Die Analogie des Aristoteles

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(Die vorliegende Arbeit ist der originale Text des chinesischen Aufsatzes „Aristotle’s Doctrine of Analogy“, der
in Tsinghua Studies in Western Philosophy, Vol. 1, No.1, S. 400-432 veröffentlicht wurde. In der chinesischen
Version wird der Akzent darauf gelegt, dass Aristoteles mit der pythagoreisch-platonischen Tradition anknüpft
und die grieschische Analogielehre fortsetzt. Im deutschen Text geht es eher um den Vergleich zwischen der
grieschischen Proportionalitätsanalogie und der lateinischen Attributionsanalogie.)
Die Analogie des Aristoteles1
LIU Xin (刘鑫)2
摘要:本文以亚里士多德的类比学说为研究对象,首先展示出亚里士多德的比例类比
和托马斯:阿奎那谓述类比之间的区别。其次,澄清类比的含义意在揭示比例类比在亚
里士多德哲学中的基础地位。从类比统一性出发,亚里士多德以一个一以贯之的原则
不仅为形而上学,更为科学的各个其他分支学科奠基。本文将通过详尽的文本分析进
一步明确亚里士多德的论证思路及其基本哲学原则。
关键词:亚里士多德,类比, 谓述类比,比例类比,类比统一性,结构相似
Abstract: In der vorliegenden Arbeit wird die die Analogielehre des Aristoteles thematisiert.
In erster Linie tritt der Unterschied zwischen der aristotelischen Proportionalitätsanalogie und
der thomistischen Attributionsanalogie in den Vordergrund. Nach der begrifflichen
Klarmachung leuchtet es sich ein, dass die Proportionalitätsanalogie der ganzen
aristotelischen Philosophie zugrundeliegt. Anhand dem einheitlichen und durchgängigen
Prinzip, das die analogische Einheit genannt wird, legt Aristoteles nicht nur seiner
Metaphysik, sondern der apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften ein Fundament.
Durch die ausführliche Textanalyse ist der Gedankengang des Aristoteles nachzuvollziehen
und das fundamentale Prinzip seiner Philosophie aufzufassen.
Keywords: Aristoteles, Analogie, analogia attributionis, analogia proportionis, analogische
Einheit, strukturelle Ähnlichkeit
1
Anhand des vorliegenden Textes habe ich in der wissenschaftlichen Veranstaltung (Workshop of Western
Philosophy), die in dem philosophischen Seminar der Tsinghau Universität am 12. März. 2015 stattfand, einen
Vortrag gehalten. Vom Herzen bedanke ich mich bei Prof. Jin Xiping, Prof. Song Jijie, Lu Chunshan, Wang
Yufeng und die Studenten der Tsinghua Universität, die an der Diskussion teilgenommen haben, für die
kritischen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge.
2
LIU Xin (刘鑫), Doktorandin, Philosophisches Seminar, Universität Heidelberg, Heidelberg.
1
Die Analogie (a)nalogi/a, analogia, proportio) war ursprünglich ein mathematischer Begriff,
der in der pythagoreischen Schule entwickelt wurde. Sie zeigt die zahlenmäßige Proportion
auf, die entweder durch die Wiederholung der Mitte dreigliedrig (1:2†2:4) oder viergliedrig
ist (1:2†4:8).3 Wenn von dem aristotelischen Analogiemodell die Rede ist, kommen in erster
Linie zwei verschiedene Typen zur Erwähnung, und zwar analogia attributionis (analogia
praedicationis, analogia entis) und analogia proportionis. Die beiden Benennungen stammen
nicht von Aristoteles, sondern von den späteren Scholastikern.4 Nachdem Thomas von Aquin
aufgrund der aristotelischen Analogielehre die Attributionsanalogie entwickelt hat, nennen die
Scholastiker die ursprüngliche Analogie die Proportionalitätsanalogie, um die beiden
voneinander zu unterscheiden. Ein klarer Beweis dafür liegt darin, dass die Bezeichnung
„analogia proportionis“ eigentlich eine Verdoppelung (Hendiadyoin) ist. Denn auf Latein ist
sowohl analogia als auch proportio die Übersetzung desselben griechischen Wortes, nämlich
a)nalogi/a. Während die analogia durch die unmittelbare Übertragung vom Griechischen
ins Lateinische gebildet wird, ahmt die pro-portio sowohl die Struktur als auch den Sinn von
a)na-logi/a nach. Pro portione und a)na/ to\n lo/gon weisen auf dieselbe Bedeutung hin,
nämlich „aufgrund des Verhältnisses“.
Bemerkenswert ist noch, dass weder die Attributionsanalogie rein logisch konzipiert noch die
Proportionalitätsanalogie bloß ontologisch bezogen ist, wie die Namen andeuten. Denn zum
einen ermöglicht die analogia proportionis, die die strukturelle Gemeinsamkeit der
verschiedenen Seienden offenkundig macht, denselben Begriff wie das Sein und das Gute
querkategorial zu gebrauchen. 5 Zum anderen nimmt die analogia attributinonis zwar die
gemeinsame Prädikationsmöglichkeit von Gott und Geschöpf zum Ausgang, aber sie zielt
schließlich darauf ab, die ontologische Vorordnung Gottes und die Nachordnung der
Geschaffenen hervorzuheben. Deswegen ist die analogia attributionis von den späteren
Scholastikern als analogia entis bezeichnet.
Vor allem sollten wir uns im Klaren sein, dass Aristoteles die Analogie in dem ursprünglichen
Sinne angewendet hat. Die Proportionalitätsanalogie basiert zwar auf dem mathematischen
3
Vgl. Das Historische Wörterbuch der Philosophie, S. 214
Begrifflich gesehen entstammen analogia attributionis und analogia proportionis der späteren Scholastik.
Sylverster von Ferrara und Franz Suares haben die beiden Begriffe erfunden. Bei E. Przywaras kommt der
Terminus analogia entis zum ersten mal vor. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Analogie, S. 224226. Bei Thomas ist von analogia praedicationis die Rede.
5
Vgl. Metaphysica K3, 1061a7-10: das Sein; Ethica Nicomachea A4, 1096a23-29, Ethica Eudemia A8,
1217b25-33: das Gute
4
2
Modell. Aber nicht die mathematische sondern ontologische Proportion, d.h. strukturelle
Ähnlichkeit, tritt in den Vordergrund, die sowohl Sein, Veränderung und Logos in
Übereinkunft bringt als auch die Einheit der Substanzen bildet. Um die aristotelische
Proportionalitätsanalogie zu verdeutlichen, müssen wir zunächst auf die thomistische
Attributionsanalogie
eingehen,
die
eng
mit
der
aristotelischen
Kategorienlehre
zusammenhängt. Die Analogie ist dadurch als eine Prädikationsweise zu interpretieren, dass
Thomas’ Konzeption einerseits auf der Kategorienlehre des Aristoteles beruht, andererseits
aber davon abweicht. Außerdem hatte die Interpretation von Thomas wirkungsgeschichtlich
einen enormen Einfluss auf die Auslegung der aristotelischen Metaphysik. Deshalb richten
wir zunächst die Aufmerksamkeit auf die lateinische Attributionsanalogie 6 und gehen
anschließend auf die griechische Tradition ein.
Thomas stellt die Frage, ob die bestimmten Begriffe (nomina), d.h. die Transzendentalien, wie
Schönheit (bonitas), Weisheit (sapientia) usw., von Gott und Geschöpf univoce oder
aequivoce ausgesagt werden.7 In beiden Fällen gerät man in Verlegenheit. Die Menschheit
wird von Sokrates und Platon univoce d.h. wesentlich prädiziert, da die beiden Menschen sind.
Dagegen wird die Schönheit von Gott und Geschöpf nicht univoce ausgesagt, weil die
Wesensgleichheit, die die Univokation (univoce-sunwnu/mwj) verlangt, nicht dem Gott und
dem Geschöpf zugeteilt sein kann. Beim Gott fallen existentia und essentia zusammen
(esse†forma), bei den Geschaffenen aber auseinander (esse≠forma).8 Denn vor der Schöpfung
existieren sie nur möglicherweise. Was die Schöpfung anbelangt, ist es nichts anderes als die
göttliche Aktion, die das Seiende von der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringt. Auf der
einen Seite steht Gott als das wirkliche, immateriale und einfache Seiende (ens actu 9 -
6
Vgl. Thomas von Aquino: Summa Contra Gentiles, I.34; Summa Theologia, I.13, 5-6; De Potentia, 7.7
Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7: Utrum huiusmodi nomina dicantur de Deo et creaturis univoce vel
aequivoce.
8
Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60235: Cum in creatura aliud sit esse, et aliud sit forma vel natura,
per formam vel naturam nihil similatur ei quod est esse. [...] Deus autem est hoc ipsum quod est suum esse. De
potentia 7.7, 60238: Deus autem alio modo se habet ad esse quam aliqua alia creatura; nam ipse est suum esse,
quod nulli allii creaturae competit. Die Abtrennung von Existenz und Essenz wird zuerst von arabischen
Kommentatoren ausdrücklich gemacht und dann von mittelalterlichen Scholastikern übernommen, um die
Eigentümlichkeit Gottes zu betonen. Es steht deswegen direkt gegen die aristotelische Physik und Metaphysik,
weil anhand des theoretischen Musters der Naturentstehung gerade die Übereinstimmung des einzelnen
Naturdings mit der Naturart hervorzuheben ist. Der aristotelischen Theorie zufolge liegt der Unterschied
zwischen der natürlichen und übernatürlichen Substanz nicht darin, dass die Existenz und die Essenz bei der
einen auseinander- und bei der anderen zusammenfallen. Sondern die natürliche Substanz, nämlich das
Lebewesen (creatura) ist materiell, sinnlich wahrnehmbar und passiv bewegbar, während sich die übernatürliche
Substanz, das unbewegte Bewegende (Deus) geistig, denkbar und aktiv tätig verhält.
9
In Bezug auf Aktualität und Potentialität: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Si dicatur, quod
omne quod est in potentia, reducitur ad actum per ens actu,-et ex hoc concluderetur quod Deus esset ens actu,
cum per ipsum omnia in esse educantur-erit fallacia aequivocationis.
7
3
immateriale 10 -simpliciter), auf der anderen Seite das Geschöpf aber als das potentiale,
materiale und mannigfaltige Seiende (ens in potentia-materiale-multipliciter). Außerdem zeigt
sich die wesentliche Ungleichheit von Gott und Geschöpf noch dadurch, dass Gott unendlich
und ewig ist (infinitum 11 -aeternus 12 ), das Geschöpf aber endlich und zeitlich (finitumtemporalis) ist.
Obwohl die Aequivokation (aequivoce-o(mwnu/mwj) keiner Wesensgleichheit, sondern einer
bloßen Namensgleichheit bedarf, kann die Schönheit von Gott und Geschöpf auch nicht
aequivoce prädiziert werden. Im Fall, dass die Weißheit von Sokrates und Tisch aequivoce
d.h. akzidentell ausgesagt wird, gibt es keine notwendige Verbindung zwischen Sokrates und
dem Tisch. Die Schönheit kann deshalb von Gott und Geschöpf nicht zufällig prädiziert
werden, weil sich der produktive Kausalzusammenhang zwischen Schöpfer und Geschöpf
ergibt.13 Indem Gott unvollkommene Produkte nach seinem Vorbild schafft, hat das Geschöpf
bestimmten Anteil an Gott.14 Anders gesagt bringt die Schönheit Gottes die Schönheit der
Geschaffenen zustande, wie die gesunde Medizin als Ursache die Gesundheit des Körpers
herstellt. Ebenso wie die Gesundheit der Medizin und des Körpers sind die Schönheit Gottes
und die Schönheit der Geschaffenen nicht zufällig gleichnamig.
Vom Grund genommen sind Schöpfer und Geschöpf unvergleichbar, aber dieselbe
Transzendentalien können von Gott und Geschöpf gemeinsam ausgesagt werden (Deus bonus
et creatura bona), und zwar weder wesenlich noch akzidentell. Die Prädikationsweise, die eine
Mittelstellung zwischen Univokation und Aequivokation einnimmt, lässt sich die analogia
10
In Bezug auf Immaterialität-Materialität und Einfachheit-Komplexität: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia
7.7, 60238: Dato per impossibile quod eiusdem rationis sit bonitas in Deo et in creatura [...]; cum quod in Deo
est immaterialiter et simpliciter in creatrua sit materialiter et multipliciter.
11
In Bezug auf Unendlichkeit und Endlichkeit: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Nulla creatura,
cum sit finita, potest adaequare virtutem primi agentis, cum sit infinita.
12
In Bezug auf Ewigkeit und Zeitlichkeit: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60230: Deus est aeternus,
et creaturae temporales.
13
Vgl. Thomas von Aquino, De potentia, 7.7, 60238: [...] oportet causatum esse aliqualiter simile causae; unde
oportet de causato et causa nihil pure aequivoce praedicari, sicut sanum de medicina et animali. Summa contra
gentiles, I. 33, 23809: Nam in his quae sunt a casu aequivoca, nullus ordo aut respectus attenditur unius ad
alterum, sed omnino per accidens est quod unum nomen diversis rebus attribuitur: non enim nomen impositum
uni significat ipsum habere ordinem ad aliud. Sic autem non est de nominibus quae de Deo dicuntur et creaturis.
Consideratur enim in huiusmodi nominum communitate ordo causae et causati, ut ex dictis patet. Non igitur
secundum puram aequivocationem aliquid de Deo et rebus aliis praedicatur. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval
Philosophy as Transcendetal Thougt (2012), S. 268, Fußnote 139.
14
Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.5, 28822: Secundum aequivoca non attenditur aliqua
similitudo. Cum igitur creaturae ad Deum sit aliqua similitudo, secundum illud Genes. I, faciamus hominem ad
imaginem et similitudinem nostram, videtur quod aliquid univoce de Deo et creaturis dicatur. Summa theologia,
I. 13.5, 28826: Quia omnis effectus non adaequans virtutem causae agentis, recipit similitudinem agentis non
secundum eandem rationem, sed deficienter.
4
praedicationis nennen.
15
Während die Univokation die Wesensgleichheit und die
Aequivokation die wesentliche Ungleichheit impliziert, bringt die analogische Prädikation
sowohl Gleichheit als auch Ungleichheit von Gott und Geschöpf zu Wort.
Die Analogie als Prädikation ist deswegen einzuführen, weil das ontologische Verhältnis von
Gott und Geschöpf einer eigentümlichen Prädikationsweise bedarf. Weitergehend ist die
analogische Prädikation insofern asymmtrisch, als Gott ontologisch vorrangig und das
Geschöpf nachrangig ist. Um Vor- und Nachordnung zu betonen, identifiziert Thomas die
logische Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis (dicitur per
respectum ad unum analogice) 16 , indem das Verhältnis des Geschöpfes zum Gott in
Verbindung mit der Beziehung der Akzidenz zur Substanz gesetzt wird. Das analogische
Prädikationsverhältnis von Gott und Geschöpf ist nur dann mit der Beziehung von Substanz
und Akzidenz vergleichbar, wenn ein gemeinsamer Oberbegriff auch von Substanz und
Akzidenz ausgesagt wird, wie die Schönheit von Gott und Geschöpf. So wird das Sein
insofern von Substanz und Akzidenz analogischerweise prädiziert, als die Substanz
eigenständig seiend ist, die Akzidenz aber von der Substanz abhängig seiend ist.17 Da die
15
Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.5, 28826: Et iste modus communitatis medius est inter
puram aequivocationem et simplicem univocationem.
16
Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.6, 28835: Respondeo dicendum quod in omibus nominibus
quae de pluribus analogice dicuntur, necesse est quod omnia dicantur per respectum ad unum, et ideo illud unum
opertet quod ponatur in definitione omium. Summa contra gentiles, I. 34, 23816: Sic igitur ex dictis relinquitur
quod ea quae de Deo et rebus aliis dicuntur, praedicantur neque univoce neque aequivoce, sed analogice: hoc est,
secundum ordinem vel respectum ad aliquid unum. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as
Transcendetal Thougt (2012), S. 269, Fußnote 142. In seinem Metaphysik-Kommentar hat Thomas an einigen
Stellen das Ähnliche kommentiert. Vgl. Commentaria In Aristotelem: Sententia Libri Metaphysicae Liber 4, (G2,
1003a33-34), 82100: Dicit ergo primo, quod ens sive quod est, dicitur multipliciter. Sed sciendum quod aliquid
praedicatur de diversis multipliciter: quandoque quidem secundum rationem omnino eamdem, et tunc dicitur de
eis univoce praedicari, sicut animal de equo et bove. Quandoque vero secundum rationes omnino diversas; et
tunc dicitur de eis aequivoce praedicari, sicut canis de sidere et animali. Quandoque vero secundum rationes
quae partim sunt diversae et partim non diversae: diversae quidem secundum quod diversas habitudines
important, unae autem secundum quod ad unum aliquid et idem istae diversae habitudines referuntur; et illud
dicitur analogice praedicari, idest proportionaliter, prout unumquodque secundum suam habitudinem ad illud
unum refertur. 82101: Item sciendum quod illud unum ad quod diversae habitudines referuntur in analogicis, est
unum numero, et non solum unum ratione, sicut est unum illud quod per nomen univocum designatur. Et ideo
dicit quod ens etsi dicatur multipliciter, non tamen dicitur aequivoce, sed per respectum ad unum; non quidem ad
unum quod sit solum ratione unum, sed quod est unum sicut una quaedam natura. Auch Vgl. Jan A. Aertsen,
Medieval Philosophy and The Transcendentals: the case of Thomas Aquinas (1996), S. 140-141. Sententia Libri
Metaphysicae Libri 7-8, 82903 (Z4, 1030a34-b3): Non enim est rectum quod quod quid est et definitio dicatur de
substantia et de accidentibus, neque aequivoce, neque simpliciter et eodem modo, idest univoce. [...] Sed dicitur
analogice per respectum ad unum, scilicet ad medicinam. Et similiter quod quid est et definitio, non dicitur nec
aequivoce nec univoce, de substantia et accidente, sed per respectum ad unum. Dicitur enim de accidente in
respectu ad substantiam, ut dictum est. Sententia Libri Metaphysicae Liber 9, 83351 (Metaphysik Q1, 1046a419): Unde manifestum est, quod omnes isti modi potentiarum reducuntur ad unum primum, scilicet ad potentiam
activam. Et inde patet quod haec multiplicitas non est secundum aequivocationem, sed secundum analogiam.
17
Dadurch dass der Oberbegriff, das Sein für Prädikat der Substanz und der Akzidenz gehalten wird, dreht
Thomas die ganze Kategorienlehre des Aristoteles um. Denn die zehn Kategorien, sei es wesentlich sei es
akzidentell, sind nichts anderes als zehn Typen Prädikate. In der aristotelischen Kategorienlehre handelt es sich
5
Akzidenz keine ontologische Selbständigkeit (inesse) hat und in logisch-ontologischer
Abhängigkeit von der Substanz (per se esse) steht, geht die Akzidenz als Nachrangiges auf die
Substanz als Vorrangiges zurück (posterius ad prium, accidens ad substantiam). Gleichfalls
richten sich die Geschaffenen auf den schaffenden Gott aus (creatura ad Deum), indem
Thomas das Verhältnis Priorität-Posteriorität (pro/teron-u(/steron, prius-poterius), womit
Aristoteles die Vorrangigkeit der Substanz und die Nachrangigkeit der Akzidenz ausdrücklich
macht18, auf Gott und Geschöpf überträgt.
Obwohl derselbe Oberbegriff Sein sowohl von Substanz als auch von Akzidenz prädiziert
wird, ist die eine per se und die andere nur per accidens seiend, sodass das Sein der Akzidenz
auf das Sein der Substanz zurückzuführen sein muss. Es ist auf Gott und Geschöpf
transformierbar. Obwohl derselbe Begriff Schönheit sowohl von Gott als auch von Geschöpf
aussagt wird, ist Gott absolut schön und das Geschöpf nur gewissermaßen schön, sodass die
Schönheit der Geschaffenen auf die Schönheit Gottes zurückgreifen muss. Aufgrund dessen
setzt Thomas die logische Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-hinVerhältnis gleich. Damit ist die Rückführung der Akzidenz auf die Substanz (accidens ad
substantiam) und der Geschaffenen auf Gott (creatura ad Deum) gemeint, vorausgesetzt dass
bei zwei Sachen die eine der anderen ontologisch vorgeordnet ist.
Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: In erster Linie ist die sogenannte analogia
praedicationis keineswegs die eigenständige Prädikationsweise, wie Univokation oder
Aequivokation, sondern sie bringt nur ein bestimmtes Verhältnis der Prädikationen zur
Sprache. Falls die Schönheit allein von Gott oder nur von Geschöpf ausgesagt wird, spielt die
analogische Prädikation keine Rolle. Nur die Schönheit Gottes und die Schönheit der
Geschaffenen stehen zueinander analog. Zweitens verknüpft Thomas die logische
Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis, um die Vorordnung
Gottes hervorzuheben. Obwohl Thomas nur von analogia praedicationis redet, ist die Spur der
analogia entis schon zu finden.
In der Theoriebildung der rationalen Theologie verwendet Thomas eine Menge aristotelischer
Begriffe und Termini, z.B. Vermögen-Verwirklichung (potentia-actus, du/namij-e)ne/rgeia),
Materialität-Immaterialität (materiale-immaeriale, meta\ u(/lhj-a)/neu u(/lhj), Komplexitätnicht darum, dass das Sein von der wesentlichen und akzidentellen Kategorie prädiziert wird. Sondern es geht
darum, dass die Wesenheit und die Akzidenz von dem zugrundeliegenden Einzelnen ausgesagt werden.
18
Vgl. Metaphysica Z1, 1028a31-1028b2; Categoriae 5, 2a34-2b9
6
Einfachheit
(multipliciter-simpliciter,
(finitum-infinitum,
xro/noj-ai)/dion),
sunqe/ton-a(plou=n),
pe/raj-a)/peiron),
Endlichkeit-Unendlichkeit
Zeitlichkeit-Ewigkeit
Aequivokation-Univokation
(temporalis-aeternus,
(aequivoce-univoce,
o(mwnu/mwj-sunwnu/mwj), usw. In der Erörterung über die prädikative Analogie bezieht
sich Thomas auf die Kategorienlehre des Aristoteles. Da bei Thomas die Entfaltung seiner
eigenen Theologie und die Auslegung der aristotelischen Philosophie miteinander eng
zusammenhängen und aufeinander Auswirkungen üben, scheint es, als habe Aristoteles die
Analogie auch in dem thomistischen Sinne angewendet. Deswegen müssen wir uns auf die
folgenden Fragen konzentrieren: Erstens, ob die aristotelische Analogie nur als
Prädikationsweise angesehen wird; Zweitens, ob und inwiefern die Analogie mit Pros-Hen
identifiziert werden kann. Zum einen kann die Analogie bei Aristoteles nicht auf die logische
Prädikation beschränkt sein, denn die strukturelle Ähnlichkeit dringt Sein, Veränderung und
Logos durch. Zum anderen ist es nicht selbstverständlich, das Pros-Hen-Verhältnis mit der
Analogie gleichzusetzen.19 Die beiden können nur dann für identisch gehalten werden, wenn
die aristotelische Proportionalitätsanalogie die thomistische Attributionsanalogie ersetzt. Ein
klarer Beweis dafür liegt in einer Stelle der Nikomakischen Ethik, wobei Von-Einem-her
(a)f' e(no/j) und Auf-Eines-hin (pro\j e(/n) zusammen mit der Analogie (kat' a)nalogi/an)
gesprochen werden.
ou)k e)/stin a)/ra to\ a)gaqo\n koino/n ti kata\ mi/an i)de/an. a)lla\ pw=j dh\ le/
getai; ou) ga\r e)/oike toi=j ge a)po\ tu/xhj o(mwnu/moij. a)ll' a)=ra/ ge t%= a)f'
e(no\j ei)=nai h)\ pro\j e(/n a(/panta suntelei=n, h)\ ma=llon kat' a)nalogi/an; w(
j ga\r e)n sw/mati o)/yij, e)/n yuxv= nou=j, kai\ a)/llo dh\ e)n a)/ll%.-Vgl. Ethica
Nicomachea A6, 1096b25-29
19
Die griechischen Kommentatoren wie Alexander, Asclepius halten „Auf Eines hin“ und Analogie nicht für
identisch, obwohl man aufgrund der Textstellen in der Nichomakischen Ethik (A6, 1096b27-29; B6, 1106b21-23)
„Auf Eines hin“ (pro\j e(/n) mit „Von einem her“ (a)f' e(no/j) verbindet. Darüber hinaus macht Porphyrius die
Differenz nachdrücklich, indem er die notwendige Namensgleichkeit (o(mwnu/mon a)po\ dianoi/aj), die dem
zufälligen Gleichnamigen entgegensteht (o(mwnu/mon a)po\ tuxh=j-Ethica Nicomachea A6, 1096b26-27;
Ethica Eudemia H2, 1236b23-26), in drei verschiedenen Gruppen teilt. Die verschiedenen Dinge können
entweder anhand der bloßer Namensgleichheit (kaq' o(moio/thta) oder durch die Analogie, d.h. strukturelle
Ähnlichkeit (e)k th=j a)nalogi/aj) gleichnamig sein. Oder die Gleichnamigen kommen von dem einen
Ursprung heraus, und weisen wiederum darauf hin (a)f' e(no/j kai\ pro\j e(/n)-Vgl. Porphyrii In Categoriarum,
S. 65, 8r: 18-S. 67, 9v: 32; Simplicii In Categoriarum, S. 31, 7v: 22-S. 32, 8r: 19. Vermutlich ist Thomas der
Erste, der die aristotelische Aussage „Auf Eines hin“ ausdrücklich unter der Analogie stellt. Im Gegenteil dazu
ist Montagnes der Meinung, dass Aristoteles selbst nie das Auf-Eines-hin-Verhältnis als Analogie bezeichne.
Vgl. Bernard Montagnes, O.P., La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin (1963), S. 21:
Il faut au contraire partir du problème doctrinal de l’unité de l’être et, de là, clarifier le langage dont on doit se
servir. Or la source des spéculations philosophiques au sujet de l’analogie se trouve dans la théorie
aristotélicienne des sens mutiples de l’être unifiés par référence à un premier, qu’Aristote n’appelle jamais
analogie.
7
Im Kontext geht es um die Frage, wie die verschiedenen Seienden gemeinsam als das Gute
bezeichnet werden. Das Gute ist nicht etwas Gemeinsames, das anhand der einzigen Idee
gebildet wird. Denn in der Heilkunst ist die Gesundheit, im Krieg der Sieg und in der
Hausverwaltung das Haus bzw. die Familie als das Gute zu bezeichnen. 20 Trotz dem
sachlichen Unterschied werden die Gesundheit, der Sieg und das Haus das Gute genannt. Die
Gleichnamigkeit ist weder auf einen abstrakten Begriff zurückzuführen noch kommt sie den
unterschiedlichen Dingen zufällig zu, sondern sie beruht auf der strukturellen bzw.
funktionalen Ähnlichkeit (a)/llo e)n a)/ll%). Die Vernunft und die Sehkraft sind z.B.
deswegen gleichfalls als etwas Gutes benannt, weil die Vernunft in der Seele so funktioniert
wie die Sehkraft in Augen (e)n yuxv= nou=j-e)n sw/mati o)/yij). Wie das Sehvermögen
die sinnliche Anschauung ermöglicht, so macht das Denkvermögen die intellektuelle
Anschauung möglich. Die Analogie (kat' a)nalogi/an) führt zu dem einheitlichen
Begriffsgebrauch, sodass die Sehkraft und die Vernunft von einem gemeinsamen Begriff,
nämlich von dem Guten zusammengefasst werden (a)f' e(no\j ei)=nai) und darauf hinweisen
(pro\j e(/n suntelei=n). In dem vorliegenden Zusammenhang ist es deutlich einzusehen,
dass Aristoteles die Analogie im Sinn der strukturellen bzw. funktionalen Ähnlichkeit
gebraucht. Demnach zeigt die Proportionalitätsanalogie keineswegs die Rückführung der
einen Sache auf die andere (unum ad alterum), sondern die zwei Verhältnisse gehen auf ein
gemeinsames Drittes zurück (duo ad aliquod tertium).21
Daher liegt der wesentliche Unterschied zwischen Attributions- und Proportionalitätsanalogie
erstens darin, dass jene die ontologische Priorität, diese aber die strukturelle Ähnlichkeit
20
Vgl. Ethica Nicomachea A7, 1097a19-22
Neben der Rückführung der einen Sache auf die andere erwähnt Thomas ein anderes Modell, nämlich die
Rückführung der beiden Sache auf ein Drittes. Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Aliquid
praedicatur de duobus per respectum ad aliquod tertium, sicut ens de qualitate et quantitate per respectum ad
substantiam. [...] oportet esse aliquid prius duobus, ad quod ambo respectum habet, sicut substantia ad
quantitatem et qualitatem. Aliquid praedicatur de duobus per respectum unius ad alterum, sicut ens de substantia
et quantitate. [...] necesse est unum esse prius altero. Summa contra gentiles, I. 34, 23816: Quod quidem
dupliciter contingit: uno modo, secundum quod multa habent respectum ad aliquid unum: sicut secundum
respectum ad unam sanitatem animal dicitur sanum ut eius subiectum, medicina ut eius effectivum, cibus ut
conservativum, urina ut signum. Alio modo, secundum quod duorum attenditur ordo vel respectus, non ad
aliquid alterum, sed ad unum ipsorum: sicut ens de substantia et accidente dicitur secundum quod accidens ad
substantiam respectum habet, non quod substantia et accidens ad aliquid tertium referantur. Huiusmodi igitur
nomina de Deo et rebus aliis non dicuntur analogice secundum primum modum, oporteret enim aliquid Deo
ponere prius: sed modo secundo. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt
(2012), S. 269. Was aber Aristoteles in der Kategorienlehre betont, ist weder die Reduktion der Akzidenz auf die
Substanz, noch dass die Akzidenz und die Substanz auf das Sein zu reduzieren sind. Sondern alle Kategorien,
entweder akzidentell oder substanziell, richten sich auf die zugrundeliegende Einzelsubstanz aus.
Dementsprechend werden alle Prädikate, sei es akzidentell sei es wesentlich, von dem zugrundeliegenden
Subjekt ausgesagt, sodass sowohl die Akzidenz- als auch Wesensprädikation durch dieselbe Prädikaitonsstruktur
von Subjekt und Prädikat konstituiert sind.
21
8
hervorhebt. Zweitens handelt es sich bei Attributionsanalogie um die sachliche Vergleichung,
während sich die analogia proportionis auf die Gleichheit der Verhältnisse konzentriert
(h( a)nalogi/a i)so/thj e)sti\ lo/gwn).
So
verlangt
die
Proportionalitätsanalogie
mindestens vier Glieder (e)n te/ttarsin e)laxi/stoij), damit A zu B und C zu D anhand
desselben Verhältnisses stehen.22 Drittens hat die Attributionsanalogie, formal gesehen, keine
Verbindung
mit
dem
mathematischen
Ursprung
der
Analogie.
Bei
der
Proportionalitätsanalogie aber steht das ursprünglich mathematische Verhältnis immer im
Hintergrund.
Auf den ersten Blick scheint die von Hochscholastikern entwickelte analogia attributionis bzw.
analogia entis dem platonischen Analogiemodell sehr ähnlich zu sein. Denn die kreative
Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf (Deus-creatura) kann problemlos anhand des
Vorbild-Nachbild-Musters (paradei=gma-ei)ko/na) wiedergegeben werden, das Platon
ausdrücklich als Analogie bezeichnet. 23 Aber man kann die grundsätzliche Differenz der
mittelalterlichen Attributionsanalogie von der griechischen Proportionsanalogie nicht
übersehen. Platon und Aristoteles stimmen darin überein, dass die ontologische Entsprechung
(o(moio/thta) ohne eine Verhältnisgleichheit (a)na/logon) nicht aufgestellt werden kann.
Demzufolge ist es kein sprachlicher Zufall, dass sowohl Platon24 als auch Aristoteles25 die
Ähnlichkeit
(o(moio/thta, similitudo)
und
die
Analogie
(a)na/logon,
analogia)
terminologisch für identisch halten. Ursprünglich muss die ontologische Entsprechung auf
eine bestimmte strukturelle Ähnlichkeit zurückgreifen, die für die platonisch-aristotelische
Proportionsanalogie charakteristisch ist. Im Folgenden richten wir die Aufmerksamkeit auf
die Analogietheorie von Platon nicht nur deswegen, weil Platon als Erster die Analogie in die
Philosophie einführt 26 , sondern vornehmlich deshalb, weil Platon das Urmuster der
Proportionalitätsanalogie paradigmatisch darstellt.
22
Vgl. Ethica Nicomaciae, E6, 1131a31-32, 1131b5-7; Magna Moralia, 1193b37
Vgl. Platon Timaios, 29b3-7; 29b9-c3
24
Vgl. Platon Politeia, 508b12-508c2: e)n t%= noht%=-e)n t%= o(rat%=: a)na/logon; 509c5-6:
a)/gaqon-h(/lioj: o(moio/thta; 368d1-7, 368e8-369a3: yuxh\-po/lij: o(moio/thta.
25
[...]
Vgl.
Ethica
Nicomachea
A6,
1096b28-29:
h)\ ma=llon kat' a)nalogi/an, w(j ga\r e)n sw/mati o)/yij, e)n yuxv= nou=j, kai\ a)/llo dh\ e)n a)/l
l%;
Topica
A17,
108a7-12:
th\n de\ o(moio/thta skepte/on [...], kai\ w(j e(/teron e)n e(te/r% tini, ou(/twj a)/llo e)n a)/ll%, oi(=
on w(j o)/yij e)n o)fqalm%=, nou=j e)n yuxv=, kai\ w(j galh/nh e)n qala/ssv, nhnemi/a e)n a)e/ri.;
De generatione animalium, 715b16-21: ὅσα δὲ μὴ πορευτικὰ καθάπερ τὰ ὀστρακόδερμα τῶν ζῴων καὶ τὰ ζῶντα
τῷ προσπεφυκέναι, διὰ τὸ παραπλησίαν αὐτῶν εἶναι τὴν οὐσίαν τοῖς φυτοῖς, ὥσπερ οὐδ’ ἐν ἐκείνοις οὐδ’ ἐν
τούτοις ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν ἀλλ’ ἤδη καθ’ ὁμοιότητα καὶ κατ’ ἀναλογίαν λέγεται.
26
Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, unter der Analogie, S. 215
23
9
Dadurch dass Platon die Proportionalitätsanalogie im Kernstück seiner Metaphysik, nämlich
in der Zwei-Welten-Theorie entfaltet, tritt die mathematische Proportion in den Hintergrund,
der ontologische Sinn der Analogie aber in den Vordergrund. Daher geht es nicht um die
zahlenmäßige Proportion, sondern nur um das Entsprechungsverhältnis von Seins- und
Erkenntnissphäre, das zuerst zwiefältig zustande kommt. Dem Zwiespalt von Sein und
Werden (ou)si/a-ge/nesij) entsprechend ist das Erkenntnisvermögen in Denken und Meinen
(noh/sij-do/ca) zu teilen.27 Indem das Sein zum Werden (ou)si/a pro\j ge/nesin) und das
Denken zum Meinen (noh/sij pro\j do/can) in demselben Verhältnis steht28, besteht die
ontologisch-epistemologische
Übereinstimmung
darin,
dass
das
Sein
nur
gedacht
(noh/sij peri\ ou)si/an) und das Werden bloß durch die Meinung geäußert werden kann
(do/ca peri\ ge/nesin).29
Des Weiteren präzisiert Platon die strukturelle Entsprechung von Sein und Denken, indem
Seins- und Erkenntnisbereich viergliedrig einzuteilen sind. In dem Liniengleichnis30 ist der
ganze Seinsbereich als eine Linie vorzustellen. Dadurch dass die Linie ungleich in zwei
Schnitte geliedert wird, fallen Sein und Werden, d.h. denkbares und sichtbares Gebiet
auseinander. Anhand desselben Verhältnisses entzweit sich der denkbare Seinsbereich weiter
in Ideen und mathematische Gegenstände und der sichtbare in Lebewesen und
Schattenbilder.
31
Da
der
gesamte
Seinsbereich
durch
dieselbe
Proportion
(a)na\ to\n au)to\n lo/gon) dreimal geteilt wird, verhält sich das Gedachte zum Gesehenen
(noou/menon-o(rwme/non),
die
Ideen
zu
geometrisch-logischen
Gegenständen
(ei)/dh-pragmateuo/menoi peri\ ta\j gewmetri/aj kai\ logismou\j),
und
die
Lebewesen zu Schattenbildern (z%=a-ei)ko/naj) analog. In derselben Proportion zerlegt sich
andererseits das Erkenntnisvermögen in Denken und Meinen. Gleichfalls ist das Denken ins
noetische und dianoetische Denken zu unterteilen, das Meinen aber in Glauben und
Vermuten. 32 Wie das Denken zum Meinen steht (noh/sij-do/ca), so steht das noetische
Denken
zum
dianeotischen
(nou=j-dianoi/a)
und
das
Glauben
zum
Vermuten
(pi/stij-ei)kasi/a). 33 Außer dass das Denken mit dem Sein und das Meinen mit dem
27
Vgl. Platon Politeia, 534a2-3; Timaios, 29b9-c3, 29b3-4: paradei=gma-ei)ko/na; Parmenides, 132c12-d4,
133c8-d5: ei)/dh/i)deai//paradei/gmata-o(moiw/mata
28
Vgl. Platon Timaios, 29b9-29c3; Platon Politeia, 534a3-8
29
Vgl. Platon Politeia, 534a1-3
30
Vgl. Politeia, 509d8-9, 511e3, 534a6
31
Vgl. Platon Politeia, 509d6-e1
32
Vgl. Platon Politeia, 511c4-d5
33
Vgl. Platon Politeia, 511d6-e4
10
Werden in Übereinstimmung stehen, ergibt sich aufgrund der Vierteilung die vierfache
Entsprechung von Erkennen und Sein. Noetisches Denken stimmt nämlich mit Ideen,
dianoetisches Denken mit logisch-mathematischen Gegenständen, Glauben mit Lebewesen
und Vermuten mit Schattenbildern überein.
Anhand der Analogie ist nicht nur die Übereinstimmung von Seins- und Erkenntnissphäre zu
erörtern, sondern vielmehr der Urgrund der ontologisch-epistemologischen Entsprechung.
Das Sonnengleichnis macht ausdrücklich, dass die Sonne den sensiblen Bereich beherrscht
und das Gute den intelligiblen.34 Analog zu der Sonne, die das Sehen und das Gesehenwerden
zur Deckung bringt, lässt das Gute das Denken und das Gedachtwerden vereinigen. Das
Sichtbare kann nur durch die Beleuchtung des Lichts gesehen werden (fw=j)35, dessen Quelle
ohne Weiteres die Sonne ist. Ähnlicherweise muss das Denkbare durch die Vermittlung der
Wahrheit (a)lhqei/a) wahrhaft gedacht werden36, die von dem Guten her stammt. Außerdem
ermöglicht die Sonne nicht nur die sichtbaren Dingen gesehen zu werden, sondern auch sie
entstehen und aufwachsen zu lassen.37 Analog dazu macht das Gute nicht nur die Erkenntnis
der denkbaren Seienden möglich, sondern es verleiht ihnen vielmehr die Wesenheit und die
Substantialität. 38 Wie die Sonne über das Werden hinaus geht, ist das Gute dem Sein an
Würde und Macht überlegen. 39 Insgesamt ist die Analogie von der intelligiblen und sensiblen
Welt dadurch konstituiert, dass sich das Gute ebenso auf Denken und Gedachtwerden bezieht,
wie sich die Sonne zu Sehen und Gesehenwerden verhält.40
Die Analogie, die der platonischen Zwei-Welten-Theorie ein metaphysisches Fundament legt,
ist
auf
die
Beziehung
zwischen
Seele
und
Polis
zu
übertragen
(yuxh\-po/lij: o(moio/thta). 41 Die strukturelle Ähnlichkeit von Seele und Polis ist
dadurch aufzustellen, dass die drei staatlichen Klassen, nämlich Nahr-, Wehr- und Lehrstand
den drei seelischen Teilen von Begierde, Mut und Vernunft korrespondieren. Die
Übereinstimmung besteht allerding darin, dass die drei Kandinaltugenden von Besonnenheit,
Tapferkeit und Weisheit sowohl den drei Seelenteilen innewohnen, als auch den drei
34
Vgl. Platon Politeia, 508b12-508c2, 509d1-4
Vgl. Platon Politeia, 507d11-e4
36
Vgl. Platon Politeia, 508e6-509a5. Im Kontext wird die Wahrheit in demselben Sinne von Wissen bzw.
Erkennen (e)pisthmh\/gnw/sij) angewendet.
37
Vgl. Platon Politeia, 509b2-4
38
Vgl. Platon Politeia, 509b6-8
39
Vgl. Platon Politeia, 509b8-10
40
Vgl. Platon Politeia, 508b13-508c2
41
Vgl. Platon Politeia, 368e8-369a3; 368d1-7
35
11
Staatsklassen zugeteilt sind. Die übergeordnete Tugend der Gerechtigkeit kommt nur dann
zustande, wenn die drei Seelenteile und die drei Staatsklassen naturgemäß geordnet sind. Im
Falle, dass die Vernunft mithilfe des Mutes die niedrigen Begierden dominiert, tritt die
seelische Gerechtigkeit in Erscheinung. Analog dazu soll in der gerechten Polis der
vernünftige Philosophenkönig zusammen mit den mutigen Soldaten die normalen
Staatsbürger beherrschen. Die Analogie von Seele und Polis ist folgendermaßen zu
formulieren: Wie die drei Seelenteile miteinander zusammenhängen, sollen sich die drei
gesellschaftlichen Klassen genauso zu einer Polis zuammenfügen.
Darüber hinaus hat Platon noch eine kosmologische Verwendung der Analogie anzubieten.
Die Analogie ist deswegen als kosmologisches Ordnungsprinzip anzusehen, weil Gott anhand
der bestimmten Proportion die sichtbare und betastbare Welt schuf. Vorausgesetzt, dass die
vier Grundelemente vor der Schöpfung schon existieren, setzt der Schöpfergott Luft und
Wasser inmitten zwischen Feuer und Erde
42
. Diese Vier sind vom Gott möglichst
proportional einzuordnen, so dass in demselben Verhältnis (a)na\ to\n au)to\n lo/gon)
Feuer zu Luft, Luft zu Wasser und Wasser zu Erde steht. 43 Indem die vier Elemente
miteinander verbunden und kombiniert sind, wird der Körper des Kosmos durch die Analogie
(di' a)nalogi/aj), d.h. durch dieselbe Proportion (tau=ta a)na\ lo/gon) erzeugt.44 Indem
der Gott weiterhin alle Dinge, die sich im ungeordneten Zustand befanden, zu sich selbst und
zueinander in die harmonische Ordnung setzt, sind die Dinge analog (a)na/loga) und
symmetrisch (su/mmetra).
45
Anhand der bestimmten Proportion hat der platonische
Schöpfergott nicht nur die irdischen Körper aus Grundelementen geschaffen, sondern auch
die Dinge zueinander in ein harmonisches Verhältnis gebracht.
Wie gezeigt wurde hat Platon die Analogie dreifältig angewendet. Außer der ethischpolitischen und kosmologischen Anwendung trägt die platonische Proportionalitätsanalogie
metaphysisch dazu bei, die Entsprechung von Sein- und Erkennenssphäre zu verdeutlichen.
Wie der Name besagt, konzentriert sich die Onto-logie immer auf das Verhältnis von Sein
(to\ o)/n) und Logos (lo/goj), nämlich wie der Logos bzw. das Denken das Seiende wahrhaft
begreift. Platons Meinung nach ist die ontologisch-epistemologische Übereinstimmung
42
Vgl. Platon Timaios, 32b4-5
Vgl. Platon Timaios, 32b5-7. Anhand derselben Abfolge gibt Aristoteles dem notwendigen Übergang des
einen Element zu dem anderen eine metaphysische Erklärung (pu=r→a)h\r→u(/dwr→gh=→pu=r).
44
Vgl. Platon Timaios, 32b9-c2, 56c3-7
45
Vgl. Platon Timaios, 69b2-6
43
12
jeweils in einem übergeordneten Prinzip verwurzelt, nämlich im Sichtbaren in der Sonne und
im Denkbaren im Guten. Indem das übergreifende Prinzip in dem sensiblen und intelligiblen
Bereich aufgehoben wird, ist Aristoteles der Auffassung, dass das übereinstimmende
Verhältnis von Sein und Logos auf ihre ähnliche Struktur zurückgeht. Außerdem ist die
aristotelische Metaphysik dadurch charakteristisch, dass die Veränderung in die
metaphysische
Untersuchung
einbezogen
ist.
So
hebt
Aristoteles
die
dreifache
Übereinstimmung von Sein, Logos und Veränderung hervor, während Platon die zwiefältige
Korrespondenz von Sein und Denken zum zentralen Thema macht.46 Aufgrund dessen, dass
Sein, Logos und Veränderung miteinander strukturell korrespondieren, kann die aristotelische
Meta-physik bzw. Onto-logie von dem ontologischen Prinzip ausgehend, sowohl die Physik
als auch die Logik begründen. Wir nennen die dreifache Korrespondenz die Analogie von
Sein, Logos und Veränderung, die den Hauptteil dieser Arbeit ausmacht. Da Aristoteles in
den überlieferten Schriften die Analogie nicht ausdrücklich in diesem Sinne verwendet,
müssen wir auf die Texte genau eingehen. Anhand einer ausführlichen Textanalyse ist die
allgemeine und fundamentale Struktur der aristotelischen Analogie herauszufinden, worauf
die Rekonstruktion aufbauen kann. Da Aristoteles die Analogie (a)nalogi/a, o(moio/thta)47
vielfältig gebraucht, werden wir zunächst die Anwendung in Biologie und Ethik-Politik
erwähnen und dann den metaphysischen Sinn behandeln.48
46
Die ontologische Grundlage der platonischen Zwei-Welten-Theorie wird dadurch abgeschafft, dass Aristoteles
die Trennung der Ideen von empirischen Dingen leugnet. So muss die strukturelle Ähnlichkeit der aristotelischen
Prinzipien und Substanzen auf eine neue Ebene aufzubauen sein.
47
Außer der Gleichsetzung von a)nalogi/a und o(moio/thta ist die adverbiale Verwendung o(moi/wj der
Analogie auch naheliegend (Vgl. De arte poetica, 1457b17-18; Metaphysica Q6, 1048b6-8). Von Wortbildung
aus sind o(moio/thta und o(moi/wj dem o(moi/oj zwar sehr ähnlich, aber das o(moi/oj als terminus technicus
ist ganz streng auf die qualitative Identität bzw. Einheit beschränkt. Aristoteles legt großen Wert auf begriffliche
Klarheit, indem er wesentliche, qualitative und quantitative Identität bzw. Einheit nicht nur voneinander
unterscheidet, sondern vielmehr terminologisch festlegt, nämlich au)to\ (e/(n kat' ei)=doj- Metaphysica L8,
1074a31-33), o(moi/oj (e/(n kata\ poi=on-Categoriae 8, 11a15-19) und i)/soj (e/(n kata\ po/son-Categoriae
6, 6a26-35)-Vgl. Metaphysica D15, 1021a10-12. Da sich das o(moi/oj nur auf die qualitative Identität bezieht,
ist es nicht in die Untersuchung der strukturellen Ähnlichkeit einbezogen.
48
Die logische Verwendung der Analogie, die in dem historischen Wörterbuch der Philosophie zur Erwähnung
kommt, ist bei Aristoteles nicht zu finden. Die Textstelle (Analytica Prioria, II 24), worauf es im Wörterbuch
hingewiesen ist, bezieht sich nicht auf die Analogie, sondern darauf, wie anhand eines Mittelbegriffs die
Eigenschaft von der einen Sache zu der anderen übertragen werden kann. Aristoteles argumentiert zwar häufig
anhand der Analogie, aber bei ihm kann es den sogenannten analogischen Syllogismus
„sullogismo\j kat' a)nalogi/an“ nicht geben, der von Theophrast zum Ausdruck gebracht wird
(Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216). Denn laut Aristoteles sind die beiden völlig verschiedene
Vorgehensweisen. Die Analogie dient der metaphysischen Prinzipienforschung, indem die einzelnen Fälle zu der
analogischen Allgemeinheit aufsteigen (Einzelheit→Allgemeinheit). Dagegen gilt der Syllogismus als die
Beweisführung der partikularen Einzelwissenschaft, wobei sich die einzelne Konklusion aus der allgemein
gültigen Prämisse syllogistisch schlußfolgert (Allgemeinheit→Einzelheit).
13
In der Biologie weist die Analogie auf die funktionale Ähnlichkeit der verschiedenartigen
Lebewesen hin. Die funktionale bzw. strukturelle Gemeinsamkeit betrifft sowohl die
organischen Körperteile als auch die Affektionen. 49 Obwohl die anderen Arten vom
Lebewesen weder die menschlichen Organe, wie Herz (kardi/a)50, Lunge (pleu/mwn)51 ,
usw. noch bestimmte Körperteile, z.B. Fleisch (sa/rc)52, Knochen (o)sta=)53, Blut (ai(=ma)54
und Nerv (neu=ron) 55 haben, sind sie mit dem Analogon ausgestattet, das die gleiche
Funktion in sich trägt (to\ a)na/logon th\n au)th\n e)/xon du/namin).56 Was nämlich dem
Menschen der Fuß, ist dem Vogel der Flügel und dem Fisch die Flosse.57 Denn Fuß, Flügel
und Flosse haben dieselbe Fähigkeit, Menschen, Vogel und Fisch räumlich bewegen zu lassen.
Außerdem wohnen dem vegetarischen und tierischen Samen die Wärme gemeinsam inne,
insofern sie als Lebensprinzip alle organischen Körperteile zusammenbinden.58 Was daher die
biologische Verwendung der Analogie anbelangt, ist diese nichts anderes als die gleiche
Funktion, die entweder von den Organen oder von der Affektion geleistet wird.
In der aristotelischen Ethik zeigt sich am deutlichsten der mathematische Ursprung der
Analogie,
die
bezüglich
(a)riqmhtikh\ a)nalogi/a)
der
59
Tugend
oder
entweder
die
die
arithmetrische
geometrische
Analogie
Analogie
(a)nalogi/a geometrikh\)60 genannt wird. Zuerst kann die Tugend nur dann als Mittelmaß
zwischen Übermaß und Mangel definiert werden, wenn das arithmetrische Verhältnis ein
methodisches Fundament legt. Die grundlegende Voraussetzung ist folgendermaßen zu
49
Vgl. De partibus animalium A5, 645b3-6; A4, 644a23
Vgl. De generatione animalium B1, 735a23-26; B4, 738b15-18; B5, 741b15-17; B6, 742b35-743a1
51
Vgl. De partibus animalium A5, 645b6-8
52
Vgl. De generatione animalium B6, 743a10; De anima B11, 422b20-21, 423a13-15
53
Vgl. De generatione animalium B6, 745a8; Analytica Posterioria B14, 98a20-23: Knochen; De generatione
animalium B6, 745b10: Zähne
54
Vgl. De generatione animalium B4, 740a21-22; D1, 766a33-34; De partibus animalium A5, 645b8-10;
Historia animalium A4, 489a21-27
55
Vgl. De generatione animalium B3, 737b1-4
56
Vgl. De partibus animalium A5, 645b8-10; Historia animalium A1, 487a1-10; Rapp: Ähnlichkeit, Analogie
und Homonymie bei Aristoteles, Zeitschrift für Philosophische Forschung, 46:4, 1992, S. 531-532. Außerdem
wohnt den anderen Lebewesen die Wahrnehmungsvermögen, Stimme zu haben, zu schmecken oder zu riechen
auch analogischerweise inne. Vgl. De anima B8, 420b5-8: fwnei=n-kaq' o(moio/thta; De anima B9, 421a1618, 421a27-30: geu=sij, o)smh\-a)na/logon.
57
Vgl. De partibus animalium A4, 644a21-22; Historisches Wörterbuch der Philosophie, unter Analogie, S. 216;
De partibus animalium A5, 645b3-5; Historia animalium A1, 486b17-22; Krämer, Gurndbegriffe akademischer
Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast (1968), S. 297-298
58
Vgl. De partibus animalium A4, 644a23: Affektionsähnlichkeit; De generatione animalium B3, 736b33-737a1:
das Warme
59
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a35-36; E4, 1131b32-1132a2, 1132a29-30
60
Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b12-13
50
14
formulieren. Allgemein gesehen gibt es in jedem diskreten (e)n panti\ diairet%=)61 und in
jedem kontinuierlichen Seienden (e)n panti\ sunexei=)62 das Mehr, das Weniger und das
Gleiche (plei=on-e)/latton-i)/son), welches die Mitte zwischen Übermaß und Mangel ist
(u(perbolh/-e)/lleiyij-me/son).63 Die Mitte kann in zweierlei Hinsicht betrachtet werden,
nämlich entweder der Sache nach (kat' au)to\ pra=gma) oder in Bezug auf uns
(pro\j h(ma=j).64 Mit der sachlichen Mitte ist gemeint, dass sie auf die Extreme in gleicher
Beziehung steht. Wenn z.B. zehn Dinge mehr, zwei aber weniger sind, lassen sich sechs
Dinge zum Mittelmaß nehmen.65 Denn in demselben zahlenmäßigen Verhältnis stehen sechs
zu zwei und zehn zu sechs. Da eine solche objektive Mitte anhand der bestimmten
arithmetrischen Beziehung zustande kommt, wird das Verhältnis terminologisch die
arithmetrische Analogie genannt.66
Die Ethik, die die bestimmten seelischen Zustände, d.h. Affektionen (pa/qh) und die daraus
folgenden Handlungen (pra/ceij) thematisiert, lässt sich anhand der arithmetrischen
Analogie begründen. Denn die seelische Tugend und die tugendhafte Handlung, in denen es
Übermaß, Mangel und Mitte gibt, zielt immer auf das Mittelmaß, das nicht der Sache nach,
sondern nur auf uns bezogen ist. 67 Während die sachliche Mitte objektiv ist, kann das
praktische Mittelmaß nicht allen Menschen ein und dasselbe sein68, weil es immer mit dem
Individuum und mit der konkreten Situation zusammenhängt. Darum ist die ethische Tugend
weder Übermaß noch Mangel, sondern nur Mittelmaß (meso/thj), das in konkreten Fällen
61
Mit dem diskreten Seienden ist in diesem Zusammhang die Zahl gemeint. Offensichtlich gehört die Zahl zur
quantitativen Kategorie. Indem sich die Quantität in Teilbarkeit und Kontinuität ausdifferenziert
(tou= de\ posou= to\ me/n e)sti diwrisme/non, to\ de\ sunexe/j), ist die Zahl das teilbare Quantum
(e)/sti de\ diwrisme/non me\n oi(o
= n a)riqmo\j kai\ lo/goj). Wenn z.B. zehn aus zweimal fünf besteht,
kann es sich auch darin zerlegen. Vgl. Categoriae 6, 4b20-31
62
Etwas Kontinuierliches bezieht sich hauptsächlich auf die Handlungen. Die menschliche Handlung wird im
Licht der Bewegung bzw. der Veränderung betrachtet. Da die Bewegung kontinuierlich ist, lässt sich die
Kontinuität
der
Bewegung
auf
die
Handlung
übertragen.
h( me\n ga\r ki/nhsij sunexe/j, h( de\ pra=cij ki/nhsij. Vgl. Ethica Eudemia B3, 1220b26-27; Physica
G1, 201a9-19
63
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a26-29; Ethica Eudemia B3, 1220b21-22; Magna Moralia 1.9 (1) und (2):
u(perbolh/-e)/ndeia. In der großen Ethik ist statt e)/lleiyij ein anderer Terminus e)/ndeia anzuwenden.
Damit ist es nichts anderes als Mangel gemeint. Ein ähnliches Begriffspaar u(peroxh/-e)/lleiyij verwendet
Aristoteles sehr häufig im Kontext der theoretischen Philosophie, um das Mehr-Weniger im vorsokratischen
Sinne zu bezeichnen. Vgl. Metaphysica H2, 1042b31-35; Physica G1, 200b28-29
64
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a27-28; Ethica Eudemia B3, 1220b23
65
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a33-34
66
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a35-36
67
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106b7, 1106b16-18
68
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a29-32
15
für uns geeignet ist.69 Die allgemeine Definition der Tugend gilt für alle einzelnen Tugenden,
wie z.B. vier Kardinaltugenden, Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit. Der
Bestimmung zufolge befindet sich die Besonnenheit (swfrosu/nh) zwischen Zuchtlosigkeit
und
(a)kolasi/a-a)naisqhsi/a),
Stumpfsinn
die
Tapferkeit
(a)ndrei/a)
zwischen
Tollkühnheit und Feigheit (qrasu/thj-deili/a), und die (praktische) Weisheit (fro/nhsij)
zwischen Gerissenheit und Einfältigkeit (panourgi/a-eu)h/qeia).
70
Die Gerechtigkeit
(dikaiosu/nh) ist insofern den anderen Tugenden übergeordnet, als sie sich nicht auf das
einzelne Individum bezieht, sondern immer auf die anderen Menschen, die mit ihm im
Verkehr stehen.
71
Da sich die Gerechtigkeit als intersubjektive Tugend sowohl im
ökonomischen Austausch als auch im politischen Zusammenleben befindet, gilt das Gerechte
in dem einen Bereich als das Gleiche (to\ i)/son) und in dem anderen als das Gesetzliche
(to\ no/mimon).72 Je nach den verschiedenen Gebieten, in denen das Gerechte auftritt, ist es
durch die unterschiedlichen Analogiemodelle charakterisiert.
In dem freiwilligen und unfreiwilligen Austausch ergibt sich die Verteilungsgerechtigkeit
(to\ dianemhtiko\n di/kaion)73, die gemäß der arithmetrischen Analogie konstituiert ist.74
Denn im wirtschaftlichen Verkehr ist es von entscheidender Bedeutung, dass jedem weder
mehr noch weniger sondern nur das Seinige zugeteilt wird. Aus dem freiwilligen Austausch
stammen das wirtschaftliche Mehr und Weniger, d.h. Gewinn und Schaden.75 Mehr als das
Seine zu erhalten bedeutet das Gewinn-Machen. Am Ende weniger zu haben als am Anfang
69
Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a24-26. Die ethische Untersuchung thematisiert in erster Linie nicht die
einzige Tugend, sondern die Wesenheit und die Definition der Tugend überhaupt (fu/sij a)reth=j). Die
Definition der Tugend erwähnt Aristoteles an folgenden Stellen: Ethica Nicomachea B6, 1106b36-1107a3,
1107a6-8; Ethica Eudemia B3, 1120b34-35, B5, 1222a9-12
70
Vgl. Ethica Eudemia B3, 1220b37-1221a13. Es gibt in der eudemischen Ethik eine List, wobei einige
wichtigen Tugenden darzustellen sind. In der Nikomakischen Ethik und großen Ethik werden nur Besonnenheit
und Tapferkeit zum Beispiel genommen. Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1107a22-25, Magna Moralia, 1.9 (1)
71
Vgl. Ethica Nicomachea E1, 1129b25-27, 1129b30-33, 1130a2-5, 1130a10-13
72
Vgl. Ethica Nicomachea E1, 1129a34-1129b1, E2, 1130b30-1131a3. Aristoteles fasst die Zweideutigkeit der
Gerechtigkeit, nämlich Gleichheit und Gesetzlichkeit im Kapitel 1 und 2 vom Buch E der Nicomakischen Ethik
zusammen. Im Kapitel 3 ist vom politischen Gerechten die Rede, das nach den verschiedenen
Staatsverfassungen nicht ein- und dasselbe sein kann. Im Kapitel 4 und 5 wird die ökonomische
Verteilungsgerechtigkeit behandelt. Im Kapitel 6 kommt die Analogie von Familie und Polis zur Erwähnung.
73
Im Kontext wird die Verteilungsgerechtigkeit auch als Ordnungsgerechtigkeit bezeichnet
(to\ e)panorqwtiko\n di/kaion-NE E4, 1132a18). Im wirtschaftlichen Verkehr ist es sehr häufig passiert,
dass die eine Seite mehr erhält, die andere aber die Interesse verliert. In solchen Fällen muss man die Flucht auf
den Richter nehmen, der den beseelten Gerechten symboliert. Der Richter kann auf eine gerechte Art und Weise
die Sachen einteilen. Insofern die ungerechten Zustände, nämlich Gewinn und Verlust wiederum in Ordnung
gebracht werden, ist die Gerechtigkeit als Ordnungsgerechtigkeit zu bezeichnen.
74
Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1131b25-29, 1131b32-1132a2
75
Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b11-13
16
heißt Schaden-Erleiden.
76
Die Verteilungs- bzw. Ordnungsgerechtigkeit nimmt eine
Mittelstellung zwischen Gewinn und Schaden ein 77 , indem demjenigen, der weniger hat,
etwas hinzugefügt und etwas von demjenigen, der mehr oder am meisten besitzt,
weggenommen wird 78 . Im ökonomischen Austausch ist die Verteilungsgerechtigkeit daher
das Gleiche zwischen Mehr und Weniger, d.h. die Mitte zwischen Gewinn und Schaden.
Im Vergleich zur wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit hält Aristoteles die politische
Gerechtigkeit
(to\ politiko\n di/kaion)
für
die
Gerechtigkeit
schlechthin
(to\ a(plw=j di/kaion) 79 , die nicht anhand der arithmetrischen sondern anhand der
geometrischen Analogie (a)nalogi/a geometrikh/) zur Entfaltung kommt.80 Da die beiden
Nennungen scheinbar nur auf den mathematischen Ursprung der Analogie hinweisen, tendiert
man dazu, die arithmetrische und geometrische Analogie miteinander zu vermischen und die
beiden Begriffe als Synomyme zu interpretieren.81 Aber die zwei Analogiemodelle sind nicht
nur dem Namen nach sondern vielmehr der Sache nach different. Die arithmetrische Analogie
ist deswegen dreigliedrig, weil sie in der dreifachen Struktur von Übermaß, Mangel und
Mittelmaß gründet. Demzufolge ist die Verteilungsgerechtigkeit als die Ausgleichung von
Gewinn und Verlust bestimmt. Dagegen ist die geometrische Analogie viergliedrig, da in der
Geometrie sich das Ganze zum Ganzen ebenso verhält wie Glied zum Glied. 82 Wie die
Herkunft andeutet, orientiert sich die geometrische Analogie an der Gleichheit der
Verhältnisse (h( au)th\ e)/stai i)so/thj, oi(=j kai\ e)n oi(=j).83
Anhand der geometrischen Analogie kommen die verschiedenen Typen des politischen
Gerechten zur Sprache. 84 Die politische Gerechtigkeit kann deshalb nicht überall ein und
dieselbe sein, weil sie nicht das Natürliche (fusiko/n), sondern das Gesetzliche (nomiko/n)
ist.85 Des Weiteren hängt das mit dem Gesetz verbundene Gerechte immer mit der staatlichen
Verfassung
zusammen
(dikai/on-nomiko/n-politei/a).
76
Denn
je
nach
den
Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b13-14
Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132a18-19
78
Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b2-6
79
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a24-26; Politica G9, 1280a7-25
80
Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b12-13
81
Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216
82
Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b13-15; De anima B1, 412b23-25; Historia animalium A1, 486a20-21;
Krämer, Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast
(1968), S. 297
83
Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a20-22
84
Obwohl in E3 die Akzentuierung auf die viergliedrige geometrische Analogie gelegt wird (1131a18-1131b16),
kommt die dreigliedrige arithmetrische Analogie kurz zur Sprache (1131a10-18).
85
Vgl. Ethica Nicomachea E7, 1134b18-24, 1134a3-5
77
17
unterschiedlichen Verfassungen strebt man nach dem jeweiligen Würdigen, das man für gut
und gerecht hält. Die Demokratie zielt auf Freiheit, Oligarchie auf Reichtum oder adlige
Herkunft, Aristokratie auf Tugend oder Gesetz, und Tyrannei auf Überwachung und
Kontrolle.86 Die strukturelle Ähnlichkeit lässt sich damit aufzeigen, dass die Verfassung zu
dem Gerechten in gleicher Beziehung steht.
Außerdem sind die Menschen nicht nur politische, sondern auch familiäre Lebewesen, da
Mann und Frau von Natur aus die Familie bilden, um die Nachkommenschaft
hervorzubringen. 87 Mit anderen Worten: Die Menschen sind insofern gemeinschaftliche
Lebewesen, als sie sich naturgemäß für das Zusammenleben entscheiden, und zwar sowohl im
Staat als auch in der Familie. Vorausgesetzt, dass die Gerechtigkeit in verschiedenen
Gemeinschaften (to\ di/kaion e)n tisi koinwnoi=j) 88 anhand einer ähnlichen Struktur
(dikai/on kaq' o(moio/thta) konstituiert ist89, wird die Gerechtigkeit der Polis auf die der
Familie übertragen. Wie die Gerechtigkeit des Staats (to\ politiko\n di/kaion)90 auf der
harmonischen Beziehung zwischen Regierendem und Regiertwerdendem beruht91, weist die
Gerechtigkeit der Familie (to\ oi)konomiko\n di/kaion)
92
ebenso das harmonische
Verhältnis des Mannes zur Frau auf. Analog dazu bestehen die Gerechtigkeit des Herrn
(to\ despotiko\n di/kaion) und die Gerechtigkeit des Vaters (to\ patriko\n di/kaion)
darin, dass ähnlicherweise (o(moi/wj) der Herr über den Knecht und der Vater über den Sohn
herrschen soll.93 Da die ähnliche Struktur in einem naturgemäßen Verhältnis von Beherrschen
und
Beherrschtwerden
gründet
(e)pefu/kei no/moj [...] i)so/thj tou= a)/rxein kai\ a)/rxesqai) 94 , steht der Herrscher
zum Bürger, der Mann zur Frau, der Herr zum Knecht und der Vater zum Sohn im gleichen
Verhältnis 95.
In der Biologie bezeichnet die Analogie die funktionale Gleichheit der verschiedenartigen
Lebewesen. Während die dreigliedrige arithmetrische Analogie der aristotelischen
86
Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a27-29; Ars Rethorica A8, 1366a4-6
Vgl. Ethica Eudemia H10, 1242a22-26; Politica A2, 1252a26-28
88
Vgl. Ethica Eudemia H10, 1242a21, 1242a26-28: kai\ koinwni/a toi/nun kai\ di/kaio/n ti.
89
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a28-30; E11, 1138b5-8
90
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a24-26
91
Vgl. Politica G4, 1277a25-27; G13, 1283b42-1284a3
92
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b15-17
93
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b8-9
94
Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b13-15
95
Vgl. Ethica Eudemia H3, 1238b19-25; H10, 1242a28-36
87
18
Tugendlehre zugrundeliegt, macht die viergliedrige geometrische Analogie die strukturelle
Ähnlichkeit der politischen Gerechtigkeit nachdrücklich. Die ähnliche Struktur ergibt sich
entweder zwischen den Staaten, die je nach den verschiedenen Verfassungen differenziert
sind, oder sie bezeichnet die Analogie von Familie und Polis. Nach der Erörterung der
biologischen und ethisch-politischen Analogie gehen wir auf die metaphysische Verwendung
ein, die prinzipiell in der geometrischen Analogie fundiert ist. Zunächst ist die formale
Struktur der Proportionalitätsanalogie folgendermaßen darzustellen:
to\ ga\r a)na/logon ou) mo/non e)sti\ monadikou= a)riqmou= i)/dion, a)ll' o(/lwj
a)riqmou=: h( ga\r a)nalogi/a i)so/thj e)sti\ lo/gwn, kai\ e)n te/ttarsin e)laxi/s
-toij. [...] e)/stai a)/ra w(j o( a o(/roj pro\j to\n b, ou(/twj o( g pro\j to\n d [..
.]-Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a30-32, 1131b5-696
Das Analogon ist nicht nur der monadischen Zahl eigentümlich, sondern es gilt für die Zahl
überhaupt. Mit anderen Worten ist die Analogie überall dort anwendbar, wo Zählen, Messen
und Vergleich möglich sind.97 Da die Analogie die Gleichheit der Verhältnisse ist, verlangt
sie mindestens vier Glieder. Wie sich a zu b verhält, ebenso g zu d. 98 Außer der
Grundstruktur kommen noch zwei Formen der Proportionalität zur Erwähnung.
th\n de\ o(moio/thta skepte/on e)pi/ te tw=n e)n e(te/roij ge/nesin, w(j e(/teron
pro\j e(/teron ti, ou(/twj a)/llo pro\j a)/llo, oi(=on w(j e)pisth/mh pro\j e)pist
hto/n, ou(/twj ai)/sqhsij pro\j ai)sqhto/n, kai\ w(j e(/teron e)n e(te/r% tini, ou(/t
wj a)/llo e)n a)/ll%, oi(=on w(j o)/yij e)n o)fqalm%=, nou=j e)n yuxv=, kai\ w(j g
alh/nh e)n qala/ssv, nhnemi/a e)n a)e/ri.-Vgl. Topica A17, 108a7-12
Die strukturelle Ähnlichkeit (o(moio/thta), d.h. die Analogie (kat' a)nalogi/an) ist
entweder durch „das Eine in Bezug auf das Andere“ (a)/llo pro\j a)/llo) oder durch „das
Eine in dem Anderen“ (a)/llo e)n a)/ll%) gekennzeichnet. Einerseits bezieht sich das
Denken genau so auf das Gedachte, wie die Wahrnehmung auf das Wahrgenommene. 99
96
Zu der Grundstruktur der Proportionalitätanalogie kann man auch folgende Texte vergleichen: De anima G7,
431a20-431b1; Magna Moralia, 1193b37; Poetica 21, 1457b16-25; De Caelo A7, 275a28-275b2; D2, 309b8-12
97
Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216
98
In diesem Kontext (1131a32-1131b3) hat Aristoteles eine Erklärung anzubieten, inwiefern die viergliedrige
Analogie ursprünglicher als die dreigliedrige ist. Diese muss insofern auf jene zurückzuführen sein, als die Mitte
zweimal angewendet wird. Demzufolge steht das Übermaß (A) im gleichen Verhältnis zur Mitte (B), wie die
Mitte (B) zur Mangel (C). Formal gesehen ist die vierfältige Struktur fundamental, sodass eine Analogie
wenigstens vier Glieder verlangt. Auch Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a26-28, Ethica Eudemia B3, 1220b2123
99
Auch Vgl. De anima G4, 429a16-18
19
Andererseits stehen die Sehkraft in den Augen, der Geist in der Seele100, die Ebenheit im
Meer und die Ruhe in der Luft101 zueinander auch in einem analogen Verhältnis. Aufgrund
der oben erwähnten Beispiele kann es so zu verstehen sein, dass die eine Form der Analogie„in Bezug auf etwas“ (pro\j ti)-epistemologisch, und die andere-„in etwas“ (e)n tini)ontologisch konzipiert ist. Im Zusammenhang mit den Seelenvermögen kommt die Analogie
nur anhand der pro\j ti-Struktur zum Wort, denn das seelische Vermögen, wie Vernunft
(noh/sij), Verstand (dianoi/a), Einbildungskraft (fantasi/a) oder Wahrnehmung
(ai)/sqhsij) kann sich nur auf den entsprechenden Gegenstand hinrichten (pro\j ti)102, ohne
darin vorzuliegen (e)n tini). Obwohl die beiden Gestalten der Analogie im metaphysischen
Kontext
formal
verschieden
sind
(le/getai de\ e)nergei/# ou) pa/nta o(moi/wj a)ll' h)\ t%= a)na/logon, w(j tou=to e)
n tou/t% h)\ pro\j tou=to, to/d' e)n t%=de h)\ pro\j to/de), unterscheiden sie sich nicht
wesentlich voneinander. Denn sowohl pro\j ti als auch e)n tini können die ontologische
Gleichheit der Verhältnisse zum Ausdruck bringen.103
Inhaltlich trägt die metaphysische Anwendung der Analogie dazu bei, die Einheit der
Kategorien und die strukturelle Ähnlichkeit der Prinzipien zu beleuchten. In erster Linie
bringt die Analogie die Gemeinschaft der Einzelwissenschaften ans Licht, welche anhand der
kategorialen Ausdifferenzierung voneinander unterschieden sind. Anders formuliert:
Aufgrund der analogischen Einheit sind die verschiedenen Einzelwissenschaften erst
einheitlich zu begründen. Während die Metaphysik das Seiende als Ganzes theoretisch
betrachtet, nimmt die Mathematik nur die quantitative Bestimmung des Seienden zum
Untersuchungsgegenstand. Indem sich die Quantität ins Teilbare und Kontinuierliche
(diwrisme/non-sunexe/j), d.h. in Zahl und Größe (a)ri/qmoj-me/geqoj) ausdifferenziert,
100
Auch Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b28-29
Auch Vgl. Metaphysica H2, 1043a22-26
102
Aristoteles Meinung nach soll das seelische Vermögen in die Kategorie der Relation (pro\j ti) lokalisiert
sein. Vgl. Categoriae 7, 6b2-3; Metaphysica L9, 1074b35-36; De anima G4, 429a16-18
103
Vgl. Metaphysica Q6, 1048b6-8. An dieser Stelle tauchen zwar die beiden Formen der Analogie auf, aber das
anschließende Beispiel zeigt offensichtlich, dass das pro\j ti ontologisch bezogen sein kann. Wie die
Bewegung (Verwirklichung, Tätigkeit) zum Vermögen steht, ebenso die Substanz (Wesenssubstanz, Form) zu
der bestimmten Materie (1048b8-9). Im metaphysischen Kontext sind pro\j ti und e)n tini konvertibel. An
der einen Stelle tritt „pro\j ti“ auf ([e(/n] kat' a)nalogi/an de\ o(/sa e)/xei w(j a)/llo pro\j a)/llo-Vgl.
Metaphysica
D6,
1016b34-35),
und
an
der
anderen
Stelle
kommt
„e)n tini“
vor
(a)/llo e)n a)/ll%, kai\ to\ prw=ton ai)/tion w(j kinou=n a)/llo e)n a)/ll%-Metaphysica L4, 1070b2627). Beide Ausdrücke weisen auf die strukturelle Ähnlichkeit hin.
101
20
ist die Mathematik in die Arithmetik und Geometrie zu unterteilen.104 Was aber die beiden
Einzelwissenschaften zum Thema machen, ist weder die Zahl noch das Große schlechthin,
sondern die Eigentümlichkeiten der Zahl und des Großen. 105 Demnach orientiert sich die
Arithmetik an dem Geraden und dem Ungeraden der Zahl. 106 Die Geometrie zieht es in
Betracht, ob die Linie geradlinig oder gekrümmt ist und die Fläche eben oder nicht.107 So
bilden die beiden mathematischen Wissenschaften die analogische Einheit, dadurch dass die
ähnliche Struktur den verschiedenen Untersuchungsgegenständen zugeteilt ist. Wie sich das
Gerade in der Zahl befindet, ebenso das Geradlinige in (eindimensionaler) Linie und das
Ebene in (zweidimensionaler) Fläche.108
Dieselbe Struktur ist nicht auf Quantität beschränkt, sondern dehnt sich in die anderen
Kategorien aus, z.B. in die Qualität, sodass das Weiße in der Oberfläche 109 und die
Gesundheit im Körper gleicherweise vorhanden ist. Analog zu Quantität und Qualität liegt
dasselbe Gefüge auch bei der Kategorie der Bewegung 110 vor, da die Veränderung den
natürlichen Substanzen immanent ist. Wie gesagt machen Arithmetik, Geometrie, Physik,
Astronomie, Heilkunst, Ethik und Logik als selbständige Einzelwissenschaften immer etwas
Spezifisches zum Untersuchungsgegenstand (to\ me\n i)/dia e(ka/sthj e)pisth/mhj) 111 ,
nämlich die Eigenschaft der Zahl, die Gestalt der geometrischen Figur, die Veränderung des
Naturseienden, die Kreisbewegung des Gestirns, die Affektion des Körpers, die Tugend der
Seele und die Schlußfolgerung der Aussagen. Trotzdem bilden sie die analogische
Gemeinsamkeit
(ta\ de\ koina/, koina\ de\ kat' a)nalogi/an),
112
indem
jede
Einzelwissenschaft die disjunktiven Eigentümlichkeiten des jeweiligen Zugrundeliegenden
thematisiert (passio per se disiuncta entis), und zwar das Gerade-Ungerade der Zahl, das
Gerade-Krumme der Linie, die Bewegung-Ruhe des Naturdings, die gegensätzlichen Stellen
104
Vgl. Categoriae 6, 4b20-25. Die quantitative Kategorie ist ist ins Teilbare und Kontinuum
(diwrisme/non-sunexe/j) entzweit. Außerdem trifft der quantitative Zwiespalt in der Form von Menge-Größe
(plh=qoj-me/geqoj) auf. Die Menge ist zählbar und die Größe messbar. Darum ist die Menge die begrenzte
Zahl und die Größe fasst die Linie, die Fläche und den Körper um (grammh/-e)pifa/neia-sw=ma). Da die
Linie eindimensional, die Fläche zweidimensional und der Körper dreidimensional ist, entspricht die Linie der
Länge, die Fläche der Breite und der Körper der Tiefe (mh=koj-pla/toj-ba/qoj). Vgl. Metaphysica D13,
1020a7-14.
105
Vgl. Arts Rhetorica A2, 1355b29-30; Analytica Posterioria A10, 76a40-76b2
106
Vgl. Analytica Posterioria A4, 73b20-21
107
Vgl. Analytica Posterioria A4, 73b18-20
108
Vgl. Metaphysica N6, 1093b19-20
109
Vgl. Metaphysica N6, 1093b20-21
110
Statt der Bewegung kommen Wirken und Leiden in der Kategorienliste vor. Denn das aktive Machende und
das passive Erleidende sind allen Veränderungen und Tätigkeiten konstitutiv, außer dass das unbewegte
Bewegende wegen der Immaterialität die Passivität aufhebt.
111
Vgl. Analytica Posterioria A10, 76a38
112
Vgl. Analytica Posterioria A10, 76a38-39; Ars Rhetorica A2, 1355b28-31
21
des himmlischen Kreislaufs113, die Gesundheit-Krankheit des Körpers, das Gute-Schlechte der
seelischen Tugend und die Richtigkeit-Falschheit der logischen Schlußfolgerung.
Des Weiteren betrifft die Analogie nicht nur die Struktur des Gegenstandes, sondern auch die
Methode. Die wissenschaftliche Beweisführung vollzieht sich anhand des Syllogismus,
nämlich dass sich die bestimmte Konklusion aus der vorausgesetzten Prämisse syllogistisch
schlußfolgert. Darum sind die Einzelwissenschaften, die gemeinsam die apodiktische
Wissenschaft (e)pisth/mh a)podeiktikh/) genannt werden, methodisch vereinigt.
114
Anhand der strukturellen Ähnlichkeit des Untersuchungsgegenstandes und der methodischen
Gleichheit sind die apodiktisch-syllogistischen Wissenschaften zu begründen.
Zweitens
ermöglicht
die
Analogie
die
Mehrdeutigkeit
des
Seienden
(to\ o)/n le/getai pollaxw=j), die auf die kategoriale Ausdifferenzierung zurückgeht, zu
vereinigen (pro\n e(/n kai\ mi/an tina\ fu/sin). 115 Anders formuliert: Derselbe Begriff,
wie die Gesundheit (u(gi/eia), die Arznei (i)atrikh/) oder das Gute (a)/gaqon) kann völlig
verschiedene Sachen bezeichnen und querkategorial angewendet werden. Aber die
querkategoriale Begriffseinheit, die über die Art- und Gattungseinheit hinausgeht, kann nur
durch die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Kategorien gebildet werden. Das Spazierengehen
und das bestimmte Zeichen sind gemeinsam als das Gesunde zu bezeichnen, weil sich das
eine zu der Kategorie des Machens (poiei=n) und das andere zur Qualität (poi/on)
analogischerweise verhalten. 116 Der Arzt, die Therapie und der gesunde Patient hängen
insofern begrifflich mit der Heilkunst zusammen, als der Arzt die Heilkunst nicht nur innehat
(e)/xein) sondern viemehr durchführen kann (poiei=n). Der gut behandelte Patient ist als
Werk der Heilkunst anzusehen, da die Wesenheit der Gesundheit bei ihm konkretisiert und
verwirklicht wird (e)/rgon-ou)si/a).117
Die querkategoriale Verwendung zeigt sich am offenkundigsten beim Begriff des Guten. Der
Mehrdeutigkeit
des
Seienden
entsprechend
wird
das
Gute
mehrfältig
(pollaxw=j ga\r le/getai kai\ i)saxw=j t%= o)/nti to\ a)/gaqon).
113
118
ausgesagt
Trotz
der
Der Himmelskörper, der ewig im Kreis läuft und nicht stehenbleibt, hat insoforn die disjunktiven
Eigenschaften aufzuweisen, als er an gegensätzlichen Stellen auftreten kann.
114
Vgl. Metaphysica B2, 997a5-11, 997a18-22; Analytica Posterioria A1, 71b18-23; A6, 74b5-12
115
Vgl. Metaphysica G2, 1003a33-34, 1003b5-6
116
Vgl. Metaphysica G2, 1003a34-1003b1; Topica A 15, 107b6-12
117
Vgl. Metaphysica G2, 1003b1-3
118
Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b25-26; Ethica Nicomachea A6, 1096a19-20, 1096a23-24
22
Mehrdeutigkeit, die aus dem kategorialen Unterschied stammt119, werden die verschiedenen
Seienden als das Gute bezeichnet.120 Mit dem Guten ist folgendes gemeint, wie der Geist und
Gott in der Substanz, die Tugend in der Qualität, das rechte Maß in der Quantität, die
Nützlichkeit in der Relation, die passende Gelegenheit in der Zeit, der gesunde Aufenthaltsort
im Ort, das Lehren und Lernen in der Tätigkeit, usw.121 Der Sache nach sind der substanzielle
Gott/Geist, die qualitative Tugend/Gerechtigkeit, das quantitative Maß, die relationale
Nutzung, die zeitliche Gelegenheit, der räumliche Aufenthaltsort und die aktiv-passive
Tätigkeit völlig unterschiedlich. Trotzdem bildet sich eine querkategoriale Begriffseinheit,
indem das Jeweilige anhand der gleichen Struktur e)n tini das Gute genannt wird. Die
verschiedenen
Seienden
sind
nicht
(ou) ga\r e)/oike toi=j ge a)po\ tu/xhj o(mwnu/moij),
zufällig
weil
die
gleichnamig
ontologische
Strukturgleichheit die notwendige Namensgleichheit gewährleistet. Anders formuliert: Kraft
der strukturellen Ähnlichkeit (kat' a)nalogi/an) werden die unterschiedlichen Seienden
von einem gemeinsamen Begriff zusammengefasst (t%= a)f' e(no/j ei)=nai) und weisen
wiederum darauf hin (pro\j e(/n a(/panta suntelei=n).122
Im Gegenteil zu der überkategorialen Einheit der Idee des Guten spricht Aristoteles vom dem
querkategorialen Guten, das alle zehn Kategorien durchdringt. Ohne die sachliche
Verschiedenheit preiszugeben, konstituiert die Analogie die begriffliche Einheit. Daher
bedient sich das aristotelische Analogiemodell nicht der Prädikation sondern der
Begriffsbildung. Denn es geht darum, dass die verschiedenen Seienden nicht zufälligerweise
durch denselben Namen zu bezeichnen sind, der sowohl den querkategorialen Begriff wie das
Gute, als auch den prinzipiellen Begriff betrifft.
Drittens ist es einzusehen, wie die Prinzipien von Form-Stoff und von VermögenVerwirklichung die unterschiedlichen Sachen analogischerweise benennen. In der
Prinzipienforschung geht Aristoteles davon aus, den Sachverhalt mit der Einzelsubstanz zu
vergleichen. Anhand desselben Kriteriums von per accidens und per se unterscheidet sich der
119
Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b26-29, Ethica Nicomachea A6, 1096a19-20
Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b29-30
121
Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096a24-27; Ethica Eudamia A8, 1217b30-33; Topica A15, 107a3-12. Unter
dem qualitativen Guten steht in der Nikomakischen Ethik die Tugend, in der Eudamischen Ethik aber die
Gerechtigkeit. Die beiden können deswegen miteinander wechseln, weil laut Aristoteles die Gerechtigkeit nicht
ein Teil der Tugend, d.h. eine einzelne Tugend, sondern die Tugend überhaupt ist. Dementsprechend gilt die
Ungerechtigkeit nicht als einzelnes Schlechte, sondern als das Schlechte schlechthin. Vgl. Ethica Nicomachea
E1, 1130a8-10, 1129b27-30
122
Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b26-29
120
23
Sachverhalt von der Einzelsubstanz, die Aequivokation von der Univokation und die
Bewegung von der Entstehung. Darum ist der Vergleich von Sachverhalt und Einzelsubstanz
aequivalent zu formulieren, nämlich wie sich die Akzidenzprädikation zur Wesensprädikation
verhält, ebenso die Bewegung zur Entstehung. Wenn vom Prinzip und Element die Rede ist,
treten die Bewegung und Entstehung ins Spiel. Zu der Frage, ob die Prinzipien und die
Elemente von Sachverhalt und Einzelsubstanz identisch oder verschieden sind 123 , hat
Aristoteles folgende Antwort anzubieten. Trotz der Gattungsverschiedenheit ist der
Bewegung und der Entstehung dieselbe Struktur zugeteilt, nämlich die vier Ursachen.
Anhand des gleichen Seinsgefüges der vier Prinzipien können Bewegung und Entstehung erst
von demselben Oberbegriff Veränderung zusammengefasst und ausgeprochen werden.
Angesichts der Dihairese differenziert sich die übergeordnete Veränderung in die zwei
Gattungen aus, nämlich in den akzidentellen und den substanziellen Umschlag. Einerseits ist
die eine Gattung, die Bewegung in die drei Arten einzuteilen, und zwar anhand des
kategorialen Unterschieds von Qualität, Quantität und Ort. Andererseits entzweit sich die
andere Gattung, nämlich die notwendige Entstehung in menschliche Herstellung und
natürliche Zeugung, je nachdem die Wirkursachen unterschieden sind. Letztlich kann jede Art
von Bewegung und Entstehung in die jeweiligen Unterarten ausdifferenziert sein. Das
Hausbauen und die Heilkunst stehen z.B. unter der menschlichen Herstellung. Die
dihairetische Struktur ist folgendermaßen darzustellen:
123
Im Kontext (Metaphysica L4, 1070a31-33) scheint die Fragestellung anders zu sein. Dem originalen Text
gemäß geht es in L4 um die Frage, ob die Prinzipien oder die Elemente der Wesenssubstanz und der
akzidentellen Kategorien, welche gemeinsam als die Relation bezeichnet werden (pro/j ti-Metaphysica L4,
1070a36; Ethica Nicomachea A6, 1096a20-22), identisch oder verschieden sind. Die Prinzipienforschung setzt
die Bewegung und die Entstehung voraus. Weder die Wesenssubstanz noch die akzidentelle Kategorie, sondern
nur das Kompositum kann entstanden sein. Einerseits ist die Einzelsubstanz als substanzielles Kompositum
entstanden, indem sich die Wesenssubstanz an der Einzelsubstanz konkretisiert (ge/nesij: ei)=doj→to/de ti).
Andererseits wird der Sachverhalt als akzidentelles Kompositum dadurch zustande gebracht, dass die
akzidentelle Eigenschaft dem zugrundeliegenden Einzelnen zukommt (ki/nhsij: pro/j ti→pra=gma). Wenn
vom Prinzip oder Element die Rede ist, kann nicht die Wesenssubstanz mit der Akzidenzkategorie verglichen
werden (ou)si/a-pro/j ti), sondern die Verwirklichung der einen mit der Verwirklichung der anderen
(to/de ti-pra=gma). Da die Einzelsubstanz entstanden und der Sachverhalt akzidentell veränderlich ist
(ge/nesij-ki/nhsij), thematisiert die Prinzipienlehre die Prinzipien oder die Elemente von Einzelsubstanz und
Sachverhalt.
24
metabolh/
ki/nhsij
poi=on
po/son
ge/nesij
pou=
fu/sij
oi)kodo/mhsij
te/xnh
i)a/treusij
Bezeichnet die analogische Struktur der vier Ursachen die Gemeinsamkeit der verschiedenen
Gattungen, kommt sie in jeder Stufe der Dihairese hindurch zur Geltung. Denn die
analogische Einheit bezeichnet Aristoteles als die Allgemeinheit im höchsten Maß. 124 Im
Folgenden fangen wir mit der Analogie von Bewegung und Entstehung an, gehen dann in die
ähnliche Struktur von qualitativ-quantitativer Veränderung, Ortsbewegung, Herstellung und
Naturentstehung über und am Ende gelangen wir zur Analogie von Hausbauen und Heilkunst.
Da alle Typen der Veränderung und der Tätigkeit an der gleichen Struktur teilhaben, ist es
erst möglich, die prinzipiellen Paarbegriffe wie Stoff-Form und Möglichsein-Wirklichsein
einheitlich zu gebrauchen.
Aufgrund der Gattungsverschiedenheit sind die Prinzipien von Einzelsubstanz und
Sachverhalt jeweils anders (kaq' e(/kaston ge/noj-e(/teron) 125 , aber im Allgemeinen
124
Im philosophischen Wörterbuch (Metaphysica D6, 1016b31-35) unterscheidet Aristoteles vier Typen der
Einheit, nämlich der Zahl nach (e(/n kat' a)riqmo/n), der Art nach (kat' ei)=doj), der Gattung nach
(kata\ ge/noj) und der Analogie nach (kat' a)nalogi/an). Die analogische Einheit ist insofern die
Allgemeinheit im höchsten Maß, als sie über die Gattungseinheit hinausgeht. Vgl. Metaphysica D6, 1016b351017a3;
Theophrast,
Metaphysica
9a
4-9:
tau)t%= d' e)pista/meqa kai\ ou)si/# kai\ a)riqm%= kai\ ei)/dei kai\ ge/nei kai\ a)nalogi/# [...] dia\ p
lei/stou de\ to\ kat' a)nalogi/an, w(j a)\n a)pe/xontoj plei=ston; Hans Krämer, Gurndbegriffe
akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast (1968), S. 300, Fußnote
26
125
Vom Grunde genommen sind die Prinzipien oder die Elemente von Einzelsubstanz und Sachverhalt
verschieden. Denn zum einen bilden sich Wesenskategorie, d.h. Wesenssubstanz und zukommende Kategorien
die höchsten Gattungen im aristotelischen Sinne und darüber hinaus gibt es kein Gemeinsames (Metaphysica L4,
1070a35-1070b2). Zum anderen sind die Elemente der Einzelsubstanz und die des Sachverhaltes nicht
aufeinander reduzierbar (Metaphysica L4, 1070b3-4). Während die Einzelsubstanz aus der Zusammensetzung
von Stoff und Form besteht, ist der Sachverhalt durch die zugrundeliegende Einzelsubstanz und die
zukommende Kategorie konstituiert. Sachlich gesehen sind sowohl der Stoff von der zugrundeliegenden
Einzelsubstanz als auch die wesentliche Form von der zukommenden Kategorie unterschieden. Das ausführliche
25
bilden sie die analogische Identität (kaqo/lou-tau)ta\ kat' a)nalogi/an). 126 Anders
gesagt unterscheiden sich der veränderliche Sachverhalt und die entstandene Einzelsubstanz
zwar sachlich voneinander, aber ihnen ist dieselbe Struktur zugeteilt. Sie schließt nicht nur die
inneren
Urachen,
nämlich
Stoff,
Form
und
Privation
in
sich
(ai)/tia e)nupa/rxouta-u(/lh, ei)=doj, ste/rhsij), sondern auch die äußere Ursache, d.h.
Wirkursache (ai)/tion e)kto\j-kinou=n). 127 Daraus folgt, dass der Sachverhalt durch die
Bewegung und die Einzelsubstanz durch die Entstehung gemeinsamen Anteil an vier
Ursachen (ai)ti/ai te/ttarej) haben, die allerdings aus drei Elementen (tri/a stoixei=a)
und einem Bewegungsprinzip (a)rxh\ kinh/sewj) bestehen. 128 Um die Analogie von
Bewegung und Entstehung zu verdeutlichen nehmen wir die qualitative Veränderung und das
Hausbauen zum Beispiel. Falls beim Hausbauen die Haus-Gestalt als Form, die Unordnung
als Privation, die Baustoffe als Materie und der Hausherr als Wirkursache gilt129, ist in der
qualitativen Veränderung das Licht, das Weiße oder das Warme dementsprechend als Form
anzusehen, die Dunkelheit, das Schwarze oder das Kalte als Privation, die Luft, die Fläche
oder der Körper als zugrundeliegende Materie, und die natürliche oder menschliche Kraft als
Wirkursache.130
Des Weiteren können die gemeinsamen Prinzipien von Bewegung und Entstehung auf eine
andere Art und Weise (a)/llon tro/pon) zur Sprache kommen, indem Stoff, Privation und
Form auf die analogische Struktur von Möglichsein und Wirklichsein (du/namij-e)ne/rgeia)
zurückzuführen
sind.
131
Das
Begriffspaar
von
du/namij-e)ne/rgeia ist
insofern
grundsätzlicher als Stoff-Form, als es nicht nur das Sein (esse) sondern vielmehr die
Seinsweise der jeweiligen Prinzipien (modi essendi) zum Ausdruck bringt. Einerseits lässt
sich das der Veränderung zugrundeliegende Vermögen in Aktivität und Passivität
Argument ist in Metaphysica L4, 1070a33-1070b10 zu finden und die Konklusion in Metaphysica L4,
1070b19-21 und L5, 1071a29-33.
126
Vgl. Metaphysica L4, 1070a31-33, 1070b15-19; L5, 1071a24-27, 1071a29-35
127
Vgl. Metaphysica L4, 1070b22-23; D1, 1013a19-20
128
Vgl. Metaphysica L4, 1070b23-26
129
Vgl. Metaphysica L4, 1070b28-29
130
Licht-Dunkelheit-Luft: Metaphysica L4, 1070b21; Weiß-Schwarz-Fläche: L4, 1070b20-21; Warm-KaltKörper: L4, 1070b10-15. Statt der Wirkursache kommt das Resultat der Veränderung zur Erwähnung. Die
Körperteile sind dadurch gesund gemacht, dass Wärme und Kälte ins harmonische Verhältnis gebracht werden
(L4, 1070b14-15). Der Tag kommt aus der Mischung der Luft mit dem Licht hervor und die Nacht aus der
Mischung der Luft mit der Dunkelheit (L4, 1070b21).
131
Vgl. Metaphysica L5, 1071a3-5. Im Text spricht Aristoteles zwar davon, dass die Prinzipien von
Möglichsein und Wirklichsein in den schon erwähnten Ursachen fallen (1071a7-8). Aber in der Tat geht es
darum, dass die drei Elemente von Stoff, Privation und Form auf die beiden Prinzipien zu reduzieren sind. Denn
anhand des Möglichsein und Wirklichsein kann man Stoff, Privation und Form charakterisieren, umgekehrt aber
nicht.
26
entzweien.132 Andererseits bleibt die Form entweder in Möglichkeit oder in Wirklichkeit, je
nachdem ob sie aktualisiert wird. 133 Indem sich Aktivität-Passivität des Vermögens und
Möglichkeit-Wirklichkeit der Form miteinander kreuzen, ergibt sich anhand des Chiasmus
folgendes Schema:
du/namij tou= poiei=n
duna/mei
du/namij tou= pa/sxein
ste/rhsij
e)nergei/#
ei)=doj
u(/lh
Der konkrete Stoff ist durch Passivität und Wirklichkeit gekennzeichnet. Die Materie hat
passives Vermögen in sich, um die Prägung der Form aufzunehmen. Aber sie ist nicht
potential sondern ganz und gar real, denn um etwas Konkretes hervorzubringen muss sie
immer zur Verfügung stehen. Nicht die konkrete Materie sondern nur die Form kann in der
Möglichkeit existieren (ste/rhsij-duma/mei) 134 , falls sie realisierbar ist, aber noch nicht
realisiert wird. Was die Privation betrifft, ist diese nichts anderes als die abwesende Form
(a)pousi/a), der die Aktivität und die Potentialität zugeteilt sind. Bei der anwesenden Form
(parousi/a) aber fallen Aktivität und Aktualisierung zusammen.
Im Allgemeinen kann die Bewegung zusammen mit der Entstehung als die Verwirklichung
des
möglichen
Seienden
als
solchen
definiert
(h( tou= duna/mei o)/ntoj e)ntele/xeia, v(= toitou=ton, ki/nhsi/j e)stin).
werden
135
Wie
gesagt ist das mögliche Seiende nicht der konkrete Stoff sondern die Form, die sich aber in
dem Prozess der Veränderung immer als das Potentiale verhalten muss. Die Form kann
deswegen weder völlig in der Möglichkeit bleiben noch durchaus in die Wirklichkeit eintreten,
weil die Veränderung bei der einen noch nicht anfängt, und bei der anderen schon zum Ende
132
Vgl. Metaphysica Q1, 1046a16-29; Physica G3, 202b26-28
Vgl. Physica G1, 201a9-10
134
Der
originale
Text
lautet
aber:
[...] duna/mei de\ h( u(/lh: tou=to ga/r e)sti to\ duna/menon gi/gnesqai a)/mfw (Metaphysica
L5,
1071a10-11). Der Stoff bleibt insofern in der Möglichkeit, als es ihm möglich ist, geformt oder nicht geformt zu
werden. Mit anderen Worten kann die Möglichkeit nur dann dem Stoff zukommen, wenn er unter dem Aspekt
der abwesenden Form betrachtet wird. Die konkrete Materie ist durchaus real und wirklich.
135
Vgl. Physica G1, 201a10-11
133
27
geht. Was die aristotelische Definition der Veränderung angeht, ist diese weder der Anfang
noch das Ende, sondern der Prozess vom Anfang zum Ende (a)rxh/ → telei/on). Anders
formuliert: Aufgrund vom materiellen Substrat ist die Veränderung als ein Prozess anzusehen,
in dem die Form von der Möglichkeit in die Wirklichkeit (to\ duna/mei o)/n →
to\ e)nergei/# o)/n), von der Privation in die Vollendung (ste/rhsij→e(/cij) und von der
Abwesenheit in die Anwesenheit übergeht (a)pousi/a→parousi/a).
Daraus folgt, dass sich Stoff-Form und Dynamis-Energeia wechselseitig verhalten und
aufeinander reduzierbar sind. Wenn die Akzentuierung auf die Substantialität von Sachverhalt
und Einzelsubstanz gelegt wird, tritt die analogische Struktur von Stoff-Form in den
Vordergrund. Hinsichtlich der Prozessualität von Bewegung und Entstehung steht der Prozess
vom Möglichsein zum Wirklichsein im Zentrum.136
In erster Linie weist die analogische Struktur von vier Ursachen oder von PotentialitätAktualität die Gemeinsamkeit zwischen Bewegung und Entstehung auf. Dann dringt die
Analogie alle Arten Bewegungen und Entstehungen durch, damit qualitative, quantitative
Veränderung, räumliche Bewegung, Herstellung und Naturentstehung gleicherweise erörtert
werden können. Die Herstellung und die Naturentstehung, z.B. das Hausbauen und die
Zeugung des Menschen stehen zueinander analog, indem sich dieselbe Struktur von Form,
Privation, Stoff und Wirkursache durchsetzt. Daher stimmt die Hausgestalt mit der
136
Die Einführung von du/namij und e)ne/rgeia trägt mehrere theoretischen Funktionen in sich. Außer dem
oben erwähnten Perspektivewechsel lässt sich die ontologische Priorität des Naturdings vor dem Artefakt
hervorheben, indem sich die Selbstaktualisierung der potentialen Naturart notwendiger als die nachträgliche
Zusammensetzung von Form und Stoff vollzieht. In diesem Zusammenhang betont Aristoteles eine weitere
Funktion. Anderweise (a)/llwj-Metaphysica L5, 1071a5-6, 1071a11) ermöglichen du/namij und e)ne/rgeia
die drei Typen der Substanzen in analogische Beziehung zu setzen. Im Vergleich zu vergänglichen
Einzelsubstanzen sind die ewig bewegten Himmelskörper weder entstanden noch vergänglich und die intelligible
Substanz hebt die Materie auf. In beiden Fällen kommt die hylemorphstische Erklärung nicht mehr zur Geltung,
die die Entstehung und die Materialität voraussetzt. Demzufolge kann die strukturelle Ähnlichkeit von
Einzellebewesen, Himmelskörper und Geist nur in der e)ne/rgeia (actus) gründen. Während die irdische
Entstehung und die himmlische Bewegung als unvollkommene Verwirklichung gilt (actus imperfectus-1071a1117, ki/nhsij e)ne/rgeia [...] a)telh\j-Physica G2, 201b31-32; Metaphysica Q6, 1048b28-30), verhält sich
die
geistige
Tätigkeit
als
vollkommene
Aktualisierung
(actus
perfectus,
a(plw=j e)ne/rgeia†e)ne/rgeia tetelesme/nou-De
anima
G7,
431a67; h( a)plh= [ou)si/a] kai\ kat' e)ne/rgeian-Metaphysica L7, 1072a31-32; e)ntele/xeia-L8, 1074a36).
Da sowohl den Naturdingen als auch den Himmelskörpern der Stoff innewohnt, sind die Entstehung der einen
und die Bewegung der anderen passiv und prozessual. Die Veränderung im sublunaren Bereich ist insofern nicht
vollendet, als sie sich immer zwischen dem möglichen und wirklichen Zustand befindet. Die geistige Tätigkeit
als actus perfectus ist dadurch an actus imperfectus ausgezeichnet, dass sie sich rein aktiv auswirkt und sich
selbst unmittelbar ins Ziel setzt (1071a35-1071b1). Der Geist vollendet sich deswegen unmittelbar, weil er durch
die Aufhebung der Materie und der Passivität die Prozessualität mitaufhebt. In Bezug auf den Unterschied
zwischen actus imperfectus und actus perfectus kann man den berühmten sprachlichen Beweis in der
Metaphysik vergleichen. Vgl. Metaphysica Q6, 1048b18-35
28
eigentümlichen menschlichen Art, die Unordnung mit der Abwesenheit, der Baustoff mit dem
Fleisch, Knochen usw. und der Hausherr mit dem Vater strukturell überein. Außerdem kann
dieselbe Analogie zwischen den Unterarten derselben Art aufzustellen sein. In Bezug auf die
handwerkliche Kunst verhält sich Heilkunst zum Hausbauen dadurch analog, dass im
Hinblick auf Form, Privation, Materie und Wirkursache die Gesundheit der Hausgestalt, die
Krankheit der Unordnung, der Körper dem Baustoff und der Arzt dem Hausherren strukturell
entspricht.
Wegen der höchsten Allgemeinheit ist die analogische Struktur in der dihairetischen
Abstufung durchgängig wirksam. Die Analogie, die die strukturelle Ähnlichkeit zwischen
unterschiedlichen Gattungen zum Vorschein bringt137, setzt sich abwärts in die verschiedenen
Arten derselben Gattung und weiter in die verschiedenen Unterarten derselben Art durch.
Bezüglich der begrifflich unteilbaren Art z.B. der menschlichen Art ist nicht mehr von
Analogie die Rede.138 Denn die Identität von verschiedenen einzelnen Menschen liegt nicht in
der analogischen Einheit, sondern in der Arteinheit, die ontologisch durch die
Naturentstehung (der Mensch erzeugt den Menschen) bewiesen und logisch anhand der
Wesensprädikation (irgendein Mensch ist Mensch) ausgedrückt wird. Anhand der Beispiele,
die Aristoteles im Kontext139 eingeführt hat, lässt sich dies folgendermaßen zusammenfassen:
ei)=doj
ki/nhsij
ste/rhsij
u(/lh
kata\ poi/on leuko/n
me/lan
e)pifa/neia
kata\ poi/on fw=j
sko/toj
a)h/r
137
kinou=n
Vgl. Metaphysica L5, 1071a24-27
Vgl. Metaphysica L5, 1071a27-29. Frede und Patzig betrachten diesen Satz als Beweis dafür, dass die Form
individuell sei (Vgl. M. Frede und G. Partzig, Aristoteles Metaphysik Z, Text, Übersetzung und Kommentar,
erster Band, 1988, S. 48-49). Im Text handelt es sich in dem Satz darum, dass die Materie als
Individualisierungsprinzip die individuelle Verschiedenheit derselben Art verursacht. Vom Kontext her wird die
Akzentuierung auf die Arteinheit gelegt, die anders als die analogische Einheit ist. Die Interpretation von Frede
und Parzig ist nicht gültig, da sie dem vorliegenden Zusammenhang überhaupt nicht passt. Außerdem kann sich
das Possessivpronomen (sh/, e)mh/) weder auf ei)=doj noch auf kinh=san sondern nur auf die Materie (u(/lh)
beziehen.
Schließlich
garantiert
die
ontologische
Arteinheit
die
logische
Begriffseinheit
(t%= kaqo/lou de\ log%= tau)ta/). Wenn die menschliche Art im einzelnen Individuum verschieden wäre,
könnte sich keine begriffliche Einheit des Menschen bilden. Selbstverständlich kann man darüber diskutieren, ob
die Form das principio individuationis sein kann oder nicht. Aber man kann nicht anhand dieses Satzes den
Beweis erbringen, denn es ist weder sprachlich noch inhaltlich haltbar.
139
Vgl. Metaphysica L4, 1070b10-35; Physica A7, 191a7-12
138
29
ge/nesij
fu/sij
ei)=doj i)/dion a)pousi/a
pu=r, gh=
qermo/n
ai)sqhta\
yuxro/n
path/r
swma/ta
pra/cij
u(gi/eia
no/soj
sw=ma
i)atrikh/
poih/sij
ei)=doj
a)taci/a
pli/nqoi
oi)kodomikh/
a)/mofon
xalko/j
a)/mofon
cu/lon
oi)ki/aj
ei)=doj
a)ndri/aj
ei)=doj
kli/nhj
Der graduellen Analogie zufolge lassen sich die verschiedenen Seienden, wie das Weiße, das
Licht, die menschliche Art, das Warme, die Gesundheit, Haus-, Statue- und Bettgestalt
gemeinsam als Form bezeichnen und deren Gegensatz als Privation. Dementsprechend
können die unterschiedlichen Zugrundeliegenden, wie die Fläche, die Luft, das Feuer, die
Erde, der Körper, der Baustoff, das Erz und das Holz von demselben Begriff Stoff
zusammengefasst werden. Daraus resultiert, dass die Analogie, die ursprünglich die
ontologische strukturelle Ähnlichkeit aufzeigt, letztlich zur einheitlichen Begriffsbildung führt
(o)no/mata kaq' o(moio/thta). 140 Denn die Analogie ermöglich erst, in verschiedenen
Seinsebenen dieselbe Begriffe anzuwenden, die die Prinzipien von Stoff-Form und von
Möglichsein-Wirklichsein betreffen. Wenn man in der Theoriebildung die sachlichen
Verschiedenheiten berücksichtigt, ist die Gemeinsamkeit nur durch die Analogie
zusammenzuschauen (t%= a)na/logon sunora=n)141, die die Gattungs- oder Artsdifferenz
in sich hat. Aufgrund dessen macht Aristoteles ausdrücklich, dass die zugrundeliegende Natur
der
Materie
anhand
der
Analogie
zur
Kenntnis
genommen
(h( de\ u(pokeime/nh fu/sij e)pisthth\ kat' a)nalogi/an) 142 und die Verwirklichung
bzw.
Wirklichkeit
mithilfe
des
Analogons
140
einheitlich
ausgesagt
wird
Vgl. De anima B9, 421a31-421b1; B8, 420a29-420b4; Poetica 21, 1457b17-34; Analytica Posterioria A12,
77b40-78a6; B14, 98a20-23; B17, 99a11-16
141
Vgl. Metaphysica Q6, 1048a35-37; Topica A17, 108a13-14
142
Vgl. Physica A7, 191a7-8
30
(le/getai de/ e)nergei/# ou) pa/nta o(moi/wj a)ll' h)\ t%= a)na/logon) 143 . Im Grunde
gilt die analogische Begriffseinheit nicht nur für Materie und Wirklichkeit, sondern auch für
die Möglichkeit, die eng mit der Materie zusammenhängt, und für die Form, die mit der
Wirklichkeit gleichzusetzen ist. Denn die analogische Struktur zwischen verschiedenen
Seienden kann nur durch das Zusammenwirken von Form und Stoff, bzw. von Wirklichein
und Möglichsein konstituiert sein.
Literatur:
Originale Werke:
Platon:
Timaios, H. Müller [Übers.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2011
Politeia, F. Schleiermacher [Übers.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2011
Aristoteles:
Ars Rethorica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1959
Analytica Prioria et Posterioria, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1964
Categoriae et Liber de Interpretatione, L. Minio-Paluello, Oxford Classical Texts, Oxford,
1949
De anima, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1956
De arte poetica liber, Rvdolfvs Kassel [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1965
De animalibus historia, Dittmeyer Leonhard [Hrsg.], Teubner, Lipsiae, 1907
De generatione animalium, H. J. Drossaart Lulofs [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford,
1965
De partibus animalium, Louis Pierre [Hrsg.], Les Belles Lettres, Paris, 1957
Ethica Nicomachea, I. Bywater [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1894
Ethica Eudemia, R. R. Walzer, J. M. Mingay [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1991
Metaphysica, W. Jäger [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1957
Aristotle’s Metaphysics, a revised text with introduction and commentary, W. D. Ross,
Oxford University Press, American Branch, 1924
Politica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1957
Physica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1950
Topica et Sophistici Elenchi, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1958
143
Vgl. Metaphysica Q6, 1048b6-7
31
Magna
Moralia,
Thesaurus
Linguae
Graecae
(TLG),
http://stephanus.tlg.uci.edu.ubproxy.ub.uniheidelberg.de/inst/browser?uid=&lang=eng&work=86022&rawescs=N&betalink=Y&filepos
=0&outline=N&GreekFont=Unicode_All&
Thomas von Aquino(http://www.corpusthomisticum.org/)
Summa Contra Gentiles, I.34: http://www.corpusthomisticum.org/scg1029.html
Summa Theologia, I.13, 5-6: http://www.corpusthomisticum.org/sth1003.html
De Potentia, 7.7: http://www.corpusthomisticum.org/qdp7.html
Commentaria
In
Aristotelem,
Sententia
Libri
Metaphysicae:
http://www.corpusthomisticum.org/cmp00.html
Wörterbücher:
Historisches Wörterbuch der Philosophie: Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried
Gabriel [Hrsg.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1971-2001 (Analgoie,
Ähnlichkeit, Proportion)
Index
Aristotelicus:
Hermann
Bonitz
[Hrsg.],
Reimer,
Berlin,
1870
(a)nalogi/a, a)nalo/gon, o(moio/thta, o(mo/iwj)
Kommentare:
Prophyrius: Isagoge et in Aristotelis categorias commentarium, Busse Adolf [Hrsg.], Reimer,
Berlin, 1887
Simplicius: In Aristotelis Categorias commentarium, Kalbfleich Karl [Hrsg.], Reimer, Berlin,
1907
Sekundäre Literaturen:
Bernard Montagnes: La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin, Publ.
Univ., Louvain et Paris, 1963
C. Rapp: Ähnlichkeit, Analogie und Homonymie bei Aristoteles, Zeitschrift für
Philosophische Forschung, 46:4, 1992
Fiedler, Wilfried: Analogiemodelle bei Aristoteles, Gruener, Amsterdam, 1978
H. Krämer: Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von
Aristoteles und Therophrast, Rheinisches Museum für Philologie, Neue Folge, 111. Bd., H.4,
1968
32
Jan A. Aertsen: Medieval Philosophy and The Transcendentals: the case of Thomas Aquinas,
Brill, Leiden, 1996
Jan A. Aertsen: Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt, Brill, Leiden, 2012
M. Frede und G. Partzig: Aristoteles Metaphysik Z, Text, Übersetzung und Kommentar, erster
Band, Beck, Münschen, 1988
33
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