DITIB - Landesverband Niedersachsen eV

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Religionswissenschaftliches Gutachten
über die Eigenschaft der Dachverbände
„DITIB - Landesverband Niedersachsen e.V.“ und
SCHURA Niedersachsen - „Landesverband islamischer
Gemeinschaften in Niedersachsen e.V.“
als Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs.3 GG
erstellt im Auftrag des Landes Niedersachsen
von
Dr. phil. Gritt Klinkhammer
o. Professorin für Religionswissenschaft am Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik der Universität Bremen
am 28.03.2015
Inhaltsverzeichnis
I. Gegenstand der Begutachtung ........................................................................ 1
II. Religionswissenschaftliche Bestimmung der Begrifflichkeiten ............ 6
1. Zur Definition von „Religion“ und der Tätigkeit der „umfassenden
Religionspflege“ .................................................................................. 6
2. Die „umfassende Religionspflege“ in der Tradition des Islams ........ 9
III. Die islamischen Dachverbände ................................................................... 24
1. „DITIB - Landesverband Niedersachsen e.V.“ ................................ 27
1.1 Geschichte und „geistiger Gehalt“ als Religionsgemeinschaft .. 27
1.2 Zur „äußeren Erscheinung“ als Religionsgemeinschaft ............. 31
1.2.1 Struktur des Verbandes ...................................................... 31
1.2.2 Religionspflege und religiöse Angebote.............................. 44
1.3 Zusammenfassende Bewertung in Hinblick auf die Erfüllung der
Kriterien zur umfassenden Religionspflege .................................... 54
2. SCHURA Niedersachsen - „Landesverband der Muslime in
Niedersachsen e.V.“ ......................................................................... 58
2.1 Geschichte und „geistiger Gehalt“ als Religionsgemeinschaft .. 58
2.2 Zur „äußeren Erscheinung“ als Religionsgemeinschaft ............. 63
2.2.1 Struktur des Verbandes ...................................................... 63
2.2.2 Religionspflege und religiöse Angebote.............................. 69
2.3 Zusammenfassende Bewertung in Hinblick auf die Erfüllung der
Kriterien zur umfassenden Religionspflege .................................... 79
IV. Schlussbemerkung………………………………...………………………………………84
V. Literatur .............................................................................................................. 86
VI. Anhang ............................................................................................................... 92
Liste der konsultierten Moscheegemeinden mit Gesprächspartner/innen
I. Gegenstand der Begutachtung
Im Zuge der Verhandlungen zu einem Staatskirchenvertrag zwischen
dem Land Niedersachsen und Vertretern der zwei islamischen Landesverbände (DITIB - Landesverband Niedersachsen e.V., SCHURA Niedersachsen - Landesverband der islamischen Gemeinschaften in Niedersachsen e.V.) wurde gemeinsam beschlossen, neben dem rechtswissenschaftlichen auch ein religionswissenschaftliches Gutachten zur Beurteilung der Eigenschaft der besagten Verbände als „Religionsgemeinschaften“ nach Art.7 Abs.3 GG einzuholen.
Aus religionswissenschaftlicher Perspektive ist die Frage, ob eine Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft zu bewerten ist, zunächst allein
an der Selbstaussage zu messen.1 Solche Selbstaussagen werden in
Deutschland u.a. in Satzungen nach dem Vereinsrecht getroffen, so
auch hier bei besagten Landesverbänden. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive gilt es darüber hinaus, - hier auch in Übereinstimmung
zu den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts2 - nach dem „tatsächlichen geistigen Gehalt“ und dem „äußeren Erscheinungsbild“ eines Verbandes als Religionsgemeinschaft, das heißt, insbesondere nach der religiösen Praxis, dem Gemeinschaftsaufbau und der religiösen Idee, die
sich darin manifestiert, zu Fragen. Eine Religionsgemeinschaft zeichnet
sich zudem dadurch als solche aus, dass sie sich nicht nur einem spezifi1
Siehe hierzu eingehender Kap. II. des vorliegenden Gutachtens.
2
Hierbei beziehe ich mich auf eine Formulierung, die in diversen Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften zu finden ist (Bahá’í, Deutsche Vereinigungskirche, Zeugen Jehovas und Scientology):
„Allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion
und sei eine Religionsgemeinschaft, können für diese und ihre Mitglieder die Berufung auf die Freiheitsgewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht rechtfertigen; vielmehr muß es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln.“ (BverfGE 83, 341 – Bahá’í, 05.02. 1991). Vgl. hierzu auch Klinkhammer/de Wall
2012.
1
schen Aspekt der Religionsausübung ihrer religiösen Tradition widmet
(z.B. als islamischer Verein für Bestattungen), sondern sich die „umfassende Religionsausübung“ im Rahmen seiner religiösen Tradition zum
Ziel setzt.3 Dass sich religiöse Ideen, Praktiken und Strukturen immer
auch in Verbindung mit nicht-religiösen (nicht-transzendenzbezogenen
Anliegen) verbinden, spricht aus religionswissenschaftlicher Perspektive
nicht gegen die Annahme, dass es sich dennoch um eine Religionsgemeinschaft handelt. Ebenso darf insgesamt ein religionswissenschaftliches Gutachten zur Eigenschaft als Religionsgemeinschaft nicht als Gütekriterium für eine Gemeinschaft missverstanden werden.4
Das hiermit vorliegende religionswissenschaftliche Gutachten wurde
unter Einbeziehung der folgenden Quellen erstellt:
a) Es erfolgte eine Konsultation von 17 lokalen Gemeinden, die
stichprobenartig aus ca. 160 den beiden Verbänden zugehörigen
Moscheegemeinden in Niedersachsen ausgewählt wurden.5 Zudem wurden Gespräche mit Vertretern der Landesdachverbandsvorstände und mit den Moscheevereinsvorständen sowie mit
3
Der Begriff der „umfassenden Religionspflege wird bereits im juristischen Gutachten von de Wall
2012 zu Hamburg genutzt und geht auf eine das Grundgesetz auslegende Formulierung des Verfassungsrechtlers Günther Anschütz zurück, wonach eine Religionsgesellschaft „ein die Angehörigen ein
und desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse (unierte
evangelische Landeskirche!) – für ein Gebiet (…) zusammenfassender Verband zu allseitiger Erfüllung
der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben“ sei (zit.n. Klinkhammer/de Wall 2012, S.
9).
4
D.h., Gemeinschaften sind, wenn und weil sie als Religionsgemeinschaften identifiziert werden,
religionswissenschaftlich nicht gleichsam als positiv/negativ oder gut/schlecht für die Gesellschaft
oder das Individuum bewertet. Um zu einem solchen Urteil zu gelangen, würde es spezifischerer
Untersuchungen bedürfen, die aber nicht Teil dieses Gutachtensauftrags sind.
5
Die Konsultationen wurden teils von der Verfasserin und teils von Dr. Hans-Ludwig Frese, Universität Bremen, durchgeführt.
2
Mitgliedern geführt.6 Den Gesprächen wurden sowohl die je eigenen Satzungen der Dachverbände und die darin enthaltenen
Aufgabenbeschreibungen, Ziele und Selbstverständnisse zugrunde gelegt, als auch weiter unten genannte Praktiken aus der islamischen Tradition (vgl. Kap. II.2.) im Hinblick auf ihre Ausübung
abgefragt. Darüber hinaus wurde nach der Beziehung zwischen
Dachverband und örtlicher Moscheegemeinde zur Durchführung
der umfassenden Religionspflege gefragt.
b) Die Räumlichkeiten der ausgewählten Moscheegemeinden wurden besichtigt und in dieser Zeit stattfindende Praktiken (insbes.
Gebet) und Koran- oder Islamunterrichte teilnehmend beobachtet.
c) Primärmaterialien, die auf die Durchführung von religiösen Veranstaltungen der etwa letzten 12 bis 24 Monate hinweisen, sie
dokumentieren oder unterstützen (Veranstaltungsflyer, Veranstaltungsdokumentationen, Festeinladungen, religiöse Kalender,
Tätigkeitsberichte, Sitzungsprotokolle etc.) wurden zur Beurteilung mit herangezogen.
d) Die Websites der Landes- bzw. Bundesverbände und die dort wie
auch in den sozialen Medien offerierten Angebote für die Mitgliedsvereine bzw. Mitglieder wurden gesichtet und in Hinblick
auf eine mögliche Förderung der umfassenden Religionspflege
ausgewertet.
- Der Landesverband DITIB unterhält keine eigene Website; insofern wurde hier auf die Seite des Bundesverbands zurückgegriffen
(www.ditib.de).
6
Liste siehe Anhang.
3
- Der Landesverband der SCHURA unterhält eine eigene Website
(www.schura-niedersachsen.de), die allerdings erst im Laufe der
Begutachtung neu erstellt wurde.
e) Die zu begutachtenden Dachverbände sind der Verfasserin im
Rahmen ihrer Forschungen bekannt, zudem wurden einzelne
Verbände bereits in empirischen Studien, allerdings mit unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen, untersucht. Als Teil
der SCHURA: VIKZ, Jonker 2002, Boos-Nünning 2010; Millî Görüş,
Schiffauer 2010. DITIB: Seufert 1999, Rosenow 2010, Aysun 2012,
Beilschmidt 2013. Zusätzlich zu diesen wurden weitere vorliegende Studien mit länderübergreifendem Bezug (z.B. Haug et al.
2009) in die Begutachtung einbezogen. Wissenschaftliche Untersuchungen zur religiösen Praxis und Bindung wie Distanz von Mitgliedern zu den einzelnen Dachverbänden, die mit den Mitgliedschaftsstudien der EKD vergleichbar wären, liegen leider bislang
für die islamischen Dachverbände nicht vor.
Auf der Grundlage der vorgenannten Quellen ist weder eine vollständige qualitativ-empirische Fallanalyse der beiden Dachverbände noch aller ihrer Mitgliedsverbände möglich,7 jedoch eine valide Sichtung der
zentralen ideologischen Ausrichtung und Aktivitäten der Verbände möglich, die eine fundierte Beurteilung ihrer Tätigkeiten als eine „umfassende Religionspflege“ erlauben. Zur Begründung dieser Beurteilung
sollen im Folgenden zunächst Kriterien zur Bestimmung dessen darge7
Hierfür wären längerfristige teilnehmende Beobachtungen der Aktivitäten und umfänglichere narrative Interviews mit Mitgliedern notwendig, die jedoch den Rahmen einer solchen Begutachtung
sprengen würden. Darüber hinaus gäben sie eher differenzierteren religionswissenschaftlichen Fragestellungen Raum, als dass sie der Beurteilung des hier zu verhandelnden Sachverhaltes etwas
Grundsätzliches hinzufügen oder sie verändern würden.
4
legt werden, was aus religionswissenschaftlicher Perspektive unter einer „umfassenden Religionspflege“ in der Tradition des Islams zu verstehen ist.
5
II. Religionswissenschaftliche Bestimmung der Begrifflichkeiten8
1. Zur Definition von „Religion“ und der Tätigkeit der „umfassenden
Religionspflege“
Im Folgenden stelle ich der konkreten Begutachtung der islamischen
Landesverbände einen kurzen Überblick über die Diskussion und die
Bestimmung des Begriffs „Religion“ aus der Perspektive der zeitgenössischen Religionswissenschaft voran. Mittels dieser Begriffsbestimmung
lassen sich Kriterien für die Eigenschaft einer „umfassenden Religionspflege“ näher bestimmen.
Eine solche Begriffsbestimmung ist aus der Perspektive der Religionswissenschaft keinesfalls trivial. Alle bisherigen Versuche, das Phänomen
Religion von seiner Etymologie9, seiner Wesenheit10 oder seiner Funktion11 her kultur- und zeitübergreifend sowie objektiv zu bestimmen, sind
letztendlich gescheitert. Für alle Begriffsbestimmungen konnte gezeigt
werden, dass ihnen jeweils vorgängige einseitige oder normative Verständnisse von Religion – meist orientiert am Christentum – zugrunde
lagen (vgl. Figl 2003, 62-80 und Auffarth/Mohr 2000, Bd. 3, 160-172).
8
Kap II ist im Wesentlichen identisch mit dem gleichnamigen Kapitel aus Klinkhammer/de Wall 2012.
Wichtigste etymologische Herleitungen sind: 1. vorchristlich als „religere“ in der Bedeutung von
gewissenhafter Erfüllung (kultischer) Pflichten und 2. aus der christlichen Antike als „religari“ in der
Bedeutung von „verbunden sein“ (vgl. Figl 2003, 63).
9
10
Zu den modernen sog. substantiellen oder inhaltlichen Religionsdefinitionen gehören v. a. solche
Definitionen, die Religion als den Glauben an „spiritual beings“ bzw. „supernatural forces“ bestimmen (z. B. von Spiro 1966 und Stark/Bainbridge 1987).
11
Funktionale Definitionen bestimmen Religion vor allem von ihrer Leistung für den Menschen her.
Thomas Luckmanns Definition (1991) ist hier führend. Er hat die Funktion von Religion insgesamt in
den Prozess der Personwerdung und der Sozialisation gestellt. Religion wird dadurch extrem weit,
über jegliche konfessionelle Bestimmung hinausgehend, definiert. Dennoch grenzt Luckmann seinen
weiten funktionalen Religionsbegriff auch über die menschliche Fähigkeit des ‚Transzendierens der
alltäglichen Welt‘ ein und stellt somit wieder einen Bezug zur substantiellen Bestimmung her.
6
Die Schlussfolgerung, dass der Begriff Religion aufgegeben werden
müsse, weil mit ihm eine interessengeleitete, machtpolitische oder eurozentrische Blickverengung einhergehe,12 konnte erst mit der sogenannten „kulturwissenschaftlichen Wende“ relativiert werden. Durch
sie konnte Religion nunmehr als ein Phänomen identifiziert werden, das
nicht ohne seine Einbettung in die jeweilige Kultur existieren kann und
zu verstehen ist (bahnbrechend ist hier v. a. Geertz 1987). Jüngst hat
der Religionswissenschaftler Martin Riesebrodt (2007) vor diesem Hintergrund einen synthetisierenden Versuch unternommen, Religion von
außen her mit Bezug auf eine ursprüngliche Sinngebung (als Inhalt und
Funktion) zu definieren:
„Diese spezifische Sinngebung liegt in ihrem Bezug auf persönliche
oder unpersönliche übermenschliche Mächte, d.h., Mächte, die
kontrollieren oder beeinflussen, was sich menschlicher Kontrolle
entzieht“ (ebd. 108).
Riesebrodt hat hiermit wieder objektive Kriterien der Identifizierung
von Religion in die Religionswissenschaft eingeführt. Er betont gleichzeitig aber die Notwendigkeit, die je konkrete religiöse Sinngebung von
innen her, jedoch nicht nur als rein theoretische, sondern als sich im
religiösen Handeln manifestierende zu verstehen: Was eine übermenschliche Macht ist, obliegt dem religiösen Menschen selbst zu bestimmen und der stärkste Ausdruck dessen liegt in seiner religiösen Praxis. Dementsprechend definiert Riesebrodt Religion weiter als
„Komplex sinnhafter Praktiken […], die in einem relativ systematischen Sinnzusammenhang stehen. […] Religion [ist] somit ein je12
Der Religionswissenschaftler Jonathan Z. Smith hat die kritische Perspektive bezüglich der Möglichkeit einer Religionsdefinition auf die Spitze getrieben mit der Aussage: „There is no data for religion. Religion is solely the creation of the scolar’s study” (Smith 1982, xi).
7
weils empirisch gegebenes Handlungssystem, keine theologisch
konstruierte ‚Tradition‘. Insofern stellt Christentum oder Buddhismus nicht jeweils eine Religion dar, sondern Traditionen, die eine
Vielzahl von Religionen – im Sinne empirisch-historisch gegebener
Komplexe religiöser Praktiken – enthalten oder an ihnen […] partizipieren“ (ebd. 109).
Wenn Religion als Komplex kulturell und sozial eingebetteter Praktiken
mit einer spezifischen Sinnausrichtung auf übernatürliche Mächte verstanden wird, dann ist es auch möglich, Religion in den verschiedenen
Dimensionen von Kultur eindeutig zu identifizieren:
i.
Institutionelle Dimension (z. B. Kirche, Bruderschaft, Verein, Bewegung)
ii.
Gemeinschaftlich-rituelle Dimension (z. B. Liturgien, Gebete, Feste)
iii.
Personale Dimension (z. B. lebenszyklische Riten, Zuversicht auf
ein Leben nach dem Tod, meditative Rituale, Seelsorge)
iv.
Ethische Dimension (z. B. religiöse Werte, leitende Narrative)
v.
Kognitiv-ideologische Dimension (z. B. Glaubensgrundsätze, Mythen, Traditionsvermittlung)
vi.
Ästhetische Dimension (z. B. Ikonographisches, Kultgebäude/räume, Farben, Formen)13
Religionswissenschaftliches Kriterium für die Tätigkeit der „umfassenden Religionspflege“ ist demnach eine religiöse Praxis, die nicht nur in
einer, sondern in allen genannten Dimensionen von Kultur eingebettet
ist.
13
Unter Aufnahme der klassischen dimensionalen Ansätze von Wach (1962), Glock/Stark (1965),
Smart (1969), Boos-Nünning (1972) und der Kompilation von Auffarth/Mohr (2000).
8
Jede religiöse Tradition zeichnet sich durch spezifische Grundlinien des
Verständnisses der übernatürlichen Mächte und ihrer spezifischen Manifestationen in der Welt bzw. ihrer Beziehung zu den Menschen aus.
Auf welche Weise innerhalb einer Tradition wie der des Islams die „umfassende Pflege“ umgesetzt und welche Schwerpunkte dabei gelegt
werden, ist von innen her, also je von der Religionsgemeinschaft als
konkreter sozialer Träger der religiösen Tradition her zu bestimmen.14
Aus diesem Grund werde ich in einem zweiten Vorspann konkretisieren,
welche Grundlinien durch die Tradition des Islams als Rahmen gegeben
sind und anschließend beispielhaft darlegen, welche kulturellen Einbettungen sich religionsgeschichtlich ausgeprägt haben. Jeder der zu begutachtenden Verbände setzt – wie sich zeigen wird – seine spezifischen
Schwerpunkte, um die Identität des Islams und seiner Religionsgemeinschaft zu wahren.
2. Die „umfassende Religionspflege“ in der Tradition des Islams
Es steht außer Frage, dass es sich beim Islam um eine Religion im oben
dargestellten religionswissenschaftlichen Sinne handelt, die sich umfassend in alle Dimensionen der Kultur eingebettet sowie Kultur(en) umfassend geformt und weiterentwickelt hat. Zu konkretisieren ist an dieser Stelle, welchen Rahmen die Tradition des Islams setzt, um als solche
tradiert und bewahrt zu werden. Im Kontext dieses Gutachtens kann
unmöglich auf alle Facetten der reichhaltigen religiösen Kultur des Islams eingegangen werden; es sollen nur einige Grundlinien nachge-
14
Dieses Vorgehen findet sich im Übrigen bereits bei dem Klassiker der Religionssoziologie Max Weber (1920), sowie gegenwärtig bei Riesebrodt (2007).
9
zeichnet und zentrale Punkte aus deren vielfältigen religionsgeschichtlichen Einbettung in die genannten kulturellen Dimensionen aufgezeigt
werden. Diese Darstellung dient im Folgenden als Folie für die konkrete
Begutachtung der zwei islamischen Verbände und der Identifizierung
ihrer je besonderen Identität.
Darüber, was noch als zu einer bestimmten religiösen Tradition zugehörig gilt und was nicht mehr, haben sich Religionsgemeinschaften stets
mehr oder weniger friedlich auseinandergesetzt. In der Religionswissenschaft ist dieser Prozess lange unter dem Begriff der Bildung von
„Sekten“ behandelt worden.15 Entlang der unterschiedlichen Auslegungen der Religionsidee oder Religionspraxis haben sich immer wieder
neue Religionsgemeinschaften gebildet – so auch innerhalb der islamischen Tradition –, die sich gegenseitig nicht immer als legitime Traditionswahrer anerkennen.16 Insofern muss die folgende Darstellung als
eine religionswissenschaftliche Zusammenfassung eines Minimalkonsenses unter den (sunnitischen) Anhängern der islamischen Tradition
begriffen werden.17 Mit den zwei zu behandelnden islamischen Verbänden in Niedersachsen (Kap. III) zeigen sich entsprechend je konkrete
15
Aufgrund des objektsprachlichen und pejorativen Charakters des Begriffs „Sekte“ verwendet man
in der Religionswissenschaft heute eher die Bezeichnung „neue religiöse Gemeinschaft“. Ausgründung und Ausdifferenzierung von neuen religiösen Gemeinschaften im Islam hat der Islamwissenschaftler Sedgwick (2004) insbesondere in den Rechtsschulen und den sufischen Ordensgründungen
ausgemacht.
16
So ist nach wie vor strittig, ob die Aleviten, die sich selbst nicht immer als islamisch bezeichnen, als
Muslime gelten können, weil sie nur die wenigsten der im Folgenden dargelegten Grundlinien teilen
(vgl. Sökefeld 2008). Die Ahmadiyya, die sich eindeutig als islamisch begreift, ist religionswissenschaftlich als „neureligiöse Bewegung“ aus dem Islam zu beschreiben. Sie wird jedoch von den sunnitischen Gruppierungen nicht als islamisch akzeptiert. Ähnliche Fälle liegen auch im Christentum vor:
Die Zeugen Jehovas verstehen sich als christlich, religionswissenschaftlich betrachtet gehören sie
ebenfalls zur Tradition des Christentums, von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sind sie
jedoch nicht als christlich anerkannt.
17
Vgl. hierzu ausführlicher religionswissenschaftliche Einführungen in den Islam: Schimmel (1990),
Ruthven (2001), Dressler/Klinkhammer (2003).
10
Auffassungen, wie die die Tradition des Islams umzusetzen und zu wahren ist.
Die an dieser Stelle näher zu erläuternden Grundlinien folgen dem
mehrheitlich vertretenen sunnitischen Islam. Diese Richtung leitet ihren
Namen von dem Begriff sunna18 ab, der in etwa Tradition meint, und
zwar speziell die des Propheten Muhammad. Hier zeigt sich bereits ein
spezifisches Merkmal dieser größten Richtung des Islams, insofern hier
dem Selbstverständnis nach dem Vorbild des Propheten nachgeeifert
wird. Seine Taten – bzw. das, was als diese religiös tradiert wird – werden in ritueller wie in ethischer Hinsicht nachgeahmt. Dort, wo sich
Muslime uneinig bezüglich Muhammads Handeln oder bezüglich der
Bedeutung des göttlichen Willens (niedergeschrieben im Koran) waren,
haben sich innerhalb des sunnitischen Islams Auslegungstraditionen
u. a. als Rechtsschulen und/oder abweichende Richtungen der Frömmigkeitspraxis gebildet.19
Zu den zentralen Grundlinien der sunnitischen Tradition des Islams gehören
- die Anerkennung des Korans als göttliche Botschaft, die Gott
(arab.: allah) durch Muhammad (ca. 570-630 n.u.Z.) herabgesandt hat,
18
Islamische Begriffe werden in gängiger eingedeutschter Umschrift verwendet, da im Rahmen dieses Gutachtens keine sprachwissenschaftlichen, sondern ausschließlich religionswissenschaftliche
Details von Interesse sind. Dabei wird u. U. manches Mal die arabische, ein anderes Mal die türkische
Begrifflichkeit verwendet; hier habe ich mich nach der Verwendung der Gesprächspartnerinnen und
Gesprächspartner gerichtet. Da es sich meist nur um leichte Abänderungen in der Vokalisation handelt, sind die Begriffe dennoch leicht zu identifizieren.
19
So z. B. in den sich gegenseitig anerkennenden vier sunnitischen Rechtsschulen oder den vielen
Richtungen sunnitisch-sufischen Islams, der bis zum Ende des Osmanischen Reichs auch auf türkischem Gebiet noch eine große Rolle spielte. Auch der schiitische Islam wird von Sunniten als islamisch anerkannt – wie auch umgekehrt –, trotz zahlreicher Unterschiede in der Religionspraxis.
11
- der Glaube daran, dass Muhammad Gottes letzter Prophet, das
„Siegel der Propheten“ (Sure 33, 40) ist sowie die Wahrung
Muhammads Vorbildes bzw. seiner Tradition (sunna),
- der Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes (tawhid), die auch
im Glaubensbekenntnis ausgedrückt ist (s. u.),
- der Glaube an Gottes Engel, die Gesandten Gottes (Propheten)
und ihre Offenbarungsschriften sowie an den Jüngsten Tag des
Gerichts durch Gott,
- die Anerkennung von fünf Pflichten eines Muslims, die sog. „Säulen des Islams“ (arkan al-islam), die alle auf Korantexte zurückgehen:
1. Das Aussprechen des Bekenntnisses zum Islam (schahada):
„Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass
Muhammad der Gesandte Gottes ist“(vgl. Sure 3, 18).
2. Das Gebet (salat):
Wahrscheinlich hat die Gemeinde schon zu Lebzeiten
Muhammads das tägliche rituelle Gebet verrichtet. Die Anzahl
der Gebete ist im Koran nicht festgelegt, nur das generelle
Gebot, das Gebet zu verrichten. „Das Gebet ist für die Gläubigen eine festgelegte Vorschrift“ (Sure 4, 103). Bereits sehr früh
hat sich jedoch das tägliche fünfmalige Gebet durchgesetzt.
Zur Verrichtung des Gebets bedarf es einiger Voraussetzungen, mindestens der Möglichkeit einer rituellen Waschung
(Wasser oder umständehalber Sand), eines sauberen Ortes
(z. B. Gebetsteppich) und der Ausrichtung der Gebetsrichtung
gen Mekka. V. a. das Freitagsgebet (salat al-dschuma) wird
12
traditionell gemeinschaftlich in der Moschee durchgeführt
(vgl. Sure 62, 9) mit einer anschließenden Predigt (hutba).
3. Das Fasten (sawm):
An den 29 Tagen des Mondmonats Ramadan darf von Sonnenaufgang – sobald man einen schwarzen von einem weißen
Faden unterscheiden kann – bis Sonnenuntergang nicht gegessen, getrunken, geraucht, kein Wohlgeruch genossen und
kein Geschlechtsverkehr gepflegt werden (vgl. Schimmel 1990,
33). „Der Monat Ramadan ist es, in dem der Koran herabgesandt worden ist als klarer Beweis der Rechtleitung und der
Rettung. Wer nun von euch während des Monats anwesend
ist (d. h. nicht unterwegs), soll in ihm fasten“ (Sure 2, 185).
Zum Gedenken an die Herabsendung rezitiert man in Moscheen im Laufe des Ramadans den gesamten Koran.
Das Fasten gilt als Pflicht nur für gesunde Erwachsene. Allabendlich wird das Fastenbrechen (iftar) in der Familie bzw. in
der Moschee mit einem Gebet begangen. Am Ende des Ramadans steht das große Fest des Fastenbrechens (id-al fitr).
4. Das Almosengeben (zakat):
Die Abgabe von Almosen ist für alle Musliminnen und Muslime verpflichtend, sofern sie Vermögen besitzen. Die zu begünstigenden Gruppen werden im Koran genau genannt (Sure
9, 60). Aber auch über diese Pflichtabgabe hinaus ist das
Spenden für Bedürftige und für die Förderung des Islams üblich.
5. Die Pilgerreise (hadsch):
13
Jeder Muslim und jede Muslimin sollte einmal im Leben eine
Wallfahrt nach Mekka unternehmen. Die Tradition der Wallfahrt geht auf Muhammad zurück, der kurz vor seinem Tod eine solche unternommen hat. Zwar ist es jederzeit möglich, eine sog. „kleine Wallfahrt“ (umra) zu unternehmen, der eigentliche hadsch ist aber an eine bestimmte Zeit gebunden: Er
wird im letzten Monat des islamischen Jahres, vom 8. bis 13.
dhu’l-hidscha vollzogen. Die Riten der Wallfahrt sind sehr
komplex, insofern gibt es dafür heute spezielle Vorbereitungskurse. Zudem ist der hadsch gegenwärtig nur mit einem speziellen Wallfahrtsvisum erlaubt.
Am 10. Tag des Wallfahrtsmonats wird das „Opferfest“ (id aladha) mit einem rituell geschächteten Schaf begangen. Dies
ist Gebot nicht nur für die Pilgernden, sondern auch für die
Daheimgebliebenen.
Die islamische Tradition kennt über diese fünf Säulen hinaus viele traditionelle Riten, die den Lebenszyklus betreffen (Namensgebung, Jungenbeschneidung, Hochzeit, Tod und Trauer), kleine täglich durchzuführende Riten (z. B. das Aussprechen der basmala vor rituellen wie alltäglichen Tätigkeiten) und Feste, die den Jahresverlauf (türk.: kandil gecesi)
vieler Musliminnen und Muslime prägen (z. B. Geburtstag des Propheten, Himmelsreise des Propheten u. a.). Diese können regional wie bekenntnismäßig unterschiedlich gewichtet und gestaltet sein. Einzelne
Vorschriften wie das Schweinefleisch- (Sure 2, 173) und Alkoholverbot
(u. a. Sure 5, 90) sind ebenfalls für die islamische Identität der meisten
gläubigen Musliminnen und Muslime – zumindest in einer sozialen Um-
14
gebung, in der diese Vorschriften mehrheitsgesellschaftlich nicht relevant sind – zentral.
Insbesondere im 20. Jahrhundert – auch bedingt durch Migrationsbewegungen – sind neue, zum Teil verstärkt symbolisch und ethisch ausgerichtete Interpretationen der genannten Grundlinien des Islams entstanden. D. h., diese Grundlinien werden zwar nicht generell infrage
gestellt, aber Anerkennung, Ausführung und Verpflichtung werden
durchaus in unterschiedlicher Weise verstanden.20 Zudem kann auch
ein dominantes andersartiges Religionsverständnis der Mehrheitsgesellschaft zu Veränderungen und strukturellen Anpassungen führen (vgl.
z. B. Baumann 2000).
Beispiele kultureller Dimensionen der Einbettung des Islams
i.
Die institutionelle Dimension
Der sunnitische Islam kennt keine Kirche, wie sie sich als sakrale Institution mit der „Heiligen katholischen Kirche“ durchgesetzt hat. Vielmehr
kennen die Muslime den Begriff der umma als Gemeinschaft aller muslimischen Gläubigen, die aber (zunächst; s. u.) ohne eine sakral gedeutete Ämterhierarchie auskommt. Als zentrale Institutionalisierung des
sunnitischen Islams gelten die Moschee und ihr Betrieb. Der Begriff
„Moschee“ leitet sich etymologisch vom arabischen Begriff masjid:
„Stätte der Niederwerfung (im Gebet)“ ab, der zunächst auch als Be20
Vgl. hierzu z. B. Studien zur Religiosität von Frauen im Islam, die eine starke Veränderung in den
letzten 20 Jahren konstatieren (Klinkhammer 2011) und Interpretationen des Korans feministischer
Art hervorgebracht haben (ZIF 2005). Vgl. aber auch ganz unterschiedliche Interpretationen des
Korans als göttlicher Offenbarung wie Muhammad Mahmut Taha (1987) oder eine moderate moderne Lesart wie Abdullah Saeed (2006) u. a.
15
zeichnung für christliche und jüdische Gebetsstätten galt.21 In der Entstehungszeit des Islams wurde der Gebetsort durch die Absteckung der
Gebetsrichtung und die Reinigung des Ortes informell bestimmt. Doch
da das gemeinsame und das mehrfache tägliche Gebet schon sehr früh
zu den wesentlichen Praktiken des muslimischen Glaubens gehörten,
wurde die entsprechende Gebetsstätte, die Moschee, bald zu einem
elementaren Bestandteil des liturgischen und sozialen Miteinanders der
Muslime. Genaue Ausführungen zum Gebet finden sich weniger im Koran selbst als vielmehr in den Aussprüchen des Propheten (hadithe) und
hier z. B. in einer von Muslimen anerkannten zentralen Kompilation,
den „Aussprüchen des Propheten“ des Al-Buharis aus dem 9. Jahrhundert (Al-Buhari, dt. Teilübersetzung 1991). Zudem entwickelte sich in
der islamischen Religionsgeschichte eine reichhaltige Tradition des Moscheebaus, in der die zentralen Elemente einer Moschee festgelegt
wurden.22 Wichtig war schon früh die Person des Muezzins, der von einem erhöhten Ort zu den fünf Gebeten rief. Dieser muss keine speziellen Qualifikationen vorweisen, sollte aber eine schöne Stimme besitzen.
Der Inhalt des Gebetsrufs (adhan) ist festgelegt. Aus der zweckmäßigen
Erhöhung des Sitzes des Muezzins wurde im Laufe der Religionsgeschichte ein Minarett, das gegenwärtig viele aber nicht alle Moscheen
schmückt. Der Gebetsruf vom Minarett erfolgt heute in der Regel über
einen Lautsprecher. Eine Moschee wird ausschließlich von ihrer Inneneinrichtung her definiert (nicht von ihrem Grundriss wie eine Kirche).
Zur Inneneinrichtung einer Moschee gehören:
21
Vgl. zur Bedeutung der Moschee ausführlicher z. B. Beinhauer-Köhler 2009.
22
Vgl. zum Folgenden Pedersen 2001.
16
- ein Brunnen bzw. fließendes Wasser zur islamisch vorgeschriebenen
rituellen Waschung (wudu) vor dem Gebet; getrennte Waschanlagen, sofern auch Frauen einen meist getrennten (durch Vorhang
o. ä.) Gebetsraum in der Moschee haben. In islamischen Ländern
wurden üblicherweise Brunnen im Innenhof vor dem Moscheeeingang gebaut.
- eine Nische in der Innenwand des Gebetsraums (mihrab), oft als Tor
stilisiert und mit Stein oder Marmor und Koranzitaten besonders
verziert. Die Nische zeigt die Gebetsrichtung (qibla) nach Mekka an.
Das stilisierte Motiv der Gebetsnische ist auch auf vielen Gebetsteppichen zu finden.
Moscheen, die gleichzeitig als sog. Freitagsmoscheen fungieren, in denen sich die Gläubigen mindestens einmal wöchentlich am Freitagmittag (Sure 62, 9) zum gemeinsamen Gebet sowie zur Predigt (hutba) des
Imams versammeln, weisen zudem eine Kanzel (minbar) auf, zu der eine
Treppe hinaufführt. Meist ist die Kanzel rechts neben der Gebetsnische
platziert. Die Predigt wird von der Treppe der Kanzel gehalten.
Aufgrund des Bilderverbots im Islam besteht der Wandschmuck meist
ausschließlich aus Kalligraphien, oft Tafeln mit dem Namen Gottes, dem
des Propheten, denen der vier nachfolgenden Kalifen und den zwei Enkeln des Propheten sowie mit Zitaten aus dem Koran. Sofern sich die
Erbauer dies leisten können, zieren die Moschee von innen außerdem
bunte Mosaikmuster. Zwar gelten Moscheen nicht als sakrale Orte – in
ihnen werden außerhalb der Gebetszeiten alltägliche Gespräche geführt
und Vorträge gehalten – allerdings gibt es durchaus Verhaltensregeln,
die darauf hinweisen, dass diese Orte eine besondere religiöse Atmosphäre umgibt. So sollte man sich z. B. nicht zwischen einen Betenden
17
und der qibla stellen und niemals mit Straßenschuhen Gebetsteppiche
betreten.
Zum Institut einer Moschee gehört außerdem ein Imam. Der Imam ist
der Vorbeter – der im Prinzip jeder erwachsene Mann23 sein kann, der
sich ausreichend gut mit dem Gebet und der Rezitation auskennt. Aus
der Aufgabe des Imams als ständiger Vorbeter in einer Moschee hat
sich im Laufe der Religionsgeschichte ein umfangreiches Amt zur Koranerziehung wie zur Seelsorge entwickelt.
Insbesondere die zentral errichteten sog. Freitags- bzw. Zentrumsmoscheen wurden zu umfangreichen Komplexen ausgebaut, die auch Bibliotheken, Koranschulen sowie höhere Bildungsstätten und theologische
Lehranstalten (madrasa) beheimaten; darüber hinaus vereinzelt auch
Krankenhäuser, Badeanstalten u. a. Zu ihrer Erhaltung dienen sog.
„Fromme Stiftungen“ (waqf), ins Leben gerufen durch Stifter, die ihr
Vermögen einer Moschee überlassen, die dadurch ihr Auskommen hat
(vgl. Hartung 2005). In den vielen sog. „islamischen Ländern“ ist heute
die überwiegende Anzahl der Stiftungen in Staatsbesitz überführt worden. Entsprechend gibt es kaum mehr unabhängig geführte Moscheen.
Moscheen wurden auch als Grabmoscheen gebaut, wenn einer besonderen muslimischen Persönlichkeit Ehre erwiesen werden sollte. So beispielsweise im Rahmen des sufischen Islams, der neben dem Amt des
Vorbeters auch das des Scheichs als spirituellen Führer kennt (vgl. Sedgwick 2001, Klinkhammer 2009). Ein solcher Islam ist unter den überwiegend türkeistämmigen Muslimen in Deutschland – anders als in anderen europäischen Heimaten des Islams – wenig ausgeprägt, da 1925
23
So ist die Auslegung der Mehrheit der Muslime. Es gibt aber muslimische Frauen (Amina Wadud
u.a.), die das kritisieren und das Amt als geschlechtlich nicht festgelegt verstehen.
18
mit den Reformen Atatürks zur Eindämmung des Einflusses des Islams
unter anderem die Enteignung und das Verbot der Sufibruderschaften
einherging. Dies ist einer der Gründe, warum in Deutschland keine
Grabmoscheen zu finden sind.
ii.
Die gemeinschaftlich-rituelle Dimension
Die gemeinschaftliche Dimension des Islams kommt vor allem in dem
hohen Stellenwert zum Ausdruck, den die Gemeinschaft der Gläubigen
sowohl der Ausübung zentraler Riten als auch der ethischen Verpflichtung gegenüber Glaubensgeschwistern und Bedürftigen im Allgemeinen
beimisst (vgl. iv).
Der Islam kann zu Recht gerade in seinen Anfängen primär als Kultgemeinschaft verstanden werden. Das gemeinsame Ritualgebet dem
Muhammad vorstand, gehört bis heute zum zentralen Element der
Identität der islamischen Gemeinschaft. Die umma vereint und verkörpert sich als Gemeinschaft in diesem Gebet, in dem man sich gemeinsam Richtung Mekka zur Kaaba als Zentralheiligtum richtet. Auch andere Riten wie der hadsch und das allabendliche Fastenbrechen im Ramadan sind religiöse Handlungen, die in der Gemeinschaft verrichtet werden sollen. Das Gebet in Gemeinschaft, heißt es in einem vielzitierten
hadith, habe einen fünfundzwanzigfach höheren Wert, als das allein
verrichtete.
19
iii.
Die personal-emotionale Dimension
Die personal-emotionale Dimension ist im Islam sicherlich eng verbunden mit der Zuversicht auf ein Leben nach dem Tod. Daneben begleitet
der Islam das Leben des Einzelnen durch Zeremonien, von der Namensgebung über die religiöse Erziehung bis zur Hochzeit und dem Tod. Da
der sunnitische Islam (abgesehen vom Sufismus; s. u.) kein religiöses
Mittlertum kennt, ist der Gläubige in seiner Beziehung zu Gott auf sich
gestellt. Der Vorbeter (imam) oder islamische Gelehrte (alim) kann ihm
zwar Rituale und Glauben erklären, ihm jedoch nicht als vermittelnde
Instanz beistehen. Insofern verfolgt die Sunna einen radikal individualistischen Weg: Der einzelne Muslim kann sich nur auf sein eigenes Tun
und auf die Gnade Gottes verlassen; vor Gott ist jeder gleich, es gibt
keine Privilegien.24
Im sufischen Islam der sunnitischen Richtung haben sich zusätzliche
meditative Rituale des Gottgedenkens (dhikr) entwickelt. Die religiöse
Hinwendung des Einzelnen zu seinem spirituellen Lehrer (Scheich), dem
Propheten Muhammad und Gott, und die Ausbildung einer LehrerSchüler-Beziehung werden hier als geeignet angesehen, um einen spirituellen Entwicklungspfad zu beschreiten.
Darüber hinaus haben sowohl der sunnitische Imam wie auch der SufiScheich die seelsorgerliche Betreuung von Gläubigen übernommen –
wenngleich in Krisen- und Krankheitszeiten alle Gläubigen einer Gemeinde umeinander bemüht sind.
24
Etwas anders ist dies im schiitischen Islam: Muhammad, Fatima und die „entrückten“ Imame können um Beistand angefleht werden (vgl. Halm 2005).
20
iv.
Die ethische Dimension
Hinweise für die ethisch-soziale Dimension des Islams finden sich zum
einen im Koran selbst, der als die zentrale Quelle für die rechte islamische Lebensweise, die scharia, gilt (vgl. z. B. den sog. Pflichtenkanon
Sure 17, 22-39). Zum anderen ist die Religiosität des Propheten
Muhammad wie auch sein soziales Verhalten den Gläubigen das vornehmste Vorbild (vgl. Schimmel 1981). Im 9. Jahrhundert hat man versucht, den Koran und die hadithe systematisch als Grundlage für die
Ordnung einer Gemeinschaft heranzuziehen. Vor dem Hintergrund dieser religionsgeschichtlichen Entwicklungen sind vier sunnitische Rechtsschulen entstanden (Malikiten, Schafiiten, Hanbaliten, Hanafiten), die
sich regional unterschiedlich ausgebreitet haben und sich gegenseitig
als islamisch-sunnitisch anerkennen. Ihre Auslegungen sind zwar religionsgeschichtlich normgebend für den Islam gewesen, aber dennoch
sind sie heute nicht unbedingt bindend für alle Muslime. Ein Beispiel
dafür ist die Segregation der Geschlechter, die zwar durch die Rechtsschulen festgeschrieben wurde, heute jedoch in unterschiedlicher Weise inFrage gestellt wird (vgl. z. B. Mernissi 1989).
Auch die zentrale muslimische Pflicht der zakat, wie das Almosengeben
überhaupt und auch die Aufforderung zum Teilen des Essens zum Opferfest, weisen auf weitere zentrale sozialethische Dimensionen des Islams hin, denen historisch in unterschiedlicher Weise genüge getan
wurde. So werden heute beispielsweise anstelle einer massenhaften
Schlachtung vor Ort Spenden für die Schlachtung in Regionen gesammelt, in denen mehr Bedürftigen leben.
Zudem hat sich in der islamischen Religionsgeschichte die Praxis des
Rechtgutachtens, der fatwa, entwickelt, das auf Anfrage von Gläubigen
21
von einem ausgebildeten Rechtsgelehrten (alim; pl.: ulema) zu Fragen
und Problemen des Alltags erstellt wird. In der Türkei bearbeitet beispielsweise die Diyanet, das „Amt für religiöse Angelegenheiten“, solche
Anfragen. Auch das Internet bietet heute vielfältige Möglichkeiten zur
islamischen Online-Beratung. Jedoch gilt auch hier: Eine Aussage, auch
wenn es die eines Großmuftis (eines Oberhauptes der Rechtsgelehrsamkeit in einem Staat) ist, ist nicht religiös bindend für den Gläubigen,
sondern hat beratende Funktion.
v.
Die kognitiv-dogmatische Dimension
Die kognitiv-dogmatische Dimension bezieht sich auf das gesamte Wissen, das eine Religion sammelt und in ihr Zentrum stellt. Hierzu gehört
in der Tradition zunächst die Bestimmung der fünf Säulen des Islams
(s. o.) als seine zentralen Elemente, wie auch die Sammlung der Aussprüche des Propheten (Hadithwissenschaft) seit dem 8. Jahrhundert
oder die Ausgestaltung des Einheitsgedankens (tawhid) in der islamischen Theologie (kalam). Zur Systematisierung islamischen Wissens und
zur ethisch-sozialen Ordnung des islamischen Gemeinwesens entstanden die o. g. Rechtsschulen und die islamische Wissenschaft. Insbesondere die arabische Philologie setzt sich mit dem richtigen Verständnis
des Korans auseinander. Die Al-Azhar Universität in Kairo ist eine der
ältesten Schulen (medresen), an der arabische Philologie, islamische Geschichte, Theologie und Recht gelehrt werden. Bis heute gilt sie als das
angesehenste Zentrum sunnitischer Rechtsgelehrsamkeit. Die dort ausgebildeten ulema gelten als wichtige Garanten der Wahrung der Tradition des Islams weltweit. Sie repräsentieren zwar kein religiös qualifiziertes Amt, das sie über einen gläubigen Laien stellen würde. Dennoch
22
verkörpern sie als muftis, die Rechtsgutachten anfertigen, eine einflussreiche Institution der Ausformulierung des sunnitischen Islams.
Zur Wahrung der kognitiv-dogmatischen Dimension gehört auch die
Weitergabe des religiösen Wissens an die nächste Generation. Religiöses Wissen ist allerdings nicht nur theoretisch-kognitiv dimensioniert,
sondern auch ästhetisch (s. u.) und rituell. Insofern hat sich eine religiöse Erziehung in Form der Koranschule, in der sowohl die Rezitation des
Korans als auch grundlegende Rituale und Inhalte des Islams gelehrt
werden, in allen Strömungen des Islams entwickelt.
vi.
Die ästhetische Dimension
Der Islam – wie jede Religion – ist historisch bedingt von einer eigenen
Ästhetik geprägt. Diese Ästhetik zeigt sich zum einen öffentlich in der
Architektur seiner zentralen und repräsentativen Kultstätten (Kaaba,
Moscheen) und zum anderen in der Ästhetik seiner Rituale.
Betrachtet man die Ästhetik islamischer Architektur, so ist im Außenraum wie im Innenraum sicherlich das Motiv der Vermeidung bildlicher
Darstellungen leitend; darüber hinaus hat die spezielle Überzeugung,
dass ein Buch – und nicht eine Person wie im Christentum – die religiöse
Offenbarung darstellt, befördert, dass sich islamische Ästhetik auf
Schrift (Kalligraphie) und Wort (Rezitation) konzentriert. Die Kunst der
Rezitation des Korans gilt beispielsweise als religiös-spirituelle und segensreiche Übung, die sowohl im orthopraktischen wie im sufischen
sunnitischen und im schiitischen Islam vielfach gepriesen und weltweit
tradiert wird (vgl. dazu ausführlich Kermani 1999).
23
III. Die islamischen Dachverbände
Einleitung: Die religiöse Nachfrage von Muslimen in Deutschland
Im Auftrag der „Deutschen Islam Konferenz“ hat das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine repräsentative Umfrage unter
Muslimen in Deutschland unter anderem zu ihrer Religiosität und ihrer
Bindung an islamische Verbände durchgeführt (Haug et al. 2009). Letzteres erfolgte jedoch nur in sehr knapper Form und ohne die SCHURAVerbände oder die Millî Görüş zu berücksichtigen.
Die BAMF-Studie zeigt die intensive religiöse Praxis in zentralen Bereichen islamischer Tradition insbesondere der sunnitischen Muslime (mit
Migrationshintergrund) in Deutschland. Leider fehlen gesonderte Zahlen für die Länder. Für Niedersachsen wird eine Zahl von 235.600 bis
266.600 Musliminnen und Muslimen geschätzt.25 Konkreten Besuchszahlen von Freitagsgebeten und anderen Angeboten in speziellen Dachverbänden vor Ort wurden nicht systematisch erhoben. Ein kurzer Blick,
der hier auf die bundesweiten Zahlen geworfen werden soll, zeigt allerdings die große Nachfrage nach islamischen Dienstleistungen bzw. Angeboten und ergibt zusammen mit den im Rahmen des hier vorliegenden Gutachtens erhobenen Selbstdarstellungen, den Durchsichten von
Veranstaltungsdokumentationen und den stichprobenartigen Konsultationen in den Niedersächsischen Dachverbänden ein umfassendes plausibles Gesamtbild.
Um Aussagen über die religiöse Praxis der in Deutschland lebenden
Muslime zu treffen, ermitteln die Autoren der BAMF-Studie u. a. deren
konfessionelle Zusammensetzung, befragen sie nach ihrer Religiosität
25
So die Hochrechnung des Niedersächsischen Landtags: Antwort auf eine Große AnFrage – Drucksache 16/5234- 2012, S.16 auf der Grundlage der Zahlen von Haug et al. 2009.
24
und ihrem religiösen Verhalten und erheben die Mitgliedschaft sowie
das Engagement in einem religiösen Verein. Im Folgenden werden die
zentralen Ergebnisse dieser fünf Themenbereiche zusammenfassend
dargestellt. Der Fokus liegt dabei auf den Aussagen zu den Sunniten und
den Schiiten.
Die größte konfessionelle Gruppe unter den in Deutschland lebenden
Muslimen bilden die Sunniten (72 %), gefolgt von den Aleviten (14 %)26
und den Schiiten (7 %).
Die Mehrzahl der Sunniten bezeichnet sich selbst als „eher gläubig“
(48 %) bzw. als „sehr stark gläubig“ (42 %). Auch die Schiiten geben
mehrheitlich an, „eher gläubig“ (54 %) und „sehr stark gläubig“ (21%) zu
sein.
Zur Erhebung des religiösen Verhaltens befragen die Autorinnen der
Studie Muslime und Musliminnen nach ihrer privaten religiösen Praxis
(Beten, Speisen und Fasten) und ihrer öffentlichen rituellen Religiosität
(Besuch religiöser Veranstaltungen). Das zu den fünf Säulen des Islams
zählende Gebet wird von 42 % der befragten Sunniten täglich durchgeführt. Von den befragten Schiiten geben 31 % an, täglich zu beten. Speise- und Getränkevorschriften beachten Sunniten zu 91 % und Schiiten
zu 60 %. An religiöse Fastenvorschriften halten sich 70 % der Sunniten
und 38 % der Schiiten. Insgesamt geben Muslime um 20 % häufiger an,
religiöse Feste und Feiertage zu begehen, als die befragten Angehörigen
anderer Religionen. 79 % der befragten Sunniten und 39 % der befragten Schiiten feiern solche religiösen Feste ihrer Glaubensgemeinschaft.
26
Aufgrund der sich wandelnden Selbsteinschätzung der Aleviten bezüglich ihrer Zugehörigkeit zum
Islam ist das eine wohl auch wankende Zahl.
25
22 % der in Deutschland lebenden Sunniten und 10 % der Schiiten sind
nach eigenen Angaben Mitglied in einem religiösen Verein. Angehörige
anderer muslimischer Konfessionen geben sogar zu 29 % an, Mitglied in
einem religiösen Verein zu sein. Diesen höheren Anteil an Vereinsmitgliedern unter kleineren muslimischen Konfessionen führen die Autorinnen der Studie darauf zurück, „dass insbesondere religiöse Minderheiten in der institutionalisierten Selbstorganisation einen Weg suchen,
um ihre Interessen effektiv zu vertreten“ (ebd. 170). Die Anzahl der in
religiösen Vereinen Engagierten (13 %) ist unter den muslimischen Befragten nahezu identisch mit der Anzahl der Engagierten unter den Angehörigen nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften (15 %).
Die Ergebnisse der BAMF-Studie belegen eine intensive religiöse Praxis
bei den in Deutschland lebenden Muslimen. Insbesondere aufseiten der
sunnitischen Muslime und Musliminnen besteht eine große Nachfrage
nach religiösen Dienstleistungen. Angebote muslimischer Vereine und
Verbände, wie das gemeinsame Freitagsgebet, die Ausrichtung religiöser Feste oder die Anleitung und Begleitung bei der Pflege privater und
ritueller religiöser Praxis, werden von einer großen Anzahl der in
Deutschland lebenden Muslime in Anspruch genommen.
26
1. „DITIB - Landesverband Niedersachsen e.V.“
1.1 Geschichte und „geistiger Gehalt“ als Religionsgemeinschaft27
Der bundesweite Dachverband „Türkisch-Islamische Union der Anstalt
für Religion e.V.“ (Diyanet28 Işleri Türk Islam Birliği / DITIB) wurde am
12.05.1985 in Köln gegründet, nachdem sich einige Jahre zuvor erste
lokale Vereine (Berlin 1982, Köln 1984) unter diesem Namen niedergelassen hatten.
Das Engagement des türkischen Staates für die religiöse Betreuung der
Diasporagemeinden in Deutschland beginnt nicht zufällig nach dem Militärputsch von 1980, der u. a. mit dem Anwachsen religiösextremistischer Strömungen in der Türkei begründet worden war.29 Insofern ist die Gründung der DITIB in einer Zeit, in der sich die Niederlassung von Moscheevereinen bereits in einer fortgeschrittenen Phase befand, als Sorge der türkischen Staatsführung um ein Anwachsen des islamisch-türkischen Extremismus in der Diaspora zu verstehen.
„Von Beginn an ist die Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium der türkischen Republik und dem Präsidenten des Amtes
für Religiöse Angelegenheiten eines in §2 der Satzung geregelten
Hauptanliegen des Vereins.“ (Seufert 1999, 263)
Einige türkische oppositionelle religiös-politische Gruppen hatten zu
diesem Zeitpunkt in Deutschland bereits Moscheevereine gegründet
(wie beispielsweise die AMGT; heute: Millî Görüş30). Die Unabhängigkeit
27
Sofern sich der Abschnitt auf die DIYANET und den DITIB Bundesverband bezieht, ist er unverändert vom Religionswissenschaftlichen Gutachten für Hamburg 2012 übernommen.
28
Ali Bardakoğlu, der das Amt bis 2010 innehatte, übersetzt den Begriff „Diyanet“ nicht nur als „Religion“ und „Frömmigkeit“, sondern auch als „Integrität“ (2008, 11).
29
Vgl. Binswanger 1984, 212.
30
Dieser Moscheeverband agiert heute nicht nur unter verändertem Namen, sondern auch mit weniger starker Ausrichtung auf politische Entwicklungen in der Türkei (vgl. ausführlicher zu diesem
Wandel Schiffauer 2010 und Kap. 3 dieses Gutachtens).
27
der in Deutschland gegründeten türkischen Moscheevereine war bis zur
Mitte der 1980er Jahre der Regelfall, d.h., sie gehörten keinem islamischen Dachverband an. Die DITIB bot sich an, die religiöse Betreuung
und finanzielle Sicherung solcher meist noch kleinen unabhängigen Moscheevereine in Deutschland zu organisieren. Damit übernahm die DITIB
gleichzeitig die Funktion einer Aufsicht, um einer Übernahme dieser
Moscheevereine durch ihrer Ansicht nach anti-laizistische und extremistische Gruppierungen vorzubeugen.
Die Verbandssatzungen von damals und heute zeigen die ideologische
und hierarchische Verbindung zum türkischen Präsidium des „Amtes für
Religiöse Angelegenheiten“ (Diyanet). Der jeweilige Präsident der Diyanet ist sowohl als Ehrenvorsitzender des Vorstandes als auch als Vorsitzender des Beirates eingesetzt. Der Ehrenvorsitzende erhält zwar kein
Stimmrecht, der Beirat hat jedoch die zentrale Aufgabe, die zur Wahl
stehenden Personen für den DITIB-Bundesverbandsvorstand vorzuschlagen. Außerdem sind im Falle eines Streites innerhalb des siebenköpfigen, im Jahr 2009 eingerichteten „Religionsrates“ des DITIBBundesverbandes die Beschlüsse der Diyanet bindend,31 da dieser Rat
aus Beamten des türkischen Staates besteht, dessen Dienstherr der Präsident der Diyanet ist.
Die Diyanet versteht sich vom Prinzip her als Nachfolgeorganisation des
„Amtes des Şeyhülislam“, allerdings mit geringeren Befugnissen. Auch
im Osmanischen Reich war das „Amt des Şeyhülislam“ dem Sultan, d.h.,
der weltlichen Regierung unterstellt, allerdings ist die Diyanet heute
31
Vgl. Vereinsregister des Amtsgerichts Köln vom 25.1.1996, Blatt 10 (nach Seufert 1999, 263) und
DITIB-Satzung vom 8.11.2009, Paragraphen 9-13.
28
demgegenüber nicht mehr mit der Beaufsichtigung der Gerichtsentscheide und der Erziehung allgemein betraut.
„Das während der Republik gegründete Präsidium für religiöse Angelegenheiten fußte bis zu einem gewissen Grad auf osmanischen
Traditionen, es ähnelte in seinem Aufbau jedoch der Struktur säkularer staatlicher Institutionen; man hatte ihm die Befugnisse erteilt, religiöse Belange in Übereinstimmung mit dem Glauben, den
Traditionen sowie den moralischen Prinzipien zu regeln, die Gesellschaft über die Religion zu informieren und Kultstätten zu verwalten.“ (Bardakoğlu 2008, 10f)
Die Dienste der Diyanet gehen weit über eine reine Verwaltung der Religion hinaus. Die Diyanet ist sowohl seelsorgerlich32 als auch religionsrechtlich beratend tätig.33 Die Diyanet vertreibt eigene Schriften zum
Islam und erfüllt auf diese Weise die selbstgestellte Aufgabe, „verständliche“ und „vernünftige“ wie auch „gemäßigte“ Interpretationen des
Islams zu verbreiten und damit „Aberglaube, Irrtümer, Ignoranz, Ungerechtigkeit und religiösen Missbrauch“ zu bekämpfen (Bardakoğlu 2008,
15-34).
„Die auf religiösen Quellen fußenden Beiträge der Diyanet vertreten den orthodox-sunnitischen Islam hanefitischer Rechtsschule,
doch sie legen mit einer solchen Orientierung dem Verkehr zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in der Diaspora keine unüberwindlichen Hürden in den Weg. Der orthodoxen Lesart der
Quellen entspricht, daß kein politischer Aufruf an den einzelnen
Muslim ergeht, sich (islam-)politisch zu betätigen […]. Bis zu einem
gewissen Grad wird das Christentum als ein Stück des Weges zur
Wahrheit anerkannt, Kooperation zwischen Christen und Muslimen gefordert und die Verantwortung der Muslime für ein gedeihliches Zusammenleben hervorgehoben.“ (Seufert 1999, 274)
32
Vgl. Colak 2005. In ähnlicher Einschätzung auch Oehring (2011, 148).
33
Vgl. Uçar (2005, 245-280), der die vielfältigen Themen der Rechtsgutachten der Fatwa-Direktion
der Diyanet auflistet.
29
Entsprechend seiner Anbindung an die Diyanet ist der islamische Dachverband DITIB als Vertreter einer religiös gemäßigten, den türkischen
Laizismus anerkennende und anti-laizistischen Extremismus abwehrende Richtung des sunnitischen Islams zu verstehen.34 Trotz kritischer Diskussionen über die Frage der Zeitgemäßheit der Bindung an die islamischen Rechtsschulen, hält die Diyanet praktisch in ihren Äußerungen an
der hanefitischen Orientierung und damit an einer eher konservativen
Ausrichtung der Auslegung des Islams fest.35
Die Diyanet zeichnet durch ihre Staatsnähe eine grundsätzlich konservative gesellschaftspolitische Haltung aus. Unter Berücksichtigung des aktuellen politischen Wandels in der Türkei darf derzeit zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass die Diyanet immer nur so gemäßigt sein
kann, wie es die jeweilige Regierung ist.
34
Die DITIB veröffentlicht kaum eigene Schriften. Auf der Website lassen sich jedoch beispielsweise
Hinweise zur Bestätigung dieser Einschätzung finden: „Islam bedeutet zugleich Frieden, Sicherheit
und die Freiwillige Hingabe an Gott. Der Islam hat das Ziel, die Menschen auf der Erde und im Jenseits zum Glück und zur inneren Ruhe zu führen. Er hat zu allen Lebenslagen der Menschen Problemlösungen vorgeschlagen. Toleranz, Liebe und Gleichheit sind wichtige Elemente des Islam. Zwischen Islam, Christentum und Judentum gibt es sehr viele Ähnlichkeiten.“,
www.ditib.de/default1.php?id =7&sid=17&lang=de. Vgl. hierzu auch Vorträge Bardakoğlus (2008).
35
Ucar (2005, 284-290) betont, dass in der DITIB die Bindung an die Rechtsschulen zugunsten eines
Idschtihads (Freier Auslegung) diskutiert werde – ohne dass allerdings Letzteres konkrete Umsetzung
erfahre.
30
2.2 Zur „äußeren Erscheinung“ als Religionsgemeinschaft
2.2.1 Struktur des Verbandes
DITIB ist heute mit mittlerweile ca. 892 Mitgliedsvereinen, darunter
nach eigenen Angaben 805 Moscheevereine, der größte islamische
Dachverband in Deutschland.36 Laut Studie des BAMF (Haug et al. 2009)
fühlen sich etwa 28 % der türkisch-sunnitischen Musliminnen und Muslime durch den Verband „gut“ vertreten, 19 % noch „teils/teils“. Fast die
Hälfte der türkisch-sunnitischen Musliminnen und Muslime in Deutschland haben demnach ein positives Verhältnis zur DITIB, ohne dass der
Verband allerdings entsprechend hohe Mitgliedszahlen zu verzeichnen
hätte.37
Eine qualitativ-empirische religionswissenschaftliche Studie untersucht
derzeit Motive der Mitgliedschaft in DITIB-Moscheegemeinden. Erste
Ergebnisse hierzu zeigen, dass in vielen Fällen die Anbindung an die türkische Sprache und Kultur eine Präferenz für DITIB hervorbringt, was
aber nicht bedeute, dass sich die Mitglieder der DITIB nicht ebenfalls
auch in Deutschland zuhause fühlten. DITIB werde zudem v.a. als religiöser Dienstleister wahrgenommen und als Ort, an dem man seine religiösen Bedürfnisse ausleben könne, unabhängig davon, wie man ansonsten außerhalb des Moscheebesuchs denke und lebe. Es gehe also
ein positives Verständnis von „Privatisierung von Religiosität“ mit der
36
Vgl. http://www.ditib-nord.de/historie. Es liegen m.W. keine externen Zählungen der DITIBMoscheevereine vor.
37
Dass die Mitgliedszahlen nicht der tatsächlichen Frequentierung der Moscheevereine entsprechen,
gilt bekanntermaßen für alle muslimischen Verbände (vgl. Klinkhammer 2000, 84f). Für die Religionsausübung regelmäßig etwas zu bezahlen (Mitgliedsbeiträge), ist weder in der Türkei noch in den
meisten anderen muslimischen Ländern üblich (Ausnahme ist z.B. Bosnien). Man spendet, auch für
die Gemeindearbeit, wird aber nicht als Einzelner Mitglied, eher schon als Familie. Die quantitative
Vertretungsleistung von DITIB über Gemeinderegister zu klären, wird bis zu seiner erfolgreichen
Implementierung sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
31
gemeinschaftlichen Religionsausübung in DITIB-Gemeinden einher (vgl.
Beilschmidt 2013).
Der Landesverband DITIB Niedersachsen wurde als einer der ersten
nach der dezentralisierenden Satzungserneuerung des Bundesverbandes 2009 gegründet. Aufgrund seiner großen Fläche organisiert der
Landesverband seine Gemeinden in sechs Bezirken: Hannover, Oldenburg, Osnabrück, Braunschweig, Göttingen und Bremen. Im Folgenden
wird Bremen, sofern nicht gesondert erwähnt, aus allen statistischen
Angaben herausgenommen. Von geschätzten 235.000 – 266.000 Muslimen und Musliminnen in Niedersachsen vertritt der Landesverband
DITIB nach eigener Einschätzung 140.000. Eingetragene Mitglieder in
Niedersachsen hat der Verband erst 10.200. Der Landesverband wie
auch die Gemeinden machen verstärkt Werbung für die Registrierung
als Mitglied. Noch ist an der Differenz von Besucherzahlen zu Freitagsgebeten in den lokalen Gemeinden und den Mitgliedschaftszahlen aber
deutlich ablesbar, dass überhaupt nur ein geringer Teil und dann i. d. R.
auch nur eine Person pro Familie registriert ist. Außer den Imamen hat
der Landesverband eine hauptamtliche Kraft in der Geschäftsführung,
Frau Oğuz und eine weitere Kraft auf halber Stelle, Frau Koçak angestellt. Alle anderen Vorstandsaufgaben werden ehrenamtlich getätigt.
Der Landesverband ist derzeit ohne eigene Website. Dieses Defizit passt
eigentlich nicht zu dem ansonsten sehr professionell und transparent
auftretenden Verband.
Weitere hauptamtliche Mitarbeiter, die im Landesverband tätig sind,
sind die Imame, die von der Diyanet für die lokalen Moscheevereine der
DITIB in Deutschland gestellt werden. Die Imame bleiben in dieser Zeit
allerdings Beamte des türkischen Staates. Sie werden durch Religionsat32
tachés der türkischen Konsulate betreut und beaufsichtigt. Das Abkommen zwischen der Türkei und Deutschland sah bislang vor, dass
türkische Imame für vier Jahre in Deutschland arbeiten können, in Ausnahmefällen bis zu acht Jahren. Diese Verlängerung ist der Erfahrung
geschuldet, dass die religiöse Leitung der Gemeinden nur sinnvoll erscheint, wenn die türkischen Imame ausreichend Deutsch lernen, eine
eigene Perspektive in den Gemeinden entwickeln und sich mit den Gegebenheiten in Deutschland vertraut machen können. Das durchschnittliche Gehalt eines türkischen Imams in Niedersachsen liegt zwischen
1.000,- € und 1.975,- €. Die Gemeinden stellen dem Imam darüber hinaus i. d. R. im Moscheegebäudekomplex eine mietfreie Wohnung zur
Verfügung. Derzeit besitzen ca. 60 der 80 niedersächsischen DITIBGemeinden ein mietfreies Nutzungsrecht für Moscheeräumlichkeiten,
deren Eigentümer der DITIB-Bundesverband ist (Auskunft Vorsitzender
Kılıç). Im Land Niedersachsen sind knapp 90 Religionsbeauftragte der
Diyanet hauptamtlich tätig, davon 80 als reguläre Imame in den DITIBGemeinden, weiterhin weibliche Religionsbeauftragte für die Fortbildung und Unterstützung der Frauen in den DITIB-Gemeinden auf Bezirks- und lokaler Ebene. Vereinzelt werden mittlerweile auch Verbänden wie ATIB und Millî Görüş (so in Hannover, Osnabrück) Imame durch
Diyanet gestellt.38
Der Landesverband koordiniert im Wesentlichen über den Vorstand und
den dazugehörigen Landesfrauen-, Landesjugend- und den Landeselternverband (vgl. §§ 16-18, LV DITIB Satzung 2014) die Aktivitäten der
lokalen Moscheegemeinden. Monatliche Bezirksversammlungen von
38
Auch hierin zeigt sich deutlich die veränderte religionspolitische Lage in der Türkei. Weder ATIB
noch Milli Görüş werden nunmehr als staatsgefährdend eingestuft, sondern vielmehr unterstützt.
33
den lokalen Vorständen, den Imamen, den Vertretern aus den Frauen-,
Jugend- und Elterngruppen und mindestens einem Vertreter aus dem
gewählten Landesvorstand sorgen seit Anfang 2014 dafür, dass die
neuen Strukturen und generell die Kommunikation zwischen den Gemeinden und dem Landesverband sowie dem Bundesverband funktioniert(Auskunft Landesverbandskonsultation).
In der Regel sind Mitglieder des Vorstandes sog. religiöse Laien. Bei Entscheidungen, die speziell religiöse Bereiche bzw. theologische Fragen
betreffen (z. B. Halal-Fleisch, Kopftuch) wird der Landesverband satzungsgemäß durch einen „religiösen Beirat“ beraten. Dieser Beirat wird
durch den „Religionsrat“ des Bundesverbands der DITIB eingesetzt. Ihm
gehören i. d. R. die vom türkischen Staat angestellten Imame bzw. Religionsgelehrten an die „mindestens ein vierjähriges Studium an einer
Fakultät oder Hochschule für Islamische Theologie absolviert haben“(§ 20 Abs. 2; LV DITIB Satzung 2014). Dieser „religiöse Beirat“ hat
nicht nur Beratung zur Aufgabe, sondern er hat auch das Recht ein
(schriftliches) Veto bei Entscheidungen des Vorstands einzulegen,
„wenn er der Meinung ist, dass diese Verbandsbeschlüsse gegen die
Lehre des Islam verstoßen“(§ 21, Abs 3.; LV DITIB Satzung 2014). Derzeit
sind sechs Imame für den Landesverband Niedersachsen und Bremen
im religiösen Beirat vom Religionsrat des Bundesverbands einberufen
worden. Durch die Benennung der Religionsbeiräte sowie durch regelmäßige Fortbildungen der Imame auf Bundesebene behält sich der
Bundesverband wie auch die Diyanet die Kontrolle der islamischtheologischen Ausrichtung der Gemeinden vor.39
39
Auch die zentrale Vorgabe der Freitagspredigten sind an dieser Stelle zu nennen – hierzu eingehender 2.2.2. a).
34
Die Diyanet hat überdies an der Goethe-Universität in Frankfurt am
Main eine Stiftungsprofessur für die Ausbildung islamischer Theologen
eingerichtet. An der Besetzung der Professuren für islamische Theologie
an der Universität Osnabrück war der Landesverband DITIB durch die
Entsendung von drei Personen in den entsprechenden Beirat beteiligt.
Die Studiengänge sind gut besucht, allerdings ist bisher nicht geklärt,
wie aus solchen Studienabgängern Imame für konkrete Verbände wie
die DITIB-Moscheegemeinden werden können.40
Seit Jahren läuft der Modellversuch zur Einführung islamischen Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen Niedersachsens. Auch hier ist die
DITIB aktiv in der dazu vom Ministerium einberufenen Kommission beteiligt gewesen. Seit letztem Jahr ist der Islamunterricht in der Grundschule nun ordentliches Lehrfach. Die Einrichtung des Faches für Sek. 1
und 2 ist in Planung. Der Landesverband hat zur Einstellung der Lehrer
und Lehrerinnen bereits eine rechtswissenschaftlich geprüfte Ijaza erstellen lassen. Insbesondere diese staatlich angefragte Aufgabe nimmt
im Übrigen die Entscheidung darüber, dass es sich bei dem Landesverband DITIB um eine Religionsgemeinschaft handelt, faktisch und politisch bereits vorweg.
40
Diese Problematik liegt im Übrigen für alle anderen islamischen Moscheevereine und Verbände in
Deutschland und für die derzeit in Deutschland an verschiedenen Universitäten in Ausbildung befindlichen zukünftigen islamischen Theologinnen und Theologen ungelöst vor. Hier tut sich ein praktisches wie finanzielles Problem auf. Eine neuere Strategie der DITIB zielt darauf ab, dass ein duales
Studium gefördert wird. Hierzu absolvieren die Studierenden sowohl in Deutschland an einer der
neuen islamisch-theologischen Institute als auch in der Türkei ein theologisches Studium.
Betrachtet man die Imamausbildung in Deutschland parallel zu der eines christlichen Pfarrers, so
stellt sich überdies die Frage, wie und von wem der zweite praktische und gemeindegebundene
Anteil der Ausbildung zukünftig gestemmt werden kann und wird. Zudem ist offen, ob solche deutschen Imame von Gemeinden bzw. Verbänden, wenn sie sich weiterhin in der jetzigen Form (ohne
regel- und pflichtmäßige höhere Mitgliedsbeiträge) finanzieren, überhaupt bezahlt werden können.
35
Dass die Organisation der Religionsausübung von engagierten Gläubigen unternommen wird und nicht in den Händen von sog. religiösen
Spezialisten liegt, zeigt einmal mehr, dass es sich hier nicht um den Aufbau einer als sakral verstandenen Institution – ähnlich der katholischen
Kirche – handelt, sondern vielmehr um eine profane Institution zur
„Förderung des Islam“, die aber „unmittelbar und mittelbar der umfassenden Glaubensverwirklichung dient und sich dem Erhalt der Vermittlung und Ausübung der islamischen Religion widmet“(§ 2 Abs. 1; LV DITIB Satzung 2014). Sie hat das Ziel, „ihre Mitglieder umfassend bei der
Erfüllung der religiösen Aufgaben und Pflichten zu unterstützen, sie zu
betreuen, ihre Interessen zu koordinieren und nach außen zu vertreten“(ebd.). Der Verband bezieht sich dabei in seiner Präambel auf das
sunnitische Glaubensbekenntnis in hanefitischer Ausprägung, allerdings
ohne Ausschluss von Angehörigen anderer islamischer Rechtsschulen,
und auf die sog. fünf Säulen des Islams wie das Glaubensbekenntnis,
das Ritualgebet, das Fasten im Monat Ramadan, die Wallfahrt nach
Mekka und die Sozialabgabe (zakat). Mit dem Hinweis auf die sechs
Grundsätze des sunnitischen Glaubens (Der Glaube an Gott, seine Engel, die durch Gott offenbarten Schriften, die Propheten, die diese
Schriften verkündeten, den Tag der Rechenschaft und die göttliche Vorsehung) setzen sie sich ebenfalls in die Tradition des sunnitischen Islams.41 Die Betonung in der Präambel der Satzung, dass jeder Mensch
als Muslim geboren werde, „das heißt mit dem Angesicht Gott zugewandt“, bringt zum Ausdruck, dass jeder Mensch potenziell ein Muslim
sei und damit Respekt und Aufmerksamkeit aus Sicht eines bekennenden Muslims verdiene. Das kann als theologischer Hintergrund wichtig
41
Vgl. dazu eingehender das Kap. II.
36
für die Begründung des gesamtgesellschaftlichen Engagements sein, in
dem dann nicht zwischen bekennenden/praktizierenden und nichtbekennenden/nicht-praktizierenden Muslimen bzw. zwischen Muslimen
und Nicht-Muslimen unterschieden wird. Weiter wird in der Präambel
deutlich gemacht, dass „das bewusst gelebte Bekenntnis“ nicht nur dem
„Wohl des Einzelnen“, sondern auch „der gesamten Menschheit“ diene.
Der Vorstand betont:
„Der Zusammenhang zwischen dem Wohl des Einzelnen und
dem Wohl der Gesamtheit ist wichtig. Hier dürfen unserer Auffassung nach keine Unterschiede gemacht werden“. (Fr. Oğuz,
Konsultation Landesverband)
Der Landesverband ist auch Vermittler zwischen Bundesverband und
den DITIB-Moscheegemeinden. Aktionen, wie der „Tag der offenen Moschee“ (TOM), Spendenaufrufe (sadaqa), Wallfahrten nach Mekka
(hadsch), Überführungen und Bestattungen in die Türkei, aber auch das
türkische „Internationale Kinderfest“ am Tag der Unabhängigkeit der
Türkei (23. April) und die Feier des Prophetengeburtstags (20. April) organisiert bzw. unterstützt der Bundesverband für die Landesverbände.
Ebenso plant und führt der Bundesverband die Entsendungen und Fortbildungen für die Imame durch. Wenngleich für die o. g. Bereiche z.T.
auch regionale Angebote durch die Ortsgemeinden, Bezirke bzw. den
Landesverband entworfen werden.
Darüber hinaus versteht sich der Landesverband als Gestalter für die
Integration des Islams im Bundesland Niedersachsen. Dabei vertritt der
derzeitige Landesvorstand die Auffassung, dass er diese Aufgabe nur
bewältigen kann, wenn er die tatkräftige Unterstützung der Bezirke und
37
der Ortsgemeinden hat und diese gleichfalls ständig mit allen notwendigen Informationen von der Landesebene versorgt. Insofern sieht dieser Vorstand eine seiner zentralen Aufgaben darin, regelmäßig mit den
Gemeinden im Austausch zu stehen, was er v. a. über die regelmäßige
Teilnahme mindestens eines Vorstandsmitglieds an den Mitglieder- und
Bezirksversammlungen realisiert. Auch das Treffen der Imame wird von
Vorstandsvertretern begleitet, um den Kommunikationsfluss zu wahren
(Herr Kiliç, Konsultation Landesvorstand).
Der Vorstand hat in den letzten zwei Jahren etliche Projekte zur Förderung der Integration und der Partizipation des Islams und der Muslime
und Musliminnen in Niedersachsen religiöser, religionspolitischer, sozialer und seelsorgerlicher Art initiiert und/oder begleitet. Darunter z. B.:
- Staatsvertragsverhandlungen und die Vermittlung dieses Prozesses
in die Ortsgemeinden;
- Erstellung einer Ijaza-Ordnung für die Einstellung islamischer Religionslehrer/-innen an öffentlichen Schulen in Niedersachsen;
- die vertragliche Absicherung der Gefängnisseelsorge mit dem Land
Niedersachsen und Durchführung entsprechender Fortbildungen für
die infrage kommenden Personen;
- Neustrukturierung des Koranunterrichts in Zusammenarbeit mit dem
religiösen Beirat und dem Elternverband; Vorbild zur Ausarbeitung
eines Modells für die niedersächsischen Gemeinden war die Moscheegemeinde Melle und ihr systematisches Klassensystem für die
Unterrichte in den verschiedenen Stufen und Fächern (Koran, Ara-
38
bisch, Geschichte, Ethik etc.).42 Der Unterricht wird zweisprachig
ausgearbeitet (Türkisch und Deutsch);
- Ausarbeitung einer Fortbildung in Zusammenarbeit mit dem religiösen Beirat für ehrenamtliche Hocas, die Koranunterricht übernehmen: Die Anwärter erhalten nach einer Prüfung ein Zertifikat. Mittlerweile gibt es in vielen Gemeinden eine so hohe Nachfrage, dass
der Imam das alleine nicht bewältigen kann. Zudem müssen mittlerweile auch Angebote in deutscher Sprache zu Verfügung stehen, da
nicht mehr alle Kinder (genügend) Türkisch sprechen;
- Aufbau des Vereins „Komm-pas Niedersachsen e. V.“, der einen
Schwerpunkt auf Suchtprävention, Schuldnerberatung u. ä. legt und
weitere Sozialprojekte verfolgt. Mit diesem Verein will DITIB Niedersachsen zeitnah einen Antrag als muslimischer Wohlfahrtsverband
stellen;
„Flüchtlingsarbeit fällt ja auch unter den Wohlfahrtsaspekt. Das
machen wir sowieso, also die Gemeinden, die viele Berührungspunkte mit Flüchtlingen haben, z. B. viele Flüchtlinge aus Syrien,
das sind ja Muslime, deren erste Anlaufstelle spätestens am
Freitag ist dann unsere Gemeinde in Bramsche. Die Flüchtlinge
brauchen viel Unterstützung, viele Sachspenden und übersetzungstechnische Hilfe, z. B. bei Ärzten. Da machen unsere Gemeinden viel ehrenamtlich. Das wollen wir alles jetzt schön organisieren und professionalisieren und auch unter dem Aspekt
des „Komm-pas“-Vereins strukturieren. Wir können nicht in zwei
Jahren eine komplette Caritas oder Diakonie aufbauen, aber wir
arbeiten daran so etwas nun schrittweise und punktuell aufzubauen.“(Fr. Oğuz; Konsultation des Landesverbandsvorstandes)
- Gründung eines Vereins zur Schaffung eines islamischen Gebetsraums am Flughafen Hannover;
42
So wird der Unterricht auch in der IGMG organisiert.
39
- Gründung einer „Drei-Religionen-Schule“ in Osnabrück zusammen
mit der katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinde wie
auch mit der der SCHURA;
- Kindergartenprojekt in Hannover oder Umgebung;
- Fortbildungen in Zusammenarbeit mit der Polizei für Notfallseelsorge;
- Moscheeführerausbildungen (pro-dialog-Projekt des DITIB Bundesverbands) für die Ortsgemeinden, ca. 70 Personen konnten ausgebildet werden, auch der Frauenverband unterstützt diese Arbeit regelmäßig und bildet Frauen hierzu aus;
- Jährliches Angebot von Seminaren für die Vorbereitung auf den
hadsch in Zusammenarbeit mit den Bezirken und den Imamen im
Landesverband. Zur Vereinfachung hat der Landesverband eine einheitliche und übersichtliche Präsentation hierzu erstellt;
- Gründung eines Vereins auf Initiative und mit Unterstützung des Sozialministeriums „Verein für familien- und jugendpädagogische Beratung - beRATen e. V.“ zur Extremismus-/Neo-Salafismusprävention,
in Zusammenarbeit mit dem DITIB-Landeselternverband und mit der
SCHURA Niedersachsen.
Aus dem Landesjugendverband heraus sind ebenfalls diverse Projekte
entstanden, deren Start jeweils als Pilotprojekte regional verankert
sind, die aber grundsätzlichen Modellcharakter haben sollen:
- Zusammenarbeit zwischen Moscheegemeinde und Polizei: die Polizei
hat sog. Polizeiscouts als Multiplikatoren ausgebildet, die z.B. bei
Gemeindefesten über die Polizei informieren; Ziel ist es, junge Muslime und Musliminnen für eine Ausbildung bei der Polizei zu interes40
sieren; derzeit gäbe es einen eklatanten Mangel an Polizisten und
Polizistinnen mit Migrationshintergrund in Niedersachsen; Angefangen hat diese Zusammenarbeit in Osnabrück, mittlerweile macht
auch die Gemeinde in Braunschweig mit.
- Gleiches gilt für die Feuerwehr; insbesondere dort, wo es Freiwillige
Feuerwehren gibt; es gibt derzeit keine Freiwilligen oder Hauptamtlichen mit Migrationshintergrund bei der Feuerwehr. Ein muslimischer Jugendlicher, der eine Ausbildung bei der Feuerwehr machen
möchte, ist nun gefunden. Er soll gleichzeitig Werbung für diese Arbeit unter Muslimen machen.
- Unterstützung einer Jugendzeitschrift für die Verbandsjugendlichen;
verankert in Braunschweig.
- „Juleica“-Ausbildungen für Jugendliche in islamischen Gemeinden
sowie Angebote von Freizeiten, Fahrten in die Türkei, Feste u. a. im
Rahmen der Jugendarbeit.
Eine stichprobenartige Zählung über die letzten zwei Jahre in einer
Ortsgemeinde hat zudem ergeben, dass die Säkularisierung an den muslimischen Vereinen nicht vorbei geht. Auch hier macht sich der Nachwuchs aus der jungen Generation durchaus zunehmend rar. Deshalb
werden Projekte und Aktivitäten in den Gemeinden angestrebt und unterstützt, die Aufklärungsarbeit für die Jugendlichen bieten, z. B. darüber, wie wichtig das Ritualgebet aus muslimischer Sicht für den einzelnen ist. Hierzu wurden prominente Gastredner aus der Türkei eingeladen (vgl. hierzu auch Frauenverbandsarbeit).
Der Landesfrauenverband ist ebenfalls aktiv, um auf Landesebene Projekte zu initiieren bzw. zu begleiten, teils bundesweit und teils regional
eingebunden. Ziel der Arbeit ist dabei nicht nur „religiöse Erbauung“,
41
sondern auch die Frauen zu stärken, „sie zu unterstützen selbstbewusster zu sein und aus sich heraus zu gehen“ (Fr. Cengiz, Konsultation Landesvorstand).
- Gründung eines Frauenchors für islamische Musik und eine Frauentheatergruppe;
- Organisation von (bundesweiten) Veranstaltungsreihen, z. B. „Auferstehung mit dem Gebet“, bei dem sich das gesamte Programm um
das Gebet dreht (Lieder, Vorträge u. a.), oder zum Thema „innerfamiliäre Kommunikation“ u. a.;
- Seelsorgeprojekte wie Altenbesuchsdienste in Altenheimen und zuhause;
- Pilotprojekt „Kindermoschee“, eine Art Vorschule in der Moscheegemeinde; das Projekt läuft in Nienburg und Stadthagen;
- zweitägige Seminare in allen Landesbezirken zur Waschung weiblicher Leichen für Frauen, mit Zertifikat;
- Organisation von Umrereisen, einschließlich Vorbereitungsseminaren für Frauen.
Der DITIB Bundesverband hat zudem eine Art Frauenquote in die Vereinsarbeit eingeführt. Jeder Verein, der mehr als 200 Mitglieder hat, soll
danach möglichst mindestens eine Frau als zweite Vorsitzende in den
Vorstand wählen und diese als zweite Delegierte in die Landesversammlung schicken. Manche Vereine haben zunächst mit der Einführung eigener zweiter Frauenvorstände angefangen, die Beteiligung der Frauen
vor Ort zu stärken. Derzeit werden zwei Ortsmoscheevereine der DITIBNiedersachsen von Frauen als erste Vorsitzende geführt.
42
Der Landeselternverband ist stark im Aufbau begriffen aber bereits involviert in diverse o. g. Aktivitäten wie z.B. die Umstrukturierung des
Koranunterrichts und die Vereinsgründung zur Extremismusprävention.
43
2.2.2 Religionspflege und religiöse Angebote
Das Institut der Moscheegemeinde
Die dem DITIB-Landesverband Niedersachsen (ohne Bremen) zugehörigen 80 Vereine sind Moscheegemeinden, in deren Zentrum die Ausübung der Religion des Islams steht. Alle Gemeinden besitzen dazu die
räumlichen Voraussetzungen, die alle notwendigen Eigenschaften einer
Moschee aufweisen: die Möglichkeit zur rituellen Waschung, die Ausstattung des Gebetsraumes mit einer Gebetsnische, die den Betenden
die Richtung gen Mekka anzeigt und die Auslage mit Teppichboden, die
eine Nutzung der Räume ohne Straßenschuhe ermöglicht. Den Gemeinden steht zudem je ein hauptamtlicher, in der Türkei ausgebildeter und
durch die Diyanet entsendeter Imam zur Verfügung. In den Bezirken
sind zudem zusätzliche weibliche Religionsbeauftragte insbesondere für
die Fortbildung von Mädchen und Frauen angestellt.
Die von uns besichtigten Räumlichkeiten weisen darauf hin, dass hier
gebetet wird und in eigenen Klassenräumen Koran- und Islamunterricht
gegeben wird (Tafeln, Koranständer, kleinere oder größere Bibliotheken
mit Koranen und Korankommentaren u. ä.). Darüber hinaus bestehen
durch abgetrennte Bereiche oder eigene Räume Möglichkeiten, um
Frauen ebenfalls am Gebet teilnehmen zu lassen. Des Weiteren sind
administrative Räumlichkeiten vorhanden.
In allen konsultierten Moscheegemeinden sind Räumlichkeiten auch für
kulturelle Veranstaltungen vorhanden (Seminare, Vorträge, Jugendabende, gemeinsames Fernsehen von Fußballspielen u. ä.). Der Aspekt
der Jugend- und der allgemeinen Wohlfahrtsarbeit gehört bei der DITIB
44
zum Konzept der Moscheegemeinde als Anbieter sozialfürsorglicher
Präventionsarbeit dazu.43
Die sichtbaren „Säulen des Islam“
a) Das Gebet
Hauptangebot der DITIB-Gemeinden ist das fünfmalige tägliche Gebet,
das durch die Imame der Diyanet und die eingerichteten Moscheen ermöglicht wird. Der Imam hat die Pflicht, zu diesen Zeiten anwesend zu
sein und das Gebet zu leiten.44 Am Montag hat der Imam Ruhetag, an
diesem Tag übernehmen andere die Gebetsleitung.
In manchen Bezirken und Städten in Niedersachsen sind sog. Imamkonferenzen entstanden. Das sind regelmäßige alle ein bis zwei Monate
stattfindende Treffen aller Imame unterschiedlicher Gemeinden (arab.
Moscheen, IGMG, DITIB, VIKZ u.a.) zum Austausch.
Zu den besonderen kandil-Abenden laden die DITIB-Gemeinden ein und
halten mevlid-Zeremonien in den Moscheen ab. Insbesondere in der
Woche der Feier des Geburtstags des Propheten (kutlu doğum haftası)
finden abendliche Festveranstaltungen in den Gemeinden statt oder
auch überregional und überverbandlich organisierte Feiern in Stadthallen u. ä.
Die Themen und Predigten an Freitagen und Festtagen werden durch
den „Religionsrat“ des Bundesverbandes zentral an die Landesverbände
43
Vgl. dazu auch das Engagement des Bundesverbandes (s. Website), z.B. in Form der Beratungshotline für Jugendliche mit akuten Problemen.
44
Eine Aufgabenbeschreibung aus dem Vertrag mit dem Imam (Din Görevlisi; Madde 158) regelt
seine Grundpflichten in der Gemeinde.
45
und deren „religiöse Beiräte“ weitergegeben. Die religiösen Beiräte in
Zusammenarbeit mit dem Landesverbandsvorstand können zusammen
darüber entscheiden, ob aus tages- bzw. regionalpolitischer Sicht o. ä.
anderen Themen der Vorrang gegeben wird und z. B. für einen Bezirk
oder einen Ort verändert oder angepasst werden.
Die Freitagsgebete werden seit 2009 in zwei Sprachen gehalten bzw.
mindesten auch in Deutsch an die Wand projiziert oder zusammenfassend übersetzt. Auf der Website des Bundverbandes sind die Predigten
archiviert und einzusehen.45
Die DITIB-Bundeszentrale erstellt zudem einen Gebetskalender auf Türkisch, dem die Gebetszeiten in zentralen deutschen Städten zu entnehmen sind. Dieser Kalender enthält außerdem für jeden Tag einige Koranverse und kleine historische oder religiöse Geschichten zur islamischen Unterweisung. Zudem stellt der Bundesverband einen Kinderkalender mit allen Festtagen und zweisprachigen (türkischen und deutschen) Zitaten für die Gemeinden bereit.
b) Das Fasten
Zum Ramadan finden in jeder DITIB-Gemeinde neben den Abendgebeten täglich Koranlesungen statt. Der Koran wird in diesem Monat in den
Gemeinden einmal vollständig rezitiert. Sofern die räumlichen Möglichkeiten gegeben sind, werden i.d.R. an mindestens einem Abend für das
abendliche Fastenbrechen (iftar) auch Einladungen an die christlichen
Nachbargemeinden sowie an lokale Politiker u.a. ausgesprochen (s. u.).
45
Der Landesverband Niedersachsen hat derzeit keine eigene Website.
46
Manche Gemeinden, die regelmäßig in der Gemeinde das Fastenbrechen begehen, stellen für diese Zeit über den Bundesverband auch einen Koch aus der Türkei an.
Das Fastenbrechen findet ansonsten i. d. R. zu Hause bzw. in den Familien statt, für das tarawih-Gebet und um der Rezitation des Korans zuzuhören, gehen aber viele in die Moschee. In der Zeit des Ramadan sind
die Moscheen meist komplett überfüllt, so dass Teppiche bis in den Hof
oder auch auf die Straße ausgelegt werden, um Betenden die Teilnahme zu ermöglichen. Der itikaf, das heißt der vollständige Rückzug in die
Moschee zum Gebet und zur Rezitation des Korans für die letzten zehn
Tage des Ramadan wird derzeit in keiner der konsultierten Moscheen
gepflegt.
c) Das Almosengeben
Sadaqa, d.h. freiwillige Spenden werden hauptsächlich über die DITIBBundeszentrale in Verbindung mit Diyanet organisiert. Die entsprechenden Aufrufe ergehen von dort über die Landesverbände an die
Gemeinden.
Bei speziellen Anlässen wird gesondert gesammelt. Zudem kommt es
vor, dass Moscheegemeinden für sich selbst um eine Spendensammlung bitten. Die dabei gesammelten Gelder werden dann ggfs. ebenfalls
über den Landesverband an die DITIB-Gemeinden weitergegeben. Mittlerweile organisieren außerdem die Ortsgemeinden oftmals regelmäßig
eigene „Kermes“; einen Basar, bei dem u. a. Selbstgebackenes und gekochtes verkauft wird und der Erlös dann in die Gemeinde, Jugendaktivitäten o. ä. geht. Etliche Gemeinden auch anderer islamischer Ver47
bände verkaufen jeden Freitag z. B. Lahmacun oder Gegrilltes, um aus
dem Erlös den Ortsverein zu unterstützen.
Die zakat, die jährliche Pflichtabgabe organisiert jeder Muslim persönlich. Hierzu kann er alle Angebote und Aufrufe zum Spenden bspw. der
Diyanet oder der DITIB nutzen.
d) Die Pilgerfahrt
Die Pilgerfahrten organisiert die DITIB-Bundeszentrale zusammen mit
den türkischen Religionsattachés und den Imamen. Jede Moschee hat
Flyer dafür vom Bundesverband ausliegen. Die Nachfrage zum hadsch
ist weltweit um einiges größer als Mekka aufnehmen kann. Es gibt daher bestimmte Kontingente für Länder und Reisebüros. Die DITIB verfügt über ein von ihr speziell ausgehandeltes Kontingent und prüft bei
jedem Antrag, ob die Person die notwendigen Voraussetzungen (muslimische Konfession, Impfungen, ggfs. Aufenthaltsgenehmigung in
Deutschland) erfüllt. Zur Vorbereitung auf den hadsch werden in den
Bezirken jeweils Seminare von den Imamen gehalten, um die Teilnehmer/-innen gut auf diese komplexe Praxis vorzubereiten.
Der Frauenverband bietet auch regelmäßig Vorbereitungsseminare für
die umra, die kleine Pilgerfahrt außerhalb des Pilgermonats dhulhidscha an.
Die Verabschiedung der Pilgerreisenden findet in manchen Gemeinden
mit einem Essen und Gebeten in der Gemeinde statt. Es ist Brauch, die
Pilgerreisenden nach dem hadsch zu Hause zu besuchen, weil das als
segensreich gilt.
48
Am zehnten Tag des Pilgermonats findet das id al-adha statt, das höchste Fest der Muslime in aller Welt. An diesem Tag ist es nicht nur Aufgabe der Pilgerreisenden ein Schaf zu schlachten bzw. schlachten zu lassen, sondern auch aller Muslime und Musliminnen in der Welt.46 Das
Fleisch wird nicht alleine gegessen, sondern mit Bedürftigen geteilt.
Längst wurden hierfür Fonds angelegt, in die eingezahlt wird, um Bedürftigen an verschiedenen Orten der Welt solches Fleisch zukommen
zu lassen. Auch die DITIB bietet ihren Mitgliedern eine solche Möglichkeit. In den Gemeinden wird auch dieses Fest gemeinsam begangen.
Es hat sich gezeigt, dass vielerorts Arrangements mit Schlachtereien gefunden wurden, um zumindest für diesen Anlass Halal-Fleisch, das heißt
geschächtetes Fleisch, über das der Imam ein Gebet gesprochen hat, zu
haben.
Lebenszyklische und seelsorgerliche Begleitung
Die konsultierten Gemeinden berichten von unterschiedlichen Formen
der lebenszyklischen Begleitung, was darauf zurückzuführen ist, dass
viele Bräuche verschieden stark religiös konnotiert sind. Kaum ein Anlass, außer dem des Totengedenkens, ist direkt mit einer Gebetszeremonie verbunden. Namensgebungen, Hochzeiten wie auch Beschneidungen finden zum größten Teil auf privaten Feiern statt. Der Imam
wird häufig zu solchen Feiern dazu geholt und es findet dabei oder im
Anschluss daran in der Moschee eine kleine Zeremonie statt.
46
Das Schlachten des Schafs geschieht zum Gedenken an die Bereitschaft Ibrahims/Abrahams seinen
Sohn Ismael (anders als in der Bibel; dort geht es um den Sohn Isaak) Gott zu opfern, der aber verschont Ibrahim und Ismael und nimmt stattdessen ein Tieropfer an. Vier Tage dauert das Opferfest.
49
Viele Gemeinden veranstalten mittlerweile parallel zum christlichen Angebot des Einschulungsgottesdienstes ein entsprechendes Angebot in
der Moschee, zu dem die muslimischen Einschulungsschüler und ihre
Eltern geladen sind.
Für die Versorgung der Toten vor Ort wird mittlerweile verstärkt Sorge
getragen. In manchen Gemeinden wurden Abkommen mit Krankenhäusern geschaffen, um vor Ort die Leichenwaschung und das Gebet vorzunehmen. In Braunschweig wurde dazu ein eigenes Waschhaus auf dem
Friedhof, das alle muslimischen Vereine nutzen können, eröffnet. In einigen Orten sind auch Friedhöfe bzw. Bereiche auf Friedhöfen für muslimische Bestattungen vorgesehen – wenn auch nicht immer mit der
Möglichkeit einer Tuchbestattung. Obwohl insbesondere die DITIB nach
wie vor einen Sterbefond zur Überführung der Toten in die Türkei bereit
hält, steigt die Nachfrage nach Bestattungsmöglichkeiten in Deutschland.
Der DITIB-Landesverband hat mit dem Land Niedersachsen ein Abkommen zur Anstaltsseelsorge getroffen, so dass es ausgewählten Imamen
möglich ist, Gefangenenseelsorge zu betreiben.
Darüber hinaus beteiligen sich viele Gemeinden um ehrenamtliche Besuchsdienste in Altenheimen durchzuführen. Hierzu wurden vom Landesfrauenverband in jedem der Bezirke mehrere Arbeitsgruppen gebildet mit insgesamt 120 Ehrenamtlichen, die diese Dienste seit 2007
durchgeführt haben. Für diese Ehrenamtlichen findet einmal im Monat
in den Bezirken ein gemeinsames Frühstück statt, um sich gegenseitig
auszutauschen.
50
In Osnabrück wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Islamische
Theologie, der Polizei und den ansässigen Gemeinden eine Tagung zur
Notfallseelsorge durchgeführt.
Insgesamt finden unter dem Dach der Moscheegemeinden bzw. mit ihrer Beteiligung vor Ort diverse Sozial- und Jugendprojekte statt. Man
beteiligt sich an städtischen Elternbeiräten, bietet Nachhilfekurse und
Hausaufgabenbetreuung an, sorgt für Frauenschwimmen, gestaltet
Freizeiten und Berufsmessen für Jugendliche u. a.
Tradierung religiösen Wissens
In allen DITIB-Gemeinden findet religiöse Unterweisung in Form des Koranunterrichts statt. Das ist eine der zentralen Aufgaben, die vom Imam
einer DITIB-Gemeinde erwartet werden (Din Görevlisi; Madde 158 b)).
Das Angebot richtet sich i. d. R. an Kinder und Jugendliche. In einigen
konsultierten Gemeinden werden gemischtgeschlechtliche Klassen unterrichtet. Zudem Fragen auch Erwachsene, insbesondere Frauen, Koranunterricht nach. In fast allen Gemeinden haben sich so eigene Korankurse oder Abendgesprächskreise für Frauen etabliert.
Der Aufbau des Islam- und Koranunterrichts für Kinder und Jugendliche
ist nach dem Modell Melle in Zusammenarbeit mit dem religiösen Beirat umstrukturiert und vereinheitlicht worden, so dass zukünftig ein
einheitliches Niveau wie auch ein klarer Aufbau des Unterrichts und der
Klassen stattfindet und keine Probleme auftauchen, wenn die Unterrichtspersonen oder auch die Kinder in eine neue Gemeinde wechseln.
Grund der Änderung ist aber auch, dass zum einen der Stoff in den türkischen Lehrbüchern zu komplex ist und vereinfacht werden muss so51
wie, dass z. T. auch deutschsprachiges Unterrichtsmaterial benötigt
wird.
Aufgrund der großen Nachfrage nach religiöser Unterweisung für Kinder
und Jugendliche werden in einigen Gemeinden „freiwillige Hocas“ eingesetzt, um das Unterrichtsangebot weiterhin attraktiv und effektiv gestalten zu können. Bei diesen freiwilligen Hocas handelt es sich um Studierende oder sonstige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus den
Gemeinden. Hierzu wurde in den niedersächsischen Gemeinden eine
Art Fortbildungskurs samt Prüfung eingerichtet, für die jeder freiwillige
Hoca ein Zertifikat erhält.
Der Landesverband Niedersachsen bringt keine eigenen Schriften heraus. Einige Moscheen unterhalten aber einen kleinen Buchvertrieb oder
eine kleine Bibliothek mit türkischer und deutscher islamischer wie
nichtreligiöser Literatur. Der Bundesverband veröffentlicht kleine Broschüren (auf Türkisch und Deutsch), die über das Angebot wie die Inhalte der DITIB informieren.
Einige Ortsgemeinden veranstalten zudem Koranrezitationswettbewerbe für Jugendliche sowie Gebets- und Predigtwettbewerbe, um die religiöse Tradition weiter zu tragen.
Außenkommunikation
Der DITIB-Landesverband Niedersachsen ist in der Außenkommunikation sowohl im Bereich „Integrationsarbeit“ wie auch „interreligiöser Dialog“ sehr engagiert.
52
Die DITIB-Gemeinden in Niedersachsen haben das Angebot des Bundesverbandes, Moscheeführerinnen und -führer auszubilden,47 zahlreich
aufgegriffen, da die meisten niedersächsischen DITIB-Moscheen regelmäßig Anfragen nach Moscheeführungen für Erwachsene wie auch für
Kinder erreichen.
Die bereits erwähnten Basare (Kermes und andere Essensverkäufe) von
einzelnen DITIB-Gemeinden zur Aufstockung der Gemeindekassen dienen auch der Öffnung der Moscheetüren und der Begegnung mit den
christlichen Nachbargemeinden. Darüber hinaus ist aber fast jede Gemeinde mit anderen christlichen Gemeinden vor Ort in Kontakt. Mancherorts sind sog. „Runde Tische“ oder regelmäßige „Interreligiöse Arbeitskreise“ entstanden (Hannover, Braunschweig u. a.).
Die Gemeindevorstände sind zudem an Integrationsbeiräten und diversen städtischen Projekten zur Integration beteiligt.
Darüber hinaus haben sich die muslimischen Gemeinden in manchen
Städten für die bessere Koordination der Integrationsarbeit zusammengeschlossen und wie in Braunschweig und in Osnabrück einen gemeinsamen „Rat der Muslime“ gegründet. Damit zeigt sich, dass die Verbände in den letzten Jahren nicht nur auf Bundesebene über den KRM
(2005) zusammengerückt sind, sondern auch kommunal intensiver und
selbstverständlicher zusammengearbeitet wird. „Das ist eine wunderschöne Entwicklung in den letzten 10 Jahren“ kommentiert ein Moscheevertreter aus Nordenham.
47
Über das DITIB-Projekt „ProDialog“ können sich Interessierte in einem 10-wöchigen Seminar zu
Moscheeführern ausbilden lassen und ein entsprechendes Zertifikat über diese Qualifikation erhalten vgl. hierzu http://www.ditib.de/detail1.php?id=190&lang=de.
53
2.3 Zusammenfassende Bewertung in Hinblick auf die auf die Erfüllung
der Kriterien zur umfassenden Religionspflege
Die wesentliche Struktur der DITIB – jenseits der allgemeinen vereinsmäßigen - zeichnet sich durch ihre Verbindung zur Diyanet aus. Diese
Verbindung ruft eine recht strikte Teilung der Vorstands- und Gemeindeleitungsarbeit hervor. Während die „Laien“-Mitglieder den Vorstand
stellen und die ideelle wie faktische Leitungsarbeit der Gemeinde in allen ihren Bereichen ehrenamtlich48 betreiben, sind die Imame als Angestellte des türkischen Staates dienstlich wie fachlich der Diyanet bzw.
dem türkischen Religionsattaché vor Ort unterstellt. Dennoch arbeitet
man auf der Ebene der Bezirksversammlungen in Niedersachsen zusammen. Bei spezifisch religiösen Fragen (Schächten, Kopftuch u.ä.)
entscheidet der „Religiöse Beirat“ – ein von der Diyanet eingesetzter
Rat aus sechs Imamen aus Niedersachsen. Dieser Beirat hat überdies ein
Vetorecht gegenüber den Entscheidungen des Landesvorstands, sofern
er der Auffassung ist, dass diese dem Islam zuwiderlaufen. Dem „Religiösen Beirat“ wird also qua Amt und Ausbildung49 islamische Autorität
zugeschrieben, die die Arbeit des Vorstands in religiöser Hinsicht kontrolliert. Ausnahme für die Ausübung einer unmittelbaren theologischen Beratung des Landesvorstands bilden Kommissionen, die vom
Bundesland z. B. für den IRU oder die Einsetzung von Professuren an
staatlichen Universitäten einberufen wurden. Hier wird der DITIBLandesverband von verbandlichen Vertretern z. T. ohne spezifische theologische Ausbildung vertreten. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive erscheint dieses Modell unplausibel, insofern den Imamen an48
Bis auf 1,5 hauptamtliche Stellen s.o.
Ein DITIB Imam muss ein mindestens vierjähriges erfolgreiches Studium an einer islamisch theologischen Hochschule vorweisen.
49
54
sonsten eine besondere Aufsicht über die spezifisch religiösen Belange
zugewiesen wird. Juristisch ist das möglicherweise nicht anders machbar, da ansonsten türkische Staatsbeamte Mitglied in einem Beirat zum
Entwurf eines Curriculums an deutschen Schulen wären.
Der DITIB Landesverband Niedersachsen befasst sich auch faktisch mit
seiner satzungsgemäßen Aufgabe der „umfassenden Glaubensverwirklichung“ und „dem Erhalt sowie der Vermittlung und Ausübung der islamischen Religion“(§ 2 Abs. 1). Die Gemeinden werden durch die Diyanet
zuverlässig mit Imamen versorgt, die in der Türkei staatlich ausgebildet
wurden. Der DITIB Bundesverband erwirbt i. d. R. für die Gemeinden die
notwendigen Moschee-Räumlichkeiten und stellt grundlegende religiöse Dienstleistungen für die Ortsgemeinden zur Verfügung (religiöse
Schriften, Hadsch-/Umre-Vorbereitungsseminare, Spendenfonds u. a.).
Der DITIB Landesverband koordiniert die Bundes- und die lokale Ebene
miteinander.
In Braunschweig und in Osnabrück arbeitet die DITIB zusammen mit allen anderen Ortsmoscheevereinen im „Rat der Muslime“, die DITIB ist
außerdem Mitglied im KRM; weiter gibt es keine direkten Verflechtungen mit anderen Organisationen. Die DITIB-Gemeinden sind zentral auf
die Bundesverbandsstruktur und die Zusammenarbeit mit der Diyanet
hin verpflichtet. Derzeit zeigt sich faktisch eine Arbeitsteilung zwischen
Imamen und Vorstandsmitgliedern: Aufgrund der Sprachhürden beschränkt sich vielerorts die Kommunikation der Imame auf die internen
Belange der Gemeinde, während der Vorstand nach außen hin repräsentiert. Allerdings wird diese Aufteilung mit der heranwachsenden Jugend, von denen viele mittlerweile besser Deutsch als Türkisch sprechen, schwieriger. Längst werden im Koran- und Islamunterricht auch
55
„Hilfshocas“ eingesetzt, um deutschsprachigen Unterricht durchführen
zu können.
An welchem Punkt sich die Diyanet und die DITIB Ortsgemeinden uneins
sein könnten, lässt sich nicht vorhersagen. In der Vergangenheit und
z. T. auch heute noch ist ein Diskussionspunkt, wieweit das türkische
Modell der religiösen Erziehung übertragbar auf deutsche Verhältnisse
ist – und insofern die türkischen Lehrbücher in Deutschland sinnvoll
einsetzbar sind. Auch in Niedersachsen sitzt man deshalb derzeit an einer Überarbeitung dieser Bücher für den deutschen Kontext. Ebenso ist
die Stellung der türkischen Sprache in der religiösen Erziehung ein strittiges Thema in DITIB Gemeinden. Prinzipiell sind auch zukünftig verschiedene Themen als Dissensthemen zwischen Imamen und der Ortsgemeinde auch zukünftig denkbar. Das ist auch abhängig davon, welche
Richtung die türkische Religionspolitik in der Türkei nehmen und von
der Diyanet weitergetragen wird.50
Wie sich in Kap. 2.1-2.2 gezeigt hat, zielt die Arbeit des Landesverbands
DITIB insgesamt auf die Unterstützung der umfassenden Religionspflege
der Muslime und Musliminnen in Niedersachsen und ist damit aus religionswissenschaftlicher Perspektive als eine Religionsgemeinschaft
nach Art. 7 Abs. 3 GG zu verstehen. Hierbei repräsentiert die DITIB derzeit vor allem einen moderat konservativ-hanefitischen Islam, den sie
selbst als „Islam der Mitte“ bezeichnet. Betont wurde aber von DITIB
Gemeindevertretern und -vertreterinnen, dass sie prinzipiell offen für
jeden Muslim und jede Muslimin sind, so z. B beim Gebet. Indirekt und
rein praktisch schließt denn auch letztlich nicht die eher lockere Rechtsschulenbindung, sondern die Türkeiorientierung wie auch die Tatsache,
50
Vgl. zu dieser Problematik auch die Untersuchung von Aysun 2012.
56
dass die Umgangssprache in den Ortsgemeinden oftmals Türkisch ist,
nicht-türkische Muslime aus den meisten Gemeindebezügen aus.
57
2. SCHURA Niedersachsen - „Landesverband der islamischen Gemeinschaften in Niedersachsen e. V.“
2.1 Geschichte und „geistiger Gehalt“ als Religionsgemeinschaft
Ende der Achtziger Jahre schien der Prozess der Zusammenfassung verschiedener islamischer Strömungen in Dachverbände abgeschlossen zu
sein. Allerdings blieben insbesondere unter den nicht-türkischen Moscheevereinen viele kleinere in Deutschland verstreute Gemeinden auf
sich gestellt.51 Die nicht-türkischen Musliminnen und Muslime machen
derzeit etwa 37% der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime aus (vgl. Haug et al. 2009, 96). Darunter ist der Anteil der Personen
unter 25 Jahren deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Hochgerechnet auf Niedersachsen bedeutet das, dass von den geschätzten
235.600 bis 266.600 Musliminnen und Muslimen in Niedersachsen52
zwischen 87.000 und 98.000 Personen nicht-türkischer Herkunft sind
(Iran, Pakistan, Libanon, Afghanistan, Bosnien, Albanien, afrikanische
Länder). Diese Migrantengruppen haben bislang unabhängige, nicht
vernetzte islamische (sunnitische und schiitische) Vereine gegründet.
Mittlerweile haben sich einige dieser Gruppen zusammen mit bestehenden türkischen Moscheeverbänden unterschiedlicher bekenntnismäßiger Richtungen (IGMG, VIKZ, ATIB) unter dem Dach der SCHURA
Niedersachsen zusammengeschlossen. Derzeit sind 92 islamische Vereine Mitglied der SCHURA, wovon 82 einen eigenen Raum und auch einen
Imam vor Ort haben und das gesamte Spektrum der mittlerweile landesüblichen Moscheeaktivitäten und Dienstleistungen anbieten (s. dazu
51
Insbesondere auf Moscheevereine, deren Existenz jüngeren Datums ist und z. T. in die neunziger
Jahre hineinreicht, trifft dies zu.
52
Hochrechnung des Niedersächsischen Landtags: Antwort auf eine Große Anfrage – Drucksache
16/5234- 2012, S.16 auf der Grundlage der Zahlen von Haug et al. 2009. Genauere Angaben sind
aufgrund der Datenlage nicht möglich.
58
unten); der Rest sind insbesondere nicht-türkische und schiitische Vereine, deren Vereinsgründungen noch recht jung sind und deren Vernetzung mit der SCHURA bereits im Aufbaustadium als wünschenswert erschien. Insgesamt sind 34 Mitgliedsvereine arabischer, iranischer, libanesischer, albanischer und anderer, nicht-türkischer Herkunft, 34 Mitgliedsvereine gehören der IGMG an, zehn der VIKZ und einer der Jama’at un-Nur, drei der ATIB, acht der Naqshbandiyya, und zwei bezeichnen sich als türkisch.
Die Motive für die Gründung von Länderverbänden unter dem Namen
SCHURA sind vielfältig.53 Für die SCHURA Niedersachsen war Anlass der
Wunsch der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts nach
Art. 7 Abs. 3 GG. In Hannover hatte sich Ende der neunziger Jahre unter
dem Ministerium für Soziales und der damaligen Integrationsbeauftragten ein Arbeitskreis „Muslime in Niedersachsen“ zusammengefunden,
aus dem heraus die muslimische Initiative für den Zusammenschluss als
Religionsgemeinschaft entstand. Nach einem ersten Treffen im Sommer
2001, an dem ca. 50 Muslime und Musliminnen teilnahmen, wurde eine
Satzung ausgearbeitet und im Frühjahr 2002 auf der Gründungsversammlung der SCHURA Niedersachsen verabschiedet. DITIB war Gründungsmitglied und stellte anfangs den Vorsitz der SCHURA, zog sich
aber aus verbandsinternen Gründen der DITIB aus der Mitgliedschaft
wieder zurück. Seitdem die DITIB einen eigenen Landesverband stellt,
arbeiten beide Verbände auf allen Ebenen der Integration des Islam in
Niedersachsen zusammen. Von beiden wird die Zusammenarbeit als gut
bezeichnet.
53
Vgl. hierzu auch die Einsichten von Riem Spielhaus (2011), die sie über Interviews mit SCHURAGründungsmitgliedern gewonnen hat.
59
Nicht zuletzt die Einsetzung der DIK (2006) hat mit ihrer Konzentration
auf Repräsentanten auf Bundesebene den damals einsetzenden Prozess
der Bildung von eigenständigen Landesverbänden etwas ins Stocken
gebracht. Dennoch hat sich die SCHURA Niedersachsen im Laufe der
Jahre weiter stabilisiert, insbesondere durch die stetigen Verhandlungen im niedersächsischen Arbeitskreis um die Einrichtung des IRU. Trotz
rein ehrenamtlicher Arbeit und eines rein aus Mitgliedsbeiträgen bestehenden Vereinsvermögens konnte die SCHURA diverse Projekte begleiten und entwickeln.54
Die SCHURA Niedersachsen zeichnet sich durch eine starke innerislamische Pluralität ihrer Mitgliedsvereine und –verbände aus. Wie oben genannt, gehören ihr sowohl eher sunnitisch-konservative (IGMG) als auch
national-türkisch orientierte (ATIB), sufische Vereine (Naqshbandiyya)
und sufische Reformverbände (VIKZ, Jama’at un-Nur), zudem unabhängige sunnitische wie schiitische Vereine unterschiedlicher ethnischer
bzw. nationaler Herkunft an. In seiner Satzung hat SCHURA aber eine
Art Minimalkonsens über die islamischen Glaubensgrundlagen, die alle
Mitgliedsvereine einen, schriftlich fixiert. Dazu gehört der Glaube an:
„Allah (ta’ala), Seine Einheit und Einzigkeit (Tauhid), - den Qur’an
als letztes offenbartes Wort Allahs (ta’ala) und die Offenbarungsschriften davor, - die Gesandten und Propheten Allahs (Frieden sei
mit Ihnen allen) und an den Gesandten Mohammed (Friede sei mit
ihm) als Siegel der Propheten, - die Engel, - den jüngsten Tag und
das Jenseits sowie ferner - das Vorauswissen und die Bestimmung
Allahs (ta’ala) über seine Geschöpfe bei gleichzeitiger Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Menschen (Al-Qadaa‘, Al-Qadar)
Zu den Iman-Inhalten gehören weiter die 5 Säulen des Islam - das
Glaubensbekenntnis (Asch-Schahada), - das rituelle Pflichtgebet
(As-Salah), - die Sozialabgabe (As-Zakat), - das Fasten im Monat
54
Detailliert dazu im folgenden Kapitel.
60
Ramadan (As-Siyam) und - die Pilgerfahrt (Al-Hadsch). Handlungen
und Stellungnahmen im Namen der SCHURA Niedersachsen, die in
irgendeiner Weise dagegen verstoßen, sind unzulässig.
2. Die SCHURA Niedersachsen bekennt sich zum Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Landes Niedersachsen. Ihre Tätigkeit beruht auf den Prinzipien der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Prinzipien des sozialen Rechtsstaats.
3. Nach den Grundsätzen des Islam missbilligt die SCHURA Niedersachsen jede Diskriminierung der Menschen aufgrund Rasse, Geschlecht, Hautfarbe, Sprache oder Religion. Das Recht auf Glaubens- und Meinungsfreiheit gehört zu den Prinzipien des Islam:
‚kein Zwang in der Religion‘.
4. Die SCHURA Niedersachsen lehnt jede Form der Gewaltanwendung als Mittel der religiösen oder politischen Auseinandersetzung
ab.“
(Auszug aus: § 4 Allgemeine Grundsätze, der Satzung vom
16.10.2010)
Jeder sunnitische wie schiitische Moscheeverein, der diese Grundlage
akzeptiert und eingetragener islamischer Verein in Niedersachsen ist,
kann Mitglied der SCHURA werden.55
Mit diesem Minimalkonsens islamischer Glaubensgrundlagen oder auch
„Islam der Mitte“ (hr Altiner; Konsultation Landesvorstand) wie er in
Gesprächen z.T. genannt wurde, bewegt sich die SCHURA sehr nah an
der inhaltlichen Ausrichtung der DITIB, die für die islamische Auslegung
in ähnlicher Weise einen „Weg der Mitte“ zwischen Tradition und moderater Anpassung an gegenwärtige gesellschaftliche Verhältnisse
sucht. Dabei steht zunächst die Suche nach organisatorischen Möglich55
Die Grenze einer Mitgliedschaft setzt man bei Gemeinden der Aleviten und der Ahmadiyya an, die
als nicht zum „Mainstreamislam“ gehörig nicht akzeptiert werden. Auf der Website der SCHURA wird
derzeit noch diesbezüglich von „häretischen“ Gruppen gesprochen.
61
keiten der Implementierung von islamischer Praxis im Mittelpunkt. In
dieser Weise versteht sich auch die SCHURA als Organisation, die – wie
es Schiffauer (2010) für die gegenwärtige Generation der Vertreter der
Millî Görüş beschrieben hat –
„sich in der Verantwortung sieht, hizmet zu organisieren, also
Dienstleistungen, die es dem Gläubigen ermöglichen, seine religiösen Pflichten zu erfüllen. Dies besteht nach innen in der Organisation von Gottesdiensten und Pilgerfahrten, in der Organisation des
Almosenwesens und der religiösen Unterweisung von Kindern,
aber auch dem Aufbau einer Fetwa-Abteilung und Ähnlichem.
Nach außen besteht es in der Vertretung von muslimischen Anliegen gegenüber der Gesellschaft.“ (251)
Es geht der SCHURA nicht darum, jede spezifische islamische Praxis, die
allein für den Gläubigen von Belang ist – wie die Fußstellung des Betenden oder die Frage nach Besonderheiten spiritueller Überzeugungen -,
zu vereinheitlichen, sondern darum, die alle einende grundlegende
Ausübung und Bewahrung der islamischen Religion vor Ort in Passung
an die bestehenden niedersächsischen Landesstrukturen und -gesetze
zu organisieren.
62
2.2 Zur „äußeren Erscheinung“ als Religionsgemeinschaft
2.2.1 Struktur des Verbandes
Die Struktur des Verbandes orientiert sich an dem vorweg beschriebenen inhaltlichen Anliegen, religiöse Praxis nach innen zu ermöglichen
und islamische Anliegen nach außen zu artikulieren.
Der Verband der SCHURA muss im Unterschied zum zuvor beschriebenen Verband der DITIB als ein Zusammenschluss islamischer Gemeinden
und Verbände ‚von unten‘ verstanden werden. Dies hat verschiedene
strukturbildende Konsequenzen.
Zum einen zeigt sich dieser Entstehungsprozess in der Entscheidungsstruktur. Jede Ortsmitgliedsgemeinde sendet in eigener Verantwortung
einen Delegierten aus ihrer Mitte in die jährliche Mitgliederversammlung.56 Darüber hinaus wird informell versucht, den Verbandsvorstand
möglichst ausgeglichen aus Personen mit unterschiedlichen nationalen
und verbandlichen Hintergründen zusammenzusetzen (Gespräch
SCHURA
Vorstand).
Mehr
als
ein
Drittel
der
SCHURA-
Mitgliedsgemeinden gehören der Millî Görüş an. In der Satzung ist kein
Proporz der Besetzung von Vorstandsposten angegeben, aber faktisch
wird deutlich, dass eine ausgleichende Verteilung im Sinne der Delegiertenversammlung gewollt zu sein scheint. Derzeit sind die beiden Vorsitzenden aus den kleinsten Gruppierungen, aus der Jama’at-un-Nur der
erste Vorsitzende und ein Imam aus einem der arabischen Vereine ist
der zweite Vorsitzende. Ebenfalls ehrenamtlicher Geschäftsführer und
damit auch alleinvertretungsberechtigt ist ein Mitglied aus einem
IGMG-Ortsmoscheeverein. Unter den drei weiteren Vorstandsposten
56
Einen Bundesverband gibt es nicht.
63
(Referat Seelsorge und Integration, Referat Bildung, Referat Öffentlichkeitsarbeit) ist einer aus der IGMG besetzt. Weiterhin gehören zwei der
sechs Beisitzer dem Verband der Millî Görüş, die weiteren vier der
Gruppe der Naqshbandiyya, der VIKZ, der bosnischen Gemeinde, der
gleichzeitig auch Imam ist, und der schiitischen afghanischen Gemeinde
an. Zwei Vorstandsmitglieder sind weiblich. Die IGMG ist als großer,
mitgliedsstarker und finanzkräftiger Verband durchaus dominant, aber
mitnichten alleiniger Entscheider in der SCHURA-Arbeit.
Der Zusammenschluss ‚von unten‘ hat zudem zur Folge, dass das Ziel
des Dachverbandes nicht die Integration von Moscheegemeinden in
eine vorgegebene (Bundesverbands-)Struktur ist. Vielmehr besteht die
Arbeitsweise der SCHURA in dem Bemühen, eine Einigung in Belangen
von gesellschaftlicher Tragweite (z. B. IRU, Ramadankalender, Gefängnisseelsorge, Krankenhausseelsorge) unter unterschiedlichen Gemeindetraditionen zu erreichen und damit die Umsetzung islamischen Lebens für alle Moscheemitgliedsgemeinden angemessen zu ermöglichen.
Als strukturelle Arbeitsgrundlage dienen dazu v.a. die zweiwöchigen
Vorstandssitzungen, zu denen je nach Bedarf externe Berater/-innen
eingeladen werden und auch interessierte engagierte Mitglieder bzw.
Delegierte aus den Mitgliedsgemeinden willkommen sind.57 Darüber
hinaus werden die Mitgliedsgemeinden durch Besuche des Vorstands
und den jährlich mindestens einmal verschickten Rundbrief an die Mitglieder sowie die jährlichen Mitgliedsversammlungen informiert. Der
gemeinsam definierte islamische Minimalkonsens bietet dazu die inhaltliche Arbeitsgrundlage. Die einzelnen Mitgliedsmoscheegemeinden
57
Bei den Konsultationen wurde von einigen Mitgliedsgemeindemitgliedern geäußert, dass sie schon
einmal dort waren bzw. eingeladen wurden, teilzunehmen, obwohl sie kein Vorstandsamt bekleiden.
64
bleiben darüber hinaus in der Ausübung ihrer ggfs. durch regionale oder
theologische Unterschiede geprägten islamischen Praxis weitgehend
unabhängig. SCHURA sieht sich vor allem in der Pflicht, bislang offene
Fragen und Felder, die sich u.a. aus der Integration in die deutsche Gesellschaft ergeben, anzugehen (s. u.).
Ähnlich einem evangelischen synodalen Ausschuss arbeiten im SCHURAVorstand und in den dazu gehörigen thematischen Ausschüssen – soweit einberufen bzw. in Arbeit – sog. „islamische Laien“, ausgebildete
islamische Religionspädagogen und Imame Seite an Seite in allen Belangen und Projekten der SCHURA. Entsprechend ist der Vorstand mit zwei
Imamen, einer Religionspädagogin und ansonsten engagierten Gemeindemitgliedern besetzt.
„Wir haben ja kein Lehramt… Das haben wir nicht und wollen wir
auch nicht haben. Trotzdem sind wir gefordert gegenüber dem
Land mit einer Zunge zu sprechen, wenn es zum Beispiel um Unterrichtsfragen geht. … Also die Willensbildung findet bei uns dann
über Mehrheitsvoten aus den Mitgliedsvereinen statt.“ (hr Vladi,
Konsultation Landesvorstand)
Zusätzlich holt sich die SCHURA zur Entscheidungsfindung bei konkreten
Fragen Experten zur Beratung in ihre Entscheidungsprozesse, die außer
einer Ausschussbildung in der Satzung nicht prinzipiell festgelegt sind.
So steht die SCHURA insbesondere zum Islamischen Zentrum der Universität Osnabrück im stetigen Kontakt und versteht dieses Zentrum als
ersten Ansprechpartner für neue und bisher unbearbeitete theologische bzw. rechtswissenschaftliche Fragen bezüglich der islamischen Religionsausübung in nicht-islamischer Gesellschaft. Im folgenden Zitat
geht es um die Frage wie man bspw. bei der Ableistung der zakat im
deutschen Kontext zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann:
65
„Es gibt auch Muslime, die sagen, ich zahle Steuern und das kann
ich auch als zakat für mich verstehen. Ich will das gar nicht bewerten, ich meine nur, dass wir da noch viel zu tun haben. Und da
braucht man eben auch wieder Professionalität. Im Grunde geht es
nicht, dass wir das als Landesverband auflösen. Was man machen
kann, ist, wenn man gut mit solchen Institutionen zusammenarbeitet wie mit dem Islamischen Institut der Uni Osnabrück zum Beispiel, dass man da versucht, eine Schwerpunktsetzung zu erreichen,
dass die das intensiver behandeln. Also ich finde es zum Beispiel
auch sehr positiv, dass sich Mitarbeiter des Instituts mit zur Basis
begeben von SCHURA und bei großen Mitgliederversammlungen
mit uns über das Kerncurriculum für die Ausbildung in Osnabrück
diskutieren und so weiter und auch sich mal anhören, was Imam XY
jetzt zu diesem oder jenem Punkt sagt. Nur so kann das glaube ich
gehen.“ (Fr. Abdel-Rahman, Konsultation Landesvorstand)
In Osnabrück war die SCHURA im Übrigen neben der DITIB im Beirat zur
Einsetzung der Professuren wie auch im Beirat zur Einsetzung eines Curriculums für den IRU und somit bereits faktisch als Religionsgemeinschaft für das Land Niedersachsen tätig.
Neben zahlreichen repräsentativen Aufgaben, die der Vorsitzende und
auch andere ehrenamtliche Vorstandsmitglieder wahrnehmen (Reden
zu Demonstrationen gegen Rassismus, zum Ramadanempfang im Rathaus, interreligiöse Empfänge u. v. m.) hat die SCHURA aufgrund ihrer
satzungsgemäßen Aufgaben- und Zielsetzung heraus, das religiöse Leben „der in Niedersachsen lebenden Musliminnen und Muslime sowie
der islamischen Religion und Kultur“ fördern zu wollen, in den letzten
Jahren etliche Projekte sozialfürsorglicher, seelsorgerlicher, integrationspolitischer wie auch religionsbewahrender Art auf Landesebene initiiert und/oder begleitet. Darunter z. B.:
- Mitarbeit im Beirat für den IRU;
66
- Staatsvertragsverhandlungen und die Vermittlung dieses Prozesses
in die Ortsgemeinden;
- Erstellung einer Ijaza-Ordnung für die Einstellung islamischer Religionslehrer/-innen an öffentlichen Schulen in Niedersachsen;
- die vertragliche Absicherung der Gefängnisseelsorge mit dem Land
Niedersachsen und Durchführung entsprechender Fortbildungen für
die infrage kommenden Personen;
- Gründung einer „Drei-Religionen-Schule“ in Osnabrück zusammen
mit der katholischen und der jüdischen Gemeinde wie auch mit der
DITIB;
- Fortbildungen in Zusammenarbeit mit der Polizei für Notfallseelsorge;
- Ausarbeitung eines Krankenhausseelsorgefortbildungskurses für
Muslime und Musliminnen, der bereits erfolgreich durchgeführt
wurde. Das Projekt entstand in Kooperation mit dem Bistum Hildesheim und der Ev. Landeskirche Hannover und unter Mitwirkung von
DITIB, in Trägerschaft der SCHURA;
- Gründung eines Vereins auf Initiative und mit Unterstützung des Sozialministeriums „Verein für familien- und jugendpädagogische Beratung - beRATen e.V.“ zur Extremismus-/Neo-Salafismusprävention, in
Zusammenarbeit mit der DITIB Niedersachsen;
- Durchführung von wissenschaftlichen Tagungen in Zusammenarbeit
mit der Universität Göttingen (IRU, Erziehung im Islam) dem Islamischen Zentrum der Universität Osnabrück (Seelsorge), dem Museum
für Sepulkralkultur Kassel (Bestattung) und in Zusammenarbeit mit
der SCHURA Bremen (Halal-Lebensmittel), zudem Beteiligung an Tagungen in der Akademie Loccum;
67
- Erstellung eines Moscheeverzeichnisses für Niedersachsen (2007);
- Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer Handreichung
für Muslime und Musliminnen zu islamrechtlichen und gesetzlichen
Anforderungen an eine gemischtkonfessionelle Ehe (die Handreichung ist derzeit noch in Arbeit);
- Einrichtung einer Website für den Landesverband;
- Jährliche Verschickung von Mitgliederrundbriefen als Tätigkeitsbericht aus der SCHURA;
- Vereinbarung mit der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten,
dass Muslime bei der Gedenkarbeit an die NS-Verbrechen mit eingeladen werden;
- Veranstaltungsreihe zur gemeinsamen Fortbildung islamischer und
evangelischer RU-Lehrer/-innen zusammen mit der ev. Landeskirche;
- Regelmäßiger jährlicher Austausch mit dem ev. Landesbischof, ebenso mit dem Bischof von Hildesheim und von Osnabrück und der jüdischen Gemeinde. Organisation von regelmäßigen Besuchen und anlassbezogene Konsultationen (z. B. Beschneidung von Jungen).
Die satzungsmäßigen Ausschüsse „innerislamischer Dialog“ wie auch
interreligiöser Dialog“ sind derzeit nicht konkret besetzt. Diese Themen
werden aber vom Vorstand insgesamt fortwährend wahrgenommen,
wie bspw. der interreligiöse Dialog (s. o.). Der „innerislamische Dialog“
wird zum einen als innerverbandlicher über die zweimonatigen Treffen
im Vorstand und die jährlichen Mitgliederversammlungen organisiert,
der überverbandliche Dialog im Land Niedersachsen findet v.a. mit der
DITIB in vielen gemeinsamen Projekten (s. o.) regelmäßig statt. Ein
theologischer Fachausschuss setzt sich auf Antrag eines Mitglieds zusammen; es können externe Experten dazu gebeten werden, der Aus68
schuss gibt sich im Einvernehmen mit dem Vorstand eine eigene Geschäftsordnung.
Die Arbeit der SCHURA zeigt, dass hier Professionalität nur insoweit
möglich ist als es die rein ehrenamtliche Arbeit zulässt. Es fehlt ein eigenes Büro, ein Sekretariat und eine hauptamtliche Geschäftsführung,
um die Basisarbeit auf sicheren Boden zu stellen. Das Ziel, dass sich die
SCHURA stellt, bemisst sich an dem strukturellen Aufbau der Kirchen,
wie sie selbst sagen (Hr. Vladi, Konsultation Landesdachverband). Allerdings ist dieses Ziel mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln
sehr hoch gesteckt.
2.2.2 Religionspflege und religiöse Angebote
Das Institut der Moscheegemeinde
Die SCHURA stellt wie oben dargelegt ein Zusammenschluss sunnitischer und schiitischer Moscheegemeinden dar, die gemeinsam den Islam und seine Bewahrung in der Gesellschaft fördern möchten. Grundsätzlich geht die SCHURA von vollgültigen islamisch-religiösen Ortszentren als Mitgliedsgemeinden aus. So weisen auch alle besichtigten
Räumlichkeiten darauf hin, dass sich hier das mittlerweile durchaus erweiterte Institut der Moschee als Gebetsraum für Männer und Frauen,
als Unterrichtszentrum für Koran, Arabisch und Islam wie auch als Jugendfreizeitzentrum und als Treffpunkt für Männer wie Frauen, um sich
auszutauschen sowie um Feste insbesondere mit zuzubereitenden
Mahlzeiten zu begehen, konsolidiert hat. Allerdings werden Unterschiede in den Finanzierungsmöglichkeiten deutlich in Größe und Ausstattung. Auffällig ist, dass die Räumlichkeiten mittlerweile überwiegend im
69
Besitz der Moscheegemeinde oder des unterstützenden Bundesverbands (IGMG, ATIB, VIKZ) sind. Insbesondere wenn die Moscheegemeinde gänzlich in eigener Regie Räumlichkeiten erwirbt, bringt dies
u. U. einen langwierigen Umbauprozess mit sich, bei dem alle Mitglieder zumeist im Einsatz sind (vgl. z. B. Göttingen).
Wie sich bei den Konsultationen zeigte, nehmen alle Moscheegemeinden immer auch Nicht-Mitglieder zum Gebet auf. Jede Moschee versteht sich als grundsätzlich offen zum Gebet für alle Muslime und Musliminnen, unabhängig davon, welcher Richtung sie angehören. Auch für
die Unterrichtsangebote und die Festlichkeiten gilt diese Offenheit.
Deutlich wurde, dass durch die Zusammenarbeit der Verbände und Moscheegemeinden vor Ort, letztlich institutionalisiert in der SCHURA, diese Offenheit realer geworden ist.
Die stärkere Öffnung spiegelt sich auch in der internen Kommunikation
wider. In zwei Städten (Braunschweig und Osnabrück) hat sich mittlerweile eine eigene regelmäßige Kommunikation (monatliches gemeinsames Frühstück) zwischen den Imamen etabliert. An den gleichen Orten haben sich die vorhandenen Moscheegemeinden zusammengeschlossen zu muslimischen Räten, um kommunale Angelegenheiten und
auch gemeinsame Aktivitäten zu organisieren. Andernorts zeigte sich,
dass man sich – trotz Verbandsunterschiede –, gegenseitig aushilft
wenn der eigene Imam einmal im Urlaub ist o. ä. Zudem ist es vielfach
üblich geworden, dass insbesondere zum Festmonat Ramadan Imame
auch einmal in einer Nachbargemeinde, die nicht dem eigenen Bundesverband angehört, einen Vortrag halten oder gar die hutbe (Freitagspredigt) übernehmen. Die Zugehörigkeit zur SCHURA (oder zur DITIB)
schafft an dieser Stelle eine gute Basis für den innerislamischen Dialog.
70
Die Imame werden vom zugehörigen Bundesverband oder durch die
Gemeinde über Spenden von der Gemeinde selbst bezahlt. Auffällig ist,
dass mittlerweile auch in IGMG- und ATIB-Moscheen vereinzelt von
Diyanet finanzierte Imame zu finden sind, wenngleich hier deutlich gemacht wurde, dass man sich – anders als die DITIB-Gemeinden – diese
Imame aussuchen dürfe und auch würde. Schließlich suche man einen
Imam, der den komplexen Aufgaben einer islamischen Gemeinde in
Deutschland gewachsen sei. Diese Aufgaben stellten höhere Anforderungen insbesondere an seelsorgerliche Kompetenz als das Amt in der
Türkei an die Imame:
„Für uns ist ein Imam nicht eine Person, die nur fünfmal am Tag betet. …
Ein Imam ist ein Seelsorger. … Sinn der Sache ist, dass der Imam beim
Beten nach den Leuten guckt: weint einer beim Gebet, ist einer traurig,
ist einer froh? Und da fängt schon seine Arbeit an“ (Hr Ocakdan, Konsultation IGMG-Moscheeverein Braunschweig).58
Manche nicht-türkischen Imame aus der SCHURA haben sich der deutschen Vereinigung für Imame „Rat der Gelehrten und Imame für
Deutschland“ (RIGID) angeschlossen, deren Vorsitzende aus Ägypten
stammen und die auf Arabisch und Deutsch kommunizieren.
58
Manche dieser IGMG- und ATIB-Gemeinden engagieren auch pensionierte Diyanet-Imame, die
dann nur etwa 1.000,- € - 1.900,- € kosten, weil ihnen die Pension in der Türkei weiter bezahlt wird.
Ein regulärer deutscher Imam würde das Doppelte oder Dreifache kosten. Der VIKZ-Bundesverband
hat seine eigenen Imame und Ausbildungsgänge dazu aufgrund seiner eigenen spirituellen Ausrichtung und Praxis (vgl. VIKZ o. J.).
71
Die sichtbaren „Säulen des Islams“
a) Das Gebet
Die Öffnung der Moschee für das fünfmalige tägliche Gebet sowie dessen Durchführung gehören zur Basisarbeit jeder Gemeinde und jedes
Imams. Auch kleinere Gemeinden versuchen, diese Regel durchzuhalten
und wenn ggfs. auch nur dadurch, dass jedes Mitglied einen Schlüssel
zur Moschee bekommt, um seine Gebete in der gemeinsamen Moschee
verrichten zu können, auch wenn der Imam nicht vor Ort ist – wie z. B.
im Sommer, wenn das Nachtgebet auf die Mitternachtszeit fällt oder
das Morgengebet bereits vor 5 Uhr ist oder der Imam montags seinen
Ruhetag hat. Die meisten Gläubigen führen allerdings dann diese Gebete zuhause durch.
Die Freitagspredigten werden in den konsultierten Gemeinden zweisprachig gehalten; auf Türkisch oder Arabisch und auf Deutsch. Der
deutsche Part, wenn er nicht der hauptsächliche ist, ist meist zusammenfassend. Diejenigen Gemeinden, die bestimmten Bundesverbänden
angehören (IGMG, VIKZ, ATIB), haben meist die Möglichkeit, vom Bundesverband angebotene Predigten zu übernehmen. In den konsultierten
Gemeinden wurde aber durchgehend deutlich gemacht, dass ein solches Angebot freiwillig ist und die Imame in der Regel eine eigene hutbe
entwerfen.
Die Mitgliedsgemeinden richten ihre eigenen kandil-, Gebets- und Gedenkabende aus, je nach religiöser und regionaler Tradition. Insbesondere die türkischen Gemeinden arbeiten vor Ort oftmals zusammen bei
der Ausrichtung eines Gedenkens an den Prophetengeburtstag.
72
b) Das Fasten
Auch
die
Ramadan-Zeremonien
richtet
jede
SCHURA-
Mitgliedsgemeinde aus. Die Moscheen sind meist übervoll in dieser Zeit
und wenn möglich wird in der Gemeinde am Wochenende oder oftmals
auch jeden Tag das iftar nicht nur mit dem Gebet, sondern auch mit
dem gemeinsamen Essen begangen. Manche Gemeinden stellen eigens
dafür einen Koch im Ramadan ein. Insbesondere in Universitätsstädten
werden im Semester besonders Studenten und Studentinnen eingeladen, damit sie das iftar nicht alleine ohne Familie begehen müssen.
Meist wird auch das tarawih-Gebet, in dem im Laufe des Ramadans der
gesamte Koran rezitiert wird, gemeinsam durchgeführt. In manchen
Moscheen machen auch einige wenige itikaf, d. h., sie ziehen sich in den
letzten zehn Tagen des Ramadan vollständig in die Moschee zum Gebet
und zur Rezitation des Koran zurück.
Ein Problem im Austausch der islamischen Gemeinden untereinander
wie aber auch in die Gesellschaft ist immer wieder der Ramadanbeginn
gewesen, weil die Berechnung seines Beginns sich um einige Tage unterscheiden kann. Die SCHURA Niedersachsen hat in einem Einigungsprozess unter den Mitgliedsgemeinden den Beginn des Ramadan-Fests
für ihre Mitgliedsgemeinden nach den Vorgaben des KRM einheitlich
festgelegt und gibt nun einen Kalender mit den festgelegten Zeiten heraus (vgl. www.schura-niedersachsen.de/kalender).
c) Die Pilgerfahrt
Die kleinen Mitgliedsgemeinden organisieren die Pilgerfahrten über lokal ansässige Reisebüros, die eine eigene Lizenz für Pilgerfahrten er73
worben haben, oder sie schließen sich den Angeboten bzw. hadschOrganisationen der bestehenden überregionalen Dachverbände an
(ATIB, IGMG, VIKZ u. a.). Die SCHURA selbst bietet solche Gruppenfahrten nicht an. In ihren Mitgliedsgemeinden werden aber regelmäßig Seminare durch die Imame zur Vorbereitung der Reisenden angeboten.
Die Reisenden werden entsprechend in den Moscheen verabschiedet
und bei ihrer Rückkehr wieder empfangen.
d) Das Almosengeben
Sadaka, das freiwillige Spenden, ist im Islam sehr üblich. Gespendet
wird für Bedürftige. Dies kann von der Hilfe für Hungernde in Afrika zu
Flutopfern auf den Philippinen und denen im eigenen Land über die Unterstützung von Flüchtlingen, Studierenden oder der eigenen Gemeinde
reichen. So breit ist auch das Engagement der muslimischen Gemeinden
in Niedersachsen in diesem Bereich - nicht nur finanziell sondern durchaus auch tatkräftig - gestreut.
Für die Spendenannahme und internationale Hilfe gibt es mittlerweile
eigene, teilweise zertifizierte Organisationen, die sich aus islamischen
Bundesverbänden heraus gebildet haben (Hasene, Hilâl, Islamic Relief
u. a.) und die Gelder entsprechend ihres jeweiligen Programms professionell weiterleiten.
Die zakat, die islamische Pflichtabgabe vom eigenen Vermögen, entrichten die Gemeindemitglieder i. d. R. individuell. Die SCHURA Niedersachsen sieht in der Frage, wie die zakat als Pflichtabgabe in einer nichtislamischen Gesellschaft, in der Muslime und Musliminnen bereits ihre
Steuern für das Gemeinwesen zahlen, angemessen verstanden werden
74
kann, ein offenes Problem. In dieser Frage möchte die SCHURA den Diskurs beispielsweise dadurch anregen, dass sie die islamischen Professuren an der Universität Osnabrück bittet, sich mit diesem Thema einmal
schwerpunktmäßig zu beschäftigen.
Lebenszyklische und seelsorgerliche Begleitung
Die SCHURA hat speziell im Bereich der Seelsorge ein Aufgabenfeld der
Muslime und Musliminnen gesehen, in dem es sich zu engagieren gelte.
Hierzu wurde ein zehntägiges Fortbildungsprogramm entwickelt, das
Muslime und Musliminnen zu ehrenamtlichen Krankenhausseelsorgern
ausbildet. Das Programm wurde bereits durchgeführt und hat knapp 20
Krankenhausseelsorger und -seelsorgerinnen ausgebildet.
Auch in der Gefängnisseelsorge sind SCHURA-Vorstandsmitglieder und
einzelne Mitgliedsgemeinden aktiv. Darüber hinaus hat sich die SCHURA
wie oben bereits dargelegt an der Einrichtung einer jugend- und familienbezogenen psychosozialen Beratungsstelle zusammen mit der DITIB
und dem Sozialministerium mitgewirkt.
Derzeit erarbeitet eine Arbeitsgruppe der SCHURA eine Handreichung
für Muslime und Musliminnen zum Thema gemischtkonfessionelle Ehen
(hr Vladi, Konsultation Landesdachverband).
Darüber hinaus findet Seelsorge v. a. in den Ortsgemeinden statt und
wird neben dem Imam von allen Gemeindemitgliedern übernommen.
Manche Gemeinden bieten auch eine Telefonhotline an.
Lebensbegleitende Rituale, wie die Namensgebung und die Hochzeit,
werden z. T. in der Familie gefeiert, manche Gemeinden richten aber
75
auch im Anschluss an die standesamtliche Hochzeit Gebetszeremonien
aus. Beschneidungen lassen die Gläubigen nicht selten in ihrem Urlaub
im Herkunftsland durchführen.
Das Sprechen der Totengebete findet ebenfalls in den Gemeinden statt.
Die Begleitung der Trauernden übernehmen der Imam und ggfs. weitere Gemeindemitglieder. Die Bestattungen regeln viele Gemeindemitglieder über islamische Bestattungsfonds (z. B. der Millî Görüş) und
muslimische Bestatter. Waschungen werden in speziell genehmigten
Räumen in der Moschee, in einem Waschhaus am Friedhof (Braunschweig) oder im Krankenhaus durchgeführt. Die Bestattungsmöglichkeiten und Friedhofsordnungen sind regional unterschiedlich. An einigen Orten sind Grabfelder für Muslime eingerichtet worden.
Tradierung islamischen Wissens
Die Mitgliedsgemeinden der SCHURA sehen als eine der wichtigsten religiösen Aufgaben neben dem Gebet die religiöse Unterweisung der
Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen an. Trotz z. T. geringer Ressourcen finden in allen Gemeinden Gruppen für Koranunterricht für Jungen
und Mädchen wie auch für Erwachsene statt. Der Imam erhält hierbei
Unterstützung durch Gemeindemitglieder, die die Ausbildung bereits
durchlaufen haben. Neben Korankursen findet Arabisch- und Islamunterricht statt. Daneben bieten viele Gemeinden unter der Woche, wenn
die Kursräume weniger besetzt sind, Raum für oftmals städtisch geförderte Hausaufgabenhilfe für Kinder, für Deutschkurse für Frauen und
meist selbst organisierten Nachhilfeunterricht. Zusätzlich bieten der
Verband der IGMG und der des VIKZ Wochenend- und Ferienkurse zu
76
Koran und Islam für Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts in eigenen Häusern59 im In- und Ausland an.
Viele Gemeinden organisieren Koranlesewettbewerbe, um das Koranlesen unter den Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Meist zu Festtagen laden die Gemeinden Gelehrte oder andere Imame
zu Vorträgen in die Gemeinde ein. SCHURA-Vorstandsmitglieder treten
zum Teil selbst als Redner auch zu solchen Gelegenheiten auf. Die
SCHURA ist zudem mehrfach bereits als Unterstützende und Mitwirkendende bei islamtheologischen Tagungen aufgetreten (s. o.) und trägt
damit zur Förderung der Wissenstradierung bei.
Außenkommunikation
Die SCHURA versteht sich sowohl als Förderin des innerislamischen Dialogs als auch als Sprachrohr für die Anliegen der islamischen Gemeinden
in die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft hinein. Dabei gilt ihr Anliegen auch der verbesserten Integration des Islams wie der muslimischen Moscheegemeinden in Niedersachsen.
Den gesellschaftlichen Dialog nimmt die SCHURA auf verschiedene Weise wahr: Am „Tag der offenen Moschee“(TOM) nehmen alle Mitgliedsmoscheen teil und man orientiert sich an dem Leitthema, das jährlich
durch den KRM herausgegeben wird. Iftar-Empfänge, die bereits als
symbolischer Austausch zwischen Öffentlichkeit und den Moscheegemeinden Tradition haben, werden von vielen Moscheegemeinden, in
59
Bei der IGMG gehören diese Häuser der EMUG e.V., die für die IGMG diverse Liegenschaften besitzt, darunter auch die Imam-Hatip-Schule Hamburg, das Pädagogische Zentrum für Islamunterricht
in Hannover und das Wohnheim für Islamische Theologie-Studierende in Osnabrück.
77
größeren Städten auch verbandsübergreifend, organisiert. Die SCHURA
hat als Verband auf Landesebene ebenfalls solche Empfänge organisiert.
Sowohl die SCHURA auf Landesebene als auch die Ortsgemeinden stehen in regelmäßigem Kontakt zu den christlichen Kirchen und den jüdischen Gemeinden. Zum Teil wurden hierzu eigene interreligiöse Arbeitskreise eingerichtet, meist laden sich aber die Nachbargemeinden
gegenseitig ein, tauschen sich jährlich einmal aus oder/und konsultieren
sich zu konkreten Fragen oder Projektvorhaben. In den Moscheegemeinden wurde benannt, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt oder
mit christlichen Gemeinden leichter fällt, wenn deutlich wird, dass man
der SCHURA Niedersachsen angehört.
78
2.3 Zusammenfassende Bewertung in Hinblick auf die auf die Erfüllung
der Kriterien zur umfassenden Religionspflege
Das zentrale Strukturmerkmal der SCHURA Niedersachsen – insbesondere im Unterschied zur DITIB – ist die Zusammenarbeit von engagierten „Laien“ und ausgebildeten Imamen, Religionspädagogen und Theologen im Leitungsgremium des 13-köpfigen Vorstands. Der Entscheidungsbildungsprozess des Vorstands läuft vor allem über Konsensentscheide. Im Bewusstsein, nicht im Besitz eines „kirchlichen Lehramtes“
zu sein, bedarf es letztlich der Einigung aller Mitglieder, um religiöse
Autorität zu entfalten.60 Insofern ist der Vorstand zwar vertretungsberechtigt, um aber neue Felder besetzen und/oder Entscheidungen treffen zu können, hat er letztlich alle Mitgliedsgemeinden zu konsultieren.
Problematisch kann dies werden, wenn in parallel bestehenden Zusammenschlüssen wie dem reform-sufischen Bundesverband der VIKZ
oder der IGMG differente Entscheidungen getroffen würden. Es hat sich
allerdings bei den Konsultationen gezeigt, dass diese Gemeinden - trotz
ihrer innerislamischen Unterschiede - immer besser zusammen arbeiten
können. 61 Der Ausdruck, dass hier ein „Islam der Mitte“ entstünde, erscheint plausibel - jenseits der Unterschiede in der Praxis der einzelnen
60
Der sunnitische Islam kennt kein „kirchliches Lehramt“, durch dessen Bekleidung Personen eine
spezifische religiöse Qualität erhalten, die sie grundsätzlich vom restlichen Kirchenvolk bzw. den
„Laien“ unterscheidet, und ihnen religiöse und leitungsmäßige Autorität verleiht. Die katholische
Kirche sieht das kirchliche Lehramt in direkter Nachfolge der Apostel und durch Jesus Christus gestiftet zur Bewahrung, Weitergabe und Auslegung des Glaubens in letzter Verbindlichkeit. Träger sind
der Papst, die Bischöfe und das ökumenische Konzil bzw. alle mit der Bewahrung und Verkündigung
der Lehre Beauftragte (Religionslehrer, Theologieprofessoren, Pfarrer). Die evangelische Kirche
schließt ein solches Verständnis aus. Einzige Richtschnur für die Bewahrung, Weitergabe und Auslegung des Glaubens sind das Evangelium und die Bekenntnisschriften. Praktisch jedoch üben die
evangelischen kirchenleitenden Organe wie Superintendenten, Synoden und v. a. die Bischöfe leitende Autorität aus. Hier gibt es eine strukturelle Parallele zum sunnitischen Islam, dessen einzige
Richtschnur der Koran und die Sunna des Propheten sind. Es haben sich jedoch Rechtsschulen und
deren Bewahrer (Ulema) sowie spirituelle Leitungsorgane im Sufitum (Scheichs) und im schiitischen
Islam (Ayatollhas) entwickelt, die eigene religiöse und leitende Autorität entfaltet haben.
61
Solche innerchristlichen Unterschiede finden wir insbesondere im evangelischen Spektrum ebenfalls.
79
Gemeinden, die in ihrem Islamverständnis mal strikter, liberaler oder
spirituell-hierarchischer (sufisch oder schiitisch) sein können. Die Unterschiede der Bundesverbandszugehörigkeiten in den konsultierten Gemeinden der IGMG, der ATIB wie auch der der DITIB drücken sich vor
allem noch über die politische Geschichte ihrer Entstehung aus, aber
kaum noch über die aktuelle islamische Praxis der konkreten islamischen Moscheegemeinschaft.62
Die alle Mitgliedsgemeinden einigende Grundlage der SCHURA Niedersachsen ist der in der Satzung getroffene islamische Minimalkonsens
(fünf Säulen und sechs Iman-Artikel), zusammen mit dem Bekenntnis zu
den demokratischen Strukturen der Bundesrepublik und der Ablehnung
von Gewalt als Mittel religiöser oder politischer Auseinandersetzung.
Die SCHURA unternimmt darüber hinaus keine Eingrenzung nach
Rechtsschulen.
Wie im Vorhergehenden gezeigt, ergeben die stichprobenartigen Konsultationen, dass dieser islamische Minimalkonsens in seiner religiöspraktischen Dimension in den vollgültigen Mitgliedsmoscheegemeinden
satzungsgemäß gelebt wird.63 Alle dazu notwendigen räumlichen und
personellen Ressourcen stehen zur Verfügung, wenngleich durch die
nach wie vor bestehende Zurückhaltung der Muslime, Mitglied in einem
Moscheeverein zu werden, Unsicherheiten in der Finanzierung bleiben.
Trotzdem sind mittlerweile viele der Moscheen im Besitz der Gemeinden bzw. der dazu gehörigen Verbände, was eine solide Grundlage für
die weitere Planung bildet. Der Zusammenschluss in der SCHURA unter62
Das manifestiert sich auch in dem gemeinsamen Rückgriff auf Diyanet-Imame sowie mancherorts
auch deren Finanzierung durch die Diyanet (s.o.).
63
Wie oben erwähnt bieten zehn Mitgliedsgemeinschaften eine solche Gewähr nicht.
80
stützt die umfassende islamische Religionsausübung der Ortsgemeinden
insbesondere, indem er gemeinsame Interessen der Mitgliedsgemeinden im Land Niedersachsen vertritt. Darüber hinaus fördert die SCHURA
das islamische Leben in Niedersachsen, indem sie notwendige neue
Themen, Arbeitsfelder und Kommunikationsnetzwerke auf Landesebene inhaltlich vorbereitet, zur innerislamischen Auseinandersetzung und
Vereinheitlichung führt und in die entsprechenden Gremien einbringt –
so bereits geschehen zum IRU in Niedersachsen, zum Thema Seelsorge
im Krankenhaus, zur Feiertagsfestlegung u. a. m.
Für etwa ein Drittel der SCHURA Mitgliedsgemeinden ist die SCHURA
das erste und einzige islamische Netzwerk, dem sie sich angeschlossen
haben. Hierzu gehören v.a. die nicht-türkischen Moscheevereine. Etwa
zwei Drittel der Mitgliedsvereine der SCHURA sind gleichzeitig noch in
anderen regionalen und/oder bundesweiten islamischen Verbänden
Mitglied, die aber nicht an den politischen Landesgrenzen orientiert
sind (IGMG, VIKZ, Jama’at un-Nur, ATIB, Naqshbandiyya, ZMD, IR, KRM
u. a.).64 Grundsätzlich muss das inhaltlich kein Problem sein, da alle
freiwillig in der SCHURA Mitglied sind, sowie einhellig bei den Konsultationen deutlich wurde, dass die Annäherung zwischen den verschiedenen in der SCHURA vertretenen islamischen Strömungen fortgeschritten
ist, und dass die politische Notwendigkeit, auf Landesebene einen islamischen vertretungsberechtigten Ansprechpartner zu generieren, anerkannt wurde. Bislang hat die SCHURA es geschafft, die innerislamische
Pluralität im Vorstand auch entsprechend abzubilden, ohne dass dies in
der Satzung so festgelegt worden wäre.65 Eine Übernahme aller zentra64
D. h. gleichzeitig, dass sich hier etwa ein Drittel der Mitgliedsmoscheegemeinden direkt der SCHURA als erstes Netzwerk angeschlossen hat.
65
Inwieweit dies überhaupt nach Vereinsrecht zulässig wäre, müsste ein Jurist klären.
81
len Vorstandspositionen durch den mitgliedsstärksten Verband, die
IGMG, wäre zwar formal u. U. möglich, würde aber wohl eher die
SCHURA durch eine Austrittswelle zerfallen lassen, als dass die anderen
Mitgliedsgemeinden dies als legitim akzeptieren würden. Dies kann
letztlich auch nicht im Interesse der IGMG sein.
Die Ausbildung einer spezifischen islamischen Identität aus der SCHURA
heraus konnte in den Konsultationen vor allem im einhelligen positiven
Bezug auf das Bekenntnis zur innerislamischen Pluralität ausgemacht
werden. Insgesamt wird die Arbeit der SCHURA von den Ortsgemeinden
als sehr positiv für die Religionsausübung vor Ort bewertet. Als Mitgliedsverein der SCHURA werde man beispielsweise mit größerer Unvoreingenommenheit behandelt. Gleichzeitig wurde bei den Konsultationen deutlich, dass der Kontakt mit dem Vorstand durchaus unterschiedlich und in manchen Gemeinden noch ausbaufähig ist, wobei solche Gemeinden einräumten, dass dies auch an zeitlichen Ressourcen
ihrerseits gelegen habe. Diesbezüglich muss berücksichtigt werden,
dass der Landesverbandsvorstand ausschließlich aus ehrenamtlichen
Mitgliedern besteht, die ein großes Flächenland wie Niedersachsen bespielen. Für eine dauerhafte Vertretung schätzungsweise der Hälfte der
gläubigen Muslime und Musliminnen in Niedersachsen ist das keine angemessene und nachhaltige Basis. Hier bedarf es einer Grundfinanzierung, ohne die eine solch große und professionell zu betreibende Aufgabe ansonsten kaum zu bewältigen ist. Sowohl die Mitgliedsgemeinden der SCHURA als auch das Land müssen sich sicherlich hier die Frage
stellen, was sie hierfür investieren wollen und können.
Die Arbeit der SCHURA ist als moderierende Auseinandersetzung und
initiierende thematische Einflussnahme in Bezug auf islamische Angele82
genheiten in Niedersachsen zu bewerten. Die SCHURA bezieht sich dabei auf kein konkretes Amt „islamischer Autorität“ (s. „Lehramt“ Fn 47),
sondern generiert diese in konsensualen Einzelentscheidungen in Auseinandersetzung mit den Mitgliedsgemeinden sowie ggfs. über die Beratung mit islamisch-theologischen Fachleuten (z.B. der Universität Osnabrück). Mit dieser Idee der Vertretung der Muslime und Musliminnen
über Beratung und Konsens, und einer islamischen Praxis, die wesentlich in den fünf Säulen und den sechs Iman-Grundsätzen verortet wird
und den Rest in die Beratung der Gläubigen und in die Verantwortung
des Einzelnen legt, ordnet sich die SCHURA einer Art „MainstreamIslam“ zu. Insofern stellt sich aus religionswissenschaftlicher Perspektive
die SCHURA als Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 GG dar, die
sich über die Sorge der Bewahrung und Förderung der umfassenden
islamischen Religionsausübung in Niedersachsen zusammengefunden
hat.
83
IV. Schlussbemerkung
Beide Landesverbände sind - wie oben dargelegt - aus religionswissenschaftlicher
Perspektive
jeweils
Religionsgemeinschaften
nach
Art. 7 Abs. 3 GG. Dabei wurde in der Darstellung ihrer umfassenden Religionspflege deutlich, dass die Landesverbände DITIB und SCHURA zwar
von ihrer Historie und von ihrem strukturellen Aufbau unterschiedlich
sind, sie sich aber in ihrem Islamverständnis („Islam der Mitte“) und ihrer religiösen Praxis nur wenig unterscheiden. Letztlich ist dies auch
dem geschuldet, dass diese modernen islamischen Religionsgemeinschaften nicht in streitender Auseinandersetzung um die richtige Auslegung der islamischen Quellen (Koran und Sunna des Propheten) entstanden sind, sondern in dem konkurrierenden Bestreben den Islam in
fremder Kultur zu bewahren und zu fördern. Zunächst war dabei die
oppositionelle Auseinandersetzung mit dem türkischen laizistischen
Staat, wie bei IGMG, ATIB bzw. die affirmative Anlehnung an den türkischen Staat wie bei DITIB leitend für die Gemeinschaftsbildung. In den
neunziger Jahren begann dann die Auseinandersetzung mit dem deutschen Staatskirchensystem als die Zukunftsperspektive der türkischen
Muslime und Musliminnen immer deutlicher auf Deutschland gerichtet
war. Die Landesverbände SCHURA Niedersachsen und DITIB Niedersachsen sind somit v.a. als Gebilde dieser historischen Entwicklung zu
verstehen und bilden derzeit den Höhepunkt der Auseinandersetzung
türkisch-islamischer Verbände mit dem säkularen Staatskirchensystem
der Bundesrepublik. Insofern wundert es nicht, dass beide Landesverbände kirchliche Strukturen als Vorbild für ihre eigene Aufbauarbeit
84
nutzen.66 Der gelebte Islam inkulturiert sich dabei schleichend. Seine
Pluralität verschwindet nicht vollständig - insbesondere in der SCHURA
nicht -, aber die Entwicklung eines deutschen Mainstream-Islams schreitet voran.
66
Dies wird besonders deutlich bei dem Vorhaben der Einrichtung islamischer Wohlfahrtsverbände
(s.o.).
85
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www.naqshbandi.de
https://rigid.wordpress.com
91
VI. Anhang
Liste der konsultierten Moscheegemeinden und Gesprächspartner/,innen
DITIB Niedersachsen:
Zentral-Moschee Braunschweig
Hr. Kiray (Kassenwart und Buchhaltung)
Hr. Çelik (im Verein zuständig für Studierende)
Hr. Şabaz (Vorsitzender)
Hr. Erarslan (Imam)
Hr. Şahin Vidin (zust. f. Jugendgruppe, Studierende)
Fr. Sayılı (stellv. Vorsitzende)
Fr. Geçen (Vorstandsmitglied und Öffentlichkeitsarbeit)
Fr. Köse (Jugendverband)
Fr. Yurt (Landesjugendverband Niedersachsen und Bremen)
Fr. Aysel (Vorsitzende des Frauenverbands)
Fr. Zambak (Religionsbeauftragte DITIB-Bezirk Braunschweig)
Fr. Adali (Mitglied)
Fr. Yurt (Mitglied)
Fr. Gerçel (Mitglied)
Fr. Yükcel (Mitglied)
Yeni Camii Osnabrück
Hr. Ağirbaş (Imam)
Hr. Karacan (Vorsitzender)
Fr. Oğuz (Geschäftsführerin DITIB Landesverband)
Hr. Aktaş (stellv. Vorsitzender DITIB Landesverband)
Selimiye Camii Nordenham
Hr. Aksut (Vorsitzender)
Hr. Karabaçak (Vorstandsmitglied)
Fr. Kılıç (Frauenverband)
Hr. Kaya (Kassenwart)
Hr. Ilgın (Imam)
Hr. Kutkan (Mitglied)
Hr. Ari (Mitglied)
Hr. Alkan (Mitglied)
Hr. Tosun (Mitglied)
92
Hacı Bayram Camii Oldenburg
Hr. Aydın (Vorsitzender)
Fr. Sündüs Aydın (Frauenverband)
Hr. Castur (Dialogbeauftragter)
Hr. Şimşek (Vorstandsmitglied)
Hr. Coşar (Imam)
Hr. Aslan (Buchhalter, Kassenwart)
Hr. Altıparmak (stellv. Vorsitzender)
Fr. Altıparmak (Elternverband)
DITIB Moschee Göttingen
Hr. Özcan (Vorsitzender)
Fr. Özdemir (stellv. Vorsitzende)
Hr. Keskin (Buchhaltung/Öffentlichkeitsarbeit)
Hr. Elmas (Beisitzer/Öffentlichkeitsarbeit)
Hr. Öscan (Elternverband)
Fr. Öztürk (Frauenverband)
Hr. Sen (Jugendverband)
und Interessierte aus der Gemeinde einschl. des Imams
Aksa Camii Stadthagen
Hr. Dr. Yabaş (Vorsitzender)
Hr. Dr. Ünlü (Mitglied und ehemaliger Vorsitzender)
Gespräch mit dem DITIB-Landesvorstand:
Hr. Kılıç (Vorsitzender)
Hr. Karabacak (stellv. Vorsitzender)
Fr. Güldoğan (stellv. Vorsitzende)
Fr. Oğuz (Generalsekretärin, hauptamtliche Geschäftsführerin)
Hr. Öztorun (Buchhaltung)
Hr. Dinçer (Vorstand)
Fr. Cengiz (Frauenverband)
Hr. Acar (Elternverband)
Fr. Tiryaki (Jugendverband)
Fr. Koçak (Frauenverbandsmitglied und mit 50% angestellt im Landesverband)
93
SCHURA Niedersachsen:
IGMG-Braunschweig
Hr. Ocakdan (Geschäftsführer)
Hr. Ocakdan (ehemaliger Vorsitzender und Ex-Vorstandsmitglied)
Hr. Arici (1. Vorsitzender)
Hr. Aykaç (Vorsstand Bildungszentrum)
Fr. Demiricioglu (Vorstand Frauen)
Hr. Filizer (Vorstand Soziales)
Fr. Ayaz (Frauenabteilung)
Fr. Kale (Frauen, Jugend)
Fr. Aday (Frauen, Jugend)
Hr. Sögüt (Jugend)
IGMG Mevlana Camii Delmenhorst
Hr. Ertugrul (Presse, Öffentlichkeit)
Hr. Çiftçi (1. Vorsitzender)
Hr. Keser (Finanzen)
IGMG Mimar Sinan Camii Nordenham
Hr. Kaya (1. Vorsitzender)
Hr. Gürmüs (Mitglied)
Hr. Dalkiran (Bildung)
Hr. Demir (Bildung)
Hr. Şahin (2. Vorsitzender)
Hr. Yildirim (Bildung, Vorstandsmitglied)
IGMG Merkez Camii, IGMG, Osnabrück
Hr. Celik (Bildung)
Hr. Ateş (Vorsitzender)
Hr. Akcöltekin (Öffentlichkeit)
Hr. Arslan (Imam)
VIKZ Yeni Camii Delmenhorst
Hr. Alıç (1. Vorsitzender)
Hr. Pelvan (Vorstandsmitglied, Kassenprüfer)
Hr. Tamer Sert (Mitglied)
VIKZ Fatih Camii Osnabrück
Hr. Önder (Imam)
Hr. Kazan (1. Vorsitzender)
Hr. Yurdayüksel (Gast aus der Türkei)
94
Fr. Sandıkçı (Seelsorgerin, Koranlehrerin, Studentin der Islam. Theologie)
Fr. Erdoğan (Mitglied, Studentin der islam. Religionspädagogik)
Hr. Şendallar (ehem. Vorstandsmitglied)
Hr. Erdoğan (Mitglied)
ATIB Ayasofya Camii Osnabrück
Hr. Ömer (stellvertretender Vorsitzender)
Hr. Ömer (sein Sohn, Mitglied)
Bosnische Moschee Hannover
Hr. Ciftci (1. Vorsitzender)
Hr. Kusur (Imam)
Hr. Markić (2. Vorsitzender)
Hr. Radončić (Vorstand)
Hr. Salijević (Vorstand)
Deutscher Muslimkreis Braunschweig
Hr. El-Domiaty (1. Vorsitzender)
Hr. Abdullahi (2. Vorsitzender)
Fr. Kharhoutli (Frauenabt. und Bildung)
Fr. Dumanjić (Frauenabt. Und Bildung)
Hr. Sharif (Imam, Scheich)
Hr. Dr. Ahmed (Gründer, langjähriger 1. Vorsitzender)
Freie Moscheegemeinde Göttingen
Hr. Al-Dalati (Vorsitzender)
Hr. Rachid (Vorsitzender
Hr. Mgaieth (Vorstandsmitglied)
Hr. Hartmann (Mitglied)
Hr. Yossef (Mitglied)
Hr. Oudali (Kassenwart)
Hr. Badri (Imam)
Hr. Vladi (SCHURA Vorstand Landesverband)
Jama’at un-Nur
Gespräch mit dem Vorstand der SCHURA Niedersachsen
Hr. Altiner (1. Vorsitzender; Jama’at un-Nur)
Hr. Şahin (Kassenwart)
Hr. Vladi (Referat Öffentlichkeit; Islam. Gemeinde Harz)
Fr.. Abdel-Rahman (Referat Öffentlichkeit; Religionspädagogin)
95
Fr. Celebi (Beisitz Referat Seelsorge und Integration; IGMG Hannover)
Hr. Ocakdan (Beisitz; IGMG Regionalverband Braunschweig)
Hr. Köse (Beisitz; IGMG)
Hr. Kusur (Beisitzer, Imam; IGBD)
Hr. Toklu (IGMG Regionalverbandsvorsitzender Hannover)
Hr. Ciftci (VIKZ Landesverbandsvorsitzender)
Hr. Al-Masri (Seelsorge Referent)
96
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