Dr. Valentin Govallo Immun-Embryo-Therapie in der Therapie fortgeschrittener Karzinome und Sarkome Rainer Krapf I. Einführung Der Jubel über die Entdeckung immer neuer Krebsgene versperrt den Blick auf das Wesentliche. Nicht die Gene, sondern ihre Mutationen, versagen in der Kontrolle des Zellwachstums. Dabei sind Spontanmutationen und Reduplikationsfehler in jeder Zelle angelegt und kommen erst dann zum Tragen, wenn auch ihre Kontrollorgane geschädigt sind. So haben z.B. die beiden „Krebs-Gene“ BRCA1 und BRCA2 die grundsätzliche Aufgabe, Brüche im Erbgut zu reparieren und damit Tumoren zu verhindern. Sind diese Tumor-Suppressor-Gene jedoch ebenfalls mutiert, so ist ein unkontrolliertes Zellwachstum nicht mehr zu bremsen. Dabei sagen individuelle Wahrscheinlichkeiten sehr wenig über ihren relativen Einfluss auf die Krebsinzidenz. Die Vorhersage eines erblichen Brustkrebses anhand der Brustkrebsgene BRCA 1 und BRCA 2 wird ja selbst in Wissenschaftskreisen mit einer „Wahrsagerei aus der Kristallkugel“ verglichen, nachdem lediglich fünf Prozent der Mammakarzinome darauf zurückzuführen sind 1 . Auch kann die erfolgreiche Markteinführung eines Kinasehemmers wie z.B. Glivec©, der die Folgen einer genetischen Abnormität bei Chronischen Myeloischen Leukämie(CML) beheben soll, nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein verändertes Philadelphia-Gen noch lange keinen Krebs bedeutet. Wenn die erste Verteidigungslinie gegen ungezügeltes Zellwachstum nicht mehr zur Verfügung steht, kommt dem körpereigenen Abwehrsystem eine Schlüsselstellung zu. So erscheint es nicht unlogisch, die Immunstimulation zu einer vierten Säule in der Krebsbehandlung aufzubauen. Immuntherapien basieren auf der „Freund-Feind-Erkennung“, die über den sog. MHC (Major Histocompatibility Complex) entschieden wird. Diese „Haupt-GewebeVerträglichkeits-Antigene“ sind Antennen, in deren Bindungstaschen charakteristische Peptide liegen, die aus Proteinen stammen, die im Zellinnern zerlegt wurden. Liegt z.B. eine Mutation vor oder sind Bakterien oder Viren eingedrungen, so entstehen neue, veränderte Proteine, die sich auf die MHC-Struktur auswirken. Deren Molekülmuster entziffert die Immunabwehr wie einen Strichcode 2 Eine Immunstimulation, die sich günstigstenfalls durch einen vitalen Immunstatus belegen läßt, kann jedoch das Tumorwachstum erfahrungsgemäß nicht entscheidend beeinflussen. In der Regel wachsen die Metastasen trotz normaler bis guter Immunitätslage ungehindert weiter und prägen den landläufigen Fatalismus, dass eben die Antigenstruktur der Krebszelle einer Normalzelle ähnlich und somit für die Immunabwehr nur schwer zu erkennen sei. 1 2 Rolf Kreienberg, Uniklinik Ulm, Sept. 1997 / Kongressbericht Mangold Ärzteblatt 99 v. 07.09.2002 Ärzte Zeitung, 09.04.2002 ars RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 2 Krebszellen bilden MHC-Strukturen nur selten oder gar nicht aus, d.h. präsentieren keine Antigene auf der Zelloberfläche und produzieren auch keine Substanzen, die die Immunantwort verändern. Eine Immunantwort durch zytotoxische T-Zellen ist demzufolge ausgeschlossen. II. Historischer Hintergrund Bereits 1875 formulierte der Pathologe Julius Cohnheim, wie schon zuvor seine Kollegen J.C.A. Récamier und Jean-Frédéric Lobstein (1829) in Frankreich, die sog. „Embryonaltheorie“. Ein Karzinom sollte demnach aus „überlebenden“ Embryonalzellen entstehen. Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieb dann der schottische Embryologe John Beard die „Invasion der Trophoblasten“ 3 , womit er die gefährlichen Eigenschaften jenes embryonalen Zelltypus meinte, der über sein aggressives und rücksichtsloses Wachstum verblüffend den Eigenschaften einer Krebszelle gleicht. Beard bezeichnete Krebs als einen „primitiven Trophoblasten am falschen Ort und zur falschen Zeit“, der durch hormonelle Stimulantien sowie Karzinogene seinen malignen Lebenslauf beginnt“4 . Auch nach Liotta 5 entspricht ein maligner Tumor (invasives Wachstum, ungebremste Zellteilung, Metastasen) den charakteristischen Eigenschaften eines Trophoblasten. Z.B. fräst sich ein Trophoblast rücksichtslos in die Gebärmutterschleimhaut ein, initiiert eine umfassende Blutversorgung und wächst zunächst ungehemmt. Seine Aggressivität verliert er mit der Enzymbildung durch den embryonalen Pankreas – etwa um den 56. Tag nach der Implantation. Folgerichtig entwickelte Beard 1906 eine hochdosierte proteolytische Enzymtherapie, mit der er einige Krebsheilungen vollzog. Hierzu spritzte er Tumorpatienten den frischen Pankreassaft junger Schafe und Kälber. Der Arzt Max Wolf belegte mit einer Kombination aus proteolytischen Enzymen pflanzlicher (Papain, Bromelain) und tierischer (Trypsin, Chymotrypsin) Herkunft neben deutlichen anti-entzündlichen und fibrinolytischen Eigenschaften – auch deren antikanzerogenes Potential 6, 7 , 8 Ein Review der Trophoblasten-Theorie erfolgte dann 1975 durch Charles Gurchot. 9 Obwohl er dem Aspekt „wandernder embryonaler Stammzellen“ widerspricht, bestätigt er die auffällige Ähnlichkeit zwischen Trophoblast und Karzinom und vermutet eine abnormale Reaktivierung bestimmter embryonaler Suppressorgene. „Beide produzieren die identischen Hormone hCG, ACTH, hGH, MSH, CEA, AFP und Onkomodulin. Und bei beiden ähneln sich die immunologischen Eigenschaften“. 3 Gurchot C. The trophoblast theory of cancer (John Beard 1857-1924) revisited. Oncology 1975; 31(5- 6):310-33 4 Beard J: The Lancet June 21 1902:1758-1761. Embryological Aspects and Etiology of Cacinoma 5 Liotta LA, Kohn E: Cancer invasion and metastases.. JAMA. 1990 Feb 23;263(8):1123-6 6 Wolf M. Munch Med Wochenschr. 1966 Dec 16;108(50):2540-3 7 Wolf M, Ransberg K: Osterr Z Erforsch Bekampf Krebskr. 1972;27(4):269-75 8 Wolf M, Ransberg K: Arch Geschwulstforsch. 1968;31(4):317-31 9 Gurchot C. The Trophoblast Theory of Cancer Revisited. Oncology. 1975;31:310-33 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 3 1992 trat dann Acevedo den Beweis an, dass sämtliche lebenden Krebszellen jeden Typs und jeden Ursprungs hCG und seine Untereinheiten bilden. 10, 11 , 12 Doch erst die Arbeit Valentin Govallo’s zur Immunologie der Plazenta und des Spontanaborts führte zu Erkenntnissen, die in die jahrzehntelange Stagnation der Krebsforschung eine entscheidende Wende brachte. III. Trophoblasten-Theorie: Die immunologischen Besonderheiten, die zum Spontanabortus eines Embryos führen, veranlassten den Immunologen Valentin I. Govallo sich bereits Mitte der sechziger Jahre mit der Immunologie der Plazenta auseinanderzusetzen. Govallo ist Autor von 20 Büchern und von über 290 wissenschaftlichen Publikationen in russischen und internationalen Journalen und ehemaliger ärztlicher Direktor des Immunologischen Instituts in Moskau. Für seine Verdienste wurde er von der englischen Universität Cambridge als „Wissenschaftler des Jahres 2001“ ausgezeichnet. Govallo stellte sich seinerzeit die Frage, warum ein Embryo vor der mütterlichen Immunabwehr unbehelligt bleibt, nachdem er auch väterliches und damit fremdes Erbgut in sich trägt. So gelang es ihm, aus einem Extrakt menschlicher Deciduazotten – in vitro – sämtliche Reaktionen der zellulären Immunität zu unterbinden. Aus der Erkenntnis, dass das als Schwangerschaftshormon bekannte humane Chorion Gonadotropin (hCG) sowie weitere hormonähnliche Strukturen wie z.B. der Early Pregnancy Factor (EPF) eine immunblockierende Wirkung haben, resultierte ab 1972 eine folgreiche, wenn auch im Westen weitaus unbekannte Behandlungsmethode zur Verhinderung von Fehlgeburten. Die Plazenta dient ausschießlich dazu, das Wachstum eines Embryos sicherzustellen. Neben der Ernährungsaufgabe hat sie insbesonders die Gefährdung durch Infektionskeime und - was besonders wichtig ist - durch das mütterliche Abwehrsystem auszuschließen. Die Plazenta ist dabei so aufgebaut, daß sich die fetalen Anteile (Amnion und Chorion) von den maternalen (Decidua) über die MHC (major histocompatibility complex) - Antigene unterscheiden. Amnion und Chorion besitzen also väterlich geprägte Oberflächenstrukturen, während die Decidua mit mütterlichen Antigenen ausgestattet ist. Bereits kurze Zeit nach der Implantation der embryonalen Zellen bildet der Trophoblast väterliche MHC-Antigene, deren Hauptkonzentration in den Chorionvilli, die die mütterlich geprägten Blutlakunen ausfüllen, anzutreffen ist. Immunsuppressorische Eigenschaften der Plazenta Damit ein semi-allogener Fetus nicht abgestoßen wird, müssen viele Mechanismen greifen. Teilweise wird dafür eine dürftige MHC-Antigen-Expression von Plazentazellen verantwortlich 10 Acevedo HF, Krichevsky, Hartsock RJ. Cancer 69:1818-28, 1992 Acedvedo HF, Krichevsky, Galyon JC. Cancer 69:1829-42, 1992 12 Acevedo HF, Hartsock RJ, Maroon JC. Cancer Detect Prev 21:295-303, 1997 11 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 4 gemacht, 13, 14 , 15 oder auch der immunregulatorische Einfluss des fetalen Trophoblasten. 16,17 Einen entscheidenden Einfluss hat aber sicher auch die plazentare Produktion von Blockierungsfaktoren, z.B. Antikörper und Lymphokine, welche in der Lage sind, väterliche MHC-Antigene auf Fetalzellen zu neutralisieren, 18,19 oder auch das Vorhandensein lokaler immunsuppressiver Mediatoren 20 , die z.B. wie Progesteron eine unspezifisches DownRegulation vornehmen können. 21 Neben seiner Hauptaufgabe, das Wachstum und die Differenzierung des Trophoblasten zu steuern, scheint z.B. auch TGF (Transforming Growth Factor) eine wichtige Rolle in der Immunsuppression zuzukommen. Nach Tamada soll TGF-ß z.B. ein stärkeres immunsuppressives Potential zu besitzen als Cyclosporin. 22 Das wichtigste Schwangerschaftshormon ist sicher hCG. HCG kann z.B. bei ein In-VitroFertilisation frühestens nach 7 Tagen gemessen werden. 23 HCG ist bei ca. 5 % der Frauen 8 Tage nach der Gestation messbar, bei 10 % am 9. Tag, 5 % am 10. Tag und beim Rest am 11. Tag. Die hCG-Konzentration nimmt sehr schnell zu und erreicht ihr Maximum zwischen dem 60. und 80. Tag der Schwangerschaft. Der letzte „hCG-Schwall“ kommt kurz vor der Entbindung. Nach 72 Stunden ist dann kein hCG mehr im Serum nachzuweisen – aber erscheint dann in der Muttermilch. Interessanterweise sinkt die hCG-Konzentration im Serum zwei Wochen vor einem Abortus des 1. und 2. Trimenons unter den Durchschnittswert. 24 Eine besondere Rolle scheint auch dem Early Pregnancy Factor (EPF) zuzukommen. Das erstmals 1974 beschriebene Immunsuppressor-Hormon 25,26 ist innerhalb 24 Stunden nach der 13 Sunderland CA, Stirrat GM. The expression of major histocompatibility antigens by human chorionic villi. J Reprod Immunol. 1981 Dec; 3(6):323-31 14 Sunderland CA, Redman CW. HLA A, B, C antigens are expressed on nonvillous trophoblast of the early human placenta. J Immunol. 1981 Dec;127(6): 2614-5 15 Kawata M, Parnes JR. Herzenberg L.A. Transcriptional control of HLA-A,B,C antigen in human placental cytotrophoblast. J Exp Med. 1984 Sep 1;160(3): 633-51 16 Faulk WP, McIntyre JA. Trophblast survival. Transplantation. 1981 Jul;32(1): 1-5 17 Faulk WP, McIntyre JA. Immunological studies of human trophoblasst: markers, subsets and functions. Immunol Rev. 1983;75:139-75 18 Barg M, Burton JA, Mitchell GF. Effects of placental tissue on immunological responses. Clin Exp Immunol. 1978 Dec;34(3):441-8 19 Voisin GA. Role of antibody classes in the regulatory facilitation reaction. Immunol Rev. 1980;49:3-59 20 Chaouat G. Placental immunoregulatory factors. J Preprod Immunol. 1987 Mar;10(3):179-88 21 Siiteri PK, Stites DP. Immunologic and endocrine interrelationships in pregnancy. Biol Reprod. 1982 Feb;26(1):1-14 22 Tamada H, McMaster MT, Dey SK. Cell type-specific expression of TGF-ß 1 in the mouse uterus during the periimplantation period. Mol Endocrinol. 1990 Jul;4(7):965-72 23 Hay DL. Discordant and variable production of hCG in early pregnancy. J Clin Endocrinol Metab. 1985 Dec;61(6):1195-200 24 Braunstein GD, Karow WG, Wade ME. First-trimester hCG measurements as an aid in the diagnosis of early pregnancy disorders. Am J Obstet Gynecol. 1978 May 1;131(1): 25-32 25 Morton H, Hegh V, Clunie GJ. Immunosuppression detected in pregnant mice. Nature. 1974 May 31;249(456):459-60 26 Cavanagh AC,Morton H, Rolfe BE Gidley-Baird AA. Ovum factor: a first signal of pregnancy ? Am J RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 5 Befruchtung nachzuweisen 27 und verstärkt u.a. die Wirkung von HCG und von HPL (human placental lactogen). Es wurde experimentell nachgewiesen, dass EPF die intakte Antigenerkennung durch Lymphozyten unterdrückt. 28 Inzwischen weiß man, dass EPF nicht direkt agiert, sondern über einen humoralen Faktor, den Lymphozyten nach dem EPF-Signal bilden. 29,30 Ein weiteres Schwangerschaftshormon ist z.B. das plazentare Isoferritin (PLF), das erstaunlicherweise vor Frühgeburten entweder nicht oder nur in einer sehr geringen Konzentration nachzuweisen ist. 31 PLF kommt übrigens auch bei bestimmten Lymphomen, Morbus Hodgkin, Leukämien und beim Mamma-Ca vor (!) 32 Die weitere lokale Suppression von mütterlichen Effektor-Lymphozyten erfolgt zusätzllich über die maternale Dezidua und dem Trophoblasten gebildete Antigene, Zytokine und Proteine. Dazu zählen z.B. das ß1-Glykoprotein (TSG) 33 und pregnancy specific ß1-glycoprotein (PSG-protein), das pregnancy-associated plasma protein A (PAPP-A) 34 und das placental protein 14 (PP14) 35 Ein PP14-Peak ist zwischen der 6. – 12. nach der Gestation nachzuweisen. PP14 inhibiert z.B. die Funktion von NK-Zellen und T-Zellen. 36 Ein weiterer Suppressor-Mechanismus entsteht durch den supprimierenden Einfluss von PP14 auf IL-2 und seine dazugehörigen Rezeptoren. 37 Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass neben hCG eine Vielzahl zusätzlicher Faktoren für den Schutz des Fetus Rechung trägt. Aufgrund der Gemeinsamkeiten, die zwischen einer Schwangerschaft und Neoplasmen bestehen, dehnte Govallo seine Forschungen schon bald auf die Immunologie von malignen Tumoren aus. Krebszellen haben mit embryonalen Zellen vieles gemeinsam: Z.B. in der Organisation des Cytoplasmas, 38,39 den Fermenten von Nierentumoren 40 oder bei Reprod Immunol. 1982 Apr;2(2):97-101 Morton H, Rolfe B, Clunie GJ. An early pregnancy factor detected in human serum by the rosette inhibition test. Lancet. 1977 Feb 19;1(8008):394-7 28 Noonan FP, Halliday WJ, Morton H. EPF is immunosuppressive. Nature. 1979 Apr 12;278(5705):64951 29 Rolfe BE, Morton H, Clarke FM. Clin Exp Emmunol 1983. Clin Exp Immunol. 1983 Jan;51(1):45-52 30 Rolfe BE, Cavanagh AC,Quinn KA. Clin Exp Immunol 1988 Aug;73(2):219-25 31 Moroz C, Bessler H, Sirota L, Djaldetti M. Difference in the placental ferritin levels in preterm and term delivery. Clin Exp Immunol. 1987 Sep;69(3):702-6 32 Moroz C, Bessler H, Lurie Y, Shaklai M. Exp Hematol. 1987 Mar;15(3):258-62 33 Tatarinov YS. The diagnostic value of circulating trophoblast-specific ß1-glycoprotein in cancer patients. Br. J Cancer. 1980 May;41(5):821-4 34 Duberg S, Bischof P, Sizonenko PC. Tissue and plasma concentrations of PAPP-A: comparison with other fetoplacental products. Br J Obstet Gynaecol. 1982 May ;89(5) :352-7 35 Nylund L, Gustafson O, Seppala M. Placental protein 14 in human in-vitro fertilization early pregnancies. Hum Reprod. 1992 Jan;7(1):128-30 36 Okamoto N, Uchida A, Takakura K. Suppression by human placental protein 14 of natural killer cell activity. Am J Reprod Immunol. 1991 Dec;26(4):137-42 37 Pockley AG, Bolton AE. PP14 inhibits the synthesis of IL-2. Clin Exp Immunol. 1989 Aug;77(2):252-6 38 Bruni C.: J Natl Cancer Inst 1973 Jun;50(6):1513-28 27 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 6 Leberkrebs 41 . Alphafetoprotein (AFP), das bereits 1960 von Abelev entdeckt wurde, oder das von Gold und Freedman 1965 in die Krebsdiagnostik eingeführte Carcino-Embryo-Antigen (CEA), sind seit langem ja geläufige Serumbestimmungen. So produziert die fetale Leber große Mengen an AFP – obwohl auch ein Leberkrebs, Lebermetastasen, Hoden- oder Pankreaskrebs und bisweilen auch Lungenkrebs dasselbe Enzym hervorbringen können. Eine Anzahl von Hormonen und Enzymen, die als typische Schwangerschaftsdetektoren gelten, eignen sich auch als Marker für das Tumorwachstum. Obwohl hCG immer noch als ein typisches Schwangerschaftshormon gilt, werden im Serum und Gewebe sämtlicher Krebskranken α- und β-Untereinheiten hCG-ähnlicher Proteine 42, 43 , 44 , 45 , 46 , 47 , 48 festgestellt. So hat sich der Pressedienst von AstraZeneca 49 schon 1995 zu der Verlautbarung hinreißen lassen, dass hCG in 100 % der untersuchten Krebsarten nachzuweisen ist. Offensichtlich benutzen sowohl Trophoblast bzw. Embryo als auch Tumorzellen denselben Mechanismus, um immunologisch unerkannt zu bleiben. Dazu zählen die Unterdrückung der zellulären Reaktionen des Wirtsorganismus 50 , ein Recruitement von Suppressor-Lymphozyten 51 sowie eine Unterdrückung cytoplasmatischer Fragmente von embryonalen- oder Tumorzellen, die die Informationsübertragung über die Antigenstruktur von den Makrophagen zu den Leukozyten verhindern 52 Zu den „embryonalen“ Besonderheiten eines Tumors haben sich inzwischen eine Vielzahl von Forschungsrichtungen entwickelt. Z.B. basiert die Krebsdiagnostik mit dem Anthrone- bzw. Navarro-Test auf der Bestimmung von hCG 53 . Der Anthrone-Test hat sich allerdings wegen fraglicher Spezifität in der Krebsdiagnostik nicht durchgesetzt. Weit bekannter ist hCG ja in der Bestimmung der Schwangerschaft. Den Beweis, dass die Zellen sämtlicher Krebsarten sowohl für die Bildung von hCG als auch für LH verantwortlich sind, konnte Kirchevsky jedoch erst 1994 erbringen. 54 Die Forschung zur Schwangerschaftsdiagnostik reicht ja fast 90 Jahre zurück. 55,56 39 Ogawa K, Medline A, Farber E: Br J Cancer. 1979 Nov;40(5):782-90 Wu C: Int J Cancer. 1973 Mar 15 ;11(2) :438-47 41 Knox WE: Enzyme Patterns in Fetal, Adult and Neoplastic Rat Tissue. P. 359. Basel. S. Karger 42 Naughton MA, Merrill DA: Cancer Res. 1975 Jul;35(7):1887-90 43 Rosen SW, Weintraub BD: Ann Intern Med. 1975 Feb;82(2):274-6 44 McManus LM, Martinez-Hernandez A: Cancer Res. 1976 Sep;36(9 PT 2):3476-81 45 Acevedo F, Slivkin GR: Human Chrionic Gonadotropins in Cancer Cells: Proceedings of the Third Internat. Symposium on the Diagnosis and Prevention of Cancer. P.356, New York 46 Kahn CR, Rosen SW, Weintraub BD: N Engl J Med. 1977 Sep 15;297(11):565-9 47 Braunstein GD, Kamdar VV, Kanabus J: J Clin Endocrinol Metab. 1978 Aug;47(2):326-32 48 Saller B, Clara R,Spottl G: Clin Chem 1990 Feb;36(2):234-9 49 AstraZeneca Pressedienst 1995, Ausgabe 6, Artikel 4 50 Alexander P.: Foetal „antigens“ in cancer. Nature. 1972 Jan 21;235(5334):137-40 51 Govallo VI: Immunity Against Transplantation and Tumors, Kiev 1977 52 Taylor DD, Black PH: Shedding of plasma membrane fragments. Neoplastic and development importance. Dev Biol (N Y 1985). 1986 ;3 :33-57 53 Navarro M. Immunological Test for Cancer.. Santo Tomas Jounal of Medicine. Vol. XXI, no. 6-Nov.Dec. 1966 54 Endocrinology 1994;135:1034-1039 55 Aschheim S, Zondek B. Das Hormon des Hypophysenvorderlappens. Klein Wochenschr 6:248-52, 1927 56 Aschheim S, Zondek B. Die Schwangerschaftsdiagnose aus dem Harn durch Nachweis des Hypophysenvorderlappenhormons. Klein Wochenschr 7: 1404, 1928 40 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 7 1994 wurde schließlich eine zentrale Schleife im hCG-ß-Molekül entdeckt, die gewöhnlich auch in TGF-ß, NGF und PDGF-ß vorkommt. 57,58 Diese fundamentale Entdeckung erklärt auch die Wachstumsstimulierung, die hCG auf Zellkulturen ausübt. 59, 60 , 61 Insgesamt ist aber die Schwangerschaftsbestimmung über hCG wegen seiner Kreuzreaktion mit LH nicht ganz unproblematisch. 62 Die Erkenntnis, dass hCG aber auch als normaler biochemischer Krebsindikator verwendet werden kann, verdanken wir der bereits erwähnten Arbeit von Acevedo 63 Wie Krichevsky gipfelt sein Artikel in der Schlussfolgerung, dass die Bildung von hCG durch eine Krebszelle auch gleichzeitig das mögliche Ziel der Krebsbehandlung bestimmt. Acevedo hatte ja schon einmal über seine Analyse zur „Krebs-Vakzine“ von Virginia Livingston-Wheeler für eine fruchtbare Wissenschaftsdiskussion gesorgt. Obwohl hCG in den herkömmlichen Bestimmungsverfahren nur als Tumormarker für das Chorionkarzinom und einige weitere seltene Tumoren zum Einsatz kommt, gelang es ihm mithilfe der aufwendigen Durchfluß-Cytometrie eine hCG-Markierung (inklusive Subeinheiten und Fragmenten) bei allein 85 verschiedenen Krebsarten 64,65 Erwartungsgemäß isolierte Acevedo hCG auch aus menschlichem Tumorgewebe. 66 In einer Zusammenfassung bezeichnete er hCG als ein Schwangerschaftshormon, das „gleichzeitig chemische und physiologische Eigenschaften eines Wachstumshormons besitzt und zur normalen phänotypischen Ausprägung eines Krebstumors gehört.“ Bakterien-hCG Nicht nur die Plazenta und Krebszellen produzieren hCG, sondern auch Bakterien, die aus krebskranken Menschen gewonnen werden – während isolierte Bakterien meist nicht dazu in der Lage sind. 67, 68 , 69 Besonders wichtig erscheint die Tatsache, dass einige der hCG-bildenden Bakterien zellwandlose Spezies (CWD) darstellen. 70 Dies ist deshalb von Bedeutung, nachdem 57 Wu H, Lustbader JW, Hendrikson WA. Structure 2: 544-58, 1994 Lapthorn Aj, Machin KJ. Crystal Structure of hCG. Nature 369: 455-61, 1994 59 Melmed S, Braunstein GD. HCG stimulates proliferation of Nb2rat lymphoma cells. J Clin Endocrinol Metab 56: 1068-70, 1983 60 Mukherjee K, Das S. HCG as a growth stimulant of murine tumor cells. IRCS Med Sci 12: 1101-2, 1984 61 Raikow RB, Agarwal J. Effects of hCG on malignant growth (abstract). Proc Am Ass Cancer Res 28: 57, 1987 62 Krichevsky A, Armstrong EG. Endocrinology 1988, Vol. 123, 584-593 63 Acevedo HF. Cancer 1995: 76:1467-1475 64 Cancer 1992. 69:1818-1842 65 Cancer Detect Prevent 1995. 19:37 66 Proc Am Ass Cancer Research 1994. 34:27 67 Cohen H, Strampp A. Bacterial synthesis of substances similar hCG. Proc Soc Exp Biol and Med 152: 408-10, 1976 68 Slifkin M, Pardo M. Oncology 36: 208-10, 1979 69 Maruo T, Cohen H. Production of hCG-like factor by a microorganism. Proc Nat Acad Science, USA 76: 6622-6, 1979 70 Acevedo HF, Pardo M, Domingue GJ. HCG-like material in bacteria of different species. J Gen Microbiol 133: 783-91, 1987 58 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 8 offensichtlich Mykoplasmen in der Krebsentstehung eine noch nicht geklärte Rolle spielen. 71 Es spricht inzwischen aber vieles dafür, dass hCG eine universelle Rolle in der Wachstumsstimulierung und in der Morphologieänderung bei Bakterien spielen. 72 Neben dem membran-assoziierten hCG, das vom Trophoblasten, Embryonalgewebe und Krebszellen gebildet wird, sind im Serum immer auch noch geringe Mengen hyphophysären hCG’s nachzuweisen, dessen Produktion allerdings einem pulsatilen Rhythmus unterworfen ist. 73 Die biologische Aktivität von hCG hängt natürlicherweise vom Vorhandensein eines Rezeptors ab. HCG verfügt aber über keine eigene Bindungsstelle, sondern benutzt die LH-Rezeptoren. 74, 75 Aus Untersuchungen zu einzelnen Isoformen ist aber klar geworden, dass nur das komplette heterodimerische hCG einen hormonellen stimulatorischen Effekt bewirkt. 76 HCG-Ladungspolarität Biochemisch stellt hCG ist ein Sialo-Glykoprotein dar. Der hohe Sialinsäure-Anteil verleiht dem hCG-Molekül eine starke negative Ladung. 77 Sialinsäure, auch N-Acetylneuraminsäure genannt, ist ein charakteristischer BestandTeil von Aminozuckern, der für Zell-Zell-Interaktionen von Bedeutung ist. 78 Aber - die metastatische Bösartigkeit eines Tumors scheint offensichtlich direkt mit dem Sialogehalt von Krebszellen zu korrelieren. 79,80 Diese ladungsmäßige Besonderheit embryonaler bzw. Krebszellen-Membrane hat eine immense immunologische Auswirkung: Makrophagen, natürliche Killerzellen (NK) und auch B-Zellen sind nämlich ebenfalls nach außen „normal“ negativ geladen (!) 81 Damit sind Krebszellen bzw. ein Embryo für die Immunabwehr nicht greifbar. Dies dürfte wohl der innere Grund sein, warum ein Embryo oder Fetus, obwohl für die Mutter zu 50 % fremd, trotz des mütterlichen Immunsystems unbeschädigt überleben kann. Und warum auch Sperma und Krebszellen auf feindlichem Terrain völlig sicher sind. 71 Krapf RR. Autologe-Mykoplasmen-Vakzine in der Krebsbehandlung. Omnia Medica Info, München 1998 72 Grover S, Woodward SR, Odell WD. A bacterial protein has homology with hCG. Biochem Biophys Res Commun 193: 841-7, 1993 73 Odell WD, Griffin J,. Pulsatile secretion of hCG in normal adults. N Engl J Med 317: 1688-91, 1987 74 Nishimura R, Shin J, Inhae J, Russell-Middaugh C, Krugel W Ji TH. J Biol Chem 261: 10475-7, 1986 75 Saccuzzo Beebe J, Mountjoy K, Krzesicki RF, Perini F, Ruddon RW. J Biol Chem 265: 312-7, 1990 76 Ho, HH, O’Connor JF, Lasky BL. Early Pregnancy: Biology and Medicine 3: 204-12, 1997 77 VanBeck WP, Smiet LA, Emmelot P. Increased sialic acid density in surface glycoproteine of transformed and malignant cell – a general phenomenon ? Cancer Res 33: 2913-22, 1973 78 www.uni-protokolle.de/Lexikon 79 Yogeeswaran G, Salk PL. Metastatic potential is positively correlated with cell surface sialylation of cultured murine tumor cell lines. Science 212: 1514-6, 1981 80 Stanford DR, Starkey JR, Magnusen JA. The role of tumor-cell surface carbohydrate in experimental metastasis. Int J Cancer 37: 435-44, 1986 81 VanRinsum J, Smets . Specific inhibition of human NK cell-mediated cytotoxicity by sialic acid and sialooligosaccharides. Int J Cancer 38: 915-22, 1986 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 9 Der Verteidungsmechanismus, mit dem sich Krebszellen gegenüber der körpereigenen Immunabwehr schützen können, veranlasste Govallo dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, um diesen hormonellen Schutzschild zu durchbrechen. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass sich die Überlebensraten in der Onkologie – trotz offizieller Verlautbarungen und „altersbereinigter“ Statistikdaten – gestern wie heute keineswegs verbessert haben: Allein in der EU liegt die Krebs-Neuerkrankungsrate bei knapp 1,5 Millionen – Tendenz steigend 82 Befindet sich ein Krebspatient erst einmal in einem fortgeschrittenen Stadium (III / IV), also bei Inoperabilität oder Metastasierung - das sind 60 % (!) aller Krebspatienten - so können mittels Chemotherapie weniger als 4 % geheilt werden, lediglich 6 % erreichen eine Lebensverlängerung um mehr als 2 Jahre 83 . IV. Konventionelle Immuntherapien Nach realistischen Schätzungen produziert jeder Mensch täglich 4 – 6 Krebszellen 84 . Nachdem aber die meisten von uns keinen Krebs entwickeln, scheint unsere immunologische Überwachung anscheindend bestens zu funktionieren. So liegt es nahe, nach einer chirurgischen oder chemotherapeutischen Basistherapie immunstimulatorisch nachzubehandeln. Wer aber glaubt, dass eine Immunstimulation - wie sie in Arztpraxen millionenfach Durchführung kommt - ein vielleicht besseres Ergebnis bringt, wird insgesamt enttäuscht. zur In den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die ersten Daten zur Immunsuppression nach Transplantaten vorlagen und es offenkundig war, dass dies das Risiko auf die Entwicklung eines malignen Tumors auf ca. 10 % aller organtransplantierter Patienten beläuft 85 , war es naheliegend, die umgekehrte Erfahrung in die immunologische Krebsbehandlung einzusetzen. Ein Immuntherapie bei Krebs basiert ja bis auf den heutigen Tag u.a. auf der aktiven Immunisierung mit spezifischen Antigenen und der Zufuhr von unspezifischen Immunmodulatoren. Zu den Immunmodulatoren gehören z.B. BCG, Corynebacterium parvum, Varicellen-Vakzine oder Thymus-Extrakte etc. BCG steht für Bacillus Calmette-Guerin und ist ein Tuberkulinimpfstoff, welcher z.B. für die Behandlung des malignen Melanoms wirksam ist. Eine andere Strategie besteht z.B. in einer passiven Immunisierung mit Antikörpern, Lymphozyten oder ihrer Lysate, bekannt auch als „Adoptive Immuntherapie“. Bei dieser erstmals von Mathe 86 beschriebenen Methode handelt es sich um die Indentifikation, Isolierung, Expansion und Rückübertragung von Immunzellen mit spezifischer Anti-Tumoraktivität. Nach anfänglich vielversprechenden Ergebnissen bei weit fortgeschrittenen Stadien 82 Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg Dieter E. Hager, 12. Internat. Krebskongress der GfBK 2004 84 DeVita V, Rosenberg S. Cancer: Principles and practice of oncology. New York: Lippincott 1993 83 85 86 Klein M, Krönke M, IMMIH Institut, Neue Ansätze zur Immunsuppression Mathe G. Immunotherapie Active des Cancers. Immunoprevention et Immunorestoration. Une Introduction. Expansion Scientifique Franc. 1976 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 10 von malignen Melanomen mit Remissionsraten von über 30 % 87 , macht sich allerdings Ernüchterung breit. Für die Therapie ist nämlich limitierend , dass eine spezifische Anreicherung dieser Zellen im Tumorgewebe unterbleibt. Es gibt ja schon seit langem Erkenntnisse, dass einige maligne Tumoren auf bestimmte Infektionen mit einer Regression reagieren können. So behandelte der New-Yorker Chirurg William Coley bereits 1884 inoperable Sarkome mit Streptokokken und anderen gefährlichen Bakterienspezies. Zwar sprachen über ein Drittel der 104 behandelten Patienten überhaupt nicht auf dieses Procedere an. Bei den anderen gingen jedoch die Krebssymptome mehr oder weniger deutlich zurück. Es ist allerdings nicht dokumentiert, wie lange die Tumorregression angehalten hat. „Coley’s Toxine“ war in den USA bis Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erhältlich und wurde durch die Ära der seinerzeit vielversprechenden Chemotherapeutika abgelöst. Beim später von Park Davis hergestellten Nachfolgepräparat handelt es sich allerdings um eine schwächere Version und ist nicht vergleichbar. Tumorremissionen nach Infektionen werden ja nicht zu unrecht immer wieder diskutiert: Z.B. dokumentierte Rohdenburg 88 302 Fälle, die mit einer spontanen Tumorregression auf eine Erkrankung mit Varicellen, Malaria, Tuberkulose oder einem Erysipel reagierten. Die erste Konferenz zur Spontanregression bei Krebs fand 1974 in New York statt. Es wurden insgesamt 176 verifizierte Krebsheilungen vorgestellt 89 . In 60 % der untersuchten Fälle lagen ein Hypernephrom (31Pat.), Neuroblastom (29), malignes Melanom (19) oder Chorionkarzinom (19) vor. 3 der Melanompatienten hatten z.B. eine Bluttransfusion von Patienten mit einem ausgeheilten Melanom erhalten. Obwohl diesbezügliche Heilungserfolge sehr selten sind – man rechnet mit ca. 1 Spontanremission auf 500 000 Fälle - zeigen sie doch auf, wie wichtig es ist, den zugrundeliegenden Mechanismus der Tumorregression aufzudecken. IV. Russisches Therapieprotokoll zur Immunstimulierung Govallo legte in der Folge Standards für eine Immuntherapie fest 90 . Dieses „Therapieprotokoll“ wurde u.a. vom Scientific Council des russischen Gesundheitsministeriums als immunstimulatorischer Therapiestandard für austherapierte Krebspatienten übernommen. Wie von Govallo empfohlen, schließt er eine möglichst vollständige operative Entfernung von Tumorgewebe mit ein, wobei auch der angemessene Einsatz einer Radio- und Chemotherapie nicht ausgeschlossen ist. Als kritische Tumormasse werden z.B. 105 Tumorzellen angesehen 91 87 Rosenberg SA, Dudley ME , J Immunother. 2001 Jul-Aug;24(4):363-73 Rohdenburg GL. 1918. Jrnl. Cancer Res. 3:193 89 Spontaneous Cancer Regression. Med. World News 1974. Vol. 15, page 13 90 Govallo VI, Grigorieva MP, Kosmiadi GA, 1973a Vopr. Onkol. 2:18 91 Mathe G. et al 88 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 11 y Tumor-Heterogenisierung. Verfahren nach Vreden-Ikonomov: Erhitzen („Kochen“) über 1 Stunde mit anschließender Reinplantation y Passiver Lymphozytentransfer von Familienmitgliedern, die mit Tumorzellen des Patienten geimpft wurden. Verfahren: Ultraschallzerstoßung von operiertem Tumorgewebe. Dreimaliges Einfrieren, Wiederauftauen und Zufügen von Neuraminidase, um die Immunogenität zu erhöhen. Immunisierung mit 100 – 200 Millionen Tumorzellen per subkutaner Injektion y Passiver Lymphozytentransfer von Patienten gleichartiger Tumore, die sich in Remission befinden y Extrakorporale Lymphozytenstimulierung (autolog) durch PHA (Phytohämagglutinin) und partielle Plasmapherese Das Verfahren gründet auf der Fähigkeit von PHA-Blasten, autologe und allogene Zielzellen von kultivierten Tumorzellen zu zerstören 92 . Später er folgte dann die klinische Überprüfung durch die intravenöse Verabreichung durch PHA-stimulierte Lymphozyten 93, 94 , 95 y T-Zell-Stimulierung mittels spezifischer Antigene, Embryo-Antigenen, Transferfaktoren, humoralen Thymusprodukte etc. y Hyperthermie y Vakkzine, Adjuvantien, Interferon etc. Nach diesem mehr oder weniger vollständig angewandten Therapieprotokoll („Stimulating Immunotherapy“) wurden zwischen 1973 und 1975 66 Patienten mit metastasierenden Karzinomen oder schnell wachsenden Osteosarkomen behandelt. 14 Osteosarkome,7 Chondrosarkome, 7 maligne Riesen-Zell-Tumore, 2 Ewing-Sarkome, 3 maligne vaskuläre Tumoren, 12 fortgeschrittene Mamma-Ca, 10 Bronchial-Ca, 7 Magen- bzw. kolorektale Karzinome, 1 Nierenkrebs, 1 Ösophagus-Karzinom, 1 Uterus-Ca, 1 malignes Thymom Die Immunstimulation erfolgte – bis auf wenige Osteosarkomfälle - im Tumor-Stadium III bis IV nach chirurgischer, radiologischer oder chemotherapeutischer Vorbehandlung. Erwartungsgemäß war der Immunstatus des Patientenkollektivs sehr schlecht: Erniedrigung der absoluten T-Zell-Zahl, durchschnittlich um 38,6 % +/- 3,9 %. 92 Chu EHY, Stjernswärd P, Klein G. JNCI 1967. 39 :595 Frenster JH, Rogoway WM. In-vitro activation and reinfusion of autologous human lymphocytes. Lancet. 1968 Nov 2;2(7575):979-80 94 Cheema AR, Hersh EM. Local tumor immunotherapy with in vitro activated autochithonous lymphocytes. Cancer. 1972 Apr;29(4):982-6 95 Garovoy MR, FrancoV, Merrill JP. Derect lymphocyte-mediated cytotoxicity as an assay of presensitisation. Lancet. 1973 Mar 17;1(7803):573-6 93 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 12 Erniedrigung der T-Helfer-Zellen, durchschnittlich um 30,0 % +/- 4,3 %. Erhöhung der T-Suppressor-Zellen durchschnittlich um 24,2 % / Die T-Helfer / TSuppressor-Ratio lag bei durchschnittlich 1,6 +/- 0,7. Das Ergebnis war insgesamt niederschmetternd. Obwohl sich innerhalb von 1 – 2 Monaten die T-Zellen und T-Helfer-Zellen fast verdoppelten (mit einem korrespondierendem Anstieg der THelfer / Suppressor-Ratio / die T-Suppressor-Zellen blieben weiterhin sehr hoch), hatte dies keinerlei Einfluss auf das Tumorwachstum bzw. Metastasen. Zwar nahmen die Patienten an Gewicht zu, hatten weniger Schmerzen bzw. besserten sich Müdigkeit und Schwächegefühl. Aber: Die 3-Jahres-Überlebensrate Stadium IV-Patienten betrug lediglich 12,1 %, die 5Jahres-Überlebensrate 6,1 % und die 10-Jahres-Überlebensrate 3 %. Govallo gewann daraus die Erkenntnis, dass eine T-Lymphozyten-Stimulierung für eine AntiTumor-Immunität völlig unzureichend ist. Die Verantwortung hierfür tragen offensichtlich hormonelle Blockierungsfaktoren wie z.B. das bereits beschriebene hCG. V. Immunembryotherapie (IET) von Karzinomen und Sarkomen Da ein maligner Tumorverband offensichtlich über ein eigenes Abwehrsystems aus hormonellen Blockierungsfaktoren verfügt, konzentrierte sich Govallo auf die Entwicklung eines Verfahrens zur Durchbrechung der Lymphozyten-Suppression. Hierzu stellte er einen Plazentaextrakt aus Chorionvilli her, den er nach dem Immunisierungsprinzip injizierte. Die Extraktion gereinigter Chorion villi erfolgt nach einem von Govallo entwickelten speziellen Verfahren, und entspricht in Teilen einer stark modifizierten Form einer 1974 in den USA beschriebenen Vorgehensweise 96 . Die Proteinkonzentration – die im übrigen nach der Lowry-Methode bestimmt wird – variiert zwischen 3 – 5 mg/ml. Es existieren dabei mehrere, von der Proteinkonzentration her leicht differierende Fraktionen, die sich allerdings bezüglich ihres Blockierungspotenials deutlich unterscheiden und sich u.a. auch aus dem Vergleich von Abortions- und Sectio-Placentae entwickelt haben. Die Austestung erfolgte über den sog. LAI-Test. Der von Halliday und Miller entwickelte LAI-Test (Leukocyte-Adherence InhibitionTest) 97 , 98 misst die zelluläre Sensibilisierung (Lymphokinproduktion durch T-Lymphozyten) und die Blockierungsaktivität im Blut von onkologischen Patienten. Gibt man diesen Extrakt z.B. mit minimaler Konzentration in ein Kulturmedium, dann werden sämtliche Reaktionen der zellulären Immunität unterbunden. Wirkmodell: Das Wirkungsweise der Immunembryotherapie ist zwar noch nicht vollständig aufgeklärt entspricht aber folgender logischer Modellvorstellung: Nach der subkutanen Immunisierung produzieren die B-Zellen Antikörper, die sowohl den Vakzinenextrakt als auch die Tumor-Blockierungsfaktoren wie Isoferritin, hCG-ähnliche 96 Smith NC, Brush MG, Luckett S.: Nature 1974 Nov 22;252(5481):302-3 Halliday WJ, Miller S. Int J Cancer. 1972 May 15;9(3):477-83 98 Halliday WJ, Koppi TA. J Natl Cancer Inst. 1980 Aug;65(2):327-35 97 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 13 Produkte, CEA, AFP, TSF (T-Zell-Suppressor-Faktor) etc. entfernen und SuppressorSubstanzen auf der Karzinom-Oberfläche neutralisieren. Die entstehenden Immunkomplexe werden hauptsächlich durch die Leber entfernt 99 . Bei ausgedehnter Lebermetastasierung besteht allerdings die Gefahr, dass sie eine erfolgreiche Immunisierung verhindert. Aus einer australischen In-Vivo-Studie 100 ist z.B. bekannt, dass monoklonale Antikörper allein gegen AFP (Early Pregnancy Factor) das Wachstum eines Tumors und dessen DNA-Synthese verzögern. In einer zwischen 1975 - 1990 durchgeführten Studie 101,102 unterzog Govallo 35 Krebspatienten unterschiedlicher Karzinome und Sarkome der Immunembryotherapie mit einem speziellen Plazentaextrakt. Als Vergleichsgruppe wurden die mittels starker Immunstimulation beschriebenen 66 Krebspatienten herangezogen. Das Patientenkollektiv bestand aus 18 Mamma-Ca (inklusive eines männlichen Patienten), 7 Bronchial-Ca, 10 malignen Hämangiopericytomen, 10 SynovialSarkomen und 10 Patienten mit Caecum-, Ovarial-, Uterus-, Nieren- und Barthoinischer Drüsen bzw. Speicheldrüsen-Tumoren. Außer den Patienten mit Bronchial- und Nierenkarzinom bzw. Synovialsarkom hatte bei allen Probanden eine chirurgische, radiologische oder chemotherapeutische Vorbehandlung stattgefunden. Im Unterschied zur Gruppe mit der alleinigen adjuvanten Immunstimulation waren in der Verumgruppe keine Osteosarkom-Patienten, da diese über eine geringere Sensitivität auf das Embryo-Antigen verfügen. Vergleich der Überlebensraten: Alleinige Immunstimulation versus Immun-EmbryoTherapie nach Govallo Immunstimulation Immunembryotherapie 3-Jahres Überlebensrate 5-Jahres-ÜR 10-Jahres-ÜR 12,1 % 88,6 % 6,0 % 77,1 % 3,0 % 48,6 %* * Inklusive einer Bronchial-Ca-Patientin, die 8 Jahre nach Beginn der IET nach einem Herzinfarkt gestorben ist - ohne irgendwelche Rezidiv- oder Metastasenzeichen. Immun-Embryo-Therapie / Überlebensraten / nach Krebsart 3-Jahres-Überlebensrate 18 Mamma-Ca 09 Bronchial-Ca 5-Jahres-ÜR 10-Jahres-ÜR 72,2 % 88,9 % 68,8 % 66,7 % Von den Patienten, die weniger als 5 Jahre überlebten, befanden sich 5 Frauen mit MammaCa des Stadiums III / IV, 1 Patient mit einem metastasierenden Bronchial-Ca, 1 Ovarial-Ca mit Metastasen und Ascites sowie 1 Patient mit einem malignen Hämangiopericytom. 99 100 Govallo VI, Immunology of Pregnany of Cancer, Nova Publisher 1993, Chapt. 7.2 Quinn KA, Morton H: Cancer Immunol Immunother. 1992;34(4):265-71 Govallo VI, Immunology of Pregnancy and Cancer, 1993, 204-221 102 Govallo VI, Dubrovskii AV, Vopr Onkol. 1981; 27(6):69-73 101 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 14 Bis zur Veröffentlichung seiner Studienergebnisse (1993) hatte Govallo ungefähr 100 Krebspatienten eines fortgeschrittenen Stadiums mit der IET behandelt. Bei den Tumorarten Mamma-, Colon-, Nierenkarzinom bzw. malignes Melanom betrug die durchschnittliche 10Jahres-Überlebensrate ungefähr 70 % (!). Die Erfolgsrate fiel etwas geringer aus, wenn es sich um ein nicht-operiertes Karzinom, einen Hirn-Tumor oder ein Bronchial-Ca handelte. Einsatzgebiet h Alle Arten von Karzinomen wie z.B. Mamma-Ca, Prostata-Ca, Bronchial-Ca, Rektum- / Colon-Ca, Ovarial-Ca etc. h Sarkome wie z.B. Osteosarkom, Weichteilsarkom h Malignes Melanom h Leukämien, Lymphome* * Obwohl Govallo für Leukämien und Lymphome nur eine eingeschränkte Wirkungsweise beschreibt, wurden durch John Clement, IAT-Klinik Bahamas, mehrere Remissionen erreicht. Insgesamt ist aber von einer reduzierten Wirksamkeit auszugehen, vor allem beim Plasmozytom. VI. HCG- und Blockierungsfaktoren-Forschung Unabhängig von Valentin Govallo haben sich verschiedene Forschungsrichtungen etabliert, die sowohl auf eine generelle Deblockierung als auch auf eine hCG-Entfernung zielen. A. Blockierungsfaktoren In den letzten 40 Jahren wurde eine große Zahl von Blockierungsfaktoren identifiziert, die offensichtlich das Produkt von malignen Tumoren sind. Dabei zeigt sich, dass der Grad der Blockierung direkt proportional zur Tumorlast steht 103, 104 , 105 , 106 und Schwangerschaft und Tumor-Malignität die einzigen Situationen darstellen, in denen neo-antigenes Oberflächenmaterial die körpereigene Immunität nicht fürchten muss. 107 Einige Jahre später wurde dann im Urin schwangerer Frauen ein Glykoprotein entdeckt 108, 109 , das offensichtlich auch im Urin von Krebskranken nachzuweisen war und anscheinend die Immunantwort unterbinden kann. 103 Whittaker MG, Rees K, Clark CG. Reduced lymphocyte transformation in breast cancer. Lancet 1971;892-3 104 Hess AD, Gaul JA, Dawson JR. Cancer Research 1980;40:1842-51 105 BroderS, Waldmann TA. The suppressor cell network in cancer, Part 2. New Engl J Med 1978;299:1335-41 106 Nelson M, Nelson DS. Macrophages and resistance to tumors. Immunology 1978;34:277-90 107 Gleichner N, Siegel I. Common denominators of pregnancy malignancy. Reprod Immun 1981:229-56 108 Muchmore AV, Decker JM. Uromodulin. Science 1985;229:479-81 109 Olsson I, Lantz M, Nillson E. Eur J Hematol 1989;42:270-5 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 15 So begannen bereits Ende der achtziger Jahre Grundlagenstudien 110 mithilfe einer sog. Ultraphorese. Im Rahmen einer Forschungsarbeit der NAS (National Academy for Science) wurden im Blut von Karzinompatienten sog. Inhibitoren identifiziert, die anscheinend eine Rezeptorfunktion für TNF (Tumor-Nekrose-Faktor) besitzen 111, 112 , 113 , 114 . Mit diesem Inhibitor („anti-TNF“) ist der Tumor offensichtlich in der Lage, die körpereigene Immunantwort auf „fremdes“ Gewebe auszuschalten. Mit einem von M. Rigdon Lentz 115 entwickelten Eliminationsverfahren, das einem Nieren-Dialysegerät ähnelt, wurden FDA-überprüfte Phase-I und Phase-II-Studien durchgeführt mit dem Ziel, Plasmafraktionen niederen Molekulargewichts aus dem Blut zu entfernen. In der ersten Phase-I-Studie im Jahre 1985 wurden 16 austherapierte KrebsPatienten dreimal pro Woche über einen Monat lang mit einer Ultraphorese behandelt. Als Ersatz erhielten sie das Plasma gesunder Spender. Es entwickelte sich ein pochender Schmerz im Tumorbereich. Gleichzeitig zeigten sich weitere Entzündungszeichen wie Erwärmung, Schwellung und Rötung. Laborchemisch erhöhten sich CRP und LDH. Insgesamt entwickelten drei Patienten ein Tumor-Lyse-Syndrom (2 Melanom- und 1 Wilms-Tumor-Patient). Bei sechs der 16 Patienten (37,5 %) kam es zu einer deutlichen Tumorremission, bei 3 von 16 (18,7 %) lag die Remission bei unter 50 % und bei 2 Patienten blieb der Zustand unverändert. Die 8-Jahres-Überlebensrate betrug immer noch beachtliche 12,5 % (!) Eines der überraschendsten Ergebnisse der Lentz’schen Studien ist letztendlich die Tatsache, dass die ersten drei der sich im Endstadium befindlichen Patienten am Tumor-Lyse-Syndrom gestorben sind. Bekanntlich führt ja der rasche Zerfall großer Tumorzellmengen zu einem intraund postrenalen Nierenversagen und zu einer metabolischen Stoffwechselentgleisung der Leber 116 . Die Autopsie der verstorbenen Patienten offenbarten eine völlige Zerstörung des Tumors auf Kosten einer massiven hämorrhagischen und koagulativen Nekrose. In einer zweiten FDA-genehmigten Studie 117 wurden weitere 64 Patienten dem UltraphoresVerfahren unterworfen. Auch hier kam es zu den bekannten Remissionen beim Mamma-, Prostata-, kleinzelligen Bronchial-, Ovarial-, Endometrium-, Colon-Ca sowie beim Wilm’s Tumor und Weichteil- und Osteosarkom. In dieser Studie wurde im übrigen die Inhibitoren für TNF im Serum und den Ultrafiltraten gefunden. 118 Diese Substanzen neutralisieren die Zytotoxizität von natürlichen Killerzellen und Makrophagen und werden offensichtlich vom Tumorund tumor-vaskulär-endothelialen Zellen gebildet. 110 M. Rigdon Lentz. Therapeutic Apheresis, Vol. 3, No.1, 1999 PNAS 87:8781-8784 112 Cell 1990. 61:361-370 113 Gatanaga T, Hwang CD, Lentz R: Proc Natl acad Sci USA 1990 Nov;87(22):8781-4 114 Gatanaga T, Lentz R, Masunaka I: Lymphokina Res. 1990 Summer; 9(2)225-9 115 Therapeutic Apheresis and Dialysis 1999. Vol 3, Issue 1 p.40 116 J. Biol. Response Mod. 8:511-527, 1989 117 Lentz MR, Gatanaga T, Wang C. Lymphok Res 1990;9(2):225-9 118 Schall TJ, Lentz MR. Cell 1990;61:361-70 111 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 16 Diese von Lentz et al. entdeckten Inhibitoren sind aber auch in jedem Serum einer Schwangeren enthalten. B. Anti-HCG-Vakzinen Eine andere erfolgsversprechende Forschungsrichtung, nämlich der Einsatz von heterologem hCG, ähnelt dem Govallo-Verfahren – wenn auch nur in einer reduzierten Form. Ursprünglich wurden diese „Vakzine“ zur Geburtenkontrolle im Auftrag der WHO und unabhängig davon auch vom Population Council der Rockefeller University New York entwickelt. Bei der Vakzine handelt es sich um ein künstliches hCG, das an ein Diphterie-Toxioid gebunden ist. Dabei sollen sich Antikörper gegen das exogene und gleichzeitig auch gegen das tumorerzeugte hCG entwickeln. In einer Phase-I-Studie am Flinders Medical Center in Adelaide, Australien, wurde z.B. bei den Frauen eine sichere Kontrazeption erreicht, die die höchste Vakzinen-Dosierung erhalten hatten. Das Vorhaben, eine Anti-Konzeptions-Vakzine auch bei Krebspatienten einzusetzen, wurde bereits 1982 in Angriff genommen. 119,120 Die Studien wurden in Toronto (Sunnybrook Medical Centre) und in Pittsburgh (Allegheny General Hospital) durchgeführt. Vakzine: Population Council. Versuchstiere: Ratten, die mit einem Mamma-Adeno-Karzinomzellen geimpft wurden. Sämtliche Tiere erkrankten danach an multiplen Lungen-Neoplasmen. 20 Tage nach der VakzinenInjektion, war bei allen obduzierten Tieren kein Lungentumor mehr nachzuweisen. Tiere, die man am Leben ließ, zeigten auch sechs Monate nach der Verabreichung der Krebszellen-Suspension keinerlei Krebszeichen. In einer weiteren Studie zeigte die Autopsie von Ratten, denen zwei Tumoren transplantiert worden waren, dass die hCG-Vakzine das Tumorwachstum signifikant (p < 0,01) verringerte. Wie schon in der ersten Studie, wurden in der Kontrollgruppe keine Antikörper gegen hCG festgestellt. Die Tierversuche wurden später auf eine Prä-Immunisierung mit der hCG-Vakzine umgestellt. 121 Auch hier verlangsamte die Immunisierung das Wachstum von Lewis-LungenTumoren signifikant (p < 0,05). Außerdem korrelierte das Tumorgewicht direkt mit der Höhe des Antikörper-Spiegels gegen hCG-ß. 119 Kellen JA, Kolin A, Acevedo HF. Effects of antibodies to hCG in malignant growth. II. Cancer Immunol Immun-other 13: 2-4, 1982 120 Kellen JA, Kolin A, Acevedo HF. Effects of antibodies to hCG in malignant growth. I. Cancer 49: 23004, 1982 121 Acevedo HF, Raikow RB. Effects of immunization against hCG on the growth of transplanted lLewis lung carcinoma and spontaneous mammary adenocarcinoma in mice. Cancer Detect prev Suppl 1: 477-86, 1987 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 17 Ermutigt durch die erfolgsversprechende hCG-Vakzinierung bei Tieren war es naheliegend, die „WHO-Anti-Konzeptions-Vakzine“ auch am Menschen zu erproben. 122 Phase-I-Studie am Ohio State University Comprehensive Cancer Center und dem Arthur G. James Cancer Hospital and Research Institute,Columbus. 23 Patienten mit nicht-trophoblastischen Karzinomen. Bei einem Patienten entwickelte sich eine Hypersensibilisierung gegen das Diphterie-Toxioid. Die Vakzinen-Immunisierung brachte bei allen Patienten anti-hCG-IgG-Antikörper hervor, die mehr als 10 Monate anhielten. Ebenso wurde eine Tumorregression beobachtet. In einer Studie zum metastasierenden Colon-Ca 123 war bei 73 % der Patienten eine spezifische Anti-hCG-Antikörper-Reaktion nachzuweisen. Allerdings betrug die mediane Überlebenszeit lediglich 34 Woche. Dabei fiel sie bei den Patienten höher aus, deren Anti-hCG-Antikörper-Spiegel höher war als der Durchschnitt – nämlich 45 Wochen - und wesentlich geringer (24 Wochen), wenn die Antikörperantwort unter dem Durchschnitt lag (p = 0,0002). Z.B. kam es bei Blasenkarzinom-Zellen, denen hCG zugefügt wird, in-vitro zu einer Tumorremission von 43 % 124 . Interessant ist dabei, Blasenkarzinomzellen, die kein hCG bilden, auch nicht mit einer Wachstumsverzögerung reagieren. In einer weiteren Phase-Ib /II Studie zur Behandlung eines Pankreas-Ca mit einem HCG-Präparat betrug die mittlere Überlebenszeit 33 Wochen im Vergleich 23 Wochen bei Patienten, die chemotherapeutisch behandelt wurden 125 Die ersten klinischen Versuche einer Phase-I-Studien mit einer Anti-hCG-Vakzine brachten also grundsätzlich erfolgsversprechende Ergebnisse 126 . In einer Interpretation der vergleichsweise unbeeinflussten Überlebensraten zeichnet sich aber wohl ab, dass neben hCG noch weitere Blockierungsfaktoren eine Rolle spielen. Verglichen mit den Studienergebnissen, die Govallo erzielte, stellt damit die alleinige hCGBehandlung sicher keine Therapiealternative dar. Eigentlich unverständlich, gibt es doch inzwischen eine eindeutige Beweislage, dass hCG bzw. Anti-hGG-Antikörper zu einer deutlichen Tumornekrose fähig sind. Werden z.B. einem Bronchial-Ca intraperitoneal alpha-hCG-spezifische-AntiKörper appliziert, so kommt es bei all den squamösen Tumorzellen zu einer Nekrose, die auch imstande sind, α-hCG zu produzieren 127 . Auch in der Risiko-Prognose zum Mamma-Ca spielt hCG eine Rolle. Auf der Basis einiger Tiermodelle 128 wurde die Vermutung ausgesprochen, dass Nullipari ihr Brustkrebs-Risiko durch eine hCG-Behandlung reduzieren können. Dies wurde inzwischen auch in einer großangelegte Studie mit 744 Frauen bestätigt 129 . 122 Triozzi PL, Gochnour D, Martin EW, Aldrich W. Clinical and immunologic effects of a synthetic ß-hCG vaccine. Int J Oncol 5: 1447-53, 1994 123 Moulton HM, Yoshihara PH, Triozzi PL: Clinical Cancer Research Vol. 8, 2044-2051, July 2002 124 Butler SA, Straite EM: Oncology Research 2003; Vol. 14, No. 2, pp. 93-100 125 AVI BioPharma Clinical Trial of AVICINE June2, 1999 / Curr Opin Mol Ther. 2003 Apr:5(2):156-60 126 Triozzi, International Journal of Oncology 1994. 5:1447 – 1453 127 Kumar S, Talwar GP, Biswas DK: Journal Of The National Cancer Institute, Vol. 84, 42-47 128 Russo & Russo: Cancer Epidemiol., Biomarkers & Prev., 3:353-364, 1994 129 Bernstein L, Hanisch R, Ross RK: Cancer Epidemiol Biiomarkers Prev. 1995 Jul-Aug;4(5):437-40 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 18 Inzwischen weiß man, dass beim Blasenkrebs das verstärkte Vorkommen von ß-hCG in einer direkte Korrelation zur Bösartigkeit des Tumors steht. Z.B. sinkt die Apoptoserate, während sich die Zell-Wachstumsrate bzw. die Resistenz gegen die eine Radiotherapie erhöht und eine Metastasierungs-Beschleunigung stattfindet 130 Ähnlich sieht es auch William Regelson, der als Co-Autor eines Melatonin-Bestsellers zu einiger Berühmtheit gelangte. Das Vorkommen von hCG in Tumoren scheint eine eindeutige Aussage über deren Malignität und metastatische Aggressivität zuzulassen 131 . Insgesamt bleibt aber festzuhalten, dass sich ausschließlich über eine Vakzinen-Präparation (Govallo-Vakzine) aus Chorionvilli nicht nur signifikante Tumorremissionen, sondern vor allem überlegene 5-Jahres-Überlebensraten erreichen lassen. Offensichtlich deckt die GovalloVakzine neben hCG noch weitere wichtige Blockierungsfaktoren ab. Unagbhängig dieses limitierenden Umstands sind zur hCG-Vakzine inzwischen multizentrische Phase-II und Phase-III-Studien angelaufen, so dass eventuell schon in einigen Jahren mit einem ersten Vakzinen-Präparat für die Krebsbehandlung zu rechnen ist. Anti-virale Aktivität von hCG Ein letztes biologisches Geheimnis von hCG ist seine antivirale Aktivität. Mehr experimentell als gezielt wurde dabei der Effekt von hCG auf HIV-1 überprüft. 132 Auf der Basis der European Collaborative Study erfolgte im Population Council Center for Biomedical Research, New York, die Untersuchung des in-vitro-Effekts von hCG auf die Reverse-Transkriptase-Aktivität von HIV-1 infizierten Lymphozyten und Monozyten. Hierzu benutzten sie kommerzielles hCG von Sigma und reines hCG des Population Council. Das Ergebnis war tatsächlich erstaunlich. Offensichtlich entwickelte hCG einen starken antireverse-transkriptase-Effekt und schien damit gegen alle RNA-Viren zu wirken. Das beste Ergebnis wurde übrigens mit dem reinen hCG des Population Council erreicht. Auch in einer weiteren Überprüfung, ob hCG einen Schutz vor einer intrauterinen HIV-1Übertragung bieten kann, zeichnete sich eine dosisabhängige Wirkung ab. 133 Der Anti-HIVEffekt wird dabei allein der ß-Subeinheit des hCG zugeschrieben. 134 Mit dem Virologen und HIV-Entdecker Robert Gallo wurde die hCG-Forschung schließlich einer breiteren Wissenschaftsöffentlichkeit bekannt. Mit dem aus dem Urin von Frauen im Frühstadium einer Schwangerschaft gewonnenen hCG erzielte er nämlich eine starke 130 Butler SA, Staite EM, Iles RK: Oncology Research 2003; Vol. 14, No.2, pp. 93-100(8) Cancer. 1995 Oct 15;76(8):1467-301 132 Bourinbaiar AS, Nagomy R. Effect of hCG on reverse transcriptase activity in HIV-1 infected lymphocytes and moncytes. FEMS Microbiol Lett 96: 27-30, 1992 133 Bourinbaiar AS, Nagomy R. Inhibitory effect of hCG on HIV-1 transmission from lymphocytes to trophoblasts. FEBS 309:82-4, 1992 134 Bourinbaiar AS, Lee-Huang S. Anti-HIV effect of ß-hCG in vitro. Immunol Lett 44: 13-8, 1995 131 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 19 Wirksamkeit beim Kaposi-Sarkom 135 136, 137 , 138 , 139 . Das von ihm ursprünglich auf Maternin getaufte Hormon scheint bei Krebszellen die Apoptose zu initiieren und „stärker als das Chemotherapeutikum Taxol zu sein“ 140 Zwar räumte er später ein, dass die Indentität des Stoffes noch nicht ganz geklärt sei 141 . Inzwischen deuten aber Studienergebnisse darauf hin, dass nicht hCG selbst für diesen Effekt verantwortlich ist, sondern ein weiterer Faktor im Schwangerschafts-Urin – nämlich ein Protein namens HAF (hCG-Associated Factor) 142 . HAF hemmt offensichtlich nicht nur das Wachstum von Kaposi-Sarkom-Zellen, sondern unterdrückt auch in vitro die Vermehrung von HIV in CD4-Zellen und Makrophagen 143 . Die HAF-Strukturen sind bis dato noch nicht entschlüsselt und sorgen unter Wissenschaftlern weiterhin für Verwirrung 144 . Dies dürfte nicht weiter verwunderlich sein, sind nach Govallo doch neben hCG noch viele weitere hormonartige Stoffe für die Tarnung des Tumors verantwortlich. Der Anti-Kaposi-Sarkom-Effekt wurde Forschungsrichtungen bestätigt. 145 auch von weiteren, von Gallo unabhängigen Die therapeutische Relevanz für die AIDS-Behandlung hält sich allerdings in Grenzen, da sich die monatlichen Folgekosten eines gereinigten hCG-Präparats auf über 35 000 $ belaufen. Insgesamt scheint aber Ralph W. Moss, einer der bekanntesten Wissenschaftsjournalisten der USA und offizieller Berater des National Institute for Health, rechtzubehalten: „Mit der ImmunEmbryo-Therapie nach V. Govallo wurde eines der aufregendsten Kapitel in der Krebsbehandlung aufgeschlagen“. 146 VII. Praxis der IET A. Präparat Das Placenta-Präparat wird nach internationalen Standards und den strengen Vorschriften für Blutprodukte hergestellt und z.B. auf die HIV, Hepatitis B, C und Syphilis überprüft. B. Dosierung 2 - 4 subkutane Injektionen innerhalb einer Woche. Nach 6 Wochen eine nochmalige Auffrischimpfung. Entsprechend des Schweregrads der Erkrankung (Rezidiv bzw. multiple Metastasen) ist eine Dosis- und Injektionsfrequenz-Erhöhung erforderlich. Da die Wirksamkeit von einer 135 Gill et al: NEJM 1997, April17, Vol.336:1187-1189 Nature Medicine 1998, Bd. 4, Nr. 4, S. 428 137 Nature Med. 1998 Apr;4(4):390-1 138 Anti-KS acitivity still a mystery. Nat. Med. 1998 Jul;4(7):748 139 J Hum Virol. 1998 Jan-Feb;1(2):82-9 140 American Foundation for AIDS Research/ The amfAR Treatment Insider Vol. 1, No.3, June 2000 p.4 141 Nature Medicine 1998, Bd. 4, No.4, p. 428 142 SamaniegoF, Fryant JL, Liu N, Gallo RC: J Natl. Cancer Inst. 1999 Jan;91(2):135-43 143 James JS. AIDS Treat News. 1999 Mar 19;No.315:4 144 Bisacchi D, Doonan DM, Pfeffer U: KS and hCG: mechanisms, moieties and mysteries. Biol.Chem. 2002 Sept;383(9)1315-20 145 Harris PJ. Treatment of Kaposi’s sarcoma and other manifestations of AIDS witrh hCG. Lancet 346: 188-9, 1995 146 Moss R. Trophoblast from the Past. The Cancer Chronicels No. 20, March 1994 136 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf © 20 funktionierenden Immunabwehr abhängt, sollte – je nach Immunstatus – eine vorbereitende Immunstimulation erfolgen. Adjuvante leberentlastende Mittel werden empfohlen. C. Nebenwirkung Die Immunität des Tumors verändert sich bereits wenige Stunden nach der Extrakt-Injektion. Die Patienten verspüren in der Regel ein „ziehendes“ Gefühl in der Tumorregion . Dieses wird über eine perifokale Entzündung und die Infiltration immunkompetenter Zellen in das Tumorgewebe verursacht. Durch die subkutane Injektion von Fremdprotein sind anaphylaktische Reaktionen grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aber bisher noch in keinem Fall aufgetreten. So wichtig einerseits eine chemotherapeutische Tumorverkleinerung erscheint 147 , so limitierend ist sie andererseits für die Govallotherapie. Offensichtlich produzieren Patienten, die einer Chemotherapie unterzogen wurden, wesentlich weniger Antikörper als zytostatisch unbehandelte Personen. Eine Bestrahlungs-Therapie beeinträchtigt hingegen die Immunembryotherapie in einem weit geringeren Maße. Es wird deshalb empfohlen, die Behandlung möglichst nicht zeitnah zu einer Chemotherapie zu beginnen. Als Karenzzeit werden ungefähr 6 – 8 Wochen angenommen. München, November 2004 Dr. med. Rainer Krapf Postfach 19 07 31 D-80607 München [email protected] 147 Ackermann E, Deutsche Zeitsch Oncol. 1988; 5:129 RK 09.11.2004 Copyright R. Krapf ©