Symbiose EL EL ER ER K K Definition: Nach der Schiff-Schule kommt es zu einer Symbiose, wenn zwei oder mehr Individuen sich so verhalten, als bildeten sie zusammen eine einzige Person. (Ian Stewart / Vann Joines) Allgemeines Unter Symbiose wird in der Biologie eine Lebensgemeinschaft zweier oder mehrerer verschiedenartiger Organismen verstanden, die beide (alle) daraus Nutzen ziehen. Es gibt lockere Symbiosen, so z.B. zwischen den nach ihrer Nahrungsquelle «Madenhacker» genannten Vögeln und den Nashörnern, auf deren Rücken sie sich ihre Nahrung suchen. Es gibt sehr enge oder gar vitale Symbiosen, so zwischen gewissen Kugelalgen und Pilzen, die zusammen Flechten an Bäumen und auf Felsen bilden und getrennt nicht lebensfähig sind, da die Algen von den Pilzen das nötige Wasser und die Nährsalze beziehen, die Pilze von den Algen die nötigen Nähr- und Aufbaustoffe, die diese mit Hilfe des Lichtes aus der Kohlensäure der Luft herstellen. In der Psychologie wird unter «Symbiose» eine mitmenschliche Gemeinschaft verstanden, in der beide Partner emotional aufeinander angewiesen sind. Dabei gilt die ursprüngliche Beziehung zwischen Mutter und Säugling oder jungem Kleinkind als Musterbeispiel. Auch diese Symbiose wird aber dysfunktional, wenn sie sich nicht im Masse der Verselbständigung des Kindes auflöst («überdauernde Mutter-Kind-Symbiose») oder wenn emotional ein Rollenwechsel besteht, indem vom Kleinkind erwartet wird, dass es kindlich gebliebene Wünsche der Mutter befriedigt («inverse Mutter-Kind-Symbiose»). Die primäre Symbiose zwischen Mutter und Kind wird in der Transaktionalen Analyse zum Gleichnis für eine unbedacht und gewohnheitsmässig komplementär gestaltete Beziehung zwischen zwei (selten mehr) Individuen, von denen eines einen höheren Rang einnimmt als das andere. Das ist der Fall, wenn eines der beiden ganz unbedacht die Verantwortung auch für das andere übernimmt und es bestimmt oder umsorgt und dieses sich darein fügt, gleichsam «entmündigt» zu werden, obgleich es an sich zur Eigenständigkeit befähigt wäre. Dies ohne dass eine Vereinbarung über die Rollenverteilung stattgefunden hätte. Wir können dann von zwei Menschen mit je einer sich ergänzenden, komplementären symbiotischen Haltung sprechen. Nett Ursin Silvio adleraug.ch November 2012 Ich frage eine Bekannte: «Wo möchtest du deinen Urlaub verbringen?» Sie antwortet: «Ich weiss noch nicht, wohin Herbert [ihr Ehemann] will!» Es kommt auch vor, dass zwei Individuen mit gleichartiger symbiotischer Haltung zusammentreffen. Vielleicht wollen beide die bestimmende Rolle übernehmen und erwarten vom anderen, dass er sich bestimmen lässt und versuchen, ihn, wenn sie eine nahe Beziehung aufrechterhalten wollen, ganz unbedacht in diese komplementäre Rolle hineinzumanövrieren. Genau analog, wenn zwei zusammentreffen, welche sich lieber bestimmen oder umsorgen lassen. Es handelt sich in diesen beiden Fällen nicht um sich ergänzende, sondern um rivalisierende symbiotische Haltungen. Durch die Schiff-Schule (.13.5) ist dieser Begriff der Symbiose in die Transaktionale Analyse eingeführt worden. Jacqui Schiff und ihre Mitarbeiter gehen davon aus, dass bei jedem Mangel an Eigenständigkeit, die Lösung von Problemen, die sich dem Betreffenden stellen, von anderen erwartet wird und also mit einer «unterverantworlichen symbiotischen Haltung» einhergeht. Deshalb wird auch in der Transaktionalen Analyse oft schon der geringste Mangel an Eigenständigkeit oder Autonomie als «symbiotisch» bezeichnet, z.B. wenn ein Teilnehmer einer Wanderung am Ende sagt: «Wir sind müde und haben Hunger!» statt «Ich bin müde und habe Hunger!». – Weitere Beispiele aus dem Alltag siehe unten! Der Begriff der Symbiose wurde von J. Schiff und ihren Mitarbeitern in die Transaktionale Analyse eingeführt (A. u. J. Schiff 1971; J. Schiff u. Mitarb. 1975b, pp. 5 10, 56-57, 61-65). Dabei gehen die Autoren vom ursprünglichen Mutter-Kind-Verhältnis aus. Bei diesem handelt es sich aber um eine besondere Art Symbiose, deren Mitglieder verschiedenen Rang haben. Die Mutter ist vital nicht auf das Kind angewiesen, wohl aber das Kind auf die Mutter. Zudem ist das Kind emotional von der Mutter völlig, die Mutter vom Kind emotional weniger radikal abhängig. Das hat begrifflich zur Folge, dass der Begriff in der Transaktionalen Analyse sich auf solche Lebensgemeinschaften, Beziehungen, andeutungsweise auch Begegnungen bezieht, bei denen die beiden Mitglieder nicht gleichrangig funktionieren, sondern der eine in gewissen Bereichen überlegen und recht eigentlich «massgebend» ist, der andere von ihm abhängig. Ersterer wird mit einer Elternperson verglichen, letzterer mit einem Kind. Ein solches symbiotisches Verhältnis kann als «Rest» des ursprünglichen Mutter-Kind-Verhältnisses oder als Regression auf dieses aufgefasst werden oder aber das ursprüngliche Mutter-Kind-Verhältnis dient als Sinnbild für ein «symbiotisches» Verhältnis zwischen zwei Menschen. Ich werde beide Möglichkeiten im Folgenden als «Vorbildfunktion» bezeichnen. Es gibt auch symbiotische Lebensgemeinschaften, Beziehungen oder Begegnungen, bei denen die Mitglieder gleichrangig und ebenfalls aufeinander angewiesen sind. Diese finden, wenn in der Transaktionalen Analyse von einer Symbiose oder von der Eigenschaft «symbiotisch» gesprochen wird, keine Beachtung. Nett Ursin Silvio adleraug.ch November 2012 Die «symbiotische Haltung» als Ausdruck mangelnder Eigenständigkeit und mangelnder Abgrenzung J. Schiff und ihre Mitarbeiter ziehen das Modell von den drei Ich-Zuständen heran, um eine Symbiose nach dem Muster des ursprünglichen Mutter-Kind-Verhältnisses als eine Beziehungsform zu kennzeichnen, in der «zwei oder mehr Individuen sich so verhalten, als wenn sie zusammen nur eine Person bilden würden, ... die strukturell so gekennzeichnet ist, dass keines der beteiligten Individuen *[innerhalb der Beziehung] fähig ist, seine drei Ich-Zustände gleichermassen zu aktivieren ». Bei einer solchen Beziehung seien also im Ganzen nur drei Ich Zustände aktiv (J. Schiff u. Mitarb. 1975b, p.5). Die Mutter bringe ihre sozialisierenden Wertmassstäbe, d.h. ihre «Elternperson » (EL2), in die Beziehung ein, die das Kind noch nicht zur Verfügung hat und ihre Erfahrungen zum Umgang mit der Realität, d.h. ihre «Erwachsenenperson» (ER2), über die das Kind ebenfalls noch nicht verfügt, während das «Kind» der Mutter ausgeschlossen und durch das Kind ersetzt sei. Die Autoren sind sich nicht klar, dass es sich bei dieser Erklärung und den Skizzen dazu nicht um eine Definition handelt, wie sie annehmen, sondern um eine transaktionsanalytische Deutung, die zudem nur einen Aspekt der Mutter-Kind-Beziehung herausgreift. Neben einer komplementären Symbiose und dem fälschlich als rivalisierende Symbiose bezeichneten Verhältnis kennt die Schiffschule noch eine funktionelle Symbiose, wenn von den Gliedern einer Gemeinschaft verschiedene für die Gemeinschaft notwendige Rollen übernommen werden mit der Überzeugung, dass der eine nicht tun könnte, was der andere kann, z. B. kochen, staubwischen, auswärts Geld verdienen, logisch denken, für Ordnung sorgen usw. Von einer Symbiose darf allerdings meines Erachtens nicht gesprochen werden, wenn eine entsprechende, allen Teilen bewusste und gegenseitig, wenn vielleicht auch unausgesprochen, akzeptierte Arbeitsteilung besteht. Mit dem, was die Schiff-Schule als «funktionelle Symbiose» bezeichnet, wird der Symbiosebegriff allerdings überstrapaziert! Quelle Handwörterbuch Leonhard Schlegel 2011 Nett Ursin Silvio adleraug.ch November 2012