C U R R I C U LU M Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 317 Ein neuer Ansatz in der Krebstherapie: die tumorbedingten Gefässneubildungen Künftige Paradigmen und ungeklärte Fragen C. Rüegg Einleitung Die Krebsentstehung ist ein schrittweiser Vorgang mit kumulativer Anhäufung von Genmutationen, welche zu einer Aktivierung der Onkogenese und einer Inaktivierung der TumorSuppressor-Gene führt. Als Ergebnis dieser Veränderungen entsteht eine lebensfähige Zelle mit unkontrollierter Proliferation. Gleichzeitig mit den genetischen Alterationen bewirken die Krebszellen tiefgreifende Veränderungen im normalen, umgebenden Gewebe. Dieses dermassen veränderte Gewebe, welches auch als Tumor-Stroma bezeichnet wird, bildet ein günstiges Milieu für Wachstum, Invasivität und Metastasierung des Tumors (Abb. 1). Gute Gründe sprechen dafür, dass die Bildung neuer Blutgefässe im Tumor-Stroma (ein Vorgang, der Eine aktualisierte Liste der antiangiogenetischen Medikamente in klinischer Prüfung findet sich im Internet unter: http://cancertrials.nci.nih.gov/ news/angio/table.html Korrespondanz: Dr. med. Curzio Rüegg Laboratoire du Centre Pluridisciplinaire d’Oncologie (CePO) School of Medicine University of Lausanne ISREC 155, Chemin des Boveresses CH-1066 Epalinges [email protected] Angiogenese = auch unter dem Begriff der Angiogenese bekannt ist) eine entscheidende Rolle für das Fortschreiten des Tumors spielt. Dank der Zusammenarbeit von Molekular- und Zellbiologen, Wachstums-Forschern und Onkologen konnten zahlreiche Erkenntnisse über den Mechanismus gefunden werden, der zur Neubildung von Blutgefässen führt. Die wichtigste Beobachtung aus klinischer Sicht war der Beweis, dass in experimentellem Milieu die Hemmung der Gefässneubildung das Tumorwachstum verhindert. Diese Entdeckung lässt hoffen, dass ein Angriff auf die Tumor-Vaskularisation auch ein wirksamer Weg in der Krebsbehandlung sein wird. In dieser Arbeit werden einige der neuen Ziele und offenen Fragen im Bereiche der Tumor-Angiogenese und der Strategien der Anti-Angiogenese dargelegt. Wachstum neuer Gefässe aus bestehenden Blutgefässen durch Proliferation und Verzweigung. Angiopoëtin/Tie’s = Angiopoëtine kontrollieren die Gefässneubildung, indem sie die ThyrosinkinaseRezeptoren (Tie) an die Zelloberfläche binden. αVβ3 = ein spezifisches Integrin an Endothelzellen, Boten-Substanz in der Angiogenese. COX = Cyclo-oxygenasen (COX) sind Enzyme, welche die Prostaglandine aus Arachidonsäure synthetisieren. COX-1 kommt in allen Geweben vor, COX-2 wird ausschliesslich in Tumoren und bei entzündlichen Reaktionen gebildet. Ephrin’s/Eph’s = Familie von Bindungs-Rezeptoren an Zellmembranen, welche die Zelldifferenzierung und Morphogenese steuern. Integrin = wichtigste Klasse der Adhäsions-Rezeptoren für Matrix-Proteine, die eine Schlüsselstellung beim Ablauf der Angiogenese einnehmen. ILP = Perfusion eines isolierten Körperteils. Chirurgische Technik zur Isolierung einer Extremität von seiner Blutzirkulation. MMPs = Matrix-Metallo-Proteinase; wichtigste Familie der Enzyme, welche die Matrix abbauen. NSA = nicht-steroidale Antiphlogistika. Diese Medikamente hemmen die Synthese von Prostaglandinen durch Blockierung der Cyclo-oxygenase (COX). TNF = Tumor-Nekrose-Faktor, ein Zytokin, welches selektiv die Tumorgefässe zerstört. Vasculogenese = Prozess, bei welchem Endothelzellen und Primär-Plexus aus Vorläufern von Endothelzellen (Angioblasten und Hämangioblasten) durch Zelldifferenzierung entstehen. Vaskuläre Kooption = («Gefäss-Mitbenutzung») Vorgang, bei welchem ein Tumor die vorbestehenden Gefässe zum Wachstum benutzt, ohne Angiogenese. VEGFs/VEGF-Rs = Endothel-Wachstumsfaktoren und ihre Rezeptoren an Zellmembranen. C U R R I C U LU M Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 Mechanismen der Gefässneubildung In der embryonalen Entwicklung bestehen zwei unterschiedliche Mechanismen zur Gefässneubildung (Abb. 2). In der Vaskulogenese entstehen aus einer gemeinsamen Stammzelle für Blut- und Gefässbildung, den Hämangioblasten, endotheliale Vorläuferzellen, Angioblasten, die sich zu Endothelzellen ausdifferenzieren, welche ein primitives uniformes Gefässnetz bilden. Anschliessend wird dieser primitive Gefässplexus umgebaut, ähnlich wie das Wachstum eines Baumes, mit Verästelungen und Rückbildungen, bis ein reifes Gefässsystem entsteht, mit funktionell streng gegliederten Abschnitten (grosse und kleine Gefässe, Arterien, Venen und Kapillaren). Dieser Reifungsprozess (bekannt unter dem Begriff Angiogenese) schliesst auch die Bildung des perivaskulären Gewebes ein, die Perizyten, die den Gefässen ihren Halt geben. Zahlreiche Gene konnten identifiziert werden, die an der Gefässbildung beteiligt sind. Die meisten können in vier Hauptkategorien eingereiht werden: 1. endotheliale Wachstums-Faktoren und ihre Rezeptoren (z.B. VEGF und VGEF-Rs); 2. Faktoren zum Umbau und zur Morphogenese (Angiopoëtine/Ties und Eph/Ephrine); 3. Adhäsions-Rezeptoren und Matrix-Proteine (Integrin, Cadherin, Fibronektin); 4. Enzyme zum Abbau der Matrix (MMP, uPA). Abbildung 1. Das Tumor-Stroma ist für das Tumor-Wachstum entscheidend. Die maligne Transformation ist ein mehrstufiger Prozess; er entsteht durch Akkumulation multipler genetischer Mutationen in der zellulären DNA und durch tiefgreifende Veränderungen im normalen, umgebenden Gewebe – auch Tumor-Stroma genannt. Dieses Tumor-Stroma bildet ein günstiges Milieu für das lokale Tumor-Wachstum und für seine metastatische Ausbreitung. Das Tumor-Wachstum und der Vorgang der Metastasierung hängen entscheidend von der Bildung neuer Blutgefässe (Tumor-induzierte Angiogenese) und neuer Lymphgefässe ab (Tumor-induzierte Lymphangiogenese). Die Hemmung der Tumor-Angiogenese stoppt das Tumor-Wachstum in Tiermodellen. Normale Blutgefässe Fibroblast 318 Im Ablauf der postnatalen Angiogenese muss es vorkommen, dass ruhende Endothelzellen dem Gefässwand stabilisierenden Effekt entgehen, so dass sie auf angiogenetische Faktoren reagieren und in das umgebende Gewebe einsprossen können. Im Gegensatz zur physiologischen Gefässneubildung (z.B. bei der Wundheilung) bilden die Tumor-Gefässe keine vollständige Gefässwand. Sie bleiben sehr permeabel und sind unfähig, eine normale Gefässarchitektur zu bilden. Vorläufer von Endothelzellen aus dem Knochenmark Bis anhin war man der Ansicht, dass die Neubildung von Blutgefässen nach der Geburt ausschliesslich durch Angiogenese erfolgt, d.h. dass neue nur aus bestehenden Gefässen entstehen können, durch Proliferation und Wanderung von Endothelzellen. Diese Vorstellung ist kürzlich in Frage gestellt worden, als bekannt wurde, dass Vorläufer von Endothelzellen aus dem Knochenmark im Blut von gesunden Menschen und Tieren zirkulieren, ebenso bei Gewebs-Ischämien und bei Krebs [3]. Diese zirkulierenden Vorläufer von Endothelzellen können sich am Orte der Angiogenese festsetzen und die Gefässneubildung verstärken, vermutlich durch Differenzierung vor Ort zu reifen Endothelzellen. Die Bedeutung zirkulierender Extrazelluläre Matrix Tumor-Angiogenese und Lymphangiogenese Tumorstroma Normales Stroma Normales Epithel Normale Zelle Präkanzeröse Zelle Krebszelle Maligne Transformation Transformation maligne Krebs-Epithel C U R R I C U LU M Abbildung 2. Bildung neuer Blutgefässe und Tumor-induzierte Angiogenese. VEGF führt im Verlaufe der Entwicklung zur Differenzierung und zur Endothel-Proliferation aus seinen Vorläufern (Hämangioblasten und Angioblasten), und bildet einen primitiven, wenig differenzierten Gefässplexus (vaskulo-genetische Etappe). Angiopoëtin 1 (ang-1) induziert die Umformung des Gefässplexus, durch Zellteilung der Endothelzellen, durch selektiven Umbau und durch Anlagerung von Perizyten (Angiogenese), so dass ein hierarchisch gegliedertes, reifes Gefäss-System entsteht. Bei der Tumor-induzierten Angiogenese destabilisiert Angiopoëtin-2 (ang-2) die Gefässwand der reifen Blutgefässe. Dies ermöglicht ruhenden Endothelzellen zu proliferieren und unter der Wirkung von VEGF oder anderen angiogenetischen Faktoren auszuwandern und neue Gefässe zu bilden. Vorläufer der Endothelzellen aus dem Knochenmark finden sich im peripheren Blut und am Orte der Angiogenese. Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 319 TumorAngiogenese Normale Angiogenese Hämangioblast Angioblast angiogenetisch entstandene Gefässe Vaskulogenese VEGF zirkulierende Vorläufer von Endothelzellen Primitiver Plexus EndothelzellenProliferation und Sprossung VEGF Ang-2 Angiogenese VEGF Ang-1 Ang-2 Destabilisation der Gefässwand reifes Gefässsystem ruhende Gefässe Ang-1 Endothelzellen-Vorläufer für die Gefässneubildung bei Tumoren ist noch nicht gesichert [4]. Lymphangiogenese bei Tumoren Neben Blutgefässen enthält das Tumor-Stroma auch Lymphgefässe. Die Tumorzellen benutzen vorwiegend diese Lymphbahnen zur Metastasierung in die Lymphknoten. Diese Hypothese wurde kürzlich durch Arbeiten bestätigt, die nachgewiesen haben, dass die Lymphknoten- Metastasierung in Krebs-Modellen bei Mäusen durch Stimulation der Lymphangiogenese im Tumorbereich gefördert wird. Die vermutete Wirkung der Lymphangiogenese auf die Lymphknoten-Metastasierung des Krebs im Menschen wird durch die Beobachtung unterstrichen, dass manche Tumoren einen hohen Titer an lymphangiogenetischem Faktor produzieren (z.B. VEGF-C). Die klinische Bedeutung der Lymphangiogenese als Stimulator der Lymphknoten-Metastasierung ist im Krebs bei Menschen zurzeit noch nicht bekannt. C U R R I C U LU M Eine neue Krebs-Therapie: die Zerstörung der TumorVaskularisation Das Konzept, das Tumorwachstum und seine Metastasierung mit der Unterdrückung der Tumor-Gefässneubildung zu hemmen, ist in experimentellen Krebs-Modellen weitgehend bestätigt worden. Diese Ergebnisse liessen die Idee aufkommen, auch beim Menschen Krebs mit Hemmung der Angiogenese zu bekämpfen. Zwei Behandlungs-Strategien sind entwickelt worden: Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 320 Die Anti-Angiogenese Dieser Ansatz will die Neubildung von Blutgefässen verhindern. Im allgemeinen stellt man sich vor, dass die Hemmung der Tumor-Gefässneubildung das Tumor-Wachstum deswegen bremst, weil ihm die Nährstoffzufuhr begrenzt wird («Aushungern des Tumors»). Komplexere Mechanismen sind jedoch beteiligt, wie das Fehlen von Zytokinen aus den Endothelzellen, der Abbau der Matrix, Überlebens-Faktoren usw. Dieses Behandlungs-Konzept bedingt die dauernde Gabe von anti-angiogenetischen Tabelle 1. Anti-angiogenetische Substanzen in klinischer Prüfung (2001). Medikament Tumor Wirkungsart Combretastatin A4 fortgeschrittene Krebsarten zerstört das Zell-Skelett von Endothelzellen und löst einen Gefäss-Kollaps aus PTK787/ZK2284 fortgeschrittene Krebsarten blockiert das Signal der VEGF-Rezeptoren der Endothelzellen Phase I Endostatin fortgeschrittene Krebsarten unbekannt BMS-275291 fortgeschrittene Krebsarten synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix SU6668 fortgeschrittene Krebsarten blockiert das Signal des Wachstumsfaktors der Endothelzellen Phase II EMD121974 Gliome Antagonist von vaskulärem Integrin αVβ3 Vitaxin menschenähnliches Anti-αVβ3 mAb, welches die Adhäsion der Endothelzellen hemmt CGS-27023A synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extra-zellulären Matrix TNP-470 hemmt die Proliferation des Endothels CAI Ovarien, Nieren hemmt die Proliferation des Endothels Interleukine-12 Kaposi-Sarkom hemmt die Proliferation des Endothels, indem Interferon-α induziert wird IM862 unbekannt Anti-VEGF Ab blockiert die Proliferation des Endothels Phase III COL-3 Gehirn, Kaposi-Sarkom synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix SU5416 Kolon, Rektum blockiert das Signal der VEGF-Rezeptoren der Endothelzellen Thalidomid zahlreiche unbekannt AG3340 synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix Neovastat Lungen, Nieren natürlicher Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix Interferon-α zahlreiche blockiert die Proliferation des Endothels IM862 unbekannter Mechanismus BMS-255291 Lunge synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix Marimastat Lunge, Mamma synthetischer Hemmer der Metallo-Proteinasen, hemmt den Abbau der extrazellulären Matrix C U R R I C U LU M Medikamenten über eine lange Zeitspanne. Der klinische Erfolg kann durch Nebenwirkungen gemindert werden, oder durch das Auftreten von Krebszellen, die gegen extreme Hypoxien resistent sind. Eine grosse Zahl von anti-angiogenetischen Substanzen sind gefunden worden, seien es endogene oder synthetische [1] (Tab. 1). Obschon in Tumor-Modellen bei Tieren viele anti-angiogenetische Medikamente ihre Wirksamkeit als alleinige Therapie gezeigt haben, scheint ein Wirkungs-Maximum mit einer Kombination mit konventionellen Chemotherapeutika oder mit Radiotherapie zu erreichen sein. Antivaskuläre Substanzen Dieser Therapie-Ansatz sucht die bestehende Tumor-Vaskularisation rasch zu zerstören. Der Effekt zeigt sich besonders deutlich bei der Gabe von Tumor-Nekrose-Faktor (TNF), ein Zytokin, dessen Fähigkeit zur Gefässzerstörung und Tumor-Regression bei der Maus entdeckt wurde. Beim Menschen zeigt die lokale Applikation eine rasche und ausgiebige Tumornekrose und eine hohe Rate kompletter Remissionen, wenn hohe Dosen TNF in Kombination mit Interferon-γ und Melphalan mit der Technik der isolierten Extremitäten-Perfusion bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom oder Weichteil-Sarkom an Gliedmassen gegeben werden. Die antivaskuläre Wirkung von TNF bedingt zwangsläufig auch eine Hemmung der Adhäsions-Rezeptoren der Endothelzellen (hauptsächlich Integrin αVβ3), die bei der Tumor-Gefässneubildung immer beteiligt sind [6]. Die isolierte Gliedmassen-Perfusion mit hohen Dosen TNF, IFNγ, kombiniert mit Chemotherapie, ist die erste Krebsbehandlung, welche die Wirksamkeit der Tumor-Gefässzerstörung in der Tumorbekämpfung gezeigt hat. Andere Strategien, welche die Tumor-Vaskularisation angreifen, benutzen Antikörper oder spezifische Peptide gegen die Tumor-Endothelzellen, kombiniert mit toxischen Substanzen zur Zerstörung von Endothelzellen oder zur Thrombosierung. Der hauptsächliche Vorteil, direkt die bestehende Tumor-Vaskularisation anzugreifen, gegenüber einer anti-agiogenetischen Therapie, liegt in der Eradikation bestehender Tumoren mit einer einmaligen oder limitierten Medikamentenapplikation, wodurch toxische Langzeitwirkungen und Resistenzbildung von Krebszellen vermieden werden. Klinische Prüfungen Viele pharmazeutische Firmen haben anti-angiogenetische Medikamente entwickelt. Mehr als 30 Substanzen sind weltweit in der Phase II–III getestet worden (Tab. 1). Zuzeit sind die vielversprechendsten Medikamente die Inhibi- Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 321 toren von VEGF und VERGF-R, sowie die Antagonisten von Integrin αVβ3. Es besteht zurzeit noch keine gesicherte Evidenz für eine signifikante Wirkung der anti-angiogenetischen Medikamente auf menschliche Tumoren. Kürzlich haben nicht-steroidale Antiphlogistika (NSA) und Biphosphonate, zwei Medikamenten-Klassen, die für ganz andere Krankheiten als für Krebs entwickelt worden sind, eine anti-tumorale Wirkung in Tiermodellen und auch beim Menschen gezeigt. Es gibt mehr und mehr Hinweise, dass diese Medikamente die Angiogenese bei Tumoren hemmen. Wir konnten kürzlich zeigen, dass NSA die Angiogenese dadurch blockieren, indem sie die Wanderung der Endothelzellen beeinträchtigen, welche durch Integrin αVβ3 gefördert wird [8]. Die potentiellen Effekte einer therapeutischen Wirksamkeit der COX-2 und der Bisphosphonate als krebshemmende Substanzen werden zurzeit klinisch geprüft. Zukunft und offene Fragen Die bisherigen Resultate aus experimentellen Tier-Modellen mit anti-agiogenetischen Medikamenten liessen die Hoffnung aufkommen, dass die Tumor-Vaskularisation ein Angriffspunkt für die Behandlung von Krebs auch beim Menschen sein könnte. Die klinischen Versuche mit TNF, auf Melanome und Sarkome der Gliedmassen beschränkt, haben immerhin gezeigt, dass die Zerstörung der Tumor-Vaskularisation in Kombination mit einer Chemotherapie eine signifikante Wirkung der Tumor-Regression erreicht. Trotzdem fehlt noch der unumstössliche Beweis, dass eine solche anti-angiogenetische Behandlung in der klinischen Anwendung eine signifikante Wirkung in der Krebs-Therapie beim Menschen ergibt. Zudem bleiben verschiedene grundlegende Fragen noch offen, und neue Fragestellungen kommen hinzu. Grosse Vorsicht ist daher geboten, bevor weitreichende Schlüsse aus tierexperimentellen oder klinischen Studien gezogen werden. Hier einige der wichtigsten Fragen, die noch ungelöst sind: Vaskuläre Kooption Es gibt experimentelle und klinische Hinweise dafür, dass Tumore wachsen können, indem sie vorbestehende Gefässe benutzen, ein Vorgang, der als vaskuläre Kooption bezeichnet wird. Beispielsweise wachsen bis 16% der nichtkleinzelligen Lungentumoren um die Strukturen der Aleveolar-Kapillaren, ohne Anzeichen einer Angiogenese [9]. Diese mitbeteiligten Gefässe reagieren vermutlich nicht auf antiangiogenetischen Medikamente. Die Bedeutung der vaskulären Kooption bei anderen Krebsarten ist zurzeit nicht bekannt. C U R R I C U LU M Das «Centre de recherche biomédicale» in Epalinges (es umfasst das «Institut Suisse de Recherche Expérimentale sur le Cancer – ISREC», das «Institut Ludwig de recherche sur le cancer» und das «Institut de Biochimie» der Universität Lausanne) ist vom Bundesrat ausgewählt worden, im Rahmen der 10 nationalen Forschungs-Schwerpunkte (NFS) Studien zum Thema «molekulare Onkologie: von der Forschung zur therapeutischen Anwendung» durchzuführen. (http://www.nccr.-oncology.ch) 322 Lymphangiogenese Substitutive Marker der Angiogenese Vorläufige Ergebnisse lassen vermuten, dass die Lymphangiogenese in experimentellen Tumormodellen die Metastasierung in Lymphknoten fördert. Die Lymphangiogenese könnte demnach eine entscheidende Rolle bei der lymphatischen Ausbreitung in Krebs-Frühstadien auch beim Menschen spielen, z.B. beim Mamma- und beim Prostatakarzinom. Sie könnte ein prognostisches Kriterium sein, zudem ein Angriffspunkt zur Eindämmung des Tumor-Wachstums. Die therapeutische Wirkung von konventionellen krebshemmenden Medikamenten wird am Effekt auf die Tumormasse, am Fortschreiten der Krankheit und an der Überlebenszeit der Patienten gemessen. Die gleichen Kriterien werden bei der Evaluation der anti-angiogenetischen Behandlungen in den jetzt laufenden Studien angewandt. Da jedoch ihre krebshemmende Wirkung indirekt ist, wäre es wichtig, ihre direkte Wirkung auf die Tumor-Gefässe bestimmen zu können, unabhängig von ihrer allgemeinen anti-tumoralen Wirkung. Die Untersuchung der Tumorgefässe mit MRI (Kernspin-Tomographie), PET (Positron-EmissionsTomographie) und mit dem Power-Doppler ermöglichen eine Bestimmung der Durchblutung umschriebener Tumoren und werden oft in Studien mit anti-angiogenetischen Medikamenten angewandt. Diese bildgebenden Methoden sind vermutlich bei kleinen Knoten und bei Metastasen weniger aussagekräftig. Zurzeit gibt es keine biologischen oder biochemischen Marker-Substanzen, um die Angiogenese bei Patienten abzuschätzen oder die Wirkung eines anti-angiogenetischen Medikamentes zu prüfen. Es ist äusserst wichtig, solche Fragen aufzuwerfen, damit neue Methoden zur klinischen Prüfung der anti-angiogenetischen Medikamente und zur Bestimmung der anti-angiogenetischen Wirkung gefunden werden. Wir sind der Ansicht, dass kleine, gut geplante klinische Studien am erfolgreichsten sind, in denen zelluläre Parameter – biochemische und molekularbiologische – vor und nach einer anti-angiogenetischen Therapie gemessen werden. Dies bedingt ein tiefgreifender Wandel in der Art, wie klinische Studien geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Wir haben Forschungs-Projekte und klinische Studien begonnen, um diese Fragen im Rahmen der nationalen Forschungs-Schwerpunkte (NFS)1 des Nationalfonds zu Förderung der wissenschaftlichen Forschung zu klären. Wahl des Medikamentes 1 Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 Mann nimmt allgemein an, dass die verschiedenen anti-angiogenetischen Medikamente im Hinblick auf ihre gefässzerstörende Wirkung gleichwertig sind und dass sie in allen Tumorstadien wirksam seien. Immerhin haben tierexperimentelle Studien gezeigt, dass die Tumor-Gefässe unterschiedlich auf eine Substanz reagieren, je nach Entwicklungsstand des Tumors. Wenn dies auch auf Krebs beim Menschen zutrifft, könnte dies eine erhebliche Einschränkung der anti-angiogenetischen Therapie bedeuten. Kombinations-Behandlung In konventionellen klinischen Studien werden Medikamente einzeln geprüft. Präklinische Studien zeigen jedoch, dass die anti-angiogenetischen Substanzen in Kombination mit anderen Krebs-Medikamenten wirksamer sind. Es kann somit durchaus sein, dass anti-angiogenetische Substanzen für sich allein wirkungslos bleiben, während sie anderseits in Kombination dennoch erwünschte Effekte hervorrufen könnten. Quintessenz Die Hemmung der Tumor-bedingten Angiogenese verhindert das Tumorwachstum in experimentellen Krebs-Modellen. Dies gilt als vielversprechender Ansatz in der Krebs-Behandlung beim Menschen. Die Gabe hoher Dosen von TNF und Interferon-γ, kombiniert mit Chemotherapie, ist die erste klinische Anwendung, welche die Zerstörung der Tumor-Gefässe gezeigt hat. Sie ist ein entscheidender Teil der antitumorösen Wirkung. Diese Behandlung bestätigt das Konzept der Krebs-Therapien, welche auf der Anti-Angiogenese beruhen. Viele anti-angiogenetische Medikamente sind in Phasen I bis III der klinischen Prüfung. Es gibt jedoch noch keine gesicherte Evidenz ihrer Wirksamkeit. Zahlreiche grundsätzliche Fragen bleiben zurzeit noch ungelöst. Eine der wichtigsten Probleme ist das Fehlen von alternativen Marker-Substanzen für die Angiogenese und die Anti-Angiogenese. Die Lösung dieser Fragen ist entscheidend, bevor weitere klinische Behandlungen mit anti-angiogenetischen Substanzen begonnen werden. Danksagung Die Arbeiten unseres Labors wurden unterstützt vom Fonds der Schweiz. Krebsliga, dem Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Fondation Leenaards. C U R R I C U LU M Schweiz Med Forum Nr. 14 3. April 2002 323 Referenzen 1 Carmeliet P, Jain RK. Angiogenesis in cancer and other diseases. Nature 2000;407:249–57. 2 Yancopoulos GD, Davis S, Gale NW, Rudge JS, Wiegand SJ, Holash J. 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