Die Zähne

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Die Zähne
Die Zähne
Dem Gaul ins Maul
geschaut
Zähne sind mit Abstand die härtesten Gebilde im Körper, egal ob
bei Mensch oder Tier. Der Aufbau des Gebisses und der einzelnen
Zähne ist stark abhängig von der Nahrungszusammensetzung
eines Lebewesens. Deshalb lassen sich große Unterschiede zwischen einem Menschengebiss und einem Pferdegebiss ausmachen,
wie wir jetzt sehen werden.
Alles beginnt mit den Milchzangen
Foto rechts:
Noch nicht sichtbar, aber wenige
Tage nach der Geburt brechen beim
Fohlen die Milchzangen durch.
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Im Gegensatz zu neugeborenen Babys kommen Pferdekinder bereits mit Zähnen auf die Welt. Die Milchschneidezähne (Milchzangen) sind meist schon vorhanden oder brechen spätestens
innerhalb weniger Tage durch. Die vorderen Backenzähne folgen
ebenfalls wenige Tage danach. Nach sechs Wochen kommen die
beiden Mittelzähne (neben den Schneidezähnen) und ungefähr
sechs Monate später brechen die Eckzähne durch (neben den Mittelzähnen). Diese Zahlen sind natürlich nicht in Stein gemeißelt,
denn es gibt Schwankungen zwischen den einzelnen Zahndurchbrüchen. Bei manchen Pferden finden sie früher statt, bei anderen
später. Im Durchschnitt ist das Milchgebiss eines Fohlens mit
etwa neun Monaten komplett: Es verfügt dann über zwölf Schneidezähne und zwölf Backenzähne. Sind die Milchzähne noch weiß
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Die Zähne
und glänzend, verfärben sich die bleibenden Pferdezähne in ein
Gelbbraun.
Der Durchbruch der bleibenden Zähne beginnt mit etwa einem Jahr. Die hinteren Backenzähne, Molare genannt, schieben
sich mit ein bis dreieinhalb Jahren durch. Die vorderen Backenzähne, Prämolare, wechseln zwischen zweieinhalb und vier Jahren, die Schneidezähne zwischen zweieinhalb und viereinhalb
Jahren. Mit etwa fünfeinhalb Jahren ist das Gebiss komplett ausgebildet, und biologisch betrachtet ist ein Pferd auch in diesem
Alter erst ausgewachsen.
Die vier Hengstzähne erscheinen zwischen dem vierten und
fünften Lebensjahr. Diese Hakenzähne sitzen isoliert zwischen
den Eckschneidezähnen und den Molaren, jeweils zwei oben und
zwei unten. An diesen Hengstzähnen bildet sich aufgrund der exponierten Lage sehr häufig Zahnstein, was zu Zahnfleischentzündungen führen kann.
Hengstzähne waren kautechnisch schon immer bedeutungslos und sind für unsere domestizierten Equiden inzwischen ein
Überbleibsel aus früherer Zeit, denn sie dienten ursprünglich
Kampfzwecken. Diese Zähne sind nur noch für die wenigen freilebenden Pferde von Belang; entweder im Kampf gegen andere
Hengste oder zur Verteidigung der Herde. Stuten haben in der Regel keine Hengstzähne, doch bei manchen Tieren, die ein hengstähnliches Exterieur haben, wurden schon welche gefunden. Entfernen muss man diese Zähne nicht (wegen Kieferbruchgefahr ist
das auch nicht ganz ungefährlich), aber oftmals beschleifen, weil
sie scharfkantig sind und zu Verletzungen von Zunge und Lippen
führen können. Liegen sie allerdings unter der Schleimhaut – hier
spricht man von blinden Hengstzähnen – können beim Auftrensen Schmerzen auftreten. Dann werden die Zähne freigelegt und
das Problem ist damit meistens beseitigt.
Das endgültige Gebiss eines Pferdes hat 12 Schneidezähne und
24 Backenzähne plus 4 Hengstzähne. Die Anzahl schwankt also
zwischen 36 und 40. Zwischen Eckzahn und erstem Molar klafft
eine Lücke, genannt Diasthema. In diese Lücke wird beim Auftrensen das Gebiss gelegt. Pferdezähne schieben ihr Leben lang aus
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Die Wolfszähne – ein Relikt
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dem Kiefer heraus und zwar rund 2 bis 3 Millimeter pro Jahr, da
auf der Zahnoberfläche ein Abrieb stattfindet. Im Idealfall werden
sie beim Fressen auch um genau diese Länge abgenützt. Doch wie
groß letztendlich der Abrieb ist, hängt vom angebotenen Futter
ab. Je härter, desto höher der Abrieb. Da der Oberkiefer des Pferdes etwas breiter ist als der Unterkiefer, kommt es zu einem
schrägen Abschleifen der Zähne. Alte Pferde haben oft nur noch
Zahnstummeln im Kiefer und können deshalb hartes Futter nicht
mehr kauen, sodass sie spezielles Seniorenfutter benötigen, wie
etwa eingeweichte Heucobs.
Die Wolfszähne – ein Relikt
Im Gegensatz zu den Hengstzähnen sind Wolfszähne geschlechts­
unabhängig. Es können bis zu acht an der Zahl im Pferdegebiss
auftauchen, was jedoch in dieser Häufigkeit nur selten vorkommt.
Sie brechen schon zwischen dem sechsten und achten Monat
durch und sitzen als ursprüngliche Molare direkt vor den vorderen Backenzähnen. Meist im Ober-, weniger im Unterkiefer. Wenn
sie das Zahnfleisch nicht durchstoßen, spricht man auch hier von
blinden Wolfszähnen. Sie sind ein Relikt der Evolution.
Vor ungefähr 60 Millionen Jahren besaß das prähistorische
Pferd, das im subtropischen Südamerika beheimatet war, noch
sieben Backenzähne pro Reihe. Es ernährte sich damals von Sukkulenten, das sind saftreiche Pflanzen, wie sie in Trockengebieten
zu finden sind (die Aloe Vera gehört beispielsweise zu dieser Gattung). Großer Zahnabrieb fand nicht statt, war auch nicht notwendig bei dem Futter. Dafür besaß das Pferd aber mehr Backenzähne, eben die heutigen Wolfszähne. Doch im Verlaufe der
Evolution, durch Klima- und Vegetationsveränderungen, verwandelte sich Südamerika in trockenes Gras- und Steppenland, und
auch das Urpferd musste sich diesen Veränderungen anpassen.
Statt der saftigen Sukkulenten gab es nur noch Raufutter.
Das führte nicht nur zu einer Veränderung der Verdauung,
sondern auch zu einer Umbildung der Kauwerkzeuge. Aus diesem
Grund haben sich die Wolfszähne im Laufe der Zeit zurückentwickelt und sind überflüssig geworden.
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