ist die Gabe als Bolus über einen grosslumigen, Abb 4: AV Knoten Reentrytachykardie mit Herzfrequenz von 210/Min. Die P Welle ist vom QRS Komplex überlagert Abb 5: Links: Durchleuchtung während elektrophysiologischer Untersuchung AP, Ableitung des intrakardialen EKGs über diagnostische Katheter im rechten Vorhof (1), Sinus coronarius (3) und rechten Ventrikel (4); Ablationskatheter im linken Vorhof (2), via rechten Vorhof und transseptale Punktion. Rechts: RA: rechtes Atrium, LA: linkes Atrium, RV: rechter Ventrikel, LV: linker Ventrikel, TK: Trikuspidalklappe, VCI: Vena cava inferior, VCS: Vena cava superior, AoA: Aorta ascendens, PV: Pulmonalvenen 10 möglichst herznah gelegenen, venösen Zugang mit sofortigem Nachspülen über einen 3-Wegehahn. EAT oder IART können nicht mit Adenosin terminiert werden. Die Adenosingabe ist bei mitlaufendem EKG jedoch diagnostisch sehr wertvoll, da sie die atriale Tachykardie bei passagerem AV-Block 3. Grades demaskieren kann. Eine IART kann durch eine elektrische Kardioversion terminiert werden, die EAT muss meist medikamentös verlangsamt bzw. terminiert werden. Als Anfallsprophylaxe stehen bei Säuglingen und Kleinkindern Medikamente (am gebräuchlichsten ß-Blocker, Propafenon sowie seltener Amiodarone) im Vordergrund. Diese modifizieren intrakardiale Leitungseigenschaften und können somit SVTs supprimieren. Ein Grossteil der akzessorischen Leitungsbahnen degeneriert spontan bis zum 5. Lebensjahr, die meisten bereits während den ersten 12 Lebensmonate. Seltener können auch ektope atriale Foci spontan degenerieren. Bei Persistenz der SVT mit klinischer Beeinträchtigung des Patienten kommt ab dem 6. Lebensjahr eine elektrophysiologische Untersuchung (EPU) in Narkose in Frage. Dabei werden über die Inguinalvenen mehrere Katheter in den Herzhöhlen platziert (Abb. 5), um ein intrakardiales EKG abzuleiten und über externe Stimulation eine Tachykardie auszulösen. Akzessorische Leitungsbahnen oder auch Foci können mit Hilfe von Hitze (Radiofrequenzablation/RFA) oder Kälte (Cryoablation) verödet werden. Die Erfolgsraten der RFA liegen bei akzessorischen Bahnen und AVKnotenmodulation zwischen 95 und 99 % bzw. bei den EAT bei mindestens 80 %. In Abhängigkeit der Lokalisation kann es zu einem Rezidiv zwischen 1 und 10 % kommen. Im Mittel tritt ein Rezidiv bei 5 % der Patienten auf, was eine erneute elektrophysiologische Untersuchung erforderlich macht. Die Komplikationsrate insgesamt ist sehr gering. Als gefürchtete Komplikation kommt es in weniger als 0.1 % zu einem kompletten AV- Block. Embolie, Thrombose, Infektion sowie Verletzung des Myokardes sind extrem seltene Komplikationen. Die elektrophysiologische Untersuchung mit Radiofrequenzablation ist inzwischen zu einem Routineeingriff geworden, der als kurative Therapie mit geringer Komplikations- und hoher Erfolgsrate auch Kindern und Jugendlichen nicht vorenthalten werden sollte. In der Schweiz gibt es mehrere Zentren, welche Fortbildung Vol. 26 Nr. 1 2015 Referenzen • Walsh EP, Saul JP, Triedman JK. 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