Fortbildung Die Fruktosemalabsorption Stefan Wirth | Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, HELIOS-Klinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke Hintergrund Fruktose ist ein Monosaccharid, das in unserer westlichen Ernährung häufig vor­ kommt und als Monosaccharid, als Di­ saccharid (Saccharose) oder in polyme­ risierter Form als Oligosaccharide oder Polysaccharide (Fruktooligosaccharide, Fruktane) konsumiert wird. Traditionell kam der Saccharose, die aus Zuckerrohr und Zuckerrüben gewonnen wird, die Stel­ lung des in der Ernährung wichtigsten Sü­ ßungsmittels zu. Durch die billigen Pro­ duktionskosten, das stabile Angebot sowie die Tatsache, dass Fruktose als der süßeste, natürlich vorkommende Zucker industri­ ell vielseitig eingesetzt werden kann, stieg der Fruktoseverbrauch stark an. Fruktose ist in höheren Konzentrationen in diver­ sen Früchten (Äpfel, Birnen, Trauben, Kir­ schen) und Honig enthalten. Seit einigen Jahrzehnten ist es möglich, große Mengen von Fruktose enzymatisch aus Maisstärke zu gewinnen. Dieser Sirup (HFCS, high-fructose-corn-sirup) wird in unterschiedlichen Zusammensetzungen produziert und zur Geschmacksverstär­ kung eingesetzt. HFCS ist in nicht uner­ heblichen Mengen in Getränken, Milch­ produkten, Backwaren sowie Dosen- und Fertiggerichten enthalten. Auch wenn man davon ausgeht, dass sich die individuelle Gesamtzufuhr durch die veränderten Bei­ mengungen an Fruktose nicht zwangsläu­ fig erhöht haben muss, da auch Saccharose einen Fruktoseanteil von 50 % aufweist, hat sich die Menge an alimentär zugefüg­ ter freier Fruktose deutlich erhöht [1, 2]. Die Resorption von Sacchariden erfolgt im Dünndarm nach Hydrolyse über ver­ schiedene spezifische Resorptionssysteme. SGLT1 ist ein Natrium-Glukose-Galak­ tose-Co-Transporter, der in der Bürsten­ saummembran des Dünndarmepithels ex­ 280 primiert wird und Glukose und Galakto­ se gegen einen Konzentrationsgradienten transportieren kann. Fruktose wird hin­ gegen nicht transportiert. GLUT 5 ist ein fakultativer Transporter, dessen Expressi­ on vom Konzentrationsgradienten des zu transportierenden Substrats abhängt und fruktosespezifisch ist. Er befindet sich in der Bürstensaummembran und schleust die Einzelmoleküle vom Darmlumen in die Dünndarmzellen, von wo sie über GLUT 2, einen Transporter, der sich in der basolateralen Membran des Enterozyten befindet und Glukose, Fruktose und Ga­ laktose transportieren kann, ins Blut ab­ gegeben wird. Wird die Transportkapazi­ tät von Fruktose überschritten, gelangt die nicht resorbierte Fruktose in den distalen Dünndarm und in das Kolon. Durch die dort ansässige Bakterienflora wird Fruk­ tose verstoffwechselt und in kurzkettige Fettsäuren und verschiedene Gase (vor allem Methan, Wasserstoff und Kohlen­ dioxyd) umgewandelt. Je nach verarbei­ teter Menge können in kurzer Zeit hohe Konzentrationen an Gasen entstehen, die durch Blähungen entsorgt werden. Ein Teil des Wasserstoffs dringt durch die Darm­ wand und gelangt über die Blutbahn in die Lunge, was man sich für die Diagnostik (H2-Atemtest) zunutze machen kann [3, 4]. Klinische Symptome Die Fruktosemalabsorption ist in den letzten Jahren als Ursache rezidivieren­ der Bauchschmerzen zunehmend disku­ tiert worden. Meistens sind die Haupt­ symptome Blähungen oder auch unspe­ zifische Beschwerden im Abdominalbe­ reich; es sind aber auch Symptome wie ein gastroösophagealer Reflux, Abgeschla­ genheit und gar depressive Verstimmun­ gen beschrieben worden. Rezidivierende Bauchschmerzen sind als häufig wieder­ kehrende Symptome über einen Zeitraum von 3 Monaten definiert. Es ist daher sinn­ voll, in dieser Gruppe bei fehlenden ande­ ren Krankheitszeichen bzw. Hinweisen für eine Ätiologie der Symptomatik auch an eine Fruktosemalabsorption zu denken. Hier hilft eine sorgfältig durchgeführte Ernährungsanam­nese [5 – 8]. Die individuelle Toleranz der Fruk­ tosebelastung ist tatsächlich sehr unter­ schiedlich und liegt zwischen 10 und 25 g Fruktose pro Tag. Wird diese Menge deutlich überschritten, kann mit Symp­ tomen gerechnet werden. Die Erfahrung zeigt allerdings auch, dass sich die Ver­ träglichkeitsschwelle während der Zeit des Heranwachs­ens durchaus verändern kann, sodass es sich lohnt, die Vorgehens­ weise in regelmäßigen Abständen zu hin­ terfragen [9]. Diagnostik Die Diagnose einer Fruktosemalab­ sorption wird im Allgemeinen mit dem H2-Atemtest gestellt. Das Verfahren ist seit 30 Jahren etabliert, wenig invasiv und preiswert. Die erforderlichen Testgeräte sind handlich und durchaus erschwing­ lich. Bereits wenige Minuten nach dem Konsum von Fruchtzucker mittels einer Trink­lösung lassen sich bei einem Patien­ ten mit Fruktosemalabsorption kleinste Mengen an Wasserstoff in der Atemluft, die über einen Zeitraum von 120 Minuten alle 20 oder 30 Minuten gesammelt wird, nachweisen. Aufgrund der Gasentwick­ lung bei Malabsorption wird auch ver­ mehrt Wasserstoff abgegeben und kann als „parts per million“ (ppm), als Zahl der H2-Teilchen, nachgewiesen werden. Zur Durchführung des H2-Atemtestes muss der Patient nüchtern sein und darf auch Kinderärztliche Praxis 86, 280 – 284 (2015) Nr. 5 www.kipra-online.de Fortbildung keine Zähne geputzt haben. Zur Test­ durchführung verwendet man Fruktose in einer 10%igen wässrigen Lösung (1 g/ kg, maximal 25 g). Der Ausgangswert soll­ te 10 ppm nicht übersteigen und Messwer­ te über 20 ppm im Untersuchungsverlauf werden mit einer Fruktosemalabsorption in Verbindung gebracht. Es kann wäh­ rend der Untersuchung zu Blähungen oder Bauchschmerzen, manchmal auch Durch­ fall kommen. In der Regel liegen die pa­ thologischen Werte zwischen 30 und 80 ppm [4, 10]. Der Beweis einer signifikanten Fruktosemalabsorption wird aber letztlich durch den weiteren Verlauf bzw. mit dem Ergebnis einer durchgeführten Interven­ tion angetreten. Studienlage In diesem Zusammenhang ist es, obwohl doch so weit verbreitet, etwas verwun­ derlich, dass sich die publizierten Unter­ suchungen zur Fruktosemalabsorption durchaus in Grenzen halten. Eine aktu­ elle Arbeit zeigte bei 43 Patienten im Al­ ter von 3 bis 16 Jahren mit Reizdarm und funktionellen Bauchschmerzen in 30 % einen positiven H2-Atemtest [7]. Eine et­ was größer angelegte Studie untersuchte 222 Kinder und Jugendliche im Alter zwi­ schen 2 und 19 Jahren mit rezidivieren­ den Bauchschmerzen mit dem H2-Atem­ test und konnte in 54,5 % (n = 121) einen positiven Befund erheben. Von den 121 Pa­ tienten sprachen 93 (76,9 %) auf eine fruk­ tosereduzierte Ernährung mit einer Ver­ ringerung der Schmerzsymptomatik an. Bei dieser Arbeit war interessant, dass 55 der 101 (54,4 %) Patienten mit negativem Atemtest ebenfalls über eine Verbesserung der S­ ymptome berichteten, was allerdings nicht signifikant war [11]. Es gibt einige Interventionsstudien, die zeigten, dass eine fruktosereduzierte Kinderärztliche Praxis 86, 280 – 284 (2015) Nr. 5 www.kipra-online.de Ernährung einen positiven Effekt auf die Symptomatik haben kann [8, 12, 13]. Bei allen Untersuchungen fehlte aber ei­ ne Kontrollgruppe. Dies ist insofern nach­ vollziehbar, da sich Interventionsstudien mit fruktosereduzierter Kost unter na­ türlichen Ernährungsbedingungen nicht randomisieren lassen. Die alleinige Zu­ mischung von Fruktose und Placebo wür­ de die Nahrungsmittel, die normalerweise ingestiert werden, verfälschen, sodass hier Zweifel an einer validen Studie geäußert werden könnten. Studien ohne Kontroll­ gruppen sind immer der Diskussion ausge­ setzt, dass es sich im Erfolgsfall um einen Placeboeffekt handeln könnte. In einer eigenen Therapiestudie hat­ ten wir bei 75 Kindern und Jugendlichen eine fruktosereduzierte Kost über einen Zeitraum von 4 Wochen empfohlen. Es wurde auch nach Stuhlqualität und -fre­ quenz sowie Einschlafstörungen, Einnah­ 281 Fortbildung Tab. 1: Kohlenhydratzusammensetzung von Früchten Tab. 2: Kohlenhydratzusammensetzung einiger Lebensmittel Fruchtsorte Fruktose g/100 g Glukose g/100 g Lebensmittel Fruktose g/100 g Glukose g/100 g Äpfel 5,8 1,7 Limonade 4,8 4,8 Bananen 3,6 3,8 Apfelsaft 5,4 1,9 Orangen 2,9 2,5 Birnensaft 6,3 1,6 Birnen 6,8 1,7 Orangensaft 2,4 2,1 Mandarinen 1,3 1,7 Tomatenketchup 12 10 Erdbeeren 2,5 2,6 Honig 38 34 Rosinen 33 32 Senf 0,4 0,66 Trauben 7,6 7,3 Brot 0,3 0,6 Kirschen 7,2 4,7 Kartoffeln 0,1 0,2 Pfirsiche 1,3 1,1 Nudeln 0,1 0,1 Datteln 31 34 Joghurt mit Müsli 0,6 0,5 me von Schmerzmitteln und Fehlzeiten in der Schule gefragt. Nach einer Behand­ lungszeit von 4 Wochen konnte die An­ zahl der Patienten mit hoher Schmerzfre­ quenz (3 – 4 Episoden pro Woche) deutlich reduziert werden und auch die Schmer­ zintensität sank von einem Mittelwert von 5,9 auf einer Skala von 1 bis 10 auf ei­ nen Mittelwert von 3,5 ab [12]. Auch die anderen Parameter verbesserten sich. Im Bewusstsein, dass es sich hier möglicher­ weise tatsächlich zumindest teilweise um einen Placeboeffekt handeln könnte, ent­ schlossen wir uns, eine prospektive ran­ domisierte kontrollierte Studie durchzu­ führen, die eine Verblindung hinsichtlich der Diagnose ermöglichte. Wir schlossen 103 Patienten mit rezidivierenden Bauch­ schmerzen nach dem Ausfüllen eines Fra­ gebogens zufallsmäßig in eine Gruppe mit ­fruktosereduzierter Diät und mit ei­ ner weiteren Gruppe ohne Diät, also unter Beibehaltung der bisherigen Ernährung, ein. Zum Startzeitpunkt der Intervention wurde kein Atemtest durchgeführt. Nach 2 Wochen Diät bzw. Beibehaltung der bis­ herigen Ernährung wurde die Befragung wiederholt und der H2-Atemtest auf Fruk­ tose durchgeführt, sodass zu diesem Zeit­ punkt dann beurteilt werden konnte, wel­ cher Patient positiv und welcher negativ war und wer im bisherigen Sinne die Di­ 282 agnose einer Fruktosemalabsorption be­ kam. Erwartungsgemäß berichteten die Patienten, die einen positiven Atemtest und die fruktosereduzierte Diät bekom­ men hatten, über eine deutliche Verbes­ serung ihrer Beschwerden. Auf der Skala von 1 bis 10 bei einem Ausgangswert von 6,2 war das Ergebnis unter Diät im Mit­ tel 3,4. Überraschenderweise erzielte die Gruppe, die H2-Atemtest-negativ war und einen Ausgangswert in der Schmerzskala von 5,6 hatte, unter Diät im 2. Fragebogen einen Schmerzindexwert von 3,7, also auch eine signifikante Reduktion. Die Patien­ ten, die keine Diät einhielten, hatten we­ der in der Gruppe mit positiven, noch in der Gruppe mit negativem Atemtest eine Veränderung der Schmerzintensität. Von diesen Kindern und Jugendlichen, die bis­ her keine Diät eingehalten hatten und im Atemtest positiv waren, unterzogen sich 29 einer fruktosereduzierten Ernährung und berichteten bei einem Ausgangswert von 5,2 über einen Wert nach Diät von 2,1, also wieder ein erwartungsgemäßes An­ sprechen [14]. Stellenwert des H2-Atemtestes Bisher war man allgemein der Ansicht, dass der Fruktose-H 2 -Atemtest den Goldstandard für die Diagnose einer ­Fruktose-Malabsorption darstellt [4, 15]. In Fachkreisdiskussionen wurde dies al­ lerdings immer wieder infrage gestellt, da Beobachtungen gemacht wurden, dass ei­ ne fruktosereduzierte Ernährung allge­ mein zu einer Besserung von abdominel­ len Symptomen führen kann. Dies ist nun in dieser Untersuchung deutlich geworden. Man muss daher ernsthaft bezweifeln, dass der H2-Atemtest wirklich als Goldstandard zur Diagnose einer Fruktosemalabsorpti­ on einsetzbar ist. Im positiven Fall kann man davon ausgehen, dass eine Fruktose­ malabsorption vorliegt. Im negativen Fall ist diese allerdings nicht ausgeschlossen. Therapieempfehlung Es ist an sich relativ einfach, fruktose­ assoziierte Beschwerden zu vermeiden. Man muss eine fruktosereduzierte Kost konsequent einhalten. Ergebnisse erfährt man schon innerhalb von wenigen Tagen. Eine fruktosefreie Ernährung ist gar nicht möglich und auch nicht erforderlich. Man kann die Nahrungsmittel mit dem höchsten Fruktosegehalt in der einschlägi­ gen Literatur nachlesen und wird manch­ mal überrascht sein, in welchen Lebens­ mitteln sich reichlich Fruktose verbirgt (z. B. Ketchup). In den Tabellen 1 und 2 sind die Fruktose- und Glukosekonzent­ ration einiger Früchte und ausgewählter Tab. 3: Geeignete und ungeeignete ­Lebensmittel bei Fruktosemalabsorption Geeignete Lebensmittel Ungeeignete Lebensmittel Gemüse und Pilze Rohkost, Kohl­ gemüse Milchprodukte, Käse Milchprodukte mit Fruchtzusätzen Nudeln, Reis, Kartoffeln, Mais Ketchup, Mayonnaise Fleisch, Fisch, Wurst Mariniertes Fleisch Brot Backwaren mit ­Honig/Früchten Fruktosearme Obst­ sorten Fruktosereiche Obstsorten Verdünnte Säfte Obstsäfte/Soft­ drinks/Eistee Traubenzucker Diätprodukte ­ mit Sorbit Kinderärztliche Praxis 86, 280 – 284 (2015) Nr. 5 www.kipra-online.de Fortbildung Wesentliches für die Praxis . . . ◾◾ Die Fruktosemalabsorption ist bei Kindern und Jugendlichen häufig und verursacht intestinale Beschwerden. ◾◾ Die Diagnose kann mit Hilfe des H2-Atemtestes gestellt werden; ein negatives Testergebnis schließt eine Fruktosemalabsorption aber nicht aus. ◾◾ Eine fruktosereduzierte Ernährung über einen Zeitraum von 4 Wochen wird zeigen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zu den Beschwerden besteht. Nahrungsmittel zusammengefasst. Tabel­ le 3 stellt die empfehlenswerten und we­ niger empfehlenswerten Nahrungsmittel dar. Durch den Verzicht auf fruktosehalti­ ge Getränke und Obst in der Anfangspha­ se wird im Wesentlichen schon eine dra­ matische Reduktion der Fruktosezufuhr erreicht. Wenn man dann noch auf Ho­ nig und Ketchup verzichtet, kann auch mit den verbleibenden Nahrungsmitteln eine abwechslungsreiche Speisenauswahl ange­ boten werden. In der Phase der fruktose­ reduzierten Ernährung sollte der Konsum von Fruchtzucker auf maximal 2 g pro Tag beschränkt werden. Anschließend kann dann individuell getestet werden, welche Nahrungsmittel gut vertragen werden, um so langsam die Zufuhr individuell zu stei­ gern. Die weitere Entwicklung ist durchaus individuell, und es lohnt sich, die Grenzen der Fruktosetoleranz in regelmäßigen Ab­ ständen erneut zu bestimmen [5, 16, 17]. Zusammenfassend darf festgestellt wer­ den, dass eine fruktosereduzierte Ernäh­ rung zu einer signifikanten Schmerzre­ duktion bei Patienten mit chronisch-re­ zidivierenden Bauchschmerzen führen kann. Ein positiver Atemtest bestätigt die Diagnose, ein negativer Atemtest schließt sie aber nicht aus. Es ist daher in jedem Fall bei symptomatischen Patienten ein fruktose­reduzierter Ernährungsversuch sinnvoll, wobei andere organische Ursa­ chen ausgeschlossen sein müssen. 4. Hoekstra JH, van den Aker JH, Kneepkens CM et al. (1996) Evaluation of 13CO2 breath tests for the detection of fructose malabsorption. J Lab Clin Med 127: 303 – 309 5. Shepherd SJ, Gibson PR (2006) Fructose malabsorption and symptoms of irritable bowel syndrome: guidelines for effective dietary management. J Am Diet Assoc 106: 1631 – 1639 6. Ledochowski M, Widner B, Bair H, Probst T, Fuchs D (2000) Fructose- and sorbitol-reduced diet improves mood and gastrointestinal disturbances in fructose malabsorbers. 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