ADHS bei Erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit und ADHS Dr. med. Werner Kolb Definition Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe u. Impulsivität sind die Hauptsymptome von Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter, die im ICD-10 und DSM IV als ADHS beschrieben werden. Die drei Hauptsymptome müssen ein deutliches Leiden oder Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen verursachen. Der Beginn der Störung liegt vor dem 7.Lebensjahr(?) Epidemiologie - Prävalenz im Kindes –Jugendalter 2-7% (DSM IV) 1-2% (ICD 10) - bei Erwachsenen etwa 2-4% - bei Erwachsenen mit ADHS ist die Prävalenzrate für Alkoholund Drogenmissbrauch 3-4fach erhöht - in einigen deutschen Untersuchungen bei erwachsenen Alkoholabhängigen fand sich eine Häufigkeit von ADHS zwischen 10% und 20% Besonderheiten der ADHS im Erwachsenenalter • ADHS bis Ende der 90er-Jahre als Erkrankung des KindesJugendalters aufgefasst • ADHS - Symptome häufig ohne Krankheitswert • ADHS meist verbunden mit komorbiden psychischen Erkrankungen • schwierige Diagnosestellung, u.a. Nachweis von ADHS in der Kindheit • keine spez. Tests zum Nachweis einer ADHS • Therapiemaßnahmen noch unzureichend evaluiert • „Off-Label-Use“ bei medikamentöser Behandlung Ursachen der ADHS Eine genetische Prädisposition ( Anteil an der Entstehung von ADHS: 60-80%; 5-8 fach erhöhtes Risiko für Erstgradangehörige) und biopsychosoziale Stressoren werden als wesentliche Faktoren bei der Entstehung der ADHS genannt. Als biologische Basis werden Abweichungen in verschiedenen Regelkreisen des ZNS angesehen. Insbesondere Netzwerke, die für die Bereiche Aufmerksamkeit, Motorik, Handlungs- und Impulskontrolle zuständig sind, können in unterschiedlichem Ausmaße betroffen sein. Dabei scheinen vor allem die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin eine besondere Rolle zu spielen. Diagnostischer Stufenplan • Aktuelle ADHS –Symptomatik nach ICD 10,DSM IV oder UtahKriterien • Hinweise auf ADHS in der Kindheit • Abklärung komorbider psychischer/körperlicher Erkrankungen • Auswirkungen der ADHS im Alltag des Patienten • Vorhandene Ressourcen ICD 10 • einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung F90.0 • hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens F90.1 DSM IV • Mischtypus (42%) • vorwiegend Unaufmerksamer Typus ( 47%) • vorwiegend Hyperaktiv-impulsiver Typus (7%) • Residualtypus (5%) Angaben in Prozent aus: Barkley,Murphy und Fischer 2008 WENDER- UTHA - KRITERIEN • A und B obligatorisch plus zwei der weiteren Kriterien müssen erfüllt sein (kategorial) •A Aufmerksamkeitsstörung •B Hyperaktivität • -------------------------------------------• Affektlabilität (Stimmungsschwankungen) • Desorganisation • Temperament („hot temper“- red. Affektkontrolle) • emotionale Überreagibilität (Stressintoleranz) • Impulsivität Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene HASE • ADHS-SB • WURS-K • ADHS-DC • Wender-Reimherr-Interview ADHS-SB Screening – Diagnostik – Schweregrad Cut-Off-Werte (Sensitivität/Spezifität in %) 10 (88/67) 15 (77/75) 18 (65/92) ADHS-DC • Kategoriale Entscheidung nach Anzahl erfüllter Kriterien • Diagnostische Checkliste nach DSM IV/ ICD 10 WURS-K retrospektive Erfassung der ADHS-Symptomatik in der Kindheit Cut-Off-Wert: 30 (Sensitivität/Spezifität in Prozent: 85/76 bei Männern bzw. 93/92 bei Frauen) 4 Kontrollitems (4-12-14-25); bei Wert >10 Zuverlässigkeit der Antworten prüfen Wender-Reimherr-Interview (WRI) • Patientenerleben wird einbezogen • Konzeption der Utha-Kriterien bezieht Erwachsenenalter speziell ein • ein WRI-Gesamtscore über 40 spricht für ADHS • 77% der Fälle werden korrekt klassifiziert Erhebung zur Häufigkeit von ADHS bei 100 neu aufgenommenen Patienten Fragestellung: • finden sich Hinweise auf ADHS in den Vorgutachten • zeitlicher Aufwand für die Diagnostik ( ADHS-SB, WURS-K, ADHS-DC, Schulzeugnisse, Elternfragebogen und Wender-Reimherr-Interview. Weiterhin spez. Anamneseerhebung Befundanforderungen und Telefonate ) • welche Instrumente sollen im diagnostischen Prozess zukünftig Anwendung finden ( insbesondere Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene) • Konsequenzen einer ADHS - Diagnose für die Behandlung • Spezialisierung im Rahmen des Klinikkonzeptes • Häufigkeit einer ADHS bei unseren Pat. (nach Utah-Kriterien) Ergebnisse • Gesamtstichprobe: n = 100 • 25% der Pat. liegen über 18(dimensional) im ADHS-SB • 5 Pat. entfallen: 1x HOPS, 1x Sprachprobleme,1x Abbruch;1x Entlassung wegen Drogenrückfall; 1x keine weitere Teilnahme • Rest: 20 Patienten • nach Wender- Utha- Kriterien ADHS : 1% • V.a. Residualsymptomatik 6% – bei 16 der 20 Pat. fanden sich weitere komorbide psychische Erkrankungen (vor allem affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen) Ergebnisse vorliegende Zeugnisse: 3 davon in 2 Zeugnissen Hinweise auf ADHS Elternfragebogen ( Krause/ Trott ): 6 in 2 Fragebögen wird der cut-off –Wert von 12 erreicht in den Vorbefunden fanden sich keine Hinweise auf ADHS (ärztliches Gutachten und Sozialbericht) FAZIT • es fanden sich keine Hinweise auf ADHS in den Vorgutachten • der zeitliche Aufwand für die Diagnostik beträgt etwa 34Stunden/Pat. • die Homburger ADHS- Skalen sind eingeführt • Konsequenzen für die Behandlung, s.U. • Spezialisierung im Rahmen des Klinikkonzeptes: ADHS und path.Spielen FAZIT spezielle Problembereiche bei Patienten mit ADHS • Information über die ADHS, nicht jeder Pat. braucht Therapie, die Schwere der Erkrankung, persönliche Ressourcen, die bisher erfolgreichen Copingstrategien, die Anforderungen im Lebensalltag, die Behandlungswünsche der Patienten und Begleiterkrankungen sind zu berücksichtigen • Gefühlsregulation • Impulskontrolle • Stressbewältigung • Alltagsorganisation • komorbide psychische Störungen FAZIT therapeutische Konsequenzen allgemein: Ressourcenorientierung Achtsamkeitsübungen Anleitung zur Tagesstrukturierung indikative Gruppen: Umgang mit belastenden Gefühlen Denken - Fühlen - Handeln Umgang mit Ärger und Aggression Stress am Arbeitsplatz Genuss und Genießen Depression Selbstsicherheit und Kontakt Ausdauerlaufen; Sport weitere Maßnahmen Beratung, Psychoeduktion,Coaching Literatur Berücksichtigung bei der Berufswahl Vermittlung von Selbsthilfegruppen Vermittlung von Adressen zur Weiterbehandlung Komorbide psychische Störungen bei ADHS im Erwachsenenalter • antisoziale Persönlichkeitsstörungen bis 25% • emotional instabile Persönlichkeitsstörungen bis 20%? • Angststörungen ca. 30% • affektive Störungen bis 50% • Bulimie bis 9% ADHS und Borderline “Persönlichkeitsstörungen“ (BPS) nach Philipsen und Matthies/2009 • • • • • • affektive Instabilität impulsives Verhalten Desorganisation Sucht Beziehungsprobleme Aufmerksamkeitsstörung (Dissoziation bei BPS) • Selbstwertproblematik • keine chronische Suizidalität bei ADHS • Selbstverletzendes Verhalten zur Spannungsreduktion bei ADHS nicht im Vordergrund • keine Symptome einer PTBS bei ADHS Evaluierte Gruppentherapiekonzepte • Psychoedukationsprogramm, Wiggings et al.1999 • Kognitives Remediationsprogramm, Stevenson et al. 2002 • Gruppenfertigkeitentraining, („Freiburger Konzept“), Hesslinger et al.2002 und Philipsen et al.2007 • Kognitiv-behaviorales Gruppenprogramm, Bramham et al. 2008 • Achtsamkeitstraining, Zylowska et al. 2008 Quelle: A. Philipsen und S. Matthies, ADHS im Erwachsenenalter, IFKV Fortbildungstag Bad Dürkheim 2009 Medikation Methylphenidat (etwa 0,5 -1mg/kg Körpergewicht, je nach Effekt und NW): Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Erhöhung RR und Herzfrequenz Probleme: „off-label –use“ nur mit besonderer Begründung; Weiterbehandlung; fraglich bei Patienten mit Suchterkrankungen alternativ insbesondere bei Pat. mit Suchtproblematik: Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer (Atomoxetin: Strattera 20-100mg oder 1,2mg/kg KG) und Venlafaxin:Trevilor 150 mg und höher) oder auch zukünftig: Noradrenalin und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer das AD Buprobion ( Elontril 150-300mg )? Literatur ADHS im Erwachsenenalter J. Krause, K-H. Krause, Schattauer 2005 Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen P.H. Wender, Kohlhammer 2002 Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter B. Hesslinger, A. Philipsen und H. Richter, Hogrefe 2004 Psychoedukation und Coaching - ADHS im Erwachsenenalter R. D’Amelio, W. Retz, A. Philipsen, M. Rösler, Urban und Fischer 2009 ADHS im Erwachsenenalter – Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN D. Ebert, J. Krause, C. Roth-Sackenheim et al., 2005 www.dgppn.de/stellungnahmen/adhs Zwanghaft zerstreut E.M. Hallowell,J. Ratey, rororo 2007 Mindfullness meditation training in adults and adolescents with ADHD: a feasibility study J Atten Disord 2008 May: 11(6): 737-46, Zylowska et al. 2008 Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters S.A.Safren,C.A.Perlman,S.Sprich,M.W.Otto; Deutsche Bearbeitung von E.Sobanski, M.Schumacher-Stien,und B.Alm Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft,Berlin, 2009 ADHS bei Erwachsenen, Diagnostik und Behandlung von Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen G.W.Lauth,W-R.Minsel, Hogrefe 2009 Ausblick auf DSM V Barkley,R.A.,Murphy,K.R.&Fischer,M.(2008).ADHD in adults. What the Science says. New York:Guilford mangelnde Inhibitionskontrolle unterscheidet am besten bei Erwachsenen: 1. leichte Ablenkbarkeit durch äußere Reize oder irrelevante Gedanken 2. häufige impulsive Entscheidungen 3. Häufig Schwierigkeiten, die eigenen Aktivitäten oder das eigene Verhalten zu stoppen 4. die Neigung, Projekte zu beginnen oder mit Aufgaben anzufangen, ohne die Anweisungen gelesen oder sorgfältig zugehört zu haben 5. häufig und teilweise massiv überhöhte Geschwindigkeit mit dem Auto oder Motorrad insgesamt 9 Symptome werden derzeit diskutiert Quelle: Lauth und Minsel, ADHS bei Erwachsenen Hogrefe 2009