1,0 MB - research - Das Bayer

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Therapien gegen Tuberkulose verbessern
Kampf gegen schlafende Keime
Tuberkulose schien besiegt – ein Trugschluss. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit den gefährlichen Erregern infiziert.
Bayer-Wissenschaftler überprüfen derzeit in klinischen Studien, ob das Antibiotikum Moxifloxacin helfen könnte, die
heimtückische Krankheit einzudämmen. Zudem arbeiten sie mit Partnern in einem globalen Netzwerk an der Entwicklung
von neuen Therapie-Strategien gegen die gefährlichen Tuberkulose-Bakterien.
Lange herrscht im Körper eine trügerische Ruhe: Oft merken die Betroffenen
über mehrere Jahre nicht, dass sie sich mit
Tuberkulose infiziert haben. Denn wenn
unser Immunsystem voll intakt ist und
stark genug, hält es die Bakterien in Schach.
Doch sobald sich der Organismus mit anderen Keimen infiziert und die Immunabwehr
durch zusätzliche Aufgaben abgelenkt ist,
erwachen die Erreger aus ihrem Dornröschenschlaf: Die Entzündungsherde, auch
Tuberkel genannt, werden plötzlich aktiv
und brechen aus. Tausende Erreger überschwemmen den Körper – und es entsteht
die gefährliche „offene Tuberkulose“.
Die Standardtherapie heute
besteht aus vier Antibiotika
Und obwohl der Erreger in der Medizin
schon lange bekannt ist, ist Tuberkulose –
kurz TB – noch immer sehr schwer therapierbar: „TB-Patienten müssen heute eine
Standardtherapie bestehend aus vier verschiedenen Antibiotika über einen Zeitraum
von sechs Monaten einnehmen“, sagt Dr.
Martin Springsklee, Leiter Global Medical
20
Alle 20 Sekunden stirbt ein
Mensch an Tuberkulose.
Sekunden
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Klinisch rein: Unter sterilen Bedingungen wird
das Antibiotikum Moxifloxacin für klinische
Studien präpariert. Verlaufen die Studien
erfolgreich, werden Pharmakologen wie Diana
Gross das Arzneimittel für TB-Patienten zu
erschwinglichen Preisen produzieren.
von Moxifloxacin auf dem Gebiet der
Tuberkulose bei Bayer HealthCare. Die
gefürchteten Resistenzen treten meist auf,
wenn Patienten die Therapie unterbrechen
oder vorzeitig beenden. Dann überleben
vor allem die besonders widerstandsfähigen Erreger und vermehren sich. Und
gegen Tuberkulose, die durch resistente
Keime verursacht wird, helfen die verfügbaren Medikamente dann überhaupt nicht
mehr: „Wir brauchen deshalb dringend
neue Wirkstoffe und Behandlungsansätze“,
sagt Mel Spigelman, Direktor der Global
Alliance for TB Drug Development, kurz
TB Alliance. Die Organisation forciert die
weltweite Entwicklung von Arzneimitteln
gegen Tuberkulose. Spigelman: „Wir bringen Forschungseinrichtungen, Geldgeber
und die Pharmaindustrie an einen Tisch.“
Moxifloxacin könnte auch
Tuberkulose-Patienten helfen
Affairs Anti-Infectives bei Bayer HealthCare.
Zwar leiden nur etwa zehn Prozent der TBInfizierten an der offenen Tuberkulose, aber
deren Ansteckungspotenzial ist hoch. Und
unbehandelt endet die Erkrankung meist
tödlich oder hinterlässt zumindest schwere
bleibende Schäden.
Ein weiteres Problem ist, dass die verfügbaren TB-Medikamente an Wirksamkeit verlieren. Wer heute an Tuberkulose
erkrankt, erhält Arzneimittel, die in den
1960er-Jahren entwickelt wurden. „Mittlerweile haben sich die Bakterienstämme
aber verändert und sind gegen viele der
herkömmlichen Antibiotika unempfindlich
geworden“, sagt Dr. Maria-Luisa Rodriguez,
globale Projektleiterin für die Entwicklung
Auch Bayer HealthCare ist der TB Alliance
beigetreten: Bereits seit 2005 unterstützt
das Unternehmen den Kampf gegen
Tuberkulose, indem es das Antibiotikum
Moxifloxacin der TB Alliance für klinische
Studien zur Verfügung stellt. „Mit dieser
Substanz werden bereits schwere Lungeninfektionen wie Pneumonien behandelt“,
so Springsklee. Und das war ein wichtiger
Ansatzpunkt für die TB-Forschung: Wissenschaftler testeten die Wirksamkeit von
Moxifloxacin erfolgreich gegen Tuberkulose-Bakterien, die sich leicht und oftmals
unbemerkt durch die klassische Tröpfchen-Infektion beim Husten oder Sprechen übertragen. Deshalb sind auch meist
Fotos: Sabine Bungert/Bayer AG (3), SPL/Agentur Focus (1), University of St. Andrews (1), TB Alliance (1)
Tuberkulose Medizin
Immunsystem im Einsatz: Eine Fresszelle – eine sogenannte Makrophage – macht sich im menschlichen Körper über TB-Bakterien (orange) her.
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„Wir brauchen ­dringend
neue ­Wirkstoffe und
Behandlungsansätze
gegen Tuberkulose.“
Mel Spigelman,
Direktor der Global Alliance for TB
Drug Development
die Lungen von der Krankheit betroffen.
Prinzipiell kann aber jedes Organ befallen werden. „Es stellte sich heraus, dass
Moxifloxacin Tuberkulose-Bakterien sehr
schnell abtöten kann – das machte es zu
einem Kandidaten für eine mögliche Therapie“, sagt Springsklee.
Gemeinsam mit weiteren Partnern
starteten die Wissenschaftler der TB
Alliance und von Bayer HealthCare die
sogenannte REMox-TB-Studie: Dabei
wird Moxifloxacin in Kombination mit
drei weiteren Medikamenten als „VierWirkstoff-Therapie“ an rund 1.900 Tuberkulose-Patienten untersucht. „Die Studie
läuft an über 48 Standorten in neun Ländern – und ist damit eine der größten
Anstrengungen in der modernen Tuberkulose-Forschung“, erklärt Spigelman. Die
Bayer-Wissenschaftler steuern dabei nicht
nur ein Medikament bei, sondern auch ihr
umfangreiches Know-how in der Entwicklung von Arzneimitteln. „Außerdem wollen wir Moxifloxacin für TB-Patienten zu
erschwinglichen Preisen produzieren und
auf den Markt bringen, wenn die REMoxTB-Studie erfolgreich ist“, sagt Rodriguez.
Tuberkulose-Keime arbeiten
mit vielen biologischen Tricks
Das wäre ein wichtiger Meilenstein für
die Tuberkulose-Behandlung, denn: „Alle
20 Sekunden stirbt ein Mensch an TB und
bis zu neun Millionen Menschen erkranken jedes Jahr“, erklärt Springsklee. Bayer
HealthCare und die TB Alliance wollen die
Therapiedauer von derzeit sechs auf vier
Monate reduzieren. Es wäre ein großer
Vorteil: „Denn je kürzer die Behandlung,
desto höher ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die Patienten die Therapie bis zum
Tuberkulose-Bakterien kennen keine Grenzen
Weltweit stecken sich jedes Jahr bis zu neun Millionen Menschen mit Tuberkulose an. Vor allem in Afrika südlich der Sahara, in Asien
und Südamerika sowie in Ländern, in denen viele Menschen mit der Immunschwäche-Krankheit HIV infiziert sind, ist Tuberkulose
besonders verbreitet. Denn die Erkrankungen begünstigen sich gegenseitig. Die Weltkarte zeigt Schätzungen zur Zahl der TuberkuloseNeuerkrankungen im Jahr 2011. Bayer-Wissenschaftler arbeiten in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der TB Alliance daran, die
Zahl der Tuberkulose-Patienten weltweit zu reduzieren.
Geschätzte Zahl der
TB-Neuerkrankungen pro
100.000 Einwohner
0 - 24
25 - 49
50 - 149
150 - 299
≥ 300
nicht verwendbar
keine Schätzung
Quelle: Global Tuberculosis Report 2012, WHO, 2012.
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Tuberkulose Medizin
Stephen
Gillespie
„research“ sprach mit Prof. Stephen
Gillespie von der University of St. Andrews,
Schottland, über Tuberkulose.
„Eine schwere chronische
Erkrankung“
Wie infiziert man sich mit Tuberkulose, kurz TB?
Verursacht wird die Krankheit durch Mykobakterien. Sie gelangen
vor allem über die Tröpfchen-Infektion von Mensch zu Mensch.
Aber nicht jeder, der die Erreger in sich trägt, scheidet sie über die
Atemluft aus. Das geschieht nur bei der offenen Tuberkulose: Dabei
ist der Krankheitsherd in der Lunge mit den Atemwegen verbunden
und die Bakterien können nach außen gelangen.
Wie lässt sich die Krankheit behandeln?
Die Patienten werden isoliert, bis sie nicht mehr ansteckend sind.
Derzeit ist eine Kombinationstherapie aus verschiedenen Antibiotika notwendig, um sämtliche Bakterien abzutöten. Es werden
jedoch dringend neue Wirkstoffe gebraucht, um resistente Erreger in den Griff zu bekommen. Weltweit arbeiten Forschergruppen intensiv an neuen Wirkstoffen gegen Tuberkulose.
Warum ist Tuberkulose so gefährlich?
Experten-Check: Während Diana Gross (Foto oben) die Tabletten­
produktion steuert und kontrolliert, planen Dr. Martin Springsklee und
Dr. Maria-Luisa Rodriguez (Foto unten) die klinische S­ tudie und weitere
Projekte, die TB-Patienten in Zukunft helfen könnten.
Ende durchhalten“, sagt Rodriguez. Das ist
unerlässlich, um Bakterien-Resistenzen zu
unterbinden. Denn die Tuberkulose-Keime,
sogenannte Mykobakterien, arbeiten mit
biologischen Tricks: Die Bakterien können
ihren Stoffwechsel einfrieren – und fallen
in eine Art Schlafzustand. Das macht sie
für Medikamente nahezu unerreichbar,
denn die Wirkstoffe setzen meist bei den
aktiven und lebenswichtigen Vorgängen
der Mikroben an.
Erste Ergebnisse der REMox-TB-Studie
sollen Anfang 2014 vorliegen. Doch ein
positiver Nebeneffekt zeigt sich bereits
heute: Durch die Studie ist eine professio-
Die offene TB ist eine sehr schwere chronische Erkrankung. Die
Patienten sind nach einiger Zeit lebensbedrohlich ausgezehrt. Sie
können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen und die betroffenen
Familien verarmen. Eine Behandlung können sich viele gar nicht
leisten.
nelle medizinische Infrastruktur entstanden,
die nicht nur den TB-Patienten zugutekommen wird. Sie legt auch eine wertvolle Basis
für zukünftige Projekte. So ist ein globales
Netzwerk für die Forschung und Entwicklung von Arznei­mitteln extrem wichtig,
denn: Medikamentenresistente Bakterien
machen vor Grenzen nicht halt. Durch die
Globalisierung ist Tuberkulose eine Krankheit geworden, die heute prinzipiell jeden
treffen könnte.
Bayer-Wissenschaftler bringen mit
dem Wirkstoff Moxifloxacin und mit
ihrem Wissen wichtige Waffen in den
Kampf gegen die heimtückische Krankheit
Tuberkulose ein. Ähnliche Initiativen gibt
es auch für die weltweite Bekämpfung
von Malaria. Denn beide Krankheiten zählen zu den vernachlässigten Krankheiten,
die vor allem von Armut geplagte, bereits
geschwächte Menschen betreffen.
Multimedia-Reportage Südafrika:
Tuberkulose
http://bayer.de/re2505
www.research.bayer.de/tuberkulose
Weitere Infos zum Thema
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