Die Frage nach dem Sinn des Lebens Der Versuch einer Klärung unter dem analytischen Blickwinkel der angelsächsischen Tradition Je soussigné, Paul François Letsch, né le 28 février 1974 à Luxembourg, déclare avoir réalisé ce travail par mes propres moyens. …................................................. (30 septembre 2014) Paul Letsch Avenue du Paepedelle 33a 1160 Bruxelles Belgique Professeur-candidat de philosophie au Lycée classique de Diekirch Travail de candidature: Die Frage nach dem Sinn des Lebens Der Versuch einer Klärung unter dem analytischen Blickwinkel der angelsächsischen Tradition Lieu d'affectation depuis le 1er septembre 2009 en tant que professeur détaché par le Ministère de l'Éducation nationale: École Européenne de Bruxelles III Boulevard du Triomphe 135 1050 Bruxelles Belgique Zusammenfassung: In dieser Abhandlung ergründe ich die Bedeutung des Ausdrucks 'der Sinn des Lebens' mit Hilfe der analytischen Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts aus dem angelsächsischen Sprachraum. Die angelsächsisch-analytische Philosophie hat ihrerseits unterschiedliche Lösungsansätze zur Sinnfrage, die auch außerhalb dieses Sprach- und Zeitraumes stehen, untersucht. Diese Arbeit beinhaltet eine Aufteilung der Lösungsansätze in Kategorien, die einer zusätzlichen Verständnistiefe des Ausdrucks nützlich sind. Die unterschiedlichen philosophischen Aspekte, wie der normative Bezug, das Perspektivenproblem, der Bewertungsmaßstab für Sinnhaftigkeit, der unendliche Regress, der Bezug zur Teleologie u. a., die in dem Bedeutungsfeld des Ausdrucks enthalten sind, werden an sich und untereinander auf ihre Stichhaltigkeit geprüft. Hierfür wird der Schwerpunkt der Quellenaufarbeitung auf Autoren gelegt, die ausschlaggebend für diesen Kontext innerhalb der angelsächsisch-analytischen Philosophie sind: Bertrand Russell, Antony Flew, Kurt Baier, Ronald W. Hepburn, Paul Edwards und Thaddeus Metz. Daraufhin nutze ich die Ergebnisse dieser Analyse zur Erschaffung eines denkerischen Ausblicks, in dem die allgemeinen Rechtfertigungskriterien möglicher Theorien zur Sinnfrage zusammengetragen werden. Diese Abhandlung strebt also eine Klärung dessen an, was mit dem Ausdruck 'der Sinn des Lebens' gemeint ist, und zeigt die Möglichkeit auf, dass die Frage in einem nichtreligiösen, nichtteleologischen und intersubjektiven Rahmen nicht nur gestellt werden darf, sondern erst hierin an Klarheit und Gültigkeit dazugewinnt. "stecke Dir selber Ziele, hohe und edle Ziele und gehe an ihnen zu Grunde" 1 1 Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente, Sommer-Herbst 1873, 29/54, in: G. Colli / M. Montinari (Hgg.): Kritische Gesamtausgabe, 3/4, 1967 ff., S. 259. Zitiert in: Gerhardt, Volker: Sinn des Lebens, in: J. Ritter / K. Gründer (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel: Schwabe & Co. 1995, Sp. 817. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Teil 1: Überblick der historischen Lösungsansätze zur Sinnfrage . . . . . . . . . . 15 2. Supranaturalistische und naturalistische Lösungsansätze . . . . . . . . . . 17 2.1 Der Supranaturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Der im engeren Sinne theistische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.3 Eine mögliche Herleitung der theistischen Lösung anhand Tolstois Beichte . 22 2.4 Der naturalistische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Objektivismus und Subjektivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Objektivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 Subjektivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.3 Dazwischenliegende Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Das Leben als sinnlos betrachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.1 Im Pessimismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.2 Im Nihilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.3 Im Existentialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Teil 2: Analyse relevanter Begriffe und Begriffsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Die angelsächsisch-analytische Philosophie nimmt sich des Themas an . . . 53 6. Der Sinn vom 'Sinn des Lebens' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.1 Der Begriff 'Sinn' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.2 Der Begriff 'Zweck' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 6.3 Sinnhaftigkeit in Bezug auf das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 6.4 Die Unterscheidung zwischen einer Warum-Frage und einer Wie-Frage . 70 7. Die wesentlichen philosophischen Aspekte der Sinnfrage . . . . . . . . . . . 74 7.1 Rationalität, Emotionalität und moralistischer Fehlschluss . . . . . . . . 75 7.2 Normativer und eudämonistischer Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . 83 7.3 Sinnlosigkeit und Absurdität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7.4 Die Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 7.5 Der Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.6 Wert, intrinsischer Wert und das Lohnenswerte . . . . . . . . . . . . . 104 7.7 Der unendliche Regress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.8 Tod und Immortalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7.9 Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Teil 3: Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 8. Denkerischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 9. Schlussfolgerung und weiterführende Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 10. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Einleitung Wenn ich meine Schüler zu Beginn eines neuen zweijährigen Philosophieunterrichts in der Sekundarschule2 frage, was sie sich eigentlich unter Philosophie vorstellen und welche Fragen sie mit diesem Fach in Verbindung setzen, so kehren einige Fragen, wenn auch unterschiedlich formuliert, besonders oft wieder: Gibt es (einen) Gott? Was ist richtig oder falsch? Was ist der Sinn des Lebens? Die Philosophie beinhaltet ein geradezu unüberschaubares Themenspektrum, denn alles kann irgendwie auf eine philosophische Ebene gehoben werden. Es sicherlich auch nicht falsch, die Sinnfrage in direkte Beziehung mit der allgemeinen philosophischen Tätigkeit zu setzen. Ob akademisch oder nicht, und falls nicht bereits religiösen Vorstellungen vorbehalten, die Sinnfrage bildet einen thematischen Gegenstand, der als authentisch philosophisch angesehen wird, abgesehen davon, wie man die Beschäftigung mit dieser Frage beurteilt, und ob es überhaupt einen Zweck hat, sie zu stellen. Was sowohl ihre Wichtigkeit im Leben insgesamt als auch ihre Relevanz im Alltag angeht, so gibt es ganz unterschiedliche Vorgehensweisen, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hat: Soll man sie ignorieren, soll man sie den philosophischen Gelehrten überlassen, soll man sie den Religionen überlassen, soll jeder sie sich selbst beantworten und dann danach leben oder auch nicht? Was soll man mit ihr tun? Löst die Sinnfrage nicht auch im Allgemeinen ein etwas herablassendes Grinsen aus, wenn sie in irgendeinem halbwegs intellektuellen Gespräch auftaucht, so als würde man mit ihr in die Esoterik eintauchen? Das könne doch jeder nur mit sich selbst ausmachen, ein vernünftiges Nachdenken könne man hierüber nicht anstellen. Ist das wirklich so? Sind die Frage selbst und eine mögliche Beantwortung auf sie so illusorisch und aussichtslos, dass sogar die Philosophie sie nicht oder nicht mehr als Untersuchungsgegenstand annehmen sollte? Auf den ersten Blick scheint es, als würde nur stiefmütterlich und ohne gebührende Strenge über die Sinnfrage diskutiert werden. Auch wenn sich Thaddeus Metz, ein wichtiger Experte in Sachen Sinnfrage, nur auf die angelsächsische Fachliteratur beschränkt, so ist seine Behauptung doch aussagekräftig, dass der Sinn des Lebens wenig Aufmerksamkeit erhalte, obwohl es sich um eine wichtige Frage handele. 3 Der Diskussion fehle der Entwicklungsgrad, der z. B. in der Ethik bestehe. 4 Metz gibt zwei Gründe an, warum so wenig Interesse vorhanden sei: Zum einen wären wir bisher nicht in der Lage gewesen, eine klare Analyse der Sinnfrage durchzuführen und zum anderen würden kantianische und utilitaristische Auffassungen die normativen 2 Das bezieht sich auf den Philosophieunterricht an einer Europäischen Sekundarschule, für meinen Fall die EEB3 in Brüssel. An diesen Schulen müssen Schüler für die letzten zwei Jahre vor dem Abitur zwischen einem zweistündigen Pflichtkurs und einem vierstündigen Leistungskurs in Philosophie wählen. 3 Vgl. Metz, Thaddeus: Recent Works on the Meaning of Life, in: Ethics 112 (Juli 2002), S. 781+782. Im Durchschnitt nur 5 Schriften pro Jahr zu diesem Thema. 4 Vgl. ebd., S. 782. 9 Kategorien kolonisieren, indem die Frage in die Begriffsfelder von Glück und Ethik aufgespalten wird, so dass man den Eindruck erhält, es handele sich bei der Sinnfrage um eine Art Niemandsland.5 Doch der Nutzen, ihr einen gebührenden Platz in der Welt der akademischen Philosophie einzuräumen, scheint eindeutig: "Beyond the academic world, Western people clearly have a growing interest in issues of life's meaning. Psychics, televangelists, and self-help gurus are extensively addressing them, but academic philosophers are not. […] This results from a lack of philosophical resources."6 Es kann durchaus bezweifelt werden, dass jemals eine einheitliche und vernünftige Antwort auf die Sinnfrage gefunden wird. Doch der Umstand allein, dass eine Frage keine Aussicht auf eine eindeutige Antwort vermuten lässt, macht sie nicht zwingend sinnlos. John Wisdom zum Beispiel fragt sich, ob die Unbeantwortbarkeit einer Frage sie an sich bereits absurd macht und verneint dies: 7 "this does not render the question senseless nor make it impossible for us to move towards an answer".8 Auch ich sehe einen Sinn darin, den Prozess der Beantwortung anzugehen, ohne jedoch den Anspruch erheben zu wollen, dass mögliche Lösungen von definitiver Natur seien. Jedem Wissenserwerb wird seit dem Stand der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts eine definitive Antwort abgesprochen. Der Sinn des Lebens ist nicht nur ein authentisch philosophisches Thema, es stellt vielleicht auch die grundsätzlichste Frage der Philosophie überhaupt dar. Oft lässt sie nach umfassender Überlegung alle anderen als zweitrangig erscheinen. Albert Camus äußert sich zum Beispiel prägnant in folgenden Worten: "Il n'y a qu'un problème philosophique vraiment sérieux : c'est le suicide. Juger que la vie vaut où ne vaut pas la peine d'être vécue, c'est répondre à la question fondamentale de la philosophie."9 Über die Selbstmordthematik legt Camus Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens unmittelbar als die Grundlage der Philosophie schlechthin fest. So behauptet auch Nicolai Hartmann, der Sinn des Lebens sei … "vielleicht die lebensmächtigste Frage. Darum ist alle spekulative Metaphysik vom Sinnproblem beherrscht. Wo sie dieses nicht stellt und nicht in irgendeiner Weise zu lösen sucht, da wird sie leicht von dem im Leben stehenden Menschen abgelehnt, 5 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 782. 6 Ebd., S. 811. 7 Vgl. Wisdom, John: The Meanings of the Questions of Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 221. 8 Ebd., S. 222. 9 Camus, Albert: Le mythe de Sisyphe. Essai sur l'absurde, (collection folio essais n°11), Paris: Gallimard 1985 (11942), S. 17. 10 sie mag im übrigen so tiefsinnig sein, wie sie will. Die Ablehnung einer sinnwidrigen Welt darf vielleicht überhaupt als stärkste Triebfeder der Metaphysik gelten". 10 Diesbezüglich behauptet auch Elmer Klemke, dass die Beschäftigung mit der Sinnfrage den wahrhaftigsten Ausdruck des Zustandes der menschlichen Existenz darstelle. 11 Wir sollten uns in der Philosophie also etwas eingehender mit diesem Thema beschäftigen. Die intellektuelle menschliche Fähigkeit zur Sinngebung führt dazu, dass letztendlich kein wichtiger Erfahrungsbereich des Menschen von diesem Thema unberührt bleibt. Dies belegen die Aussagen zahlreicher Autoren. 12 Auch ich glaube, dass ein reflektierender Mensch ihr nicht wirklich ausweichen kann. Sie stellt sich seinem Leben entgegen, besonders dann, wenn die geläufigen Vorstellungen zur Sinnstiftung nicht mehr befriedigen. Vielen bekannt ist die Darstellung dieser Unausweichlichkeit der Sinnfrage von Leo Tolstoi in seiner Beichte13. Mit hoher emotioneller Intensität verkörpert Tolstoi den sinnsuchenden Menschen, der die Etappen seines Lebens mit unterschiedlichen mehr oder weniger zufriedenstellenden Überzeugungen durchläuft, um dann trotzdem auch nur feststellen zu müssen, dass er der Sinnfrage nicht entkommen kann.14 All das, um den Pessimismus15 oder sogar den bereits in Erwägung gezogenen Selbstmord 16 zu verhindern oder zu überwinden. Die Sinnfrage dürfe keinesfalls als dumme Frage abgetan werden, 17 im Gegenteil. Tolstoi zufolge kommt der Philosophie die Aufgabe zu, die Frage deutlich zu fassen. 18 Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch das Werk Søren Kierkegaards, dessen Vehemenz in der Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens bekannt ist. 19 Die Religion spielt bei ihm natürlich eine besondere Rolle. Religiöse Aspekte müssen in diesem Kontext in Erwägung gezogen werden, auch wenn wir uns nicht mit der Frage befassen werden, ob die Religion und der Glaube als solche gerechtfertigt werden können oder nicht. Vielmehr gilt es, die Phänomene Religion und Glaube in ihren Funktionen als gesamtgesellschaftliche und konzeptuelle Sinnstifter und die hieraus aufzuspaltenden 10 Nicolai Hartmann: Teleologisches Denken, 1951, S.57. Zitiert in: Gerhardt, Volker: Sinn des Lebens, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel: Schwabe & Co. 1995, Sp. 822. 11 Basierend auf einem Zitat von Viktor Frankl, vgl. Klemke, Elmer D.: Preface to the Second Edition, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. xi. 12 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 819. Er erwähnt R. Eucken, H. Gompertz, M. Scheler, P. Hoffmann, H. Rickert, Th. Litt, N. Hartmann, K. Jaspers, R. Lauth und M. Müller. 13 Lew Tolstoi: Meine Beichte. Vgl. auch V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 817. 14 Auch wenn er sie im Folgenden auf eine eher zweifelhafte Art zu lösen versucht, indem er Zuflucht zur Religion nehmen möchte, ohne ihr gänzlich verfallen zu wollen. 15 Vgl. Tolstoj, Lew: Meine Beichte, überarb. Übers. v. Alexis Markow, Berlin: Insel Verlag 2010 (11882), S. 29. Das Leben sei ein "dummer Scherz". 16 Vgl. ebd., S. 28. 17 Vgl. ebd., S. 25. 18 Vgl. ebd., S. 41. 19 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 817. 11 philosophischen Konzepte aus gesunder Distanz zu untersuchen. Dass die Beschäftigung mit und die Lösung zum Sinn des Lebens für den größten Teil der Menschheit ein fundamentales Bedürfnis darstellt – vielleicht sogar in den allermeisten Fällen mehr oder weniger unbewusst – wird eben gerade durch die Popularität der Religionen unterstrichen. Die Belange des menschlichen Alltags bleiben somit nicht von der Sinnfrage unbeeinflusst.20 Dementsprechend hat die Sinnfrage Folgen, die weit über die akademische Philosophie hinausreichen. Die menschliche Fähigkeit, sich selbst von außen zu betrachten, den Blickwinkel sub specie aeternitas einnehmen zu können, kann in uns eine existentielle Angst auslösen, 21 die mit etwas Hoffnungsvollem auszugleichen versucht wird. Auch wenn es wenig vernünftig erscheint und dem moralistischen Fehlschluss unterliegt, so bleibt es doch eine menschliche Tatsache. In den westlichen Religionen bildet unser Leben den Baustein eines göttlichen kosmischen Schemas in Verbindung mit der Möglichkeit auf die Belohnung ewiger Glückseligkeit nach dem Tod.22 Für sehr viele Menschen gibt es keine echte sinnstiftende Alternative hierzu. Die Philosophie trägt jedoch die Verantwortung, diese Alternativen, wenn es sie denn gibt, aufzufinden und sie zu untersuchen. Diese Absicht soll auch in dieser Arbeit verfolgt werden. Zur Rechtfertigung der Beschäftigung mit der Sinnhaftigkeit des Lebens darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, dass die Arbeit zweier der größten Philosophen überhaupt undenkbar wäre, würde man sie der Sinnfrage berauben. Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche machten die Redensart vom 'Sinn des Lebens' durch ihre "Destruktionsprojekte traditioneller Sinnvorstellungen" 23 populär. Zur damaligen Zeit wird die Anerkennung der Sinnfrage als rein subjektiver Maßstab bereits sichtbar. 24 Wir werden uns trotz der Bedeutsamkeit dieser und anderer großen Philosophen in dieser Arbeit keinen vollständigen historischen Überblick über den in Frage kommenden Ausdruck verschaffen. Mit den genannten Autoren möchte ich zu erkennen geben, in welchem Maß die Sinnfrage als philosophisches Thema ernst zu nehmen ist. Wie werde ich nun diese Arbeit durchführen und aufstellen? Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass die Zielsetzung und Strukturierung dieser Arbeit leicht von dem abweicht, was ich in der Beschreibung meines Themas beim Einreichen an die Kommission und dem Experten dieser Kandidaturarbeit festgelegt habe. Zum einen schrieb ich, 20 Vgl. auch E. D. Klemke, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 2. 21 Vgl. Seachris, Joshua (2011): Meaning of Life: The Analytic Perspective, in: The Internet Encyclopedia of Philosophy, http://www.iep.utm.edu/mean-ana/ (Stand: 27.09.2014), Kapitel: 2. The Human Context. Er bezieht sich auf Nagel 1971, 1989, und Fischer 1993. 22 Vgl. Edwards, Paul: Life, meaning and value of, in: Paul Edwards (Hg.): The Encyclopedia of Philosophy, Bd. 4, New York: The Macmillan Company & The Free Press 1967, S. 467. 23 Vgl. Löffler, Winfried: Sinn, in: Petra Kolmer / Armin G. Wildfeuer (Hgg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 3, Freiburg/München: Karl Alber 2011, S. 1994. 24 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 817. Bezüglich der Frage nach dem Sinn des Lebens wird Nietzsche u. a. durch E. von Hartmann beeinflusst, bei dem dies bereits für abgemacht gehalten wird. 12 dass ein wesentlicher Punkt dieser Abhandlung die "Klärung der Möglichkeit einer Trennung zwischen religiösem und nichtreligiösem Gehalt bei der Behandlung" sei und die "Frage, ob die Beantwortung der Sinnfrage immer auch eine teleologische Sichtweise voraussetzen muss" und damit, ob "wir überhaupt auf eine nicht unvernünftige Weise die Frage nach dem Sinn des Lebens in einem nichtreligiösen und vielleicht auch nichtteleologischen Rahmen stellen dürfen". 25 Die unterschiedlichen konzeptuellen Elemente, die ich in meiner Beschreibung des Themas erwähnt hatte, werden sehr wohl von mir behandelt. Sie stellen jedoch lediglich einige von einer Reihe anderer theoretisch zu erfassenden Elemente dar, die allesamt auf ihre Konsistenz und Kompatibilität untereinander analysiert werden, und stellen somit keine exklusiven Aspekte dar. Es gibt mehr Aspekte als von mir vor zwei Jahren vorausgesehen, die eine ähnlich große Nützlichkeit aufweisen können, um dieses Thema so vollständig wie nur möglich erschließen zu können. Außerdem hatte ich angekündigt, diese Abhandlung auf einen nichtreligiösen Kontext zu beschränken. Dies möchte ich insofern durch die neuerlangte Kenntnis revidieren, dass das Thema sehr von Aspekten durchwachsen ist, die im direkten Zusammenhang mit Religion gesehen werden. Jedoch werde ich keineswegs auf religiöse Auslegungen als solche eingehen, sondern lediglich diejenigen Aspekte in Betracht ziehen, die zwar sehr wohl auch innerhalb religiöser Vorstellungen Anwendung finden, gleichzeitig jedoch auch benötigt werden, um das Themenfeld konzeptuell abdecken zu können, ohne dabei bestimmten religiösen Vorstellungen verhaftet zu bleiben.26 Bei dieser Arbeit handelt es sich überwiegend, aber nicht ausschließlich, um eine systemisch-kompilatorische Arbeit, da der größte Teil daraus besteht, die Ideen der Literatur aufzusammeln und unter bestimmten Gesichtspunkten darzustellen. In einem ersten Teil werde ich die wichtigsten Lösungsansätze zur Sinnfrage auf das Wesentliche reduziert zusammenfassen, um dann in einem zweiten Teil die Ideen und Konzepte aus dieser Zusammenfassung herauszuschälen und sie sowohl innerhalb der Konzepte selbst als auch untereinander auf Konsistenz und Kohärenz zu prüfen. Hiermit versuche ich die tiefere Natur der Redensart des 'Sinns des Lebens' theoretisch zu erfassen. Diese Herangehensweise sollte im günstigen Fall Ergebnisse hervorbringen, die dem entsprechen, was T. Metz im Stanford Encyclopedia of Philosophy für die analytische Philosophie vorgibt: "When the topic of the meaning of life comes up, people often pose one of two questions: “So, what is the meaning of life?” and “What are you talking about?” 25 Am 20. September 2012 an Joëlle Colling, Angestellte des Ministère de l'enseignement supérieur in Luxemburg und verantwortlich für die Verwaltung der "Travaux de candidatures", eingereichte Zusammenfassung zur Anfrage auf Erlaubnis für das Thema dieser Arbeit, unter dem Titel: Travail de candidature axé sur la spécialité disciplinaire du candidat / Résumé descriptif destiné à la commission des travaux de candidature. 26 So wie z. B. die Idee der Unsterblichkeit, die auch bis zu einem gewissen Grad unter einer nichtreligiösen Sichtweise behandelt werden kann, beispielsweise dadurch, dass man durch die Zeugung von Nachwuchs den eigenen individuellen Tod 'genetisch' überwinden möchte und sich somit potentiell in die unabsehbare Zukunft projiziert. 13 The literature can be divided in terms of which question it seeks to answer." 27 In einem dritten Schritt werde ich versuchen, eine eigenständige persönliche Stellungnahme hinsichtlich des untersuchten Stoffes zu entwickeln, auch wenn ich mich bereits im zweiten Teil zunehmend über das rein analytische Arbeiten hinauswage. Ich werde also am Ende dieser Arbeit, wenn auch nur kurz, eine eigene Idee in Form eines Instruments aufzustellen versuchen, das die Theorien zur Sinnhaftigkeit des Lebens auf ihre Validität nach denjenigen Kriterien überprüfen soll, die sich aus der analytischen Arbeit ergeben haben. Hierdurch versuche ich meinen Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung dieses Themas zu leisten. Trotzdem möchte ich durch Vorsicht motivierte Bescheidenheit walten lassen und keine hohen Ansprüche erheben, denn die tatsächliche Relevanz dieser Stellungnahme kann ich beim Umfang dieser Arbeit nicht wirklich beurteilen. Dies wäre in einer anderen umfangreicheren Arbeit klarzustellen. Weiterhin habe ich mich auf die angelsächsisch-analytische Philosophie beschränkt, um dieses Vorhaben anzugehen. Natürlich musste ich mein Thema auf ein überschaubares Maß reduzieren, gleichzeitig musste ich mir einen Überblick verschaffen. Im 5. Kapitel erkläre ich, warum die einschlägige angelsächsisch-analytische Literatur dafür am geeignetsten schien. Außerdem ist sie es, die mir die Thematik aus einer nichtreligiösen Optik am besten zu untersuchen scheint, und es ist vor allem diese Seite der Frage, die mich bei ihrer konzeptuellen Aufarbeitung interessiert. Es war durchaus eine pragmatische aber auch sinnvolle Entscheidung. 28 Allerdings werde ich auch oft Autoren und Texte außerhalb des angelsächsischen Bereiches erwähnen, um an manchen Stellen einen Kontext bereitzustellen, der der Rechtfertigung und Erklärung der Argumentation meiner Arbeit dient. Nicht zuletzt greifen auch die behandelten angelsächsischen Autoren auf sie zurück, um auf deren Basis ihre eigenen Überlegungen aufzustellen. Sie können somit nicht außer Acht gelassen werden. Ich möchte ebenfalls vorausschicken, dass diese Arbeit nicht die Absicht verfolgt, die gesamte angelsächsischanalytische Philosophie historisch zu erfassen oder zu erklären. Es geht überwiegend darum, dass diejenigen Autoren, die die für mich interessanten Aspekte der Sinnfrage bereitstellen, aus dieser philosophischen Strömung stammen. Ferner sei noch erwähnt, dass ich einen bestimmten Teil des Kontextes nicht bearbeiten werde, dessen Ausschluss jedoch meines Erachtens nicht den Anspruch dieser Arbeit gefährdet: das Konzept des sogenannten 'Sinns der Geschichte', obwohl es evidenterweise in engem Zusammenhang mit dem Inhalt dieser Arbeit steht. Und schlussendlich möchte ich noch festlegen, so wie bereits in meiner eingereichten Themenbeschreibung für die Kandidatur erwähnt wurde, dass ich für die Autoren 27 Metz, Thaddeus (15.05.2007): The Meaning of Life, in: Edward N. Zalta (Hg.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Fall 2008 Edition, http://plato.stanford.edu/archives/fall2008/entries/life-meaning/ (Stand: 27.09.2014), Kapitel: introduction. 28 Wie ich später in Kapitel 5 belegen möchte. 14 Bertrand Russell, Antony Flew, Kurt Baier, Ronald W. Hepburn und Paul Edwards, die ich als Literaturkernbereich für diese Abhandlung angegeben hatte, den Anspruch auf Vollständigkeit der Lektüre erhebe, wenn die eindeutige Relevanz für unser Thema gegeben ist. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass das Material von Russell und Edwards, wenn auch wichtig und deutlich vorhanden, weniger Anwendung in meiner Arbeit findet als vorausgeahnt. Dagegen haben sich andere Autoren als wichtiger erwiesen als zunächst gedacht, so z. B. Thaddeus Metz, dessen Forschungsergebnisse oft ihren Niederschlag in dieser Arbeit finden. Teil 1: Überblick der historischen Lösungsansätze zur Sinnfrage Wie kann man auf die Frage, was der Sinn des Lebens sei, antworten? Etwas das allen Ansätzen zur Sinnfrage zugrunde liegt, ist der Versuch, die grundlegende metaphysische Struktur einer bedeutungsvollen Existenz in so wenig Prinzipien wie nur möglich aufzuzeigen.29 Insgesamt können wir die unterschiedlichen historischen Lösungsansätze in zwei Gegensatzpaare (Supranaturalismus/Naturalismus und Objektivismus/ Subjektivismus) plus einer Kategorie der Aberkennung eines Lebenssinns (Nihilismus, Pessimismus, gewisse Formen des Existentialismus) aufteilen. Alle Lösungsansätze zur Sinnfrage können mehr oder weniger leicht einer dieser fünf Gruppen zugeordnet werden. Positive Lösungsansätze (→ es gibt einen Sinn des Lebens) Supranaturalismus Naturalismus Objektivismus Subjektivismus Negativer Lösungsansatz (→ es gibt keinen Sinn des Lebens) Nihilismus, Pessimismus ... Thaddeus Metz verfährt in seinem Artikel über den Sinn des Lebens in der Stanford Encyclopedia of Philosophy30 oder in seinem Übersichtsartikel in Ethics31 ähnlich, wobei ich spezifischere Ansätze des Supranaturalismus im Folgenden nur oberflächlich erwähnen werde und mich aus Gründen ihrer Popularität auf eine im engeren Sinne theistische Vorstellung konzentrieren möchte, nämlich die Vorstellung der Existenz und 29 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 783. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2. Supernaturalism. 30 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007). 31 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002). 15 Einflussnahme eines monotheistischen Gottes. Im Prinzip stimmt Elmer Klemke insofern mit der Vorgehensweise von Metz überein, als dass er das Gegensatzpaar theistische/nichttheistische Ansätze aufstellt und diesem noch die Bedeutung des Ausdrucks selbst als Kategorie dazustellt 32 (anders als Klemke führt Metz die linguistische Begriffsanalyse außerhalb der eigentlichen historischen Lösungsansätze durch). 'Theistisch' kann als 'supranaturalistisch' und 'nichttheistisch' als 'naturalistisch' verstanden werden, jedoch glaube ich, dass die Formulierung von Metz präziser gewählt ist, da es stimmiger scheint, den Theismus lediglich als eine Untermenge des Supranaturalismus anzusehen. Metz und Klemke haben sich bei meiner Lektüre als Autoren herauskristallisiert, die gut über die themenbezogene Forschungslage Bescheid wissen, wobei Klemke jedoch wiederum auf die Vollständigkeit der Bibliographie des Überblicksartikels von Metz in Ethics verweist.33 Interessanterweise zieht Metz für die positiven 34 Lösungsansätze nicht genau das von mir hier aufgestellte 2x2 Gruppierungsquadrat in Erwägung, sondern spaltet seinen Naturalismus einfach in Objektivismus und Subjektivismus auf. 35 Dies kann jedoch dann als problematisch gelten, wenn eine gewisse Form des Objektivismus als theistischer Ansatz gesehen wird, was bereits in seinem eigenen Artikel angedeutet wird, wenn er behauptet, dass Robert Nozicks naturalistische Theorie "sympathisch" zum Supranaturalismus stünde.36 Ich bin jedoch dann mit der Aufteilung von Metz einverstanden, wenn allgemeine Einigung darüber besteht, dass der in Frage kommende Objektivismus ein ausschließlich naturalistischer Objektivismus ist. Aus diesem Grund wird auch mein Kapitel über den Naturalismus kurz ausfallen, da die meisten Aspekte des Naturalismus eben gerade unter den Standpunkten des (naturalistischen) Objektivismus und des Subjektivismus behandelt werden können (siehe Kapitel 3). So möchte z. B. auch Joshua Seachris mögliche Missverständnisse vermeiden, indem er auf präzise Weise von "Objective Naturalism" und "Subjective Naturalism" redet. 37 32 Vgl. E. D. Klemke, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader (2008), S. 3. 33 Vgl. S. M. Cahn: Preface to the Third Edition, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader (2008), S. ix: "A comprehensive bibliography of contemporary books and articles on the meaning of life can be found in the survey article on the subject by Thaddeus Metz in Ethics, 112:4 (2002)." 34 Ansätze, die die Existenz irgendeines Lebenssinns bejahen, also bei Ausschluss der Lebenssinnaberkennungsposition, wie z. B. beim Nihilismus. 35 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 792. 36 Frei übersetzt aus: T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 799. 37 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: c. A Meaningful Life : Current Views. 16 2. Supranaturalistische und naturalistische Lösungsansätze 2.1 Der Supranaturalismus Hier übernehme ich ziemlich genau die zusammenfassende Darstellung von T. Metz, 38 demzufolge sich der Supranaturalismus im Wesentlichen dadurch kennzeichnen lässt, dass gewisse Beziehungen zu einem rein spirituellen Reich bestehen und dass es zu versuchen gilt, diese Beziehungen zu bestimmen oder zu deuten. 39 Wenn umgekehrt die Überzeugung herrscht, dass es zum einen weder einen Gott noch eine andere spirituelle oder transzendente übergeordnete Entität gibt oder zum anderen nicht die richtige Beziehung zu dieser Entität aufgestellt werden kann, dann ist es dem Supranaturalismus nicht möglich, einen Lebenssinn liefern zu können. 40 Der Supranaturalismus lässt sich in zwei Kategorien aufteilen: Theorien, bei denen Gott im Mittelpunkt steht, und Theorien, bei denen die Seele im Mittelpunkt steht. 41 Die sogenannten gottzentrierten Theorien ("God-Centered Theories") 42 sind als die theistischen Theorien im engeren Sinne zu verstehen. Diese Vorstellungen basieren darauf, dass eine bestimmte Beziehung zu Gott einen ausreichenden und notwendigen Grund darbietet, um dem Leben Bedeutung zu geben und so den Sinn des Lebens auszumachen. Die möglichen Uneinigkeiten dieser Theorien beziehen sich überwiegend darauf, wie diese 'richtige' Beziehung zu bestimmen ist oder wie sie gelebt werden soll. 43 T. Metz zufolge wäre die traditionelle Antwort hierauf, den uns von Gott aufgetragenen Zweck zu erfüllen ("purpose theory"). 44 Bei den seelenzentrierten Theorien ("Soul-Centered Theories") 45 hängen Bedeutung und Sinn des menschlichen Daseins vom Zustand ab, in dem sich die Seele des Menschen befindet. Hierbei muss 'Seele' als eine unsterbliche spirituelle Substanz verstanden werden. Diese Theorien können mit den Vorstellungen eines Gottes verbunden werden, also mit dem Gehalt der Gott-zentrierten Theorien (so wie es in der monotheistischen Tradition der Fall ist), müssen es aber nicht zwingend. 46 Die Existenz einer menschlichen Seele (üblicherweise in Verbindung mit einer theistischen Vorstellung) kann z. B. als Argument zugunsten der erwünschten Herstellung einer absoluten Gerechtigkeit geltend 38 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002). Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007). 39 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 783. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2. Supernaturalism. 40 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2. Supernaturalism. 41 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 784+788. 42 Vgl. ebd., S. 784. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. ebd. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2.1 God-Centered Views. 45 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 788. 46 Vgl. ebd. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2.1 God-Centered Views. 17 gemacht werden, die hier auf Erden nicht zu verwirklichen scheint. 47 Die ausschließlich seelenzentrierten Theorien als solche, also ohne Verbindung zu einer gottzentrierten Vorstellung, werden in dieser Arbeit nicht thematisiert. Es gleitet meines Erachtens zu sehr in ein esoterisches Themenfeld ab und ist für mich nicht von Interesse. Ob gottzentriert oder seelenzentriert, was dem Supranaturalismus gemein ist, ist die Idee der Existenz einer versteckten Dimension hinter den sinnlich erfassbaren Erscheinungen, also der Existenz einer transzendenten und immateriellen Welt, die uns üblicherweise nur mittelbar zugänglich ist.48 Diese andere Welt befriedigt das menschliche Bedürfnis, den Lauf der Ding als mehr oder weniger vorherbestimmt und die Zukunft als eine nicht willkürliche zu denken,49 etwas das ein gewisses Maß an Sicherheit und vielleicht auch irgendwie Kontrolle beschert. Gleichzeitig wird das Bedürfnis in uns geweckt, eine Offenbarung dieser versteckten Welt stattfinden zu lassen, wodurch die gesamte Mystik der Religionen ihre Daseinsberechtigung bekommt. Kurt Baier befasst sich mit diesem Aspekt der versteckten Dimension unter dem Stichwort des "versteckten Sinns" ("hidden meaning")50 und weist die möglichen konzeptuellen Ungereimtheiten auf, die diese Vorstellung mit sich bringt.51 Wir wenden uns dieser Kritik im 7. Kapitel zu. 2.2 Der im engeren Sinne theistische Ansatz Die geläufigste Vorstellung des Theismus (und damit auch die geläufigste Vorstellung des Supranaturalismus)52, ist diejenige, die von den westlichen Religionen vorgebracht wird, und besteht im Groben in der Annahme, dass das menschliche Leben ein Teil eines von Gott geordneten kosmischen Plans sei und dem Menschen die Belohnung der (ewigen) Glückseligkeit, in welcher Form auch immer, nach seinem Tod in Aussicht gestellt werde. In dieser monotheistischen Tradition wird Gott als eine allwissende, allmächtige und allgütige spirituelle Entität verstanden, die ebenfalls als Grundlage des physikalischen Universums dient.53 Diese Vorstellung gilt gleichsam als eine offenbar – wie es ihre Popularität auf der Welt zeigt – sehr überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.54 47 48 49 50 51 52 53 54 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2.2 Soul-Centered Views. Z. B. innerhalb der Offenbarung eines Propheten. Vgl. Baier, Kurt E. M.: Threats of Futility. Is Life Worth Living? in: Free Inquiry 8/3 (1988), S. 47 Abschn. 2 u. 5. Was man auch mit "versteckter Bedeutung" übersetzen kann, aber ich habe mich bewusst für 'Sinn' entschieden, da ich glaube, dass im deutschen Sprachgebrauch das Wort 'Sinn' die gemeinte Idee auf adäquatere Weise wiedergibt. Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 47 Abschn. 2 bis S. 48 Abschn. 7. Da der Theismus die geläufigste Vorstellung des Supranaturalismus ist und Theismus wird als eine Teilmenge des Supranaturalismus verstanden, jedoch als deren wichtigste und am weitesten verbreitete. Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2. Supernaturalism. Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. 18 Wie bereits unter 2.1 erwähnt wurde, wird der Theismus üblicherweise mit einer Theorie des Zwecks in Verbindung gebracht, und damit mit einer von Gott aufgestellten Finalität. Somit wirkt auch stets eine teleologische Grundannahme innerhalb des Theismus. 55 Für die Menschen gilt es, diesen Zweck in Erfahrung zu bringen und ihn zu erfüllen. 56 So ist Ronald W. Hepburn zufolge der Theist im Wesentlichen zuerst einmal ein Mensch, der sich den Absichten eines anderen Wesens unterordnet. 57 Vielleicht ist die Behauptung zu vorsichtig formuliert, dass diese Verbindung zwischen Theismus und einer Theorie des Zwecks nur "üblicherweise" besteht, denn ohne eine Theorie des Zwecks untergräbt man dem Theismus jeglichen Anspruch auf die Erfüllung eines Lebenssinns. 58 Welchen Sinn kann ein Gott bieten, der seinen kosmischen Plan nicht gleichzeitig auch mit einem Endzweck belegt, an dem die Menschen mitwirken können und den sie zu erfüllen haben, wollen diese denn die Gunst ihres Schöpfers erlangen? Hierbei gilt im Allgemeinen, dass die Bedeutsamkeit eines Lebens erhöht werden kann, je besser man diesen Zweck auf freiwillige und vorsätzliche Weise hier auf Erden erfüllt. 59 Paul Edwards äußert sich zu diesem Punkt in folgenden Worten: "If a superhuman being has a plan in which I am included, this fact will make (or help to make) my life meaningful in the terrestrial sense only if I know the plan and approve of it and of my place in it, so that working toward the realization of the plan gives direction to my actions."60 Diesen Zweck genauestens zu bestimmen bietet wiederum ausgiebigen Raum für Spekulationen. Einer der prominentesten Kritiker der "purpose theory" insgesamt ist wohl Bertrand Russell, dessen Gegenargumente später unter 3.2, 7.8 und 7.9 behandelt werden.61 Auch Russell sieht die Immanenz einer Zwecktheorie im Theismus, so wie außerdem noch in zwei weiteren metaphysischen Entwürfen, nämlich dem Pantheismus und dem Emergentismus62. Sie übt, laut Russell, eine große Anziehungskraft auf uns aus, da sogar viele Wissenschaftler an einem kosmischen Zweck festhalten würden, obwohl eine offensichtliche Inkompatibilität zwischen Wissenschaft und Zwecktheorie bestünde. 63 Russell sieht die gemeinsame Grundlage dieser Vorstellung darin, Evolution 64 als etwas 55 Dies wird von Hepburn bestätigt, vgl. Hepburn, Ronald W.: Questions about the Meaning of Life, in: Religious Studies 1/2 (April 1966), S. 125. Vgl. auch Pojman, Louis P.: Religion Gives Meaning to Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 27. 56 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 125. 57 Vgl. ebd., S. 127. 58 Siehe Kapitel 7. 59 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 784. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2.1 God-Centered Views. 60 P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 472f. Hier jedoch entnommen aus: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 126. 61 Vgl. Russell, Bertrand: Religion and Science, (The Home University Library of Modern Knowledge 178), London: Oxford University Press 1960 (ND) (11935), S. 190-222. 62 Ich übersetze "emergent [theory]" mit Emergentismus. Vgl. B. Russell: Religion and Science (1960), S. 191. 63 Russell schrieb dies 1935, jedoch gehe ich davon aus, dass es heute auch noch so ist. Vgl. B. Russell: Religion and Science (1960), S. 190. 64 Hier nicht zu verwechseln mit der Evolutionstheorie Darwins, dessen revolutionäre Idee eben gerade die war, dass 19 anzusehen, das eine Richtung zu einem übergeordneten moralischen Wert vorgibt und das uns Menschen als Grund und Daseinsberechtigung des gesamten langen Entwicklungsprozesses erscheint.65 Somit gelänge es, eine Antwort auf das 'Warum' zu geben, im Gegensatz zur Wissenschaft, die sich nur um das 'Wie' kümmern könne. Speziell für den Theismus gilt ferner, dass erwähnter kosmischer Zweck bewusst von einem göttlichen Schöpfer erdacht wurde, er selbst jedoch außerhalb seiner Schöpfung existiert.66 Russell lässt hierzu in einem Gespräch den einstigen Bischof von Birmingham zu Wort kommen, der beteuert, dass die Komplexität der existierenden Phänomene nicht als das Ergebnis blinder Naturkräfte gesehen und nicht ohne aufgestellten Zweck vorausgesetzt werden könne.67 Mit dem Theismus können zwei metaphysische Anschauungsweisen in Verbindung gebracht werden, die von Kurt Baier entworfen worden und die uns helfen, den Theismus konzeptuell tiefgreifender erfassen zu können: 1) Die Vorstellung der "Welt als Bühne" ("The World as a Stage"). 68 Hierbei wird das menschliche Leben als eine Art Bühnenauftritt gesehen, wobei die vom Menschen zu spielende Rolle Bestandteil eines kosmischen Dramas ist, das von Gott geschrieben wurde und von ihm orchestriert wird. Die Schauspieler spielen zwangsweise ihre Rolle realistisch und authentisch, was die Vortrefflichkeit der Vorführung und seines Erschaffers nur noch deutlicher hervorhebt. Der (einzige) Betrachter ist Gott selbst, der damit den Genuss seiner eigenen Allmacht auskosten kann. Bei dieser Vorstellung wird jedem Darsteller, also jedem Menschen, derselbe Lebenssinn zugewiesen. Dies befriedigt unseren Wunsch, einer kollektiven positiven Bedeutung der menschlichen Existenz beisteuern zu können, egal wie gut oder wie schlecht die Eigenschaften des Darstellers unter anderen Umständen zu beurteilen wären. Der Vorteil dieser Vorstellung ist, das von der Sinnhaftigkeit her positiv bewertete Leben, wenn es denn z. B. als ein 'Tal der Tränen' empfunden wird, nicht als solches in seiner negativen irdischen Dimension verschleiern zu müssen, ohne gleich die Sinnlosigkeit unsere Existenz heraufzubeschwören. Die Negativität unseres Lebens bekommt damit eine für uns zu akzeptierende Rechtfertigung. Auch die Bibel bedient sich dieser Art Anschauung, wenn auch nicht ausschließlich, denn sie zieht ihre Anziehungskraft überwiegend auch aus dem folgenden Punkt. 65 66 67 68 sie ohne in die Zukunft gerichtete Finalität auskommt. Selektion und Mutation werden als 'blinde' Eigenschaften des Lebens in der Natur verstanden. Vielleicht könnte man hier auch die Entwicklung des Lebens im Allgmeinen sagen, anstelle von Evolution, so wie Russell es benutzt. Vgl. B. Russell: Religion and Science (1960), S. 190. Vgl. B. Russell: Religion and Science (1960), S. 190. Vgl. ebd., S. 191. Vgl. ebd., S. 192. Dasselbe Argument wird auch z. B. vom Kreationismus vorgebracht und ist ein Hilfsargument in vielen grundlegenden religiösen Rechtfertigungen. Eigentlich handelt es sich meines Erachtens um einen moralistischen Fehlschluss, siehe auch weiter unten, am Ende von Kapitel 2.2. Für den gesamten Punkt 1, vgl. Baier, Kurt E. M.: Problems of Life & Death. A Humanist Perspective, (Prometheus Lecture Series), Amherst (New York): Prometheus Books 1997, S. 50-53. 20 2) Die Vorstellung des "irdischen Lebens als Test" ("Earthly Life a Test"). 69 Sie kann sozusagen als Erweiterung zur "Welt als Bühne" angesehen werden und besitzt eine noch stärkere Anziehungskraft für viele Menschen, denn wenn das Leben als Test fungiert, um nach dem Tod entweder ins Paradies oder in die Hölle zu gelangen, hat das Individuum die Möglichkeit, dann ein besseres Leben zu erhoffen, wenn er diesen (moralischen) Test besteht. Ein motivierender Reiz (oder Druck) wird somit geschaffen, aber gleichzeitig wird auch die Gleichheit desselben Maßes an Lebenssinn für alle Menschen abgeschwächt. Baiers metaphysische Entwürfe bringen zum Vorschein, dass die Religionen eine Welt nach dem Tod konstruiert haben, die dem entspricht, was den Anhängern dieser Religionen eigentlich als ideales irdisches Leben vorschwärmt. So ist es auch zu verstehen, dass der Sinn des Lebens im Theismus der Ankunft einer übergeordneten Welt entspricht, die die Anwesenheit der guten idealen Elemente unseres irdischen Lebens und die Abwesenheit der schlechten Elemente unseres irdischen Lebens gewährleistet.70 Auf die gleiche Weise ist es zu verstehen, wenn wir den Sinn des Lebens mit dem Wunsch versehen, dass unsere grundlegenden Werte bestehen bleiben und das Böse vergolten werden sollen.71 Es gibt weitere Argumente anderer Autoren, die diese Projektion menschlicher Wertigkeit ins Jenseits belegen. 72 Im Theismus wird gewährleistet, dass dem Menschen eine besondere Wichtigkeit im Universum zukommt. Dies kommt bereits zur Geltung, wenn Baier davon spricht, dass der theistische Mensch der Tendenz unterliegt, das gesamte Universum als eine Bühne anzusehen, auf der er als Hauptdarsteller agiert. Auch R. W. Hepburn spricht von dem Bedürfnis des Menschen, seiner sich andeutenden existenziellen Absurdität zu entkommen, indem er eine Bedeutsamkeit aufbaut, die das Ausmaß des gesamten physikalischen Daseins einnimmt: "[Theological arguments] are chiefly concerned to heighten a sense of the precariousness of all finite existence; a sense of instability that can be countered only by the belief that underneath are the everlasting arms. Or, if there are no everlasting arms, if there is no upholder, then there is nothing but vertigo, meaninglessness, and despair."73 Der Mensch fühlt also besonders deshalb die Notwendigkeit, eine Verbindung zu einer übergeordneten Macht herzustellen, um die Gewissheit zu erhalten, sich selbst durch dieses kosmische Schauspiel als Mittelpunkt der gesamten Existenz wahrnehmen und damit seine Bedeutsamkeit steigern zu können.74 69 70 71 72 73 Für den gesamten Punkt 2, vgl. ebd., S. 55-56. Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 48 Abschn. 5. Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 125. Sie werden im Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt. Hepburn, Ronald W.: Christianity and Paradox, (Critical Studies in Twentieth-Century Theology), London: C. A. Watts 1958, S. 179. Hepburn redet eigentlich vom kosmologischen Argument, also vom scholastischen kosmologischen Gottesbeweis, aber die Sinnfrage wird direkt in Bezug gestellt von Hepburn. 74 Vgl. ebd., S. 152-153. 21 Wir können auf ähnliche Weise den Theismus zusammenfassend so eingrenzen, wie E. Klemke es mit dem Begriff "transcendentalism" tut. 75 Dieser besteht aus drei Komponenten, wobei eine aus der anderen hergeleitet werden kann: 1) Die Voraussetzung der Existenz eines transzendenten 76 Wesens und unserer Beziehung zu ihm,77 2) ohne diese Voraussetzung besteht kein Lebenssinn, 3) ohne Lebenssinn ist das Leben nicht lebenswert. 78 Und somit darf den Theisten zufolge Punkt 1 nicht ausgeschlossen werden, um nicht der Gefahr von Punkt 3 ausgesetzt zu sein. Damit wird allerdings auch deutlich, wie im Theismus versucht wird, den Anspruch einer menschlichen Vorstellung zur objektiven Wirklichkeit zu erheben, um lediglich menschliche Wünsche erfüllen zu können, womit ein moralistischer Fehlschluss79 begangen wird. Für E. Klemke ist die gesamte Bewegung des religiösen Glaubens eine Maßnahme des Menschen, einen Sinn dort zu schaffen, wo wir keinen vorfinden können, nämlich außerhalb unseres eigenen Geistes. 80 2.3 Eine mögliche Herleitung der theistischen Lösung anhand Tolstois Beichte Ich glaube, den theistischen Grundgedanken auf eine leicht nachvollziehbare Art und Weise rekonstruieren zu können, wenn wir uns als repräsentatives Beispiel einen kleinen Exkurs über ein weniger akademisch-philosophisches als vielmehr literarisches und populär-philosophisches Werk erlauben. Einer der bekanntesten Texte (neben dem biblischen Buch Kohelet)81, der eine Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens beinhaltet, ist Leo Tolstois Werk Meine Beichte82. Tolstoi macht eine Reihe sowohl konkreter als auch intellektueller Erfahrungen, die ihn an der Sinnhaftigkeit seines Lebens zweifeln lassen.83 Hierdurch entwickelt er folgende Überlegung: Ihm zufolge können die Menschen im Allgemeinen auf vier unterschiedliche Weisen auf die Sinnfrage reagieren:84 - mit Ignoranz (welche man jedoch nicht mehr zurückerlangen könne, wenn man sich die Sinnlosigkeit des Lebens erst einmal vergegenwärtigt habe; sie steht also nur 75 Vgl. E. D. Klemke: Living Without Appeal (2008), S. 188. 76 Es ist passender hier 'transzendent' zu benutzen, obwohl er "transcendental" verwendet. Ich glaube, dass 'transzendental' zu sehr mit dem Gehalt der Kantschen Philosophie belegt ist. 77 Siehe auch: P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 472. 78 Es sollte vielleicht erwähnt werden, dass ein konzeptueller Unterschied zwischen 'keinen Lebenssinn haben' und 'das Leben als nicht lebenswert ansehen' besteht. 79 Fehlschluss, der begangen wird, wenn man von einem Soll-Zustand auf einen Ist-Zustand schließt. 80 Vgl. E. D. Klemke: Living Without Appeal (2008), S. 188. 81 Siehe Prediger Salomo, in: Strzysch, Marianne / Weiß, Joachim (Hgg.): Der Brockhaus in fünfzehn Bänden, Bd. 11, Leipzig/Mannheim: F. A. Brockhaus 1998. 82 L. Tolstoj: Meine Beichte (2010). 83 Wir versuchen, das rein Biographische aus dieser Wiedergabe so viel wie möglich auszuschließen. 84 Für den gesamten Abschnitt, vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 469. Vgl. auch Flew, Antony: Tolstoi and the meaning of life, in: Ethics 73 (Jan. 1963), S. 113. 22 dem naiv Unschuldigen zur Verfügung, dem das Konzept der Absurdität fremd ist), - mit Epikureismus (also sich ausschließlich um die Befriedigung seiner Lüste kümmern; etwas, das den meisten Menschen jedoch aus Mangel an entsprechenden Möglichkeiten verwehrt bliebe, auch wenn die meisten Menschen dies als Lösung sehen wollen, und etwas, das ebenfalls eigentlich auch nur zu einer moralischen Stumpfsinnigkeit führe oder diese zum Vorschein bringe), - mit konsequenter Strenge (also dieses 'lächerliche Spiel', das das Leben darstellt, beenden, sich selbst töten und somit den Tod dem Leben vorziehen; doch die meisten Menschen seien nicht im Stande, die Kraft und sogar die hierzu benötigte Vernunft aufzubringen; diese Option wird von Tolstoi zur Zeit des Verfassens dieser Passage befürwortet, auch wenn er sich hierzu nicht überwinden kann), - mit Schwäche und Resignation (d.h. die Wahrheit erkennen, und sich doch feige an seinem Leben festklammern). Tolstoi gibt zu, der zuletzt genannten Schwäche zu unterliegen. 85 Heutzutage würde dieser Geisteszustand von Ärzten sicherlich als Depression diagnostiziert werden. Doch wollen wir versuchen, der konzeptuellen Erfassung der Aussagen so gut wie möglich gerecht zu werden und die psychologischen oder neurologischen Erklärungsmodelle weitgehend auszuschließen, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, auch wenn diese naturwissenschaftlichen Ansätze von mir als überaus sachbezogen wahrgenommen werden.86 In seinem Text erfährt Tolstoi zunehmend Momente der Ratlosigkeit ("moments of perplexity") und gerät in einen sogenannten "Stillstand des Lebens" ("arrest of life"), 87 indem er sein Dasein als solches in Frage stellt und ihm sein Leben nicht mehr lebenswert erscheint.88 Er rutscht zunehmend in eine etwas extreme Form des Pessimismus, bei dem er von der Idee seines eigenen Todes und dessen der Menschen, die ihm nahe stehen, als vorzuziehender Option geradezu überwältigt wird. 89 Das Blatt wendet sich jedoch, denn im Laufe seiner weiteren Überlegungen überwindet er diese deprimierende Stimmung, weil ihm allmählich bewusst wird, dass es trotz allem einen Lebenssinn geben muss.90 Diese 'Offenbarung' wird durch die Beobachtung des einfachen Volkes ausgelöst, das trotz schwerer Arbeit und mühseligen Lebens zufriedener als die Mitglieder der gehobeneren Gesellschaftsklasse ist, die sich dem Spaß und Müßiggang hingeben können.91 Obwohl das einfache Volk mit dem Gedanken 85 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 110. 86 Ich glaube jedoch auch, dass neurologischer und konzeptuell-philosophischer Sachverhalt in einem direkten Zusammenhang stehen. 87 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 110. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality. A Critical Analysis, Amherst (New York): Prometheus Books 1984, S. 156: Er zitiert Tolstoi. Es beginne mit "moments of perplexity and arrest of life". Vgl. auch A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 111: Gewöhnliche Begierden haben ihre Kraft verloren, dies hat ebenfalls zum "arrest of life" geführt. 88 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 156. 89 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 469. 90 Vgl. L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 75. 91 Vgl. ebd. Der historische Kontext sollte hier in Erwägung gezogen werden. 23 der Zwecklosigkeit des Lebens und der Eitelkeit des Menschen vertraut sei und – ihm zufolge – diese rational nachvollziehen könne, 92 lebt es93. Darüber hinaus scheint es etwas zu verstehen, das Tolstoi und vielen anderen seines Standes entgeht. Das einfache Volk scheint also Tolstois existentiellem Stillstand nicht unterliegen zu müssen. 94 Er nimmt an, dass es nicht so leben könnte, wenn es nicht in irgendeiner Art ein tieferes Verständnis vom Sinn des Lebens hätte.95 Die Überzeugung wächst in ihm, dass der Sinn des Lebens im Glauben vorzufinden ist, eben so wie das Volk es zeigt und vorlebt. Auf diese Weise findet Tolstoi zum Christentum zurück, auch wenn es sich bei ihm um eine ganz eigentümliche Wiederannäherung an den Glauben handelt.96 Er glaubt jetzt den Fehler seiner vorherigen Denkweise damit erkannt zu haben, dass es sich bei der Lösung zur Sinnfrage nur um eine unbestimmte Antwort handeln könne.97 Er bleibt mit seiner vorherigen Auffassung insofern einverstanden, als dass es sich beim Glauben um eine Erkenntnis handelt, die nicht mit den Mitteln der Theorie und der Vernunft, sozusagen mit erhöhter Präzision, erörtert werden kann.98 Bei der Beschäftigung mit dieser Frage handele es sich nun mal um Ideen, die nicht vereinbar mit der Vernunfterkenntnis sind. 99 Diese vermag nicht nur nichts zur Lösung der Problematik beizutragen, im Gegenteil, sie verschlimmert die Desorientierung: "Wenn es nicht so entsetzlich wäre, so bliebe es immerhin lächerlich, mit welchem Hochmut und mit welcher Selbstzufriedenheit wir, wie Kinder, die Uhr auseinandernehmen, die Triebfeder herausreißen, daraus ein Spielzeug machen und uns dann darüber wundern, daß die Uhr nicht mehr geht." 100 Nur der Glaube kann für ihn das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen sicherstellen.101 Tolstoi behauptet weiter: "[…] der Glaube ist die Erkenntnis des Sinns des menschlichen Lebens, dank welchem der Mensch sich nicht vernichtet, sondern lebt. Der Glaube ist die Kraft 92 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 114. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 161. 93 Was hier bedeutet, dass es nicht das Bedürfnis empfindet, dem Leben ein Ende zu bereiten, und das Leben als lebenswert wahrnimmt. 94 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 162. 95 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 114-115. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 162: Für Flew ist diese Annahme Tolstois unsinnig und falsch. 96 Er stellt sozusagen seine eigene Version des Glaubens auf, vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 468. Denn nachdem er die Erkenntnis erlangt hat, dass der Glaube die Antwort auf seine Lebenssinnkrise ist, gelingt es ihm nicht, seine Neugierde zu zügeln und zu verhindern, die Frage zu stellen, worin dieser Glaube nun bestünde. Vgl. hierzu L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 67. Er nähert sich also gerade nicht an den Glauben, so wie es das einfache Volk tut. Vgl. hierzu auch A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 115-117. 97 Vgl. L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 64 f. 98 Vgl. ebd., S. 62 f. 99 Vgl. ebd., S. 69. 100 L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 69. Er redet von der Vernunft, der Wissenschaft und wie wir versuchen, die Welt und das Leben hiermit zu entschlüsseln und am Ende doch das Wichtigste nicht zu verstehen. 101 Vgl. ebd., S. 66. 24 des Lebens"102, und weiter: "»Was bin ich?« - »Ein Teil des Unendlichen.« In diesen zwei Worten liegt die ganze Aufgabe."103 Daraufhin entwickelt Tolstoi eine Mystik der Massen, indem er nur mit dem Glauben, wie er vom Volk vorgelebt wird, der Sinnfrage einen Zugang verschafft. 104 Dementsprechend sagt er der Vernunft ab, auch und gerade weil der Widerspruch zwischen Vernunft und Glaube unüberwindbar scheint, 105 obwohl bei der Lektüre seines Buches und bei seiner eigentümlichen Art, die Religion 'weiterzuentwickeln', 106 festgestellt werden muss, dass er hierbei ja gerade rationale Zusammenhänge sucht. Auf Tolstois Beichte wird oft in der einschlägigen Literatur verwiesen und dies aus gutem Grund, denn dieses Werk verdeutlicht wesentliche Aspekte der theistischen Position, die hier von Interesse sind. Nicht zu Unrecht benutzt Antony Flew diese Schrift als Fallstudie zu seinen auf die Sinnfrage bezogenen Überlegungen. 107 Zwei dieser Aspekte sind die Immortalität und das Herbeisehnen eines definitiven Glückszustandes. Zum einen wird aus Tolstois Schrift deutlich, dass der Mensch oft nur dann die Sinnhaftigkeit seines Lebens gelten lässt, wenn er den Tod als Grenze und Ende seines Lebens in welcher Form auch immer überwinden kann (was kein Widerspruch zu dem darstellt, dass er das Leben eventuell lieber beenden würde, denn er tut dies nur, weil er sich der Unausweichlichkeit des Todes bewusst ist), 108 und wenn ihm Gewissheit geboten werden kann, dass ein größerer Zweck hinter seinem doch scheinbar so kurzen und gegenüber dem gesamten Universum so unbedeutenden Leben steckt. Der Glaube an einen Gott, der den Zugang zu einem Jenseits verwaltet, indem er ihn an Bedingungen knüpft, zu einem Jenseits, das diesseitige Ängste seiner Sterblichkeit und Unbedeutsamkeit in eine epische ewige Rolle der eigenen Person umkehren lässt, stellt sicherlich etwas sehr Schmeichelhaftes für die Psyche des Menschen dar. Andererseits scheint es uns unmöglich zu sein, diesen kosmischen Zweck nicht mit einer eudämonistischen Konnotation zu versehen. Denn dieser Zweck muss positiv sein, 102 Vgl. L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 67. 103 Ebd., S. 69. 104 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 163. Vgl. auch A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 115. Flew zitiert Tolstoi: "All that people sincerely believe in must be true; it may be differently expressed but it cannot be a lie, and therefore if it presents itself to me as a lie, that only means I have not understood it". Für Flew ist dies grotesk. 105 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 163. Vgl. auch A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 115. 106 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 117. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 164. 107 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 110. 108 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 155. 25 damit die gesamte Vorstellung gedanklich tragbar ist. Und wenn wir unser diesseitiges Leben mit zu hohen eudämonistischen und moralischen Standards belegen, so dass es, da diese Standards nicht zu erreichen sind, nur als 'Tal der Tränen' wahrgenommen werden kann, dann benötigt der Theismus diese eudämonistische Dimension im Jenseits, um dies auszugleichen und zu überbieten. 109 Ziehen wir außerdem K. Baiers Idee des "Lebens als Test" in Erwägung und koppeln beides miteinander, so finden die Menschen eine Möglichkeit, Lebensmotivation zu schöpfen. 110 Wir erkennen, dass wir dem moralistischen Fehlschluss nicht entkommen. Doch dieser Fehlschluss wird nicht unbedingt immer als 'Fehl'-Schluss gesehen, also etwas das als Fehler betrachtet wird. Auch dem Theismus positiv gesonnene Autoren argumentieren, dass wir bestimmte Bedürfnisse von moralischer oder eudämonistischer Natur erfüllen müssen, und über die Erfüllung dieser Bedürfnisse erlangt der Mensch diese offenbar tiefere, nicht immer offensichtliche Ebene der theistischen Welt. Dem gläubigen 111 Theoretiker David Svenson zufolge kann diese Erfüllung nicht in "äußerlichen Zuständen" gefunden werden,112 die "Essenz des Lebens" und das Glück müssten in einem "moralischen Bewusstsein allein" gesucht werden und bei dieser Suche "spürt" man die Gegenwart Gottes. Wie Tolstoi hofft er so, der Verzweiflung einer von Tod und Unglück beherrschten Welt zu entkommen.113 Die vage Terminologie ist ebenfalls oft ähnlich. Auch Tolstoi redet von einem "Bewusstsein des Lebens", die man braucht, um diese Art der Erkenntnis zu erlangen.114 Ein weiterer fundamentaler Aspekt von Tolstois Beichte ist die Überwindung der Vernunfterkenntnis. Von Tolstoi wird auf repräsentative und deutliche Weise vorgebracht, dass die Vernunft bei der Ermittlung des Lebenssinns außer Acht gelassen werden muss, wenn man Ergebnisse in diesem Sinne erzielen möchte. Seine Auffassung betont die Schwierigkeit der Anwendung streng vernünftiger oder überhaupt ausdrückbarer Argumente innerhalb der theistischen Anschauung. So wird auch Tolstoi von Flew mit folgenden Worten zitiert, um wiederzugeben, wie dieser Glaube die rationale Argumentation verbietet: "All that people sincerely believe in must be true; it may be differently expressed but it cannot be a lie, and therefore if it presents itself to me as a lie, that only means I have not understood it".115 Dieselbe Problematik finden wir meines Erachtens immer in einem Diskurs wieder, der ein Jenseits, eine Immaterialität oder im Allgemeinen religiöse Ideen beinhaltet. 109 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 50. 110 Vgl. ebd., S. 56. Ich verweise ebenfalls auf Kapitel 2.2 in dieser Arbeit, S. 21. 111 Dass er gläubig ist, entnehme ich den Aussagen seines Artikels. 112 Frei übersetzt aus: Swenson, David F.: The Dignity of Human Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 20. 113 Frei übersetzt aus: ebd., S. 22-24. 114 Frei übersetzt aus A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 115. 115 A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 163: Für Flew ist dies grotesk. 26 Seit Kant wissen wir, dass wissenschaftliche und religiöse Begriffe auseinander behandelt gehören. So kann Kant zufolge z. B. Gott in einem wissenschaftlichen Rahmen nicht thematisiert werden, da die empirische Komponente fehlt und sich unser Denkvermögen in der metaphysischen Leere verliert, auch wenn in der praktischen Vernunft Gott für moralische Urteile vorausgesetzt werden müsse. Damit drückt sich jedoch auch die Nichtexklusivität des Anspruches der Wissenschaft auf Rationalität aus. Der gläubige116 Theoretiker Emil Fackenheim redet z. B. in Bezug auf das Judentum von einer nicht ausdrückbaren Bestätigung eines Sinns nach der "Begegnung" zwischen Gott und Mensch.117 Die Frage nach dem Sinn des Lebens müsse überhaupt nicht mehr beantwortet werden, wenn der Mensch mit Gott "in Kontakt" tritt. 118 Woraus dieser Sinn dann bestünde, bleibt unklar, doch es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob diese Unbestimmtheit nicht vielleicht bereits alles ist, was für die Sinnfrage überhaupt anerkannt werden kann. Bei vernünftiger Vorgehensweise muss die letzte Aussage als widersprüchlich angesehen werden, da weder die Antwort auf eine Frage noch die Erklärung eines Sachverhaltes durch deren 'Unbestimmtheit' eine echte Daseinsberechtigung erhält. Man kann sich natürlich dafür entscheiden, der Vernunft die Legitimität zu einem bestimmten konzeptuellen Kontext abzusprechen. Ob dies einen Sinn macht oder nicht wollen wir später sehen. Fackenheim unterstützt (vielleicht eher ungewollt) diesen offensichtlichen Widerspruch, indem er behauptet, dass die unausdrückliche Bestätigung des Sinns im Grunde Ausdrücklichkeit voraussetzt. 119 Wie wir bereits gesehen haben, redet Kurt Baier von einem "versteckten Sinn", 120 der der sinnlichen Beobachtung vorenthalten bleibt. Meines Erachtens kann man die Bedeutung dieses versteckten Sinns ebenfalls auf nichtrationale Aussagen im Allgemeinen ausweiten, also wenn z. B. Zusammenhang und Konsistenz der Argumentation fehlen und die Überzeugungskraft ausschließlich auf eine emotionale Empfindung oder ein menschliches Bedürfnis zurückführbar ist. Baier bestätigt, dass bei Anwendung der Möglichkeit der Existenz Gottes (also eines Teils einer möglichen "hidden meaning"Vorstellung) die wissenschaftliche Denkweise für den Kontext der Sinnfrage abgelehnt werden muss.121 Für Antony Flew kann Tolstois Lösungsansatz zur Sinnfrage ebenfalls mit der Wette von Blaise Pascal verglichen werden ... "in that it does not really provide any evidence that the approved claims about God 116 Dass er gläubig ist, entnehme ich den Aussagen seines Artikels. 117 Vgl. Fackenheim, Emil L.: Judaism and the Meaning of Life, in: Klemke / Cahn (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York 2008, S. 32. 118 Vgl. ebd. 119 Vgl. ebd., S. 32. 120 Vgl. Kapitel 2.1, S. 18. Vgl. auch K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 47 Abschn. 2 bis Abschn. 5. 121 Vgl. Baier, Kurt E. M.: The Meaning of Life. Inaugural Lecture delivered at the Canberra University College on 15 October 1957, Canberra: The Canberra University College 1957, S. 17. 27 and immortality are true. But what it does do is rather different. It urges that the truth of these claims is presupposed by some desired and desirable way of life." 122 Damit bestätigt auch Flew die Grundlage des moralistischen Fehlschlusses: "Tolstoy is sliding from the merely autobiographical: "there were no wishes the fulfilment of which I could consider reasonable"; to the ostensibly objective conclusion that suffering and mortality really must withdraw all reasonableness from every attempt to satisfy any ordinary human desire." 123 Etwas das moralistisch fehlgeschlossen wird, schließt gleichzeitig Vernunfterkenntnis aus. Im Theismus geht es nicht um die Erörterung von Tatsachen, die Sachlage ist klar. Dies lassen wir uns von R. W. Hepburn bestätigen: "One does not have to believe that philosophical arguments must be either cogent and successful or else a worthless tissue of conceptual confusions. The arguments [Argumente für die Existenz Gottes, besonders das kosmologische Argument] we have looked at in these two chapters are of very dubious validity, and yet their very persistence over the centuries, their deep psychological appeal to many of us, compel one to realize that they also express something of permanent human importance, whatever it is. What is expressed seems to me to have two principal facets---the expression of wonderment and the expression of anxiety, both directed to highly general features of our experience."124 2.4 Der naturalistische Ansatz Der Supranaturalismus lässt sich im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Weisen verneinen: 1) Durch die Überzeugung, dass es keinen Gott und/oder kein Jenseits, keine Transzendenz oder irgendeine andere spirituelle Welt oder Entität gibt. 125 2) Durch die Überzeugung, dass der Supranaturalismus eigentlich überhaupt nicht seinen eigentlichen Zweck erfüllt, nämlich einen Lebenssinn auf eine Weise, die vom Menschen irgendwie nachvollziehbar ist, aufzuzeigen. Letztere Überzeugung kann sich z. B. dadurch einstellen, dass sich die supranaturalistischen Überlegungen der Vernunfterkenntnis oder der allgemeinen philosophischen Argumentation entziehen und dies nicht akzeptiert wird. So wird z. B. im Historischen Wörterbuch der Philosophie Ludwig Feuerbach zitiert, der diesen Umstand auf den Punkt bringt: 122 A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 155. 123 Ebd., S. 158 124 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 184. Auch wenn er vom kosmologischen Gottesbeweis redet, so ist dies hier anwendbar. 125 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2. Supernaturalism. 28 "Die Beziehung auf die Sphäre der Sinnlichkeit wird Konstituens einer sinnvoll gestellten Sinnfrage. Sie muß Ausgangslage gebunden bleiben und verlöre ohne sie «Verliert nicht das Leben gerade durch das Jenseits, in finden soll, allen Sinn, allen Zweck?»" 126 bei L. Feuerbach zum an ihre anthropologische auch ihren Gegenstand: dem es erst seinen Sinn Verneint man den Supranaturalismus, so bleiben dem Menschen zwei Möglichkeiten: - die Sinnhaftigkeit des Lebens oder der Existenz an sich verneinen, oder - die Sinnhaftigkeit im Diesseits suchen, in welcher Form auch immer. Ersteres erschafft den Pessimismus oder Nihilismus, letzteres den Naturalismus. Den Sinn des Lebens als Naturalist zu bejahen, bleibt ein schwieriges Unterfangen, weil man mit der informellen Logik des zu benutzenden Wortschatzes zurechtkommen muss. 127 Für R. W. Hepburn vollzieht der Naturalist diesen Sprung, indem er die alte theistische Terminologie entweder ganz ablehnt oder sie umformt. Bei beiden Vorgehensweisen taucht er in die Komplexität der Sprache ein und bringt Dinge zum Vorschein, die auch für den Nichtnaturalisten von Interesse sein könnten.128 Für T. Metz gibt es einen logischen Spielraum für eine sowohl nichtsupranaturalistische als auch nichtnaturalistische Theorie,129 jedoch stellt man in der einschlägigen angelsächsisch-analytischen Literatur fest, dass der Naturalismus als die einzig echte Alternative130 zum Theismus angesehen wird. Auch Objektivismus und Subjektivismus lassen sich jeweils auch entweder dem Theismus oder dem Naturalismus unterordnen. Zunächst einmal lässt sich sagen, dass für den Naturalismus Begriffe wie 'Gott' oder 'Seele' keine notwendigen Bedingungen darstellen, um dem Leben oder der Existenz allgemein Sinnhaftigkeit zuzusprechen. Hierfür reichen bestimmte Lebensweisen in einer rein physikalischen Welt aus.131 Der Naturalismus sucht die Sinnhaftigkeit in einer Welt, die von der Wissenschaft untersucht werden kann. 132 Ferner scheint bei diesem Ansatz die Natur nicht nur die Grundlage für eine universale Moral zu liefern, sondern auch denjenigen Wert, der benötigt wird, um Sinnhaftigkeit zu erschaffen, 133 ob diese Prinzipien jetzt objektiv im Universum vorzufinden sind (→ Objektivismus) oder ob diese über den Umweg der Erschaffung durch unseren Geist entstehen, ohne hierbei den Geist einer transzendenten immateriellen Substanz zuzuordnen (→ Subjektivismus). 126 Ludwig Feuerbach: Die Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkte der Anthropologie, 1846, in: W. Schuffenhauer (Hg.): Gesammelte Werke, Bd. 10, 1971, S. 282. Zitiert in: V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp.816. 127 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 125. 128 Vgl. ebd. 129 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 783. Es bestehe einen logisch möglichen Raum für eine nicht supernaturalistische und nicht naturalistische Theorie, so z. B. Kants noumenale Rationalität als Vorbedingung für ein sinnvolles Leben. 130 Was die positiven Lösungsansätze angeht. 131 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 783+792. 132 Vgl. ebd., S. 783. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 133 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 2.1 God-Centered Views. 29 Für viele der behandelten Autoren ist die Sinnhaftigkeit des Lebens sehr wohl möglich außerhalb der "Wahrheit des Theismus" oder des Supranaturalismus, was das Ganze, wie bereits erwähnt, nicht weniger schwierig macht. 134 Gandhi und Einstein scheinen zum Beispiel ein sinnvolles Leben gelebt zu haben, ohne es mit Argumenten des Supranaturalismus oder überhaupt mit der Anwesenheit eines spirituellen Reiches rechtfertigen zu müssen.135 Aber wie lassen sich die Merkmale des sinnvollen Lebens genau bestimmen? Immerhin besteht eine grundsätzliche Gemeinsamkeit zum Theismus: Zum einen die Suche nach einer Rechtfertigung, warum das Leben ist wie es ist, und warum das Leben überhaupt ist. Es ist in der Tat schwierig, wenn nicht unmöglich, als reflektierender Mensch der Tendenz zu widerstehen, diese Rechtfertigung auf welche Art auch immer aufsuchen zu wollen. Zum anderen sein Leben bedeutsamer wahrnehmen zu wollen, indem man versucht, es in einen größeren Rahmen zu stellen, ein Teil von etwas Größerem zu sein als sein eigenes individuelles Leben, auch wenn dieses Größere nicht notwendigerweise im Jenseits stattfindet. 136 Für den Naturalisten stellen sich folgende Fragen: 137 - In welchem Maß bildet der menschliche Geist selbst Sinnhaftigkeit? Gibt es Sinnhaftigkeit außerhalb des menschlichen Geistes? - Gibt es irgendwelche Maßstäbe oder zu erfüllende Anforderungen, die bei allen Menschen unveränderlich sind? Die Antworten bestimmen darüber, ob wir eher zum Objektivismus oder doch zum Subjektivismus neigen. Um diese Fragen zu untersuchen, gehen wir zu einem neuen Kapitel über. Hierbei werden Lösungsansätze dargestellt, die dem Naturalismus untergeordnet werden können und ihn bilden. Aus diesem Grund erklärte ich in meiner Einleitung, dass ich mit der Aufteilung von T. Metz einverstanden bin, den Naturalismus in Objektivismus und Subjektivismus aufzuspalten und diese jenem unterzuordnen und dies auch in der Entwicklung meiner Arbeit befolge. Ich möchte jedoch klarstellen, dass es sich beim folgenden Objektivismus um einen nichttheistischen Objektivismus handelt,138 was je nach Interpretation nicht unbedingt immer der Fall sein muss. 134 Vgl. z. B. Bertrand Russells Vorstellungen oder Audi, Robert: Intrinsic Value and Meaningful Life, in: Philosophical Papers 34/3 (Nov. 2005), S. 331. 135 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 809. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 136 Vgl. Nozick, Robert: Philosophy and the Meaning of Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 228. 137 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 138 Siehe S. 16. 30 3. Objektivismus und Subjektivismus 3.1 Objektivismus Wie es der Name bereits andeutet, versucht der Objektivismus eine positive Sinnhaftigkeit des Lebens zu erschließen, indem er bestimmte Eigenschaften unseres Lebens und unserer Handlungen als Bestandteil der Natur und des gesamten Universums zu bestimmen versucht, ohne dabei nur auf mentale Zustände oder rein subjektive Ausrichtungen zurückzugreifen.139 T. Metz behauptet, der Objektivismus sei zur gegenwärtigen Zeit die führende Konzeption in der einschlägigen angelsächsischanalytischen Philosophie.140 Jedoch habe man Schwierigkeiten, die objektivistischen Theorien zur Orientierung von Verhaltensweisen umsetzen zu können, da sie entweder zu unpräzise in ihrer Aussage sind oder die nachteilige Erfahrung mit sich bringen, dass Einiges, was als intuitiv bedeutungsvoll wahrgenommen wird, nicht mit den entsprechenden Theorien übereinstimmt.141 Metz stellt in seinen beiden Artikeln 142 zusammenfassend folgende Theorien vor, die wir hier als kurzen Überblick verschiedener Ansätze nutzen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit für objektivistische Theorien erheben zu wollen: - Die Kreativitätstheorie: Das Leben wird als bedeutungsvoll und damit als sinnvoll angesehen, wenn man kreativ wirkt. 143 Es geht im Prinzip darum, die Welt mit Neuartigem zu bereichern, und das wird nicht nur auf die Kunst sondern auf alle möglichen Gebiete des Lebens bezogen. Natürlich stellt sich diesbezüglich auch gleich die Frage, woraus Kreativität überhaupt besteht oder wie man sie bewerten soll, wenn sie zu unmoralischen Zwecken verwendet wird. Aus diesem Grund fordern einige Theoretiker, die Aufstellung moralischer Maßstäbe nicht auszublenden und das Konzept der Kreativität an die Moralität des Wirkens zu kuppeln, um Klarheit und Konsistenz bei ihrer Bestimmung zu erlangen. 144 Ebenfalls muss bei dieser Theorie die Proportionalität einen Stellenwert erhalten, denn für ihre Nachvollziehbarkeit muss gelten, dass ein Mehr an Kreativität ein Mehr an Sinnhaftigkeit impliziert. - Wenn man die menschliche Handlung oder Absicht mit einem moralischen Gehalt in Verbindung setzen muss, um den Grad ihrer Bedeutung für die Sinnfrage bestimmen zu können, dann ist es auch nur konsequent, gleich eine Moralitätstheorie aufzustellen. 145 Auch bei dieser Theorie gilt die Proportionalität: je moralischer man handelt, desto höher 139 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 796. 140 Vgl. ebd. 141 Vgl. ebd. 142 Vgl. ebd., S. 798. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. 143 Kreativitätstheorie von Richard Taylor, vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 797. 144 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 798. 145 Vgl. ebd. 31 ist der Bedeutungsgehalt für unser Leben. 146 Was moralisch ist oder nicht kann dann in unterschiedlichen philosophischen Gebieten diskutiert werden. Die Natur des Wertes an sich kann z. B. in metaethischen Debatten geführt werden, was dann wiederum einen Niederschlag im Objektivismus finden könnte. 147 Metz deutet darauf hin, dass diesbezüglich das Bemessen der Sinnhaftigkeit auch anders herum gesehen werden kann: So glaubt z. B. John Kekes, dass etwas Bedeutungsvolles (hier "meaningfulness") für den Lebenssinn sogar aufgrund von Immoralität entstehen könne. 148 Aber warum dient Kreativität oder Moralität überhaupt als Messlatte für Sinnhaftigkeit? - Diese Frage versucht Robert Nozick zu beantworten, indem er behauptet, dass die Gültigkeit der Moralität als Maßstab für Lebenssinn aus der Zielsetzung besteht, Grenzen zu überwinden149 und Verbindungen untereinander herzustellen, 150 um sozusagen das menschliche Dasein zu einer immer komplexeren organischen Einheit zusammenwachsen zu lassen. Grundlegender als die Moral für den Lebenssinn ist, Nozick zufolge, an der Entwicklung von etwas Größerem teilzunehmen. 151 Es ist unklar, ob Nozick eine Tendenz zum Supranaturalismus aufzeigt, wenn er fordert, die Grenzen des menschlichen Daseins zu "transzendieren".152 - Es gibt diesbezüglich ebenfalls denjenigen Utilitarismus, der nicht nur die Moral, sondern auch den Lebenssinn thematisiert: Je mehr jemand einen Nutzen für die Gesellschaft produzieren kann, desto bedeutungsvoller und sinnvoller ist sein Leben, egal ob man aus der Handlung, die zum Nutzen führt, irgendein Lustgefühl oder Glücksgefühl erhält, 153 auch wenn die Lust an sich als Parameter für die Bestimmung des Nutzens berücksichtigt werden muss. - Ein anderes Beispiel einer objektivistischen Theorie ist die von Alan Gewirth. Für ihn ist ein bedeutungsvolles Leben eines, das die Vernunft in besonderem Maße anwendet. Im Grunde geht es ihm darum, das animalische Wesen des Menschen zu überwinden und etwas anzustreben, das der Zielsetzung von Nozicks Theorie ähnlich kommt. 154 - Es kann noch ergänzt werden, dass man diejenigen Theoretiker Pluralisten nennt, die sehr wohl den Objektivismus befürworten, jedoch nicht glauben, dass wir ein objektivistisches Prinzip finden werden, das allem gerecht wird, was als intuitiv sinnvoll wahrgenommen wird.155 Die menschlich intuitive Wahrnehmung des Bedeutungsvollen muss hierbei zwingend berücksichtigt werden. Einer dieser Pluralisten ist der bereits 146 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 798. 147 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. 148 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 798. In diesem Fall hätte z. B. Hitler einen hohen Lebenssinn gehabt, was natürlich intuitiv als abstoßend empfunden wird. 149 Ich würde dies allgemein als 'Entwicklung' oder sogar 'Evolution' benennen, wenn es in einem naturalistischen Sinne gemeint ist. 150 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 799. 151 Vgl. R. Nozick: Philosophy and the Meaning of Life (2008), S. 228. 152 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 799. 153 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. 154 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 800. 155 Vgl. ebd. 32 erwähnte John Kekes.156 Er glaubt, dass sowohl die Religion als auch die Moral daran scheitern, dem Leben wirklich einen Sinn zu geben, weil sie versuchen, eine zu allgemeine Antwort auf etwas zu geben, die gleichermaßen auf alle Menschen anwendbar sein muss.157 Aus seinem Blickwinkel stellt sich das als nicht machbar heraus, und er plädiert daher für eine pluralistische Lösung. Nicht zuletzt versucht er auch, sich dagegen zu wehren, wieder in eine subjektivistische Perspektive zurückfallen zu müssen, die er am Anfang seiner Überlegungen ausgeschlossen hatte. 158 Kekes' Pluralismus vereint mehrere Richtlinien in sich, die in den anderen Theorien wiedergefunden werden können, und beinhaltet auch (aber nicht ausschließlich) subjektive Elemente. Seine Theorie fordert für die Sinnhaftigkeit des Lebens ein, Projekte zu erstellen und zu verfolgen, die sowohl der Menschheit dienlich sind als auch persönliche Befriedigung leisten. 159 - Weitere allgemein bekannte philosophische Konzeptionen können ebenfalls mehr oder weniger als objektivistisch in Betracht gezogen werden: Aristoteles mit der Idee, das gute Leben sei durch die Anwendung des Logos als natürlich-eigentümlichen Zweck des Menschen erreichbar, Marx mit der Idee der Verminderung der Entfremdung und Nietzsche mit seiner Theorie des Übermenschen.160 Ein wichtiger Aspekt des Objektivismus wird mit dem Begriff 'sub specie aeternitatis' ausgedrückt, der von Thomas Nagel in die Diskussion über den Lebenssinn eingeführt wurde.161 Es handelt sich hierbei um einen rein externen, unpersönlichen und objektiven Standpunkt.162 Für Nagel gilt jedoch, dass dieser absolut objektive Standpunkt, den unser Geist fähig einzunehmen sei, lediglich Absurdität und deshalb eben gerade keine Sinnhaftigkeit produziert, da aus dieser Perspektive zu erkennen ist, dass wir überhaupt keinen Einfluss auf das kosmische Geschehen haben und die Existenz des Menschen komplett irrelevant erscheint.163 Letzteres kann jedoch wiederum in Frage gestellt werden, so wie es der Theoretiker Iddo Landau tut. 164 Landau glaubt den Denkfehler bei Nagel darin zu sehen, dass wir zu hohe Maßstäbe an die Sinnhaftigkeit setzen. Wenn die Anforderungen relativiert werden würden, könnte man den objektiven Standpunkt 'sub specie aeternitatis' sehr wohl beibehalten und dem Leben trotzdem Bedeutung beimessen: "But this argument [= Nagels Argument, dass aus dem Standpunkt 'sub specie 156 Siehe S. 32. Vgl. Kekes, John: The Meaning of Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981). 157 Vgl. ebd., S. 254. 158 Vgl. ebd., S. 255. 159 Vgl. ebd., S. 250+252+253+256. 160 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. 161 Was soviel bedeutet wie "aus dem Blickwinkel der Unendlichkeit", also der absolut objektive Standpunkt. Vgl. Nagel, Thomas: The Absurd, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 146. 162 Vgl. Landau, Iddo: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis, in: Australasian Journal of Philosophy 89/4 (Dez. 2011), S. 728. 163 Vgl. ebd., S. 729. 164 Vgl. ebd., S. 727+729. 33 aeternitatis' die Absurdität des Lebens abgeleitet werden muss] supposes that only a life that affects the whole universe, and will continue to do so for billions of years, can be considered meaningful. It is not clear why we should accept this supposition. I suggest that we should distinguish sharply between perspective, on the one hand, and standards for meaningfulness on the other hand."165 Und weiter: "A cosmic perspective may endorse non-cosmic, but rather much more moderate, standards of meaningfulness, and consider many people to have successfully passed this threshold."166 Zum einen liege das Wesentliche der Sinnhaftigkeit also nicht unbedingt darin, eine gewaltige Spur im Kosmos zu hinterlassen. Fakt ist jedoch, dass man eine Spur, so klein sie auch sein mag, hinterlässt. Zum anderen erklärt Landau weiter, dass man auch nicht wirklich wissen könne, welche Wirkung die Menschheit oder sogar einfach nur das einzelne Individuum auf das gesamte Universum haben kann. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Akkumulation von jeweils im Einzelnen unbedeutenden Wirkungen sehr wohl einen großen Einfluss auf die Zukunft hat. Das Ergebnis der Wechselwirkungen aller Phänomene ist in seiner Gesamtheit nicht vorhersagbar, und aus diesem Grund macht es auch keinen Sinn, eine einzige Art von Standard für die Sinnhaftigkeit des Lebens gelten zu lassen. Ihm zufolge ließen sich die Anforderungen für Sinnhaftigkeit auch ganz woanders sehen als im Impact auf das rein physikalische Geschehen. So können z. B. Weisheit oder Glück als Kandidaten für Sinnhaftigkeit logisch nicht ausgeschlossen werden, ohne hieraus ableiten zu können, welchen Impact sie haben. 167 Zusammenfassend kann diesbezüglich Folgendes festgehalten werden: "More generally, the size of the framework in which a certain issue is evaluated is largely independent of the standards of evaluation." 168 Und: "When reflecting on judgments on the meaning of life, then, we should consider predominantly the standards of meaningfulness that we use. Discussing perspectives is frequently less important and relevant than discussing standards." 169 Außerdem deuten Landaus Ausführungen darauf hin, dass genau dieser Denkfehler Nagels als die Art von Fehlschluss zu gelten hat, wenn ein religiöser Mensch nicht in Erwägung ziehen kann, dass nichts Kleineres als ein allmächtiger Gott von Nöten ist, um demjenigen Lebewesen einen Sinn zuzuordnen, das die Fähigkeit hat, die Größe oder die Unendlichkeit des Universums durch seinen Geist vom Prinzip her zu begreifen. 170 Landau versteht Nagels konzeptuelle Unterscheidung zwischen 'sub specie aeternitatis' und 165 I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 729. 166 Ebd. 167 Vgl. ebd. 168 Ebd., S. 730. 169 Ebd., S. 733. 170 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 731: "We may examine our lives sub specie aeternitatis, and we may adopt godlike standards of affectin the whole universe; but we need not adopt the latter because of the former." 34 'sub specie humanitatis' sehr wohl, aber anders als Nagel glaubt Landau nicht, dass beide Perspektiven auf diese Weise auf die Sinnhaftigkeit des Lebens bezogen werden können, schon allein deshalb nicht, weil sie sich auf mehrere unterschiedliche Weisen gegenseitig durchschneiden können.171 So kann man das menschliche oder sogar individuelle Leben sehr wohl aus einer absolut objektiven Perspektive widerspruchsfrei betrachten und umgekehrt auch den gesamten Kosmos aus der Perspektive des Individuums mit seinen menschlichen Eigenschaften, ohne dass dies als unzulässig zu gelten hat. 172 In der Encyclopedia of Philosophy werden diese zwei Perspektiven als "kosmischer Sinn" und "terrestrischer Sinn" betitelt, und auch hier geht Paul Edwards davon aus, dass beide sich beeinflussen können, ohne dass jedoch das eine logisch aus dem anderen geschlossen oder ausgeschlossen werden kann.173 Ein anderer Verfechter des Objektivismus, der der notwendig eintretenden Absurdität aus einer objektiven Perspektive im Sinne Nagels widerspricht, ist David Wiggins. Ihm zufolge muss eine herausragende Bedeutung in einen als objektiv geltenden Sachverhalt "investiert" werden, um Sinnhaftigkeit überhaupt erschaffen zu können. Dies gelte sogar dann, wenn das Konzept des 'Sinns' nur subjektiv ersonnen zu werden scheint.174 R. Nozick stimmt mit Wiggins diesbezüglich überein und versucht diese These mit einem Gedankenexperiment zu untermauern. Er denkt sich eine "Erfahrungsmaschine" aus, in der ein Mensch komplett mit allen seinen Sinnen von der äußeren Welt abgeschottet ist und hierbei Erfahrungen eingeflößt bekommt, die ihn lückenlos und wirklich glücklich machen, obwohl er sich dessen bewusst bleibt, dass er sich nicht in der 'echten' Welt befindet. Würde man diesen Mensch fragen, in welcher Welt er weiterleben möchte, in der echten äußeren oder in der glücklichen abgeschotteten Welt der Erfahrungsmaschine, so würde dieser die authentische äußere Welt wählen, sogar dann, wenn das Glück dann nicht mehr gewährleistet werden kann. Nozick glaubt, dass Sinnhaftigkeit im Leben dann entsteht, wenn eine Verbindung zu einem Wert hergestellt werden kann, der als desto wünschenswerter angesehen wird, je 'größer', je allumfassender er ist.175 Im Beispiel der Erfahrungsmaschine ginge es um den Wert der Authentizität. So wird auch in der Stanford Encyclopedia of Philosophy behauptet, dass Sinnhaftigkeit im Objektivismus zumindest teilweise durch die intrinsische Natur des infrage kommenden Wertes zustande kommt. 176 Ebenfalls in der Kategorie des Objektivismus müssen wir die Versuche deuten, den Sinn des Lebens in der Geschichte zu sehen. So tun es bereits z. B. Wilhelm Dilthey oder 171 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 732. 172 Vgl. ebd. 173 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 472. 174 Vgl. Runzo, Joseph: Life, meaning and value of [addendum], in: Donald M. Borchert (Hg.): The Encyclopedia of Philosophy. Second Edition, Bd. 5, Detroit: Thomson Gale 2006, S. 358. Er bezieht sich auf David Wiggins (2002). 175 Vgl. J. Runzo: Life, meaning and value of [addendum] (2006), S. 358. Er bezieht sich auf Robert Nozick (1989). 176 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 35 Auguste Compte wenn sie von dem Ziel oder der allgemeinen Richtung der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sprechen. 177 Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass sich diese Vorstellung von der üblichen teleologischen Denkweise darin unterscheidet, dass sich die historische Sinnhaftigkeit auf die Zivilisation und die Kultur der Menschen beschränkt, und nicht auf die gesamte kosmische Existenz oder die gesamte Schöpfung Gottes. Auch sollte beim Begriff der Evolution darauf geachtet werden, dass er für diese Art von Theorien nicht in einem darwinistischen Sinne zu verstehen ist. Der Darwinismus sucht nämlich ohne Teleologie oder Zwecktheorie auszukommen. 3.2 Subjektivismus Am einfachsten lässt sich der Subjektivismus mit folgender reduktionistischen Äußerung, wie sie von Alfred J. Ayer gemacht wurde, darstellen: Wir wählen uns den Sinn des Lebens selbst aus.178 Er kann damit also auch von Mensch zu Mensch verschieden sein.179 Ein Subjektivismus ist immer auch ein Relativismus. Der Objektivismus möchte mit einem gewissen Maß an Rationalität und Universalität an das Thema herantreten. Der Subjektivismus seinerseits trägt dem Wollen und dem Glauben 180 (nicht im religiösen Sinne) mehr Rechenschaft181 und es bleibt in der Tat zweifelhaft, ob der Mensch im Allertiefsten seines gesamten Wesens aus etwas anderem als das besteht. Und wenn das Menschsein im Grunde nur aus 'Wollen' bestünde, dann könne der Objektivismus unmöglich den moralistischen Fehlschluss vermeiden, auch wenn dieser in ihm nicht immer so deutlich zu Tage tritt wie im Supranaturalismus. Dies wäre bereits ein Umstand, der die Position der Subjektivisten festigt. Der moderne Subjektivismus hat keine ausgesprochen lange Tradition. Sein Auftreten wird vollzogen im 19. Jahrhundert mit der endgültigen Überwindung alter religiöser Werte und der Rückbesinnung auf den anthropologischen Ursprung dieser Werte. 182 Nach Dilthey und Nietzsche macht sich z. B. im deutschen Raum Selbstbezogenheit und Selbstbesinnung breit.183 So wird ebenfalls im angelsächsischen Raum um die Jahrhundertwende die Sinnfrage von Bertrand Russell überwiegend religionskritisch angegangen 184 und löst 177 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 817. 178 Vgl. Ayer, Alfred J.: The Claims of Philosophy, in: E. D. Klemke / S. M. Cahn (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 201. 179 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.1 Subjectivism. 180 Nicht unbedingt in einem religiösen Sinne. 181 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 250 f. 182 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 817. E. von Hartmann hält es zu dieser Zeit bereits als ausgemacht, dass jeder den Wert nach eigenem subjektiven Maßstab setzt. 183 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 819. 184 Vgl. ebd., Sp. 818. Hier wird B. Russells A free man's worship erwähnt. Siehe: Russell, Bertrand: A Free Man's Worship, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981) [ursprünglich erschienen 1903]. 36 hiermit eine Debatte aus, die bis heute Bestand hat. 185 Für Russell enthüllen die Naturwissenschaften die Sinnlosigkeit des Lebens insgesamt, denn diese zeigen uns zum einen, dass das Leben irgendwann einmal, wenn auch erst in ferner Zukunft, ausstirbt,186 so wie alles in der Natur oder im weiteren Sinne im Universum. Zum anderen zeigen die Naturwissenschaften, dass der Mensch selbst nur ein Produkt zufälliger Ereignisse ist, so wie es der Darwinismus vorschreibt. Somit könne man ebensowenig auf einen edlen Ursprung unseres Daseins zurückschauen als auch keiner finalen Konsequenz nacheifern, da es beide ganz einfach nicht gibt, und mit rationaler und konsequenter Kühle müsse der Mensch sich dann auch zugestehen, dass es den objektiven Lebenssinn nicht geben kann 187. Doch diese von vielen als deprimierend empfundene Einschätzung hat auch einen Vorteil für den Menschen, denn dieser ist jetzt frei,188 befreit von den Fesseln der überkommenen Objektivität der Werte und der alten Sinnstiftungen. Jean-Paul Sartre kommt später zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, doch seine Herleitung fußt, anders als bei Russell, auf einer unterschiedlichen Philosophie. Ebenso kommt Albert Camus zum Ergebnis, dass er nur in menschlichen Bezügen antworten kann, wenn er die Frage wagt, was Sinnhaftigkeit außerhalb des Menschseins bedeuten könnte.189 Er fordert, dass wir unsere Belange auf das Unmittelbare richten, also auf unsere existentielle Verfassung.190 Interessant ist außerdem die gegen den Objektivismus gerichtete Überlegung von Kai Nielsen: Die Tendenz des Menschen zu objektivistischen Überlegungen liege im Leid der menschlichen Existenz begründet und dieser Umstand mache die Tendenz sehr wohl erklärbar, wenn auch dafür nicht unbedingt rechtfertigbar. 191 Außerdem würde der Mensch, der den objektiven Lebenssinn sucht, kaum jemals mit den Untersuchungen der linguistischen Philosophie einverstanden sein können, da er sich gegen wichtige rationale Argumente wendet. So können "Warum"-Fragen, auch Nielsen zufolge, insgesamt rational nicht befriedigend gelöst werden. 192 Am Ende gelangt er zur Überzeugung, dass die Forderung eines objektiven Lebenssinns aus der Angst heraus entsteht, keine eigenen Entscheidungen treffen zu können. 193 185 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. 186 Da unser Planet und unser Sonnensystem nur eine begrenzte Dauer von Bestand sein kann, der modernen Physik zufolge. 187 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. Vgl. auch B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 56. 188 Vgl. B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 56. 189 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 728. Seine Quelle: Camus, Albert: The Myth of Sisyphus and Other Essays, übers. v. Justin O’Brien, New York: Knopf 1969, S.78). 190 Vgl. ebd. Bezüglich Camus, vgl. auch J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 250 f. 191 Vgl. Nielsen, Kai: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life", in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 211. 192 Vgl. K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 214. 193 Vgl. ebd., S. 216. 37 Nicht zuletzt wendet sich auch Karl Popper gegen den Objektivismus. Wenn religiöse Optionen ausgeschlossen sind, bestehe Einigkeit darin, dass Sinn nur im menschlichen Selbstverständnis zu retten sei.194 Dies gelte auch für die Auffassung, in der Weltgeschichte einen Sinn zu sehen.195 Da die Alternativen als intellektuell unbefriedigend empfunden werden, bleibt nur noch eines für die Menschen übrig: die eigenen Ziele verfolgen. Eigene Ziele aufzustellen, um sie verfolgen zu können, wird damit zum Kern des Subjektivismus. Dieser darf jedoch nicht mit einer negativen Antwort auf die Sinnfrage verwechselt werden. Der Subjektivismus bietet sehr wohl eine Sinnhaftigkeit, nur keine außerhalb unseres eigenen Geistes. 196 So sieht auch Russell nicht ein, wegen seines Standpunkts der Absurdität verfallen zu müssen.197 Er geht die Sache äußerst praktisch an und gibt den Menschen konkrete alltagstaugliche Ratschläge, wie es zu schaffen sei, das Leben als ein sinnvolles zu gestalten. Er spricht sich zum Beispiel dafür aus, sich nicht zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen, sondern seine Aufmerksamkeit auf externe Dinge und vor allem auf andere Menschen zu richten.198 Er nennt dies sich selbst "transzendieren" und entkoppelt gleichzeitig diesen Begriff von jedweder spiritualistischen Konnotation: "He must learn to transcend self, and in so doing to acquire the freedom of the universe."199 Auch das Glück spielt bei Russell eine herausragende Rolle in der richtigen menschlichen Selbstwahrnehmung, die es anzustreben gelte. Er unterscheidet zwei Arten von Glück, die des Herzens und die des Kopfes. Die erste bezieht sich überwiegend auf die Familie und das soziale Umfeld, die zweite auf die Befriedigung einer intellektueller Entwicklung. 200 E. Klemke argumentiert ähnlich wie Russell. Die Neutralität des Universums würde einen objektiven Lebenssinn ausschließen.201 Wir selbst sind es, die die Ereignisse und Phänomene aufgrund unserer eigenen Präferenzen bewerten. 202 Doch wer aus diesem Grund behauptet, das Leben sei nicht wert gelebt zu werden, macht sich der Verwechslung zwischen eben genau der objektiven und subjektiven Perspektive schuldig. Außerdem, so Klemke weiter, würde ein objektiver Lebenssinn wirklich existieren, so gebe es immer noch den Zweifel, diesen als seinen Eigenen empfinden zu können und wäre damit schon allein aus kontraintuitiven Gründen nicht wirklich aufrechtzuerhalten.203 So wie Russell spricht sich auch Klemke dafür aus, das eigene 194 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 819. 195 Vgl. ebd., Sp. 818. 196 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.1 Subjectivism. 197 Vgl. Russell, Bertrand: The Conquest of Happiness, Abingdon: Routledge Classics 2006 (11930), S. 6. 198 Vgl. ebd. 199 Ebd., S. 62. 200 Vgl. ebd., S. 99. 201 Vgl. E. D. Klemke: Living Without Appeal (2008), S. 190. 202 Vgl. ebd., S. 191. 203 Vgl. ebd., S. 193. 38 Leben mit echtem persönlichen Gehalt und Faszination (Arbeit, Wissen, Kunst …) zu gestalten, um es allein subjektiv als bedeutend einschätzen zu können. 204 Da 'Sinnhaftigkeit', 'Sinn' und 'Bedeutsamkeit' von unseren Wünschen, Zielen und Bevorzugungen abhängen und somit relativ zum Subjekt bestimmt werden müssen, 205 können die Subjektivisten auch keine unveränderlichen Standards akzeptieren. 206 In spezifischerer Hinsicht geht es ihnen darum, zu untersuchen, nach welchem mentalen Vermögen der Sinn des Lebens konstituiert werden kann und genau hierin unterscheiden sich auch die Vorschläge der Subjektivisten.207 So gibt es innerhalb dieser Philosophie unterschiedliche Versuche, wenn auch nicht mit universellen konzeptuellen Mitteln bestimmbar, doch den Sinn des Lebens begrifflich einzugrenzen. - Einer dieser Versuche, ist es, das sinnvolle Leben als ein authentisches bestimmen zu wollen, wobei es auch – ein Aspekt, der weiter oben bereits erwähnt wurde 208 – darum geht, seine selbst aufgestellten Ziele verwirklichen zu wollen. - Ein anderer Versuch wird durch die Theorie aufgezeigt, die Sinnhaftigkeit auf intuitive Art in der Versunkenheit einer Tätigkeit oder sonst einer persönlichen Erfahrung zu sehen. Beide Sichtweisen weisen die Rolle der objektiven Wertigkeit von sich. 209 - Nur ein wenig abweichend von letzterer Position ist die allgemeinere Sichtweise, Befriedigung aus seinen eigenen Tätigkeiten zu ziehen. Die Grundlage bilden hierbei ausschließlich die persönlichen Gefühle einer Person. 210 - Für andere Theoretiker spielen die Neigungen eine größere Rolle, was und wie etwas begehrt wird, und die Erfüllung dieser Begierde. So gründet z. B. für Harry Frankfurt der Sinn des Lebens in der Liebe.211 - B. Russells Sichtweise kann ebenfalls als eine eigenständige Theorie geltend gemacht werden, auch wenn sie aus Aspekten besteht, die bei anderen Theorien ebenso vorkommen (etwas, dem nicht nur seine Theorie unterliegt). Sie könnte vielleicht als Selbsttranszendierungstheorie betitelt werden. 212 Im Allgemeinen bleibt nach wie vor unklar, welcher Zustand oder Fähigkeit des Menschen die Hauptrolle der subjektiven Sinnhaftigkeit ausmacht: Zuneigung, Wollen, Kognition oder eine Kombination von einigen oder allen Komponenten. 213 204 Vgl. E. D. Klemke: Living Without Appeal (2008), S. 194. 205 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 792. Der Sinn des Lebens hängt vom Subjekt ab, der Sinn des Lebens "is a function of whether it is (or its parts are) the object of some proattitude or other." Dies gelte als ausreichende Bedingung für Sinnhaftigkeit. 206 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 207 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 793. 208 Siehe: 3.2 Subjektivismus. 209 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.1 Subjectivism. 210 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 793. 211 Vgl. ebd. 212 Das Wort habe ich selbst so gewählt. Auch Russell benutzt transzendieren in diesem Zusammenhang in einem nichtmetaphysischen Sinne. 213 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 793. 39 Der Subjektivismus war im angelsächsischen Raum die bestimmende Konzeption für einen großen Teil des 20. Jahrhunderts als der Pragmatismus, Positivismus, Existentialismus und Nonkognitivismus einen hohen Einfluss auf die Philosophie ausübten, bis er vor 30 Jahren sein Primat zugunsten des Objektivismus einbüßen musste.214 3.3 Dazwischenliegende Positionen Ein Problem stellt sich allerdings, wenn wir die Implikationen untersuchen, die die subjektivistischen Theorien mit sich bringen. Denn was tatsächlich bedeutungs- oder sinnvoll ist, kann nicht wirklich von mir allein als Subjekt bestimmt werden. Wenn es nur auf meiner eigenen persönlichen Vorstellung basieren würde, dann könnten wir kaum noch von 'Sinnhaftigkeit' oder 'Bedeutsamkeit' im engeren Sinne reden, da diese Begriffe eigentlich nicht als willkürlich gelten sollten, um als das verstanden werden zu können, was man gewöhnlich unter diesen Begriffen verstehen möchte. 'Sinnhaftigkeit' und 'willkürliche Bestimmung' werden als inkompatibel empfunden. 215 So gibt es ebenfalls im Subjektivismus Aspekte, die aus kontraintuitiven Gründen zurückgewiesen werden können.216 Dies scheint mir einer der Gründe gewesen zu sein, warum sich in der angelsächsisch-analytischen Philosophie in den letzten Jahrzehnten eine Rückkehr zum Objektivismus vollzogen hat.217 Es ist in der Tat fragwürdig, ob es überhaupt die reine objektivistische oder die reine subjektivistische Theorie gibt. So lassen bereits die pluralistischen Theorien 218 innerhalb ihrer Herleitungen erahnen, wie schwierig es ist, beide Sichtweisen nicht ineinander greifen zu lassen. Sind die pluralistischen Theorien des Objektivismus überhaupt ausreichend objektivistisch oder füllen sie bereits einen Zwischenraum dieser radikalen Gegenüberstellung? So, glaube ich, ist auch für alle subjektivistischen Theorien die Frage legitim, ob man nicht an irgendeiner Stelle der Überlegung wieder der Bestimmung von objektiven Werten verfällt.219 Eine weitere Schwierigkeit beim Subjektivismus ist die, ob und inwiefern man die Unterscheidung zwischen dem Individuum und 214 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.1 Subjectivism. Metz führt folgende Schriften auf: James 1900; Ayer 1947; Sartre 1948; Barnes 1967; Taylor 1970; Hare 1972; Williams 1976; Klemke 1981. Vgl. auch T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 793. 215 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 794. Er zitiert Taylor: "Which issues are significant, I do not determine. If I did, no issue would be significant". "significance" beinhaltet, nicht willkürlich zu sein. 216 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 795. 217 Siehe weiter oben, Kapitel 3.2, S. 40. 218 Zum Beispiel: J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 250-256. 219 Ähnliche Probleme finden wir in umgekehrter Richtung vor: Subjektivismus → Objektivismus (vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism). 40 der menschlichen Gattung vornehmen muss.220 Gilt das subjektiv empfundene nicht auch irgendwo für jedes Mitglied dieser menschlichen Gattung? Kann man persönliche Projekte nicht in Aspekte zerlegen, die von jedem Menschen mehr oder weniger geteilt werden? Bei einigen Theorien ist man sich in der einschlägigen Literatur einig, dass sie nicht ohne Weiteres zuzuordnen sind, insbesondere auch deshalb, weil die Autoren explizit beide gegenüberliegenden Sichtweisen miteinander verbinden. Die bedeutendste ist die von Thomas Nagel, die in seinem The View from Nowhere221 beschrieben wird. Von ihm war bereits weiter oben die Rede. 222 Als 'sub specie aeternitatis' benennt er die absolut objektive Perspektive oder – wenn man so will – die kosmische Perspektive. Bei dieser Perspektive wäre das Leben nicht mehr als sinnvoll darstellbar, sogar wenn es sich um so bedeutende Leben wie die von Mozart, Einstein oder Jesus handelt. Russell sieht es vom Standpunkt der Wissenschaften aus ähnlich. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich die Perspektive 'sub specie humanitatis'. Sie beschreibt den internen, subjektiven und teilnehmenden Standpunkt und wird vom Subjektivismus eingenommen. 223 Nagel zufolge ist für viele Menschen auch dieser Standpunkt als absurd zu erachten. Zum einen gelte dies aus konventionellen Gründen, die im Zusammenhang mit den Umständen, besonderen Bestrebungen oder persönlichen Beziehungen der Menschen stehen. Im gewöhnlichen Leben erscheint die Absurdität, wenn sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität auftut, 224 verursacht durch unsere "konstitutionelle Selbstversunkenheit" 225. Und zum anderen ist der subjektive Standpunkt deshalb absurd und lässt unser Leben ironisch erscheinen, weil der Mensch die Fähigkeit besitzt, den objektiven Standpunkt einnehmen zu können. Somit lässt die Sinnfrage, laut Thomas Nagel, eine doppelte Diskrepanz erkennen. 226 Der objektive Standpunkt sei ein wesentlicher Teil des Menschseins und könne nicht einfach ohne Verlogenheit von uns entfernt werden.227 Eine andere "hybride Sichtweise"228 wird von Susan Wolf dargelegt. Für sie entsteht … "Sinnhaftigkeit wenn sich subjektive Anziehungskraft mit objektiver Attraktivität verbindet".229 220 Siehe auch V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 820. Hier wird H. Reiner erwähnt. Dieser unterscheidet bei der Sinnfrage zwischen Individuum (Krankheit + Gesundheit ausschlaggebend) und menschlicher Gattung (hierfür findet er ihn, wie schon Kant, im guten Willen). 221 Nagel, Thomas: The View from Nowhere, New York: Oxford University Press 1986. 222 Siehe S. 33. 223 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 728. 224 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 145. 225 J. Runzo: Life, meaning and value of [addendum] (2006), S. 358. 226 Vgl. ebd. 227 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 728. Er erwähnt Thomas Nagel aus: The View from Nowhere, New York: Oxford University Press 1986, S. 210. 228 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. 229 Frei übersetzt aus: T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3.2 Objectivism. Vgl. auch T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 794. Er zitiert Wolf: “Meaning arises when subjective attraction meets objective attractiveness” (Wolf 1997a, 211). Siehe auch in: Wolf, Susan: Meaning in Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 232-235. 41 Konkret bedeutet dies, dass ein Leben als sinnvoll erachtet werden kann, wenn eine aktive Teilnahme an lohnenswerten Projekten besteht. Die Komponente des lohnenswerten Projektes wird von Wolf als einen objektivierbaren Wert eingestuft. 230 Die Bestimmung der Bedeutsamkeit dieser Projekte müsse im Zusammenhang mit einer gesamtgesellschaftlichen und ethischen Dimension hergestellt werden. 231 Es bleibt jedoch fragwürdig, mit welcher Präzision und mit welcher Einigung unter den Theoretikern diese Bestimmung gelingen kann. Eine weitere interessante Theorie, die T. Metz als eine "vielversprechendste Strategie" 232 einschätzt, auch wenn sie von der Fachgemeinschaft wenig beachtet wird, 233 ist abschließend die intersubjektive Theorie von Stephen Darwall. 234 Sie besagt, dass einige Wertestandards als unveränderlich und objektiv wahrgenommen werden können, auch wenn diese lediglich durch die Einigung der Menschen auf eine gemeinsame Sichtweise aufgestellt wurden. Eine Sachlage kann einem Leben also genau dann Sinnhaftigkeit zuordnen, wenn mehr oder weniger alle Menschen sich diese herbeiwünschen und sie von einem unpersönlichen Standpunkt erdacht werden kann. Dementsprechend sollte die Sachlage leidenschaftslos, vom Impact auf das eigene Leben abstrahiert, mitsamt ihren unterschiedlichen Eigenschaften untersucht und bewertet werden. Diese Theorie ist insofern subjektivistisch, als dass die Präferenzen der Menschen in Betracht gezogen werden, schweift aber insofern vom Subjektivismus ab, als dass jeder dieselbe Präferenz haben muss, um ihr Gültigkeit zu verschaffen. 235 4. Das Leben als sinnlos betrachten Bisher wurden nur Theorien vorgestellt, die dem Leben eine in welcher Form auch immer geartete Sinnhaftigkeit zuschreiben. Natürlich bietet die Philosophie auch diejenige Anschauungsweise, die besagt, dass all dies eine Illusion, ein Fehlschluss, ein Irrglaube sei, die besagt, dass das Leben sinnlos sei, und dies nicht nur als zeitweilige und vielleicht auch methodische Einstellung, um zu einer anderen Form der Sinnhaftigkeit als zuvor zu gelangen (so wie z. B. bei Tolstoi) 236, sondern als eine wirkliche und definitive Erkenntnis und mit der Akzeptanz der (womöglich als zweitrangig angesehenen) möglichen negativen Konsequenzen, die diese auf unsere psychische Verfassung oder sogar auf gesellschaftliche und ethische Rahmenbedingungen haben können. 230 Vgl. S. Wolf: Meaning in Life (2008), S. 232. 231 Vgl. ebd. 232 Frei übersetzt aus: T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 795. 233 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. 234 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 795. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 3. Naturalism. Er gibt an: Darwall 1983, chs. 11-12. 235 Für den gesamten Teil ab Fußnote 234, vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 795. 236 Siehe z. B. S. 24. 42 Einer der logischen Vorteile der Theorien, die dem Leben die Sinnhaftigkeit absprechen, wollen wir bereits am Anfang vorwegnehmen: Wenn man objektiv das Leben als sinnlos erkennt und diesem Umstand daraufhin genauso wenig eine subjektive 237 als auch supranaturalistische Sinnhaftigkeit entgegensetzt oder es hiermit auskompensiert, man also Sinnlosigkeit in welcher Hinsicht oder Perspektive auch immer vertritt, dann scheint man sich auch nicht des moralistischen Fehlschlusses schuldig machen zu können. Ich glaube sogar, dass der Antrieb, einer Theorie der Sinnlosigkeit zuzustimmen, vor allem aus genau diesem Grund besteht, nämlich sich nicht selbst dem moralistischen Fehlschluss aussetzen zu wollen oder zu können, weil es irgendwie nach einer intellektuellen Selbstlüge 'schmeckt'. Dementsprechend scheint die Akzeptanz der Sinnlosigkeit des Lebens238 vorab als die konsequenteste Sichtweise in diesem Kontext, auch wenn niemand mag, was sie aussagt. Ob dies wirklich so ist, wollen wir im Laufe unserer Untersuchung sehen. Wir werden uns im Folgenden drei unterschiedliche Strömungen der Befürwortung der Sinnlosigkeit des Lebens ansehen. Auf reduktionistische Weise können wir vorausschicken, dass der Pessimismus die Idee unterstützt, dass das Leben keinen Sinn hat und es gleichzeitig besser wäre, nicht zu leben oder nicht geboren worden zu sein. Der Nihilismus vertritt die Idee, dass das Leben ebensowenig einen Sinn hat, jedoch nicht unbedingt aus diesem Umstand die Konsequenz zu ziehen ist, dass das Leben nicht als nicht lohnenswert empfunden werden soll. Schließlich unterstützt der Existentialismus die Vorstellung, die ebenfalls sehr wohl von der Absurdität des Lebens ausgeht und damit auch die allgemeine Sinnhaftigkeit des Lebens verneint (und dem Begriff an sich seine Gültigkeit abspricht), jedoch einen Weg findet, das Leben an seiner eigenen Unmittelbarkeit durch aktive Tätigkeit und Einsatz für die Gegebenheiten zu rechtfertigen, die dieses Leben auszumachen scheinen, besonders auf einer gesellschaftskritischen Ebene (etwas, das dem Subjektivismus wiederum recht nahe kommt). Natürlich greifen viele Aspekte dieser Strömungen ineinander und gleichzeitig lassen sich die einzelnen Standpunkte der Autoren oder Theorien nicht präzise in das Korsett dieser Kategorisierung zwängen.239 Der Analyst muss mit einem gewissen Maß an Geschmeidigkeit an dieses Material herangehen. 237 Vorausgesetzt Sinnhaftigkeit und Subjektivität sind als zusammenhängende Begriffe nicht tragbar, d.h. wenn Sinnhaftigkeit einen objektiven Anspruch voraussetzt. 238 So wie es z. B. bei Tolstoi nicht der Fall war, siehe z. B. 24 239 Wie es bisher ja auch zu gelten hatte, doch hier scheint es mir noch wichtiger zu sein, es zu erwähnen. 43 4.1 Im Pessimismus Der Pessimismus möchte von seinen Befürwortern als eine Auffassung angesehen werden, in der verhindert wird, dass Gefühle, Launen oder das Gemüt in den theoretischen Überlegungen zum Ausdruck kommen und die rationalen Urteile in ihrer Widerspruchsfreiheit damit verwässert werden. In der Tat scheint man als realistische Person der Herleitung zum Pessimismus zustimmen zu wollen. 240 Auch scheint er, genauso wie es bereits für den Subjektivismus der Fall war, von einer naturwissenschaftlichen Perspektive unterstützt zu werden. Gibt es nicht auch in der Physik den Grundsatz, dass die Entropie, also das Chaos im Gesamtsystem des Universums nur zunehmen kann, nicht jedoch etwas, mit dem wir erwünschte Finalitäten identifizieren könnten?241 Und lässt diese Projizierung nicht alles, was wir tun, nicht nur als sinnlos sondern auch als nicht lohnenswert und nicht erstrebenswert erscheinen? Tolstois Beichte242 ermöglicht erneut eine Annäherung an eine relevante Idee, dieses Mal geht es um deren temporären pessimistischen Grundgedanken, auch wenn Tolstoi sich dafür entschied, diesen im Laufe seiner Überlegungen hinter sich zu lassen. Zu demjenigen Zeitpunkt, als Tolstoi seine existentielle Sinnkrise wahrnimmt, entwickelt er das Argument, dass es kein menschliches Begehren gibt, das sich als ausreichend lohnenswert erweist, erfüllt zu werden, wenn sich die Sinnlosigkeit des Lebens als wahr herausstellt. Und diese 'Wahrheit' wird durch die Feststellung erlangt, dass das Leben sowieso nur im Leid und Tod sein Ende finden kann. 243 Wofür soll das alles gut sein? Wir erkennen, dass seine Einschätzung der Sinnhaftigkeit an etwas geknüpft wird, das sich ihm zufolge als unzureichend und demotivierend herausstellt. Umgekehrt gelte auch, dass wir das Leben nur mit einem Sinn belegen könnten, wenn wir nicht zu leiden und sterben bräuchten (oder zumindest nicht mit endgültiger Wirksamkeit). Da dies nicht zu gewährleisten, also unmöglich ist, gilt die Sinnlosigkeit definitiv: Sie gilt als unzweifelhafte vernunftbasierte Erkenntnis. 244 Mit der Voraussetzung, dass jedes finale Ergebnis des Lebens nur als leidvoll zu erkennen ist, bliebe nur eine vernünftige Konsequenz, die man konkret ziehen müsste: der Selbstmord. 245 Die einzig andere Option, die in dieser Logik in Erwägung gezogen werden könnte, nämlich die, nicht geboren zu werden, bleibt ja evidenterweise ausgeschlossen. 240 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 469. 241 Vgl. ebd. 242 L. Tolstoj: Meine Beichte (2010). 243 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 111+112. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 158 f.: "[...] the basic sense for Tolstoy is that in which to say that life is meaningless is to say that there are no human desires the fulfilment of which would be reasonable. But sometimes, as in the present argument, the expression is also so construed as in effect simply to mean that life does end in "suffering and real death"." 244 Vgl. L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 34. 245 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 112. Vgl. auch L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 52. 44 Antony Flew, der wie bereits erwähnt 246 Tolstois Argumentation ausgiebig studiert hat, kritisiert sie scharf. Wir wollen für einige Aspekte dieser Kritik auf Kapitel 6 verweisen. Für Flew handelt es sich bei Tolstois Beichte247 lediglich um ein Beispiel eines Menschen, der seine existentielle Verfassung einfach nicht erduldet, 248 von einem analytischphilosophischen Standpunkt ließe sich diese Argumentation jedoch nicht halten. Arthur Schopenhauer bietet eine ähnlich Überlegung, jedoch als Teil einer metaphysisch ausgereifteren Gesamtkonzeption.249 Ihm zufolge sei seine pessimistische Sichtweise nicht anzuzweifeln, wenn unsere gedanklichen Entscheidungen allein von der Vernunft beeinflusst wären. Unter diesen (ideal-vernünftigen) Umständen des Denkens würden wir keine Kinder mehr machen, wir würden ihnen die Existenz ersparen, da das Leid bei weitem das vom Menschen Erwünschte überwiegt. Leid und Schmerz sind die wahren positiven gesetzten Verfassungen des biologischen Lebens insgesamt. Glück ist eine Empfindung, die nur von kurzer Dauer ist und die durch den normaleren Zustand der Frustration oder Enttäuschung eingenommen wird, um dann wiederum mit der quälenden Suche nach neuem Glück anzufangen. Als solches ist das Glück, wie es im Übrigen verstanden wird, eine Illusion. Ein Beleg der Gültigkeit seiner These zeige sich zum einen darin, dass das Glück der anderen im Normalfall lediglich Eifersucht in uns erzeugt (auch wenn er zugibt, dass es Ausnahmen zu geben scheint), und zum anderen darin, dass Glück nur als 'negative' Realität vorkommt, weil wir es eben nur dann wirklich als solches wahrnehmen können, wenn es bereits nicht mehr da ist oder wenn es noch nicht da ist. Außerdem klingen eine Freude oder das Glück so sehr mit der Zeit ab, dass sie keine Folgewirkungen zu hinterlassen scheinen, so als wären sie nie da gewesen. Nicht nur findet der Mensch fast nur Leid vor, das endgültige Urteil der Natur für ihn heißt außerdem Vernichtung durch Tod. 250 Der vernünftige Mensch sollte diese Sichtweise verstehen und akzeptieren. Denn anders als bei der Religion liege die Funktion der Philosophie nicht darin, die Menschen zu trösten oder ihnen gefällig zu sein.251 So schreibt er mit sachlicher Unbekümmertheit: "Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientirung im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als daß man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt" 252. 246 Siehe S. 25. 247 L. Tolstoj: Meine Beichte (2010). 248 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 118. 249 Für den gesamten Abschnitt, vgl. Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung, Gesamtausgabe, nach den Ausgaben letzter Hand v. Ludger Lütkehaus, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 42008 (11998). Vgl. auch: P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467: Edwards behauptet, einige der Argumente Schopenhauers seien metaphysischer, einige empirischer Natur. 250 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 468. 251 Vgl. Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften, Bd. 2, Berlin: A. W. Hahn 1851, S. 253 f. 252 A. Schopenhauer: Parerga und Paralipomena (1851), S. 255. 45 Dieser Feststellung folgend sollte der Mensch seine Erwartungen im Leben anpassen. Dann müsste sich dieser auch eingestehen, dass es besser gewesen wäre, wenn die Welt und der Mensch nie existiert hätten. Die Nichtexistenz sei somit der Existenz vorzuziehen.253 War Schopenhauer einfach nur ein einsamer verbitterter Mensch, unfähig Liebe für etwas oder jemanden zu empfinden, oder hat die Argumentation einen zwingenderen rationalen Charakter.254 Die gleiche Frage könnte man auch an Tolstoi stellen, zumindest während der Dauer seiner pessimistischen Lebenskrise. Bei letzterem wissen wir durch seine eigene Aussage, dass er einem "Stillstand des Lebens" 255 unterlag, was meines Erachtens eine klare psychologische Konnotation aufweist. Auch von Schopenhauer wissen wir, dass er nicht unbedingt der geselligste Mensch war. 256 Mit ihm findet jedoch die Sinnfrage außerhalb der Philosophie große Bedeutung. Er leitet den semantischen Wechsel von Sinn als "Empfindung/Bedeutung" zu "Ziel" ein. Ihm zufolge ist es die Rolle der Philosophie, das Leben "in seiner ganzen Bedeutsamkeit" zu erfassen,257 und die Sinnfrage gehört dazu. Paul Edwards weist darauf hin, dass es auch nicht verbitterte Menschen gibt, die zu denselben Schlussfolgerungen kommen, und kritisiert Schopenhauers Standpunkt trotzdem. Ihm scheint es sehr fragwürdig zu sein, die Einschätzung zur universellen Wahrheit zu erheben, dass ein Ziel nur deshalb als enttäuschend eingestuft werden muss, weil es erreicht worden ist. Außerdem könne man hinterfragen, das Leid als positiv und die Lust und das Glück lediglich als dessen Negation, also lediglich als Abwesenheit des Leides zu setzen.258 Die Kritikpunkte der unterschiedlichen Theorien werden wir im analytischen Teil dieser Arbeit fortsetzen. 259 Doch bereits an dieser Stelle möchte ich die speziellen Standards260 der Pessimisten erwähnen, da genau dieser Aspekt einen großen Teil der angelsächsisch-analytischen Debatte zur Sinnfrage ausmacht. Eigentlich könne man Edwards zufolge nicht wirklich behaupten, dass die Pessimisten sich in ihrer Herleitung irren, doch dies gilt nur mit einigen semantischen Voraussetzungen.261 So wird die Sinnhaftigkeit von den Pessimisten anders gedeutet als in 253 Vgl. A. Schopenhauer: Parerga und Paralipomena (1851), S. 256. Vgl. auch P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. 254 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 468. 255 Siehe S. 25. 256 http://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Schopenhauer#Schopenhauers_Pers.C3.B6nlichkeit (Stand 30.09.2014): “Arthur Schopenhauer war ein Einzelgänger [und] nach Einschätzung von Chronisten ein „verkannter Niemand““. 257 Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit, VI/9, 1851, in: A. Hübscher (Hg.): Sämtliche Werke, Bd. 1, 1938, S. 509. Zitiert in: V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 816. 258 Für den gesamten Anfang dieses Abschnitt, vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 468. 259 Siehe Kapitel 7. 260 Man kann es mit Anforderungen oder Maßstäben übersetzen, ich möchte jedoch bei diesem Wort bleiben, weil es es auch auf Deutsch gibt, weil es in der analytisch-angelsächsischen Literatur immer nur so vorkommt, und es eigentlich im Deutschen das gleiche bedeutet. 261 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 473. Vgl. auch K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 209. 46 anderen Strömungen, da sie die Sinnhaftigkeit des Lebens mit einer Konnotation belegen, die aussagt, dass sich das Leben nur dann lohnt, gelebt zu werden, wenn wir bestimmte Standards erfüllen. Für die Pessimisten sind diese Standards ausgesprochen hoch. 262 Es handelt sich um Dinge wie Unsterblichkeit und definitives Glück, da die Pessimisten ja eben gerade am Leid, am Tod und daran, dass nichts auf endgültige Art und Weise erreicht werden kann, die Sinnlosigkeit des Lebens belegen möchten. 263 Die Standards sind eigentlich genau so hoch wie bei den Theisten, nur dass diese sich eines Jenseits bedienen, in das sie diese Standards hineinprojizieren können, also in etwas, das allein durch die Imagination begrenzt wird. An dieser Stelle wird nach einer Rechtfertigung dieser hohen Standards gesucht. 264 Die Pessimisten würden nach analytischer Einschätzung erst dann eine fehlerhafte Folgerung ziehen, wenn es sich bei den Standards um die üblichen handeln würden, die sehr wohl als lohnenswert betrachtet werden können. Es ist unklar, warum man sich eher für die hohen als für die üblichen Standards entscheiden soll.265 Bei den angelsächsischen Analysten wird neben Tolstoi und Schopenhauer auch der Prediger Salomo ("Ecclesiastes" im Engl.) aus dem Buch Kohelet266 und selten auch Eduard von Hartmann erwähnt.267 Gemeinsam mit den drei anderen Persönlichkeiten beantwortet auch letzterer die Frage, ob das Universum besser mit dem Leben als ohne dasteht, negativ. So schreibt Edwards weiter: "It appears that the pessimists cannot be answered if in order to answer them one has to be able to prove that in some nonarbitrary sense of the word "better," the existence of life is better than its nonexistence. But this admission does not have any of the gloomy consequences which it is sometimes believed to entail." 268 Nicht nur erst hier wird die moralische Dimension der pessimistischen Standards sichtbar. Auch dieser Sache wollen wir jetzt noch nicht auf den Grund gehen. Es sollte an dieser Stelle jedoch bereits festgestellt werden, dass diese Negation nur dann verstanden werden kann, wenn das "besser" von Schopenhauer und Hartmann in einem hedonistischen oder utilitaristischen Sinn verstanden wird, ohne den die pessimistischen Aussagen eigentlich keine präzis zu ermittelnde Bedeutung haben. 269 262 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 473. Vgl. auch K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 209. 263 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467: Sinnlosigkeit könne auch durch Ausschluss der Existenz Gottes entstehen. Vgl. auch B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 16. 264 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 474. Auch hierzu später mehr im analytischen Teil in Kapitel 7. 265 Vgl. ebd., S. 476. 266 Bei diesen Namen handelt es sich um dieselbe Person: Salomo, Kohelet und Ecclesiastes. 267 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 474. 268 Ebd., S. 476. 269 Vgl. ebd., S. 475. 47 Die pessimistische Gesinnung, die Nichtexistenz der Existenz vorzuziehen, ist nicht neu. Bereits Salomo äußerte sich vor rund drei Jahrtausenden270 in folgenden Wörtern: "»Ich wandte mich und sah an alle, die Unrecht leiden unter der Sonne, und siehe, da waren Tränen derer, die Unrecht litten und keinen Tröster hatten; und die ihnen Unrecht taten, waren zu mächtig, daß sie keinen Tröster haben konnten. Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das Leben hatten; und der noch nicht ist, ist besser daran als alle beide, und der des Bösen nicht inne wird, das unter der Sonne geschieht.«"271 Die Pessimisten, die von der Vergeblichkeit 272 und der Eitelkeit273 des Lebens reden, scheinen eine bestimmte Unterscheidung nicht durchführen zu wollen, die üblicherweise in der angelsächsisch-analytischen Tradition gemacht wird, nämlich die zwischen "das Leben lohnt sich nicht" und "das Leben hat keinen Sinn". 274 Ähnlich wie Edwards in der Encyclopedia of Philosophy sieht auch Russell diesen Sachverhalt. Russell ist sehr wohl damit einverstanden, keine Finalität des Lebens im Universum anzuerkennen, da alles dem Verfall und der Zerstörung unterworfen wäre. Es gäbe objektiv gesehen keine finale Konsequenz, nach der man sich richten kann. Doch diesen Umstand der objektiven Sinnlosigkeit des Lebens weitet Russell nicht auf die subjektive Ebene aus. Ob sich das eigene Leben oder das der Gesellschaft lohne oder nicht, ist eine Frage, die von der objektiven Sinnlosigkeit unabhängig gestellt werden kann. 275 Auch wenn der Pessimist zu glauben scheint, die Sinnfrage rein rational und unemotional beantworten zu können, so ist dies Russell zufolge eben gerade nicht der Fall. Es handele sich sehr wohl lediglich um eine Laune und diese Laune der Pessimisten könne nicht mit Argumenten bezwungen werden. 276 Sie bestehe wie bei den Zynikern aus einer Kombination von Gemütlichkeit und Kraftlosigkeit. 277 4.2 Im Nihilismus Der Nihilismus ist der Standpunkt der Verneinung. Er leugnet sowohl jedwede definitive Erkenntnismöglichkeit, jedwede allgemeine Wahrheit, als auch jedweden absoluten Wert. Ich habe das Gefühl, als würde dieser Begriff in der einschlägigen angelsächsischen Literatur oft mit pessimistischem oder je nach behandeltem Text mit existentialistischem 270 Auch wenn die Sprüche erst im 3. Jh. v. Chr. entstanden sind, siehe: Prediger Salomo, in: Strzysch, Marianne / Weiß, Joachim (Hgg.): Der Brockhaus in fünfzehn Bänden, Bd. 11, Leipzig/Mannheim: F. A. Brockhaus 1998. 271 Salomo wird von Tolstoi zitiert in: L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 48-49. 272 In der englischen Literatur: "futility". 273 In der englischen Literatur: "vanity". 274 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 13. Vgl. auch P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. 275 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 13 ff. Vgl. auch P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. 276 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 14. 277 Vgl. ebd., S. 103. 48 Gehalt vermischt werden. Ich bedauere ein wenig den Mangel an terminologischer Präzision in der einschlägigen Literatur. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass das bearbeitete Material über einen Zeitraum von 100 Jahren verfasst wurde und nicht nur deshalb diese Ungenauigkeit nicht überraschend ist. Denn meines Erachtens sollten aus einer nihilistischen Grundhaltung nicht die selben Schlüsse gezogen werden wie aus einer pessimistischen oder einer existentialistischen, wie es bereits die Termini selbst aussagen. Bleiben wir dem ursprünglichen Sinn des Nihilismus treu, so gibt es eine Komponente seiner Bedeutung, die sehr wohl mit dem Pessimismus identisch ist, jedoch sollte eine andere Komponente wiederum nicht mit ihr identifiziert werden. Die Gleichheit besteht darin, dass beide eine positive Sinnhaftigkeit des Lebens ausschließen. Der Unterschied sollte darin gesehen werden, dass es für einen Pessimisten als "besser"278 beurteilt wird, wenn der Mensch nicht leben oder wenn kein Leben existieren würde, wobei beim Nihilisten hier eigentlich Gleichgültigkeit oder zumindest Werteneutralität herrschen sollte. Es leuchtet mir ein, wenn T. Metz behauptet, dass die nihilistische Position aus einer Kombination von Supranaturalismus und Atheismus abgeleitet werden kann, wenn der Nihilist nämlich Gott oder Seele als Voraussetzung für den Lebenssinn festlegt, jedoch gleichzeitig die Existenz dieser zwei Dinge aberkennt. Oder dass diese Position dadurch entsteht, dass die Sinnfrage nur mit absoluten moralischen Regeln zu beantworten versucht werde, wobei diese absoluten Regeln niemals wirklich befolgt werden können.279 Jedoch finde ich es weniger überzeugend, wenn er in seinen Artikeln Camus, Schopenhauer oder Salomo 280 allesamt lediglich unter dem Titel Nihilismus untersucht. Es scheint mir, Metz verbinde unterschiedliche philosophische Strömungen unter dem gemeinsamen Aspekt der Verneinung, den er mit Nihilismus betitelt. 281 Nietzsche ist ein Philosoph, der oft stellvertretend für den Nihilismus herangezogen wird. Auch wird Nietzsche des öfteren in unserem Kontext zitiert. Einerseits hat er in der Tat über den Sinn des Lebens gesagt, dass er, wenn es ihn überhaupt geben würde, nachdem Gott nicht mehr als Garant für die Existenz herangezogen werden kann, für den begrenzten menschlichen Geist unauffindbar sei. 282 Doch andererseits glaube ich auch, dass Nietzsche kein wirklich guter Stellvertreter eines Nihilismus für die Sinnfrage ist. Nietzsche sieht seine eigene Verneinung überkommener Werte und Wahrheiten ja selbst nur als temporäre Geisteshaltung an, die es im Übermenschen zu überwinden gilt. 283 278 Zum Begriff "besser", vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 475. 279 Für den gesamten Anfang des Abschnitts, vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 4. Nihilism. Vgl. auch Metz, Thaddeus: The Immortality Requirement for Life's Meaning, in: Ratio (new series) 16/2 (Juni 2003), S. 165. 280 "Ecclesiastes", der Redner im Buch Kohelet. 281 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 4. Nihilism. Vgl. auch Metz, Thaddeus: The Immortality Requirement for Life's Meaning, in: Ratio (new series) 16/2 (Juni 2003), S. 165. 282 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft, Leipzig: E. W. Fritzsch 21887 (11882), § 374. 283 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Chemnitz: Ernst Schmeitzner 1883. 49 Einer wirklichen Sinnlosigkeit des Lebens entspricht dies meines Erachtens nicht, denn der Lebenssinn wird von Nietzsche im Wesentlichen deutlich erfasst und hervorgehoben, eben durch das Konzept des Übermenschen. Doch einen anderen wirklich bekannten Stellvertreter für die Sinnlosigkeit des Lebens habe ich in der analytisch-angelsächsischen Literatur für den Nihilismus nicht in dieser Weise vorfinden können, wie es z. B. im Pessimismus für Schopenhauer der Fall ist, wenn denn überhaupt Nihilismus und Pessimismus vom behandelten angelsächsischen Autoren auseinander gehalten werden. Es ist weiterhin interessant, wenn Metz zugunsten seines Begriffs des Nihilismus folgendes Argument vorträgt: "[…] it is more likely to be the case that a certain kind of meaningful life does not exist than that no meaningful life simpliciter exists"284 Es scheint mir insgesamt leichter zu sein, bereits aufgestellte philosophische Konzeptionen zu widerlegen, als deren Negation 'positiv' aufzustellen. Außerdem ist es leichter zu behaupten, dass es keinen Sinn gibt, als irgendeine Sinnhaftigkeit aufzustellen, die dann sowohl in der gesamten Konstruktion des konzeptuellen Gehaltes als auch in Bezug auf die Realität allgemeine Gültigkeit zu finden hat. Dieser unfaire logische Wettstreit scheint der Nihilismus für sich in Anspruch nehmen zu können. Gleichzeitig lässt sich dadurch ein defätistischer Charakterzug bei den Nihilisten erkennen. Wie beim Pessimismus können die Argumente zugunsten des Nihilismus auch vonseiten des Supranaturalismus und des Naturalismus kommen, z. B. wenn wir den Standpunkt sub specie aeternitas als objektive Sinnlosigkeit in Betracht ziehen. 285 Jedoch gehen die Nihilisten und die Pessimisten einen Schritt weiter, indem sie die subjektive Absurdität hiervon nicht abtrennen und diese als eine nicht von der objektiven Sinnlosigkeit abspaltbaren Gesamtwahrheit annehmen. Ihre Gegner wollen diesem kosmischen Standpunkt nicht die gleiche Autorität zusprechen. 4.3 Im Existentialismus Für den Existentialismus werden in der bearbeiteten Fachliteratur sehr oft zwei französische Autoren, nämlich Albert Camus und etwas seltener Jean-Paul Sartre, ins Spiel gebracht. Bei Camus steht vor allem sein philosophisches Essay Der Mythos von Sisyphos286 im Vordergrund. Der Sisyphos der griechischen Mythologie wird als Sinnbild für die Sinnlosigkeit jeder menschlichen Tätigkeit – und damit des menschlichen Lebens insgesamt – genommen. Der Grund hierfür ist weniger, dass Sisyphos' Tun kein Ende hat, sonder vielmehr, dass sein Tun zu nichts führt, was wir als positives Ergebnis würdigen 284 T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 809. 285 Vgl. ebd., S. 809. Vgl. auch T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 4. Nihilism. 286 A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985). Vgl. auch Taylor, Richard: The Meaning of Life, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 134. 50 könnten, etwa wenn er z. B. mit den Steinen, die er hochrollen muss, etwas bauen, etwas erschaffen könnte.287 "The picture of Sisyphus is the picture of existence of the individual man, great or unknown, of nations, of the race of men, and of the very life of the world." 288 Die Ausgangsfrage, die sich Camus in dieser Abhandlung stellt, ist die, ob man ohne existentiellen Anreiz leben kann oder nicht. 289 Es ist klar, dass er die Absurdität des Lebens hier bereits voraussetzt. Doch findet diese Voraussetzung bei Camus auch ihre Erklärung und Rechtfertigung. Demnach kann man die menschliche Verfassung, das Menschsein, die 'condition humaine', nur in menschlichen Begriffen verstehen und schließt somit eine Sinnhaftigkeit aus, die außerhalb der eigenen Begriffs- und Empfindungswelt auffindbar sei.290 Auch die subjektivistische Alternative muss für Camus wegen zwei evidenten Gegebenheiten ausgeschlossen werden. Auf der einen Seite gibt es den geistigen Drang nach dem Absoluten und der Vereinheitlichung der Erkenntnis und auf der anderen Seite gibt es die Unmöglichkeit, die Welt auf ein rationales und vernünftiges Prinzip zu reduzieren. Beide Seiten vertragen sich nicht miteinander und bilden eine existentielle nicht aufzulösende Spannung. 291 Es existiere ein bestimmtes tiefgreifendes menschliches Bedürfnis, worauf das Universum nur mit Stille antwortet. 292 Die Absurdität erscheint Camus zufolge konkret dann, wenn die Warum-Frage, die sich nach dem Kollaps des "Bühnenbildes" des Lebens in uns manifestiert, unbeantwortet bleibt.293 Wir verspüren als Menschen nicht einfach nur den Drang zu überleben, sondern wir empfinden die Notwendigkeit einer Zwecksetzung. Camus widersetzt sich, dieser scheinbaren Notwendigkeit nachzugeben, und sieht den einzig ehrlichen Umgang mit dieser existentiellen Spannung darin, dieser Absurdität einfach ständig die Stirn zu bieten, dieser Spannung zu trotzen, ohne sie wirklich jemals besiegen zu können, und ohne wiederum eine nicht wirklich tragbare Sinnhaftigkeit aufstellen zu können. Dadurch erlange der Mensch seine Integrität, und in der Revolte mit der Welt dringe er zum Glück vor. Somit kann die scheinbare Strafe zur positiven Lebensaufgabe umgewandelt werden.294 Sowohl Pessimismus als Optimismus müssen demnach abgelehnt werden, da sie einfach nur ein Nachgeben oder Schwäche darstellen, gegen die man sich entscheiden kann.295 287 Vgl. R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 136. 288 Ebd., S. 139. 289 Vgl. A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 17 ff. Vgl. auch E. D. Klemke: Living Without Appeal (2008), S. 185. 290 Vgl. A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 75. 291 Vgl. ebd., S. 75 f. 292 Vgl. Feinberg, Joel: Absurd Self-Fulfillment, in: Klemke, Elmer D. / Cahn, Steven M. (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York: Oxford University Press 32008 (11981), S. 162. Er bezieht sich auf Camus' Le mythe de Sisyphe. 293 Vgl. A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 29. Vgl. auch J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 162. 294 Für den Teil ab Fußnote 293, vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 819. Hier wird das Sinnbild des Sisyphos erwähnt, der sich glücklich schätzt, die sinnlose Aufgabe, den Stein hoch zu rollen, zu erledigen. 295 Für den ganzen Abschnitt, vgl. A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 75 ff. Vgl. ebenso J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 163+165+181. 51 Was haben all unsere Bemühungen, auch innerhalb der nichttheistischen Ansätze, gebracht? In Begriffen des Existentialismus scheint keine Theorie auf allgemeine und endgültige Weise ausreichend befriedigend zu sein. Was macht der Mensch im Angesicht dieses existentiellen Dilemmas? Camus' Umgang mit der Absurdität des Lebens unterscheidet sich sehr von dem, was wir bei anderen gesehen haben. Auch J.-P. Sartre möchte nicht der Versuchung der Ausreden erliegen, und auf religiöse, politische und andere Sinnangebote, oder auf eine vorgegebene Natur reinfallen. 296 Als atheistischer Existentialist lehnt er den Sinn des Lebens insgesamt als Begriff ab, genauso wie Camus.297 Sartre möchte das Augenmerk für das Menschsein auf die Freiheit lenken, die in einem wirklich existierenden freien Willen begründet liegt. 298 Camus dagegen möchte die Aufmerksamkeit auf die menschliche Unmittelbarkeit ihrer selbst richten. 299 Auch wenn beide Autoren den Sinn des Lebens als solchen verneinen, so berufen sie sich trotzdem auf die "Anerkennung einer natürlichen Bedürfnisstruktur" 300, die in Ideale wie Solidarität, Gleichheit, Besserstellung, kulturelle Diversität etc. mündet. Ich glaube, dass die 'authentischste' Sinnlosigkeit oder Absurdität des Lebens innerhalb der vorhergehenden Ausführung vor allem im Pessimismus Schopenhauers verkörpert wird. Obwohl ich ebenfalls glaube, dass der Pessimismus die falschen Standards anwendet,301 scheint er mir trotzdem der überzeugendste Standpunkt für die Verneinung des Lebenssinns darzustellen, da er als einzige Theorie keine Tendenz vorweist, die Sinnlosigkeit, in welcher Form auch immer, überwinden zu müssen oder zu können. Hierdurch erwächst auch gleichzeitig die Vermutung, dass es in der Tat argumentativ schwer machbar ist, eine nicht deprimierende Sinnlosigkeit vertreten zu können, die das Leben als solches intrinsisch rechtfertigen kann, ohne es von einer Perspektive größeren Maßstabes für die Aufwertung eines an sich 'kalten' Daseins unterstützen zu müssen. Damit wird auch deutlich, wie sehr das psychische Gleichgewicht eines Menschen oder einer Gesellschaft von einer rein theoretischen und abstrakten Sache, wenn sie denn überhaupt als solche behandelt wird, abzuhängen scheint. Und damit scheint sich ebenfalls herauszukristallisieren, dass das emotional und existentiell Motivierende für uns Menschen nicht von der Sinnfrage abzutrennen ist, vorausgesetzt der in Frage kommende Mensch ist dieser Art der Reflexion fähig. Dass einem die Frage nach dem Sinn des Lebens ganz egal sein kann, wenn keine anderen metaphysischen oder religiösen Unterstützungen da sind, die diese Frage erübrigen, da sie sie implizit beantwortet haben, scheint mir zusehends naiv oder illusorisch zu sein, wenn nicht sogar selbstverleugnend. 296 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1995. 297 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 140. 298 Vgl. Sartre, Jean-Paul: L'existentialisme est un humanisme, (Collection Pensées), Paris: Nagel 1946. 299 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 728. Seine Quelle: Camus, Albert: The Myth of Sisyphus and Other Essays, übers. v. Justin O’Brien, New York: Knopf 1969, S. 78. 300 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1995. 301 Siehe S. 47. 52 Teil 2: Analyse relevanter Begriffe und Begriffsfelder 5. Die angelsächsisch-analytische Philosophie nimmt sich des Themas an Am Anfang dieser Arbeit gab es für mich das Interesse, mich philosophisch mit einem bestimmten Ausdruck auseinanderzusetzen. Zum Einarbeiten ging ich die einschlägigen philosophischen Wörterbücher und Enzyklopädien 302 durch. Das französische Referenzwerk Encyclopédie Philosophique Universelle303 behandelt sehr wohl unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs 'Sinn', hatte jedoch keinen spezifischen Eintrag für den Ausdruck 'Sinn des Lebens'. Das Gleiche gilt auch außerhalb der Fachliteratur, z. B. in den Wörterbüchern von Larousse304 und Le Robert,305 wobei man es hier eher hätte vermuten können, da die Redensart im normalen Sprachgebrauch bekannt ist und mir geläufig scheint. Im deutschen Lager behandeln das Historische Wörterbuch der Philosophie 306 und die kleineren Wörterbücher wie die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie307 und das Neue Handbuch Philosophischer Grundbegriffe308 den Ausdruck sehr wohl, letzteres hat sogar in diesem kleinen Format einen eigenen Eintrag als Unterkapitel, aber ihre Herangehensweise schien mir wegen der etwas unklaren Kategorisierung nicht sehr ansprechend. Die vier von mir bearbeiteten englischen Wörterbücher309 allerdings geben die Auseinandersetzung mit dem zu untersuchenden Ausdruck am zugänglichsten wieder. Diese gliedern auch die Thematik auf eine Weise auf, die mir das Eintauchen in sie erleichterte. Im Artikel von Paul Edwards in der Encyclopedia of Philosophy310 stieß ich dann auf den Hinweis, dass die nichttheologische Aufarbeitung des Themas überwiegend von einer Hand voll Autoren der analytischen Philosophie der Gegenwart aus dem angelsächsischen Raum bewerkstelligt wurde. Im weiteren Verlauf meiner Recherche konnte dies bestätigt werden, 302 Diejenigen der Universitätsbibliothek, die ich benutze: ULB – Bruxelles – bibliothèque des sciences humaines, nouveau bâtiment. 303 Encyclopédie Philosophique Universelle, publié sous la direction d'André Jacob, Tome 2: Les Notions Philosophique – Dictionnaire, Presses universitaires de France, Paris 1990 ['sens' → article pp. 2346-2352]. 304 Dictionnaire des concepts philosophiques, sous la direction de Michel Blay, Larousse – CNRS ÉDITIONS 2006 [dieses Wörterbuch basiert auf den Texten du Grand Dictionnaire de la philosophe von Jean-Christophe Tamisier], article 'sens' p.738-739. 305 Vocabulaire Européen des Philosophies – Dictionnaire des Intraduisibles, sous la direction de Barbara Cassin, Éditions du Seuil / Dictionnaires Le Robert 2004, artictle 'sens' pp.1133-1153. 306 Gerhardt, Volker: Sinn des Lebens, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel: Schwabe & Co. 1995, Sp. 815-824. 307 Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Jürgen Mittelstraß, Band 3: P-So, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1995, Artikel 'Sinn' S.810-813. 308 Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hrsg. v. Petra Kolmer u. Armin G. Wildfeuer, Band 3: Quantität – Zweifel, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 2011, Artikel 'Sinn' S.1984-2000. 309 The Stanford Encyclopedia of Philosophy, The Internet Encyclopedia of Philosophy, Routledge Encyclopedia of Philosophy, The Encyclopedia of Philosophy. 310 P. Edwards: Life, meaning and value of (1967). 53 vor allem durch J. Seachris311 und T. Metz312. Letzterer entpuppte sich als derzeitiger Referenzautor im angelsächsischen Raum für die Sinnfrage. Die jüngste Fachliteratur verweist immer wieder auf ihn. Auch publizierte Metz kürzlich ein Werk 313, das als Ausgangspunkt einer Erschließung des Themas gelten darf. Den Eindruck, den ich bei meiner Einarbeitung erhalten habe, wurde durch folgende Aussage in der Stanford Encyclopedia of Philosophy unterstützt: "it is only in the last 50 years or so that something approaching a distinct field on the meaning of life has been established in analytic philosophy [...] in the post-war era has been the rise of analytical enquiry into non-hedonistic conceptions of value grounded on relatively uncontroversial (but not universally shared) judgments or “intuitions,” including conceptions of meaning in life. English-speaking philosophers can be expected to continue to find life's meaning of interest as they increasingly realize that it is a distinct line of enquiry that admits of rational enquiry to no less a degree than more familiar normative categories such as well-being, right action, and distributive justice."314 Auch diesem ernstzunehmenden Internet-basierten Referenzwerk zufolge sind wir mit der angelsächsisch-analytischen Fachliteratur für unser Begriffsfeld gut bedient. Die analytische Philosophie fand ihren Ursprung mit B. Russell, G. E. Moore und G. Frege. Sie dominierte in unterschiedlichen Formen den angelsächsischen Raum und beeinflusste neben der Phänomenologie ebenfalls sehr stark den europäischen Kontinent, unter anderem auch über den Weg des logischen Positivismus und Wittgenstein. 315 "Das Schlagwort von der ‹sprachanalytischen Wende› (linguistic turn)" bringt zum Ausdruck, dass sich die Philosophie von diesem Zeitpunkt an überwiegend der schrittweisen Zerlegung komplexer Sprachgebilde widmet. 316 Bertrand Russell verhalf der analytischen Philosophie zu ihrer Entstehung. Indem er die Sinnfrage religionskritisch gewendet hat und dadurch dass von den Naturwissenschaften keine positive Auskunft zu erwarten sei, die die von ihm beschriebene objektive Sinnlosigkeit des Naturprozesses als Voraussetzung sah,317 stieß er eine Debatte an, die bis heute geführt wird und an der K. Popper, L. Mumford, S. Toulmin, K. Baier, Th. Nagel und Ch. Taylor beteiligt waren. 318 311 J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011) 312 T. Metz: The Meaning of Life (2007) 313 Metz, Thaddeus: Meaning in Life. An Analytic Study, Oxford: Oxford University Press 2013. 314 T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: introduction. 315 Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer, Bd. 7, Basel: Schwabe & Co. 1995, Sp. 786+787. Vgl. auch Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Jürgen Mittelstraß, Bd. 3, Stuttgart/Weimar: Metzler 1995, S. 139. 316 Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, 1995, Sp. 786. 317 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 818. Hier wird B. Russells A free man's worship (1903), in: Mysticism and logic (New York/London 1918) erwähnt. Die hier bearbeitete Ausgabe ist: B. Russell: A Free Man's Worship (2008). 318 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 818. 54 Bei dieser Arbeit wollen wir jedoch nicht im Geringsten auf die historische Entwicklung oder auf eine Untersuchung der analytischen Philosophie als Disziplin selbst eingehen. Ich benutze den Ausdruck in einem sehr weiten Sinne, so wie es ebenfalls in der aufgearbeiteten Literatur getan wird, nämlich im Sinne von Sprachanalyse mit der Auflösung der Komplexität eines Begriffs in grundlegendere Elemente, die den Begriff konstituieren, um diese Elemente dann neu in ihren Assoziationen untereinander zu klären und den Begriff somit verständlich machen. Die Routledge Encyclopedia of Philosophy bringt es auf den Punkt: "Philosophical analysis is a method of inquiry in which one seeks to assess complex systems of thought by 'analysing' them into simpler elements whose relationships are thereby brought into focus."319 Wir benutzen 'analytische Philosophie' hier also im Sinne einer breiten philosophischen Tradition, deren Schwerpunkt auf Klärung und vernunftbasierter Argumentation liegt, mit einer Neigung zu naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen, und die ebenfalls die verbreitetste Vorgehensweise der angelsächsischen akademischen Philosophie der Gegenwart darstellt. Diejenigen Autoren, die sich in der Gegenwart mit dem sprachlichen Ausdruck des Sinns des Lebens auseinandergesetzt haben, kommen überwiegend aus dem angelsächsischen Raum und haben einen sprachanalytischen Hintergrund, auch wenn die unterschiedlichen Theorien, innerhalb derer der Ausdruck untersucht wird, selbst oft aus dem nichtangelsächsischen Raum kommen (christliche Theologie, Tolstoi, Schopenhauer, Camus …). Die angelsächsisch-analytische Philosophie ist in der Tat für meine Absichten sehr hilfreich, da sie eben gerade nicht versucht, selbst neue großangelegte metaphysische Theorien aufzustellen, sondern die historisch bestehenden auf ihre Stichhaltigkeit mit den bereits genannten Mitteln untersucht. Joshua Seachris hat einen nützlichen Überblicksartikel320 zur Sinnfrage in der analytischen Philosophie geschrieben. Er verweist ausschließlich auf die angelsächsische Literatur. Innerhalb dieses Rahmens eröffnet der Ausdruck "the meaning of life" zwei Ebenen der Aufschlüsselung. Die erste beinhaltet den Versuch, Sinn und Klarheit in den Ausdruck und die Fragestellung zu bringen. Die zweite beinhaltet den Versuch, das Konzept der Sinnhaftigkeit (Seachris: "meaning") in einen normativen Kontext zu stellen, also es mit einer bestimmten Werteordnung in Verbindung zu bringen. Beide Ansätze werden anschließend dafür verwendet, notwendige und ausreichende Bedingungen für ein Leben auszuarbeiten, das 'sinnvoll' genannt werden kann.321 Hierbei werden dann auch Ansätze, im Unterschied zur voranalytischen Philosophie, angeboten, die die Bestimmung eines Lebenszwecks auf 319 Routledge Encyclopedia of Philosophy, Bd. 1, p. 223. 320 Für den gesamten Teil dieses Abschnitts bis Fußnote 321, vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011). Sein Artikel steht im Internet Encyclopedia of Philosophie (IEP). 321 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011). Vgl. auch K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 47. Diese Herangehensweise spiegelt sich z. B. auch im folgenden Zitat von Kurt Baier wieder: "I want to examine the sense in which life could have meaning and whether it would not be worth living unless it did." 55 die Bestimmung eines Netzwerks von unterschiedlichen Zwecken verlagern, die miteinander verbunden sind.322 Weiterhin erwähnt Seachris, dass die Sinnfrage von vielen analytischen Philosophen für die meiste Zeit des 20. Jahrhunderts nicht beachtet wurde, da man große Zweifel an der Möglichkeit einer kohärenten und sinnvollen Antwort pflegte. Zur gleichen Zeit sahen jedoch viele Nichtphilosophen die Frage als sehr bedeutend an, wenn nicht als die bedeutendste überhaupt. 323 Schließlich verweist er noch auf das Erbe dieses Themenfeldes,324 was unsere Vorgehensweise in dieser Arbeit bestätigt. 6. Der Sinn vom 'Sinn des Lebens' 6.1 Der Begriff 'Sinn' Wenn wir den Ausdruck 'der Sinn des Lebens' auf einer linguistischen und semantischen Ebene untersuchen möchten, wenn wir also herausfinden möchten, was wir Menschen eigentlich meinen, wenn wir 'Sinn des Lebens' sagen, dann erkennen wir sofort, dass besonders einer der zwei Begriffe des Ausdrucks Probleme für unsere Fragestellung bereitet. Natürlich ist es auch seitens der Naturwissenschaft noch nicht gänzlich klar, was überhaupt in letzter Instanz das Leben an sich ausmacht und wie wir es in seiner Grundvoraussetzung mit Gewissheit von unbelebter Materie unterscheiden können, da die Bestandteile des Organischen aus Anorganischem bestehen und es Erscheinungen gibt, die die bisher gesetzten Grenzen zwischen belebter und unbelebter Materie nicht einzuhalten scheinen. In unserem Kontext reden wir zumeist vom menschlichen Leben, von unserem Leben, sei es das Individuum oder die gesamte Menschheit, doch je nachdem wer Stellung bezieht, weitet sich der Begriff 'Leben' auf alles aus, was wir der belebten Materie zuweisen können. Außerdem reden manche Autoren 325 von der Existenz insgesamt, und dass sie sich nicht nur auf den Sinn eines bestimmten Lebens oder des Lebens beschränken, sondern sich eher die Frage stellen, warum überhaupt irgendetwas existiert und nicht eher nichts. 326 322 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 323 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 1. Introduction. 324 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 3. The Meaning of Life in Contemporary Analytic Philosophy. Er erwähnt Salomo ("Ecclesiastes" im Engl.), Schopenhauer, Tolstoi, Camus und Sartre. 325 Jedoch werden die Ebenen der gesamten Existenz und des menschlichen Lebens oft vermischt, so wie z. B. bei Russell, Schopenhauer, Nozick … Eigentlich ist es selten, dass ein Autor diesbezüglich streng konsequent vorgeht. 326 Siehe 4.1: E. von Hartmann, Schopenhauer, Tolstoi (nur temporär), Salomo. Vgl. hierzu: P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 474. Vgl. außerdem E. D. Klemke, in: The Meaning of Life. A Reader, New York 2008, S. 2. 56 Trotzdem ist es nicht der Begriff 'Leben', der uns bei dieser Untersuchung Schwierigkeiten bereitet. Denn die Sinnfrage lässt sich mit großer Ähnlichkeit auf mein Leben, auf unser Leben, auf das Leben oder auf die gesamte Existenz ausrichten, dieser Teil des Ausdrucks bleibt eine Tatsache, die wir (empirisch) wahrzunehmen vermögen, als Feststellung voraussetzen und die wir als solche nicht in Frage stellen oder verneinen können, wenn wir nicht wollen, dass die Beschäftigung mit diesem Gegenstand ins Lächerliche verfällt. Das Problematische an einer Untersuchung des Ausdrucks 'der Sinn des Lebens' ist überwiegend der Begriff 'Sinn', und es scheint erfolgsversprechend zur Klärung der Sinnfrage zu sein, wenn wir den Schwerpunkt der Untersuchung hierauf legen. Die Rechtfertigung dieses Schwerpunkts liegt nicht zuletzt darin begründet, dass 'Sinn' üblicherweise als Oberbegriff im Ausdruck dargestellt wird. So wird auch in fast allen Wörterbüchern der 'Sinn des Lebens' innerhalb des Oberbegriffs 'Sinn' behandelt. 327 Doch auch hier wollen wir keine erschöpfende linguistische und semantische, sondern lediglich eine oberflächliche Untersuchung durchführen, um mit einigen wichtigen Informationen zu dem eigentlichen Kern dieser Arbeit im folgenden Kapitel vorstoßen zu können. Dieser Arbeit liegen zum allergrößten Teil englischsprachige Texte und Dokumente zugrunde. Das Historische Wörterbuch der Philosophie schlägt als Übersetzung von 'Sinn des Leben' ins Englische "sense/meaning of life" und ins Französische "sens de la vie" vor.328 Allerdings scheint mir, als wäre bei meiner Lektüre immer nur "meaning of life" und nicht "sense of life" für den Bezug zur Sinnfrage benutzt worden. Mir scheint es eindeutig zu sein, dass wir im Deutschen "meaning of life" mit "Sinn des Lebens" übersetzen, auch wenn der Begriff 'Bedeutung' als überaus relevant für unseren Kontext betrachtet werden kann. Und da wir den Ausdruck hier auf Deutsch verwenden, sollte auch der deutsche Terminus 'Sinn' kurz erörtert werden. Etymologisch gesehen hat 'Sinn', genauso wie das romanische 'sent-' (sentire, sensus …) eine indogermanische Wurzel, die der Bedeutung von Ortsbewegung wie reisen, gehen, streben etc. (wie z. B. bei 'senden', 'Drehsinn', 'Uhrzeigersinn') entstammt. 329 Bei diesem Hinweis erkennen wir bereits den Zusammenhang mit einer Zielgebung oder Zielsetzung. Das Historische Wörterbuch der Philosophie bestätigt, dass die alte Bedeutung von "Richtung" ins Geistige übertragen "Gedanke" und "Plan" erhält. 330 Innerhalb des modernen Bedeutungsfeldes können wir die erste Verwendungsweise des Begriffs 'Sinn' für die "Fähigkeiten und Eigenschaften eines Menschen für Wahrnehmung und Verständnis"331 für unseren Sachverhalt gänzlich ausschließen (1). Die 327 Alle, die für diese Arbeit aufgearbeitet wurden, außer in der Encyclopedia of Philosophy mit Paul Edwards Artikel. 328 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 815. 329 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1985. 330 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 815. 331 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1984. 57 Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie spricht bei dieser Bedeutung von … "komplexe[n] biologische[n] Funktionseinheiten, die dem lebenden Organismus eine ihm angemessene Wechselwirkung mit der Umwelt […] ermöglichen". 332 Im Neuen Handbuch philosophischer Grundbegriffe stoßen wir dann auf drei weitere für uns relevantere Bedeutungen:333 2) Sinn als … "Worumwillen oder Zweck von Handlungen, Maßnahmen, Gesetzen, Vorrichtungen, Bauteilen, Körperorganen etc."334 3) Sinn von sprachlichen Ausdrücken. Hierbei handelt es sich um den vorgegebenen Gehalt von sprachlichen Gegenständen wie Texte oder Sätze. Dieser Sinn ist relational auf den Betrachter bezogen und vom Kontext abhängig. 4) Eine vierte Verwendungsweise wird mit dem Beispiel des 'Sinns des Lebens' unterschieden. Hierbei scheinen sich die Bedeutungen aus Punkt 2 und 3 zu vermischen. Es hat einerseits mit dem "Worumwillen" zu tun, andererseits wird es als Gegenstand sprachlicher und anderer Verstehensprozesse gesehen, sei es entdeckt oder vom Subjekt gesetzt. Die dritte Verwendungsweise gibt u. a. eine grundsätzliche Eigenschaft des Gehaltes von 'Sinn' wieder, nämlich die der Erschließung von Verständnis. 335 'Sinn' ist Gegenstand von Prozessen des Verstehens.336 Die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie zeigt auf eindrückliche Weise auf, inwiefern 'Sinn' auf einen Verstehensprozess bezogen werden sollte und wie er mit anderen Begriffen in einem semantischen Netz verflochten ist: "In der Philosophie, insbes. der Theorie der Kulturwissenschaften, bezeichnet man als S. meist eine der Vermittlung eines ›Kulturgegenstandes‹ oder eines in Analogie zu einem solchen aufgefaßten Naturgegenstandes dienende Instanz, die damit selbst zum Korrelat eines Verstehensprozesses […] wird. Die genauere Analyse führt auf zahlreiche unterschiedliche, jedoch verwandte Bedeutungen des Ausdrucks ›S.‹" 337 Wenn also auch nicht immer Absicht oder bewusstes Anstreben eines Zieles erforderlich ist, um z. B. wie unter soeben besprochener dritter Verwendungsweise den sprachlichen Ausdrücken Sinn zusprechen zu können (was auch als reflektierter und bewusst erwogener Sinn bezeichnet werden kann), so hat doch eine wesentliche Wortbedeutung ... "mit dem menschlichen Handeln und manchen seiner Folgen zu tun. Der Sinn einer Handlung ist das "Worumwillen", der angestrebte Zweck oder das Ziel, zu dessen 332 Thiel, Christian: Sinn, in: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart/Weimar: Metzler 1995, S. 810. 333 Für die Punkte 2, 3 und 4, vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1984-1986. 334 Ebd., S. 1984. 335 Vgl. C. Thiel: Sinn (1995), S. 812. 336 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1998. 337 C. Thiel: Sinn (1995), S. 810. 58 Realisierung die Handlung gesetzt wird." 338 So wie der etymologische Ursprung bereits andeutet, wird 'Sinn' oft und in unserem Kontext eigentlich immer … "relativ auf einen angestrebten Zustand [bezogen, der] dessen Realisierung herbeiführt oder stark begünstigt"339. In der Negation wird gleichwohl 'sinnlos' mit einem nicht zu realisierbaren gewünschten Zustand in Zusammenhang gebracht und 'sinnwidrig' mit der Verhinderung oder der Begünstigung der Nichtrealisierung dieses Zustandes. 340 Außerdem wird der Sinn einer Handlung als unklar eingestuft, wenn nicht einschätzbar ist, inwiefern die Verwirklichung des erwünschten Zustandes, z. B. durch nicht vorhersehbare Umstände, von der Handlung abhängt. 341 Der folgende Auszug fasst dies mit einer etwas sperrigen Formulierung zusammen. Sowohl die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie als auch das Neue Handbuch philosophischer Grundbegriffe stimmen hierbei sehr genau überein. "In praxeologisch-axiologischer Bedeutung bezeichnet man als S. (›gemeinten S.‹) einer Handlung oder Handlungsabfolge den mit ihr verfolgten ↑Zweck (ihre Absicht, ihr Ziel) ; eine Handlung heißt dann sinnvoll, sinnlos oder sinnwidrig je nachdem, ob sie als Mittel zur Erreichung des erstrebten Zweckes geeignet, ungeeignet oder hinderlich ist. Insofern das Bemühen um die Realisierung eines Zweckes diesen gegenüber anderen möglichen Zwecken auszeichnet, ist S. in der Bedeutung von Zweck oder Absicht zugleich Wert."342 Der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie zufolge kommt diese Bedeutung dem 'Sinn des Lebens' zu. Zusätzlich weist dieser Auszug auf die Verbindung zum Begriff 'Wert' hin, auf die wir später noch zurückkommen werden. Der Blick ins Wörterbuch verdeutlicht (obwohl wir hier eine deutsche Begriffserörterung durchführen, die Quellen jedoch auf Englisch sind), warum in der einschlägigen Literatur immer wieder vom Zweck des Lebens (→ "purpose"), von einer zu erfassenden Zielsetzung die Rede ist. Aussagen über den Sinn des Lebens scheinen sich als "Übertragungen oder Erweiterungen dieser Verwendungsweise des Wortes deuten bzw. rekonstruieren"343 zu lassen. Außerdem erkennen wir die sprachliche Verbindung des Wertes (→ "value") mit dieser Zielsetzung, womit der Schwerpunkt der Untersuchung ebenfalls zur Ethik hin 338 W. Löffler: Sinn (2011), S. 1992. 339 Ebd. 340 Vgl. ebd. 341 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1993. Außerdem: Sinnlos ist die Handlung auch dann, wenn das Ziel ohne Handlung erreicht wird. Und: Sinnlos ist die Handlung auch dann, wenn Alternativmöglichkeiten einfacher sind als die Handlung. Sinnfragen können deshalb nach Kriterien gewichtet werden, da meist mehrere Ziele verfolgt werden, z. B. Fertigstellung, Zeitminimierung, Kostenminimierung... Angestrebter Zustand kann nur Teil- oder Zwischenziel sein, dessen Erreichung einem höherrangigem Ziel dient. 342 C. Thiel: Sinn (1995), S. 810 f. 343 Ebd., S. 811. 59 verlagert werden kann. Im Grunde erscheint es recht evident, die vom Menschen gesetzten Zwecke als etwas Wünschenswertes und damit auch als einen Wert anzusehen. Besonders 'Sinn' und 'Zweck', aber auch 'Wert' scheinen demnach in diesem Kontext doch sehr stark miteinander verknüpft zu sein. So macht auch A. J. Ayer darauf aufmerksam, dass im Allgemeinen ein Zweck (Ayer: "purpose") den Sachverhalt einer Absicht darstellt, den man als wünschenswert auffasst, und dass Sinn und Bedeutung gemäß dem der Realisierung des gewünschten Ziels bestimmt werden. 344 Im Allgemeinen gilt, dass man die Beziehungen zu anderen Wörtern oder Gegenständen suchen muss, um der Bedeutung eines Wortes oder einer Sache auf den Grund zu gehen.345 Die hier erwähnten Begriffe samt ihrer dahinterliegenden Ideen haben in unserem Untersuchungsbereich eine unbestreitbare Relevanz. Von diesem praxeologisch-axiologischen Aspekt von 'Sinn' unterscheidet die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie noch einen funktionalen, der die zweckdienliche Erfüllung einer Teilfunktion darstellt, und einen spezifisch semantischen, der das im weitesten Sinne von einem Zeichen Ausgedrückte darstellt. 346 Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass die … "zunächst so heterogen erscheinenden Aussagen über den S. eines Wortes, eines Hammers, eines Hauses, einer Banknote, eines Streiks oder eines Opfers" 347 … erst dann wirklich klar werden, wenn sich diese Aussagen durch die Trennung dieser unterschiedlichen Aspekte präziser interpretieren lassen, bei allen die "Operation verstehen" vorausgesetzt wird und … "weshalb von S. zwar stets nur als vom S. für jemanden (für einen S. erfassenden, verleihenden, erzeugenden, umgestaltenden oder zerstörenden Menschen), aber doch als ›objektiv‹ im Sinne der Erfaßbarkeit durch prinzipiell jeden Menschen gesprochen werden kann."348 Sachdienlich erscheint ebenfalls eine weitere semantische Differenzierung, die von Frege zwischen 'Sinn' und 'Bedeutung' gemacht wurde. Ihm zufolge bezieht sich der Sinn eines Satzes auf den Gedanken, der dahinter steckt, und nicht unbedingt auf das, was objektiv bezeichnet werden soll. Letzteres würde der Bedeutung des Satzes zugeordnet werden. 'Sinn' wird bei Frege als "Intension" des sprachlichen Ausdrucks bezeichnet.349 Diese Unterscheidung ist jedoch nicht ohne Weiteres ins Englische übertragbar, denn üblicherweise würde man 'Bedeutung' mit "significance" und "meaning" übersetzen, 'Sinn' vielleicht eher mit "sense" (obwohl in den Wörterbüchern die beiden 344 Vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 199. 345 Vgl. T. Metz: The Immortality Requirement for Life's Meaning (2003), S. 173: "Questioning the meaning of something in general appears to be a matter of asking about its relationship with other things. If we ask for the meaning of a word, we are told about its relationship with other words or with objects in the world." 346 Vgl. C. Thiel: Sinn (1995), S. 811. 347 C. Thiel: Sinn (1995), S. 812 f. 348 Ebd. 349 Vgl. C. Thiel: Sinn (1995), S. 812. 60 Termini mit all diesen drei Übersetzungen vorkommen), doch es kann eindeutig in der Literatur belegt werden,350 dass die englischsprachigen Autoren "the meaning of" oder "the meaning in life" für den 'Sinn des Lebens' benutzen. Im Englischen kann diese Differenzierung also so nicht vollzogen werden. 6.2 Der Begriff 'Zweck' Wir werden neben dem Begriff 'Sinn' ebenfalls den Begriff 'Zweck' in diesem Kapitel oberflächlich beleuchten, weil er so fundamental in der Bedeutung von 'Sinn' enthalten ist, vor allem, wenn man den Bezug auf den Lebenssinn herstellen möchte. Er ist sowohl semantisch als auch (im Kapitel 7) philosophisch-konzeptuell von sehr großem Interesse für uns. T. Metz bestätigt: "Many [= contemporary philosophers] believe that the content of this proposition [expressing something about the meaning of life] has to do with the purposes that a person ought to pursue"351. Was versteckt sich eigentlich hinter dem Wort 'Zweck' ("purpose")? K. Baier hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. 352 Doch bereits Russell hob die semantische Verbindung zum 'Zweck' hervor, wenn er die Sinnlosigkeit aus wissenschaftlicher Perspektive beteuerte, weil eben gerade das objektive Leben keinen Zweck kennt. 353 Baier zufolge müsse man jedoch zwischen zwei Bedeutungen von 'Zweck' unterscheiden. Zum einen gibt es denjenigen Zweck, den man nur Personen und deren Verhalten zuweisen kann, so wie es z. B. die Aussage verdeutlicht: "Hatte es einen bestimmten Zweck, das Licht anzulassen?"354 Zum anderen gibt es den Zweck, der nur Sachen zugewiesen wird, also die Funktion eines Artefaktes, z. B.: "Welchen Zweck hat dieser Apparat?" 355 Beide Bedeutungen sind jedoch Baier zufolge eng miteinander verbunden, denn der Zweck einer Sache setzt voraus, dass eine Person in ihr einen Zweck hineinprojiziert.356 R. Hepburn schließt sich ohne Abweichung dieser Einteilung von 'Zweck' in diese zwei Bedeutungen an.357 Die Wissenschaft, so Baier weiter, hat uns nicht nur nicht eines Zweckes beraubt, wohl gemerkt im ersten Sinne des Wortes, sondern uns sogar mehr Macht verliehen, 350 Dies gilt für die hier behandelte Literatur allgemein. 351 T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 802. 352 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 19-21. 353 Siehe S. 19 f. Vgl. auch B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 55 f. Vgl. auch K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 19. 354 Inspiriert von K. Baiers Beispiel ("Did you have a purpose in leaving the ignition on?") in: K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 19. 355 Inspiriert von Baiers Beispiel ("What is the purpose of that gadget you installed in the workshop?") in: ebd. 356 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 19. 357 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 127. 61 um unsere selbst aufgestellten Zwecke verfolgen zu können. Was die zweite Bedeutung angeht, so ist die Zuweisung eines Zweckes an eine Sache oder sogar an ein Lebewesen (z. B. ein vor dem Haus liegender Hund) 358 normalerweise wertneutral. Diese Werteneutralität verliert sich jedoch, sobald es sich um Menschen handelt, denn einem Menschen einen solchen Zweck zuzuordnen wird als Beleidigung empfunden. In diesem Fall behandeln wir den Menschen lediglich wie es Immanuel Kant formuliert hatte, als Mittel, das ich zur Verfolgung meiner eigenen Ziele brauche, und nicht als Zweck an sich.359 Dann behandele ich den Menschen so, wie ich z. B. ein Instrument behandeln darf, das mir gehört. In diesem Sinne würde sich, so Baier, auch die christliche von der naturwissenschaftlichen Weltsicht unterscheiden, denn nur die Naturwissenschaft hält sich mit einer Zweckzuweisung außerhalb der eigenen Person zurück. Diejenigen Menschen, die die wissenschaftliche Perspektive abstreiten, unterliegen im Grunde einer Verwechslung dieser beiden Bedeutungen des Begriffes 'Zweck'. 360 Somit glaubt Baier nicht, dass die objektive wissenschaftliche Sichtweise uns prinzipiell einen Zweck entziehen könne, dass sogar eine von außen zugewiesene Zweckgebung in gewisser Weise dem Menschen für seine Würde als nachteilig gesehen werden müsse. R. Hepburn stimmt mit ihm überein. 361 Nur die erste der beiden Bedeutungen von 'Zweck', diejenige, die sich der Mensch selbst auftragen kann, gibt dem Menschen moralische Autonomie, macht aus ihm einen wirklich selbstständigen Zweckgeber. Wenn der Mensch sich einem anderen Wesen (oder einer Idee), z. B. Gott, unterwirft, wird sein moralischer Status untergraben. Hepburn schreibt: "if human life is given purpose by virtue of man's fulfilling the task assigned him by God, it will be 'purpose' in the autonomy-denying, dignity-destroying sense." 362 Es wird deutlich, dass derjenige Zweck, den wir mit der Sinnfrage assoziieren, Baier zufolge nur von uns selbst gesetzt werden kann. Dies ist ein Ergebnis, das weitgreifende Anerkennung in der angelsächsisch-analytischen Philosophie bezüglich der Sinnfrage erhalten hat. Nicht zuletzt ist dies einer der Aspekte, die dafür sorgten, dass der Subjektivismus innerhalb der angelsächsisch-analytischen Philosophie lange Zeit dominierte. So schrieb Baier denn auch: "These people mistakenly conclude that there can be no purpose in life because there is no purpose of life; that men cannot themselves adopt and achieve purposes because man, unlike a robot or a watchdog, is not a creature with a purpose." 363 358 Beispiel gegeben von Kurt Baier in: K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 20. 359 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 20. Ich sage hier "Ziel" um eine Verwechslung mit dem untersuchten Begriff "Zweck" zu vermeiden. Vgl. auch R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 360 Für den gesamten Abschnitt vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 20. 361 R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 127. 362 Vgl. ebd. 363 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 20 f. 62 Und außerdem: "However, not all people taking this view are guilty of the above confusion. Some really hanker after a purpose of life in this sense." 364 Schlussendlich macht R. Hepburn noch auf einen anderen Punkt aufmerksam. Die analytischen Philosophen verweigern ihm zufolge den "einzelnen Zweck", wenn von der Sinnfrage die Rede ist. Es handele sich üblicherweise nicht um einen Zweck, sondern um mehrere, die unter dem Schlagwort des Singulars "Zweck" zusammengefasst werden. Es handele sich um ein ganzes Netzwerk von vielen miteinander verknüpften Einzelzwecken.365 6.3 Sinnhaftigkeit in Bezug auf das Leben Dem Historischen Wörterbuch der Philosophie zufolge münden aus dem breiten Bedeutungsfeld des Wortes 'Sinn' vor allem die Konnotationen Plan, Ziel, Zweck, Skopus, Telos und Wert in den Ausdruck des 'Sinns des Lebens' ein. 366 Diese Redensart hat eine überraschend kurze Geschichte.367 Sie kommt als solche erst mit der Verbreitung der Kritischen Philosophie Kants auf. Dabei löst 'Sinn' den Terminus 'Wert' ab. Die zunehmende Verwendung dieses Ausdrucks bringt unter anderem nach der Aufklärung die Verselbstständigung des Individuums zum Ausdruck. 368 Die Sinnhaftigkeit wird seitdem als Funktion der Ausübung der Fähigkeit, autonome Entscheidungen treffen zu können, gesehen.369 Dem Neuen Handbuch philosophischer Grundbegriffe zufolge zerfällt bei näherer Betrachtung der Ausdruck in zwei "Bündel von Teilfragen" 370: "Zum ersten Bündel gehören die Frage, ob die Menschen de facto so etwas wie einen Sinn des Lebens, ein höchstes Ziel, ihrem Handeln zugrunde legen, und auch die Frage, ob die Zugrundelegung eines solchen Sinnes etwas dazu beiträgt, das eigene Leben als positiv, erfreulich und gelingend zu erfahren. Zum zweiten Bündel gehört die Frage, ob und nach welchen Kriterien solche zugrundegelegte Lebenssinne als rational oder irrational beurteilt werden können, und natürlich, ob danach ein allgemein verbindlicher Sinn des Lebens ausweisbar ist." 371 364 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 21. 365 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 366 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 815. 367 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1994. 368 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 815. 369 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 1. The Meaning of “Meaning”. Er erwähnt den 'Sinn' als eine Funktion von dem Gebrauch der Fähigkeit, autonome Entscheidungen treffen zu können, was für Kant ein intrinsischer Wert des Menschen darstellt. Er beruft sich auf: Nozick 1974, ch. 3. 370 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1995. 371 Ebd. 63 Die Gegenstände dieser Teilfragen werden im nächsten Kapitel näher behandelt, doch lassen sie erneut erahnen, dass der 'Sinn des Lebens' einen Ausdruck bildet, der von der Bedeutung her Wurzeln in einem größeren semantischen Netzwerk schlägt. Die Komplexität des Bedeutungsfeldes wird sichtbar bei der schrittweisen Entschlüsselung des Ausdrucks. Robert Audi372 untersucht in seinem Artikel den Begriff "meaningfulness", und diesen in direkter Erweiterung zu "meaning", also so als würden wir 'Bedeutung' zu 'Bedeutsamkeit' erweitern. Es wäre sicherlich auch möglich für "meaningfulness" im Deutschen "Bedeutsamkeit" anzuwenden. Um jedoch deutlich den kontextuellen Bezug herzustellen, ist es meines Erachtens angemessen, "meaningfulness" mit 'Sinnhaftigkeit' zu übersetzen. Das, was die angelsächsischen Autoren mit "meaning" und "meaningful" meinen, wenn sie Bezug auf die Sinnfrage nehmen, entspricht im Allgemeinen dem Sinn von 'Sinnhaftigkeit' so wie sie in meiner Arbeit verwendet wird. Diese Übersetzung kann aber genau dann als unangemessen erachtet werden, wenn von anderen üblichen sprachlichen Ausdrücken die Rede ist, so wie wenn R. Audi z. B. sagt, dass "meaningfulness" in Bezug auf das menschliche Leben von der "meaningfulness" als Eigenschaft eines sprachlichen Gegenstandes zu unterscheiden ist, 373 denn hier würde ich zum einen 'Sinnhaftigkeit' benutzen und zum anderen 'Bedeutung' (oder allenfalls semantischer Gehalt). Die Problematik an sich verrät bereits einiges über den Sinn der zu untersuchenden relevanten Begriffe und Termini. Außerdem lässt diese Problematik erahnen, inwiefern die Übersetzung selbst ein schwieriges Unterfangen sein kann und sich nicht immer für unsere Zwecke gefügig machen lässt. R. Audi geht von der allgemeinen Voraussetzung aus, dass die linguistische (oder sprachliche) Bedeutung (Audi: "meaning") eines Ausdrucks auf eindeutige Weise die Frage beantworten kann, was dieser Ausdruck ausdrückt, und gleichsam, dass es etwas gibt, sei es ein Phänomen oder einen Gegenstand (und nicht ausschließlich im Sinne einer abstrakten Entität), das vom Sinn her (Audi: "in meaning") das Gleiche ist wie diese Bedeutung und auf das diese Bedeutung verweist. 374 Auch wenn es sich im Allgemeinen bei sprachlichen Ausdrücken so verhält, so scheint es sich beim Ausdruck 'der Sinn des Lebens' anders zu verhalten. Denn im Gegensatz zum üblichen sprachlichen Ausdruck (Audi: "linguistic expression") scheint das Leben Sinn oder Sinnhaftigkeit zu besitzen, obwohl die Bedeutung nicht wirklich auf etwas Bestimmbares verweisen kann.375 Hier scheint also eine nicht unerhebliche Differenz zwischen dem zu untersuchenden Ausdruck und anderen Ausdrücken zu herrschen. Trotzdem erkennt Audi 372 Kommt hier zur Sprache durch sein Werk Intrinsic Value and Meaningful Life, siehe R. Audi: Intrinsic Value and Meaningful Life (2005). 373 Für den gesamten Abschnitt, speziell für die Ausdrücke in diesem Satz, vgl. R. Audi: Intrinsic Value and Meaningful Life (2005), S. 332. 374 Vgl. ebd. 375 Vgl. ebd., S. 333: "unlike a linguistic expression, a life can be meaningful even though there is nothing it means." 64 auch eine Gemeinsamkeit zwischen der semantischen und der existentiellen Ebene (Audi nennt den Lebenssinn "existentielle Sinnhaftigkeit") 376 von 'Sinnhaftigkeit', nämlich dass diese immer eine Art der Sinngebung und der Interpretierung impliziert.377 Audi bestätigt also, dass Sinn und Sinnhaftigkeit auf jeden Fall einen Verstehensprozess beinhalten, so wie weiter oben bereits erwähnt wurde. 378 Hieraus folgert er unterschiedliche Grade von Sinnhaftigkeit. Und damit widersetzt er sich der Tendenz, in der Sinnhaftigkeit entweder etwas Absolutes zu sehen oder sie ganz verneinen zu müssen. Er glaubt also auch ein Mehr oder ein Weniger an Sinnhaftigkeit bestimmen zu dürfen. 379 Ferner könnten 'Sinn' und 'Sinnhaftigkeit' in Bezug auf das Leben eine deutlichere Klärung erhalten, wenn sie von einigen Konnotationen befreit würden, die dann anderen Begriffen zugewiesen werden, auch wenn sich dies als ein schwieriges Unterfangen erweisen sollte. Mit diesem Ansatz sieht Audi die Möglichkeit, ein klares Konzept der Sinnhaftigkeit des Lebens entwickeln zu können.380 Auch K. Baier möchte sich der Verwirrung um diesen Ausdruck mittels der Differenzierung von Bedeutungen und Teilaspekten von "meaning" entledigen. Wie im Englischen üblich wird auch von ihm "meaning" sowohl für die 'Bedeutung' z. B. eines Wortes als auch für die 'Sinnhaftigkeit' des Lebens benutzt.381 Er möchte zwei ihm zufolge wesentliche Differenzierungen durchführen, die erste zwischen der Bedeutung von "having a meaning" (dies entspricht in etwa: einen bestimmten Sinn haben / eine bestimmte Bedeutung haben) und der Bedeutung von "having meaning" (dies entspricht in etwa: Sinn haben, sinnvoll erscheinen). Und innerhalb der ersten Bedeutung "having a meaning" macht er eine weitere Differenzierung zwischen dem linguistischen Sinn ("the linguistic sense") und dem "Sinn der fundamentalen Beschaffenheit" ("the essential character sense"). 382 So wie bei R. Audis erste Bedeutung von "meaning" handelt es sich bei Baiers "having a meaning" darum, dass eine Behauptung erlaubt, die Antwort auf die Frage, was diese Bedeutung ist oder woraus diese Bedeutung besteht, bestimmen zu können, z. B. indem man eine Beschreibung oder Erklärung dieser Bedeutung vorzunehmen versucht. 383 Innerhalb dieses Feldes gibt es nun zum einen den von Baier betitelten linguistischen Sinn eines Ausdrucks, der einer von einer bestimmten Sprachgemeinschaft nachvollziehbaren und verstandenen Charakteristik von irgendwelchen sprachlichen Einheiten entspricht. Bei diesem sogenannten "linguistischen Modell" seien die erwachsenen Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft im Allgemeinen in der Lage, die Bedeutung der Wörter, Ausdrücke 376 Frei übersetzt aus R. Audi: Intrinsic Value and Meaningful Life (2005), S. 333: "existential meaningfulness". 377 Vgl. ebd.: "But there is one important similarity: in both the semantic and existential cases meaningfulness implies that there is a way to make sense of the phenomenon in question, indeed to interpret it in some way." 378 Siehe S. 58. 379 Vgl. R. Audi: Intrinsic Value and Meaningful Life (2005), S. 334 f. 380 Vgl. ebd., S. 331-332. 381 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997). 382 Vgl. ebd., S. 47. 383 Vgl. ebd. 65 oder Sätze darzustellen und auszulegen. Bei diesem Modell könne man versuchen, die Bedeutung des 'Sinns des Lebens' zu klären, indem man z. B. explizite Formulierungen oder Erklärungen liefert, doch gelingt dies Baier zufolge nicht, denn es hat sich gezeigt, dass diese Herangehensweise nur zu größeren Verwirrungen führt. Die Frage nach dem Lebenssinn beansprucht einen anderen Ansatz als den des linguistischen Sinns. Außerdem würde dieses Erklärungsmuster nichts zur Lösung der Frage beisteuern können, ob ein Leben ohne Sinn zugleich nicht gut sein muss. 384 Antony Flew hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Tolstoi diesen Sachverhalt als Lektion von dem einfachen Volk hätte lernen könne, nämlich dass Fehler und Verwirrungen in seiner Fragestellung selbst und in den semantischen Zuweisungen seiner Begriffe vorhanden sein könnten.385 Denn ein Leben ohne Sinn braucht aus analytischer Hinsicht nicht nur nicht gut sondern auch nicht nicht lohnenswert zu sein, was viele Menschen bereits intuitiv zu empfinden fähig seien. 386 Wenn wir unter Punkt 6.2 gesehen haben, dass die Analytiker davon ausgehen, dass 'Zweck' nicht entdeckt sondern nur festgelegt werden kann, so gilt für sie das Gleiche in Bezug auf die Sinnhaftigkeit des Lebens: "If we are to speak strictly, meaning is given to life by individuals, not discovered. There is no single setting of life that grants meaningfulness, while all others take it away. In this the logic of 'possessing meaning' closely resembles that of possessing value or dignity. We may change our beliefs about the world most radically, without necessarily losing either 'possession'."387 Auch hier wird wieder der Bezug zu 'Wert' und darüber hinaus zu 'Würde' hergestellt. Die angelsächsisch-analytischen Philosophen stemmen sich vor allem auch gegen die Behauptung der Theisten, dass die Vorstellung einer Welt ohne Gott dem Leben automatisch seinen möglichen Sinn entziehen muss. Genau wie R. Audi scheint es also auch für K. Baier wenig plausibel, dass die übliche linguistisch-semantische Herangehensweise etwas zur tieferen Klärung der Sinnfrage beisteuern kann. Innerhalb des Bedeutungsfeldes "having a meaning" gibt es, wie bereits erwähnt, eine weitere Bedeutung, die Baier "the essential character sense" nennt. 388 Unter dieser Bedeutungsweise besitzt das Leben denjenigen Sinn, der durch die richtig erfasste fundamentale Beschaffenheit des Lebens konstituiert wird. Dementsprechend müsste man zur Bestimmung des Lebenssinns versuchen, herauszufinden, was das Leben, von seinem Wesen her, von seiner grundsätzlichen Beschaffenheit her, ausmacht. Als Beispiel gibt Baier an, das Leben als ein Tal der Tränen ("a vale of tears") zu sehen. 389 384 Für den gesamten Teil ab Fußnote 383, vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 47-48. 385 Vgl. A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 115. 386 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 49 Abschn. 3. 387 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 152. 388 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 49. 389 Vgl. ebd. 66 Auch wenn die Menschen im Allgemeinen darauf aus sind, einen positiven Lebenssinn bestimmen zu wollen, so entspricht das Beispiel doch dem Prinzip des "essential character sense".390 Natürlich wäre es auch denkbar, diese grundsätzliche Beschaffenheit mit den Mitteln der Naturwissenschaft zu bestimmen zu versuchen, wobei hierbei jedoch ein naturalistischer Fehlschluss zu vermuten ist. Auch Baier stellt einen Unterschied und eine Gleichartigkeit zwischen linguistischem Sinn und dem Sinn der fundamentalen Beschaffenheit fest. Der Unterschied bestehe darin, dass innerhalb des zweiten Sinns nicht lediglich eine Übereinstimmung zwischen Menschen ausgedrückt wird sondern die Präzision einer bestimmten Beschreibung. Die Gleichartigkeit bestehe darin, dass beide Arten des Sinns eine Antwort auf die Bedeutung einer Sache erlauben und beanspruchen. 391 Dies erinnert von der Form her an die Kategorisierung von R. Audi und scheint im Übrigen ein Ansatz zu sein, der in der gesamten sachbezogenen angelsächsisch-analytischen Philosophie vorzufinden ist. Doch Baier zeigt auch eine von ihm spezifisch entwickelte Bedeutung auf, die er "having meaning" nennt.392 Er legt diese Bedeutungsweise mit dem Beispiel der Beziehung einer Person zu einer anderen dar. Die Beziehung stellt für eine Person eine Bedeutung dar, auch dann, wenn diese Person nicht erklären kann, woraus diese Bedeutung eigentlich besteht. Die Unmöglichkeit der näheren Bestimmung könnte durchaus nur dadurch verursacht sein, dass die sprachliche Erfassung der Komplexität oder Vielschichtigkeit der Sache nicht gerecht werden kann. So kann auf dieselbe Weise einer Person ihr Leben durchaus als sinnvoll erscheinen, ohne darauf antworten zu können, woraus genau diese Sinnhaftigkeit besteht. Hierfür lassen sich dann trotzdem im Allgemeinen zwei Merkmale für das Leben festlegen, die mit 'wertvoll' (Baier: "valuable") und 'wichtig' oder 'bedeutsam' (Baier: "significant") bezeichnet werden können. 393 Auch innerhalb dieser Bedeutungsweise wird versucht, die Sinnfrage zu erörtern, doch auch bei dieser kann bezweifelt werden, der Frage zu einer endgültigen Klärung zu verhelfen. Wichtig ist jedoch, sich der unterschiedlichen Bedeutungsweisen bewusst zu sein, um die Untersuchung vorantreiben zu können. Dass die rein semantische Ebene des zu untersuchenden Ausdrucks nichts Grundlegendes zu ihrer Erschließung innerhalb der angelsächsisch-analytischen Philosophie beiträgt, wird auch von J. Seachris festgestellt. Es bringe nichts, lediglich nach einer Definition von Leben oder ähnlichen semantischen Konstruktionen innerhalb eines linguistischen Kontextes zu suchen, wir würden eine andersartige Bedeutung ….....................p 390 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 50. 391 Vgl. ebd. 392 Vgl. ebd., S. 57. 393 Für den gesamten Teil ab Fußnote 393, vgl. ebd., S. 57 f. 67 benötigen.394 Ein möglicher alternativer Ansatz für Seachris wäre der der "intentionalen Bedeutung" nach Nozick.395 R. Hepburns396 Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Ihm zufolge sind die Fragen, die sich auf den Sinn des Lebens beziehen, ebenfalls nicht anhand einer rein linguistisch-semantischen Bedeutung, wie sie bereits von Audi und Baier erwähnt wurde, eindeutig ermittelbar und dies könne auch nicht so sein, da das Leben in diesem Sinne keine Behauptung als solche darstelle. 397 Trotzdem benutzen wir den Ausdruck des 'Sinns des Lebens' so als hätte er einen linguistischen Kontext und aus eben genau diesem Grund würde dieser Ausdruck als verwirrend und schwammig wahrgenommen werden.398 Die Sinnhaftigkeit bezüglich des Lebens erhellt sich erst dann, wenn sie z. B. mit einem Ausdruck wie "der Sinn einer Geste" 399 verglichen wird, wenn also, wie bereits weiter oben erwähnt,400 Ziel oder Zweck einer Handlung in die Bedeutung dieser Sinnhaftigkeit fließt. Es bestätigt sich auch nach Hepburn, dass der 'Sinn des Lebens' als Ausdruck nur dann präziser fassbar wird, wenn er in Verbindung mit einer Zweckgebung steht, die wünschenswerte Ziele beinhaltet. Es ist erst die analytische Philosophie, die die Überwindung der traditionellen Bedeutung der Sinnhaftigkeit des Lebens als etwas, das entdeckt werden muss, ermöglicht. 401 Hepburn schreibt diesbezüglich: "To say that 'making life meaningful' is a matter of 'pursuing valuable, worthwhile ends' is to say that it is an activity that indispensably involves value judgment. The description of cosmic patterns, tendencies or trends does not obviate the need to make autonomous judgments about the worthwhileness or otherwise of following, or promoting or opposing any of these."402 Gleichzeitig möchte Hepburn verdeutlichen, dass ein klarer Zusammenhang zu moralischen Urteilen besteht.403 Bei dieser Art von Urteilen sind wir seit spätestens dem 19. Jahrhundert davon überzeugt, dass wir es selbst sind, die sie aufstellen, und sie nicht 394 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: a. Addressing the Question's Lack of Clarity : Securing a Non-linguistic Usage of "Meaning". 395 Vgl. ebd. Er erwähnt einen nicht linguistischen Kontext, in dem 'Sinnhaftigkeit' Sinn macht. Dies verbindet er mit einer intentionalen oder nicht intentionalen Bedeutung, wie es z. B. von Nozick (1981) ausgesagt wird. 396 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966). 397 Vgl. ebd., S. 126. Hepburn fragt sich jedoch an anderer Stelle, inwiefern 'Sinnhaftigkeit' und 'Zweck' in Analogie zu einer semantischen Bedeutung gesehen werden können (R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 138). Vgl. auch R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 138: "The words in a meaningful sentence 'cohere'. Words in a random list do not: like the events of a 'meaningful' life, they merely succeed each other discretely and atomistically, and are no more." Vgl. auch R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 139: Jedoch...:"It may suggest that the pattern of our life as a whole has a unity". Hierbei könne es sich um eine Illusion handeln. 398 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 399 Übersetztes Beispiel aus: ebd. 400 Siehe Kapitel 6.2. 401 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 402 Ebd. 403 Vgl. ebd., S. 127. 68 wie Naturphänomene aufsuchen müssen. Hepburn geht jedoch noch einen Schritt weiter. Für ihn konstituieren – rein formal betrachtet – auch Behauptungen über Gott oder das Jenseits 'Ist-Sätze' und keine 'Soll-Sätze', die sich also in letzter Konsequenz ebenfalls nicht zu Werten oder zur Sinnhaftigkeit schlussfolgern lassen: "Religious and metaphysical statements are still statements of fact, and therefore logically cannot in themselves be answers to questions about meaning." 404 An dieser Stelle können wir wiederholen, dass den Analytikern zufolge religiöse Behaupten keine Garantie für die Sinnhaftigkeit des Lebens darstellen und umgekehrt muss der Verlust des Glaubens nicht zwingend die Sinnlosigkeit des Lebens bewirken, 405 obwohl man sich für die Religion besonders wegen ihrer scheinbar attraktiven Lösung zur Lebenssinnproblematik entscheidet. Dies mag paradox klingen, ist es aber nicht, weil aus analytischer Sicht Religion nur solange sinngebend ist, solange man deren Gehalt nicht weiter hinterfragt. Schlussendlich müssen wir noch auf eine Besonderheit der Ergebnisse der analytischen Philosophie bezüglich der Sinnfrage hinweisen, die bereits bei der Untersuchung des Begriffs 'Zweck' angedeutet wurden 406 und die ich als sehr wichtig einschätze. Dem Theoretiker Kai Nielsen zufolge verhält es sich nämlich mit dem Ausdruck 'Sinn des Lebens' nicht anders als mit dem Begriff 'Zweck'. 407 Er bietet keine einzelne Fragestellung, sondern gleich ein ganzes "cluster" an unterschiedlichen Aspekten, eine Zusammenballung von mehr oder weniger locker miteinander verbundenen Fragen, die alle die existentielle Verfassung des Menschen, die 'condition humaine', betreffen. 408 Die angelsächsisch-analytische Philosophie legt mittlerweile den Schwerpunkt der Untersuchungen auf die Entknotung dieser Zusammenballung, um ein besseres Verständnis unseres zu untersuchenden Gegenstandes zu erlangen. So schreibt z. B. T. Metz, wie die Sinnfrage im Zusammenhang mit anderen Fragen zu sehen ist: "what should an agent strive for besides obtaining happiness and fulfilling obligations? Which aspects of a human life are worthy of great esteem or admiration? In what respect should a rational being connect with value beyond his animal self? And, from Charles Taylor […], the following could be added: which goods command our awe? How may an individual identify with something incomparably higher? What is worthy of our love and allegiance?" 409 Es scheint jedoch weiterhin fraglich, ob all diese Teilaspekte zur vollständigen Klärung ausreichen, wenn auch jeder einzelne relevant ist. T. Metz schreibt weiter: 404 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 127. 405 Vgl. ebd., S. 126. 406 Siehe Kapitel 6.2. 407 Vgl. K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 213. 408 Vgl. ebd. 409 T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 802. 69 "My negative claim is that no one of these six questions captures all historically prominent inquiry into life's meaning, and my positive claim is that all such inquiry is united by addressing at least some of these question." 410 Die Komplexität der Bedeutung der Sinnfrage scheint sich in allen nur denkbaren Facetten des menschlichen Lebens niederzuschlagen. J. Seachris bestätigt diesen Standpunkt: Zur Zeit behandeln die meisten angelsächsisch-analytischen Philosophen die Frage als eine Art Amalgam in dem Konzepte wie Zweck, Wert, das Lohnenswerte, Bedeutsamkeit, Tod, Vergeblichkeit usw. enthalten sind. Außerdem gelten moralische (richtig/falsch), ästhetische (gut/schön) und eudämonistische (Glück) Ansprüche, während es vielfache Verbindungen dieser Aspekte untereinander gibt. 411 Diese Herangehensweise dominiert zur Zeit die analytische Philosophie.412 Um also einen nichtlinguistischen Zugang zur Sinnfrage zu sichern, erwägen die modernen analytischen Theoretiker das Verfahren, den Ausdruck in einen immer größer werdenden Kontext einzubinden, d.h. ihn in eine immer breiter werdende 'Beschreibung' oder ein 'Narrativ' (Seachris: "narrative") zu implizieren und das Netz der unterschiedlichen Diskurse zu ermitteln, in denen sich der Ausdruck manifestiert, um die Sinnfrage mit all seinen Nebenfragen und Teilaspekten in seiner Gesamtheit zu ergründen.413 Dieser Ansatz wird innerhalb der sogenannten "Amalgam-These" in Angriff genommen, an der auch R. Hepburn mitwirkt. 414 Der Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy deckt sich mit dieser Aussage. Auch für Metz könnte es sich bei der Sinnfrage um einen Mix von Werten, Umständen, Zwecken etc. handeln. Die Suche würde den Konzepten gelten, die einen Zusammenhang zum untersuchten Ausdruck darstellen, die, wenn sie auch nicht äquivalent zueinander sind, sich gegenseitig in ihrem Inhalt überlappen und Familienähnlichkeiten aufweisen. 415 6.4 Die Unterscheidung zwischen einer Warum-Frage und einer Wie-Frage Der Philosoph und Semantiker A. J. Ayer 416 widersetzt sich dem Ansatz, die Sinnhaftigkeit des Lebens durch die Bestimmung seiner "grundlegenden Beschaffenheit" 417 ergründen zu können. Wenn, so Ayer, es bei der Sinnfrage darum geht, einen bestimmten Zweck des Lebens aufzufinden, so handele es sich bei der Bestimmung dieser Frage um eine Rechtfertigung des Lebens und nicht um eine Erklärung von Tatsachen. 418 410 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 803. 411 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 1. Introduction. 412 Vgl. ebd., Kapitel: b. Addressing the Question's Lack of Clarity : The Amalgam Thesis. 413 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: a. Addressing the Question's Lack of Clarity : Securing a Non-linguistic Usage of "Meaning". 414 Vgl. ebd., Kapitel: b. Addressing the Question's Lack of Clarity : The Amalgam Thesis. Er erwähnt R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966). 415 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 1. The Meaning of “Meaning”. Er bezieht sich auch auf: Metz 2001. 416 Vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008). 417 Siehe S. 66. 418 Vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 199. 70 Demzufolge würde das Auffinden einer grundlegenden Beschaffenheit des Lebens die Verwirrung hinsichtlich des untersuchten Ausdrucks nicht verringern sondern eher vergrößern. Die Ergründung der Sinnfrage unterscheide sich von einem wissenschaftlichen Erklärungsmuster, das für die Bestimmung einer grundlegenden Beschaffenheit des Lebens herangezogen werden kann, darin, dass sich diese Art der Erklärung im Grunde nicht von einer allgemeineren Beschreibung unterscheidet, und als solche keine Antwort darauf liefern kann, warum wir leben, sondern nur wie alles passiert, was in diesem Universum passiert, und wie das Leben funktioniert, so wie es halt die Wissenschaft insgesamt beansprucht. Den Zweck des Lebens zu ermitteln sei allerdings gleichzusetzen mit der Frage, warum wir leben. Die Sinnfrage könne nach einem wissenschaftlichen Erklärungsansatz (also nach dem Ansatz der Wie-Fragen) niemals auf befriedigende Weise beantwortet werden. 419 Deshalb mache es Ayer zufolge auch nicht wirklich Sinn, die Frage überhaupt zu stellen. Sie sei weder richtig noch falsch, sie sei einfach irrelevant (Ayer: "factually insignificant").420 Ayer betont jedoch, dass dies kein Grund sei, zu verzweifeln oder dem Zynismus zu verfallen, da hierfür die Sinnfrage eine logisch beantwortbare sein müsste, was sie ihm zufolge nicht ist. 421 Letztere Aussage scheint mir jedoch in hohem Maße fragwürdig. Ayer hatte bereits 1947 diese Trennung zwischen Warum und Wie unternommen. Doch auch K. Baier thematisierte sie 1957. 422 Dieser sieht z. B. den grundlegenden Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion genau in dieser Inkompatibilität, nämlich dass die Wissenschaft darauf eingeht, wie das geschieht, was geschieht, und die Religion darauf, warum etwas geschieht oder warum es überhaupt Leben gibt und warum wir da sind, um aus dieser Antwort ebenfalls den Zweck unseres Lebens herleiten zu können. Aus diesem Grund meint Baier auch, dass Wissenschaft und Religion nicht wirklich einen Konflikt auszutragen haben, da sie auf unterschiedliche Erklärungsmuster zurückgreifen. Die Wissenschaft gebe provisorische Erklärungen zu Teilaspekten der Realität oder des Universums, die Religion dagegen ganzheitliche und endgültige Erklärungen.423 Gleichzeitig betont Baier, dass beide Arten der Erklärung denselben Grad an erklärerischer Kraft haben (Baier: "equally explanatory") und lediglich nur für unterschiedliche Explicanda geeignet sind. 424 So ist es auch zu erklären, dass Rückschlüsse auf Kausalbeziehungen, auf denen die wissenschafltichen Erklärungen fußen, unbefriedigend scheinen, wenn nach dem Warum von etwas gefragt wird. Die Warum-Frage setzt die Gründe von jemandem voraus ('Grund' im Unterschied zu 419 Für den gesamten Anfang des Abschnitts, vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 199-200. 420 Vgl. ebd., S. 201. 421 Vgl. ebd. 422 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957). 423 Für den gesamten Teil ab Fußnote 423, vgl. ebd., S. 5. 424 Vgl. ebd., S. 6. 71 'Ursache', so wie "reason" zu "cause"). 425 Nach einem Grund fragen setzt ein bewusstes Subjekt voraus und nicht nur die Darstellung einer Aneinanderreihung von ermittelbaren Tatsachen. Die Wissenschaft kann also nur deshalb aussagen, wie die Dinge sind, und nicht warum sie sind, weil es in der tatsächlichen Welt überhaupt kein Warum gibt. Außerdem implizieren Kausalbeziehungen immer auch einen unendlichen Regress, jede Ursache setzt eine andere Ursache voraus, und sie können somit auch niemals einen kompletten ersten Grund für Geschehnisse liefern, wenn sie überhaupt Gründe im engeren Sinne des Wortes liefern könnten. 426 Eigentlich war es auch nie wirklich ein Bestreben der Naturwissenschaften, die Anfänge der Dinge zu enthüllen, sondern die versteckte unterschwellige Realität der Dinge. 427 Das Bestreben nach Kenntnis vom Anfang der Dinge scheint jedoch seit der Big-Bang Theorie auch von der Wissenschaft beansprucht zu werden, doch vielleicht ist ja gerade das der Grund, warum man sich nicht des Eindruckes verwehren kann, dass die Wissenschaftler anfangen, Ansprüche zu stellen, die bisher als metaphysisch oder sogar theologisch galten. Bei diesem Sachverhalt scheint das Problem jedoch überwiegend darin zu liegen, dass linguistische Beschreibungsversuche den extrem abstrakten mathematischen Konstruktionen nicht mehr gerecht werden können. In diesem Kontext hat R. Hepburn ebenfalls Antony Flews Untersuchungen zu Tolstois Beichte428 analysiert. Auch Flew hat eine Unterscheidung, die der vorigen von Ayer und Baier ähnlich scheint, vorgenommen. Es ist Hepburn zufolge die Unterscheidung zwischen "knowing how" and "knowing that". 429 Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob und inwiefern die beiden Unterscheidungen (die von Ayer und Baier einerseits und die von Flew andererseits) identisch sind, denn die Herleitungen sind verschieden. Es wäre interessant, dieser Frage in einer anderen Arbeit nachzugehen. Für Flew gibt es einen sogenannten "schwachen Sinn des Lebenssinns"430 und einen starken. Der erste bezieht sich auf das was Hepburn "knowing how" nennt, der zweite auf das, was er "knowing that" nennt. Der Unterschied zwischen beiden besteht hauptsächlich darin, dass man zu wissen glauben kann, wie man zu leben hat, ohne sich dabei erklären zu können, aus was der Lebenssinn wirklich besteht oder danach suchen zu wollen. 431 Und zu wissen, wie man zu leben hat, genau das schien Tolstoi nicht mehr zu erfassen können. 432 Hepburn glaubt, die Verbindung beider Aspekte sei so oft vorausgesetzt, dass sich der Diskurs über die Sinnfrage erheblich erleichtern würde, wenn man sich nur dieser Sache bewusst 425 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 6. 426 Vgl. ebd. Später behauptet Baier jedoch, dass wissenschaftliche Erklärungen keinen infiniten Regress zur Folge haben, in: ebd., S. 17. 427 Vgl. ebd., S. 18. 428 Siehe S. 25. Vgl. auch L. Tolstoj: Meine Beichte (2010). 429 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 128. 430 Vgl. ebd., S. 131. 431 Vgl. ebd. Vgl. auch auf S. 67 mit K. Baier: "having meaning". 432 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 128. 72 werden würde.433 Es gibt auch Autoren, die gleich von Anfang an deutlich ausdrücken, dass es sich bei der Sinnfrage nur um eine Wie-lebt-man-Frage handeln könne, so z. B. Kai Nielsen434, und diese dann auch gleich zu einer Frage der moralischen Wertigkeit umwandeln.435 Für Nielsen ist die Frage nach dem Sinn des Lebens im Grunde nur eine Frage nach der Bestimmung eines gewünschten menschlichen Verhaltens. 436 Am Ende dieses Kapitels sollten wir uns ebenfalls vergegenwärtigen, wie es Hepburn tut, dass man aus einer kritizistischen Perspektive den gesamten Diskurs als eine rhetorische Spielerei sehen könne, die sowohl extravagant als auch linguistisch unnütz sei. Letztlich liegt es an uns, für welche Sichtweise wir uns entscheiden, denn die Sinnfrage an sich ist für Hepburn nicht unentbehrlich, man komme auch sehr gut ohne sie aus. Alternativ hierzu kann der Wortschatz, wie bereits erwähnt, auch auf Urteile über Zweckgebung und Kenntnisse des gelingenden Lebens beschränkt werden. 437 John Kekes438 stimmt der Entbehrlichkeit der Sinnfrage zu. Sie suggeriere fälschlicherweise, dass wir unbedingt Gründe bräuchten, um weiterleben zu können. Dies sei jedoch nicht der Fall, da unsere Natur es ist, die uns leben und überleben lässt, und nicht die Beantwortung einer ziemlich abstrakten Frage. 439 Außerdem sei es töricht zu glauben, dass nur weil wir eine Frage stellen, deshalb auch eine Antwort zu erwarten sei, die uns gefällt.440 T. Metz gibt zwei weitere Argumente an, die der Sinnfrage gänzlich ihren wie auch immer gearteten Sinn absprechen. Zum einen kann man behaupten, dass 'Sinnhaftigkeit' oder 'Sinn' an sich nur Symbole sind und das Leben als solches nicht auf ein Symbol reduziert werden kann, also zwischen beiden keine Kommensurabilität besteht. Zum anderen gibt es das Argument der logischen Positivisten, wodurch man Sinngehalt nur dann erhält, wenn man etwas auf Basissätze zurückführen kann, die ihrerseits empirisch evident feststellbar sind. Auch hier fällt es schwer, das Leben als existentielles Dasein auf diese Weise definieren zu können. Heutzutage, so Metz weiter, widersprechen die meisten Philosophen beiden Standpunkten.441 Zur Zeit glauben die Theoretiker, dass Behauptungen über den Sinn des Lebens etwas ausdrücken, das als richtig oder falsch gesehen werden kann oder dass es zumindest angemessen scheint, sich so zu verhalten, als wäre es so (nämlich richtig oder falsch). 442 433 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 131. 434 Vgl. K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008). 435 Vgl. ebd., S. 204+209. 436 Vgl. ebd., S. 213. 437 Für den gesamten Anfang des Abschnitts, vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 140. 438 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008). 439 Vgl. ebd., S. 239. 440 Vgl. ebd., S. 240. 441 Für den ganzen Anfang des Abschnitts, vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 801. 442 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 802. 73 Obwohl wir dieses Kapitel damit begonnen haben, den Ausdruck des 'Sinns des Lebens' auf einer linguistisch-semantischen Ebene untersuchen zu wollen, haben die analytischen Philosophen uns zur Schlussfolgerung gebracht, dass dieser Ausdruck nur dann seine wirkliche Bedeutung entfalten kann, wenn man eben gerade den linguistischsemantischen Kontext teilweise verlässt. Das mag durchaus widersprüchlich klingen, jedoch sollten wir nicht außer Acht lassen, dass wir zumindest den Ausdruck negativ eingrenzen konnten. Zudem besteht dieser Widerspruch nur auf der Oberfläche, denn nichts verbietet uns, die Mittel einer Disziplin anzuwenden, um im Verlauf der Untersuchung feststellen zu können, dass die eigentliche Erkenntnis teilweise außerhalb dieser Disziplin liegt. Dem Titel dieses Kapitels wurden wir gerecht, denn wir haben ein besseres Verständnis vom Sinn und Bedeutung des 'Sinns des Lebens' erlangt. 7. Die wesentlichen philosophischen Aspekte der Sinnfrage Während wir in Kapitel 6 die sprachliche Dimension des betroffenen Ausdrucks ergründet haben, oder eher die sprachliche Dimension,443 so wollen wir im 7. Kapitel eine eher konzeptuelle Herangehensweise übernehmen, auch wenn wir die etwas künstlich etablierte Unterscheidung in Wahrheit nicht immer deutlich auseinanderhalten können. Worin genau der Unterschied liegt zwischen den Ideen und Konzepten einerseits und den Bedeutungen der Begriffe andererseits, wollen wir hier nicht ergründen. Wenn man für beide Sachverhalte in einem Magnetresonanztomographen dieselben Konfigurationen der aktiven Gehirnzellen messen würde, könnte man sicherlich behaupten, dass Äquivalenz herrscht. Wir wollen jetzt den Schwerpunkt auf diejenigen philosophischen Konzepte legen, die als Teilaspekte eine direkte Verbindung zur Sinnfrage zu besitzen scheinen, was dadurch bestätigt wird, dass sie in der einschlägigen Literatur thematisiert wurden. Bei folgender konzeptueller Analyse werden wir öfters die Bedeutungen vieler Fachtermini voraussetzen, so wie sie in der philosophischen Praxis üblicherweise verstanden werden, und die Konzepte sowohl untereinander als auch in Bezug auf den Ausdrucks des 'Sinns des Lebens' selbst auf ihren logischen Zusammenhang und ihre Widerspruchsfreiheit überprüfen. Auch dieses Unterfangen ist eines der fundamentalen Tätigkeiten der angelsächsisch-analytischen Philosophie: "Questioning the meaning of something in general appears to be a matter of asking about its relationship with other things." 444 Im Folgenden werden wir immer stärker auf das zurückgreifen können und müssen, was bisher in diesem Text erarbeitet wurde. Bis jetzt habe ich die unterschiedlichen Ergebnisse der bearbeiteten Autoren überwiegend kompilatorisch zusammengetragen. 443 Aus den oben genannten Gründen, am Ende des Kapitels 6.4 S. 72 f., relativieren wir mit 'eher'. Es ist jedoch zumindest richtig was den Ansatz an sich angeht. 444 T. Metz: The Immortality Requirement for Life's Meaning (2003), S. 173. 74 Jetzt werde ich stärker als bisher mein eigenes Instrument der Analyse (und später auch der Synthese) anwenden, nämlich meine eigene Vernunft. 7.1 Rationalität, Emotionalität und moralistischer Fehlschluss Einer der wesentlichen Aspekte der angelsächsisch-analytischen Lebenssinndebatte ist, dass die Sinnfrage zwei unterschiedliche Ebenen beinhaltet. Die eine kann deskriptive oder Ist-Ebene und die andere präskriptive oder Soll-Ebene genannt werden. Diese Problematik ist seit Langem in der Ethik bekannt. Jeder Versuch, diese zwei Ebenen logisch miteinander zu verknüpfen, führt unweigerlich zu erheblichen Verwirrungen oder scheitert, sogar dann wenn eine supranaturalistische Theorie verteidigt wird. Übrigens haben wir bereits den hohen Grad der Verbindung zwischen der Sinnfrage und ihren möglichen Bezug zur Moral erahnt, doch dazu später mehr. 445 Die Sinnfrage gewinnt wesentlich an Klarheit, wenn in der Untersuchung die deskriptive Ist-Ebene von der präskriptiven Soll-Ebene unterschieden wird. Die Unterscheidung dieser beiden Ebenen sollte nicht genau mit derjenigen identifiziert werden, die z. B. Joshua Seachris stellvertretend für einen Teil der angelsächsischanalytischen Philosophie vornimmt, nämlich zwischen einer "erklärenden" und einer "normativen Dimension",446 obwohl wir sicherlich eine gewisse Schnittmenge bei beiden Arten der Unterscheidung finden könnten. Bei der erklärenden Dimension von Seachris handelt es sich darum, herauszufinden, was mit den unterschiedlichen Aussagen und Theorien innerhalb der Debatte der Sinnfrage gemeint ist, was sie bedeuten, womit wir uns eigentlich befassen.447 Wir können z. B. sehr wohl die Bedeutung einer kosmischen Zweckgebung ermitteln wollen, ohne ihr als eine Tatsachenerkenntnis zustimmen zu müssen. Wenn ich jedoch in dieser Arbeit von einer Ist-Ebene rede, dann in dem Sinn einer solchen Tatsachenerkenntnis innerhalb der äußeren 'objektiven' Realität, und nicht nur als Erörterung der Bedeutungen der Begriffe. Trotz der strikten logischen Trennung dieser zwei Ebenen kann eine Untersuchung der oft als subjektiv betrachteten Soll-Ebene auch aus einer objektiveren Perspektive der Ist-Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden. Ich denke da z. B. daran, einen Menschen neurologisch zu untersuchen und zu beobachten, was in seinem Gehirn vorgeht, wenn dieser Mensch etwas will und demzufolge Soll-Ansprüche erheben könnte. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass wir dieses Wollen in nicht menschliche oder gar nichtlebendige Phänomene in Form irgendwelcher Anthropomorphismen hineinprojizieren dürfen. Wir dürfen es schon, wenn die Ansprüche Kreativität und 445 Siehe S. 68, 70 und 73. 446 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 1. Introduction. 447 Vgl. ebd. 75 Phantasie sein sollen (denn dann dürfen wir alles Mögliche denken), doch nicht auf der Grundlage einer vernunftbasierten Tatsachenerkenntnis. Dem Neuen Handbuch philosophischer Grundbegriffe zufolge hatte ein Teil der analytischen Philosophie mit dem frühen Wittgenstein, dem Wiener Kreis und A. J. Ayer448 jegliche Rationalität an der Sinnfrage und an allen anderen Wert- und Sollensfragen angefochten.449 Ich glaube, hierbei sollte einiges berücksichtigt werden. Meines Erachtens ist das Aufstellen eines Soll-Satzes oder eines normativen Anspruchs in der Tat keine Tatsachenerkenntnis oder Tatsachenfolgerung, jedoch glaube ich, dass man Rationalität, nachdem man den ersten Schritt der Aufstellung eines Soll-Anspruches gemacht hat, aufrecht erhalten kann und muss, um zu untersuchen, wie wir etwas machen müssen, um den Soll-Anspruch verwirklichen zu können, auch dann, wenn in Erwägung gezogen werden kann, dass der Soll-Anspruch selbst in erster Instanz ohne Berufung auf die Vernunft gesetzt werden kann (was jedoch auch nicht unbedingt evident ist). Gleichwohl gilt meines Erachtens, dass die Zwecksetzung bezüglich der Sinnfrage nicht mit den rationalen Mitteln der Tatsachenerkenntnis erbracht werden kann, was jedoch nicht bedeutet, dass wir für normative Ansprüche die Rationalität ausschließen dürfen, sondern dass wir für normative Ansprüche die Tatsachenerkenntnis ausschließen müssen. Außerdem müssen wir, wie gesagt, rational untersuchen, welche Schritte zu erbringen sind, um den Zweck, den wir gesetzt haben, erfüllen zu können. Täten wir das nicht, dann würden wir uns verhalten, als müssten wir der Konstruktion eines Flugzeugs die Rationalität absprechen, nur weil wir die Gravitation vom Prinzip her in ihrem Innersten noch nicht zu ergründen wissen. Die Gravitation ist vom Prinzip her, wenn auch in einem physikalischen System 'messbar', als Voraussetzung gesetzt. Das eigentliche Problem innerhalb der Sinndebatte ist jedoch, dass von einigen Autoren der oberste SollAnspruch als nicht gesetzt angesehen wird, sondern als etwas objektiv Wirkliches. Hier kann sich dann auch relativ große Willkür einschleichen. Aus diesem Grund macht z. B. Karl Popper auf die Gefährlichkeit solcher Theorien und fragwürdigen Begründungen aufmerksam, und darauf, dass solche Theorien oftmals kritikimmun sind. 450 Wenn aber jetzt die Supranaturalisten ihre kosmischen und transzendenten Vorstellungen als ein Wir-tun-so-als-ob-Szenario darstellen würden, dann wäre ich mit ihnen einverstanden, aber nur vom Ansatz her, nicht unbedingt vom Gehalt der vorzustellenden Theorie. Doch dann wären die Supranaturalisten auch keine echten Supranaturalisten mehr, da sie sich dann der Illusion bewusst wären. Wenn man an Gott und/oder an ein Jenseits glaubt, und wenn man sich auf Offenbarungstexte berufen möchte, so ist das Problem scheinbar gelöst, denn dann bietet 448 Vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 201. Außerdem behauptet Ayer an dieser Stelle, die Abwesenheit von Rationalität bei der Sinnfrage sei keine Gelegenheit zum Zynismus oder zur Verzweiflung, weil dann die Sinnfrage logische beantwortbar sein müsste, was sie nicht ist. Dies ist von mir nicht gänzlich nachvollziehbar. 449 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1995. 450 Vgl. ebd., S. 1998. 76 das Universum in irgendeiner Form eine Intelligenz, eine göttliche oder eine andere, die das "Möchten" und "Sollen" für uns auf kosmischer Ebenen übernehmen kann. Jedoch sind wir Menschen in diesem Szenario unmündig, denn hierbei können wir nicht mehr selbst entscheiden,451 was wir zu "möchten" haben und was wir tun "sollen". Dies wird uns dann aufgezwungen. Diese Unmündigkeit widerspricht dem menschlichen Bestreben nach Autonomie, und kann ebenfalls als Verlust der menschlichen Würde und als Untergrabung eines erkämpften moralischen Status gesehen werden. 452 Wenn diese Unmündigkeit jedoch gewollt ist, so stellt dies auf menschlicher Ebene prinzipiell kein Problem dar, auf philosophischer Ebene allerdings schon. Wenn man andererseits nicht an dieses Szenario glaubt, wie soll man dann rechtfertigen können, dass das Universum in seiner Gesamtheit ein nichtblindes, bewusstes, in die Zukunft projizierendes Phänomen darstellt, das Zweck, Telos und Sinn vorgeben kann? Ich sehe nicht, wie das streng rational vorstellbar ist. Auch wenn ich mich dann vielleicht einsam und verlassen fühle, 453 so kann ich es nicht mit meiner Vernunft vereinbaren, dass das Universum, so majestätisch und komplex es auch erscheinen mag, sich nicht blind und mit einer nach-vorne-gerichteten Absicht entwickelt. Vorausgesetzt es wäre aus neurologischer Sicht überhaupt möglich: 454 Wären wir in der Lage, rein rational zu argumentieren ohne uns von unseren Wunschvorstellungen leiten zu lassen, dann scheint es schwierig, diejenige Tatsachenerkenntnis (also die vom Anspruch her objektive und außerhalb unseres Wollens liegende Ist-Erkenntnis) zu verneinen, die bereits von Bertrand Russell vor etwa einem Jahrhundert bezüglich der Sinnfrage vorgebracht wurde, so z. B. in seinem Werk Religion and Science: "The Copernican revolution will not have done its work until it has taught men more modesty than is to be found among those who think Man sufficient evidence of Cosmic Purpose."455 Nicht nur nicht der Mensch, sondern kein belebtes oder unbelebtes Ding kann rational bei strikter Trennung dieser zwei Ebenen als ausreichende Evidenz für eine kosmische Zweckgebung dienen. Der Theoretiker R. Hepburn gibt Russell recht, und drückt es noch etwas pointierter aus: "If we are to speak strictly, meaning is given to life by individuals, not discovered. There is no single setting of life that grants meaningfulness, while all others take it away. In this the logic of 'possessing meaning' closely resembles that of possessing 451 Wenn man innerhalb supranaturalistischer Kategorien denkt, denn ansonsten kann diese Unmündigkeit auch als psychologische Projektion gedeutet werden. 452 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 127. Er redet von einer Unterwerfung unter ein anderes Wesen, was unseren moralischen Status untergraben würde. Und: "Religious and metaphysical statements are still statements of fact, and therefore logically cannot in themselves be answers to questions about meaning. Second: if human life is given purpose by virtue of man's fulfilling the task assigned him by God, it will be 'purpose' in the autonomy-denying, dignity-destroying sense." 453 Dies bezieht sich auf die Konzeptionen wie z. B. die von Jacques Monod, Jean-Paul Sartre und Albert Camus. 454 Eine Voraussetzung, die, so glaube ich, innerhalb der Philosophie gemacht werden muss. 455 B. Russell: Religion and Science (1960), S. 222. 77 value or dignity. We may change our beliefs about the world most radically, without necessarily losing either 'possession'."456 So ist es auch wenig überraschend, dass die Existentialisten das Leben aus der sub specie aeternitatis Perspektive als absurd ansehen. 457 Wenn wir uns vergegenwärtigen, was Absurdität bedeutet, so ist sie eine schwer zu widerlegende Folgerung, wenn es einem an der Überzeugung einer kosmischen Zweckgebung mangelt und gleichzeitig kosmische Zweckgebung für die Sinnhaftigkeit des Lebens vorausgesetzt wird. Die Absurdität wird bei den Existentialisten entweder als eine gewisse Art von Irrationalität dargestellt oder als ein Konflikt zwischen zwei nicht zu vereinbarenden Dingen.458 Die Diskrepanz, von der hier die Rede ist, ist die Feststellung der Abwesenheit einer kosmischen Zweckgebung einerseits und die Unausweichlichkeit menschlicher Zweckprojizierung basierend auf tiefliegenden Wünschen andererseits, so wie es bereits Albert Camus gesehen hat: "Et ces deux certitudes, mon appétit d'absolu et d'unité et l'irréductibilité de ce monde à un principe rationnel et raisonnable, je sais encore que je ne puis les concilier." 459 Dass die Existenz eines kosmischen Zwecks argumentativ auf ziemlich wackeligen Füßen steht, kann schließlich auch nicht dadurch aufgehoben werden, dass rationale Erklärungen insgesamt nie komplette und endgültige Erklärungen sein können. Wir können der vernunftbasierten Erkenntnis nicht einfach absprechen, was sie tatsächlich leistet, nur weil sie keine Antwort auf alles hat. Dies untermauert auch Hepburn mit folgenden Worten, auch wenn es an dieser Stelle eigentlich um die Kritik an den kosmologischen Gottesbeweis geht, von der dahinterliegenden Idee her ist es das Gleiche: " 'Can no explanations be valuable unless complete and ultimate explanation is also possible?' In point of fact, we use the word 'explain' far more often to refer to proximate explanations than to ultimate ones. And it has been pointed out that the more sophisticated versions of the Cosmological Argument present us with a God related to the world in so peculiar a way that it is not in the least certain that his existence does explain the world in any intelligible sense. The absence of such a being and the impossibility of such 'explanation' would not make our everyday or scientific explanation any less useful or reliable." 460 Auch für Kai Nielsen handelt es sich bei der Sinnfrage weniger um eine 'Erklärung' als um eine 'Rechtfertigung', und diese ist nicht mal mit der vollständigsten und allumschließendsten Erklärung zu erhalten.461 456 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 152. 457 Siehe Kapitel 4.3. 458 Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 156. 459 A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 75 f. 460 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 181. 461 Vgl. K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 204. 78 Im folgenden Textausschnitt behandelt R. Hepburn wie zuvor die Gottesbeweise, doch die Relevanz zum Thema dieses Kapitels ist unbestreitbar, die Problematik ist die Gleiche: "One does not have to believe that philosophical arguments must be either cogent and successful or else a worthless tissue of conceptual confusions. The arguments [arguments for the existence of God, especially the cosmological argument] we have looked at in these two chapters are of very dubious validity, and yet their very persistence over the centuries, their deep psychological appeal to many of us, compel one to realize that they also express something of permanent human importance, whatever it is. What is expressed seems to me to have two principal facets---the expression of wonderment and the expression of anxiety, both directed to highly general features of our experience."462 Das, was zum Vorschein kommt, wenn wir uns die Existenz einer Zweckgebung auf kosmischer Ebene denken, sind unsere Wünsche, unser Wollen, und damit auch unsere Emotionen. B. Russell glaubt, dass es sogar eitel und unbescheiden sei, einen kosmischen Zweck vorauszusetzen.463 Es sei lediglich ein Egozentrismus, den diese Vorstellung in uns hervorbringt. Auch für ihn braucht man jedoch keinesfalls die Rationalität, die uns die Unplausibilität der kosmischen Zweckgebung aufzwingt, aufzugeben, um ein emotionales Wesen bleiben zu können und eine emotionale Ausgeglichenheit zu erlangen.464 Die Vernunft stünde der Ausgeglichenheit und dem Glücklichsein nicht im Weg.465 Letzteres sei, Russell zufolge, vielmehr das Ergebnis einer effizienten Kultivierung eines geordneten Geistes. 466 So sollte der Mensch z. B. versuchen, die Beschäftigung mit sich selbst zu verringern und seine Aufmerksamkeit auf andere Menschen und Gegenstände richten, und vor allem Geistiges wie Wissenschaft zu betreiben oder den Kindern eine gute Erziehung zu ermöglichen. Der Mensch sollte sich als dienlich erweisen gegenüber der Welt. 467 Man sollte versuchen, am "Fluss des Lebens" (Russell: "stream of life") teilzunehmen: "To be happy in this world, especially when youth is past, it is necessary to feel oneself not merely an isolated individual whose day will soon be over, but part of the stream of life flowing on from the first germ to the remote and unknown future." 468 Letztendlich, so Russell, sei es die Nichtteilnahme an diesem "stream of life", die uns das Gefühl der Vergeblichkeit im Leben beschert und uns die Dinge trivial und unwichtig erscheinen lässt.469 462 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 184. 463 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 72. 464 Vgl. ebd. 465 Vgl. ebd., S. 13: "reason lays no embargo upon happiness". 466 Vgl. ebd., S. 47. 467 Vgl. ebd., S. 6. 468 Ebd., S. 138 f. 469 Vgl. ebd. 79 Russells Aussagen wirken überzeugend. Es sollte noch darauf hingewiesen werden, dass er nirgendwo behauptet, man solle das Leben ausschließlich auf der Basis der Einflussnahme der Vernunft leben, ganz im Gegenteil. Er behauptet lediglich, dass das eine das andere nicht kaputt machen muss. Deshalb steht er auch nicht im Widerspruch zu der Art von Aussage, wie sie z. B. von T. Nagel gemacht wurde, wenn dieser sagt, das Leben und unsere Glaubensvorstellungen würden kollabieren, wenn wir das Leben ausschließlich auf die Vernunft basieren würden. 470 Die externe oder kosmische Perspektive (sub specie aeternitatis), die von den angelsächsisch-analytischen Philosophen auch als die rationale Perspektive betrachtet wird, muss uns nicht zwingend zu der Einschätzung des Lebens als sinnlos führen, so wie es die Verweigerer der Sinnhaftigkeit des Lebens tun. 471 Russells Lösung hierfür ist eine Form des Subjektivismus, der mit der Aufforderung zum Ausdruck gebracht wird, dass wir unsere eigenen und keine fremden Ideale anbeten (Russell: "worship our own ideals") sollten.472 Die Frage, ob Rationalität notwendigerweise jede Form der Lebenssinngebung, und mit ihr jedwede Motivation zum Leben zerstört, muss also verneint werden. Gleichzeitig muss ebenfalls verneint werden, dass die Sinnfrage einem Ist-Anspruch, einer Tatsachenerkenntnis genügen kann. Auch Soll-Sätze lassen sich rational behandeln, auch wenn der 'erste' (hypothetische) Soll-Anspruch gesetzt werden muss. Ob 'reine' oder 'praktische' Vernunft, sie ist eine Vernunft. Dass die philosophische Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens oft mit unbefriedigten Wünschen und einer deprimierten Grundstimmung verwachsen ist, macht auch A. Flews Analyse473 von Tolstois Beichte deutlich. Wie wir bereits gesehen haben, verwechselt Tolstoi ein Wie-Wissen mit einem Dass-Wissen oder Warum-Wissen ("how"/"that").474 Dies hat zur Folge, dass Tolstoi nicht weiß, wie er zu leben hat, um Befriedigung und Glück aus seinem Leben schöpfen zu können und fälschlicherweise die Lösung hierfür in der Frage, woraus das Leben bestünde, sucht. Da er aus dieser verwirrenden Situation seiner Gedanken kein vernünftiges Ergebnis erzielen kann, verneint er kurzerhand die Vernunft an sich, 475 obwohl das Problem nicht in der Vernunft 470 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 150. 471 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 733. Siehe auch K. Baiers Zusammenfassung in: K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 28: "My main conclusion, therefore, is that acceptance of the scientific world picture provides no reason for saying that life is meaningless, but on the contrary every reason for saying that there are many lives which are meaningful and significant. My subsidiary conclusion is that one of the reasons frequently offered for retaining the Christian world picture, namely, that its acceptance gives us a guarantee of a meaning for human existence, is unsound. We can see that our lives can have a meaning even if we abandon it and adopt the scientific world picture instead. I have, moreover, mentioned several reasons for rejecting the Christian world picture: (i) the biblical explanations of the details of our universe are often simply false; (ii) the so-called explanations of the whole universe are incomprehensible or absurd; (iii) Christianity's low evaluation of earthly existence (which is the main cause of the belief in the meaninglessness of life) rests on the use of an unjustifiably high standard of judgment." 472 Vgl. B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 58. 473 A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963). Siehe auch S. 25 Querverweis. 474 Siehe S. 72. Vgl. auch A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 162. Vgl. auch R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 128. 475 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 163. Siehe auch S. 72 Querverweis. 80 selbst liegt, sondern eher in einer schlechten Anwendung von ihr und an einer mangelnden konzeptuellen Analyse, da die Überlegungen durch psychologische und emotionelle Parameter getrübt werden. Flew macht darauf aufmerksam, dass die Beschäftigung mit der Sinnfrage im Falle Tolstois … "symptomatic of this distressing psychological condition" 476 … ist. Der einzige Ausweg aus seinem negativen Gemütszustand sieht er in der Heimkehr zum Glauben. Dabei ist das einfache Volk einfach nur ausgeglichener als er. Wenn dieses einfache Volk nicht am 'Stillstand des Lebens' leidet, so kann dies noch lange nicht als zwingende Folge der Erkennung eines bestimmten philosophischen Wissens über das Leben gewertet werden.477 Die Bauern scheinen zu wissen, wie man lebt, aber nicht notwendigerweise, warum. Dieses Wie-Wissen kann als therapeutischer Glauben viel bewirken, was nicht zuletzt daran sichtbar ist, dass man hartnäckig an ihm festhält, aber es muss, wie gesagt, aus diesem Grund nicht wahr sein. 478 Die Frustration, die in Tolstois Beichte zum Vorschein kommt, kann ebenfalls einfach als ein menschlich-psychologisches Phänomen gesehen werden, so R. Hepburn, das dann entsteht, wenn unsere Bemühungen nicht auszureichen scheinen, um unsere Projekte im Leben verwirklichen zu können: "A complaint of meaninglessness can be a complaint about a felt disproportion between preparation and performance; between effort expended and the effect of effort, actual or possible."479 J. Kekes argumentiert ähnlich, wenn er behauptet, dass die Sinnlosigkeit des Lebens nicht auf eine philosophische Absurdität zurückzuführen sei, sondern eher auf den Unwillen, sich um Sachen und Menschen zu kümmern. Somit handele es sich bei der Sinnfrage oft versteckt um Wollen und Emotionen. 480 Dies sei der wahre Grund, warum die Menschen mit allen Mitteln versuchen würden, aus der natürlichen Welt auf eine kosmische Zweckgebung zu folgern.481 Aber, so Kekes weiter, es gibt keinen streng rationalen Grund, dass ein solcher Zweck existiert.482 Damit schlussfolgert er: "Meaning thus comes from us",483 und … "it is folly to suppose that just because we can ask a question there is going to be an answer to it that we like. [...] Maybe life just is". 484 476 A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 114. 477 Vgl. ebd. 478 Vgl. ebd., S. 116+118. 479 R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 133. 480 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 244. 481 Vgl. ebd., S. 248. 482 Vgl. ebd., S. 249. 483 Ebd., S. 250. 484 Ebd., S. 240. 81 Aus der Vermischung von Rationalität und Emotionalität heraus entsteht der naturalistische485 und der moralistische Fehlschluss. In unserem Kontext handelt es sich überwiegend um den moralistischen Fehlschluss. Er … "[…] geht von einer präskriptiven (vorschreibenden) Aussage aus und folgert daraus eine beschreibende. Er schließt aus dem Sollen auf ein Sein. Ein Beispiel: Weil die Menschen gleich sein sollen, sind sie auch gleich." 486 Mit der logischen Feststellung … "no judgment of value is capable of proof" 487 … ging A. J. Ayer auf diese Problematik ein. Auch er beteuerte, dass die logische Unterscheidung zwischen Ist- und Soll-Aussage selten im praktischen Leben berücksichtigt wird.488 Doch auch wenn diese gedankliche Strenge nicht im praktischen Leben gewährleistet werden könne, so dürfe dies nicht als Rechtfertigung für philosophische Untersuchungen mit akademischem Anspruch herangezogen werden. Auch für das Neue Handbuch philosophischer Grundbegriffe existiert 489 ein "unüberwindbarer logischer Graben zwischen Seins- und Sollenssätzen", auch wenn in der neueren Diskussion versucht würde, dies etwas zurückzudrängen. 490 Die kosmischen oder theistischen Sinntheorien fallen alle in die Kategorie des von K. Baier genannten "hidden meaning". 491 Die Absicht, einen 'versteckten Sinn' aufsuchen zu wollen, ist die, dem Leben mehr Positivität zu verleihen. Wir versuchen das, was wir wollen und gleichzeitig nicht haben, und auch aus nüchternen wissenschaftlichen Überlegungen heraus nicht herstellen können, sei es nicht sterben zu wollen, nicht mehr leiden zu müssen, auf Teufel-komm-raus doch irgendwie in der Natur, im Kosmos, im Jenseits aufzuspüren. Dann wird gedanklich die Schwelle überschritten, an der wir den moralistischen Fehlschluss begehen: "[…] we want to outbalance this negativity by finding something that outweighs this negativity or by finding a hidden dimension that does that too" 492. 485 "Der naturalistische Fehlschluss versucht aus deskriptiven (beschreibenden) präskriptive (vorschreibende) Aussagen abzuleiten bzw. aus dem Sein/der Natur ein Sollen. Bekannt geworden ist er durch Moore und Hume. Ein Beispiel: Weil es für den Menschen natürlich ist, kein Vegetarier zu sein, sollten wir keine Vegetarier sein. Oder: Weil in der Evolution nur die Angepassten überleben, sollen nur die angepassten Menschen überleben. Bei beiden Schlüssen kommt dem Weil-Satz keine argumentativ-begründende Funktion zu." (http://rescogitans.de/vonnaturalistischen-und-moralistischen-fehlschluessen/) 486 http://rescogitans.de/von-naturalistischen-und-moralistischen-fehlschluessen/. Da diese Quelle nur schwer auf ihre Qualität überprüft werden kann, werde ich die Aussage durch E. C. Moore bestätigen lassen: "What I would like to call the Moralistic Fallacy is the assertion that moral judgments are of a different order from factual judgments. This fallacy may take two forms. On the one hand, as the emotivist commits it, it is the view that ethical judgments are of a different order from factual judgments because they are not judgments. They are expressions of emotion rather than judgments about the world. To say you like something is to say Hurrah for it; to say you dislike something is to say Boo on it." (Moore, Edward C.: The moralistic fallacy, in: Journal of Philosophy 54/2 (1957), S. 29.) 487 A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 202. 488 Vgl. ebd. 489 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1995. 490 Vgl. ebd. Er erwähnt einen Hinweis auf stabile Kriterien für in sich sinnvolle Handlungen und Zustände, der zumindest rational diskutierbar ist. 491 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 50. 492 Ebd. 82 Alle Szenarien, die die Sinnfrage betreffen, wie z. B. Baiers "The World as a Stage" oder sein "Earthly life as a test",493 und auch objektivistisch-naturalistische Theorien, alle Theorien, die eine kosmische Zweckgebung voraussetzen, können mit dem moralistischen Fehlschluss belegt werden. Alle Religionen gehören dieser Kategorie an. Sogar viele gläubige Menschen, die an ihrer Überzeugung einer theistischen oder supranaturalistischen Theorie festhalten, sind gleichzeitig in der Lage einzugestehen, rein rational diesem Sachverhalt nicht widersprechen zu können. Dies ist keinesfalls eine Verurteilung, denn die interessantesten gläubigen Menschen, denen ich persönlich in meinem Leben begegnet bin, waren sich der Irrationalität des Glaubens sehr wohl bewusst und würden auch nicht versuchen, diesen mit solchen Mitteln zu rechtfertigen. Wie bereits erwähnt scheint der "hidden meaning" im Grunde lediglich eine Vorstellung zu sein, die es uns erlaubt, unserem Leben und uns selbst positive Bedeutung beizufügen,494 die wir womöglich auf anderem Wege nur schwer auffinden könnten. Weiterhin machen sich die gleichen (naturalistisch-)kosmischen oder theistischen Sinntheorien, ab dem Moment, wo sie als vorausgesetzt gelten, des naturalistischen Fehlschlusses (also der umgekehrten Folgerungsrichtung wie des moralistischen Fehlschlusses) schuldig. Hepburn macht uns darauf aufmerksam, dass Behauptungen über Gott oder das Jenseits, wenn als Glaube vorausgesetzt, im Grunde Aussagen sind, die vom formalen Gehalt her Tatsachenaussagen sind, und damit eine Ist-Erkenntnis darstellen, auch wenn diese Ist-Erkenntnis von Nichtgläubigen für falsch gehalten wird. 495 Das Problem hierbei ist, eine ungültige logische Deduktion aus diesen Aussagen auf das zu vollziehen, was wir tun sollen. Deshalb können religiöse Behauptungen vom logischen Standpunkt her betrachtet nie Sinnhaftigkeit garantieren, so wie anders herum der Verlust des religiösen Glaubens nicht notwendigerweise den Verlust auf Sinnhaftigkeit zur Folge haben muss.496 Rein formal gesehen kann die Religion keine Antwort auf die Sinnfrage liefern, auch wenn dies als ihre Daseinsberechtigung gesehen wird. 7.2 Normativer und eudämonistischer Bezug Kurt Baier schrieb, dass die Suchenden des Lebenssinns evidenterweise nach einem positiven Lebenssinn Ausschau halten. 497 Damit wäre der Übergang zum Guten und Schlechten (oder für die Theisten auch zum Bösen) bereits hergestellt, und damit befinden wir uns noch offensichtlicher im Kontext der Ethik. A. J. Ayer hatte bereits 1947 darauf hingewiesen, dass die Sinnfrage eine Frage der Moral sei und formulierte sie um in 493 Siehe S. 21. 494 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 52. 495 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 496 Vgl. ebd. 497 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 50. 83 "Wie sollen die Menschen leben?"498 Seachris schrieb in seinem Überblicksartikel, dass sowohl ethische als auch ästhetische und eudämonistische Ansprüche in der Sinnfrage enthalten sind, und sie alle auf eine Weise miteinander verbunden sind, die es nach ihm zu klären gilt.499 Der normative und der eudämonistische Bezug existiert üblicherweise, wie wir bereits indirekt im 1. Teil dieser Arbeit erkennen konnten, bei allen Verfechtern einer Lebenssinnbejahung, sowohl für die Supranaturalisten als auch für die Naturalisten. Für die Verweigerer des Lebenssinns ist dies eigentlich ebenfalls der Fall, wenn auch vielleicht weniger deutlich sichtbar. Man könnte glauben, dass kein Zusammenhang hergestellt werden könnte, wenn nichts da ist, womit sich ein Zusammenhang herstellen lässt. Doch dienen auch Sinnlosigkeit und Absurdität als Stellungnahme für moralische Belange. Wir haben gesehen, dass man versucht, Freiheit, politischen Aktivismus und andere normative Ansätze aus der Abwesenheit des Lebenssinns abzuleiten. 500 Auch der Pessimismus beinhaltet eine Stellungnahme, aus der moralische Regeln oder Prinzipien abgeleitet werden. Schopenhauer hat dies mit der Herleitung des Mitleids als moralischem Grundprinzip belegt.501 Ob das Leben nun als sinnvoll oder sinnlos erachtet wird, bezüglich der Sinnfrage scheint es keine Werteneutralität zu geben. Diese Sicht wird jedoch in dieser Form nicht von allen geteilt. So kann z. B. auch behauptet werden, dass das Themenfeld der Sinnfrage an sich verlassen wird, wenn die Sinnlosigkeit als Qualifizierung des Schlechten herangezogen wird.502 Auch wird der normative Bezug zur Sinnfrage nicht immer allen Autoren zugesprochen. So redet T. Metz lediglich von einigen Theoretikern, die eine bestimmte Art der Moralität als notwendig erachten, um das Leben mit Sinnhaftigkeit belegen zu können. 503 Diese "normative Version", wie er sie nennt, unterstützt die Auffassung, dass ein Leben desto sinnvoller ist je moralischer es eingestuft wird. 504 Für mich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Metz davon ausgeht, dass es Theorien gibt, die überhaupt keinen Bezug zur Moralität besitzen. Meines Erachtens ist es wichtig, zwischen denjenigen Theorien zu unterscheiden, die ihre gesamte Grundlage, Herleitung und Folgerungen innerhalb moralischer und normativer Kategorien beschreiben, und Theorien, die das nicht in diesem Umfang tun oder im Wesentlichen keinen normativen Wortschatz gebrauchen, bei denen jedoch der Bezug zur Moralität im fließenden Übergang hergestellt werden 498 Frei übersetzt aus: A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 202. 499 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 1. Introduction. 500 Wie beim Existentialismus. 501 Vgl. Schopenhauer, Arthur: Über die Grundlage der Moral, (Philosophische Bibliothek 579), nach den Ausgaben letzter Hand v. Ludger Lütkehaus, Hamburg: Felix Meiner 2007. 502 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 807: "Or when we say that a meaningless life is bad, might we not be speaking from a perspective other than the meaning of life?" 503 Vgl. ebd., S. 798. 504 Vgl. ebd. Siehe auch Querverweis S. 55. Es ist eine Theorie, die unter dem Namen Moralitätstheorie ("morality theory") geführt wird. 84 könnte. Wenn ich behaupte, dass jede Lebenssinntheorie einen normativen oder eudämonistischen Bezug hat, heißt das, dass dieser hergestellt werden kann, auch wenn er nicht explizit vom Autoren beabsichtigt oder dargestellt wird. Dieser Bezug ist deshalb gegeben, weil die Sinnfrage zur Unkenntlichkeit verkommt, wenn er aufgegeben wird. Raum für Spekulationen ist natürlich trotzdem vorhanden. Denn T. Metz hat zweifelsohne recht, wenn er es innerhalb der analytischen Philosophie als unumstritten ansieht, dass trotz aller Zusammenhänge Sinnhaftigkeit konzeptuell von Glück, Richtigkeit und dem Lohnenswerten zu unterscheiden ist. 505 Metz fragt sich weiter, wie Dinge wie Moralität oder auch z. B. Kreativität (die auch als Antwort auf die Sinnfrage herangezogen wird) das Leben mit Sinn erfüllen können. 506 Hierbei geht er davon aus, dass die Handlungen mehr oder weniger intuitiv für ihren Gehalt an Sinnhaftigkeit beurteilt werden. Es handele sich dabei um Urteile, die sich ausrichten an den Vorlieben der Menschen für bestimmte Umstände, die potentiell während eines Lebens auftreten können.507 Ich glaube jedoch nicht, dass die Moralität erschöpfend mit diesem Ansatz bestimmt werden kann, und die Weiterführung dieser Überlegung scheint mir innerhalb eines ethischen Diskurses stattfinden zu müssen. Als recht überzeugendes Argument gegen die mögliche Herleitung einer normativen und eudämonistischen Komponente aus dem Kontext der Sinnhaftigkeit des Lebens kann jedoch folgendes Gedankenexperiment dienen, das von Robert Nozick entwickelt wurde:508 Man stelle sich vor, in einer virtuellen Maschine leben zu müssen, die den Geist mit Erfahrungen speist und ein beschwerdefreies und scheinbar perfekt glückliches Leben veranlasst, ohne jedoch dabei das Bewusstsein darüber verlieren zu können, dass man sehr wohl in dieser virtuellen Maschine steckt. Weil man genau weiß, dass es sich nicht um das wirkliche Leben handelt, würde man in diesem Szenario nicht das Bedürfnis verspüren, in die reale Welt treten zu wollen, auch wenn in dieser Leid und Glücklosigkeit erduldet werden muss? Es könnte in Erwägung gezogen werden, dass man diesen Schritt tun und sein virtuelles Glücklichsein aufgeben möchte, nur um ein Leben führen zu können, das man auf diese Weise als sinnvoller erachtet, weil es das authentischere und realere ist.509 Doch gibt es meines Erachtens noch etwas bei diesem Gedankenexperiment zu berücksichtigen: Es kann in der Tat dazu dienen, die konzeptuelle Unterscheidung von Sinnhaftigkeit, Glück und Moralität zu belegen, wie es bereits im Abschnitt zuvor erkannt wurde, auch wenn es sicherlich mehr oder weniger große Schnittstellen gibt, wo der Bedeutungsgehalt der unterschiedlichen Begriffe überlappt. Dennoch kann man dieses Szenario genauso gut gegen die damit verbundene 505 Vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 1. The Meaning of “Meaning”. 506 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 798. 507 Vgl. ebd., S. 804. 508 Vgl. Nozick, Robert: Anarchy, State, and Utopia, New York: Basic Books 1974, S. 42 ff. 509 Für den gesamten Teil ab Fußnote 512, vgl. T. Metz: The Meaning of Life (2007), Kapitel: 1. The Meaning of “Meaning”. 85 Absicht benutzen. Denn wenn man sagt, dass ich das sinnvollere Leben da sehe, wo ich es als authentisch oder authentischer erachte, ist diese Stellungnahme denn überhaupt von einer moralischen Beurteilung zu unterscheiden? Wann kann 'authentisch' denn als etwas Bevorzugtes geltend gemacht werden, wenn nicht erst aufgrund einer moralischen Beurteilung? Doch das Verhältnis zwischen Moralität und Sinnhaftigkeit ist ein verzwicktes. Wie genau kann es zum Beispiel verstanden werden, wenn J. Kekes sagt, dass die Sinnhaftigkeit eines Lebens nach Maß der Immoralität bewertet werden kann?510 War Hitlers Leben sinnvoll? Er hat sicherlich eine erhebliche Auswirkung auf das Weltgeschehen gehabt, daran ist nicht zu zweifeln.511 Hier scheint mir noch etwas zu entgehen. Doch auch wenn wir diese Beziehung zwischen Sinnhaftigkeit und Immoralität zumindest intuitiv nicht oder nicht sofort einsehen können, so wird mit dieser Aussage doch auch zumindest deutlich, dass der normative Bezug besteht, in welcher Form auch immer, ob proportional oder invertiert. Und genau diese Auffassung scheint sich in der angelsächsisch-analytischen Philosophie widerzuspiegeln, nämlich dass der Bezug im weitesten Sinne des Wortes unumstritten scheint, auch dann, wenn eine Theorie nicht auf einen spezifisch ethischen Wortschatz zurückgreift. Und dies nicht nur im Sinne, wie alles mit allem in diesem Universum verbunden zu sein scheint, sondern so, dass die Sinnfrage an sich unverständlich wird, wenn dieser moralische und/oder eudämonistische Bezug aufgegeben wird. Sinn- und Zweckgebung sind Ideen 512, die in die Zukunft projiziert werden. Irgendetwas wird zeitlich vor uns gesetzt, das es zu erfüllen gilt. Dieser Sachverhalt wird wieder einmal hervorgehoben, wenn J. Kekes die Verbindung zwischen der Sinnfrage und dem Bedürfnis von Motivation herstellt.513 Auch wenn er diese Aussage lediglich auf die kosmische Sinngebung bezieht, so glaube ich, dass es gleichwohl für die Subjektivisten gelten muss, wenn 'Sinngebung' einen Sinn haben soll. Deshalb plädiert auch Kekes für einen deutlich moralischen Ansatz der Sinnfrage, da Motivation nur in diesem Kontext unwidersprüchlich behandelt werden kann. So kommt er zum Ergebnis, dass der Lebenssinn darin besteht, 'gute' Projekte ("good projects") zu verfolgen, 514 wobei 'gut' die normative Konnotation verdeutlicht. Noch spezifischer siedelt er den Lebenssinn in einem eudämonistischen Kontext an.515 Hierfür stellt er dann bestimmte Bedingungen auf, die für ein Projekt erfüllt werden müssen, um die Qualitätsprüfung des 'Guten' zu bestehen. 516 510 Vgl. T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 798. Er erwähnt John Kekes, der behauptet, dass die Sinnhaftigkeit eines Lebens auch auf Immortalität fußen kann. Dann müsste man z. B. Hitlers Leben sinnvoll nennen. 511 Vgl. ebd. 512 Sinngebung und Zweckgebung erscheinen mir immer identischer, je länger ich dieses Thema behandele. 513 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 248. 514 Vgl. ebd., S. 250. 515 Vgl. ebd. 516 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 253. Kriterien zum moralischen Ansatz (auf Engl.): 86 Sogar wenn wir gegen meine eigene Überzeugung 517, im Sinne der Supranaturalisten und der objektivistischen Naturalisten, davon ausgingen, dass so etwas wie Zweck- und Sinngebung von außerhalb, von der Natur, vom Universum, von Gott oder von einer uns innewohnenden Seele her existieren könnte, und wir feststellen müssten, dass diese Sinngebung konträr ist zu unseren grundlegendsten Überzeugungen von dem, was wir üblicherweise als erwünscht ansehen, so würden wir diese von außen aufgegebene 'Sinnhaftigkeit' nicht mehr 'Sinnhaftigkeit' sondern allenfalls 'Sinnlosigkeit' oder 'Absurdität' nennen. Wenn irgendein kosmischer oder göttlicher Plan uns etwas aufdrängt, das wir intuitiv nur als etwas Negatives bewerten können, so wäre der Gehalt dieses 'Sinnes' leer für uns, wir könnten keine wirkliche Bedeutung aus ihm herauspressen. Das Gleiche gilt sogar dann, wenn wir eine kosmische oder göttliche Sinngebung tatsächlich auf die Art und Weise entdecken könnten, wie wir andere Galaxien mit dem Hubble-Teleskop entdecken. Auch auf diese Weise könnten wir unsere Bedeutung von Sinnhaftigkeit nur dem zuordnen, das mit unserem Willen in Einklang steht. Wäre es anders, könnten wir das Entdeckte nicht als sinnvoll betiteln, sondern als absurd oder sinnlos, und dann würde die Sinnhaftigkeit zum Gegenteil von dem werden, was wir als eine Tatsache entdeckt hätten. So verkehrt sich z. B. auch bei den Pessimisten die eigentlich als nüchtern neutral einzuschätzende 'Feststellung', dass das Leben überwiegend aus Schmerz und Leid besteht, zur Sinnlosigkeit. Der Pessimist fragt sich: Wie soll ewiges Leid sinnvoll genannt werden können, wenn es nicht doch irgendwie irgendwann überwunden werden kann? Sinnhaftigkeit scheint etwas Positives für uns darstellen zu müssen. So kann auch nicht das 'moralisch Gute' von der Sinnfrage abgespalten werden. Lebenssinnverweigerung oder die neutrale Akzeptanz einer möglichen Abwesenheit von Lebenssinn scheint zum Zwecke einer beabsichtigten Werteneutralität ungeeignet zu sein. Mehr noch: die Verweigerung des Lebenssinns, nach dem Motto "Das Leben ist. Punkt", ohne gleichzeitige Anerkennung von 'negativer' Sinnlosigkeit scheint ebenfalls unmöglich. Das Leben wird als sinnvoll oder sinnlos, nicht als sinnabwesend oder sinnneutral wahrgenommen, und dabei hat 'sinnvoll' die Konnotation von 'gut', 'sinnlos' die von 'schlecht'. Unser Geist produziert zwingend Sinnhaftigkeit und konnotiert sie moralisch. Bei diesem Sachverhalt muss ich die Subjektivisten nicht einmal erwähnen, denn ihre Zusage hierzu scheint unzweifelhaft. Im Übrigen kann man am Einverständnis (wenn es 1) projects ≠ meaningless, pointless, trivial, futile 2) we have not succumbed to view all human projects as absurd 3) we genuinely want to pursue them 4) belief that it will make lives better is true 517 Sowohl normative Sätze als auch Aussagen über die Sinnfrage stellen keine Entdeckung von Tatsachen da, sondern eine menschliche Projizierung. Sinnhaftigkeit und moralische Normen können so nicht in der Natur vorkommen, außer wenn man mit einbezieht, dass unser Geist, der diese Projizierung vornimmt, Teil dieser Natur ist. Dies kann im Allgemeinen als Errungenschaft der analytischen Philosophie oder eventuell der kritizistischen Philosophie gelten. Jedoch gilt diese Aussage nur dann, wenn eine bestimmte Voraussetzung gemacht wird, nämlich die Verneinung einer theistischen Anschauung, die Verneinung der Existenz Gottes so wie er z. B. im katholischen Glauben dargestellt wird, und die Überzeugung, dass die Wirklichkeit, ob es sich um bereits entdeckte oder noch unentdeckte Phänomene handelt, der naturalistischen Anschauung entspricht. Damit teile ich, wie bereits unter 7.1 erwähnt, Russells Auffassung. 87 sich denn einstellt) dieser Aussage erkennen, dass Sinnhaftigkeit niemals als etwas von außen an uns Aufgetragenes sein kann, es kann sich immer nur um etwas handeln, das wir mit unserem Geist und unserem Willen in die Dinge und in den Kosmos hineinprojizieren. Für welche Sinngebung auch immer wir uns entscheiden, sie muss kompatibel zu dem sein, was wir für wünschenswert halten, auf menschlicher, gesellschaftlicher oder welcher Ebene auch immer. Das Positive, das Gute, das moralisch Gute, und damit auch indirekt das, was wir innerhalb des Glückes ansiedeln, all diese Teilaspekte stecken bereits als Konnotationen im Begriff der Sinnhaftigkeit des Lebens. Mit dieser Feststellung müssen wir dann auch Ayer zumindest teilweise zustimmen, wenn er sagt, dass die Sinnfrage "Wie sollen die Menschen leben?" 518 lautet, denn diese Frage beantwortet, wie wir dasjenige erreichen, was wir als Gut anerkennen. Kurt Baier argumentiert ebenfalls in diese Richtung. Sogar sein "Sinn der fundamentalen Beschaffenheit" ("the essential character sense") 519, eine Bedeutung bei der es auf den ersten Blick klar zu sein scheint, dass die Sinnfrage durch Tatsachenfeststellung, nämlich den Menschen von seinem tiefsten Wesen her zu kennen, geklärt werden könnte,520 bei der man also meinen könnte, dass sie ohne normativen Ansatz auskommen könnte, wird von ihm als eine Sinnhaftigkeit angesehen, die sich beim 'guten Leben' als Grundlage bedient.521 Für ihn scheint ebenfalls bei den theistischen Auffassungen festzustehen, dass die fundamentale Zielsetzung das gute Leben (auch wenn es im übertragenen Sinne im Jenseits stattfindet) und Glückseligkeit ist, die im günstigsten Fall nie mehr zu Ende gehen.522 So werden imaginäre und nichtimaginäre Ereignisse dazu benutzt, die irdische Misere überwinden zu können. Denn nicht die Misere und das Leid kann Ziel einer Sinngebung sein, sogar wenn sie als objektive Tatsache festgestellt werden muss; das Gute und das Glück müssen als motivierende Faktoren in die unterschiedlichen Theorien auf irgendeine Weise eingebaut werden, um Sinnhaftigkeit als solche überhaupt wahrnehmen zu können, auch wenn es bei den Konstruktionen der meisten Theorien erheblich an logischer Stringenz mangelt. 523 A. Flew stellt ebenfalls fest, wie wir bereits gesehen haben, 524 dass Tolstois Hauptanliegen darin besteht, Wünsche erfüllt zu bekommen, auch wenn diese von unverschämter Anmaßung sind, so wie der Wunsch der Abwesenheit von jedwedem Leid und der Wunsch der Unsterblichkeit.525 Da diese Wünsche realistischerweise nicht erfüllt werden können, werden die Rahmenbedingungen der Theorie, die es aufzustellen gilt, angepasst, damit diese Wünsche dann doch noch erfüllt werden können. Der Bezug zur Abwesenheit von 518 Siehe S. 83 f. 519 Siehe S. 66. Vgl. auch K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S.47. 520 Was im vorigen Kapitel durch den moralistischen Fehlschluss widerlegt wurde, der sich in allen Theorien versteckt außer dem Subjektivismus. 521 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 61. 522 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 3. 523 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 47 Abschn. 3 bis 5. 524 Siehe S. 28. 525 Vgl. A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 158 f. 88 Leid, die als ein eudämonistischer Parameter gilt, und zur Immortalität als Sinnbild der absoluten Lebensbejahung sind eindeutige moralische und normative Forderungen. 7.3 Sinnlosigkeit und Absurdität Heuristisch können wir folgendermaßen vorgehen: Entweder wir betrachten die Termini 'Sinnlosigkeit' und 'Absurdität' als Synonyme, oder wir ziehen aus beiden Wörtern eine unterschiedliche Bedeutung und behandeln sie wie zwei eigenständige Begriffe. Für die bearbeitete Literatur gilt im Allgemeinen: Wenn 'Sinnlosigkeit' und 'Absurdität' synonym benutzt werden, beinhalten beide die gleiche Konnotation des Negativen (im normativen Sinne) und oft auch der 'Irrationalität', wo auch immer der Ursprung dieser Sinnlosigkeit oder Absurdität gesehen wird, und wie auch immer dies sich im Detail manifestiert. Von einigem Interesse für uns, um die Klärung unseres Begriffsfeldes voranzutreiben, ist es zu ergründen, was beide Begriffe bedeuten, wenn sie explizit unterschieden werden. Hierbei sehe ich in der einschlägigen Literatur ein recht klares Muster hervortreten, wobei jedoch die Bedeutungen den Termini unterschiedlich zugewiesen werden. 526 Das besagte Muster sieht wie folgt aus: 1) 'Sinnlosigkeit' kann als äußere oder objektive Abwesenheit von Sinnhaftigkeit definiert werden, also als die Überzeugung 527, dass entweder das Universum (für die objektivistischen Naturalisten) oder Gott (für die Theisten) keine Sinn- oder Zweckgebung liefern. Rein theoretisch beinhaltet diese Art von Sinnlosigkeit nicht a priori eine für uns negative Konnotation, obwohl sie jedoch im Grunde immer mitgedacht wird, wenn auch oft stillschweigend oder unbewusst. 2) 'Absurdität' wäre diesem Muster zufolge das subjektiv erlebte negative Gefühl, dass ich als Mensch selbst nach meiner Feststellung der kosmischen Sinnlosigkeit keine Sinnhaftigkeit in mir trage oder keine an meinem Leben haftet, oder im erweiterten Sinne am Leben der Menschheit. Die äußere kosmische Sinnlosigkeit wird dieser Absurdität immer als (theoretische) Ursache unterstellt, vorausgesetzt jedoch, dass Absurdität als philosophischer Begriff und nicht z. B. lediglich als Empfindung einer Depression besprochen wird, auch wenn hierbei das Theoretische auf die Psychologie des Menschen notgedrungen niederschlägt. So redet Joel Feinberg z. B. von dem Unterschied zwischen "absurdity in life" und "absurdity of life".528 Erstere entspräche meiner 'Absurdität', letztere meiner 'Sinnlosigkeit'. Auch T. Nagel unterscheidet den Standpunkt innerhalb unseres 526 Ich möchte darauf hinweisen, dass ich diese begriffliche Unterscheidung im Unterkapitel 7.2 nicht vorgenommen habe. Ich habe bisher die Begriffe 'Sinnlosigkeit' und 'Absurdität' im Allgemeinen synonym verwendet, so wie es auch viele Autoren tun. Das bisher Gesagte muss jedoch nicht rückwirkend relativiert werden, denn die bisherigen Überlegungen bedurften keiner Ausdifferenzierung. 527 Für diejenigen, die davon überzeugt sind, handelt es sich üblicherweise dann auch um eine Tatsachenfeststellung, was, wie ich noch einmal betonen möchte, den Ergebnissen meiner Überlegungen widerspricht. 528 J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 155. 89 Lebens ("in our life") von demjenigen außerhalb unseres Lebens ("outside our life"), wobei beides für ihn Absurdität zur Folge hat.529 Ich hatte bereits darüber geschrieben, dass diese zwei Standpunkte aufeinanderprallen und was die Diskrepanz dieser zweier Perspektiven für den Menschen mit sich bringt. Wenn wir Nagels Aussage auf mein Vokabular übertragen, dann würde es folgendes bedeuten, auch wenn es etwas unausgereift klingt: Sinnlosigkeit bewirkt Absurdität und Absurdität bewirkt Absurdität. Im Grunde wird dadurch erklärt, dass die Absurdität zwei Ursprünge hat, aus uns selbst heraus (eher im Sinne einer Geisteshaltung, die nicht immer von einer rein psychischen Empfindung unterschieden werden kann) oder aus einer objektiven Erkenntnis heraus. T. Metz bestätigt, dass Nagel die von mir erwähnte Unterscheidung vornimmt: "Nagel distinguishes between the meaninglessness of a life and its absurdity" 530. Bei J. Kekes werden diese Bedeutungen invertiert: die Sinnlosigkeit wird dem Aufhören, Sorge zu tragen, zugewiesen, und die Absurdität nennt er philosophisch, insofern sie einer philosophischen Theorie der Sinnfrage unterliegt, hier im Sinne einer Theorie mit kosmischer Sinngebung.531 Im Wesentlichen wird aber wiederum zwischen objektiver und subjektiver Ebene unterschieden, egal in welcher Richtung die Wörter an die Bedeutungen geknüpft werden. Allgemein können wir festhalten, dass es besonders hier wichtig ist, die Terminologie klar zu definieren. Jede Ausdifferenzierung hat sicherlich ihre konzeptuellen Grenzen. Innerhalb der Entwicklung einer Debatte können diese Bedeutungen nicht immer messerscharf auseinandergehalten werden, auch dann nicht, wenn es beabsichtigt und gewünscht ist. Doch oft werden viele Verwirrungen lediglich durch einen Mangel an klaren begrifflichen Unterscheidungen verursacht. Richard Taylor hat die Sinnhaftigkeit über den Umweg ihrer Negation zu bestimmen versucht.532 Ist es möglich, Sinnlosigkeit ("meaninglessness") besser und präziser zu verstehen als Sinnhaftigkeit? Hierfür griff er auf die Allegorie von Camus' Sisyphos 533 zurück. Es ist bekannt, dass Camus die Situation seines gescheiterten Helden mit dem Begriff 'Absurdität' charakterisiert. Auch die Übersetzung ins Englische scheint bei diesem Wort üblicherweise kein Problem darzustellen, da "absurdity" an und für sich das Gleiche bedeutet. Kann man Taylor einen Mangel an Fingerspitzengefühl vorwerfen, wenn er diese Unterscheidung nicht vornimmt, obwohl er genau in diesem Begriffsfeld arbeitet? Taylors "Sinnlosigkeit", die er Sisyphos zuspricht, gründet seines Erachtens nicht darauf, dass Sisyphos' Arbeit und Mühe kein Ende finden, sondern dass er mit 529 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 145. 530 T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 811 in einer Fußnote. 531 Vgl. J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 244. 532 Vgl. R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 134. 533 A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985). Vgl. auch R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 134: "The picture of Sisyphus is the picture of existence of the individual man, great or unknown, of nations, of the race of men, and of the very life of the world." 90 diesen keine Ergebnisse erzielt, dass sie zu nichts führen. Sisyphos' Arbeit hätte einen Sinn (Taylor: "would have a point"), wenn er z. B. mit Steinen, die er den Berg hinaufzurollen hätte, etwas bauen könnte, wenn sich das Ganze zu irgendetwas entwickeln würde. Ebenfalls würde seine Arbeit nicht mehr sinnlos erscheinen, wenn das Steineraufrollen so etwas wie ein Instinkt für ihn wäre, oder wenn er davon besessen wäre, z. B. nach dem Einnehmen einer Substanz, die genau das in ihm bewirkt, ohne dass sich irgendetwas an den äußeren Umständen ändern würde. 534 An dieser Stelle von Taylors Überlegungen können wir erkennen, wie subjektiv seine "Sinnlosigkeit" zu sein scheint. Es scheint sich eher um eine reine Empfindung, lediglich um das persönlich Erlebte zu handeln. Wie kann man in diesem Szenario die Absurdität als philosophisches Konzept von einer 'einfachen' psychischen Disposition unterscheiden? Es stellt sich an dieser Stelle als problematisch heraus, von einer Sinnlosigkeit, und sogar von einer Absurdität in einem 'überwiegend' philosophischen Sinne zu reden, wenn kein Bezug hergestellt wird, der das rein psychisch Empfundene übersteigt. Wir können uns auch an dieser Stelle fragen, ob eine depressive Person ihre psychische 'Absurdität' überhaupt als eine Absurdität in einem philosophischen Kontext geltend machen darf. So schreibt z. B. T. Nagel, dass das Leben vielen Menschen aus ganz konventionellen Gründen absurd erscheint, die mit ihrem eigenen Ehrgeiz, ihren Umständen und persönlichen Beziehungen zu tun haben.535 Doch auch wenn wir weiter oben Absurdität mit einer subjektiven Dimension belegt haben, so glaube ich trotzdem nicht, dass sie von der Ebene der theoretischen 'Sinnlosigkeit' abgetrennt werden darf, ohne ihre Daseinsberechtigung innerhalb einer philosophischen Thematik zu verlieren. Auch sollte die Absurdität nicht mit unserer Ehrfurcht gegenüber der Unendlichkeit von Zeit und Raum verwechselt werden, die sich darin ausdrückt, dass wir als kleine Sandkörner einem zeitlich und räumlich übergroßen Universum gegenüberstehen. 536 "For suppose we lived forever; would not a life that is absurd if it lasts seventy years be infinitely absurd if it lasted through eternity?" 537 Nagel ist sich der Problematik dieses Begriffes also sehr wohl bewusst. Wie bereits erwähnt siedelt er die Bedeutung von Absurdität im philosophischen Sinne in der Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Perspektive an, 538 aber weder ganz auf der einen, noch ganz auf der anderen Seite dieses Spektrums. Am Ende seiner Überlegung kommt R. Taylor zum Ergebnis, dass seine "Sinnlosigkeit" (also meine 'Absurdität') eine nie endende Ergebnislosigkeit ("pointlessness") darstellt, und Sinnhaftigkeit darum ihr Gegenteil ist. 539 Ihm zufolge ergibt sich dann etwas sprunghaft die Schlussfolgerung, der Sinn des Lebens sei der Wunsch, die Dinge zu tun, 534 Für den gesamten Teil ab Fußnote 538, vgl. R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 136. 535 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 145. 536 Vgl. ebd., S. 144. 537 T. Nagel: The Absurd (2008), S. 144. 538 Vgl. ebd., S. 145. 539 Vgl. R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 137. 91 die man tut,540 und weiter setzt er diese Aussage mit dem Lebenssinn als Willen zu leben gleich.541 Dies klingt alles ein wenig unzusammenhängend. Jedoch wollen wir nicht auf sein Gedankenexperiment verzichten, weil es in der Literatur als bekannt, wichtig und originell angesehen wird, und weil es verdeutlicht, wie schwierig eine stringente konzeptuelle Differenzierung durchzuführen ist. Doch Taylors Ansatz, bei der Sinnlosigkeit anzufangen, um einer Klärung der Sinnfrage näher zu kommen, finde ich ebenfalls erwähnenswert. J. Feinberg hat seinerseits Taylors umgestalteten Sisyphos als Gelegenheit genommen, sich selbst einige Gedanken zur Absurdität zu machen. In einem Gedankenexperiment verändert er die Person des Sisyphos' noch einmal grundlegend, indem er sich seine gesamte Persönlichkeit durch genetische Modifizierung verändert vorstellt. Dementsprechend wäre es nicht mehr nur lediglich ein Zwang, Steine hinaufzurollen, den Sisyphos verspürt, sondern es entspräche seiner tiefen Natur. Diese Veränderung an Sisyphos verringert den Grad der reinen Subjektivität in diesem Diskurs. Jetzt erschiene es ihm eine wirklich erfüllende Tätigkeit zu sein, da sein ganzen Wesen darauf ausgerichtet ist.542 Anhand dieser Vorstellung glaubt Feinberg behaupten zu können, dass die Differenzierung, wie bereits oben erwähnt, zwischen einer Absurdität im Leben ("absurdity in life", die von mir ebenfalls 'Absurdität' genannt wird) und einer Absurdität des Lebens ("absurdity of life", die von mir 'Sinnlosigkeit' genannt wird) wichtig ist. 543 Dies hilft ihm herauszufinden, dass der Begriff 'Absurdität' zwei Komponenten beinhaltet: extreme Irrationalität und der Konflikt zweier gegenüberliegenden Dinge. 544 Hierbei wird dann auch der Bezug zu Nagels Konzeption der konfligierenden Perspektiven nochmals hervorgehoben.545 Feinberg kommt zum Ergebnis, dass Taylors Begriff der Absurdität (Taylor: "meaninglessness") und Nagels Begriff der Absurdität, obwohl unterschiedliche Konnotationen benutzt werden, doch vom selben Genus sind. 546 Und dieses Genus der Absurdität basiere, Feinberg zufolge, überwiegend auf der Idee der Diskrepanz. Bei Nagel besteht eine Diskrepanz zwischen zwei Perspektiven, bei Taylor eine zwischen Mittel und Ziel einer Tätigkeit. 547 Anders gesagt: Bei Nagel gilt die Absurdität als unrealistischer Anspruch,548 bei Taylor als Trivialität der Tätigkeit oder als Disproportionalität zwischen Investition und Ergebnis. 549 540 Vgl. R. Taylor: The Meaning of Life (2008), S. 140. 541 Vgl. ebd., S. 142. 542 Für den gesamten Anfang des Abschnitts, vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 154. 543 Vgl. ebd., S. 155. Siehe auch S. 89 Querverweis. 544 Vgl. ebd., S. 156. 545 Vgl. ebd.: Es handelt sich hierbei um den Perspektivenkonflikt, der von T. Nagel thematisisert wurde. 546 Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 157: "Careful reconsideration, however, will reveal that Taylor's futility or pointlessness of activity" and Nagel's "discrepancy of perspectives for viewing oneself, while irreducibly distinct types of absurdity, are nonetheless equally proper examples of the absurd genus." 547 Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 158. 548 Vgl. ebd., S. 160. 549 Vgl. ebd., S. 159. 92 Diese Begriffsklärung von 'Absurdität' durch den Begriff der Diskrepanz finde ich persönlich hilfreich. 'Absurdität' scheint sich hierdurch besser fassen zu lassen. Feinberg führt eine weiter Differenzierung durch, nämlich die zwischen "pointlessness" und "futility",550 wobei "pointless" bedeutet, dass das anvisierte Ziel keinen Wert darstellt, und "futile", dass die eingesetzten Mittel ineffizient sind. 551 In dieser Arbeit benötigen wir diese sekundären Begriffe nicht mit derartiger Präzision, was jedoch wichtig wäre, wenn wir die Klärung der Absurdität als Konzept weiter vertiefen würden, so wie es einige Autoren tun. Nagels Erwähnung der Diskrepanz stellt einen nahtlosen Übergang zum nächsten Unterkapitel dar. Dieses Kapitel möchte ich beenden mit zwei amüsanten Nebensächlichkeiten. Zum einen behauptet Feinberg, dass die Absurdität als Begriff nicht besonders informativ sei, solange keine weitere Ergründung der Nichtabsurdität erfolgen würde. 552 Damit drückt er das genaue Gegenteil von Taylors Standpunkt aus, 553 der der Sinnhaftigkeit nichts abverlangen konnte und deshalb die 'Absurdität' untersucht hat. Die Philosophie kann manchmal ironische Züge an den Tag legen. Es scheint, als würde sich ein fruchtloser Kreis hiermit schließen. Zum anderen gibt es noch die Aussage Nagels, wie wir mit der Absurdität umgehen sollten: "We should approach absurdity with irony, not the self-pitying defiance of Camus, because if life doesn't matter, than it doesn't matter that it doesn't matter." 554 7.4 Die Perspektive Zum Thema der möglichen Perspektiven, die eingenommen werden können, wenn die Sinnfrage behandelt wird, stellen T. Nagels Überlegungen sicherlich die bekanntesten in der einschlägigen Literatur dar. Wir haben ihn auch in dieser Arbeit bereits mehrere Male erwähnt. Nagels Analyse der Herkunft seines Begriffs von Absurdität gründet auf der Feststellung der Fähigkeit des menschlichen Geistes, unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, wenn das eigene Leben betrachtet wird. Und die zwei Extreme (innerhalb und außerhalb der eigenen Person) des Spektrums dieser Perspektiveneinnahme kollidieren miteinander, sie verhalten sich zumindest konfliktuell, wenn nicht sogar widersprüchlich zueinander. 555 Die komplett subjektive Perspektive, die von der Innenwelt der eigenen Person als Mittelpunkt aller Betrachtungen ausgeht, ist üblicherweise diejenige, von der wir uns immerwährend im Alltag einnehmen lassen. 550 J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 158. 551 Vgl. ebd., S. 159 552 Vgl. ebd., S. 161. 553 Außerdem ist er nicht mit Taylors Behauptung der Aufrechterhaltung von persönlichen Errungenschaften als Sinngebung einverstanden. Darüber hinaus findet er die allgemeine Folgerung, dass das Leben als solches absurd sei, insgesamt nicht überzeugend. Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 168. 554 T. Nagel: The Absurd (2008), S. 152. 555 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 145. 93 Die Menschen haben jedoch auch die Fähigkeit, aus dieser subjektiven Perspektive auszutreten, sich von dieser wegzu-'zoomen', bis hin zu einem vorgestellten räumlich und zeitlich unendlich entfernten Punkt und Moment des Universums: "We see ourselves from outside".556 Von dieser Stelle können wir zurück auf unsere Person und unser Leben blicken, und es komplett objektiviert betrachten, in einem "detached amazement", in einer "abgelösten Verblüffung" also.557 Es handelt sich um die sogenannte Perspektive sub specie aeternitatis.558 Von diesem Standpunkt aus nehmen wir unsere kleinen alltäglichen Probleme nicht mehr direkt wahr und die Dinge innerhalb des subjektiven Blickfeldes verlieren ihre Bedeutung. Wir fangen an, unsere Gewohnheiten und unsere Rechtfertigungen zu hinterfragen. Wir lassen uns dann von Zweifel und dem Gefühl der Kontingenz übermannen. Die Möglichkeit, diese externe Sichtweise einzunehmen, ohne dabei jedoch aufgeben zu können, die Personen zu sein, die wir nun mal sind, mit all unseren offenbar belanglosen Angelegenheiten, dies stellt Nagel zufolge die wirkliche Absurdität im philosophischen Sinne dar. 559 Der Übergang zu der äußersten externen Perspektive, von der aus man nicht mehr noch weiter zu gehen können scheint, vollzieht sich über dazwischenliegende Etappen wie z. B. Gesellschaft, Revolution, Geschichte … bis hin zum Standpunkt Gottes, wenn man es denn so nennen möchte. Bei jeder dieser Etappen wird von neuem versucht, die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens in einem immer größeren Rahmen neu zu verankern.560 Doch dies gelingt uns nicht, denn es macht uns lediglich zum Skeptiker, der trotz allem nicht vermag, die Orientierungspunkte unserer Glaubenssätze ersetzt zu bekommen, obwohl der Zweifel diese mit einem bestimmten Beigeschmack ("peculiar flavor") belegt.561 Der existenzielle Zweifel kann nicht durch eine immer entferntere Standpunkteinnahme beseitigt werden. 562 So kann sich Nagel zufolge keine letzte Rechtfertigung für unsere Existenz bei dieser äußeren Perspektive einstellen.563 Und wenn die Suche nach einer letzten Rechtfertigung trotzdem zu einem Ende gekommen scheint, dann nur deshalb, weil wir die größten Teile unseres Wissen und unserer Wahrnehmungen ab einem gewissen Moment als Voraussetzungen fixieren.564 Die Vernunft, die dafür mitverantwortlich ist, diese externe Perspektive einnehmen zu können,565 besitzt die Fähigkeit nicht, die entstandene Diskrepanz zu überbrücken. Deshalb könne ein rein vernunftbasiertes Leben auch nicht gelingen und würde zum Kollaps unseres Lebens führen, da die Orientierungspunkte unserer Glaubenssätze nicht hierdurch kompensiert werden können. 566 Doch auch wenn wir die irrationalen 556 T. Nagel: The Absurd (2008), S. 146. 557 Vgl. ebd. 558 Vgl. ebd. Siehe auch S. 41 Querverweis. 559 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 146. 560 Vgl. ebd., S. 147. 561 Vgl. ebd., S. 149. 562 Vgl. ebd., S. 147. 563 Vgl. ebd. 564 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 149. 565 Vgl. ebd., S. 151. Sogar eine Maus mit Selbstbewusstsein hätte ein absurdes Leben, ihm zufolge. 566 Vgl. ebd., S. 150. 94 Glaubenssätze in uns nicht aufgeben, so entkommen wir der Absurdität trotzdem nicht. Diese hat sich durch die beschriebene Diskrepanz bereits eingestellt. Nagel erwähnt weiter, dass es immer Bemühungen der Menschen gab, dieser Absurdität entgegenzutreten. Ein für ihn repräsentatives Beispiel hierfür ist der Buddhismus mit seiner meditativen Tendenz zur eigenen Auflösung. 567 Doch könnte die Absurdität auch dazu führen, nur noch den Selbstmord als einzigen Ausstieg zu sehen. 568 In seinem später (1986) erschienen Werk The View from Nowhere geht Nagel jedoch darauf ein, dass innerhalb dieses Spektrums der Selbstbetrachtung eine – wie das Historische Wörterbuch der Philosophie es nennt – "Übereinstimmung zwischen den zwei Ebenen" gefunden werden könnte. 569 Diese bietet die Moralität. Mit ihr könne man einen Standpunkt erreichen … "far enough outside your own life to reduce the importance of the difference between yourself and other people, yet not so far outside that all human values vanish in a nihilistic blackout".570 Wird mit dieser Übereinstimmung dann doch die existenzielle Absurdität überwunden? Wie dies wirklich gemeint ist, scheint mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unklar. Ich sehe einige Stellen in Nagels Argumentation, die mich an Camus' Mythos des Sisyphos571 erinnern. Camus spricht auch von einem Konflikt zweier unterschiedlicher Tendenzen unseres Geistes, zum einen alles auf allgemeine rationale Prinzipien runterzudeklinieren und zum anderen die Welt als irrational und kontingent vorzufinden. Sie entsprechen nicht genau den beiden gegenüberliegenden Perspektiven Nagels, doch der Ansatz ist ähnlich. Auch sehen beide die Möglichkeit eines durch eine philosophische Geisteshaltung hervorgebrachten Dranges, das eigene Leben als unheilbar absurd zu sehen, mit einer direkten Auswirkung auf die psychische Verfassung des Menschen, und es somit gegebenenfalls beenden zu wollen. J. Feinberg begegnet diesem Problem mit der Geisteshaltung der Ironie. 572 Nagel selbst mit einem moralischen Ansatz.573 Camus mit der Geisteshaltung des Trotzes.574 Persönlich glaube ich T. Nagels Perspektivendiskrepanz einfach nur auf die menschliche Fähigkeit, sich seiner eigenen Existenz bewusst zu sein, reduzieren zu können, also sie gleichzustellen mit einer Problematik, die lediglich durch die Emergenz unseres Selbstbewusstseins erschaffen wurde. Denn ist es nicht das Selbstbewusstsein, gepaart 567 Vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 151. 568 Vgl. ebd. 569 Vgl. V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 821. 570 V. Gerhardt: Sinn des Lebens (1995), Sp. 821. Hier wird Thomas Nagel erwähnt (The View from Nowhere, New York 1986, S. 220 ff.) 571 A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985). Siehe S. 51 Querverweis. 572 Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 179. Ironie ist diesbezüglich für ihn die geeignete Einstellung. 573 Siehe einen Abschnitt weiter oben. 574 A. Camus: Le mythe de Sisyphe (1985), S. 77+78+167+168. 95 mit unserer Vernunft, das uns Menschen erlaubt, geistig aus uns heraustreten und uns von außen betrachten und beurteilen zu können? Ich möchte hiermit Nagels Stellungnahme keinesfalls direkt widerlegen, doch glaube ich nicht, dass die zugrundeliegende Idee etwas wirklich Neues darstellt. Er hat der Problematik des menschlichen Selbstbewusstseins lediglich ein neues Beschreibungsmodell übergestülpt. Die Problematik selbst ist jedoch fundamental für unseren Kontext. Denn in der Tat glaube ich diese Art des Selbstbewusstseins besitzen zu müssen, so wie es die Menschen tun, und wer weiß, vielleicht auch andere Lebewesen oder andere intelligente Erscheinungen im Universum, um überhaupt die Idee eines Lebenssinns entwickeln zu können und diese Problematik lösen zu wollen. Ich glaube ebenfalls, dass man die Unmittelbarkeit seiner eigen empfundenen Erfahrung innerhalb unserer selbst, als subjektive Wesen, überwinden muss, um die Sinnfrage aufstellen zu können. Die zugrundeliegende Idee von Nagels Ansatz ist also sicherlich wichtig. So stellt z. B. auch J. Seachris fest, dass diese Idee die generative Bedingung für die Diskussion der Sinnfrage in der gegenwärtigen analytischen Philosophie darstellt.575 Gleichwohl glaube ich, dass die Diskrepanz zwischen Ist-Ebene und Soll-Ebene, die ja bereits ausführlich behandelt wurde, die noch fundamentalere Idee dieser Überlegung darstellt. Ich glaube nicht, der Vernunft selbst die größte Verantwortung übertragen zu können, wenn Absurdität in Nagels Sinne entsteht. Ich glaube nicht, dass die unendlichen Weiten und Zeiten des Universums an und für sich aus einer rein objektiven Sichtweise heraus nicht von der Vernunft, wenn auch nicht gänzlich erfasst, dann doch verdaut werden können. Die Vernunft stellt fest und folgert daraus. Die an sich negative Komponente entsteht mit unserem 'Wollen'. Wenn die Vernunft in einer externen Perspektive nüchtern feststellen muss, dass Zweckgebung kein natürlich vorkommendes Phänomen sein kann, dann ist das an und für sich noch keine Schwierigkeit. Diese entsteht erst dann, wenn wir unsere mentalen Absichten nicht in diesem nüchternen Universum widergespiegelt sehen. Meines Erachtens ist es wesentlich klarer, wenn wir die Problematik auf die Ist-Soll-Debatte stellen, als auf den Wechsel der Perspektiveneinnahme, obwohl beide Diskurse bis zu einem gewissen Grad irgendwie miteinander korrespondieren könnten. Es ist sicherlich auch eine Sache des Vokabulars, dessen Präzision – wie wir bereits mehrmals gesehen haben – in unserem Kontext (und eigentlich immer in der Philosophie) wichtig ist, um die Diskussion weiterentwickeln zu können und sie nicht ins Leere verlaufen zu lassen. Oder ist die These über die Perspektivendiskrepanz nicht lediglich die Idee, die Sinnfrage auf unterschiedliche Rahmen beziehen zu können, auf das Universum, auf die Menschheit oder auf sich selbst?576 Und wenn dies der Fall ist, also wenn Nagels Ansicht hierauf reduziert werden kann, dann gilt es zu klären, ob und wie die Menschheit vom 575 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), im Vorwort. 576 Vgl. E. D. Klemke, in: The Meaning of Life. A Reader, New York 2008, S. 2. 96 individuellen Menschen diesbezüglich unterschieden werden soll. Es können nämlich Theorien in Betracht gezogen werden, in denen der Menschheit Sinnhaftigkeit zugewiesen wird, ohne dass das Individuum an sich von Bedeutung wäre oder umgekehrt. 577 Nach K. Baier gibt es umgekehrt außerdem Überlegungen, denen zufolge die Sinnhaftigkeit des einzelnen Menschenleben aus dem der gesamten Menschheit abgeleitet wird und dies als notwendig erachtet wird.578 Zu Nagels Ansicht liefert ebenfalls Iddo Landau einen sehr klärenden Beitrag. Landau möchte nämlich auch die Perspektivenunterscheidung für wesentlich irrelevanter erklären, als sie in der Debatte der Sinnfrage erscheint. Für ihn gilt folgendes: "More generally, the size of the framework in which a certain issue is evaluated is largely independent of the standards of evaluation." 579 Den "standards", also den Bewertungsmaßstäben, haben wir ein ganzes Unterkapitel im Folgenden gewidmet.580 Egal welche Perspektive wir einnehmen, am Ende müssen wir innerhalb einer Perspektive eine Beurteilung vornehmen, die nicht direkt von dieser Perspektive abzuhängen braucht. So können wir innerhalb der internen Perspektive unterschiedliche Kontexte betrachten und sie beurteilen, und in der externen ebenso: "But one can adopt the internal perspective and examine one’s life either in the context of very few events in one’s immediate environment, or in the context of the universe at large. Similarly, one can adopt the external, impersonal and detached perspective while examining one’s own or another person’s life either in a narrow context of that life’s immediate environment or in a larger and even all-inclusive context. Thus, the distinction between sub specie humanitatis and sub specie aeternitatis and the distinction between the internal and external perspectives cut across each other. We have here not two perspectives as regards the meaning of life, but four."581 Die externe Perspektive hindere uns nicht daran, sie notwendig für weder sinnvoll noch sinnlos zu bewerten. Wir können sie als einen komplett objektivierten externen Standpunkt sehr wohl als sinnvoll erachten, es hängt lediglich von einer anderen Bedingung als derjenigen der Perspektive ab. Es hängt nämlich von unserem eigenen Maßstab ab, denn nur nach diesem vergeben wir, Landau zufolge, das Urteil "sinnvoll". 582 Was für die Perspektive gilt, gilt nach Landau ebenfalls für die Rationalität einer Aussage. Wie ich selbst bereits erwähnt habe, 583 könne Sinnlosigkeit aus der Rationalität nicht direkt gefolgert werden. Landau bestätigt somit meine Vermutung: 577 Vgl. K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 46. 578 Vgl. ebd., S. 47. 579 I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 730. 580 Siehe Kapitel 7.5. 581 I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 732. 582 Vgl. ebd. 583 Siehe Kapitel 7.1. 97 "But be the relationship between the different perspectives as it may, need a rational consideration of our lives lead us to evaluate them as meaningless? Again, the reply is negative."584 Landaus Behauptungen finde ich hilfreich. Sie bringen mich zur Überzeugung, dass die Hypothese, unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, nichts Wesentliches zur Klärung der Sinnfrage beiträgt, auch wenn wir sie nicht gleich als komplett irrelevant abstempeln müssen, und ebenso, dass diese Perspektiven aus den genannten Gründen nichts zur Geisteshaltung585 der Absurdität beitragen müssen. An und für sich ist es relativ trivial und außerdem unumstritten, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, diese Perspektiven einnehmen und von einer zur anderen wechseln zu können, oder sogar wechseln zu müssen, da, so wie Kekes es formuliert hatte, folgendes gilt: "It is not possible to ignore the question because it is persistently asked." 586 Doch gibt es hilfreichere Ideen, so wie z. B. Landaus Aussagen über die "standards". Wo ich die Debatte der Perspektive für wichtiger empfinde, ist innerhalb der Frage, ob und wie relevant der Aspekt der Immortalität oder des Andauerns der Existenz des Lebens an sich ist.587 Damit, dass der Aspekt der Perspektive für wenig relevant eingestuft wird, scheint nicht jeder einverstanden zu sein. So argumentiert R. Hepburn, dass Urteile über Werte und Sinnlosigkeit (hier "futility" → vielleicht eher Vergeblichkeit) eben gerade durch ihre Abhängigkeit von der Perspektive so problematisch sind. 588 Hepburn stellt fest, dass die Sichtweise sub specie aeternitatis für einen Naturalisten furchterregend sein kann, zumindest furchterregender als für einen Theisten, jedoch vielleicht auch dann wiederum nicht, wenn der Zeitrahmen ein begrenzter ist. Der Vorteil einer sehr breiten allgemeinen (in Nagels Worten die externe Perspektive im entferntesten Sinne) Sichtweise ist jedoch der, dass diese leicht zu verteidigen scheint, dass sie, wie Hepburn sich ausdrückt, eine autoritative Sichtweise darstellt. 589 Hepburn nähert sich Nagels Aussagen erheblich, wenn er Folgendes aussagt: "the naturalist ought to admit a substantial difference between his position and that of the Christian theist. There must in fact remain, with the naturalist, an uncomfortable tension or conflict between the 'close-up', anthropocentric view or perspective that can sustain his sense of meaningfulness and worthwhileness, and on the other hand his sense of intellectual obligation to the objective, scientific and anti-anthropocentric view-which tends to vilify, if not logically, then psychologically. The Christian is not exposed to this tension in the same way or to the same extent." 590 584 I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 733. 585 Ich nenne es Geisteshaltung und nicht Empfindung, um eine philosophische Konnotation einzubringen. 586 J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 241. 587 Dazu später mehr → Kapitel 7.8. 588 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 135. 589 Vgl. ebd. 590 Ebd., S. 136. 98 Es ist mir nicht klar geworden, ob Hepburns Gebrauch der 'Perspektive' der gleiche ist wie der von Nagel, obwohl Hepburn im vorigen Zitat ebenfalls erwähnt, dass das Problematische an der externen kosmischen Perspektive daraus zu bestehen scheint, dass sie in einem bestimmten Verhältnis zur subjektiven Perspektive steht. Oder meint er doch eher lediglich, dass sie an und für sich rein rational schwierig zu erfassen ist? Es erscheint mir überaus einleuchtend, dass die Einnahme einer externen Perspektive als notwendige Voraussetzung zur behandelten Problematik gelten muss, doch sie allein scheint nicht auszureichen, um diese Problematik in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können. Hierfür bedürfen wir meines Erachtens der Thematisierung des Bewertungsmaßstabes nach Landau.591 Schließlich können wir noch bemerken, dass auch wenn die Annahme dieser kosmischen Perspektive für die Sinnfrage üblicherweise als vorausgesetzt gilt, es nicht auszuschließen ist, dass diese Perspektive die Sinnfrage zu übersteigen gezwungen ist. So basiert sich K. Baier auf Wittgenstein, wenn er in Erwägung zieht, dass bei der Betrachtung der Welt sub specie aeternitatis die eigentliche Frage diejenige ist, warum es überhaupt irgendetwas gibt und nicht nichts. 592 Also warum das Universum überhaupt existiert. Auch wenn diese Frage an den Haaren herbeigezogen scheint, so ist sie doch eine authentisch philosophische und wurde von niemand Geringerem als Wittgenstein und vor allem Schopenhauer gestellt. Baier nimmt diese Frage ernst und macht sich darüber Gedanken, was sie eigentlich bedeutet.593 Ich glaube jedoch, dass dies den eigentlichen Rahmen unserer Arbeit sprengt, da es sich um eine andere Frage als die Sinnfrage handelt, obwohl es sicherlich enge und relevante Verbindungen zwischen beiden gibt. 7.5 Der Bewertungsmaßstab594 Landau zeigt in seinem Artikel 595 auf sehr überzeugende Weise, dass die Beurteilung des Lebenssinns vom Bewertungsmaßstab von Sinnhaftigkeit abhängt und weniger von der Größenordnung des Kontextes (siehe 'Perspektive' bei T. Nagel) 596, innerhalb dessen dieses Leben beurteilt wird. Der Bewertungsmaßstab wird von uns Menschen selbst aufgestellt und kann, je nachdem wer ihn aufstellt, sehr stark variieren. So ist es logisch durchaus möglich, einen anspruchslosen Maßstab von Sinnhaftigkeit für die kosmische Perspektive einzufordern. Dies hat auch dann Gültigkeit, wenn wir das Leben unter Nagels Standpunkt sub specie aeternitatis untersuchen, unpersönlich und objektiv. Auch von 591 Siehe Kapitel 7.5. 592 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 13. 593 Vgl. ebd., S. 14. 594 "Standard" auf English. 595 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011). 596 Siehe Kapitel 7.4. 99 diesem Standpunkt aus muss das Leben nicht unbedingt an Sinnhaftigkeit einbüßen, wenn der Bewertungsmaßstab von uns nicht zu herausfordernd gewählt wird. 597 Außerdem muss die Annahme der Kontingenz unter sub specie aeternitatis ebensowenig zwingend zur Folge haben, das Leben als sinnlos zu betrachten. 598 Landau sieht ein, dass man unter dem Standpunkt sub specie aeternitatis zur Annahme der Sinnlosigkeit verführt wird, obwohl dieser Standpunkt als unpersönlich oder rational charakterisiert wird. Er kann sehr wohl nachvollziehen, warum diese Verbindung hergestellt wird. Jedoch wird übergangen, dass diese Verbindung keine Notwendigkeit darstellen muss, vor allem wenn man sich unter dem Banner der Rationalität wähnt. Dass es sich hierbei nicht um eine notwendige Folgerung handelt, leuchtet vielleicht erst dann ein, wenn man sich erst einmal diesen Sachverhalt richtig vergegenwärtigt hat, nämlich dass der Vorgang der Sinngebung auf einem relativen Bewertungsmaßstab basiert und eben nicht auf der Perspektive, und dass diese nicht voneinander abhängen müssen.599 Ich glaube auch, dass die "standards" ausschlaggebender sind für die Klärung der Sinnfrage als der Ansatz von Nagels Perspektivendiskrepanz. 600 Wie können wir jedoch Landaus Aussage belegen oder bestätigen lassen? Ich glaube, es tun zu können, indem wir noch einmal besser auf die Behauptungen Nagels schauen, nachdem wir die These der Bewertungsmaßstäbe jetzt kennengelernt haben, mit dem Resultat, dass Nagels Behauptungen dann deutlich an Überzeugung einbüßen müssen. Eines von Nagels Argumenten besteht z. B. darin, dass ein sinnvolles Leben unter der Perspektive sub specie aeternitatis das gesamte Universum beeinflussen muss, und dies auch in einer kosmisch langen Zeitspanne von Milliarden von Jahren. Landau kann nicht erkennen, wo genau die Notwendigkeit bei dieser Vermutung zu finden ist. Nagel bleibt ihm diesbezüglich eine Erklärung schuldig. 601 Man könnte sich in der Tat widerspruchslos vorstellen, dass eine kosmische Perspektive einen nichtkosmischen Maßstab der Anforderungen, die der Mensch für die Auswirkungen seines Tuns und Denkens stellt, unterstützt.602 Rein formell könnte man z. B. sogar in Erwägung ziehen, dass der Maßstab für Sinnhaftigkeit überhaupt nichts mit einer Einwirkung auf das kosmische Geschehen zu tun hat, sondern nur mit einem Bezug zu einem gewissen Grad von Glück und Weisheit oder Ähnlichem.603 597 Für den ganzen Abschnitt, vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 727. 598 Vgl. ebd., S. 733+727. 599 Für den gesamten Abschnitt, vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 734. 600 Ich vertrete die gleiche Meinung wie Landau. Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 733: "When reflecting on judgments on the meaning of life, then, we should consider predominantly the standards of meaningfulness that we use. Discussing perspectives is frequently less important and relevant than discussing standards." 601 Vgl. ebd., S. 729. 602 Vgl. ebd. 603 Vgl. ebd. 100 Landau muss jedoch etwas relativieren, da er zugeben muss, beide Bereiche nicht komplett voneinander trennen zu können. 604 So ist es z. B. nicht möglich, einen allesumfassenden Bewertungsmaßstab, wie z. B. den gesamten Kosmos zu beeinflussen, aufzustellen, wenn wir keine entsprechende Perspektive einnehmen können, in der dieser Maßstab reinpasst. Doch umgekehrt gilt dies nicht: Eine kosmische Perspektive braucht ihrerseits keinen Minimalmaßstab vorauszusetzen. 605 Und Letzteres reicht aus, um die Sinnhaftigkeit von der Perspektive abkoppeln zu können. Welcher Maßstab ein angemessener ist, steht für Landau nicht zur Debatte, 606 und auch wir wollen diese Frage hier nicht behandeln, denn dies wäre bereits ein anderes Thema, das meines Erachtens wieder ein zum größten Teil spezifisch ethisches ist. Das für unsere Arbeit relevante Ergebnis ist, dass die meisten Bewertungsmaßstäbe mit den meisten Perspektiven kompatibel sind.607 Im Grunde habe ich mich von Landaus Argumentation ganz überzeugen lassen, mit nur einem Aspekt als Ausnahme. Landau behauptet, dass die Sinnhaftigkeit keinen Bewertungsmaßstab braucht, der die Einwirkung des Menschen auf das gesamte Universum und dies auf eine ebenso kosmische Zeitspanne fordert. Was die Zeitspanne angeht, so glaube ich, dass sie sehr wohl eine gewisse Relevanz für die Sinnhaftigkeit des Lebens darstellt, mehr noch als das: nicht nur eine kosmisch große Zeitdauer, sondern eine unvorhersehbare und unvorauskalkulierbare Zeit, kurz eine unendlich andauernde Zeit muss meines Erachtens vorausgesetzt werden, die wir für unsere Beeinflussung auf die Realität brauchen, um einen echten Lebenssinn aufstellen zu können. Dies gilt nämlich deshalb, weil ich die Idee der intrinsischen Wertigkeit nicht gelten lassen kann und gleichzeitig für jede mögliche Erscheinung in unserem Universum das Prinzip der Interdependenz Gültigkeit besitzt. Bei dieser Voraussetzung sind wir nämlich nicht mehr in der Lage, den unendlichen Regress für unsere Rechtfertigungen aus der noch aufzustellenden These zu entfernen, und aus diesem Grund müssen wir eine Zukunft voraussetzen, bei der kein Ende vorstellbar ist, und in der die von uns gestellte Sinnhaftigkeit ihre Ursache findet, ohne dabei ein teleologisches Weltbild zu bemühen, da wir die Sinnhaftigkeit ja lediglich als geistige Projektion erachten. Gleichzeitig muss diese nicht endende Zukunft eine mögliche Realität besitzen, damit diese Projektion nicht lediglich zu einer imaginären Spinnerei verkümmern soll. Und das tut sie, da wir die Möglichkeit eines zeitlich nicht enden wollenden Universums mit unseren heutigen Erkenntnismitteln nicht ausschließen können, so wie es z. B. die Buddhisten annehmen, für die sowohl ein Auftauchen aus dem Nichts als auch ein Verschwinden ins Nichts für eine in sich widersprüchliche Idee gehalten wird. Hierbei sind wir uns dessen sehr wohl 604 Vgl. I. Landau: The Meaning of Life Sub Specie Aeternitatis (2011), S. 730. 605 Vgl. ebd. 606 Vgl. ebd., S. 731. 607 Vgl. ebd., S. 733. 101 bewusst, dass das Konzept selbst der Unendlichkeit nicht wirklich fassbar ist, doch stellt es zumindest keinen Widerspruch dar, die Alternative hierzu schon. Weiteres diesbezüglich in Kapitel 8. Landaus Unterscheidung zwischen Bewertungsmaßstab und Perspektive bietet eine weitere Bestätigung über das Verständnis des eigentlichen gedanklichen Konfliktes im Pessimismus. Die Pessimisten stellen unerreichbar hohe und gottgleiche Standards für ihr Leben auf, ohne dafür eine echte Rechtfertigung vorgeben zu können. So setzen sie z. B. für die Sinnhaftigkeit des Lebens als wesentliche Aspekte die Abwesenheit von Leid, die permanente oder quasi-permanente Anwesenheit von Glück und die Unsterblichkeit voraus. Dies als Maßstab aufzustellen kann jedoch als komplett willkürlich erachtet werden und, wie gesagt, ohne jedwede echte Rechtfertigung, die einer kritischeren Sichtweise standhalten könnte. Die Maßstäbe der Pessimisten sind extrem, wenn nicht sogar übertrieben anspruchsvoll. 608 Es kommt dem gleich, was man gegenüber den Theisten als imaginäre Phantasie gelten lassen könnte. So unterscheiden sich die Pessimisten von den Nichtpessimisten nicht dadurch, dass sie die Sinnhaftigkeit durch mehr oder weniger überzeugend klingende Rechtfertigungen zerschlagen können, sondern nur darin, dass die relativen Maßstäbe für beide Gruppen andere sind. Dabei ist es außerdem problematisch, dass auch die Pessimisten in derselben Welt leben wie alle übrigen Menschen, und dadurch, dass sie andere Standards haben, mit dieser Welt schlechter zurechtkommen und diese so, wie sie ist, nicht akzeptieren können. Dieser Umstand verwandelt ihr eigenes Leben in eines, das sich als nicht lohnenswert erweist.609 Aus dem gleichen Grund kann den Pessimisten auch auf keine konsistente Weise geantwortet werden, da wir ja erkennen müssen, dass die Standards relativ sind. Sie werden von den Menschen aus den unterschiedlichsten theoretischen, psychologischen oder kulturellen Ursachen gesetzt, und deshalb kann man sie nicht wirklich argumentativ beseitigen. Das Bewertungsmaß für die Sinnfrage basiert auf einer persönlichen Präferenz. So muss z. B. der Begriff 'besser' im Sinne von Schopenhauer hedonistisch konstruiert werden, damit seine Aussagen einen Sinn haben. Jedoch kann es überhaupt nicht ausgeschlossen und genauso gut gerechtfertigt werden, sich für nichthedonistische Maßstäbe zu entscheiden, wenn vom Sinn des Lebens die Rede ist. So behauptete z. B. Spinoza, dass sogar ein miserables Leben der Inexistenz des Lebens vorzuziehen sei. Dieser Behauptung kann logisch nichts entgegengesetzt werden.610 608 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 473. 609 Vgl. ebd., S. 474. 610 Vgl. ebd., S. 475. 102 K. Baier hatte bereits 1957 begriffen, dass es im Christentum um nicht zu rechtfertigende hohe Bewertungsmaßstäbe geht, wenn diese Religion seine Sinnhaftigkeit bezüglich des Lebens zu bestimmen sucht. 611 Wenn man sich das Konzept des Paradieses genau und nüchtern ansieht, dann bleibt nichts anderes übrig, als dies festzustellen. Nichts Geringeres als der Zustand einer bestimmten Perfektion, nämlich das Paradies, ist ihr Bewertungsmaßstab.612 Auch wenn wir uns eingestehen müssen, dass nach Beachtung von historischen, geographischen und kulturellen Begebenheiten das heutige Leben in der westlichen Welt im Allgemeinen für viele kein sehr unangenehmes Leben ist, und dies nicht zu allen Zeiten für viele Menschen der Fall war und immer noch nicht ist, so scheint doch unumstritten, dass beim Bewertungsmaßstab der Theisten das irdische Leben als Misere und die Lüste als sündhaft gelten müssen, 613 denn kein Leben kann dem Anspruch ihrer Standards gerecht werden. Es muss also in ein imaginäres Paradies übertragen werden. Auch für Baier ist diese Vorgehensweise illegitim, genauso wie es nach ihm illegitim wäre, nichts groß zu nennen, wenn es nicht unendlich groß ist. 614 Besonders gilt dies jedoch in Bezug auf die Sinnfrage: "Even if it were true that there is available to us an after-life which is flawless and perfect, it would still not be legitimate to judge earthly lives by this standard. We do not fail every candidate who is not an Einstein. And if we do not believe in an after life, we must of course use ordinary earthly standards." 615 Bei dieser Betrachtungsweise bleibt auch den Menschen nichts anderes übrig, wenn sie das theistische Weltbild aufgeben möchten, in den Pessimismus abzugleiten. Denn selbst wenn das Jenseits abgeschaffen wäre, die Standards wirken noch lange in den Köpfen der Menschen weiter.616 Vielleicht hatte Nietzsche diesbezüglich ja gegen Schopenhauer recht, als er die Meinung vertrat, dass Trübsal blasen auch ein Überbleibsel der alten moralischen Wertvorstellungen ist. Schlussendlich bleibt noch zu sagen, dass, anders als Landau, Baier zu bestimmen versucht hat, wie absolute Standards entstehen, und zum Ergebnis gekommen ist, dass es sich um gedankliche Durchschnitte handelt, die von einer spezifischen Art sind, 617 deren Spezifität wir hier jedoch nicht weiter ergründen wollen. 611 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 27. 612 Vgl. ebd. 613 Vgl. ebd. 614 Vgl. ebd. 615 Ebd. 616 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 48 oben. 617 Näheres hierzu in: K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 26. 103 7.6 Wert, intrinsischer Wert und das Lohnenswerte Wenn wir den Bewertungsmaßstab nicht an die Perspektive knüpfen, dann wohl an das, was für uns einen Wert darstellt. Was soll die 'BeWERTung' wohl anderes sein als etwas oder jemandem einen Wert zuordnen? Beide (Bewertungsmaßstab und Perspektive) sind auch relative Begriffe. Das, was für den einen wertvoll ist, muss es nicht für den anderen sein. Der Wert, besonders im moralischen Sinne, so wie er hier verstanden werden muss, hängt von unterschiedlichen Parametern ab, insbesondere von kulturellen Gegebenheiten und der Konditionierung innerhalb eines sozialen Umfeldes. So scheinen wir auch R. Audi zufolge intuitiv zu wissen, welche Dinge relevant sind für unseren Sinn des Lebens, Dinge, die immer wieder zur Sprache kommen, und damit auch einen Wert darstellen, so wie z. B. Kreativität, herausragende Leistungen, substantielle Beiträge zur Verminderung des Leids anderer Menschen oder die Förderung ihres Glücks oder ihres Wohlergehens, wertvolle menschliche Beziehungen usw. 618 K. Baier nennt noch andere Beispiele wie Entdeckungen, Erfindungen, Bewunderung und Respekt. 619 Sie alle können konzeptuell miteinander verknüpft werden, da sie eben etwas scheinbar Wertvolles für uns Menschen darstellen. Erwähnenswert ist auch die Freiheit als Wert, für den sich z. B. Bertrand Russell ausspricht, und die in der Verehrung seiner eigenen Ideale besteht.620 Diese Dinge sind also wichtig für uns Menschen, auch in Bezug auf das, was wir mit Sinnhaftigkeit belegen. Werte motivieren uns zu leben, auch dann, wenn das Leben eine einzige Misere zu sein scheint, so wie z. B. der Verdienst, den andere Menschen uns zusprechen, wenn man Hilfe leistet, indem man selbst große Entsagungen erduldet. Dies wird sehr oft als ein wertvolles Leben verstanden. 621 Eine weitere Stellungnahme (die von Susan Wolf) besteht daraus, Sinnhaftigkeit mit dem aktiven Engagement für als wertvoll erachtete Projekte gleichzusetzen.622 Andere Autoren unterstreichen den möglichen eudämonistischen Bezug, wenn die Rechtfertigungen der Sinnhaftigkeit auf fundamentale Werteurteile gestellt werden. 623 Vollständige Übereinkunft erhalten diese Zuordnungen in der Literatur jedoch nicht: Wenn wir z. B. alle der Meinung sind, dass Stalin kein wertvolles Leben gelebt hat, kann man ihm dann gleichzeitig auch die Sinnhaftigkeit seines Lebens absprechen, wenn man in Betracht zieht, welche Wirkung, ob gut oder schlecht, er auf die Weltgeschichte hatte? 624 Auch wenn am Ende nicht wirklich immer klar ist wie die Zuordnung von Wert zu Sinnhaftigkeit durchgeführt 618 Vgl. R. Audi: Intrinsic Value and Meaningful Life (2005), S. 333-334. 619 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 27. 620 Vgl. B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 58-60. 621 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 49 Abschn. 1. 622 Vgl. S. Wolf: Meaning in Life (2008), S. 232. 623 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 472. 624 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 49 Abschn. 2. 104 wird, dass sie besteht, ist nicht wirklich umstritten. R. Hepburn bestätigt, so wie die Sinnhaftigkeit des menschlichen Lebens nicht entdeckt sondern gesetzt wird, so werden auch Dinge wie Wert und Ehre von uns aufgestellt, und nicht in der Natur vorgefunden.625 Insofern ähneln sich die Ideen "Sinn haben" und "Wert haben" sehr. Und wenn man sie als proportional zueinander ansieht, müsste man dementsprechend Stalin die Sinnhaftigkeit seines Lebens absprechen. Aus demselben Grund können wir z. B. auch unsere Weltanschauung (z. B. religiösen Glauben) grundlegend verändern, ohne deshalb weder den "Sinn" noch den "Wert" unseres Lebens zu verlieren, 626 da Werte und die dazugehörige Sinngebung 'hartnäckiger' zu sein scheinen als unsere (theoretischen) Weltanschauungen, obwohl beide Dinge sicherlich nicht ganz unabhängig voneinander sind. Die Beschreibung und Erklärung aufwendiger als reell existierend eingestufter kosmischer Muster oder Tendenzen kann nicht darüber hinwegtäuschen, der Notwendigkeit autonomer Beurteilung zu entkommen, die bestimmen, was als wertvoll und lohnenswert zu betrachten gilt. 627 Außerdem können wir eine direkte konzeptuelle Verbindung zur Zweckmäßigkeit herstellen. Das Gesagte suggeriert, dass das Leben zweckvoll sein muss, und diese Zwecke sind nichts anderes als für uns als wertvoll erachtete Ziele. 628 Dies ist nicht verwunderlich, da wir ja bereits mehrmals die enge semantische und konzeptuelle Verbindung zwischen 'Zweck' und 'Sinn' (im Sinne von 'Sinn des Lebens') festgestellt haben. Und wenn die Sinnhaftigkeit des Lebens die Verfolgung von wertvollen und lohnenswerten Zielen ist, dann beruht die Tätigkeit, die sowohl als wertvoll als auch als sinnvoll erachtet wird, auf einem Werteurteil. 629 Nicht umsonst findet man den Ausdruck 'der Sinn des Lebens' in den Katalogen der angelsächsischen Bibliotheken unter der Kategorie "value theory" wieder, was kein Beweis meiner Überlegungen an sich darstellt, aber doch eine Art der konsensuellen Bestätigung. Wie kommen wir eigentlich zu unseren Werteurteilen? Wertemaßstäbe können sicherlich anhand unterschiedlicher Kriterien zu bestimmen versucht werden, doch gibt es Baier zufolge keine absoluten Maßstäbe für Werte. 630 Sie können lediglich komparativ bestimmt werden, also im Vergleich der Werte untereinander. Wenn doch von absoluten Werten die Rede ist, so sind sie Baier zufolge wieder einmal in der Regel das Ergebnis des Durchschnitts einer bestimmten Art von Wert. 631 Es gibt natürlich auch Befürworter der Objektivität von Werten, die diese Relativität ausschließen möchten, eine Stellungnahme, die meines Erachtens nicht sehr überzeugend ist. 632 Sie ist deshalb 625 Vgl. R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 152. 626 Vgl. ebd. 627 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 126. 628 Vgl. ebd. 629 Vgl. ebd. 630 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 26. 631 Vgl. ebd. Siehe auch Kapitel 7.5 Querverweis. 632 Vgl. J. Runzo: Life, meaning and value of [addendum] (2006), S. 358. Er bezieht sich auf David Wiggins (2002). Vgl. auch S. Wolf: Meaning in Life (2008), S. 233. Sie spricht auch von einem objektivem Wert. 105 nicht überzeugend, weil die Objektivität von Werten irgendwie voraussetzt, dass diese Werte in der Natur vorfindbar sind, in Unabhängigkeit dessen, was unser Geist produziert, so wie man Steine in der Natur vorfinden kann. Ein Beleg dafür, wie eng das Begriffsfeld des Wertes mit unserer Thematik zu tun hat, macht auch der Umstand deutlich, wie leicht unsere sehr irdischen Werte in den supranaturalistischen und insbesondere theistischen Theorien als deren wesentliche Bestandteile wiederzufinden sind, auch wenn diese elementareren Werte an sich nichts von ihrer Wichtigkeit verlieren, wenn sie, wie wir bereits erwähnt haben, von diesen Theorien herausgeschält werden. Es ist wiederum Baier, der uns darauf aufmerksam macht, dass die versteckte Sinnhaftigkeit des Lebens (→ "hidden meaning") 633, die von den theistischen Theorien zur Sichtbarkeit gebracht werden soll, das irdische Leben trotz der schweren Schicksalsschläge und der sehr häufigen leidvollen Erfahrungen wieder lebenswert erscheinen lässt, weil wir eben gerade die Erfüllung unserer diesseitigen irdischen Werte auf einen späteren Zeitpunkt im Jenseits verschieben. 634 An den Werten an sich ändert sich nicht besonders viel. Es sind herbeigewünschte Zustände, Regeln und Verhaltensprinzipien, deren Erfüllung vertagt wird. Es ist der Inhalt des seligen Lebens im Jenseits, bestehend aus den irdischen Werten, der unser irdisches Leben wertvoll erscheinen lässt, an dem wir unser irdisches Leben beurteilen, ohne irgendetwas auf eine versteckte Dimension zurückführen zu müssen. 635 So behauptet Baier weiter, dass die Religionen das Leben nach dem Tod modelliert haben … "after what their adherents regard as ideal earthly lives" 636, und weiter: "And it is precisely in this way, by virtue of the ample presence of good things and the total absence of bad ones, that this blessed life is superior to our earthly lives." 637 Dies impliziert jedoch auch, und es begründet, warum wir es nicht zu verhindern schaffen, einige Leben in der Tat als nicht lohnenswert zu betrachten. 638 Gleichzeitig können wir unter dieser Sichtweise keine überzeugende Begründung mehr finden, warum wir einen Menschen verurteilen müssen, der sein Leben beenden möchte oder bereits beendet hat. Etwas das nicht nur von unserem intuitiven Gefühl bestätigt wird, sondern Baier zufolge sogar von unserer Vernunft: "when we evaluate a human life, as such lives go, we must admit both that some lives are better than others, and that some are good, while others are so bad that they are not only not worth living but quite unbearable. In these latter cases, it may be not only in accordance with reason to hope for one's life to end or to end it, but contrary to reason to allow it to continue. In the worst of these cases, death really is 633 Siehe S. 82. 634 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 48 Abschn. 4. 635 Vgl. ebd. 636 Ebd., S. 48 Abschn. 5. 637 Ebd. 638 Vgl. ebd., S. 48 Abschn. 7. 106 a release from-the life in question was the better (or the less bad) for having (been) ended rather than continued."639 Ebenfalls: "The plight is indeed very real and calls for generous help from all the fortunate ones among us. We must not fob them off with stories of pie in the sky. But neither can we honestly fob them off with stories of human ability and willingness to remedy all their hardships. We all must come to accept the fact that no social order, however just and compassionate, can ward off evils and that the best we can do is to prevent some, alleviate others, and provide for all as much equal access to the good things as possible."640 Und schließlich noch: "However, those who think, on due reflection, that death will be a blessed release from the wheel should bear in mind that they need not fear that it would be cowardly or for other reasons wrong to bow out." 641 Dies sollte jedoch auf keinen Fall als eine von außen herangebrachte Anstiftung zum Selbstmord missverstanden werden. Beides sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Die Aussagen von Baier sind wieder einmal sehr überzeugend. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass jemand sein eigenes Leben als nicht lohnenswert erachten und gleichzeitig das selbe Leben von außen betrachtet ganz anders wahrnehmen kann. Ein Mensch, der z. B. an einer Depression leidet, kann nicht mehr erkennen, was so lohnenswert an seinem Leben sein soll, auch wenn er gegenüber anderen Menschen sehr wichtige Dinge, und von anderen als sehr positiv erachtete Dinge erledigt. Die psychologische Dimension dieser Thematik kann sehr wohl von hoher Relevanz sein, auch wenn sie hier nicht weiter behandelt wird. Die Encyclopedia of Philosophy geht kurz darauf ein und verdeutlicht auch den Bezug zur potentiellen als wichtig empfundenen Erfüllung der eigenen Zielsetzung. 642 In diesem spezifischeren Kontext der Wertigkeit der Dinge trifft man in der gesamten angelsächsisch-analytischen Fachliteratur immer wieder auf drei Begriffe, mit denen 639 K. Baier: Problems of Life & Death (1997), S. 69. Siehe hierzu auch: "Is it ever morally wrong not to find one's life worth living?" (K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 50 Abschn. 5). Baier wüsste nicht, wann dies der Fall sein könnte. Doch dies solle nicht bedeuten, dass es als moralisch erlaubt gesehen werden müsse, da wir Verpflichtungen wie Kinder usw. haben. 640 K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 52 Abschn. 7. 641 Ebd. 642 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 473: "We seem to be making two assertions : first, that the person has some goals (other than merely to be dead or to have his pains eased) which do not seem to him to be trivial and, second, that there is some genuine possibility that he will attain these goals. These observations are confirmed by various systematic studies of people who contemplated suicide, of others who unsuccessfully attempted suicide, and of situations in which people did commit suicide. When the subjects of these studies declared that their lives were no longer worth living they generally meant either that there was nothing left in their lives about which they seriously cared or that there was no real likelihood of attaining any of the goals that mattered to them. It should be noted that in this sense an individual may well be mistaken in his assertion that his life is or is not worthwhile any longer : he may, for example, mistake a temporary indisposition for a more permanent loss of interest, or, more likely, he may falsely estimate his chances of achieving the ends he wishes to attain." 107 die Autoren sich befassen: Wert ("value"), intrinsischer Wert ("intrinsic value") und das Lohnenswerte ("worthwhileness" → "worthwhile"). Gibt es überhaupt einen semantischen oder konzeptuellen Unterschied zwischen dem 'Wert' und dem 'Lohnenswerten'? Es ist mir nicht entgangen, dass in der bearbeiteten Literatur beide Begriffe sehr oft synonym benutzt wurden. Und doch können wir eine Differenzierung wagen, die der Klärung des Begriffsfeldes dienlich scheint. Man könnte das 'Lohnenswerte' mit der Konnotation des eher subjektiv Erlebten in einem eher hedonistischen Sinne belegen, und wenn auch nicht auf absolute Weise, dann doch mit dieser deutlich hervorgehobeneren Konnotation, als es bei 'Wert' und 'wertvoll' der Fall ist. Bei dieser Ausdifferenzierung könnten einige Behauptungen der Autoren meinem konzeptuellen Modell untergeordnet werden. 643 So spricht Baier z. B. davon, dass die Sinnhaftigkeit des Lebens für viele, wenn nicht für alle Menschen, nicht unbedingt das Gleiche ist wie "es lohne sich dafür zu leben" ("not worth living"). 644 Nach der unternommenen Ausdifferenzierung steht diese Aussage dem von mir vorhin Gesagten nicht unbedingt widersprüchlich gegenüber, denn hiermit könnte man das rein subjektiv Erlebte dem 'Lohnenswerten' zuordnen, und das 'Wertvolle' – sagen wir mal – dem weniger subjektiven, wenn auch nicht gänzlich objektiv im engeren Sinne. 'Weniger subjektiv' könnten wir auf das, was die Menschen im Allgemeinen, im Sinne von Menschheit, denken und empfinden, basieren, ohne dabei jedoch in der Lage zu sein, es vom Menschen unabhängig in der Natur vorfinden zu können. Letzteres könnte dann als 'objektiv' gelten. Baier erklärt weiter, warum er diese Idee vorschlägt: "What is it to find a life worth living? I assume, without argument, that we can say a person really is finding his life worth living if, and only if, supposing it were up to him to live his life over again, exactly as it was, he would be prepared, or even glad or eager, to do so."645 Es geht also darum, das Leben nur dann als lohnenswert zu bestimmen, wenn man es noch einmal leben würde. 646 An dieser Stelle können wir uns die Frage erlauben, ob die von mir vorgenommene Unterscheidung Gültigkeit behält. Ich stelle mir vor, ein lohnenswertes Leben geführt zu haben, und in der Tat wäre ich bereit, es noch einmal zu leben. Könnte ich mir dann auch vorstellen, eine 'wertvolles' Leben gelebt zu haben, und es nicht noch einmal erleben zu müssen? Ich glaube schon, z. B. dann, wenn mein Leben ein leidvolles war, obwohl ich nach eigener Meinung und nach Meinung anderer Menschen viel 'Gutes' für diese Welt getan habe. Trotz dieses Altruismus, der sicherlich als wertvoll gilt, und unabhängig von der Frage, für wen oder was meine Taten 643 Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob diese Vorgehensweise überhaupt legitim ist. Zu meiner Rechtfertigung könnte ich im schlimmsten Fall, das Vokabular für meine Zwecke so umändern, dass es deutliche Vorzüge für die Entwicklung der Debatte geben würde. 644 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 49 Abschn. 3. 645 Ebd., S. 49 Abschn. 6. 646 Baier bezieht sich auch auf Platons Mythos von Er (K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 49 Abschn. 9). Siehe auch Platon: Der Staat, (Platon. Sämtliche Dialoge, Bd. 5), übers. u. erl. v. Otto Apelt, Leipzig: Felix Meiner 1998 (ND) (61923), S. 418-428. 108 im Genauen wichtig war, und ob wir das überhaupt als beschränkte Lebewesen bestimmen können, kann das erlebte Leid so hoch gewesen sein, dass ich es nicht noch einmal durchleben will, mehr noch, nicht noch einmal durchleben kann. Es könnte mir also sogar unmöglich erscheinen, dies noch einmal zu schaffen. An meiner Begriffsdifferenzierung angewendet macht mein Beispiel durchaus Sinn. Auch können wir jetzt eine weitere Konnotation vornehmen (wobei wir an der hedonistischen Dimension für das 'Lohnenswerte' festhalten), nämlich eine moralische Dimension an das 'Wertvolle' knüpfen. Baier erwähnt diese Dimension, vergisst jedoch, sie klar einem Begriff zuzuordnen und schafft dadurch Verwirrung.647 In dieser Optik werden auch Baiers Aussagen über Hitler (dient als Beispiel) viel deutlicher: Dieser könnte sein eigenes Leben sehr wohl als ein noch einmal zu erlebendes erachten, doch scheint es gar unmöglich, es von außerhalb als 'wertvoll' zu erachten, weil die moralischen Errungenschaften nicht nur fehlen, sondern lediglich in ihrer Negation erfüllt wurden, als das Gegenteil von dem, was wir als Menschen im Allgemeinen wollen. 648 Mit meiner Begriffsdifferenzierung würde sich auch folgender Satz von Baier lösen und ihn der Konfusion entheben: "We find a life worth living on the basis of the extent to which it holds the things we want to get out of it. But when we judge someone's life – and therefore our own – to be really worth living, we judge it by more objective criteria." 649 Oder wenn er sagt, dass wir das Leben mit einem schweren Handicap als "lohnenswert" erachten ("worth living"), und es doch nicht mehr von neuem leben möchten. 650 Wenn wir hier "lohnenswert" mit 'wertvoll' in meinem Sinne ersetzen, werden seine Behauptungen erheblich nachvollziehbarer und weniger verwirrend. Ferner macht folgende Aussage von ihm mit meiner Differenzierung mehr Sinn: "For we can infer that the good things outweigh the bad from the fact that we find our life worth living"651. Bei dieser Aussage geht es nämlich mehr um die eigene Empfindung in einem hedonistischen Sinne. Ein letzter Beleg für das Klärungspotential der vorgenommenen Unterscheidung sieht man auch bei folgendem Satz, in dem Baier auf die Bewertungskriterien der Pessimisten und insbesondere auf die von Schopenhauer eingeht: "Our lives could be worth living but only if pleasure, happiness, the things of value outweighed and compensated us for the pain and suffering we have to endure." 652 647 Siehe hierzu unter "the moral requirements" in: K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 50 Abschn. 3. Er sagt jedoch zwei Abschnitte früher, dass wir uns oft irren, weil wir nicht zwischen "being prepared to live it over again" und "not wishing it to end or not wanting to end it" unterscheiden. Ich glaube, dass diese Unterscheidung weniger effizient zum Zwecke der Klärung ist als die in dieser Arbeit vorgestellte. 648 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 50 Abschn. 2. Siehe auch: "Hitler was not mistaken in finding his life worth living. He was, rather, wrong to be prepared, glad, or eager to live such an evil life again" (K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 50 Abschn. 3). 649 K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 50 Abschn. 3. 650 Vgl. ebd., S. 49 Abschn. 8. 651 Ebd., S. 49 Abschn. 6. 652 Ebd., S. 51 Abschn. 7. 109 Auch hier sehen wir, wie eine Verminderung der konzeptuellen Verwirrung vorgenommen werden könnte, wenn man "value" ausschließlich mit einer moralischen Dimension belegen und es in diesem Satz mit "worthwhile" ersetzen würde. Man könnte ferner in Erwägung ziehen, dass die hedonistische Dimension zu berechnen versucht wird, so wie es die Utilitaristen mit Bentham 653 vorgeschlagen hatten, auch wenn Baier darin eine erhebliche Schwierigkeit sieht.654 Schlussendlich muss ich Baier ebenfalls darin widersprechen, dass er es als widersprüchlich erachtet, wenn sich Schopenhauer um sein Leben kümmerte, als ob es sich um das wertvollste aller Dinge handelte. 655 Ich sehe keinen Widerspruch in der Auffassung, dass das Leben Leid ist, und doch sein Leben einfach nur weniger leidvoll gestalten möchte. Ein anderer Punkt von Baier sollte ebenfalls noch geklärt werden. Er schreibt: "A good and worthwhile life is one that is well above average. A bad one is one well below."656 Für mich stellt diese Aussage eine etwas fragwürdige Definition für das Lohnenswerte dar. Es schließt nämlich aus, dass zumindest theoretisch ein Großteil der Menschheit ein potentiell lohnenswertes Leben führt, was bereits fragwürdig ist, aber dies bleibt wie gesagt ein relativer Umstand. Unterhalb der 50% Marke würde man durch das Kriterium fallen und gezwungen sein, sein Leben als nicht lohnenswert anzusehen. Das macht nicht wirklich Sinn, und ich sehe auch keinen direkten Zusammenhang zu den anderen Aspekten, die Baier auf sehr überzeugende Weise thematisiert hat. Doch nicht nur bei Baier, auch bei anderen Autoren kann diese Differenzierung hilfreich sein. So behauptet K. Nielsen, das menschliche Leid sei "wertvoll". 657 Ich für meinen Teil glaube, dass dieser Satz, obwohl er hier natürlich gänzlich aus seinem Kontext gerissen wurde, sehr abstrakt und konfus formuliert ist, auch wenn man den gesamten Artikel gelesen hat und verstanden zu haben glaubt. Doch glaube ich verstehen zu können, was Nielsen damit meint, wenn ich besagte Begriffsdifferenzierung hier vornehme. Denn in der Tat kann das menschliche Leid von erheblichem Vorteil für andere Menschen sein, also wenn "wertvoll" in seiner moralischen Dimension verstanden wird. So können wir behaupten, dass Mutter Theresa bestimmt kein leichtes Leben gehabt haben muss, sie hat geschuftet bis an ihr Lebensende, und es wird von niemandem in Frage gestellt, ihrem Leben das Etikett "wertvoll" zu verleihen. Damit haben wir uns natürlich überhaupt nicht damit beschäftigt, inwiefern das moralisch Wertvolle eine tiefe Befriedigung in uns zur Folge haben kann, und damit auch eine hedonistische Komponente in sich trägt. Und auch wenn beide Dimensionen im wirklichen Leben ineinander verschränkt sind, 653 Vgl. Bentham, Jeremy: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Oxford: Clarendon Press 1879 (11789), Kapitel 4, S. 29-32. 654 Vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 52 Abschn. 2. 655 Vgl. ebd. 656 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 27. 657 Vgl. K. Nielsen: Linguistic Philosophy and "The Meaning of Life" (2008), S. 211: "human suffering has value". 110 so wie es alles in der Komplexität des echten Lebens tut, so macht es doch Sinn, sie konzeptuell auseinanderzuhalten. Außerdem führt uns eine Diskussion über die Verschränkung dieser beiden Ebenen in die Psychologie, was zum einen, wenn auch äußerst interessant und nicht irrelevant, kein Gegenstand dieser Arbeit ist und zum anderen meine Kompetenz bei weitem überschreiten würde. Es ist wieder einmal R. Hepburn, der für eine äußerst präzise Betrachtung der Argumentationen sorgt, auch in Bezug auf Baiers Äußerungen. Hepburn nahm meine Begriffsdifferenzierung vorweg. "Baier's account of 'meaning' includes reference to the pursuit of worthwhile projects, both in the sense of 'projects that afford satisfaction to the pursuer', and in the sense of 'morally worthwhile projects'---concerning, for instance, the wellbeing of others. Questions of the meaning of life, I suggest, are typically questions of how these two sorts of pursuit can be fused."658 Somit hat Hepburn die hedonistische von der moralischen Dimension getrennt und gleichzeitig beteuert, dass beide Dimensionen relevant sind für den Inhalt der Sinnhaftigkeit des Lebens. Eine meines Erachtens äußerst klärende Stellungnahme, nicht zuletzt auch aus dem Grund, dass ich sie als Bestätigung für meine Überlegungen nutzen kann. Wir haben weiter oben gesehen, dass sich Schopenhauer gut um sein eigenes Leben kümmern wollte, obwohl er dem Leben an sich nichts Positives abgewinnen konnte. 659 Dabei stellt sich die Frage, ob und wie etwas als wertvoll betrachtet werden kann, wenn man es von den anderen Dingen abgetrennt sieht. Wie konnte z. B. Schopenhauer Kunst und Musik als etwas an sich Wertvolles betrachten, wenn er doch (nicht nur auf theoretischer Ebene) genau wusste, dass auch die ephemeren Lüste nichts gegen die Sinnlosigkeit des Lebens ausrichten können. So sahen beispielsweise in der Antike Aristipp oder Epikur und später die Utilitaristen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, eben gerade in der Lust das, was an und für sich aufgesucht werden soll, das, was für sich selbst einen Wert darstellt, ohne diesen Wert selbst durch Anderweitiges rechtfertigen zu müssen, wobei jedoch alle anderen Dinge ihre letzte Rechtfertigung in diesem Wert finden. Es handelt sich dabei um einen Wert an sich, zum Zwecke seiner selbst. Es handelt sich dabei um einen intrinsischen Wert. Thaddeus Metz definiert den intrinsischen und extrinsischen Wert auf einfache und doch effiziente Weise: "Something is an intrinsic value insofar as it is good for its own sake. In contreast, something is an extrinsic value in that is is good as a means to something else that is valuable."660 658 R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 128. 659 Siehe S. 110. 660 T. Metz: Recent Works on the Meaning of Life (2002), S. 807. 111 So hat offensichtlich auch der Prediger Salomo stets Jammer über die Sinnlosigkeit seines Lebens und des Lebens insgesamt geäußert, doch gleichzeitig sehnte er sich nach den einfachen Freuden des Lebens, die, wenn es so ausgedrückt wird, als einen Wert an sich gesehen werden kann, als einen intrinsischen Wert, was damit als Widerspruch zur Sinnlosigkeit des Lebens gesehen werden könnte. Sinnlosigkeit findet üblicherweise seinen Ursprung darin, dass nichts eine letzte überzeugende Rechtfertigung zu finden scheint.661 Einige Theoretiker plädieren für eine Reihe von Werten, für die es sich zu leben lohnt, und die damit offenbar eine ausreichende Grundlage zur Sinngebung des Lebens darstellen. Doch von welcher Art sind eigentlich genau die Werte, die in unserem Kontext mit der Sinnhaftigkeit des Lebens in Zusammenhang gebracht werden. Hierfür möchte ich heuristisch ein Unterscheidungsmodell aufstellen: 1) Ein oder mehrere Werte werden als intrinsisch vorausgesetzt. Sie bedürfen keiner weiteren Rechtfertigung und können als Grundlage zu einer Zweck- und Sinngebung dienen, so dass der Sinn eines Lebens darin besteht, diese Werte zu finden, zu erhalten, zu erstellen oder zu bewahren, je mehr (in Quantität und Qualität) desto besser. Ein Favorit vieler Philosophen für einen intrinsischen Wert ist natürlich Glück, ohne darauf einzugehen, was das genau bedeutet. In der Antike galt meistens die Ataraxie als der ultimative Wert schlechthin, etwas das vom Begriff des Glücks nicht weit entfernt zu sein scheint. 2) Die Existenz intrinsischer Werte wird ausgeschlossen. Wenn es somit keine letzten Werte gibt, die es anzustreben gilt, dann verlangt man zur Aufstellung der Sinnhaftigkeit des Lebens eine Kette von Rechtfertigungen, wobei ich nicht sehe, wie diese Kette dem infiniten Regress entkommen könnte, da alles, was als anstrebbar gilt, nur ein Zwischenglied, ein Intermedium anderer Dinge und Phänomene darstellt, die noch dahinterstecken. Der infinite Regress wird im nächsten Kapitel besprochen. 662 3) Bei meiner dritten Stellungnahme wird die vorherige (→ Stellungnahme Nummer 2) eigentlich, wenn auch oft stillschweigend oder unbewusst, als die richtige angenommen und gefürchtet. Damit relativiert man sie aus psychologischen, pragmatischen oder anderen Gründen, um theoretische Konstruktionen zu erlauben, die dem menschlichen Geist 'genügen'. Das beste Beispiel hierfür ist das Konzept Gottes. Ich glaube legitimerweise, dass man die Hypothese Gottes als eine recht willkürliche, wenn auch für viele Menschen eine überzeugende Art ansehen kann, in jeder Hinsicht das (augenscheinliche) Problem des unendlichen Regresses zu lösen und ferner ein zugängliches Erklärungsmuster für alle möglichen Dinge zu bieten. Doch nicht jede Weltanschauung sieht den infiniten Regress als ein Problem an. So glauben beispielsweise wieder einmal die Buddhisten, dass weder die Zeit noch der Raum noch das (wenn auch theoretische) Aufteilen der Materie ein Ende hat, dass alles als unendlich 661 Für den gesamten Teil ab Fußnote 665, vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 51 Abschn. 3. 662 Siehe Kapitel 7.7. 112 (und außerdem interdependent) betrachtet werden muss, da die Alternative zu dieser Sichtweise zu sich selbst widersprüchlich wäre. Doch muss nicht notwendigerweise Gott als Petitio principii zur Überwindung des infiniten Regresses dienen, man könnte alle möglichen Ideen, zumeist von supranaturalistischer Natur, in Erwägung ziehen. Eine gewisse Schwierigkeit sehe ich ebenfalls darin, ob und inwiefern der intrinsische Wert von einer Petitio principii in diesem Sinne unterschieden werden kann. Ich möchte dieses Muster an folgender Theorie überprüfen und es gegebenenfalls erweitern. Schauen wir uns z. B. Robert Nozicks Theorie in Edwards' Zusammenfassung der Encyclopedia of Philosophy an. Wir hatten bereits Nozicks Gedankenexperiment in dieser Arbeit vorgestellt.663 Er stellt sich eine hermetisch abgeschlossene 'Erfahrungsmaschine' vor, die dem menschlichen Geist glückliche Erfahrungen induziert, die reell wirken.664 Zum Gedankenexperiment gehört jedoch, dass sich der in Frage kommende Mensch seiner Situation bewusst ist, dass er genau weiß, dass es eine authentischere Welt außerhalb seines Erfahrungsbereichs gibt. Nozick würde sich trotz perfekt erfahrenen Glücks für die reale Welt außerhalb der Maschine entscheiden, auch im Wissen, nachher kein so intensives Glück mehr verspüren zu können, wenn überhaupt. Ihm zufolge kann dieses Gedankenexperiment die Bedeutungsunterscheidung zwischen intrinsischem Wert und Sinnhaftigkeit verdeutlichen. Die Encyclopedia of Philosophy schreibt: "The measure of a thing's intrinsic value is the degree of its diversity and the degree of the organic unity of that diversity. Meaning comes from a thing's connection to other things with intrinsic value – the greater their value and the stronger the connection, the greater the meaning. Thus, value is proportional to both internal integration and the strength of external connections to things of great value." 665 Dieser Textauszug birgt meines Erachtens eine wesentliche Schwierigkeit, die auch bereits in Nozicks Vokabular besteht, nämlich diejenige, dass ein Wert dadurch intrinsisch genannt wird, weil er mit anderen Dingen in einem organischen Verbund zusammenhängt und durch diesen Zusammenhang bestimmt werden kann. Ich glaube, dass diese Aussage sehr verwirrend ist und nicht viel zur Klärung der Sinnhaftigkeit des Lebens beiträgt. Wenn man allerdings das Adjektiv 'intrinsisch' aus dieser Aussage entfernen würde, sähe es anders aus. Denn ein determinierender Zusammenhang, ob als Rechtfertigungskette oder anders, zwischen einem intrinsischen Wert und anderen Werten, kann nur in eine Richtung als widerspruchslos gesehen werden, und nicht in derjenigen, die hier von Nozick vorgestellt wird. Ich glaube nicht, dass man von einem intrinsischen Wert auf andere schließen kann, wohl jedoch von anderen auf ihn, sozusagen als Endpunkt einer Wertehierarchie, so wie sie bereits von Aristoteles vorgenommen wurde. 666 663 Siehe S. 85. 664 Vgl. J. Runzo: Life, meaning and value of [addendum] (2006), S. 358. Er bezieht sich auf Robert Nozick (1989). 665 Ebd. 666 Siehe S. 33. 113 Ich glaube, dass ich die Effizienz des von mir vorgenommenen Unterscheidungsmodells damit unter Beweis stellen kann, denn hierdurch könnte der Verwirrung dieses Textauszugs von der Encyclopedia of Philosophy – Second Edition entgegengetreten werden. Eine weitere interessante Stellungnahme kommt von J. Feinberg und basiert auf Überlegungen von Moritz Schlick, nämlich die Infragestellung der Kompatibilität zwischen Zweckgebung und intrinsischer Wertigkeit. 667 Ich kann diese Stellungnahme nachvollziehen, doch sehe ich zur gleichen Zeit kein logisches Hindernis, den intrinsischen Wert selbst als Zweck zu stellen. Wenn uns allerdings die Zweckgebung in einer kosmischen und supranaturalistischen Dimension von außen aufgezwungen wird, so dürften demnach die dazugehörenden Werte nicht als intrinsisch gelten, da sie eine Folge der Zweckgebung und keine Ursache dieser darstellen, was konträr zur Bedeutung 'intrinsisch' steht. Auch bei Feinbergs Stellungnahme ließe sich meines Erachtens ein weiteres Problem lösen, wenn klar wäre, dass Zweck und intrinsischer Wert nur in einer Richtung voneinander abhängen können, nicht aber in der entgegengesetzten Richtung. Mit dieser Unterscheidung der beiden nicht austauschbaren Richtungen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Zweckgebung und intrinsischem Wert möchte ich mein Modell ergänzen und dieses Kapitel hiermit abschließen. 7.7 Der unendliche Regress Ich habe das Thema des unendlichen Regresses bereits in Kapitel 7.6, sozusagen aus übergangstechnischen Gründen, angedeutet. 668 Ich möchte ebenfalls noch erwähnen, dass ich die Immanenz eines Wertes für ein grundsätzliches Problem halte. Es widersteht meiner Vernunft, etwas als gänzlich unabhängig, unbeeinflussbar von außen, in welcher Folgerungsrichtung auch immer, zu sehen. Eine Färbung der Willkür haftet meines Erachtens an den intrinsischen Werten. Gleichzeitig glaube ich jedoch auch nicht, dass eine komplette Abwesenheit von Willkür durch absolute Objektivität von uns erlangt werden kann, also ohne dass unser Geist in seine eigenen Erkenntnisse hineininterpretiert und hineinprojiziert. Hieraus ziehe ich meine Überzeugung, dass alles einer äußeren Rechtfertigung bedarf, ohne dass es eine letzte Rechtfertigung geben kann. Wir können uns sehr wohl Werte setzen, etwas das meines Erachtens deshalb berechtigt ist, weil wir keine Alternative haben, weil der Begriff des Wertes an sich bereits keinen Sinn macht, 667 Vgl. J. Feinberg: Absurd Self-Fulfillment (2008), S. 163. Er zitiert: "the impossibility of intrinsically valuable activity is itself an illusion produced by what Moritz Schlick in a remarkable essay called "tyranny of purpose." (On the Meaning of Life, in: Philosophical Papers (1979), 2: 112-128) 668 Siehe S. 113. 114 wenn wir ihn nicht als das Produkt unseres eigenen Geistes betrachten. Wir sollten uns immer bewusst bleiben, dass diese Werte gesetzt sind und es keine Naturerscheinungen an sich sind. Trotzdem sollten sie in ein Netz von Rechtfertigungen eingebunden werden, um der Willkür ihrer Bedeutung so gut es geht entgegenzutreten, in ein Netz von Argumenten, die untereinander konsistent und kohärent sind, und die hierdurch diesem konzeptuellen Netz seine Gültigkeit verschaffen. Natürlich können wir auch auf diese Weise den unendlichen Regress der Rechtfertigungen nicht wirklich bezwingen, doch können wir die Argumentations- und Rechtfertigungsketten so lange wie nur möglich ausbauen, um dieses konzeptuelle Netz vernunftbasiert zu konstruieren. Wir sollten uns jedoch ein für allemal davon verabschieden, dass der unendliche Regress notwendigerweise als Feind unserer Vernunft und der Validität unserer Argumentation angesehen werden muss, denn man kann ihn auch lediglich als etwas betrachten, das uns daran erinnert, dass die Argumentationsketten ausgebaut und verfestigt werden sollten, ohne dabei je einen Abschluss voraussetzen zu müssen. Wir sollten die Bescheidenheit aufbringen, niemals den erstmöglichen Ursprung oder die letztmögliche Folge von was auch immer ergründen zu können (weil es ihn einfach nicht gibt, weil es keinen ersten und keinen letzten Punkt für keine Gegebenheit der Realität gibt, und weil dies die einzige Denkweise ist, die widerspruchsfrei gedacht werden kann, auch wenn sie konzeptuell unmöglich zu fassen ist), ohne jedoch dies als Grund zu sehen, zu resignieren und alles was Wissenserwerb angeht niederzulegen. Eines können wir immer tun: Hypothesen, Prinzipien, Grundsätze aufstellen und sie in ein breites Wissensnetz einbinden, in dem die Dinge untereinander auf logische widerspruchsfreie Weise verknüpft werden. Im Übrigen ist dies auch der jetzige Stand der Forschungseinstellung der angelsächsisch-analytischen Philosophie, etwas, das ich an dieser Strömung äußerst verlockend finde. So kann ich auch nicht Thomas Nagel zustimmen, wenn er Folgendes behauptet: "First, life does not consist of a sequence of activities each of which has as its purpose some later member of the sequence. Chains of justification come repeatedly to an end within life, and whether the process as a whole can be justified has no bearing on the finality of these end-points." 669 Ihm zufolge kommen also alle Rechtfertigungsketten innerhalb des Lebens zu einem Ende, und alle Zwischenglieder dieser Ketten haben ihre eigene Finalität. Ich kann dem nicht zustimmen, weil das bedeuten würde, dass ein Leben ein für sich abgeschlossenes System darstellt, was einfach nur absurd ist, oder einfach nur kurzsichtig. Bereits in der konkreten Lebensplanung überwinden die Menschen die Kurzsichtigkeit, nur ihr eigenes Leben in Erwägung zu ziehen, sie versuchen auch für ihre Kinder und Kindeskinder mitzuplanen, und wenn es edle Geschöpfe sind, 669 T. Nagel: The Absurd (2008), S. 144. 115 dann kümmern sie sich auch darum, dass die Welt und die Gesellschaft eine Zukunft hat. Ist nicht dies etwas, was dem näher kommt, was wir in den Begriff des Sinns des Lebens legen? Etwas später im seinem Text zeigt Nagel dann klar und deutlich, warum er diese Sichtweise verteidigt. Denn, so Nagel, wenn wir das nicht so sehen wie er, dann führt die Rechtfertigungskette unweigerlich zum unendlichen Regress. Und hier erscheint sie dann wieder einmal in unglaublich leuchtender Helligkeit: die Angst vor dem unendlichen Regress.670 Hierbei frage ich mich, ob es sich nicht im Allgemeinen um eine Angst vor der Unfassbarkeit des Konzepts der Unendlichkeit handelt. Wenn ich auch die Gefahr eingehe, mich zu wiederholen, so möchte ich es noch einmal verdeutlichen. Wenn man die Autorität der Vernunft beachten möchte, muss folgendes gelten: Das Konzept der Unendlichkeit, und damit auch der Ausdruck des unendlichen Regresses, ist natürlich von uns nicht konzeptuell zu fassen. Alles, was an diesem Konzept zu fassen ist, ist, dass wir uns etwas dabei vorstellen, das einfach nie ein Ende findet, wir belegen dieses Konzept mit der Bedeutung, dass was auch immer gemeint wird, nicht aufhört. Dies ist eine Sache. Es ist für viele schwierig, sich hierauf etwas zu reimen. Aber eine ganz andere Sache wäre es, das Gegenteil hiervon zu akzeptieren, nämlich zu akzeptieren, dass es Dinge geben muss, die ihrerseits keine Ursache oder keine vorausgehenden Erscheinungen haben, oder dass es Dinge geben muss, die keine weiteren Folgen zulassen. Dies ist einfach nicht widerspruchsfrei zu denken und muss deshalb ausgeschlossen werden. Auch wenn der unendliche Regress nicht leicht oder überhaupt nicht wirklich zu verstehen ist, so birgt er doch zumindest keinen Widerspruch in sich selbst, und dies muss den Sieg der Überzeugung über das andere davontragen, wenn wir die Vernunft weiterhin walten lassen wollen. Bei diesem Aspekt kann ich wieder auf die stringenten Überlegungen von K. Baier zählen. Ob kausale oder teleologische Erklärungsmodelle, ihm zufolge führt jedes Modell zu einem unendlichen Regress.671 "All that has been shown is that all explanations suffer from the same effect: all involve a vicious infinite regress."672 Wie soll es auch anders sein. Daraufhin fragt sich Baier, ob das Konzept Gottes diesen unendlichen Regress zu beenden vermag. 673 Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, gleitet er in eine Debatte darüber ab, ob das Universum einen ersten Anfang haben kann, und ob es als möglich betrachtet werden kann, dass es 'ex nihil' erschaffen wurde. Hierzu sagt er auf sehr überzeugende Weise, dass die Theorie der Ex-nihil-Erschaffung nur eins ist, nämlich ein ... 670 Für den gesamten Anfang des Abschnitts, vgl. T. Nagel: The Absurd (2008), S. 144. 671 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 6-7. 672 Ebd., S. 8. 673 Vgl. ebd., S. 7. 116 "simple logical howler: that because every thing has an origin, the universe must have an origin, too, except, that, being the universe, it must have originated out of nothing. This is a howler, because it conceives of the universe as a big thing, whereas in fact it is the totality of things, that is, not a thing." 674 Auch wenn diese Überlegung über den Anfang oder den Nichtanfang des Universums auf den ersten Blick irrelevant erscheint, so ist sie es dennoch nicht. Denn ob es sich nun um Rechtfertigungsketten von moralischen Ideen oder Kausalketten von physikalischen Erscheinungen handelt, die Überlegung, die dahinter steckt und die geklärt werden soll, ist die Gleiche. Es geht immer um den infiniten Regress. So fährt Baier fort und behauptet, dass im Gegenteil alles darauf hinweist, dass das Universum keinen Anfang hat. Diese Annahme hat das Potential, die Perplexität des Themas aufzuheben, da es unumstritten scheint, dass Dinge sich aus anderen Dingen heraus entwickeln, und so bis in alle Ewigkeit. 675 Baier erwähnt außerdem, dass ein wissenschaftliches Erklärungsmodell jedoch auf eine andere Weise nicht dem infiniten Regress unterliegen muss.676 Denn auch wenn das wissenschaftliche Erklärungsmodell nicht die Universalität dessen beanspruchen kann, was mit der realen Kausalkette der Erscheinungen in unabsehbarer Zukunft passieren wird, so kann 677 das Erklärungsmodell an sich in sich geschlossen gesehen werden. Hierbei ist zu erwähnen, dass ein weniger universelles Erklärungsmodell nicht deshalb inkomplett und unabgeschlossen ist, weil es weniger universell ist. 678 Persönlich gehe ich davon aus, dass diese Geschlossenheit lediglich durch das wissenschaftliche Basisinstrument der Hypothesenbildung erreicht wird, die an und für sich eine 'künstliche' wenn auch notwendig aufgestellte (heuristische) Begrenzung des Wissenserwerbes darstellt. Hierbei muss außerdem zwischen der realen Natur des zu untersuchenden Gegenstandes einerseits und der geistigen Natur der Erklärung selbst unterschieden werden. Doch wollen wir hier nicht in die Wissenschaftstheorie abgleiten, da es nicht zu unserem Thema gehört. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob diese Aussage dem Stand der modernen Wissenschaftstheorie entspricht. Anders als ein rein wissenschaftliches Erklärungsmodell muss sich die Philosophie mit dem unendlichen Regress beschäftigen und ihn in die Überlegungen einbeziehen, denn das gehört zum Anspruch der Philosophie, auch wenn bei beiden Formen des Wissenserwerbs gleichsam das Prinzip der Rationalität gelten muss. Im Gegensatz zu Tolstoi, der im Unendlichen keine Zielsetzung für welche Art von Entwicklung auch immer zu setzen vermochte,679 werden wir im Folgenden den Standpunkt einnehmen, 674 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 16. 675 Vgl. ebd. 676 Vgl. ebd., S. 17. 677 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 18. 678 Vgl. ebd. 679 Vgl. L. Tolstoj: Meine Beichte (2010), S. 44. 117 dass der unendliche Regress keine Gefahr für die Sinnhaftigkeit des Lebens, sondern ganz im Gegenteil seine Rettung darstellt. 7.8 Tod und Immortalität Wir haben mehrmals in dieser Arbeit gesehen, aber vor allem im Beitrag Flews zu Tolstois Beichte,680 dass die unausweichliche Gegebenheit des Sterbens und der Wunsch der Immortalität einen wichtigen Aspekt in der Debatte der Sinnfrage darzustellen scheint. Denn für Tolstoi galt Folgendes: "The contention is that our lives can have meaning only on the assumptions of the existence of God and of human immortality." 681 21 Jahre vor dem Schreiben dieses Zitates hatte Flew bereits zu erkennen geglaubt, warum diese Idee ungültig ist: "It is at least no less rational to hold that it is precisely our mortality which makes what we do, or fail to do, so overwhelmingly important. And there is not the slightest warrant for suggesting that this alternative and opposite reaction is possible only for those who are lacking in imagination." 682 Flew war also der Meinung, dass keine rationale Ursache dagegen spricht, warum der Tod nicht im Gegenteil unser Leben eher als sinnvoll denn als sinnlos konstituiert, und somit vermochte er die Luft aus den Segeln des Tolstoischen Argumentes zu nehmen. E. Klemke stimmt Flew darin zu: Die Abwesenheit des Lebenssinns durch das Beenden des Lebens habe so viel und so wenig Gültigkeit wie das gegensätzliche Argument. 683 Doch meines Erachtens gibt es eine weitere Frage, die diesbezüglich gestellt werden muss und die im Folgenden behandelt wird. Wenn wir uns einmal in einem Gedankenexperiment vorstellen, dass sich zum gleichen Zeitpunkt unseres individuellen Todes ebenfalls die gesamte Erde oder sogar das gesamte Universum in Nichts auflösen, aus welchen Gründen auch immer, Gründe die jedoch nur dadurch ausgelöst werden, weil wir sterben, ist dann A. Flews Standpunkt immer noch gültig? Wäre dann unser Tod immer noch irrelevant für die Wertigkeit und Sinnhaftigkeit des Lebens? Die grundlegenden Fragen in diesem spezifischeren Kontext sind folgende: Kann der Tod dem Leben seine Sinnhaftigkeit entnehmen? Ist der Wunsch der Immortalität, ob rein metaphorisch oder nicht, ein legitimer Anspruch in unserem Kontext? Worauf bezieht sich Immortalität, auf das Individuum selbst oder auf andere Dinge? 680 Siehe z. B. S. 25. 681 A. Flew: God, Freedom, and Immortality (1984), S. 155. 682 A. Flew: Tolstoi and the meaning of life (1963), S. 113. 683 Vgl E. D. Klemke, in: The Meaning of Life. A Reader, New York 2008, S. 4. 118 Die erste Frage verbirgt eine andere. Hat die zeitliche Begrenztheit der Wirkungen unserer Handlungen die Vergeblichkeit des Lebens zur Folge? Salomo beklagt sich im Wesentlichen darüber, dass die schönen Dinge dieses Lebens, wenn wir ein Leben nach dem Tode ausschlössen, mit unserem Tod ein Ende haben würden. 684 Es ist ein Argument, das immer wieder von den Theisten vorgebracht wird. Doch nicht nur, dass es ohne Weiterleben keinen Lebenssinn mehr zu geben scheint, wir kennen außerdem das vielzitierte theistische Argument, dass unsere Moralität dann auch nicht mehr verankert werden kann, weil einer höheren unbestechlichen und alles erkennenden Gewalt die Verantwortung der Vergeltung für ungesühnte böse Taten zugewiesen werden muss. Beide Ideen, die moralische und die der Sinnhaftigkeit, besitzen die gleiche argumentative Grundlage, die gleiche Logik. Die meisten Theoretiker der angelsächsischanalytische Philosophie verneinen diese Denkweise. Bei Flew, Russell und Baier haben wir es bereits in dieser Arbeit gesehen. 685 Die Argumentation dieser Philosophen stellt jedoch das individuelle Leben in den Vordergrund, auch wenn die Verbindung zur gesamten Menschheit oder zu noch größeren Kontexten erwähnt wird. 686 Die beste Formulierung zur Rechtfertigung dieses Standpunktes gibt K. Baier: "It is [...] quite clear that death is simply irrelevant. If life can be worthwhile at all, then it can be so even though it be short. And if it is not worthwhile at all, then an eternity of it is simply a nightmare. It may be sad that we have to leave this beautiful world, but it is so only if and because it is beautiful. And it is no less beautiful for coming to an end. I reather suspect that an eternity of it might make us less appreciative, and in the end it would be tedious." 687 Auch R. Hepburn gibt diese Rechtfertigung in seinem Artikel wieder, obwohl er manchmal durch andere Aussagen nicht vollkommen davon überzeugt zu sein scheint. 688 Dieser Rechtfertigung zufolge gebe es keine logische Folgerung zur Wertlosigkeit oder Vergeblichkeit einer Sache aus der Idee der zeitlichen Begrenztheit dieser Sache. Unvergänglichkeit zu besitzen wäre weder eine notwendige noch eine ausreichende Bedingung von Wertigkeit, genauso wie eine Unendlichkeit von Vergeblichkeit keine logische Unmöglichkeit darstellt.689 684 Salomo wird von den Angelsachsen "Ecclesiastes" genannt. Siehe hierzu auch: "The complaint he has about life is not really that it holds nothing worthwhile but rather that these wonderful things cannot be enjoyed forever, for he is quite uncertain about an afterlife" (K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 51 Abschn. 4). Vgl. auch K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 24, wo er behauptet, dass es sich bei der Frage, wie das Leben einen Sinn besitzen könne, wenn es eh zu Ende geht, um das eigentliche Problem für die meisten Menschen handelt. 685 Z. B. bei Baier (vgl. K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 51 Abschn. 1). 686 Als repräsentatives Beispiel kann Baier zählen. Dass das Leben … "must end does not show that it is not worth having while it lasts." (K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 52 Abschn. 7) 687 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 27. 688 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 132: "On the other side, a naturalistic account oversimplifies and dogmatises if it claims that 'death is irrelevant' (Baier) to questions of value, worthwhileness-and hence to meaningfulness." 689 Vgl. ebd., S. 127. 119 Es leuchtet mir ein, dass der Tod nur deshalb ein Problem darstellt, weil das Leben als solches (unter normalen Umständen) als etwas Lohnenswertes empfunden wird, und hieraus könnten wir in der Tat schlussfolgern, dass eben aus genau diesem Grund das Leben seinen hohen Wert behält, ob mit Tod oder ohne. Doch kann dies kritisiert werden, denn was hiermit ausgesagt wird, ist, dass das Leben in seiner Gesamtheit als intrinsischer Wert gesehen wird, genauso wie man es mit einer kleineren Zeitdauer purer Lust machen kann. Dementsprechend greift für mich an dieser Stelle die Argumentation bezüglich der Problematik des intrinsischen Wertes und des unendlichen Regresses. Sogar dann, wenn mein gesamtes Leben nur von Glück geprägt wird, so kann ich von einer theoretischeren Ebene, wie die Philosophie sie darstellt, nicht verhindern, dass die besagte Argumentation gegen diesen Standpunkt wirkt. Ich verweise auf die vorherigen Unterkapitel und möchte diese Argumentation nicht wiederholen. 690 Aus diesem Grund kann ich auch die Logik folgender Aussage nicht nachvollziehen: "All is futile only if all our actions aim at eternally perpetuating our lives. But surely this is not so and would be wholly irrational if it were so, given that we know very well that we cannot attain this goal."691 Warum wird etwas als irrational eingestuft, wenn es nicht erreicht werden kann? Ich glaube, dass sich hinter dieser Aussage ein moralistischer Fehlschluss versteckt, oder zumindest ein Kategorienfehler. Aber vielleicht meint er 'irrational' im Sinne von 'sinnlos' oder 'vergeblich'. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass das individuelle Leben nicht durch den Tod in seiner Sinnhaftigkeit getrübt werden kann, aber aus einem ganz anderen Grund, einem Grund, der von Russell mit dem Ausdruck "the stream of life", also "Strom des Lebens" beschrieben wird.692 Russell sieht die Sinnhaftigkeit des individuellen Lebens darin, dass dieses Leben keine separate Entität in dieser Welt darstellt, so wie eine Billiardkugel, die nie angestoßen wird und die somit keine Kollision mit anderen Kugeln zur Folge haben kann. Menschen, die einen gewissen Grad an geistiger Reife besitzen, fühlen den Drang mehr zu tun als nur das körperlich unmittelbare Überleben. Wie möchten uns darum kümmern, was aus unseren Kindern wird, was aus unserer Gesellschaft wird, was aus unserer Natur und was aus unserer Welt wird. Dieses MakroZooming hat vom Prinzipiellen her kein Ende. Bereits heute überlegen die Menschen sich, was sie mit dem Planeten Mars anfangen können. Warum soll das auf theoretischer Ebene nicht legitim sein? Das individuelle Leben bekommt eben genau dadurch einen Sinn, dass es einen Teil eines größeren Systems ausmacht, und dieses System muss auch nicht notwendigerweise mit einer supranaturalistischen Konnotation belegt werden, es kann sich lediglich um das irdische Leben, diese Welt und diesen Kosmos 690 Siehe Kapitel 7.6 + 7.7. 691 K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 51 Abschn. 1. 692 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 175. 120 handeln.693 Bei dieser Sichtweise können wir die bereits erwähnte Idee anwenden, dass das Erforschen von sowohl Wert, als auch Zweck- und Sinnhaftigkeit nur dann wirklich sinnvoll erscheint, wenn es in ein konzeptuelles Netz eingebunden werden kann, das vom Anspruch her endlos weiter konstruiert werden kann. Aus genau dem Grund, dass nur ein 'Rechtfertigungsnetz mit offenem Ende' als wirklich überzeugende Grundannahme für Wertigkeit und Sinnhaftigkeit gelten kann, lässt sich das gleiche gedankliche Ergebnis auf eine ganz andere Ebene übertragen, nämlich dem Ende des Universums. Was bei Russell als widersprüchlich angesehen werden kann, ist, dass er durch diesen "Strom des Lebens" das individuelle Leben (wenn auch im Diesseits, in unserer als real empfundenen Welt, und ohne Voraussetzung eines Jenseits) auf eine größere Ebene übertragen lässt, und doch eine willkürliche Trennlinie zieht, die er, auch wenn er sie nicht konkret bestimmt, durch die Notwendigkeit des Endes des Universums auf welche Art und Weise auch immer mitdenkt. 694 Dadurch, dass Russell davon ausgeht, dass das Leben irgendwann einmal aussterben wird, so wie es die Physik durch die Vorausberechnungen der Entwicklung unseres Sonnensystems vermuten lässt, dürfe das irdische Streben nicht auf Langzeitkonsequenzen kosmischen Maßstabes basiert werden.695 T. Metz hat sich nebensächlich mit der Frage befasst, ob es als legitim betrachtet werden kann, von der individuellen Beendigung des Lebens zum Ende der gesamten Menschheit zu abstrahieren, also wenn wir z. B. Werte verfolgen wollen, die wir in eine unabsehbare Zeit in die Zukunft projizieren wollen. Er kommt zum Ergebnis, dass die Menschen den Anspruch ihrer eigenen individuellen Immortalität nicht zugunsten einer Beeinflussung auf lange Sicht (z. B. auf gesellschaftlicher Ebene) aufgeben können, weil es gilt, die projizierten Werte honorieren zu können, und dies sei nur dann sinnvoll, wenn man sie selbst mit seiner eigenen Person honoriert. 696 Ist dies vielleicht eine weitere Möglichkeit, erklären zu können, warum viele Menschen dem theistischen Weltbild anhaften? Für mich klingt diese Idee nicht sehr überzeugend. Die Pessimisten folgern aus dem Ende, in welcher Form auch immer, sei es der individuelle, der gesellschaftliche oder der kosmische Tod, die Sinnlosigkeit des Lebens. Die Theisten folgern aus diesem Ende die Notwendigkeit der Existenz einer Welt ohne solches Ende, um durch einen moralistischen Fehlschluss die Sinnhaftigkeit wieder herzustellen. Russell und die meisten angelsächsischanalytischen Theoretiker folgern aus diesem Ende die mögliche Aufrechterhaltung der Sinnhaftigkeit des Lebens durch die Verlagerung des Schwerpunkts der Sinnhaftigkeit 693 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 175. 694 Siehe S. 37. 695 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 467. Vgl. auch B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 56. 696 Für den gesamten Abschnitt, vgl. T. Metz: The Immortality Requirement for Life's Meaning (2003), S. 172. 121 auf intrinsische Werte. Persönlich glaube ich, aus bereits besagten Gründen, dass dieses Ende sehr wohl von Relevanz für die Sinnhaftigkeit ist, jedoch im negativen Sinne. Sie haben meines Erachtens alle in einem Punkt unrecht. Ich glaube auch, dass es legitim ist, die Sinnlosigkeit aus diesem Ende ziehen zu können. Und wenn wir uns sicher wären, dass es ein solches Ende gäbe, und uns gleichzeitig die Bescheidenheit und Stärke bewahren könnten, uns nicht von supranaturalistischen Ansätzen verlocken zu lassen, dann gelänge es mir kaum, einem theoretischen Pessimismus zu entkommen (auch wenn ich deshalb nicht zwingend der Traurigkeit verfallen müsste, aber wir reden ja vom Sinn des Lebens in einem theoretischen Kontext). Doch die Frage ist folgende: Gibt es dieses Ende überhaupt? Alle Theoretiker machen gewichtige Voraussetzungen in ihren Überlegungen, die nicht unbedingt legitim sind. Es mutet vielleicht übertrieben an, davon zu reden, dass der Kosmos keine Ende hat, und dies in einen Zusammenhang mit dem Sinn des Lebens zu stellen, doch ich glaube nicht, dass diese Frage in einem philosophischen Kontext irrelevant ist. Wir haben im Kapitel über den unendlichen Regress gesehen, dass die Annahme eines nicht enden wollenden Universums viel plausibler ist.697 Außerdem wissen wir z. B. aus der mathematischen Chaostheorie, dass unglaublich kleine Faktoren umwälzende Wirkungen auf größeren Ebenen haben können. Ich kann unmöglich voraussehen, welche Wirkung meine heutige kleine gute Tat für Auswirkungen in 3 Milliarden Jahren hat. Vielleicht sind diese Auswirkungen gänzlich vernachlässigbar, vielleicht sind sie auf einer bedeutenden Skala umwälzend. Wir können nichts ausschließen, und weil wir nichts ausschließen können, sollten wir nach der Möglichkeit eines positiven Szenarios handeln und denken. Außerdem ist es ausgeschlossen, dass es etwas gibt, ob menschliche Handlungen oder andere Dinge, die überhaupt keine Auswirkungen haben, so gering wir sie auch zu bestimmen vermögen. Es stellt einen gedanklichen Widerspruch dar. Und damit behaupte ich in einem gänzlich unspiritualistischen Sinne: Nichts endet wirklich, und alles beeinflusst alles, es formt sich nur um (hoffentlich zugunsten des Sinngebers). Das mag an Heraklit erinnern, aber wir brauchen diesen berühmten Philosophen nicht wirklich für unseren Kontext zu bemühen, obwohl ich in einem gewissen Sinne ganz mit ihm einverstanden bin. Aber genau so können wir auch das Konzept des Karmas von seiner spiritualistischen Konnotation lösen und ihn auf eine ähnliche Weise verstehen oder die Konzepte der Subtilität, der Interdependenz und der Unendlichkeit im Buddhismus. Wir können diese Konzepte von ihrem supranaturalistischen Kontext lösen und deren naturalistische Grundidee für uns moderne Menschen nutzbar machen, genauso wie wir es in dieser Arbeit mit einigen Aspekten der theistischen Theorien gemacht haben, und sie nicht alle dadurch für irrelevant ansehen. J. Kekes hat zu dieser Überlegung eine interessante Äußerung gemacht: "through placing my happiness in something durable and distant, in which some ..kkkkk 697 Siehe Kapitel 7.7. 122 progress might always be making, while it could never be exhausted by complete attainment."698 Wenn wir in diesem Zitat "my happiness" mit "the meaningfulness of my life" ersetzen würden, dann wäre es genau die Idee, die ich zu beschreiben versuche. Auch Hepburn unterstützt dies zumindest teilweise, wenn er Folgendes behauptet: "On the other side, a naturalistic account oversimplifies and dogmatises if it claims that 'death is irrelevant' (Baier) to questions of value, worthwhileness-and hence to meaningfulness."699 Doch ergänzt er diese Behauptung damit, dass wir Gefahr laufen, die Komplexität der Problematik auf einen Teilaspekt zu reduzieren und der gesamten Tragweite der Debatte nicht gerecht zu werden, wenn wir uns zu sehr auf das Konzept der Mortalität fokussieren.700 Aus all diesen Gründen möchte ich dem, was Paul Edwards in seinem Artikel der Enzyklopädie "irrelevance of the distant future" genannt hat, widersprechen. 701 Mit dieser 'Irrelevanz der fernen Zukunft' (dieselbe Idee, die wir bereits weiter oben bei Baier gesehen haben)702 wird ausgedrückt, dass die scheinbar willkürliche Bevorzugung der Zukunft gegenüber der Gegenwart keine Gültigkeit besitzt. 703 Demzufolge beträgt die Frage nach dem Ende des Universums keine Relevanz für die Sinnfrage und die Wertigkeit der Dinge im Allgemeinen. 704 Den Befürwortern der Irrelevanz der fernen Zukunft zufolge unterlag z. B. Tolstoi unter anderem genau diesem Irrtum. 705 Paul Edwards erklärt mit folgenden Worten, warum die Irrelevanz der fernen Zukunft nicht zur Sinnlosigkeit des Lebens führen muss: "Striving is not pointless if it achieves what it is intended to achieve even if it is without final consequence, and it matters a great deal how we live if we have certain standards and goals, although we cannot avoid "the dust of death"." 706 Diese Argumentation scheint nicht unvernünftig zu sein. Da ihre Grundidee der intrinsischen Wertigkeit entspricht, steht sie jedoch im Widerspruch mit der Vorstellung, dass Eingebundenheit in ein Rechtfertigungsnetz mit offenem Ende herrschen muss. Dementsprechend überzeugt mich diese Argumentation nicht, obwohl ich nicht zu widerlegen in der Lage bin, dass es keine objektiv wahre Behauptung geben kann, die einen Zeitpunkt als wichtiger erklärt als einen anderen, so wie die Zukunft gegenüber der Gegenwart.707 Ich glaube jedoch, dass die 'Eingebundenheit in 698 J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 241. 699 R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 132. 700 Vgl. ebd. 701 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 470. 702 Siehe S. 119. 703 Vgl. P. Edwards: Life, meaning and value of (1967), S. 470. 704 Vgl. ebd., S. 471. 705 Vgl. ebd., S. 470. 706 Ebd., S. 471. 707 Vgl. ebd. 123 ein Rechtfertigungsnetz mit offenem Ende' mit der 'Irrelevanz der fernen Zukunft' unverträglich ist. Eine Bestätigung meiner Sichtweise wird von T. Metz auf der Basis von Nozicks Überlegungen erbracht. Metz verdeutlicht, dass im Allgemeinen die Frage nach dem Sinn von irgendetwas eine Angelegenheit sei, nach der Beziehung dieser Sache zu anderen Sachen zu fragen.708 Wenn wir, wie wir bereits erarbeitet haben, nach dem Sinn eines Wortes fragen, so ergründen wir seine Beziehung zu anderen Wörtern oder zu Gegenständen in dieser Welt.709 Metz zufolge scheint dies für Nozick dasselbe zu sein, wenn es sich um die Sinnfrage handelt. Er zitiert Nozick: "A significant life is, in some sense, permanent; it makes a permanent difference to the world – it leaves traces. To be wiped out completely, traces and all, goes a long way toward destroying the meaning of one’s life. . . . Attempts to find meaning in life seek to transcend the limits of an individual life. The narrower the limits of a life, the less meaningful it is. . . . Mortality is a temporal limit and traces are a way of going or seeping beyond that limit. To be puzzled about why death seems to undercut meaning is to fail to see the temporal limit itself as a limit." 710 Metz nennt diesen Standpunkt "transcendance rationale". 711 7.9 Teleologie Die Teleologie besteht im Wesentlichen in der Auffassung, dass sowohl die Entwicklung als auch die Daseinsberechtigung (die existentielle Ursache) der belebten Wesen 712 einer Finalität, einem Zweck oder einer Planung im kosmischen Sinne unterliegen, doch muss diese Zweckgebung in der Natur 'extern' vorhanden sein (so wie es vorausgesetzt wird, wenn wir von einem kosmischen Sinn reden). Die teleologische Auffassung wird üblicherweise theistisch ausgeschlachtet, so dass bezüglich der Sinnfrage gilt, dass unsere Handlungen der Realisierung eines göttlichen Plans entsprechen sollen. Edwards formuliert dies folgendermaßen: "If a superhuman being has a plan in which I am included, this fact will make (or help to make) my life meaningful in the terrestrial sense only if I know the plan and approve of it and of my place in it, so that working toward the realization of the plan gives direction to my actions."713 708 Vgl. T. Metz: The Immortality Requirement for Life's Meaning (2003), S. 173. 709 Vgl. ebd., S. 173. 710 Ebd., S. 173. Er bezieht sich auf: Nozick: Philosophical Explanations, S. 595. 711 Vgl. T. Metz: The Immortality Requirement for Life's Meaning (2003), S. 174. 712 Bei den unbelebten Wesen kann man die Komplexität ihrer Beschaffenheit auf eine 'Verklumpung' der Materie reduzieren. 713 P. Edwards: Life, meaning and value of (1967). Hier jedoch entnommen aus: Klemke / Cahn (Hgg.): The Meaning of Life. A Reader, New York 2008, S. 126. 124 R. Hepburn bestätigt, dass das theistische Weltbild kaum ohne teleologischen Ansatz auskomme, wobei der Mensch die göttliche Planung zu ergründen habe. 714 Aber umgekehrt ist diese Art der Voraussetzung nicht zwingend notwendig. Vom Verständnis des Begriffes her können wir unter Umständen eine naturalistische Teleologie vertreten, auch wenn dies meines Erachtens schwierig zu unterstützen ist. Man könnte dies als "intelligiblen kosmischen Prozess mit Telos" betiteln. 715 Wir haben auch letztere Auffassung in dieser Arbeit verworfen, da ich den Standpunkt einer Natur vertrete, die dies an sich (ganz im Schopenhauerschen Sinne, mit der Zustimmung von Russell716) nicht aufzustellen vermag (warum auch?). 717 Dies erscheint mir richtig, obwohl ich eine gewisse Sympathie für die aristotelische Teleologie hege. Gemäß seiner Vorstellung strebt der Mensch nach Zielen, die sich in eine Hierarchie einordnen lassen, wobei die Kultivierung der besten menschlichen Fähigkeiten zur Glückseligkeit als ultimativem Ziel führt, die eine Kombination eines bestimmten theoretischen mit einem praktischen Leben beinhaltet,718 und diese Ziele sind auch von der menschlichen Natur, und damit von der Natur im Allgemeinen vorgegeben. Was meine Überzeugung diesbezüglich angeht, so bleibt es bei der Sympathie. Die Ungültigkeit, etwas teleologisch zu nennen, ist jedoch dann unumstritten, wenn von einer Zweckgebung geredet wird, die ein rein geistiges menschliches Produkt darstellt. Ich glaube, dass diese Unterscheidung, wenn auch in einem akademischen Kontext vorausgesetzt, sehr wichtig ist, um erhebliche Missverständnisse zu verhindern. 719 Ich glaube auch, dass diese Unterscheidung deshalb so wichtig ist, weil besonders hier oft naturalistische und moralistische Fehlschlüsse gezogen werden. Da die teleologische Auffassung eine Finalität im kosmischen Sinne voraussetzt, sind die Befürworter der Teleologie konsequenterweise der Meinung, dass diese Finalität oder dieser kosmische Zweck entdeckt werden muss. Innerhalb des Rahmens dieser Auffassung beinhaltet dies keinen Widerspruch an sich, denn würde der Zweck selbst vom menschlichen Geiste als aufgestellt gesehen werden, dann würde es sich der Bedeutung des Begriffes zufolge nicht mehr um Teleologie handeln. A. J. Ayer stellt korrekterweise fest, dass eine zu entdeckende Sinnhaftigkeit, d.h. eine Sinnhaftigkeit im teleologischen Sinne, nicht unsere sein könne, da sie keine selbst gewählte sei, und diese Art der Sinnhaftigkeit als mehr oder weniger willkürlich von außen aufgezwungen 714 Vgl. R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 125. 715 Frei übersetzt aus: R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 125. 716 Vgl. B. Russell: A Free Man's Worship (2008), S. 56. Die Natur sei allmächtig, jedoch blind. 717 Siehe S. 77. 718 Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1994. 719 Was z. B. von den Befürwortern des Kreationismus nicht erkannt wird. Vgl. W. Löffler: Sinn (2011), S. 1997: Sinn soll hinter Naturgegebenheiten rehabilitiert werden. Der 'Intelligent Design' möchte ein verborgenes Strukturprinzip von intelligenter Planung erkennen, die für die Komplexität der Natur verantwortlich ist. Aber : "Biologisch gesehen handelt es sich um reine ad hoc-Hypothesen, aus theologischer Sicht um eine prekäre und vielleicht bald durch neue Forschung obsolete Erklärungslückenfüller-Theologie, und wissenschaftstheoretisch sind biologische und theologische Erklärungen ohnehin nicht auf derselben Ebene angesiedelt." 125 gesehen werden müsse, sogar dann, wenn sie mehr oder weniger zufällig die Möglichkeit biete, von uns erfüllt zu werden.720 Aus diesem Grund kann die teleologische Sichtweise erstens nicht notwendigerweise eine Sinnhaftigkeit bieten, die wir wirklich benötigen, auch wenn unsere Bedürfnisse selbst aus dieser kosmischen Perspektive keine logische Relevanz darstellen sollten (wenn wir mal für einen Moment davon ausgehen, dass der moralistische Fehlschluss ausgeschlossen werden kann). Zweitens unterscheide sich Ayer zufolge die teleologische Sichtweise diesbezüglich nicht von einer kausalen Erklärungsweise,721 da ja lediglich eine Art 'Beschreibung' von kosmischen Gegebenheiten durchgeführt werde, auch wenn diese kosmischen Gegebenheiten durch in der Zukunft liegende Gründe bestimmt würden, und nicht durch in der Vergangenheit liegende Ursachen wie es bei der üblichen Kausalität der Fall ist. Ayer macht interessanterweise ebenfalls darauf aufmerksam, dass die Hypothese der Existenz Gottes gleichsam (da dies derselben Argumentation unterliegt) nichts daran ändere, dass die theistisch-teleologische Zweckgebung nicht notwendigerweise als unsere empfunden werden müsse, und deshalb stets befremdlich auf uns wirken könne. 722 Einmal in Frage gestellt könne sie lediglich das Gefühl der Bevormundung in uns verstärken. Doch wird die Teleologie normalerweise von einer theistischen Konzeption begleitet, da die kosmische Planbarkeit nur dann einen Sinn zu haben scheint, wenn eine bewusste Intelligenz sie aufgestellt hat, was bei der 'blinden' Kausalität nicht vorausgesetzt werden muss. Mit K. Baier hatten wir jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Teleologie nicht zwingend mit einem End- oder Ausgangspunkt belegt werden muss. Grundsätzlich vermöge eine teleologische Erklärung den infiniten Regress nicht aufzuhalten.723 Auch hierbei können immer wieder universellere Gründe aufgefunden werden, auch wenn diese Gründe zeitlich anders verankert sind als bei den üblichen kausalen Erklärungen: "All that has been shown is that all explanations suffer from the same effect: all involve a vicious infinite regress."724 Auch wenn es teleologische Erklärungsansätze in der Wissenschaft gibt, so sind sie doch von einer anderen Beschaffenheit als diejenigen, die die objektivistischen Naturalisten und die Supranaturalisten einfordern, um kosmische Sinnhaftigkeit herzustellen. Baier zufolge könne sich kein echtes wissenschaftliches Erklärungsmuster mit der Sinnhaftigkeit des Lebens befassen, da, ob kausal oder teleologisch, es nur die Wie-Frage und nicht die Warum-Frage zu beantworten vermöge, wie wir bereits erwähnt hatten. 725 Für die Wissenschaft bleibt die Sinnhaftigkeit eine offene Frage, 726 und diesbezüglich hätten viele Theoretiker unrecht, die Wissenschaft als Ursache und Schuldigen für eine mögliche 720 Vgl. A. Ayer: The Claims of Philosophy (2008), S. 199. 721 Vgl. ebd. 722 Vgl. ebd., S. 200. 723 Vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 7. + cross-reference 724 K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 8. 725 Siehe Kapitel 6.4. 726 Unter anderem, vgl. K. Baier: The Meaning of Life (1957), S. 28. 126 Sinnlosigkeit des Lebens verantwortlich zu machen. Die Sinnhaftigkeit des Lebens überhaupt durch die (Natur-)Wissenschaft lösen zu lassen, unterliegt einem Fehlschluss. Nicht nur J. Seachris hat sich gefragt, ob die Sinnfrage teleologische Annahmen beinhalten muss.727 Nach den vorherigen Überlegungen bleibt jedoch festzuhalten, dass sowenig ein kausales Erklärungsmodell die Sinnfrage behandeln kann, etwas das schon immer vermutet wurde, als ein teleologisches, bei dem es etwas überraschend scheint. Die Argumente, die herangetragen wurden, sind jedoch meines Erachtens überzeugend. Damit bleibt die Sinnhaftigkeit ein Produkt des menschlichen Geistes und kann nur als solches behandelt werden. Das kausale Erklärungsmodell können wir vielleicht dann wieder anwenden, wenn es darum geht, zu ergründen, wie unser Gehirn das Konzept der Sinnhaftigkeit produziert, was aber das Gesagte dadurch logisch nicht widerlegt. Hierbei ist es wichtig, die Begriffe präzise zu definieren und zu unterscheiden. So sympathisiere ich z. B., mehr noch, ich stimme dem Standpunkt B. Russells zu, die Sinnhaftigkeit des Lebens bei einer Art von 'Konstruktivität', 728 einer Art konstruktiver Entwicklung, in einem metaphysischen Sinne die Erschaffung von Ordnung aus dem Chaos erschaffen zu wollen,729 als Zweck anzulegen, doch sollte diese geistige Zweckgebung nicht als Teleologie missverstanden werden. Am Ende dieses Unterkapitels glaube ich eine letzte Begriffsdifferenzierung durchführen zu müssen. Was ich bei der Wiedergabe der Argumente der unterschiedlichen Theoretiker vermisst habe, ist die Unterscheidung zwischen einem ausschließlich teleologischen Standpunkt und der Auffassung der Existenz eines Schicksals, einer Vorherbestimmung. Teleologie wird, auch bei der Wiedergabe der unterschiedlichen Auffassungen in meiner Arbeit,730 oft auch als etwas verstanden, was Unausweichlichkeit der zukünftigen Erscheinungen beinhaltet, auch deshalb, weil eben vorausgesetzt wird, dass man die teleologischen Abhängigkeitsketten der Phänomene entdecken kann (so wie man es bei empirischem Gehalt tut). Und was in der Zukunft liegt und trotzdem zu entdecken möglich ist, bietet ja von der Logik her nur eine einzige Möglichkeit des Entwicklungsverlaufs oder des Realisierungsprozesses. Und somit wäre die Teleologie mit dem Konzept der Vorherbestimmung gleichzustellen. Hier möchte ich ansetzen und erwähnen, dass es mir nützlich erscheint, wenn wir den Gehalt beider Begriffe (wieder) trennen. So können wir Teleologie als dasjenige bestimmen, was zwar eine kosmische Zweckgebung beinhaltet, die jedoch nicht die Möglichkeit der Nichterfüllung dieses Zweckes ausschließt. Und genau dieser Aspekt scheint mir beim Begriff der Vorherbestimmung und des Schicksals nicht gegeben werden zu können, 727 Vgl. J. Seachris: Meaning of Life: The Analytic Perspective (2011), Kapitel: 1. Introduction. 728 Vgl. B. Russell: The Conquest of Happiness (2006), S. 149 f. 729 Vgl. ebd., S. 151. 730 So auch Baier mit seinem "hidden meaning" in: K. Baier: Threats of Futility (1988), S. 47 Abschn. 2. Er behandelt die Frage, ob es ein Beleg dafür gibt, dass Dinge prädestiniert sind. Mir scheint, dass er keine Unterscheidung zwischen Prädestination und Teleologie in Bezug auf die Sinnhaftigkeit des Lebens durchführt. 127 um deren Bedeutung nicht noch konfuser zu machen als sie bereits ist. Ich glaube, dass diese Differenzierung für die zukünftige Debatte dieses Themas, wenn auch ziemlich spezifisch und je nachdem vielleicht auch belanglos, nicht gänzlich vernachlässigt werden sollte. Diesbezüglich glaube ich auch, dass wir 'Vorherbestimmung' und 'Schicksal' synonym behandeln können. Teil 3: Synthese 8. Denkerischer Ausblick Robert Nozick schrieb: "Once you come to feel your existence lacks purpose, there is little you can do. You can keep the feeling, and either continue a meaningless existence or end it. Or you can discover the purpose your existence already serves, the meaning it has, thereby eliminating the feeling. Or you can try to dispose of the feeling by giving a meaning and purpose to your existence." 731 Aufgrund der vorangegangen Analyse darf behauptet werden, dass die angelsächsischanalytische Philosophie am ehesten letzterer Option zustimmt, wenn der Schwerpunkt auf die in Erwägung gezogenen Autoren gelegt wird. Doch dies als ihr Charakteristikum zu bestimmen reicht nicht aus. Die gewonnenen Erkenntnisse möchte ich in einem denkerischen Ausblick zusammenfügen. Meine Grundidee ist dabei, ein Instrument der Gültigkeit für mögliche Theorien über den Sinn des Lebens aufzustellen, die den Argumenten entsprechen, die innerhalb meiner Analyse in der Auseinandersetzung mit der angelsächsisch-analytischen Philosophie aufgestellt wurden: Der Sinn des Lebens ist das, was du wollen kannst, dass es im günstigsten Fall in unvorhersehbarer Zeit bestehen könnte, ohne auf einen Gott, ein Jenseits oder die Immortalität deiner eigenen Person zurückgreifen zu müssen, und der Versuch deiner Teilnahme, auf bestmögliche Weise darauf hinzuwirken. Es ist nicht zu übersehen, dass die Aufstellung dieses Lebenssinnrechtfertigungsinstrumentes (im Folgenden LSRI genannt) durch Kants kategorischen Imperativ inspiriert wurde. Dies liegt vor allem an der Wortwahl für einen Teil dieses Instruments. Ich möchte mich nicht bemühen, konzeptuelle Zusammenhänge zum KI von Kant aufzustellen (mit einer Ausnahme unter Punkt 10 im Folgenden), obwohl ich vermute, dass sie 731 R. Nozick: Philosophy and the Meaning of Life (2008), S. 228. 128 bestehen. Die Analyse solch möglicher Zusammenhänge übersteigt den Anspruch meiner Arbeit, ist darüber hinaus für unsere Zwecke irrelevant und wird deshalb hier nicht durchgeführt. Der KI soll überwiegend als Inspiration für dieses LSRI gesehen werden. Ich möchte im Folgenden versuchen, dieses Rechtfertigungsinstrument im Rückblick auf die Ergebnisse des analytischen Teils zu verteidigen. 1) Das LSRI besteht aus zwei Teilen (Trennlinie bei "und"). Der erste Teil beinhaltet die Zweckgebung an sich, der zweite Teil beinhaltet eine normative Forderung, oder genauer, eine deutlichere normative Forderung als im ersten Teil, da ich nicht ausschließen möchte, dass eine weniger sichtbare normative Forderung ebenfalls im ersten Teil enthalten ist. Beide Teile besitzen einen moralischen Gehalt, zum einen eine Ebene des "Wollens" und zum anderen eine Ebene des "Sollens", die voneinander direkt abhängig sind. Beide Teile sollten nicht getrennt werden, um die höchstmögliche Kompatibilität mit den Ergebnissen der Analyse zu gewährleisten. 2) Es ist deutlich zu erkennen, dass das LSRI keine Tatsachenerkenntnis wiedergibt. Es bestimmt nichts, was wir entdecken könnten, weil Sinnhaftigkeit nicht außerhalb unseres Geistes vorzufinden ist. Das Einzige, was hieran zu entdecken möglich wäre, ist der neurologische Prozess, der uns verleitet, das LSRI selbst und die möglichen Vorstellungen, die diesem LSRI genügen könnten, in unserem Geist zu produzieren. Hierbei sollte außerdem erwähnt werden, dass, auch wenn wir neurologische Prozesse mit einem wissenschaftlichen Erkenntniserwerb von Tatsachen ermitteln können, wir deshalb immer noch nicht Soll- mit Ist-Sätzen logisch verbinden dürfen. Soll-Sätze bleiben eine unterschiedliche logische Kategorie, auch wenn wir Ist-Sätze bemühen können, um zu ermitteln, wie sich diese Soll-Sätze manifestieren. 3) Es ist zu erkennen, dass das LSRI so formuliert ist, dass ideale Vorstellungen eines möglichen Lebenssinns (die durch das LSRI auf Gültigkeit geprüft werden können) als etwas gesehen werden müssen (wenn auch bloß als Produkt unseres eigenen Geistes), das nicht auf willkürliche Weise gesetzt wird. Diese idealen Vorstellungen müssen so gewählt werden, dass sie entweder als Folgerung oder als Prämisse ein gesamtes Rechtfertigungsnetz widerspiegeln können, das keine Inkompatibilität mit der menschlichen Wirklichkeit (auch der inneren) und mit der Wirklichkeit insgesamt aufweisen darf. 4) Dieses Rechtfertigungsnetz beinhaltet ein offenes Ende, denn auch wenn wir eine Lebenssinntheorie als Prämisse wählen, um daraus deduktiv das Gedankennetz zu konstruieren, so kann immer wieder noch etwas Grundlegenderes gesetzt werden, was diese vorherige Prämisse als Zwischenglied inkorporiert (oder auch nicht, aber dann 129 muss die vorherige Prämisse fallen gelassen werden), genau so, wie es mit Hypothesen in der Wissenschaft gehandhabt wird. Das offene Ende wird dadurch garantiert, dass das LSRI die Projektion auf "unvorhersehbare Zeit" vorsieht. Damit wird ebenfalls gewährleistet, dass wir dem unendlichen Regress bezüglich der Rechtfertigungen gerecht werden können. Eine zeitliche Begrenzung unserer Sinngebungsprojektion wird somit aufgehoben. R. Hepburn verteidigt diese Stellungnahme. So wie man Perfektion anstreben kann, ohne sie je zu erlangen, kann man auch Ideale in unvorhersehbarer Zeit anstreben, ohne annehmen zu müssen, dass sie praktisch wirklich erreichbar sind: "[…] there seems nothing logically impossible in human beings setting themselves infinitely distant goals of aspiration; even although they might prove unrealizable in full, and even although there existed no perfect being who either realized them in his own person or who set those goals before humanity. To be able to pursue perfection does not entail that perfection exists; any more than the procession of natural numbers demands that there exists some last and greatest number of all." 732 Und: "The atheistic-romantic conception of man as ceaselessly striving for an ultimately unattainable, but infinitely desirable goal, is not […] a self-demolishing one". 733 5) Diese Projektion auf unvorhersehbare Zeit gewährleistet ebenfalls, dass entsprechende Theorien oder Prinzipien, die hierdurch auf ihre Validität überprüft werden, relativ allgemein und universell, und nicht zu konkret formuliert werden sollen. Es erscheint mir nicht sehr sinnvoll, Theorien oder Prinzipien über den Sinn des Lebens so zu formulieren, dass sie Details enthalten, die es unmöglich erscheinen lassen, die Zusammenhänge in dieser gesamtheitlichen Sicht von 'universeller' Größenordnung aufrechterhalten zu können. Trotzdem ist es logisch nicht auszuschließen, dass dies gemacht werden kann, und es ist vorstellbar, dass sich eine Theorie so bewährt und ausreift, dass moralische und normative Kleinigkeiten in Erwägung gezogen werden könnten, die das menschliche Verhalten und Denken im Kleineren moralisch bewerten können. 6) Das LSRI scheint relativ vage zu sein und keine konkreten Ergebnisse zu produzieren. Dies ist neben Punkt 5 auch deshalb verständlich, weil es sich lediglich um ein Instrument handelt, das auf Gültigkeit prüfen soll, und nicht um eine Lebenssinntheorie an sich. Ich vermute jedoch intuitiv, dass sich Theorien wie die der transzendierenden Handlungen eines Lebens734 nach Nozick735, oder die Selbsttranszendierungstheorie736 von Russell hiermit rechtfertigen lassen. Theorien des Sinns des Lebens, die das LSRI erfüllen, 732 R. W. Hepburn: Christianity and Paradox (1958), S. 179. 733 Ebd., S. 180. 734 Von mir so genannt. 735 Siehe S. 32. Vgl. auch R. Nozick: Philosophy and the Meaning of Life (2008), S. 228. Das Leben kann an Sinnhaftigkeit gewinnen, wenn man es in einen größeren Kontext steckt, wenn man zu einem Teil einer größeren Sache wird. 736 Siehe S. 38. 130 beinhalten im Wesentlichen eine Projektion von Idealen, die der Mensch sich selbst schafft, mit dem Bewusstsein, dass die gesamte Existenz in welchem Maß auch immer (auch wenn dieses Maß vernachlässigbar erscheint, ohne jedoch gänzlich irrelevant sein zu können)737 vom Menschen beeinflusst wird, und mit der Voraussetzung der Möglichkeit, dass sich sein Einfluss auf unbeschränkte Zeit auswirkt. So würde sich meines Erachtens z. B. auch ein normatives Prinzip wie es offenbar Gandhi ausdrückt mit "We need to be the change we wish to see in the World"738 gut als Kandidat einer Ausgangsüberlegung für einen Lebenssinn eignen. Mögliche valide Theorien dürfen nicht untereinander im Widerspruch stehen, so dass es theoretisch möglich ist, alle validen Theorien auf immer wenigere und allgemeinere reduzieren zu lassen. 7) Da es darauf ankommt, dass eine Theorie für den Sinn des Lebens die Eingebundenheit in ein Rechtfertigungsnetz aufweisen muss, das dem LSRI genügen kann, können wir alle Überlegungen, auf denen die Theorie basiert, auf Konsistenz und Kohärenz prüfen. Damit wird sehr wohl der Anspruch der Logik und der Rationalität innerhalb dieses Rechtfertigungsnetzes erhoben, auch wenn man die Aufstellung der These, also des Lebenssinns an sich in letzter Instanz vielleicht nicht unbedingt rational begründen muss.739 8) Warum "ohne auf einen Gott, ein Jenseits oder die Immortalität deiner eigenen Person zurückgreifen zu müssen"? Wir haben in der Analyse gesehen, dass die Überzeugung oder die Voraussetzung der Existenz einer nichtnaturalistischen Welt oder einer nichtnaturalistischen Realität keine widerspruchsfreien Deutungen oder Theorien in unserem Kontext zulässt. Und da es keinen Sinn ergibt, Widerspruchsfreiheit nicht als oberstes Prinzip von philosophischen Überlegungen im Allgemeinen anzuerkennen, müssen wir supranaturalistische Konzeptionen in ihrer Gesamtheit ausschließen. Natürlich legt dies nahe, dass, wenn man von der Richtigkeit des LSRI überzeugt ist und einem die Sinnfrage die fundamentalste Komponente der Religionen oder des Spiritualismus auszumachen scheint, Religion und Spiritualismus (oder vielleicht auch Esoterik) als potentiell überflüssig erachtet werden können. Auch wenn dies für mich persönlich als etwas Wünschenswertes erachtet wird, so hat es jedoch keine Relevanz für die Problematik an sich. Vielleicht ist es möglich von einem naturalistischen Lebenssinnrechtfertigungsinstrument und gleichzeitig von einer nichtnaturalistischen Glaubensform überzeugt zu sein, auch wenn ich persönlich diesen 'Geisteszustand' nicht übernehmen könnte. Jede Art von Missionierung, auch die des Atheismus, liegt mir fern, auch wenn überall in dieser Arbeit durchscheint, dass ich selbst Atheist bin. Es ist mir ebenfalls nicht möglich zu bestimmen, in welchem Maß meine teilweise unbewussten 737 Siehe Problematik der "standards". Siehe Kapitel 7.5. 738 http://en.wikiquote.org/wiki/Mahatma_Gandhi. Es gilt jedoch nicht als sicher, dass er dies gesagt hat. 739 Ich bin mir jedoch nicht wirklich im Klaren, wie diese Überlegung deutlich zu belegen ist. Das scheint mir noch etwas konfus, könnte aber Gegenstand weiterer Diskussionen hierüber sein. 131 Grundüberzeugungen den Gedankengang dieser Arbeit mitgesteuert haben, aber dass sie es taten, davon ist auszugehen. Dies sollte man ehrlicherweise nicht abstreiten. 9) Der Teil "die Immortalität deiner eigenen Person zurückgreifen zu müssen" beinhaltet jedoch einen weiteren Aspekt, mit dem sich sowohl Kants KI als auch Philosophen wie John Rawls740 befasst haben. Es geht darum, auf einer evidenten moralischen und normativen Ebene die eigene Person und damit die direkten eigenen Interessen bei der Sinngebung nicht in den Mittelpunkt zu stellen, und nach größtmöglich universellen und prinzipiellen Vorstellungen Ausschau zu halten. Im Übrigen glaube ich kaum, dass eigene Interessen dienlich sind, wenn sie nicht zumindest auf eine größere Ebene abstrahiert und übertragen werden,741 um authentisch philosophischen Gehalt produzieren zu können. Denn Philosophie ergibt wenig Sinn, wenn nicht das 'Universelle' im Blickfeld steht. Außerdem glaube ich, dass ein nicht unerheblicher Teil der unterschwelligen Motive in den Religionen oder den unterschiedlichen Formen von Spiritualismus, wenn wir für einen Moment die positiven Elemente außer Acht lassen, aus Egozentrismus und Unbescheidenheit bestehen, denn der Mensch muss sich als etwas Wichtiges empfinden, um die Wünsche überhaupt geltend machen zu wollen, die er in die religiösen Vorstellungen hineinprojiziert. 742 Ich glaube, dass dies mit dem Ziel, Sinnhaftigkeit für das Leben aufzustellen, nicht wirklich als kompatibel betrachtet werden kann, auch wenn die Vertreter der Religionen davon nicht ausgehen können, und sich vielleicht dieser unterschwelligen negativen Motive nicht immer bewusst sind. Religiöse Menschen sind davon überzeugt, dass sie von authentisch edlen Motiven geführt werden. Doch wer weiß, vielleicht ist es gerade arrogant, zu glauben dies zu wissen. Es scheint mir unmöglich, sich selbst gänzlich von Unbefangenheit und Unbescheidenheit entlasten zu können. Jedoch kann ich mit folgendem Zitat auf die Unterstützung R. Hepburns zählen: "It is natural and not at all absurd for a naturalistic philosopher to seek some (inevitably limited and provisional) substitute for a metaphysical or religious doctrine of eternal life. If he judges that doctrine to be logically incoherent anyway, there is all theless reason to protest if he chooses to savour those facets of experience that give a partial backing to the doctrines. The important thing is that he should himself be under no illusions. When he uses the vocabulary of timelessness, the 'metaphysical pathos' of his discourse must be appropriate to his real beliefs and must not borrow illegitimate splendour from the theism and mysticism he rejects." 743 740 Rawls, John: A Theory of Justice, Cambridge (MA): Harvard University Press 1971. 741 Wie z. B. Epikur oder die Utilitaristen von einer rein subjektiven und persönlichen Empfindung als Basis ihrer Theorie ausgehen und dann damit einen größeren Kontext aufstellen. Wir können uns die Frage stellen, ob 'Lust' als Konzept für die Ethik dienlich sein kann, ohne es jedoch zur Gestaltung von Sinnhaftigkeit gebrauchen zu können, so wie es in Nozicks Glücksmaschine dargestellt wird (Nozick, Robert: Anarchy, State, and Utopia, New York: Basic Books 1974, S. 42 ff.) 742 Vgl. auch Russell S. 79. 743 R. W. Hepburn: Questions about the Meaning of Life (1966), S. 139. 132 10) "was du wollen kannst": Da ich kein Kant-Experte bin, kann ich nicht mit größtmöglicher Präzision erklären, wie diese Formulierung in seinem KI zu deuten ist. Ich für meine Belange verbinde wollen mit können, um auf redundante Weise (da dieser Aspekt ebenfalls an anderer Stelle durchscheint → Punkt 3) zum Ausdruck zu bringen, dass es sich nicht um ein gänzlich willkürliches Wollen handeln sollte, wenn es darum geht, Sinnhaftigkeit zu konstruieren. Das 'wollen können' sollte ein reflektiertes, überlegtes und vernunftgesteuertes Wollen sein, nicht lediglich ein impulsgesteuerter Urtrieb. Das 'Wollen' selbst bildet diejenige Komponente im LSRI, die die freie ungezwungene Zusage fordert. Ich bin mir nicht ganz im Klaren, ob und inwiefern ich mich hierdurch der beschriebenen Inkompatibilität zwischen Soll- und Ist-Sätzen schuldig mache. Ich vermute jedoch nicht. Ich glaube, dass es einen Unterschied gibt zwischen Soll- und Ist-Sätzen auf der einen Seite und zwischen Emotionalität und Rationalität auf der anderen Seite.744 Ich sehe keinen Widerspruch darin, Sätze mit normativem Gehalt oder mit einer normativen Dimension rational denken und logisch miteinander verknüpfen zu wollen, und die Emotionalität (so gut es geht) aus den Überlegungen herauszuhalten, auch wenn Emotionalität als Idee sehr wohl rational behandelt werden kann, so wie es auch in unserem Kontext sein sollte, denn die Emotionalität an sich ist eine Realität und kann als zu untersuchender Gegenstand gesehen und gedacht werden, und in Sätze mit normativem Gehalt eingebunden werden. 11) Schlussendlich glaube ich, dass man dem LSRI weder reine Subjektivität noch reine Objektivität zuweisen kann. Es handelt sich nicht um eine rein objektive Stellungnahme, weil es nicht den Versuch unternimmt, etwas zu ermitteln, das extern, also außerhalb unseres Geistes existiert. Es handelt sich meines Erachtens jedoch auch nicht um eine rein subjektive Stellungnahme, da es versucht, durch allgemein gültige Rationalität etwas aufzustellen, das sich theoretisch gesehen jedem menschlichen Geist aufdrängen sollte. Soweit die utopisch klingende Theorie. Wir könnten bei diesem LSRI vielleicht von einem intersubjektiven Ansatz sprechen, um größere gedankliche Schwierigkeiten zu vermeiden. Wir könnten jedoch auch eine Änderung der bisher üblichen Differenzierung vornehmen. Wir könnten die Unterscheidung von "objektiv" einerseits und "subjektiv" andererseits zu "in der Natur außerhalb des menschlichen Geistes vorfindbar" einerseits und "Produkt des Geistes, doch nicht nur im klassisch subjektiven Sinne sondern auch im Sinne eines von außen messbaren Produktes des menschlichen Geistes" andererseits ändern. Man könnte diesen Standpunkt intersubjektiv nennen, so wie die Theorie von Stephen Darwall, die T. Metz als vielversprechend eingeschätzt hatte. 745 Es könnte sich außerdem 744 Siehe hierzu auch Kapitel 7.1. 745 Siehe S. 42. 133 bewahrheiten, dass die neuen Errungenschaften der Neurologie und der modernen Psychiatrie die alten Konzepte von Subjektivität und Objektivität ins Wanken bringen können, und die Philosophie in näherer Zukunft eine Korrektur der Handhabung dieser Konzepte und deren semantischer und konzeptueller Verknüpfungen mit anderen Begriffen in Erwägung ziehen muss. 9. Schlussfolgerung und weiterführende Ideen Ich glaube, dass diese Arbeit etwas zur Klärung des Ausdrucks 'der Sinn des Lebens' beiträgt. Die konzeptuellen Verzweigungen, die dieser Ausdruck mit sich bringt, gehen tief und sind komplex. Dies wurde mir bewusst. Zahlreiche metaphysische Aspekte wurden aus der Behandlung mit diesem Ausdruck herausgezogen und untersucht. Gleichzeitig ermöglichte diese Arbeit eine Reihe Begriffsdifferenzierungen, die ein höheres Maß an Ordnung schaffen, auch wenn der gesamte Sachverhalt immer noch nicht ganz durchsichtig erscheint. Ferner bietet diese Arbeit eine Art Zusammenfassung der angelsächsisch-analytischen Forschung bezüglich des zu behandelnden Ausdrucks. Somit kann sie als Ausgangspunkt dienen, wenn Interesse besteht, weiter in die Materie einzutauchen. Insofern bin ich meinem Anspruch gerecht geworden. Mit der Klärung dieses Ausdrucks wurden außerdem diejenigen Grenzen gesteckt, die die angelsächsisch-analytische Philosophie für diesen Ausdruck im Allgemeinen vorgibt. Eine besonders herausragende Grenze besteht darin, die Sinnhaftigkeit nicht mehr ganz außerhalb der geistigen Projektion ansiedeln zu können. Jedoch muss dies nicht notwendigerweise als rein individuelles oder rein subjektives Verfahren gewertet werden. Eine intersubjektive Herangehensweise kann durchaus in Erwägung gezogen werden. Außerdem konnte sie vom religiösen Glauben losgekoppelt werden, da gezeigt wurde, dass supranaturalistische Theorien die Sinnhaftigkeit des Lebens nicht gewährleisten können und umgekehrt kein religiöser Glauben von Nöten ist, um Sinnhaftigkeit aufstellen zu können. Im Allgemeinen ist der angelsächsisch-analytische Ansatz kaum mit theistischen oder supranaturalistischen Vorstellungen kompatibel. Eine weitere besondere Abgrenzung besteht darin, die selbst gesetzte Sinngebung nicht mehr als pessimistische oder gar deprimierende oder lebensverachtende Gegebenheit akzeptieren zu müssen. Ist der Schreck der Einsicht der Ungültigkeit alter Vorstellungen einmal überwunden, besteht die Möglichkeit, selbstprojizierte Sinngebungen als motivationsfördernde und real existierende Geistesprodukte anzuerkennen. Es bleiben jedoch viele Fragen offen. Eine dieser Fragen würde mich außerordentlich interessieren, obwohl ich jedoch nicht glaube, dass sie ausschließlich innerhalb 134 der Philosophie behandelt werden kann: Hat das Phänomen der Sinngebung eine evolutive Funktion? Oder: Ist Sinngebung Ausdruck der Intelligenz in evolutionstechnischer Hinsicht, und soll sie als Vorteil für uns Menschen oder vielleicht sogar als Nachteil in Betracht gezogen werden? So befürchtete z. B. J. Kekes, dass sich die Fähigkeit, die Sinnfrage überhaupt stellen zu können, vielleicht in irgendeiner Form gegen unsere eigene Existenz richten könnte: "Maybe a capacity has evolved in us, and it will undo us." 746 Wenn man die existentielle Desorientierung und Desillusionierung betrachtet, die wir bei einigen Philosophen und bei vielen Menschen um uns herum beim Stellen dieser Frage ausmachen können, so scheint dies nicht irrelevant zu sein. Diesem Gedanken kann man weiter nachgehen und sich fragen, ob die Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens nicht am Ende doch nur ein unbewusster psychologischer Versuch ist, einen für sein psychisches Gleichgewicht notwendigen Sinnzusammenhang aufzustellen. Hier scheint sich ein möglicher Teufelskreis aufzutun. Ist er vermeidbar? Außerdem bin ich sehr daran interessiert herauszufinden, ob mein Lebenssinnrechtfertigungsinstrument als gedanklicher Ausblick irgendetwas taugt. Genauso wichtig wie die vorangegangenen Fragen ist meines Erachtens auch die Auseinandersetzung mit dem naturalistischen und dem moralistischen Fehlschluss. Was wird eigentlich aus diesem Fehlschluss, wenn man Konzepte wissenschaftlich als Konfigurationen neuronaler Wechselwirkungen im Hirn bestimmen kann, und damit zumindest indirekt die neuronale Emergenz der Wollens- und Sollens-Sätze beobachten kann? Auch wenn ich in meiner Arbeit eine strikte Trennung zwischen Ist- und Soll-Sätzen gefordert habe, so bin ich mir trotzdem nicht ganz sicher, wie diese Logik dem naturwissenschaftlichen Fortschritt standhalten kann. Mir scheint überhaupt die Fusion von Philosophie und Neurowissenschaften sehr vielversprechend und zukunftsweisend zu sein. Ich würde mir gerne einmal auf einem Scanner ansehen, was das Gehirn eigentlich tut, wenn es 'Sinnhaftigkeit' denkt. Ob man irgendwelche Schlüsse für die Philosophie daraus ziehen kann? Das Wichtigste bei diese Arbeit ist mir jedoch die Erkenntnis, dass konzeptuelle Präzisierungen und Begriffsdifferenzierungen vorgenommen werden müssen, um den Antrieb der Diskussion insgesamt gewährleisten zu können. Diese Vorgehensweise stellt seit jeher ein Grundpfeiler der analytischen Philosophie dar. Sie sollte nicht unterschätzt werden: Bei mir persönlich hat sie einen Erdrutsch überkommener Vorstellungen bewirkt. Als neugieriger Mensch kann ich dies nur begrüßen. 746 J. Kekes: The Meaning of Life (2008), S. 241. 135 10. Bibliographie • Audi, Robert: Intrinsic Value and Meaningful Life, in: Philosophical Papers 34/3 (Nov. 2005), S. 331-355. • Ayer, Alfred J.: The Claims of Philosophy, in: Klemke / Cahn (Hgg.): The Meaning of Life, a.a.O., S. 199-202 [ursprünglich in: Polemic 7 (März 1947), S. 18-33]. • Baier, Kurt E. M.: The Meaning of Life. Inaugural Lecture delivered at the Canberra University College on 15 October 1957, Canberra: The Canberra University College 1957. • Baier, Kurt E. M.: Problems of Life & Death. A Humanist Perspective, (Prometheus Lecture Series), Amherst (New York): Prometheus Books 1997. • Baier, Kurt E. M.: Threats of Futility. 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