Buch 1.indb - AkadMed.com

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12.4 Reizdarmsyndrom
D. Neidl und M. Ledochowski
1. Definition
3. Ätiologie und Pathogenese
Das Reizdarmsyndrom (engl.: Irritable bowel
syndrome – IBS) zählt zu den funktionellen gastrointestinalen Krankheitsbildern. Diese sind
gekennzeichnet durch eine charakteristische
Symptomenkonstellation bei fehlendem Nachweis biochemischer oder struktureller Normabweichungen. Es handelt sich um eine chronische
Erkrankung mit immer wieder auftretenden abdominalen Beschwerden wie Obstipation, Diarrhö, Meteorismus und abdominalen Schmerzen.
Die Intensität der Beschwerden unterliegt im
zeitlichen Verlauf starken Schwankungen, wobei das individuelle Symptommuster wenig variabel ist. Die Synonyme „irritables Kolon“ oder
„spastisches Kolon“ sollten heute nicht mehr
verwendet werden, da man davon ausgeht, dass
die Störung nicht nur auf das Kolon beschränkt
ist (Hotz et al., 1999).
Die dem Reizdarm zugrunde liegenden Ursachen
sind aufgrund des uneinheitlichen Beschwerdebildes betroffener Patienten sowie dem Fehlen
struktureller oder biochemischer Krankheitsmarker noch sehr umstritten. Die gegenwärtig
am häufigsten diskutierten Hypothesen werden
kurz erläutert:
2. Epidemiologie
Das Reizdarmsyndrom gehört zu den am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen in der
gastroenterologischen Praxis und ist weltweit
verbreitet. Die epidemiologischen Daten sind,
hauptsächlich aufgrund des Mangels an einer
standardisierten Definition des Reizdarms, begrenzt. In nationalen Datenbanken wird eine
Reihe verschiedener Definitionen verwendet,
welche direkte Vergleiche schwierig machen.
Publizierten Schätzungen zufolge variiert die
Inzidenz von 1– 36 % und die Prävalenz von
6,2 –12 % (Kay et al., 1994). In Europa wird eine
Prävalenz von 6,2 –12 % angenommen (Hungin
et al., 2003), wobei große Unterschiede zwischen
den einzelnen Nationen beobachtet wurden. In
den westlichen Industrienationen liegt die Prävalenz bei Frauen übereinstimmend höher als
bei Männern (Andrews et al., 2005).
3.1. Viszerale Hyperalgesie
Das Konzept der viszeralen Hyperalgesie ist bislang als einziges durch unabhängige Studien
übereinstimmend belegt (Mertz et al., 1995;
Ritchie, 1973). Unter viszeraler Überempfindlichkeit versteht man eine verringerte Schmerzschwelle im Gastrointestinaltrakt. Die erstmals
von Ritchie 1973 beschriebene Ballondistensionsstudie (Ritchie, 1973), legte den Grundstein
für das Konzept der viszeralen Hyperalgesie.
Die Studie zeigt, dass Patienten mit IBS, bei Rektosigmoid-Stimulierung durch intraluminale
Ballondehnung, die Stimuli aus dem Darm bei
niedrigerer Ausprägung als unangenehmer und
schmerzhafter empfinden als Probanden einer
gesunden Kontrollgruppe.
Der Mechanismus, der für die Entstehung
der viszeralen Hyperalgesie hauptsächlich verantwortlich ist, zeigt sich in einer Veränderung
der zentralnervösen Verarbeitung afferenter Signale, die durch folgende Veränderungen ausgelöst werden können (Mach, 2004):
•
•
durch lokale Irritationen von Nervenendigungen
durch minimale Entzündungen der Kolonmukosa (low grade Inflammation), ausgelöst durch eine erhöhte Anzahl an mucosalen Mastzellen im Kolon
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•
nach abdominal chirurgischen Eingriffen,
wie z. B. nach einer Hysterektomie, Cholezystektomie, Appendektomie oder nach Adhäsiolysen
Zentralnervöse Verarbeitungsprozesse, die die
Übertragung von viszeralen Reizen regulieren,
werden langfristig sensibilisiert und so verändert, dass sonst nicht bewusst verarbeitete Reize
als Schmerz wahrgenommen werden. Die viszerale Hyperalgesie kann zudem durch Stress,
Schlafmangel, Angst oder Infektionen verstärkt
werden und ist bei Frauen während der Menstruation ausgeprägter.
3.2. Gestörte Motilität
Verschiedenen Studien zufolge besteht bei Reizdarmpatienten im Vergleich zu Gesunden eine
veränderte Kolon-Motilität. Man nimmt an, dass
abnorme Motilitätsmuster und eine gestörte Peristaltik im gesamten GI-Trakt bei 25 –75 % der
Patienten im Mittelpunkt der Entwicklung des
Reizdarms stehen (Rogers et al., 1989). Durch
verschiedene Reize wie z. B. Stress oder Nahrungsaufnahme besteht bei IBS-Patienten oft
eine Hyperreagibilität der Darmmotorik. Eine
deutlich postprandial verstärkte rektosigmoidale Motilität konnte vorwiegend bei Patienten
mit Diarrhö-dominantem Reizdarmsyndrom
nachgewiesen werden.
Es gibt jedoch kein IBS-spezifisches Motilitätsmuster. Vielmehr ist die Motilitätsstörung
im Sinne einer „autonomen Dysfunktion“ in Abhängigkeit von der Qualität der zentralnervösen
Einflüsse vermindert oder gesteigert, wobei eine
Hypermotilität zu Diarrhö und eine Hypomotilität zu Obstipation führt (Mach, 2004). Dies bestimmt letztlich die klinische Ausprägung des
Reizdarmsyndroms in verschiedene Subtypen.
3.3. Dysregulationen von
Neurotransmittern
Serotonin (5-HT) ist der wichtigste Neurotransmitter des GI-Traktes und könnte eine Schlüsselrolle in der Pathogenese des IBS spielen. Ungefähr 90 % des im Magen-Darm-Trakt vorhandenen Serotonins werden in den enterochromaffinen Zellen (ECL) der Darmmukosa gebildet
und gespeichert (Crowell et al., 2004).
Serotonin entfaltet seine Wirkung über verschiedene Rezeptorsubtypen, wobei insbesondere die 5-HT3- und 5-HT4-Rezeptoren in der
Kontrolle der gastrointestinalen Funktion eine
wichtige Rolle spielen. Die Freisetzung von Serotonin im enterischen Nervensystem erhöht über
eine Aktivierung von 5-HT3- und 5-HT4-Rezeptoren die Flüssigkeits- und Elektrolytsekretion
und steigert die Motilität im Magen-Darm-Trakt.
Eine Blockade des 5-HT3-Rezeptors führt zu gesteigerter Flüssigkeits- und Elektrolytreabsorption im Dünndarm sowie zu einer Verzögerung
der Transitzeit im unteren Magen-Darm-Trakt.
Andererseits führt eine Aktivierung des 5-HT4Rezeptors zu einer intestinalen Wasser- und
Elektrolytsekretion ins Interstitium sowie zu einer lokalen Freisetzung von Neurotransmittern,
die zu einer Verstärkung des peristaltischen Reflexes führen. Demnach profitieren Diarrhö-dominante IBS-Patienten von 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Patienten, die vorwiegend an Obstipation leiden, von 5-HT4-Rezeptoragonisten.
Es konnte gezeigt werden, dass ein Überschuss an enterochromaffinen Zellen zu Diarrhö, andererseits eine verminderte Anzahl an
enterochromaffinen Zellen zu Obstipation führt
(Dunlop et al., 2005). Ebenso konnte beobachtet werden, dass Änderungen in der Expression
von Serotonin-Wiederaufnahmetransportern
die Symptome des Reizdarmsyndroms auslösen
können (Camilleri et al., 2007).
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3.4. Postinfektiöses Reizdarmsyndrom
und Antibiotika
Manchen IBS-Patienten ist dem Beginn der
Symptomatik eine gastrointestinale Infektion
vorausgegangen. Man spricht dann von einem
„postinfektiösen“ oder „postdysenterischen“
Reizdarmsyndrom.
In epidemiologischen Untersuchungen fand
sich bei 7– 30 % der IBS-Patienten eine gastrointestinale Infektion in der Anamnese (Neal et
al., 1997). Warum es nicht bei allen Patienten,
die eine solche Infektion durchmachen, zur
Entwicklung eines IBS kommt, ist gegenwärtig
offen. Ein Erklärungsansatz dafür wäre, dass
manche IBS-Patienten für Entzündungsreak­tio­
nen genetisch prädisponiert sind. Diese Patienten scheinen empfindlicher auf inflammatorische Stimuli zu reagieren und sind möglicherweise dadurch prädisponiert, nach einer Gastroenteritis ein Reizdarmsyndrom zu entwickeln
(Spiller, 2007).
Dass sich die Gabe von Antibiotika auf die
Darmflora durchaus negativ auswirken kann,
ist weitgehend bekannt. Dabei kommt es häufig
zu einer Störung der intestinalen Mikroökologie, die bei einem Teil der Patienten länger, mitunter auch chronisch, persistiert. Zu beachten
ist jedoch, dass die gastrointestinalen Symptome mitunter erst nach dem Absetzen der Medikamente, bzw. bis zu vier Monate nach einer
antibiotischen Therapie, auftreten und dann
oft nicht mehr mit der Antibiotika-Einnahme
in Verbindung gebracht werden. Besonders die
Einnahme von Breitbandantibiotika schädigt
die Darmflora nachhaltig (Barbara et al., 2000).
3.5. Die Rolle der Ernährung
beim Reizdarmsyndrom
Im Rahmen des Reizdarmsyndroms werden oft
Nahrungsmittelunverträglichkeiten angegeben,
wobei fette, gebratene oder blähende Speisen,
Alkohol, Zitrusfrüchte und Süßigkeiten sowie
Milch und Kaffee besonders häufig genannt wer-
Reizdarmsyndrom
den. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
einem Reizdarm und Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist aber bisher nicht aufgedeckt
worden.
Das Hauptproblem in der Ernährung von
Reizdarmpatienten dürfte in einer gesteigerten
gastrokolischen Reaktion auf Nahrungsmittel liegen. Kurz nach der Nahrungsaufnahme
kommt es zu einer nerval vermittelten Stimulation der Kolonmotilität. Diese ist bei IBS-Patienten gesteigert, was zu einem frühzeitigen bzw.
imperativen Stuhldrang nach den Mahlzeiten
führen kann und auch zur Schmerzauslösung
beiträgt. Besonders fettreiche Mahlzeiten werden von IBS-Patienten generell schlecht vertragen.
Die viszerale Hyperalgesie führt, insbesondere bei Nahrungsaufnahme mit starker
Füllwirkung im Darm, zu Beschwerden. Dazu
zählen Nahrungsmittel mit hoher osmotischer
Wirkung, aber auch faserreiche Kost, die eine
vermehrte Gasbildung induziert. Andernfalls
konnte auch gezeigt werden, dass es bei IBS-Patienten nach Lipidinfusionen in den Dünndarm
zu einer gesteigerten Perzeption von Dehnungsreizen im Kolon kommt, was wiederum eine Ursache für Schmerzen ist (Simren et al., 2007).
Von den subjektiven Unverträglichkeiten zu
trennen sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie die Laktoseintoleranz oder Fruktosemalabsorption, die teilweise bei mehr als 50 %
der Reizdarmpatienten nachgewiesen wurden
(Goldstein et al., 2000) und häufig der Symptomatik des Reizdarmsyndroms gleichen. Durch
die Malabsorption von Kohlenhydraten im
Dünndarm kommt es im Kolon über die bakterielle Bildung von kurzkettigen Fettsäuren zu
osmotischen Effekten und damit zu einer Motilitätssteigerung.
3.6. Psychosoziale Faktoren
Immer wieder werden psychische Komponenten als ursächliche Entstehungsfaktoren des
Reizdarmsyndroms diskutiert. Eine generell
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gesteigerte psychologische Morbidität kann bei
IBS-Patienten jedoch nicht nachgewiesen werden. Nur wenige IBS-Patienten (ca. 10 %) weisen
psychische Störungen oder psychosoziale Auffälligkeiten wie Ängstlichkeit, Depression, Beziehungsstörung oder Schlafstörung auf. Diese
psychopathologischen Auffälligkeiten sind jedoch unspezifisch und finden sich in vergleichbarem Umfang auch bei anderen funktionellen
Störungen (Hotz et al., 2001). Im Rahmen des
biopsychosozialen Modells wird bei IBS-Patienten davon ausgegangen, dass Einflussfaktoren
wie Umwelteinflüsse, Stress oder belastende
Lebensereignisse die Entwicklung eines Reizdarmsyndroms begünstigen können. Eine Verursachung des Reizdarmsyndroms durch Stress
wird jedoch als unwahrscheinlich angesehen
(Drossman et al., 2002).
Psychosoziale und soziokulturelle Faktoren,
die das Krankheitsgeschehen negativ beeinflussen, können beispielsweise emotionalen, sexuellen oder körperlichen Missbrauch sowie chronisch-sozialen Stress beinhalten. Sexueller oder
körperlicher Missbrauch in der Kindheit und
Adoleszenz wird in einigen Studien bei 20 – 30 %
der IBS-Patienten angegeben (Ali et al., 2000).
4. Klinik
Folgende Symptome gehören laut Konsensusbericht der Deutschen Gesellschaft für Ver­
dauungskrankheiten zum typischen Beschwerdebild des Reizdarmsyndroms (Hotz et al.,
1999):
1. Abdominelle Schmerzen, oft in Beziehung
zur Defäkation, wobei meist eine Erleichterung durch die Defäkation auftritt.
2. Veränderung der Defäkation in mindestens
zwei der folgenden Aspekte:
• Stuhlfrequenz
• Stuhlkonsistenz (hart, breiig, wässrig)
• Mühsame Stuhlpassage, gesteigerter
Stuhldrang, Gefühl der inkompletten
Darmentleerung, Schleimabgang
3. Gefühl eines aufgetriebenen Abdomens und/
oder Meteorismen
Je nach vorherrschenden Symptomen können
Patienten mit Reizdarm in verschiedene Untergruppen eingeteilt werden. Man unterscheidet
den Obstipations-Typ (engl.: IBS-C) vom Diarrhö-Typ (engl.: IBS-D) und dem alternierenden
Misch-Typ (engl.: IBS-A). Obwohl mehr als 80 %
der IBS-Patienten Schmerzen als dominierendes Symptom angeben, wird der so genannte
Schmerz- (engl.: IBS-P) und Meteorismus-Typ
(engl.: IBS-M) nur in wenigen Studien berücksichtigt. Ungefähr bei 50 % der Patienten liegt
ein Mischtyp, bei 30 % ein Diarrhö-Typ und bei
nur 20 % ein Obstipations-Typ vor (Guilera et al.,
2005). Die Unterteilung des Reizdarmsyndroms
in Subtypen ist insbesondere für die Auswahl
der Therapie von Bedeutung.
4.1. Obstipations-Typ (IBS-C)
Die Obstipation im Rahmen eines IBS-C ist entweder durch eine niedrige Stuhl-Frequenz oder
durch harte Stühle mit mühsamer Defäkation
bzw. dem Gefühl der inkompletten Stuhl-Entleerung gekennzeichnet. Tatsächlich hat die
Mehrzahl der Patienten mindestens einmal,
oft sogar mehrfach am Tag Stuhlgang. Zudem
sind Schleimbeimengungen häufig. Frauen sind
bei diesem Typ häufiger betroffen als Männer
(Schaub et al., 2001).
4.2. Diarrhö-Typ (IBS-D)
Charakteristisch für das Diarrhö-dominante
IBS, bei dem sowohl die Stuhlfrequenz als auch
die Stuhlkonsistenz verändert sein können, sind
mehrere breiige Stühle pro Tag, die vor allem
morgens oder unmittelbar postprandial auftreten. Oft besteht jedoch bei IBS-Patienten keine
objektiv nachweisbare Diarrhö, da das Stuhlgewicht meist im Normalbereich (< 200 g/Tag)
liegt. Es findet sich ein häufiger Stuhldrang,
wobei mehrere kleinere Stuhlmengen entleert
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werden. Demgegenüber stehen nächtliche Diarrhöen, die nicht typisch für das Reizdarmsyndrom sind. Derartige Angaben sollten zu differentialdiagnostischen Überlegungen führen.
Bei dieser Untergruppe sind Männer häufiger
betroffen als Frauen. Oft tritt der Diarrhö-Typ
nach bakteriellen Infekten auf (Schaub et al.,
2001).
4.3. Alternierender-Typ (IBS-A)
Reizdarmsyndrom
Tabelle 1. Reizdarmassoziierte Symptome des IBS
Intestinale Symptome:
Extraintestinale
Symptome:
•• Funktionelle Dyspepsie
•• Gallenblasendysfunktion
•• Dysphagie
•• Globussyndrom
•• Sodbrennen
•• Nicht-saures Aufstoßen
•• Postprandiales Völlegefühl
•• Müdigkeit
•• Konzentrationsschwäche
•• Funktionelle Herzschmerzen
•• Rückenschmerzen
•• Kopfschmerzen
•• Affektive Störungen
•• Sexuelle Dysfunktion
•• Schlafstörungen
Das Hauptcharakteristikum dieser Untergruppe ist ein ständiger Wechsel zwischen Obsti­
pation und Diarrhö, wobei Diarrhö mit 30 %
häufiger als Obstipation (20 %) auftritt. Das spezifischste und einfachste Kriterium für die Charakterisierung des Mischtyps stellt die Stuhlkonsistenz dar. Es treten einerseits harte, bröckelige Stühle auf, andererseits auch Stühle, die
dünn und wässrig erscheinen. Auch die Stuhlfrequenz ist verändert, wobei diese eher erhöht
als vermindert ist (Schaub et al., 2001).
des Reizdarms, deren Pathogenese weitgehend
ungeklärt ist. Möglicherweise wirken mehrere
Mechanismen, wie zum Beispiel eine verlängerte
Kolontransitzeit und eine verstärkte Wahrnehmung der Gasvolumina durch die Hypersensitivität, zusammen (Azpiroz et al., 2005). In jedem
Fall sollten bei Blähungen Kohlenhydratresorptionsstörungen ausgeschlossen werden.
4.4. Schmerz-Typ (IBS-P)
4.6. Reizdarmassoziierte Symptome
Die abdominalen Schmerzen im Rahmen des
Reizdarmsyndroms werden oft als spastisch
oder kolikartig beschrieben. Das Beschwerdemaximum wird meist im linken oder rechten
Unterbauch, gelegentlich aber auch im Bereich
der Kolonflexuren lokalisiert. In vielen Fällen
besteht eine zeitliche Beziehung zur Defäkation,
wobei es bei der Mehrzahl der Patienten nach
dem Stuhlgang zur Symptomlinderung kommt.
Schmerzen werden in verstärktem Maße beim
alternierenden Typ (IBS-A) berichtet (Tillisch et
al., 2005).
Neben den Leitsymptomen des Reizdarmsyndroms geben die Patienten häufig auch Beschwerden an, die nicht unmittelbar auf den
Darm bezogen werden (siehe Tabelle 1).
4.5. Meteorismus-Typ (IBS-M)
Häufig berichten IBS-Patienten über Blähungen.
Bei einer Reihe von Patienten lässt sich auch eine
progrediente Zunahme des Bauchumfangs im
Tagesverlauf objektivieren. Meteorismen und
Flatulenz gehören jedoch zu den Symptomen
5. Diagnose
Da sich Gastrointestinale Funktionsstörungen
nicht anhand biochemischer oder struktureller
Normabweichungen erklären lassen, muss die
Diagnose aufgrund der vorliegenden Symptome
erfolgen. Es handelt sich bei diesem Krankheitsbild also um eine „Ausschlussdiagnostik“.
In erster Linie ist es notwendig, dass möglicherweise vorliegende organische, metabolische, infektiöse oder strukturelle Erkrankungen
ausgeschlossen werden.
Auf den primären Symptomen des Reizdarms basierend, wurden diagnostische Kriterien entwickelt, die heutzutage in Form der
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Tabelle 2. Diagnosekriterien des Reizdarmsyndroms –
Rome-II-Kriterien
Abdominelle Beschwerden oder Schmerzen müssen
während der letzten zwölf Monate über mindestens
zwölf Wochen bestanden haben. Sie können diskontinuierlich aufgetreten sein, müssen aber zwei oder drei
der folgenden Merkmale aufweisen:
•• Linderung der Beschwerden nach Defäkation und/
oder
•• Veränderung der Stuhlfrequenz und/oder
•• Veränderung der Stuhlkonsistenz
Folgende Symptome können die Diagnosestellung
positiv unterstützen:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Weniger als drei Stühle pro Woche
Mehr als drei Stühle pro Tag
Harte oder klumpige Stühle
Dünne oder wässrige Stühle
Pressen während der Defäkation
Stuhldrang
Gefühl der unvollständigen Entleerung
Schleimabgang
Blähungen oder aufgetriebenes Abdomen
Rom-II-Kriterien zur Anwendung kommen
(siehe Tabelle 2) (Drossman et al., 2002).
Eine ausführliche Anamnese ist in der Diagnostik des Reizdarmsyndroms unerlässlich.
Dabei kommt der Ernährungsanamnese besondere Bedeutung zu, da verminderte oder überschüssige Zufuhr von Ballaststoffen, schwer
resorbierbarer Zucker wie Fruktose oder die
Zufuhr von Stimulantien der Peristaltik (Kaffee
und Tee), die Symptome eines IBS auslösen oder
verstärken können.
Folgende Befunde werden in der klinischen
Untersuchung häufig beobachtet, sind aber weder obligat noch beweisend (Hotz et al., 1999):
•
•
•
Palpables, druckdolentes Sigma oder
­schmerzhafte Ileozökalregion
Narben, vorausgegangener abdominaler
Operationen (Status post Appendektomie,
Cholezystektomie, etc.)
Reproduzierbarkeit der Schmerzen bei rektaler Palpation und/oder Luftinsufflation
Wurden die Diagnosekriterien erfüllt und besteht nach Anamnese und körperlicher Untersuchung kein Verdacht auf eine organische Grunderkrankung, so sollte eine Basisdiagnostik
durchgeführt werden. Diese beinhaltet eine
Laboruntersuchung, eine Sonographie des Abdomens als auch eine Stuhluntersuchung auf
pathogene Erreger. Um Nahrungsmittelunverträglichkeiten ausschließen zu können, sollten
H2-Atemtests durchgeführt werden. Gegebenenfalls kann eine Gastro- oder Koloskopie, insbesondere bei Patienten mit einem Alter über
50 Jahren oder einer positiven Familienanamnese hinsichtlich kolorektaler Karzinome, angeordnet werden. Sollten sich alle bisherigen Untersuchungsergebnisse als unauffällig herausstellen und auch erste Therapieversuche keinen
Erfolg zeigen (siehe Kapitel 7), wird eine Überweisung in eine Spezialambulanz empfohlen, wo
weitere Untersuchungen hinsichtlich Pankreasfunktionsstörungen, einer bakteriellen Fehlbesiedelung des Dünndarms (SIBOS) oder beispielsweise einer verlängerten orozökalen Transitzeit durchgeführt werden. Im weiteren Sinne
können dort organische Ursachen mittels apparativen Untersuchungen wie einer Röntgenkontrastmitteluntersuchung des Dünndarms, einer
Irrigoskopie, einer Messung der Kolontransitzeit
(Hinton Test) sowie einer Defäkographie oder einer anorektalen Manometrie abgeklärt werden.
6. Differentialdiagnose
Bei Auftreten von so genannten „Alarmsymptomen“, die für ein IBS untypisch sind, muss an
eine andere Ursache der Beschwerden gedacht
werden (Hammer et al., 2004) (siehe Tabelle 3).
Eine der häufigsten Differentialdiagnosen
stellen die Nahrungsmittelunverträglichkeiten
sowie die bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarmes (SIBOS – small intestinal bacterial overgrowth syndrome) dar.
Ein Überblick der beim Reizdarmsyndrom
in Frage kommenden Differentialdiagnosen ist
in Tabelle 4 zusammengefasst.
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Reizdarmsyndrom
Tabelle 3. Alarmsymptome des Reizdarmsyndroms
Symptome
Labor
••
••
••
••
•• erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit
•• Anämie
•• Leukozytose
•• Eosinophilie
•• positiver HämoccultTest
Fieber
Blut im Stuhl
Gewichtsverlust
Erstmanifestation
> 60 Jahre
•• Stetige Zunahme der
Beschwerden
•• Störung der Nachtruhe
durch Beschwerden
7. Therapie
Nachdem das Reizdarmsyndrom ein heterogenes Krankheitsbild darstellt, kann kein einheitliches Therapiekonzept erstellt werden. Da IBSPatienten meist lebenslang mit den Symptomen
der Krankheit, wenn auch in unterschiedlicher
Ausprägung, zu tun haben, steht im Mittelpunkt
der therapeutischen Bemühungen die Verbesserung der Lebensqualität.
Nach dem Konsensus der deutschen Gesellschaft für Verdauungsstörungen stützt sich die
Therapie auf drei Säulen (Hotz et al., 1999):
•
•
•
Allgemeinmaßnahmen (ärztliche Führung,
Patientenaufklärung, Ernährung, Sport)
Symptomatische medikamentöse Therapie
Psychotherapie
7.1. Allgemeinmaßnahmen
Wichtig ist eine Aufklärung des Patienten über
die Gutartigkeit der Erkrankung, wodurch dem
Patienten die Angst genommen werden soll, an
einer gefährlichen Erkrankung zu leiden. Abbau
von beruflichen und privaten Stressfaktoren
und gegebenenfalls eine Konfliktklärung in psychosozialen Bereichen sind erstrebenswert.
Milde tägliche körperliche Betätigung wirkt
sich durchaus positiv auf die Darmfunktion aus.
Bei Patienten, die vorwiegend an Obstipation leiden, konnte gezeigt werden, dass regelmäßiges
körperliches Training das Stuhlgangsverhalten
Tabelle 4. Differentialdiagnosen des Reizdarmsyndroms
Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Laktose, Fruktose, Sorbit, Gluten
Nahrungsmittel­
allergien
Kuhmilch, Soja
Infektionen
Bakterien, Protozoen, Viren,
Pilze
Mineralstoffe/
Spurenelemente
Hypomagnesiämie, Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Hypokalzämie
Endokrin-metaboli- Hyper-, Hypothyreose
sche Dysfunktionen
Erkrankungen des
Verdauungstraktes
Chronische Pankreatitis, Bakterielle Fehlbesiedelung d. Dünndarms (SIBOS), Kurzdarmsyndrom, Kolon-Karzinom, Divertikulose, Verwachsungen,
Mb. Crohn, Colitis ulzerosa,
Gallensäureverlustsyndrom
Neurologische
Erkrankungen
Mb. Parkinson, Multiple Sklerose, Diabetische Neuropathie
Psychiatrisch
Angst, Depressionen
Gynäkologische
Erkrankungen
Endometriose, Retroflexion
uteri, Uterusmyom
Medikamente
Laxantien, Zytostatika, Antazida, Antibiotika, L-Thyroxin,
Opiate, Diuretika, Trizyklische
Antidepressiva, Eisentabletten
Chronische Intoxikationen
Alkoholabusus, Urämie
Sonstiges
Bettlägrigkeit bzw. Bewegungsmangel
und die Transitzeit verbessert (De Schryver et
al., 2005).
7.2. Ernährungstherapie
Häufig erwarten IBS-Patienten zur Linderung
der Beschwerden konkrete diätetische Anweisungen, nachdem diese die Symptome oftmals
in Verbindung mit verschiedensten Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln bringen. Da die
Symptome des Reizdarmsyndroms sehr vielfäl187
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Tabelle 5. Nahrungsmittel, die häufig IBS-Beschwerden
auslösen
•• Milch und Milchprodukte: Frischkäse, Käse, Butter,
Speiseeis, Schokolade, Pudding
•• Alkohol: Bier, Wein, alkoholhältige Nahrungsmittel
•• Koffeinhältige Produkte: Kaffee, Tee, Cola
•• Gewürze, scharfe Soßen, Chili
•• Früchte und Fruchtsäfte, Äpfel, Apfelsaft, Orangensaft, Zitrusfrüchte
•• Diät- od. Diabetikerprodukte, zuckerfreie Produkte, „Light-Produkte“
•• Fast Food, chinesische Gerichte
•• Zutaten: Ketchup, Senf, Mayonnaise
•• Kohl-, Kraut-, Bohnen- und Lauchgemüse
•• Frische, ungenügend ausgebackene Teig- und Brotwaren
•• Diverse Saucen
tig sind und für die diversen Subgruppen unterschiedliche auslösende Faktoren verantwortlich
sind, kann keine einheitliche Ernährungsempfehlung gegeben werden.
Das Ziel der ernährungsmedizinischen Therapie sollte die Linderung der Beschwerden, die
Vermeidung einer unausgewogenen, einseitigen Kost sowie die Abklärung und Behandlung
von Nährstoffdefiziten sein. Generell wäre eine
regelmäßige, ausgewogene und an die individuellen Bedürfnisse angemessene Mischkost
erstrebenswert. Bei nachgewiesenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten sollte eine Eliminationsdiät für drei Monate eingehalten werden.
Anschließend kann probatorisch eine sukzessive Wiedereinführung der Speisen erfolgen.
Zahlreichen Erfahrungen nach sollten fette, blähende, sehr süße Speisen, scharfe Gewürze, zu
kalte, heiße oder kohlensäurehaltige Getränke,
Alkohol sowie frische bzw. ungenügend ausgebackene Teig- und Brotwaren vermieden werden. Auch salizylatreiche Lebensmittel wie Rosinen, Honig, Mandeln, Orangen, Gurken oder
Tomaten sowie Lebensmittel mit einem hohen
Anteil an biogenen Aminen (Käsesorten wie
Gouda und Camembert als auch Thunfisch und
Rotwein) können die Symptome des Reizdarmsyndroms auslösen oder verstärken.
In Tabelle 5 sind Nahrungsmittel angegeben,
die häufig Reizdarmbeschwerden auslösen.
7.2.1. Ballaststoffe
Eine häufige Therapieempfehlung im Zuge des
Reizdarmsyndroms ist die Erhöhung der Ballaststoffzufuhr, obwohl unterstützende Daten
dafür fehlen (Aller et al., 2004).
Ballaststoffe verkürzen meistens die Transitzeit der Nahrung, wodurch eine günstige
Wirkung bei Verstopfung und unregelmäßigem
Stuhlgang entstehen kann. Man unterscheidet
dabei wasserunlösliche Faserstoffe wie Weizenkleie, Hafer oder Leinsamen sowie Ballaststoffe
aus der Guarbohne, von den wasserlöslichen
Gelbildnern wie Flohsamenschalen oder Pektin,
die das Stuhlvolumen vorwiegend durch Wasseraufnahme steigern.
Nach Analyse verschiedener Literaturdaten
zeigt sich, dass Gelbildner die Beschwerden des
Reizdarmsyndroms günstiger beeinflussen als
Kleie (Bijkerk et al., 2004). Generell werden die
Gelbildner aufgrund der geringeren Gasbildung
den Faserstoffen vorgezogen. Kontrollierte Studien zeigen, dass sich eine Erhöhung der Fasermenge beim Obstipations-Typ durchaus als positiv erweisen kann (Fernandez-Banares, 2006).
Die Anwendung einer ballaststoffreichen Diät
beim reinen Schmerz- oder Meteorismus-Typ ist
kontraindiziert, da die Beschwerden – hauptsachlich infolge der vermehrten Gasbildung –
deutlich verstärkt werden können.
7.2.2. Probiotika
Probiotika werden als lebende Mirkoorganismen definiert, die in ausreichender Menge in
den Darm gelangen und dadurch positive gesundheitliche Effekte erzielen sollen.
In mehreren Studien konnte belegt werden,
dass therapeutische Effekte mithilfe spezifischer Probiotika bei funktionellen Darmerkrankungen erzielt werden können (Camilleri, 2006;
Quigley et al., 2007). Ein signifikanter Effekt
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Reizdarmsyndrom
Tabelle 6. Probiotika in der Therapie des Reizdarmsyndroms
Studie
Probiotikum
Design
(n)
Therapie­
dauer
Therapie Effekt
Möllenbrink et al
(Krammer et al., 2006)
E. coli-Nissle
Stamm
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
  70
8 Wochen
Besserung von Obstipation
Koebnick et al
­(Koebnick et al., 2003)
Lactobacillus casei
Shirota
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
  70
4 Wochen
Besserung von Obstipation
Heaton et al
(Halpern et al., 1996)
Lactobacillus
­acidophilus
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
  18
6 Wochen
Besserung von Obstipation, Meteorismus
Niedzielin et al
­(Niedzielin et al., 2001)
Lactobacillus
­plantarum
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
  40
4 Wochen
Besserung von
Schmerzen, Obsti­
pation
O´Sullivan et al
Lactibacillus GG
(O'Sullivan et al., 2000)
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
  25
8 Wochen
Besserung von Diarrhö
Whorwell et al
­(Whorwell et al., 2006)
randomisiert, doppelblind, plazebokontrolliert
362
4 Wochen
Besserung von
Schmerzen, Meteo­
rismus
Bifidobacterium
infantis 35624
hinsichtlich der Besserung von Obstipationen
konnte durch Lactobacillus casei Shirota (Koebnick et al., 2003) und E. coli Stamm Nissle 1917
(Krammer et al., 2006) erreicht werden. Schmerzen und Meteorismen konnten durch Lactobacillus plantarum (Niedzielin et al., 2001) gelindert werden.
In Tabelle 6 wird ein Überblick über die derzeitige Studienlage zu den Therapie-Effekten
verschiedener verfügbarer Probiotika gegeben.
7.2.3. Symptomorientierte Ernährungsempfehlungen
IBS-O Patienten mit Obstipation profitieren
sowohl von wasserlöslichen als auch von wasserunlöslichen Ballaststoffen. Obwohl manche
Studien widersprüchliche Ergebnisse liefern,
sollte dies aus ernährungstherapeutischer Sicht
immer als erster Schritt in der Therapie der Obstipation angewandt werden. Bei akut auftretender Obstipation gilt es jedoch mechanische
Obstruktionen, bei denen Ballaststoffe kontraindiziert sind, auszuschließen. Die vermehrte
Ballaststoffzufuhr sollte anfangs nur langsam
einschleichend begonnen werden, um unerwünschte Nebenwirkungen wie Blähungen zu
vermeiden. Die wichtigsten Ballaststofflieferanten sind Getreideprodukte, Obst und Gemüse,
Hülsenfrüchte und getrocknete Pflaumen.
IBS-D Patienten, bei denen Durchfälle im
Vordergrund stehen, profitieren am ehesten von
wasserunlöslichen Ballaststoffen. Aufgrund des
hohen Wasserbindungsvermögens tragen diese
zu einer Stuhlregulation bei.
IBS-M Nahrungsmittel, die zu erhöhter
Gasbildung im Kolon führen, sollten bei IBSPatienen vom Meteorismus-Typ vermieden
werden. Hierzu zählen schlecht resorbierbare
Kohlehydrate, die im Kolon zu kurzkettigen
Fettsäuren und Darmgasen (H2, CO2) abgebaut
werden. Demnach sollten Lebensmittel mit hohem Gehalt an Raffinose, Verbascose, Stachyose
und Inulin (Bohnen, Lauch, Kraut, Zwiebel) so189
Buch 1.indb 189
15.10.2009 11:11:50
Kap. 12.4 D. Neidl und M. Ledochowski
wie Nahrungsmittel mit resistenter Stärke vermieden werden. Die resistente Stärke wird im
Kolon bakteriell fermentiert und ist dann eine
weitere Quelle für die Produktion von Gasen
im Dickdarm. Zu den Nahrungsmitteln mit hohem Anteil an resistenter Stärke zählen unzureichend gekochte Kartoffeln, unreife Bananen,
rohes Gemüse, gekochte und wieder abgekühlte
Lebensmittel, Vollkorn- und Haferbrot, Kekse
und Cornflakes.
Zuckeralkohole wie Sorbit können beim
Verzehr von größeren Mengen nicht vollständig
resorbiert werden und gelangen dadurch in den
Dickdarm, wo sie zu einer vermehrten bakteriellen Gasbildung führen. Zuckeralkohole sind
hauptsächlich in Früchten, Diabetikerprodukten, Kaugummis und Soft-Drinks enthalten.
7.3. Medikamentöse Therapie
Die derzeit zur Verfügung stehenden Medikamente können einzelne Beschwerden lindern,
das IBS jedoch nicht heilen. Die Indikationen
für die einzelnen gebräuchlichen Substanzklassen und Medikamente richten sich nach den
vorherrschenden Symptomen des Reizdarmsyndroms. Eine evidenzbasierte medikamentöse
Behandlung umfasst heute neben etablierten
Medikamenten wie Spasmolytika, Prokinetika,
Probiotika und Antidiarrhoika folgende neu entwickelte Substanzen:
7.3.1. 5-HT3-Antagonisten
Alosetron, ein 5-HT-3-Antagonist, wurde für
Patienten mit diarrhöbetontem Reizdarmsyndrom (IBS-D) in den USA im Jahr 2000 zugelassen (Houghton et al., 2000). Alosetron verlangsamt den pathologisch beschleunigten Kolontransit und reduziert Schmerzen bei Frauen mit
Diarrhö-dominantem IBS. Bisher ist unbekannt,
warum diese Substanz nur bei Frauen wirksam
ist. Alosetron wurde wegen schwerer Nebenwirkungen vorübergehend vom Markt genommen.
Ondansetron, ein weiterer 5-HT-3-Antagonist, der vorerst als Antiemetikum auf dem
Markt angeboten wurde, wird heute auch in der
Therapie des Diarrhö-dominanten Reizdarmsyndroms erfolgreich eingesetzt (Steadman et
al., 1992). Es verlängert die Dickdarm- und orozökale Transitzeit.
Renzapride ist ein partieller 5-HT-3-Antagonist und 5-HT-4-Agonist. Da dieser Wirkstoff
motilitätssteigernd wirkt, wird er bei Patienten
mit IBS vom Obstipationstyp (IBS-C) angewendet (Camilleri et al., 2004).
7.3.2. 5-HT4-Agonisten
Tegaserod, ein spezifischer partieller 5-HT-4Rezeptoragonist, wurde speziell für ReizdarmPatienten mit vorherrschender Obstipation
entwickelt. Es wirkt im gesamten Magen-DarmTrakt prokinetisch. Dadurch kommt es zu vermehrten Stuhlgängen mit weicherer Konsistenz.
Zudem können abdominale Schmerzen gebessert werden (Müller-Lissner et al., 2001).
7.3.3. Psychopharmaka
Trizyklische Antidepressiva (TCA), selektive
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI).
Psychopharmaka haben neben den psychotropen (antidepressiven, anxiolytischen und/oder
neuroleptischen) Wirkungen auch neuro-modulatorische, analgetische und anticholinerge
Effekte, die bei IBS-Patienten von Nutzen sein
können. Die Indikation ist bei chronischen therapieresistenten, mittelschweren bis schweren
abdominellen Schmerzzuständen gesichert
(Drossman, 1995). Die zur symptomatischen
Behandlung verwendete Dosis liegt im Allgemeinen unterhalb derjenigen, die zur erfolgreichen Therapie psychiatrischer Erkrankungen
notwendig ist.
Aufgrund der anticholinergen Wirkung von
TCA sind diese für Patienten mit Diarrhö-dominanten Symptomen geeignet (Gorard et al., 1994).
Empfohlen werden Amitryptilin, Imipramin
190
Buch 1.indb 190
15.10.2009 11:11:51
und Desipramin, wobei initial niedrige Dosen
(z. B. 10 – 25 mg Amitriptylin/Tag) über mehrere
Wochen auf die für den Patienten optimale Dosis (bis 75 mg) gesteigert werden (Drossman et
al., 2002). TCA´s werden auch dann angewandt,
wenn eine Komorbidität mit Depressionen und
Zwangsstörungen besteht. Beim Obstipationdominanten IBS werden SSRI´s wie Fluoxetin,
Sertraline oder Citalopram empfohlen, insbesondere auch dann, wenn Angst- oder Panikstörungen vorliegen (Tack et al., 2006; Vahedi et al.,
2005).
7.3.4. Antibiotika
Rifaximin, Neomycin, Metronidazol. Erst
vor kurzem konnte gezeigt werden, dass Antibiotika wie Rifaximin, Neomycin und Metronidazol die Symptome des IBS durchaus verbessern können (Sharara et al., 2006). Rifaximin ist
ein semisynthetisches Derivat von Rifamycin
und hoch aktiv gegen gramnegative und grampositive, aerobe als auch anaerobe Bakterien. Da
es sich um ein orales, nicht resorbierbares Antibiotikum handelt, sind wenig Nebenwirkungen
zu befürchten. Rifaximin eignet sich daher auch
für länger dauernde Anwendungen und lindert
in erster Linie Blähungen im Rahmen des IBS.
Neomycin aus der Gruppe der Aminoglykoside
führt ebenfalls bei oraler Verabreichung zur
Reduktion der Symptome eines Reizdarms (Pimentel et al., 2003). Auch durch Metronidazol,
das bakterizid gegen Anaerobier wirkt, konnten
positive Effekte vor allem gegen abdominelle
Schmerzen erzielt werden (Nayak et al., 1997).
Die Anwendung von Antibiotika leitet sich
von Studien (Pimentel et al., 2000) ab, nach denen die intestinale bakterielle Fehlbesiedelung
von IBS-Symptomen begleitet ist. Da das Vorliegen einer bakteriellen intestinalen Fehlbesiedelung, die auf antibiotische Therapie anspricht,
definitionsgemäß ein IBS ausschließt, ist eine
antibiotische Behandlung von IBS-Patienten
ohne diagnostische Sicherung der bakteriellen
Fehlbesiedelung eher nicht indiziert.
Reizdarmsyndrom
7.3.5. Opioid-Kappa-Rezeptoragonisten
Fedotozine, Asimadoline. Opioid-Kappa-Rezeptoragonisten wirken über eine pharmakologische Modulation der afferenten Opioid-Kappavermittelten Schmerzwahrnehmung und führen
so zu einer Reduktion der viszeralen Hypersensitivität bei Reizdarm-Patienten. In einer kontrollierten Studie (Dapoigny et al., 1995) hat sich
sowohl der Opiat-Kappa-Rezeptoragonist Fedotozine als auch Asimadoline bei IBS-Patienten
vom Schmerz- und Meteorismus-Typ als effektiv erwiesen. Man nimmt an, dass Asimadoline
durch die Blockierung der Natrium-Kanäle im
Verdauungstrakt einen antinozizeptiven Effekt erzielt. Es reduziert die Wahrnehmung von
Schmerzen, die durch Dehnung im Kolon ausgelöst werden (Delvaux et al., 2004). Durch den
Opiat-Kappa-Partialagonist Fedotozin können
sowohl Schmerzen als auch Blähungen signifikant gebessert werden (Dapoigny et al., 1995).
7.4. Psychotherapie
Die Indikation zur psychotherapeutischen Mitbehandlung ist gegeben, wenn die Beschwerden
langjährig persistieren und großen Leidensdruck
verursachen oder eine klinisch-relevante psychische Störung vorliegt bzw. psychosoziale Faktoren eine Rolle für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Verlauf des IBS spielen. Weitere mögliche Indikationen liegen vor, wenn internistischpharmakotherapeutische Maßnahmen bisher
keinen oder einen nur unzureichenden Erfolg
hatten (Hotz et al., 1999).
8. Verlauf und Prognose
Patienten mit Reizdarmsyndrom sind in ihrer
Lebenserwartung gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht eingeschränkt. Man stellte
jedoch fest, dass aufgrund des hohen Leidensdrucks und des oft chronischen Verlaufs der
Erkrankung es darüber hinaus zu einer enormen und vor allem langjährigen Minderung
191
Buch 1.indb 191
15.10.2009 11:11:51
Kap. 12.4 D. Neidl und M. Ledochowski
der Lebensqualität der Betroffenen kommt. Die
Lebensqualität wurde mit Tests, wie dem ShortForm 36 (SF-36), erfasst (Drossman et al., 2002).
Dabei zeigte sich, dass die eingeschränkte Lebensqualität ähnlich stark ausgeprägt ist wie
bei anderen chronischen Erkrankungen, beispielsweise bei Diabetes mellitus Typ 2, bei Nierenerkrankungen im Endstadium und bei Depressionen. Die Beschwerden können hingegen
bei einer Mehrzahl der Patienten aufgrund der
chronisch rezidivierenden Symptome über viele
Jahre persistieren. Über einen Zeitraum von fünf
Jahren werden bei richtiger Behandlung jedoch
bis zu 50 % der Betroffenen beschwerdefrei.
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