„Natürliche Bypässe“ können Leben retten

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Allgemeine Information:
koronare Kollateralen
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Klinik und Poliklinik für Kardiologie
Forschungsgruppe Koronare Kollateralzirkulation
Prof. Dr. C. Seiler, Chefarzt stv
„Natürliche Bypässe“
können Leben retten
Dr. med. S. Gloekler, Prof. Dr. med. C. Seiler
DIE BLUTVERSORGUNG DES HERZENS
ist durch die linke und rechte Herzkranzarterie gewährleistet. Diese entspringen aus
der Hauptschlagader (Aorta) und verzweigen sich zu immer kleiner werdenden Gefässen. Jedes Herzkranzgefäss (Koronararterie) versorgt sein eigenes Gebiet Herzmuskel (Myokard); siehe Abbildung 1. Beim
Menschen sind sehr feine haardünne
Gefässästchen oft die einzige Verbindung
zwischen den grossen Herzkranzgefässen
und ihren Versorgungsgebieten. In einigen
Fällen existieren jedoch Gefässbrücken aus
grösseren Arterien. Diese bezeichnet man
als „Kollateralen“ oder auch „natürliche
Beipässe“ (aus dem Englischen, bypass:
Umgehung, Gefässbrücke). Das Problem
hierbei ist aber, dass nur die echten
Kollateralen, nicht aber die haarfeinen
Gefässästchen (Kapillaren) genügend Blut
zum Herzmuskel transportieren können. Das
Ausmass dieser natürlichen Beipässe ist von
Mensch zu Mensch unterschiedlich und
hängt von erblichen Faktoren, dem Grad
der körperlichen Aktivität und dem
Aussmass der Erkrankung der Gefässe (der
so genannten „Koronaren Herzerkrankung“)
ab.
VIELE
MENSCHEN
STERBEN AN EINEM
HERZINFARKT
In den westlichen Industrieländern zählt die
Koronare Herzerkrankung zu den Haupt-Todesursachen. Diese Krankheit zeichnet sich
durch einen allgemeinen entzündlichen
Prozess in allen Herzkranzgefässen aus. Damit sind örtliche Ablagerungen (so genannte „Plaques“) aus Fett, Entzündungszellen, Bindegewebe und Verkalkungen
gemeint. Diese Ablagerungen können
Entweder schleichend zunehmen und die
WODURCH
WIRD DIE
BEEINFLUSST ?
GRÖSSE
EINES
HERZINFARKTES
Als eine Folge eines solchen akuten
Verschlusses mit Mangel an Nährstoffen
stirbt das betroffene Muskelgebiet ab.
Wenn der Patient einen solchen Infarkt
überlebt, bedeutet dies einen Verlust von
Pumpkraft (eine Schwächung der „Pumpe“
Herz) mit einer Narbe an Stelle des
vorherigen Muskelgewebes.
Die Grösse eines Infarkts ist aber nicht in
jedem Fall die gleiche: Diese wird massgeblich durch die Grösse der blockierten
Arterie (das bedeutet, grössere Arterien
versorgen grössere Bereiche von pumpendem Herzmuskelgewebe) bestimmt. Ist also
eine grössere Arterie verschlossen, steht
auch mehr Herzmuskelgewebe auf dem
Spiel. Die Dauer des Verschlusses ist
ebenfalls entscheidend; d.h. der endgültige Schaden ist geringer, je schneller
das Gefäss wieder durch eine Aufdehnung
mit einem Ballon und eventueller Implantation einer Gefäss-Stütze (einem so genannten „Stent“) im Rahmen einer Herzkatheter-Untersuchung durchgängig gemacht wird.
http://kardiologie.insel.ch/kollateral.html
ZU
ODER SIND DANACH GESCHÄDIGT
Gefässe immer weiter verengen (welches
sich meist als Enge- oder Druckgefühl im
Brustkorb, der so genannten „Angina pectoris“ äussert) oder aber plötzlich aufbrechen. Im Falle eines solchen Aufbrechens einer instabilen Plaque (siehe Abbildung 1) ist der Blutfluss von dieser Stelle
an abrupt blockiert. Das von diesem nun
verschlossenen Gefäss versorgte Gebiet an
Herzmuskel bekommt nun plötzlich nicht
mehr genügend Sauerstoff und Nährstoffe:
ein Herzinfarkt findet statt (siehe Abb. 1).
Allgemeine Information:
koronare Kollateralen
MEHR KOLLATERALEN = WENIGER TODESFÄLLE DURCH
INFARKTE UND EIN LÄNGERES UND BESSERES LEBEN
Als weitere, von den anderen unabhängige wichtige Einflussgrösse wirkt das
Aussmass der vorbestehenden Kollateralen,
welche von benachbarten Gefässen kommen, entscheidend auf die Infarktgrösse
und in einigen Fällen auch auf das Überleben beziehungsweise Nicht-Überleben
eines Infarktes ein. So zeigte eine LangzeitAnalyse aus unserem Zentrum von knapp
850 Patienten im Jahr 2007, dass diejenigen
Patienten mit mehr Kollateralen im
Vergleich zu Patienten mit weniger Kollateralen eine
höhere Überlebensrate
aufwiesen. Konkret heisst das, je mehr
Kollateralen (oder Blutfluss durch diese) im
Falle eines Infarktes dem “notleidenden“
Herzmuskelgebiet mit Blut „aushelfen“
können, desto kleiner wird der Infarkt
schliesslich ausfallen. Im Idealfall lässt eine
gute Versorgung mit Kollateralen das Infarktgebiet bei plötzlichem Verschluss einer
Arterie auf Null „zusammenschrumpfen“;
der Patient erleidet keinen Schaden am
Herzmuskel und bleibt im Vergleich zu einem Infarkt langfristig ohne Einschränkungen im Leben (siehe Abbildung 1).
Im umgekehrten, schlimmsten Fall jedoch,
wenn kein oder nur sehr wenig Blutfluss
durch Kollateralen vorhanden ist, umfasst
der Infarkt das gesamte auf dem Spiel stehende Versorgungsgebiet der verschlossenen Arterie; es kommt zu einer langfristigen Einschränkung der Pumpfunktion
und somit zur dauerhaften Minderung der
Lebensqualität und Lebenserwartung (welche im Extremfall bis zur vollen Invalidität
mit Herzversagen und Tod oder Transplantation eines Spenderherzens führt).
B
Abbildung 1: Einfluss der Kollateralen auf die Infarktgrösse.
Das Bild A zeigt einen Verschluss einer Herzkranzarterie mit einem daraus folgendem Herzinfarkt. Bevor
dies passierte, war das grau gekennzeichnete Infarktgebiet nicht genügend mit Kollateralen verbunden.
Deshalb umfasst der Infarkt in diesem Fall ein grosses Gebiet, nämlich das ganze bei Verschluss des
Gefässes auf dem Spiel stehende Gebiet.
Das Bild B zeigt einen Verschluss an der selben Stelle. Hier jedoch ist das Gebiet gut mit Kollateralen
versorgt (siehe Pfeile). Aus diesem Grund erleidet der Patient in diesem Fall gar keinen oder nur einen
minimen Herzinfarkt.
(Illustration: Christian Langenegger, FotoGrafikZentrum Inselspital)
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A
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Allgemeine Information:
DIE STANDARD-BEHANDLUNGSMETHODEN FÜR EINE
ERKRANKUNG DER HERZKRANZGEFÄSSE
Neben der Behandlung mit Medikamenten
können die Verengungen seit nunmehr 30
Jahren mit Hilfe eines Ballons (welcher auf
einem Katheter bis an die betroffene Stelle
von ausserhalb des Körpers hervorgeschoben wird) aufgedehnt werden (PTCA = perkutane, transluminale Coronare Angioplastie). Um eine später eventuell wieder eintretende Verengung möglichst zu verhindern, wird meist als zusätzliche Massnahme
noch ein Stent aus Edelstahl eingesetzt. Im
Falle eines akuten Herz-infarktes (d.h. der
akuten Blockade des Blutflusses in einem
Herzkranzgefäss) ist dies die beste Therapie,
da der Blutfluss meist schnell und zuverlässig
wieder hergestellt werden kann und somit
die Grösse des Infarktes begrenzt werden
kann.
Die sogenannte „Aorto-koronare BypassOperation“ kann in Fällen mit schweren
Verengungen mit Hilfe von körpereigenen
Venen aus dem Unterschenkel oder Arterien aus der Brustwand die verstopften Herzkranzgefässe überbrücken und so mit Blut
versorgen.
Diese Methoden haben in den letzten 3
Jahrzehnten zu enormen Fortschritten im
koronare Kollateralen
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Kampf gegen die koronare Herzerkrankung
geführt.
DIE GRENZEN DIESER BEHANDLUNG
Wie bei jedem Eingriff mit einem Katheter
oder jeder Operation gibt es jedoch auch
Risiken für den Patienten, welche damit
verbunden sind. Hiervon abgesehen, kann
ungefähr einem Viertel aller Patienten mit
einem solchen Eingriff gar nicht geholfen
werden.
Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass
diese Methoden zwar am Punkt der Einengung des Gefässes wie eine wichtige
Reparatur wirken, den eigentlichen allgemeinen Prozess der Gefässerkrankung aber
nicht stoppen können.
Hieraus folgt, dass zusätzliche Behandlungsmethoden gegen die Erkrankung gebraucht werden, um nicht nur örtliche
Schäden zu reparieren, sondern auch den
allgemeinen Krankheits-Verlauf zu verbessern, die oft bedrohliche und stark beeinträchtigende Angina pectoris zu vermindern und die Überlebensrate bei Herzinfarkten zu verbessern.
Abbildung 2:
Gefässdarstellung (Koronarangiogramm) in einer
Herzkatheter-Untersuchung.
LAD
RCA
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LAD
Dieser Patient ist ein gutes Beispiel für die manchmal lebensrettende Fähigkeit der Kollateralen.
Die rechte Kranzarterie (RCA) wird hier mit Hilfe
des Katheters mit Kontrastmittel gefüllt und unter
Röntgen-Strahlung sichtbar gemacht. Durch einen „natürlichen Beipass“, d.h. ein Kollateralgefäss (siehe Pfeile) wird die linke Kranzarterie
(LAD), welche an Ihrem Ursprung verschlossen ist
(siehe Ring), mit Blut gefüllt. Ohne dieses Kolwelches das Gebiet der linken
lateralgefäss,
RCA
Kranzarterie versorgt, wäre es zu einem sehr grossen Herzinfarkt mit Absterben des ganzen Gebietes (woran der Patient vielleicht gestorben wäre)
gekommen. Dem Kollateralgefäss ist deshalb
sehr wahrscheinlich das unbeschadete Überleben dieses Menschen zu verdanken.
Allgemeine Information:
WIE MAN KAPILLAREN ZU EINEM NETZWERK VON
BRÜCKENGEFÄSSEN VERGRÖSSERN KANN
Ist eine Autostrasse die einzige Möglichkeit,
in ein bestimmtes Gebiet zu kommen,
macht es Sinn, diese bei zunehmendem
Verkehrsaufkommen mit häufigen Staus,
Unfällen und zäh fliessendem Verkehr zu
einer mehrspurigen, grösseren Strasse auszubauen.
koronare Kollateralen
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Das identische passiert mit den Blutgefässen, welche den Herzmuskel versorgen:
Bei verstärktem Blutfluss wird dieses von den
Zellen der Gefässinnenwand (den sog.
„Endothelzellen“) registriert. Mit Hilfe von Signalen aus diesen Zellen wird dann ein Umbau, d.h. eine Vergrösserung, begonnen.
Haarfeine Kapillaren können
so zu echten Arterien vergrössert werden, welche jetzt
wichtige Brückengefässe zwischen verschiedenen bis anhin voneinander getrennten
Gefässgebieten bilden können.
Wie aber kann man den
Blutfluss durch die Herzkranzarterien verstärken ?
http://kardiologie.insel.ch/kollateral.html
Zum Beispiel gelingt dies mit
körperlichem Ausdauertraining, z.B. mit Dauerlauf (jogging), Velofahren, Schwimmen, Wandern usw. Auf diese Weise können sich viele
Menschen selbst behandeln. Der Effekt dieser Behandlung äussert sich dann
mit weniger Angina pectoris,
einer besseren Belastbarkeit
und einem geringeren Risiko,
einen Herzinfarkt zu erleiden
oder gar zu sterben. Eine
Studie aus unserer Klinik lieferte hierfür die wissenschaftliche Bestätigung: es zeigte
sich eine höhere Flussrate
durch die Kollateralen bei
Patienten mit regelmässiger
körperlicher Betätigung im
Vergleich zu Menschen mit
wenig Betätigung.
Allgemeine Information:
Ein „Trick“, den Blutfluss ohne Ausdauertraining zu erhöhen, ist die so genannte
externe Gegen-Pulsationstherapie (ECP,
„extracorporal counterpulsation“): Hier werden schnell aufblasbare Manschetten um
die Beine des liegenden Patienten gelegt
und erzeugen zusätzlich zum eigenen Herzpuls eine zweite Pulswelle, welche die besagten Zellen der Gefäss-Innenwände zu
dem eben beschriebenen Umbau anregen
sollen.
Weitere Möglichkeiten sind die Gabe von
so genannten Wachstumsfaktoren, woraus
ebenfalls eine Vergrösserung der Gefässe
erfolgen kann. Wir bieten geeigneten
Patienten hierzu die Teilnahme an einer
WICHTIGE
koronare Kollateralen
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Studie
an.
Mit
dem
Medikament
Procorolan®, welches den Herzschlag
verlangsamt, ohne die Herzaktion sonst
negativ zu beeinflussen, werden quasi die
Folgen von Ausdauertraining auf die
Pulsrate nachgeahmt. In einer laufenden
Studie wird untersucht, ob sich dadurch die
Funktion
der
Kollateralen
ebenfalls
verbessern kann.
Neben den beschriebenen medikamentösen, katheter-gestützten und chirurgischen Behandlungsmethoden gegen die
Koronare
Herzkrankheit
stellen
diese
alternativen Therapien neue Varianten zur
Unterstützung eines biologischen Kollateralenwachstums dar.
PUNKTE
Als Energie verbrauchende “Pumpe” ist der Herzmuskel entscheidend von den Herzkranzgefässen abhängig, welche seine Blutversorgung sichern.
Verengungen der Herzkranzgefässe durch Ablagerungen (Plaques) führen zu Minderversorgung des Herzmuskelgewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen. Dies führt zu Enge, Druck
oder Schmerzen in der Brust (Angina pectoris).
Bei einem Herzinfarkt wird der Blutfluss in einer erkrankten Arterie komplett blockiert. Als Folge
hieraus stirbt derjenige Teil Herzmuskel, welcher normalerweise von der jetzt verschlossenen
Arterie versorgt wird, ab.
Abhängig von der Grösse des Infarktes kommt es zu Einschränkungen in der Lebensqualität
und Lebenserwartung.
oder medikamentöser Pulsverlangsamung führt nachweislich oder wahrscheinlich zu einer
verbesserten Blutversorgung des Herzens durch besser ausgebildete Gefässbrücken und
deshalb zu weniger und kleineren Herzinfarkten und höheren Überlebensraten.
Sollten sie weitere Fragen zum Thema oder zu unseren Studien haben, besuchen sie unsere Website oder
wenden Sie sich jederzeit an die untenstehenden Kontaktpersonen:
Dr. med. Steffen Gloekler
Assistenzarzt
031 632 1276, Sucher 7185
[email protected]
Dr.med. Tobias Traupe
Assistenzarzt
031 632 4342, Sucher 8432
[email protected]
Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsspital, CH-3010 Bern
Prof. Dr. med. Christian Seiler
Chefarzt stv
031 632 21 11, Sucher 7187
[email protected]
http://kardiologie.insel.ch/kollateral.html
Die Förderung von Kollateralen mittels Training, Gegenpulsations-Therapie, Wachstumsfaktoren
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