Ethik der Achtsamkeit . l’éthique Elisabeth Conradi Ethik der Achtsamkeit Care zwischen Bevormundung und Teilhabe Symposium zur Sorgekultur im Alter am 27.9.14 du care . Ethics of care . Zorgethiek h ProfessorinPfür P und Gesellschaftstheorie Philosophie SeniorfürLecturer Privatdozentin Political Theory and History of Ideas Politikwissenschaft www.econradi.de Überblick 1. Was ist eigentlich Care? 2. Die Ethik der Achtsamkeit im Vergleich zur Ethik der Autonomie 3. Achtsame Zuwendung als Schlüsselbegriff: Zwölf Elemente einer Ethik der Achtsamkeit 4. Teilhabe und Bevormundung Care als „achtsame Zuwendung“ Care beschreibt ein ethos, eine praktizierte Grundüberzeugung, von Privatpersonen ebenso wie von sozialberuflich und pflegerisch Tätigen. Achtsame Zuwendung (care) hat in helfendversorgenden Tätigkeiten ihren Platz. Nur dann halten wird die Tätigkeiten für gelingend. Achtsame Zuwendung ist ein Qualitätsmerkmal. Sie benötigt einen diese Qualität ermöglichenden institutionellen Kontext. Zuwenden statt Wegsehen Der englische Leitspruch "not to turn away from someone in need" (Carol Gilligan 1988) formuliert den Grundgedanken einer Ethik der Achtsamkeit: Zuwenden statt Wegsehen. • Die Psychologin Carol Gilligan bezeichnet mit Ethics of Care eine umfassende Perspektive auf Konflikte. • Die Konflikte und deren Lösungen entstehen durch ein Netzwerk von Beziehungen. Die Besonderheit der Ethik der Achtsamkeit wird deutlich im Vergleich zur Ethik der Autonomie. Ethik der Autonomie Immanuel Kant hat vor rund 200 Jahren die Achtung der Würde des Menschen und die Pflicht in den Mittelpunkt gestellt. Zentrale Grundbegriffe sind Autonomie, Gleichheit und Wechselseitigkeit. Immanuel Kant (1724-1804) Ethik der Autonomie und Ethik der Achtsamkeit Kant wählt Gleichheit und Wechselseitigkeit als Modelle der Intersubjektivität und beschreibt, wie das Selbstverhältnis des Subjekts durch Autonomie geprägt sein soll. Er hält Autonomie für eine wesentliche menschliche Fähigkeit. Die Ethik der Achtsamkeit bevorzugt als Modell der Intersubjektivität die achtsame Zuwendung und sieht das Selbstverhältnis des Subjekts durch Selbstsorge bestimmt. Sie begründet die achtsame Zuwendung mit der grundlegenden Angewiesenheit von Menschen. Ethik der Autonomie und Ethik der Achtsamkeit Die Ethik der Autonomie verlangt von den an einem Konflikt Beteiligten sich zu distanzieren, um auf angemessene Weise zu Urteilen. Die Begegnung der am Konflikt beteiligten Menschen hat in der Ethik der Achtsamkeit eine wichtige Bedeutung: Die Qualität von Urteil oder Handlung hat wesentlich mit der Qualität des Kontakts zu tun, der sich zwischen den Beteiligten herstellt. Es geht nicht länger nur um Entscheidungen einzelner Menschen, sondern auch um gemeinsames ethisches Handeln. Ethik der Autonomie und Ethik der Achtsamkeit Die Ethik der Autonomie wird in einem ersten Schritt theoretisch entwickelt und erst in einem zweiten Schritt auf die Praxis angewandt. Die Ethik der Achtsamkeit wird in einem ersten Schritt von der Praxis ausgehend entwickelt und erst dann theoretisch begründet. Ethik der Autonomie und Ethik der Achtsamkeit Selbstbestimmung durch Vernunft Beziehungen pflegen Ethik der Autonomie Ethik der Achtsamkeit Rechte sichern Angewiesenheit durch Verletzbarkeit Elisabeth Conradi: Take Care. Grundlagen einer Ethik der Achtsamkeit. Zwölf Elemente einer Ethik der Achtsamkeit Zuwendung und tätige Hilfe 1. Im Prozess der achtsamen Zuwendung und Ermutigung werden Kontakte neu geknüpft und es entstehen Beziehungen, die gepflegt und intensiviert werden (Gilligan 1988). 2. Durch achtsame Zuwendung, Ermutigung und insbesondere durch tätige Hilfe werden Bedürfnisse erfüllt (Tronto 1993). Beide Aktivitäten der achtsamen Zuwendung und Ermutigung tragen zur Verbundenheit von Menschen bei. Präsenz und Verantwortung 3. Achtsame Zuwendung bedeutet, sich einzulassen auf die Situation und die eigene Aufmerksamkeit mindestens einem (anderen) Menschen zu widmen. 4. Achtsame Zuwendung ist oft ein fortdauernder Prozess (Tronto 1993), für den auch Verlässlichkeit (Käppeli 2004) nötig ist. 5. Tätige Hilfe setzt Kompetenz voraus und die Übernahme von Verantwortung (Tronto 1993) und kann ein aktives Eingreifen und SichEinmischen bedeuten (Käppeli 2004). Resonanz und Selbstsorge 6. Achtsamkeit ist ein Geschenk. Das Schenken achtsamer Zuwendung ist nicht auf Autonomie angewiesen und nicht an eine Verpflichtung zur Gegengabe gebunden. 7. Achtsame Zuwendung bedeutet auch, die Antwort auf die Hilfe und Unterstützung zu hören und daraus Konsequenzen zu ziehen (Tronto 1993). 8. Idealerweise gibt es eine Balance der Selbstsorge und der Sorge für andere. Wertschätzung und Engagement 9. Die Sorgetätigkeiten und Menschen, die sie ausüben, sowie Menschen, die ihrer bedürfen, werden wertgeschätzt (Walker 2006). Wertschätzung fällt schwer, da achtsame Zuwendung meist körperliche Berührungen einschließt und Fühlen, Denken und Handeln verbindet. 10. Achtsame Zuwendung und Ermutigung kann auch bedeuten, für die Rechte der Menschen einzustehen, denen die Begleitung und Unterstützung gilt. Selbstbestimmung 11. Durch die achtsame Aktivität der Zuwendung werden die Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns erweitert. 12. Selbstbestimmtes Handeln ist meist nicht Voraussetzung, sondern ein Ergebnis der Unterstützung und Hilfe. Auch asymmetrische Machtverhältnisse sind veränderbar. Oft bedarf es auch einer Veränderung institutioneller Bedingungen. Fürsorgefurcht und faktische Bevormundung? Autonomie ist Leitbegriff einer politischen Bewegung für die unabhängigere Gestaltung des Lebens; dagegen ist Fürsorge eine Art Unwort. In der Ethik der Achtsamkeit werden ungleiche Machtverhältnisse als veränderbar angesehen: Im Zuge von Sorgetätigkeiten treten verschiedene Arten von Machtunterschieden auf. Wichtig ist es, Machtunterschiede sorgsam wahrzunehmen und zu begrenzen: Keine Verallgemeinerung auf die Person. Teilhabe Die Steigerung der Eigenständigkeit und eine Zunahme an Handlungsmächtigkeit sind Ergebnisse von Interaktionen der Zuwendung: Selbstbestimmung durch Achtsamkeit. Ausblick Worüber es noch weiter nachzudenken lohnt: • Das Verhältnis von Care-Work und Care-Ethik • Achtsame Zuwendung (care) auch transnational denken: Armut, Migration, Repair.